Fulgens corona (Wortlaut)
Fulgens corona |
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unseres Heiligen Vaters
Pius XII.
Ankündigung eines Marianischen Jahres das auf der ganzen Welt gefeiert werden soll
anlässlich der ersten Jahrhundertfeier der Proklamation des Dogmas
von der Unbefleckten Empfängnis
8. September 1953
(Quelle: Rudolf Graber: Die marianischen Weltrundschreiben der Päpste in den letzten hundert Jahren, Echter-Verlag Würzburg 19542, S. 210-222; Mit kirchlicher Druckerlaubnis. Die Nummerierung folgt der englischen Fassung [1]).
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Inhaltsverzeichnis
- 1 Rückblick auf das Jahr 1854
- 2 Lourdes
- 3 Maria die unbefleckt Empfangene
- 4 Grundlage der Glaubenslehre in der Heiligen Schrift
- 5 Die Entfaltung der Lehre bei den heiligen Vätern
- 6 Klärung und Vertiefung durch die lehrende Kirche
- 7 Einwände der Gegner: Einengung der Erlösung Christi
- 8 Unbefleckte Empfängnis und leibliche Aufnahme in den Himmel
- 9 Maria und das christliche Leben: Reinheit und Unversehrtheit des Lebens
- 10 Rückkehr zu Christus und Gottes Geboten
- 11 Aufruf zur Feier des Marianischen Jahres
- 12 Unsere Bitten für die einzelnen Lebensalter
- 13 Bitten für alle Notleidenden und Verfolgten
- 14 Gebet für die verfolgte Kirche
- 15 An die Gläubigen in der Kirche des Schweigens
- 16 An die getrennte Ostkirchen
- 17 Ermahnung zu Bußwerken
- 18 Maria und der Friede
- 19 Anmerkungen
Rückblick auf das Jahr 1854
1 Die strahlende Krone der Glorie, mit der Gott die makellose Stirn der jungfräulichen Gottesmutter geschmückt hat, erscheint Uns in hellerem Glanze, wenn Wir jenes Tages gedenken, an dem vor hundert Jahren Unser Vorgänger seligen Angedenkens Pius IX., umgeben von den erlauchten Reihen der Kardinäle und Bischöfe, mit unfehlbarer apostolischer Autorität erklärte, verkündete und feierlich definierte: "Die Lehre, dass die Allerseligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einen einzigartigen Gnadenvorzug des allmächtigen Gottes im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes, von jeder Makel der Erbschuld frei geblieben sei, ist von Gott geoffenbart und muss daher von allen Gläubigen fest und beharrlich geglaubt werden" (1).
2 Die ganze katholische Christenheit nahm diesen päpstlichen Lehrentscheid, den sie schon lange und mit Sehnsucht erwartet hatte, mit Freuden auf. Die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter erhielt dadurch bei den Gläubigen einen mächtigen Auftrieb. Und dies wiederum führte naturnotwendig zu einer neuen Blüte im sittlichen Leben der Christenheit. Eine neue Vertiefung erfuhren in gleicher Weise die wissenschaftlichen Arbeiten, die die Würde und Heiligkeit der erhabenen Gottesmutter in helleres Licht rückten.
Lourdes
3 Es scheint, als habe die seligste Jungfrau Maria selber die Lehrentscheidung, die der Stellvertreter ihres göttlichen Sohnes auf Erden unter der lebhaften Zustimmung der gesamten Kirche ausgesprochen hatte, auf wunderbare Weise gleichsam bestätigen wollen. Denn kaum vier Jahre später erschien die jungfräuliche Gottesmutter in der Nähe einer französischen Stadt am Fuße der Pyrenäen einem unschuldigen und einfachen Mädchen in der Grotte von Massabielle. Sie war jugendlich und voll Güte im Ausdruck, mit leuchtendweißem Gewand und einem ebenso weißen Mantel bekleidet und mit einem blauen, herabwallenden Gürtel gegürtet. Dem Mädchen aber, das ihres Anblickes gewürdigt worden war und das inständig bat, ihren Namen zu erfahren, antwortete sie mit zum Himmel erhobenen Augen und liebreich lächelnd: "Im bin die Unbefleckte Empfängnis".
4 Die Gläubigen haben selbstverständlich diese Begebenheiten im rechten Sinne aufgenommen. Fast unübersehbare Scharen frommer Pilger aus allen Ländern strömten zur Grotte von Lourdes zusammen, belebten ihren Glauben, entzündeten ihre Frömmigkeit und waren bemüht, ihr Leben den christlichen Geboten gemäß zu gestalten. Nicht selten erlangten sodann die Gläubigen dort selbst Wunder, die das Staunen der Allgemeinheit hervorriefen und gleichzeitig ein Beweis dafür waren, dass die katholische Religion die einzige von Gott geoffenbarte und von ihm bestätigte ist.
5 In besonderer Weise aber haben die Päpste in Rom diese Dinge dementsprechend erfasst. Sie haben dann auch jenes wunderbare Heiligtum, das die Frömmigkeit von Klerus und Volk innerhalb weniger Jahre dort errichtet hatte, mit besonderen Gnadenprivilegien und anderen Erweisen ihres Wohlwollens ausgezeichnet.
