Liturgische Bewegung

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Als Liturgische Bewegung werden zusammenfassend alle Bestrebungen bezeichnet, die vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil vornehmlich in Deutschland, Frankreich und Belgien das Ziel verfolgten, die Bedeutung der Liturgie der katholischen Kirche tiefer zu erschließen und das Verständnis für sie zu fördern, um geistlich aus ihr zu leben. Ihr liegt die Einsicht zugrunde, dass "die Liturgie weder privater noch klerikaler Natur sein kann, sondern wesensgemäß Feier der Kirche ist".<ref>Theodor Maas-Ewerd, Art. Liturgische Bewegung in LThK, 3. Auflage, Bd. 6, Sp. 992.</ref>

Die Liturgische Bewegung an sich

Die “Liturgische Bewegung” entstand und wuchs, gefördert von herausragenden Gestalten in Wissenschaft, Frömmigkeit und Liebe zur Kirche. Sie nimmt einen bedeutenden Platz im Leben der Kirche des 20. Jahrhunderts ein, zumal die Päpste in ihr das Wirken des Heiligen Geistes erkannt haben.<ref> 23. September 1956 Ansprache Vous Nous avez an die Teilnehmer am internationalen pastoral-liturgischen Kongress von Assisi.</ref> Das oberste Ziel der führenden Köpfe der Liturgischen Bewegung<ref>Anmerkung 39 im Direktorium über die Volksfrömmigkeit und die Liturgie : Unter ihnen Lambert Beauduin († 1960), Odo Casel († 1948), Pius Parsch († 1954), Bernard Botte († 1960), Romano Guardini († 1968), Josef Andreas Jungmann († 1975), Cipriano Vagaggini († 1999), Aimé-Georges Martimort († 2000)</ref> war pastoraler Natur: in den Gläubigen das Verstehen und die Liebe zur Feier der göttlichen Geheimnisse zu entflammen, in ihnen das Bewusstsein wach zu rufen, dass sie zum priesterlichen Volk Gottes gehören (vgl. 1 Petr 2,5).

Von daher ist es verständlich, dass strenge Vertreter der Liturgischen Bewegung die Auswüchse der Volksfrömmigkeit mit Argwohn beobachteten und in ihnen einen Grund für den Verfall der Liturgie sahen. Ihrer Meinung nach hatten die Missbräuche, die durch Überordnung der Andachtsübungen über die Liturgie entstanden waren, dazu geführt, die Liturgie durch volksnahe gottesdienstliche Ausdrucksweisen zu ersetzen. Darüber hinaus wollten sie die Reinheit des göttlichen Kultes wiederherstellen, indem sie die Liturgie der ersten Jahrhunderte der Kirche als ideales Vorbild und Maßstab ansahen. Dies hatte zur Folge, dass sie mittelalterliche Formen der Volksfrömmigkeit und solche, die in der nachtridentischen Epoche entstanden waren, oft radikal ablehnten.

Diese ablehnende Haltung trug jedoch nicht hinreichend der Tatsache Rechnung, dass volksfromme Ausdrucksformen – oftmals von der Kirche anerkannt und approbiert – dem geistlichen Leben vieler Gläubiger festen Halt gegeben und nicht abzuleugnende Früchte der Heiligkeit hervorgerufen hatten. Zudem hatten sie auf weiten Strecken zur Bewahrung des Glaubens und zur Verbreitung der christlichen Botschaft beigetragen. Deshalb hat sich Pius XII. in der Enzyklika Mediator dei (1947), jenem programmatischen Dokument, durch das er die Führung der Liturgischen Bewegung selbst in die Hand nahm, mit der katholischen Frömmigkeit der letzten Jahrhunderte gewissermaßen identifiziert. Auf diese Weise hat er sich gegen jene extreme ablehnende Haltung gewandt und die volksfrommen Andachtsübungen verteidigt.

Schließlich hat das Zweite Vatikanische Konzil in der Konstitution Sacrosanctum Concilium die Beziehung zwischen Liturgie und Volksfrömmigkeit treffend beschrieben. Es hat den nicht zur Diskussion stehenden Vorrang der heiligen Liturgie und die Unterordnung der Andachtsübungen proklamiert, dabei aber dennoch deren bleibenden Wert betont (Vgl. SC 7, 10, 13.).