Maria die unbefleckt Empfangene
6 In dem Apostolischen Schreiben, in dem Unser Vorgänger Pius IX. allen Christgläubigen vorschrieb, dieses katholische Lehrstück fest und unerschütterlich zu glauben, tat er nichts anderes, als die Stimme der heiligen Kirchenväter und der gesamten Kirche, die von der christlichen Frühzeit her durch alle folgenden Jahrhunderte gleichsam herüberklang, sorgfältig aufzunehmen und durch seine Autorität zu heiligen.
Grundlage der Glaubenslehre in der Heiligen Schrift
7 Zunächst findet sich die Grundlage dieser Lehre in der Heiligen Schrift selbst. In ihr spricht Gott, der Schöpfer aller Dinge, nach dem unheilvollen Sündenfall Adams, die Schlange, den Versucher und Verderber, mit diesen Worten an, die nicht wenige der heiligen Väter und Kirchenlehrer sowie die meisten anerkannten Exegeten auf die jungfräuliche Gottesmutter beziehen: "Feindschaft will im setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen deinem Samen und ihrem Samen ..." (2). Nehmen wir nun an, die Allerseligste Jungfrau Maria wäre mit der Erbsünde behaftet empfangen worden, so wäre sie irgendwann einmal ohne die göttliche Gnade gewesen; die Folge wäre die, dass wenigstens in diesem, wenn auch noch so kurzen Augenblick nicht jene ewige Feindschaft zwischen ihr und der Schlange bestanden hätte, vielmehr wäre Maria sogar ihr unterworfen gewesen; gerade aber von dieser ewigen Feindschaft ist seit der frühesten Überlieferung bis zur feierlichen Verkündigung des Dogmas die Rede.
8 Außerdem wird die heiligste Jungfrau mit den Worten gegrüßt "voll der Gnade" (3) oder "kecharitomene" und "gebenedeit unter den Weibern" (4). Durch diese Worte - so hat die katholische Überlieferung sie immer verstanden - soll offensichtlich angedeutet werden, dass "dieser einzigartige und feierliche, sonst nie vernommene Gruß zeigt, dass die Gottesmutter der Thron aller göttlichen Gnaden gewesen ist, dass sie mit allen Gnadengaben des Heiligen Geistes ausgestattet, ja sogar dieser Gnadengaben nahezu unbegrenzte Schatzkammer und unerschöpfliche Tiefe gewesen ist, so ,dass sie niemals dem Fluche unterworfen" (5) war.
Die Entfaltung der Lehre bei den heiligen Vätern
9 Die heiligen Väter haben diese Lehre aus der Zeit der Urkirche ohne jeden Widerspruch und klar genug überliefert. Sie versicherten, die Allerseligste Jungfrau sei "die Lilie unter den Dornen, das völlig unberührte Erdreich, das unbefleckt und allzeit gesegnet von jeder Makel der Sünde frei sei; sie nennen Maria das unverwesbare Holz und den stets ungetrübten Born; als einzige sei sie Tochter des Lebens und nicht des Todes, Spross der Gnade und nicht des Zornes; Maria ist die Makellose, ja in jeder Weise Makellose, die Heilige und die von jeder Sünde vollkommen Freie, schöner als die Schönheit selbst, heiliger als die Heiligkeit, die allein Heilige, die - Gott allein ausgenommen - alle überragt und von Natur aus schöner, herrlicher und heiliger ist als selbst die Cherubim und Seraphim und die ganze Heerschar ,der Engel" (6).
Klärung und Vertiefung durch die lehrende Kirche
10 Wenn man so in gebührender Weise diese Lobpreisungen der Allerseligsten Jungfrau Maria sorgsam erwägt, wer könnte da zu zweifeln wagen, dass jene, die reiner als die Engel und allzeit rein geblieben ist (7), auch nur im Bruchteil eines Augenblicks nicht von jeglicher Makel der Sünde frei geblieben wäre? Mit vollem Recht spricht daher der heilige Ephrem ihren göttlichen Sohn folgendermaßen an: "Du und deine Mutter, ihr allein seid in Wahrheit ganz und vollkommen schön. Denn weder in dir, o Herr, noch in deiner Mutter ist irgend eine Makel" (8). Aus diesen Worten geht ganz klar hervor, dass in der Frage der Sündenmakel von irgend jemand, es unter allen heiligen Männern und Frauen nur eine einzige gibt, auf die diese Frage überhaupt keine Anwendung findet. Und weiter geht hieraus hervor, dass Maria dies einzig dastehende Gnadenprivileg, das keinem anderen je zuteil wurde, nur deshalb von Gott erhalten hat, weil sie zur Würde der Gottesmutter erhoben werden sollte.
11 Denn dieses erhabene Amt, das auf dem Konzil von Ephesus gegen die Irrlehre des Nestorius feierlich verkündet und festgelegt worden ist (9), und über dem es offenbar kein größeres mehr geben kann, erfordert die Fülle der göttlichen Gnade und ein Herz, das von jeder Makel frei ist, da es die höchste Würde und Heiligkeit erfordert, die es nach Christus gibt. Ja noch mehr, aus diesem erhobenen Amt der Muttergotteswürde fließen augenscheinlich wie aus einer geheimnisvollen durchsichtig klaren Quelle alle Privilegien und Gnadenerweise, die ihre Seele und ihr Leben in so außerordentlicher Weise schmücken.
12 Und so erklärt mit Recht der Aquinate: "Da die seligste Jungfrau Mutter Gottes ist, so besitzt sie eine gewissermaßen unendliche Würde von dem unendlichen Gut her, das Gott ,ist" (10). Völlig zutreffend erklärt ein berühmter Schriftsteller dies folgendermaßen: "Die Allerseligste Jungfrau ... Mutter Gottes; deshalb ist sie ganz rein und heilig, so dass man unter Gott eine größere Reinheit überhaupt nicht denken kann" (11).
13 Wenn wir im übrigen dies alles aufmerksam erwägen und wenn wir vor allem bedenken, mit welch glühender und inniger Liebe Gott die Mutter seines eingeborenen Sohnes zweifellos umfing und immer umfängt, wie könnten wir da auch nur der Auffassung sein, sie sei, wenn auch nur für kürzeste Zeit, von der Sünde überschattet und ohne Gottes Gnade gewesen? Gott konnte ihr doch sicherlich im Hinblick auf die Verdienste des Erlösers dieses außerordentliche Gnadenprivileg verleihen. Dass er dies nicht getan hat, können wir nicht einmal vermutungsweise annehmen; ist es doch nur geziemend, dass die Mutter des Erlösers so sei, dass sie seiner, soweit es möglich war, würdig wäre. Sie wäre aber seiner nicht würdig gewesen, wenn sie auch nur im ersten Augenblick Ihrer Empfängnis mit der Erbschuld behaftet und so der finsteren Herrschaft Satans unterworfen gewesen wäre.
Einwände der Gegner: Einengung der Erlösung Christi
14 Dagegen kann man nicht geltend machen, dass so die Reichweite der Erlösung Christi eingeengt werde, indem sich nun diese nicht mehr auf die gesamte Nachkommenschaft Adams erstrecke und somit die Aufgabe und Würde des göttlichen Erlösers selber schmälere. Wenn wir nämlich die Frage mit Sorgfalt erwägen, so erkennen wir unschwer, dass Christus der Herr seine göttliche Mutter in Wahrheit auf die vollkommenste Weise erlöst hat, da sie von Gott im Hinblick. auf die Verdienste Christi im ersten Augenblick ihrer Empfängnis von jeder Makel der Erbsünde bewahrt wurde. Daher wird die unendliche Würde Jesu Christi und sein universales Erlöseramt durch diese Lehre nicht verringert oder herabgesetzt, sondern aufs höchste gesteigert.
15 Zu Unrecht tadeln daher nicht wenige Andersgläubige und Glaubensneuerer unsere Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter, indem sie uns zum Vorwurf machen, als ob wir Gott dem Herrn und Jesus Christus dadurch etwas von dem Kult entziehen würden, der ihnen allein geschuldet ist; das Gegenteil ist vielmehr richtig: Alles, was wir zur Ehre und Verherrlichung unserer himmlischen Mutter tun, das strömt zweifellos auf ihren göttlichen Sohn zurück, zu seinem Ruhm, nicht nur, weil alle Gnaden und Gaben, auch die erhabensten, aus ihm als ersten Quell hervorgehen, sondern auch, weil "der Ruhm der Söhne ihre Väter sind" (12).
16 Daher nahm die Erkenntnis dieser Glaubenslehre von den frühesten Zeiten der Kirche an von Tag zu Tag immer deutlichere Formen an und von Tag zu Tag wuchs sie im Bewusstsein der Oberhirten, sowie im Geiste und Herz des christlichen Volkes. Dies bezeugen, wie Wir schon sagten, die Schriften der heiligen Väter; davon zeugen Konzilien und päpstliche Schriftstücke; dies bezeugen endlich die ältesten Liturgien, in deren heiligen Büchern, und zwar in den ältesten, dieses Fest als von den Vorfahren überliefert angeführt wird.
17 Dazu kommt, dass auch unter all jenen Gemeinschaften der morgenländischen Kirche, die sich schon lange von der Einheit der katholischen Kirche getrennt haben, solche nicht fehlten noch fehlen, die, trotz ihrer Vorurteile und gegensätzlicher Anschauungen, sich doch zu dieser Lehre bekennen, und das Fest der Unbefleckten Jungfrau alljährlich feierlich begehen. Das würde aber zweifellos nicht geschehen, wenn sie es nicht von alters her, noch ehe sie sich von der einen Herde getrennt hatten, übernommen hätten.
18 Nachdem nunmehr hundert Jahre verflossen sind, seit Papst Pius IX. unsterblichen Angedenkens dieses einzigartige Gnadenprivileg der jungfräulichen Gottesmutter feierlich definierte, so möchten Wir den ganzen Tatbestand mit den Worten desselben Papstes in eins zusammenfassen und abschließend erklären: Diese Lehre ist "nach dem Urteil der Väter in den heiligen Schriften niedergelegt und in so vielen wichtigen Zeugnissen von diesen überliefert; in vielen herrlichen Denkmälern von ehrfurchtgebietendem Alter kommt sie zum Ausdruck und wird sie gefeiert, und zudem hat sie durch das höchste und gewichtigste Urteil der Kirche Verkündigung und Bestätigung erfahren" (13), und zwar so, dass den Oberhirten und den Gläubigen "nichts lieber und teurer ist, als die jungfräuliche Gottesgebärerin mit tiefster Inbrunst als die ohne Erbsünde Empfangene überall zu verehren, anzurufen und zu preisen" (14).
Unbefleckte Empfängnis und leibliche Aufnahme in den Himmel
19 Und es scheint Uns, als ob jener kostbarste Edelstein, mit dem die heilige Krone der Allerseligsten Jungfrau Maria vor nunmehr hundert Jahren geschmückt worden ist, heute in noch hellerem Lichte erstrahlt. Wurde Uns doch dank des Ratschlusses der göttlichen Vorsehung das Glück zuteil, gegen Ende des großen Jubeljahres 1950 - mit dankbarer Freude denken Wir immer noch daran zurück - als Glaubenssatz feierlich zu verkünden, dass die Gottesmutter mit Seele und Leib in den Himmel aufgenommen ist. Auf diese Weise wollten Wir auch die Wünsche des christlichen Volkes erfüllen, die man schon damals mit besonderem Nachdruck äußerte, als die Unbefleckte Empfängnis Mariens feierlich verkündet wurde. "Damals nämlich", so schrieben Wir in der Bulle "Munificentissimus Deus" (15), "erwachte in den Herzen der Gläubigen bereits die zuversichtliche Hoffnung, das oberste kirchliche Lehramt möchte doch möglichst bald auch das Dogma der leiblichen Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel definieren."
20 Es scheint, dass nunmehr seit diesem Zeitpunkt alle Christgläubigen aus einem noch tieferen und wirksameren Grund Geist und Herz dem Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis Mariens zuwenden können. Diese bei den Dogmen sind ja mit innerster Notwendigkeit eng miteinander verbunden. Und so bewirkte die feierliche Verkündigung und Klarsteilung der Aufnahme Mariens in den Himmel, die gleichsam die Krönung und Vollendung jenes ersten Privilegs Mariens ist, ganz von selbst, dass die wunderbare Weisheit und Harmonie jenes göttlichen Ratschlusses, durch den Gott die Allerseligste Jungfrau Maria vor aller Makel der Erbsünde bewahren wollte, in vollerem und strahlenderem Licht aufleuchtete.
21 Auf Grund dieser beiden herrlichen Privilegien, die der jungfräulichen Gottesmutter gewährt wurden, erglänzt Anfang wie Ende ihrer irdischen Pilgerschaft in strahlendem Licht; der völligen, von jeder Sündenmakel reinen Unschuld ihrer Seele entspricht in wunderbarer Weise die höchste „Verherrlichung" ihres jungfräulichen Leibes; und wie sie mit ihrem eingeborenen Sohn im Kampf gegen die verderbenbringende höllische Schlange vereint war, so nimmt sie jetzt an einem glorreichen Triumph über die Sünde und deren traurige Folgen teil.
Maria und das christliche Leben: Reinheit und Unversehrtheit des Lebens
22 Doch soll diese Jahrhundertfeier nicht nur den katholischen Glauben und die innige Liebe zur jungfräulichen Gottesmutter in den Herzen aller von neuem entfachen; vielmehr muss sich auch die Lebensführung der Christen dem Bild dieser Jungfrau aufs stärkste angleichen. Wie es alle Mütter mit unsagbarer Freude erfüllt, wenn sie auf dem Antlitz ihrer Kinder ihre eigenen Gesichtszüge in einer besonderen Ähnlichkeit sich widerspiegeln sehen, so ist auch unserer süßen Mutter Maria nichts erwünschter und lieber, als wenn sie sieht, wie die, die sie unter dem Kreuz ihres Sohnes an seiner Stelle als Kinder empfangen hat, in ihrem Denken, Reden und Tun die Züge und die Schönheit ihrer eigenen Seele aufweisen.
23 Damit nun aber diese Liebe zur Mutter kein leeres Wort sei, kein religiöses Scheinbild, keine kraftlose und schnell vergehende Augenblicksbegeisterung, sondern dass sie echt, wahr und wirksam sei, so muss sie zweifellos jeden von uns, gemäß seiner persönlichen Lage, veranlassen, sich um die Tugend zu bemühen. Und da wir ja des Geheimnisses jener heiligsten Jungfrau gedenken, deren Empfängnis schon unbefleckt und von jeder Makel der Erbsünde frei war, so muss diese Marienliebe uns vor allem zu jener Reinheit und Unversehrtheit des Lebens hinführen, die auch vor ,dem leisesten Schatten einer Sünde flieht und zurückschreckt.
Rückkehr zu Christus und Gottes Geboten
24 Die Allerseligste Jungfrau Maria, die ihr ganzes Leben hindurch - sei es in ihren Freuden, die sie so tief erlebte, sei es in ihrer Not und in ihrem bitteren Leid, durch das sie zur Königin der Märtyrer wurde - niemals von den Geboten Gottes und dem Beispiel ihres Sohnes auch nur im geringsten abwich, scheint jedem einzelnen von uns allen heute jene Worte zu wiederholen, die sie bei der Hochzeit zu Kana, auf Jesus Christus gleichsam mit dem Finger zeigend, zu den Dienern sprach: "Was immer er euch sagen wird, das tut" (16)!
25 Die gleiche Aufforderung, nur in einem weiteren Sinne verstanden, richtet sie offensichtlich heute wieder an uns alle, wo es so klar zutage tritt, dass die Wurzel all der Übel, unter denen die Menschen so schwer und bitter zu leiden haben und die die Völker und Nationen in Angst versetzen, gerade darin liegt, dass so viele jene "Quelle lebendigen Wassers verlassen und sich Brunnen gegraben haben, brüchige Brunnen, die das Wasser nicht halten können" (17); dass sie den verlassen haben, der allein "der Weg, die Wahrheit und das Leben" (18) ist. Wenn wir also fehlgegangen sind, müssen wir auf den rechten Weg zurückkehren; wenn Finsternis des Irrtums unseren Geist umhüllt hat, muss sie unverzüglich durch das Licht der Wahrheit verdrängt werden; wenn jener Tod, der allein der wahre Tod ist, von unseren Seelen Besitz ergriffen hat, müssen wir in brennendem Durst energisch nach dem Leben greifen, jenem himmlischen Leben, das keinen Untergang kennt; denn es nimmt von Jesus Christus seinen Ausgang. Und wenn wir ihm treu und vertrauensvoll in dieser irdischen Verbannung folgen, dann werden wir gewiss zusammen mit ihm in der ewigen Heimat die Seligkeit genießen. Das lehrt uns, und dazu ermahnt uns die Allerseligste Jungfrau Maria, unsere Liebreiche Mutter, die uns in der Tat mehr als alle irdischen Mütter mit wahrhafter Liebe liebt.
26 Solcher Ermahnungen und Aufforderungen, zu Christus zurückzukehren und seine Gebote gewissenhaft und tatkräftig zu erfüllen, bedürfen, wie ihr, ehrwürdige Brüder, wohl wisst, die Menschen heute ganz besonders; denn nicht wenige versuchen ja den christlichen Glauben aus den Seelen bis in seine Wurzeln hinein auszurotten. Sie tun dies entweder mit Hinterlist und Tücke, oder aber durch eine ganz offene, leidenschaftliche und mitreißende Propaganda ihrer Irrtümer, mit denen sie sich so frech brüsten, als ob diese den Ruhm dieses Jahrhunderts mit seinen glänzenden Fortschritten ausmachten.
27 Wo aber einmal die Religion mit ihrer Heiligkeit hintangesetzt ist, wo Gott als der Vergelter des Guten und des Bösen nichts mehr gilt, dort gelten auch die Gesetze nicht mehr und die staatliche Autorität hat ihren Einfluss verloren. Dies ist jedem einleuchtend. Und da ferner durch diese trügerischen Lehren jede Hoffnung auf die unsterblichen Güter beseitigt ist, so ist natürlich leicht einzusehen, dass die Menschen in maßloser Gier nach irdischen Gütern streben, leidenschaftlich fremdes Gut begehren und selbst mit Gewalt an sich reißen, so oft sich ihnen eine Gelegenheit bietet. So entstehen Hass, Neid, Zwietracht und Feindschaft unter den Bürgern; das private und öffentliche Leben wird zerrüttet und selbst die Fundamente der Staaten werden nach und nach untergraben; wohl könnten diese durch die Autorität der Gesetze und der Regierungen noch gehalten und gestützt werden, aber nur mit großer Mühe; schließlich wird die Moral auf Schritt und Tritt durch so, schlechte Schauspiele, Bücher, Zeitungen und sogar durch Verbrechen zerrüttet.
28 Wir stellen zwar nicht in Abrede, dass in dieser Sache sehr viel von seiften jener geschehen könnte, die die Leitung des Staates in Händen haben. Aber die Heilung so großer Übel muss ohne Zweifel auf einer höheren Ebene gesucht werden; eine höhere Macht als die der Menschen muss hier in Wahrheit zu Hilfe gerufen werden, eine Macht, die die Herzen selber mit himmlischem Licht erleuchtet und die Seelen berührt, die sie durch die göttliche Gnade erneuert und sie unter ihrem Einfluss zu besseren Menschen umwandelt.
29 Dann erst dürfen wir vielleicht hoffen, dass überall wieder die christlichen Sitten aufblühen; dass die wahren Grundlagen, auf denen die Staaten gegründet sind, aufs stärkste gefestigt werden; dass zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen eine wechselseitige, gerechte und wahre Einschätzung der Dinge verbunden mit Gerechtigkeit und Liebe stattfindet; dass der Hass endlich aufhöre, der immer nur neues Elend gebiert und oft genug die Menschen in ihrer Erbitterung bis zum Blutvergießen treibt; dass endlich alle Streitigkeiten zwischen hoch und niedrig beigelegt und die geheiligten Rechte aller Volksklassen zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden und dass diese im gegenseitigen Einvernehmen und mit der schuldigen Rücksicht zum allgemeinen Nutzen neben- und miteinander bestehen können.
Aufruf zur Feier des Marianischen Jahres
30 Dies alles können zweifellos nur die christlichen Gebote vollständig und dauerhaft bewirken, vorausgesetzt, dass man sie tatsächlich erfüllt. Sie mit freudigem und unermüdlichem Eifer zu befolgen, dazu ruft uns alle die jungfräuliche Gottesmutter Maria auf. Dies vor Augen, laden Wir jeden von euch, ehrwürdige Brüder, durch diese Enzyklika ein, gemäß dem Amte, das ihr verwaltet, den Klerus und das euch anvertraute Volk zur Feier des Marianischen Jahres aufzufordern, das Wir vom kommenden Dezember an bis zum gleichen Monat des folgenden Jahres für den ganzen Erdkreis verkünden. Denn jetzt ist gerade das erste Jahrhundert vergangen, seit die jungfräuliche Gottesmutter Maria unter dem Jubel des christlichen Volkes in neuem Glanz erstrahlte, als, wie Wir bereits sagten, Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Pius IX. feierlich verkündete, sie sei von jeder Erbschuld völlig frei. Und Wir haben festes Vertrauen, dass diese Marianische Feier jene so heiß ersehnten segensvollen Früchte bringe, nach denen wir alle ein so großes Verlangen tragen.
31 Um dies nun leichter und wirksamer durchführen zu können, wünschen Wir, dass in allen Diözesen darüber geeignete Predigten und entsprechende Vorträge gehalten werden; dadurch soll diese christliche Wahrheit dem Geist lichtvoller dargestellt werden und zwar so, dass der Glaube des Volkes zunimmt und seine Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter ständig sich vertieft. Alle mögen sich aber vornehmen, mit freudigem Eifer dem Beispiel unserer himmlischen Mutter zu folgen.
32 Da sich nun in allen größeren und kleineren Städten wie auch Dörfern, wo immer die christliche Religion lebendig ist, eine Kirche oder wenigstens ein Altar findet, auf dem ein Bild der Allerseligsten Jungfrau Maria dem christlichen Volk zur Verehrung aufgestellt ist, so wünschen Wir, ehrwürdige Brüder, dass die Gläubigen möglichst oft sich dort zusammenfinden. Und zwar sollen sie dort nicht nur für sich allein beten, sondern auch wie aus einem Munde und einem Herzen gemeinschaftliche Gebete zu unserer liebreichen Mutter verrichten.
33 Wo sich aber - was in fast allen Diözesen der Fall ist - ein Heiligtum befindet, in dem die jungfräuliche Gottesmutter mit besonderer Andacht verehrt wird, dorthin sollen das ganze Jahr hindurch an bestimmten Tagen fromme Pilgerscharen zusammenströmen und offen vor aller Welt in eindrucksvoller Weise ihren gemeinsamen Glauben und ihre gemeinsame Liebe zur Allerseligsten Jungfrau bezeugen. Das wird zweifellos besonders bei der Grotte in Lourdes der Fall sein, wo die unbefleckt empfangene Jungfrau Maria mit so großer Andacht verehrt wird.
34 Rom aber, die Ewige Stadt, soll allen mit ihrem Beispiel vorangehen; hat sie doch schon von den frühesten christlichen Zeiten an ihrer himmlischen Mutter und Patronin ihre besondere Huldigung erwiesen. Bekanntlich gibt es hier nicht wenige Gotteshäuser, in denen die Römer Maria verehren. Das großartigste Marienheiligtum der Ewigen Stadt ist aber unstreitig die Liberianische Basilika, in der das Mosaik Unseres Vorgängers Sixtus III. seligen Angedenkens bis auf unsere Tage in leuchtenden Farben erstrahlt, ein hervorragendes Denkmal der Muttergotteswürde Mariens. In dieser Basilika blickt auch das Bild "Salus populi Romani", "Maria Heil des römischen Volkes", dem Beter liebreich entgegen. Dort mögen die Gläubigen Roms zu innigem Gebet zusammenkommen. Vor diesem altehrwürdigen Gnadenbild mögen sie alle fromme Gebete verrichten, und vor allem darum flehen, dass diese Stadt, die das Haupt des katholischen Erdkreises ist, für alle auch die Lehrerin des Glaubens, der Frömmigkeit und der Heiligkeit sei. "Denn" - und jetzt reden Wir euch an, Söhne Roms, mit den Worten Leos des Großen, Unseres Vorgängers heiligen Angedenkens, - "wenn schon jede Kirche auf dem ganzen Erdenrund in allen Tugenden blühen muss, so solltet doch gerade ihr euch ganz besonders unter den übrigen Völkern durch verdienstliche und fromme Werke auszeichnen; denn ihr seid auf dem trutzigen Felsen des Apostels selber gegründet; zwar hat unser Herr Jesus Christus euch mit allen zusammen erlöst, aber der heilige Apostel Petrus hat euch vor allen im Glauben unterrichtet" (19).
Unsere Bitten für die einzelnen Lebensalter
35 Viele Gnaden sind es freilich, die wir alle unter den gegenwärtigen Umständen von der machtvollen Fürsprache und dem Schutz der Gottesmutter erflehen müssen. Vor allem sollen wir bitten, dass sich, wie gesagt, die Lebensführung des einzelnen mit Hilfe der göttlichen Gnade täglich mehr auf die christlichen Gebote ausrichte, weil ja der Glaube ohne Werke tot ist (20), und niemand seinen pflichtmäßigen Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten vermag, wenn er nicht zuerst selber durch tugendhaften Lebenswandel für die anderen ein Vorbild ist.
36 Dann sollen wir ganz flehentlich darum bitten, dass eine hochherzige, glaubensstarke, reine und unverdorbene Jugend heranwachse, und nicht in der Blüte ihres Lebens vom Hauch dieses verderbten Zeitgeistes angesteckt in Lastern vorzeitig dahinwelke; dass sie ihre ungezügelten Begierden und die aufbrechenden Leidenschaften in rechter Mäßigung meistere, dass sie, allen Versuchungen widerstehend, sich nicht dem Verderblichen und Schädlichen zuwende, sondern nur all dem nachstrebe, was schön, heilig, liebenswert und erhaben ist.
37 Weiterhin sollen wir alle einmütig darum bitten, dass die Männer in der Vollkraft ihrer Jahre, wie auch im Alter durch beispielhafte sittliche Unbescholtenheit und durch charakterliche Festigkeit vor allen sich auszeichnen; dass das Familienleben in unverletzter Treue erstrahle, im Schmuck einer recht und heilig erzogenen Kinderschar in Blüte stehe und in Eintracht und gegenseitiger Hilfe erstarke.
38 Schließlich wollen wir darum bitten, dass die alten Leute sich derart der Früchte eines wohlvollbrachten Lebens erfreuen, dass sie, wenn einmal das Ende ihrer irdischen Laufbahn herannaht, nichts zu fürchten brauchen, von keinerlei Gewissensängsten geplagt werden und sich aus keinem Grund zu schämen brauchen, sondern fest darauf vertrauen können, baldigst den Lohn für ihre langen Mühen zu empfangen.
Bitten für alle Notleidenden und Verfolgten
39 Beten sollen wir, indem wir die Gottesmutter anflehen, um Brot für die Hungernden, um Gerechtigkeit für die Unterdrückten, um Heimkehr für die Flüchtlinge und Ausgewiesenen, um ein gastliches Dach für die Obdachlosen; den ungerecht in Gefängnissen oder Konzentrationslagern Festgehaltenen möge Maria die ihnen zustehende Freiheit und all jenen, die so viele Jahre nach dem Ende des letzten Krieges noch in Gefangenschaft schmachten und im Verborgenen stöhnen und seufzen, die langersehnte Heimkehr schenken; den leiblich oder geistig Blinden die Freude strahlenden Lichtes. Für alle aber, die durch Hass, Neid und Zwietracht voneinander getrennt sind, sollen wir die brüderliche Liebe erbeten, so dass sie sich versöhnen und jene geistige Eintracht und jenen beglückenden Lebensmut erlangen, der auf Wahrheit, Gerechtigkeit und gegenseitiger Hilfsbereitschaft aufgebaut ist.
Gebet für die verfolgte Kirche
40 Ganz besonders wünschen Wir, ehrwürdige Brüder, es möge die Innigkeit unserer Gebete, die bei der Feier des kommenden Marianischen Jahres zu Gott hinaufsteigen, sich dies zum Ziele setzen, dass durch die Fürsprache der Mutter unseres göttlichen Heilandes und unser aller süßester Mutter, der katholischen Kirche endlich bei allen Völkern die ihr geschuldete Freiheit zuteil werde; trug doch diese Freiheit, wie die Geschichte eindeutig lehrt, stets zum Wohle der Völker bei und niemals zu deren Schaden; ihr Ziel war stets die Eintracht und Aussöhnung unter Bürgern, Nationen und Völkern, nie jedoch die Spaltung der Geister.
41 Es ist ja allgemein bekannt, in welch bedrängter Lage sich die Kirche Gottes mancherorts befindet, wie sie durch Verleumdungen, Anfeindungen und gewalttätige Enteignungen heimgesucht wird. Ebenso weiß man, dass in manchen Ländern die kirchlichen Oberhirten auf jammervolle Weise vertrieben wurden, oder aber ohne jeden gerechten Grund ins Gefängnis geworfen wurden oder doch so behindert sind, dass sie nicht mehr in der ihnen gebührenden Freiheit ihr Amt ausüben können. Und schließlich ist auch eine allgemein bekannte Tatsache, dass diese Oberhirten weder ihre Bildungsanstalten und Schulen benützen können, noch in Zeitschriften und anderen Veröffentlichungen die christliche Lehre darlegen, verteidigen und verbreiten dürfen, noch die Jugend darnach erziehen können.
42 Die Mahnung, die Wir in dieser Sache schon mehrfach bei gegebener Gelegenheit ausgesprochen haben, wiederholen Wir deshalb eindringlich auch in diesem Rundschreiben. Sind Wir doch voll Zuversicht, dass man im Laufe des angekündigten Marianischen Jahres allüberall zur jungfräulichen Gottesmutter, die zugleich auch unsere mächtige und gütige Mutter ist, inständig beten wird, um von ihrer stets bereiten und machtvollen Fürsprache vor allem dies zu erreichen, dass jene heiligen Rechte, die der Kirche zustehen und die doch eine Forderung der Menschenwürde und der bürgerlichen Freiheit darstellen, von allen offen und rückhaltlos anerkannt werden. Eine solche Einstellung wäre sicherlich allen zum Nutzen und bedeutete eine Stärkung des gegenseitigen Einvernehmens.
An die Gläubigen in der Kirche des Schweigens
43 Es ist Unser Wunsch, dass diese Unsere Stimme voll brennender Liebe besonders bis zu jenen vordringe, die zum Schweigen gezwungen sind und sich bedrängt wissen durch jegliche Art von Heimtücke und Hinterlist; traurigen Herzens sehen sie vor sich eine Christengemeinde in Trauer und Verwirrung und jeglicher menschlichen Hilfe beraubt. Auch diese Unsere geliebten Brüder und Söhne sollen im Verein mit Uns und allen übrigen Gläubigen beim Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes (21) auf die mächtige Fürsprache der jungfräulichen Gottesgebärerin, unserer Mutter, sich berufen und von ihr übernatürlichen Beistand und himmlischen Trost erflehen. Sie mögen unerschütterlichen Mutes den angestammten Glauben bewahren und sich in ihrer schweren Bedrängnis gleichsam als Wahlspruch christlichen Starkmutes die Worte des heiligen Bernhard von Clairvaux zu eigen machen: "Wir werden standhalten und wenn es sein muss bis zum Tode; für unsere Mutter, die Kirche, mit gerechten Waffen kämpfen, nicht mit Schild und Schwert, sondern mit Gebet und Tränen zu Gott" (22).
An die getrennte Ostkirchen
44 Wir rufen auch jene, die durch die alte Kirchenspaltung von Uns getrennt sind, die Wir aber dennoch väterlich lieben, zu diesem einmütigen, flehentlichen Gebet auf. Denn Wir wissen sehr wohl, dass auch sie die erhabene Mutter Jesu sehr hoch verehren und ihre Unbefleckte Empfängnis feiern. Möge die Allerseligste Jungfrau Maria auf sie alle herabblicken, die sich rühmen, Christen zu sein und wenigstens durch das Band der Liebe geeint sind; möge sie sehen, wie alle diese flehentlich Augen und Herz ihr zuwenden und innige Gebete zu ihr verrichten, um jenes Licht zu erlangen, das die Geister mit himmlischer Helle erfüllt, und um jene Einheit zu erflehen, in der endlich eine Herde und ein Hirt sein wird (23).
Ermahnung zu Bußwerken
45 Neben diesen Bittgebeten jedoch mögen auch fromme Bußwerke verrichtet werden. Denn das Gebet bewirkt, "dass wir seelisch aufgerichtet, zu entschlossenen Taten angeleitet und zu Gott erhoben werden. Die Buße aber bewirkt, dass wir uns selbst beherrschen und besonders den Leib im Zaum halten, der infolge des Sündenfalls zum erbitterten Feind gegen das höhere Geistige und gegen das Gesetz des Evangeliums geworden ist. Diese beiden Tugenden gehören offenbar aufs engste zusammen; sie unterstützen sich gegenseitig und erstreben das gleiche Ziel, nämlich den für den Himmel geborenen Menschen von den hinfälligen Dingen abzuziehen und ihn zu einem beinahe himmlischen Verkehr mit Gott emporzuheben" (24).
Maria und der Friede
46 Da nun ein dauerhafter, aufrichtiger und ruhiger Friede bisher weder die Seelen, noch die Völker beglückt, mögen alle auch darum beten, dass dieser Friede wirklich zustande kommt und auch von langer Dauer ist. So wie die seligste Jungfrau Maria den Friedensfürsten (25) geboren hat, so möge sie durch ihre Fürsprache und ihren Schutz auch die Menschen zu einem Bund der Freundschaft zusammenschließen. Diese können sich ja nur dann jener ungetrübten Wohlfahrt erfreuen, die uns in diesem Erdenleben zu erreichen gegeben ist, wenn sie nicht durch gegenseitige Feindschaft getrennt sind, nicht durch Zwietracht unheilvoll zerrissen und nicht infolge von Bedrohungen und einschüchternden Maßnahmen in feindselige Lager getrieben werden, sondern wenn sie brüderlichen Sinnes geeint im einander die Hände reichen und jenen Friedenskuss geben, der "Ruhe und Freiheit" bedeutet" (26). Ein solcher Friede bewirkt nämlich unter Führung von Gerechtigkeit und Pflege der Liebe, dass die verschiedenen Schichten der Bürger, die verschiedenen Völker und Nationen, sich - wie es sich eigentlich gehört - zu einer einzigen und einträchtigen Familie zusammenschließen.
47 Diese Unsere innigsten Wünsche, denen, wie Wir zuversichtlich hoffen, nicht nur Unsere Kinder bereitwillig entsprechen werden, sondern auch alle jene, denen die Pflege der christlichen Kultur und das Gedeihen des öffentlichen Fortschrittes am Herzen liegt, möge der göttliche Erlöser auf die Fürsprache und die Bitten seiner gütigsten Mutter im weitesten Umfang zur glücklichen Erfüllung führen.
48 Als Unterpfand aber der himmlischen Gaben und zum Zeichen Unseres väterlichen Wohlwollens erteilen Wir euch allen, ehrwürdige Brüder, wie auch eurem Klerus und Volk aus ganzem Herzen im Herrn den Apostolischen Segen.
Anmerkungen
(1) Bulla Dogm. „Ineffabilis Deus", 8. 12. 1854.
(2) Gen 3, 15.
(3) Lk 1,28.
(4) Ibidem 42.
(5) Bulla „Ineffabilis Deus“.
(6) Ibidem.
(7) Ibidem.
(8) Carmina Nisibena, ed Bickel, 123.
(9) Vgl. Pius XI., Enz. “Lux veritatis”, A.A.S., vol. 23, S. 493ff.
(10) Vgl. Summa Th., I, Qu. 25, a. 6, ad 4.
(11) Corno a Lapide, in Matth., 1, 16.
(12) Provo 17,6.
(13) Bulla "Ineffabilis Deus.
(14) Ibidem.
(15) A. A. S., vol. 35, S. 744.
(16) Jo 2,5.
(17) Jer 2, 13.
(18) Jo 14,6.
(19) Serm. 3,14; Migne P. L., 54,147-148.
(20) Vgl. Jak. 2,20 u. 26.
(21) VgI. 2, Kor., 1,3.
(22) S. Bernh., Ep. 221,3; Migne P. L., 182,36,387.
(23) Vgl. Jo 10,16.
(24) Leo XIII., Enz. „Octobri mense", 22. 9. 1891; Akta Leonis XIII., 11, S. 312.
(25) V gl. Is 9, 6.
(26) Cic., Phil 2, 44.