Etappen der liturgischen Erneuerung

Das Leitmotiv gab Papst Pius X. in seinem Motu Proprio Tra le sollecitudini vom 22. November 1903 lehramtlich vor: Er sprach zum ersten Mal von der „actuosa communicatio“ bzw. Participatio actuosa, der "tätigen Teilnahme [der Gläubigen] an den heiligen Mysterien und am öffentlichen feierlichen Gebet der Kirche" als erster, unentbehrlicher Quelle, aus der die Gläubigen "wahrhaft christlichen Geist" schöpfen können.<ref>Albert Gerhards, Benedikt Kranemann: Einführung in die Liturgiewissenschaft." Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2. Aufl.,Darmstadt 2008, S. 102f.</ref> Dieser Terminus fand 60 Jahre später Eingang in die Konstitution Sacrosanctum Concilium des 2. Vatikanums.

Die liturgische Bewegung nahm ihren Ausgang in mehreren Benediktinerabteien: Solesmes in Frankreich und Beuron und Maria Laach in Deutschland sowie Mont César und Maredsous in Belgien. Durch deren Wirken erlangte der gregorianische Choral eine neue Blüte, es wurden Volksmessbücher – wie zum Beispiel der „Schott“ – herausgegeben. Der Papst würdigte diese Bemühungen, indem er in Tra le sollecitudini die Kirchenmusik als eigenständigen Wesensbestandteil der Liturgie mit spiritueller, gesamtreligiöser Bedeutung anerkannte.

Der belgische Benediktinermönch Lambert Beauduin (1873–1960) machte durch seine Rede beim belgischen Katholikentag am 23. September 1909 in Mecheln die Bewegung in Belgien und Holland bekannt. Auch In Frankreich und Italien gewann die Bewegung einige Zustimmung (Aimé-Georges Martimort, Cyprian Vagaggini, Giulio Bevilacqua); sie erstarkte jedoch besonders im deutschsprachigen Raum.

Die Wahl Ildefons Herwegens zum Abt von Maria Laach 1913 markierte einen Wendepunkt in der Geschichte der liturgischen Bewegung in Deutschland. In seinem Umfeld entwickelten Romano Guardini, Odo Casel und Johannes Pinsk ihre Gedanken. Guardini schuf mit seinem 1918 erschienenen Werk Vom Geist der Liturgie eine programmatische Zusammenfassung der Bewegung. Sein zentrales Anliegen war die „Weltzuwendung aus der Mitte des Glaubens“, und er sah „die eigentliche Würde des Menschen im Vollzug der Liturgie“. Dabei stand nach wie vor die tätige Teilnahme an der Liturgie im Vordergrund. Wichtiges Instrument war die Verwendung der Volkssprache für gemeindliche Elemente zusätzlich zum Latein der priesterlichen Liturgie, etwa in der Betsingmesse. Auch die Feier der Osternacht und die Verwendung des Volksaltars waren wichtigen Elemente.

Ein zweiter Flügel der Bewegung bestand in der Katholischen Jugendbewegung und den katholischen Jugendverbänden, vor allem Quickborn, Bund Neudeutschland und Katholischer Jungmännerverband mit ihren Zentren Burg Rothenfels und Haus Altenberg; bestimmende Persönlichkeiten waren auch hier Romano Guardini und der Generalsekretär des Katholischen Jungmännerverbandes, Ludwig Wolker. Wegen der deutschlandweiten Verbreitung der Jugendverbände und dem planvollen Vorgehen Ludwig Wolkers fanden die Ideen im deutschen Klerus rasch weite Verbreitung.

In Österreich waren es der Augustinerchorherr Pius Parsch, der die Ideen ab 1922 im Stift Klosterneuburg pfarrlich zentriert verwirklichte und sie durch volkstümliche Schriften bekanntmachte, ähnlich das stark von Romano Guardini geprägte Oratorium in Leipzig mit den Seelsorgern Heinrich Kahlefeld. Josef Gülden, Klemens Tilmann und dem späteren Meißener Bischof Otto Spülbeck. In Innsbruck setzte sich der Liturgiewissenschaftler Josef Andreas Jungmann S.J. für eine liturgische Erneuerung und Reform (Liturgiereform) ein. Otto Spülbeck beispielsweise feierte in Leipzig bereits in den 1930er-Jahren Jugendmessen an einem freistehenden Tisch und weitgehend in deutscher Sprache.

Die von Johannes Pinsk herausgegebenen Zeitschriften Liturgische Zeitschrift (1928–1933) und Liturgisches Leben (1934–1939) waren für die liturgische Bewegung einflussreich. Auch die Laien-Messbücher wie der „Volks-Schott“ der Benediktinerabtei Beuron und das „Volksmessbuch“ des Maria Laacher Benediktiners Urbanus Bomm spielten eine große Rolle. Für Breitenwirkung sorgte das Heft Kirchengebet für den Gemeinschaftsgottesdienst, 1928 erstmals herausgegeben von Ludwig Wolker, das eine Auflage von 9 242 000 Exemplaren erreichte und die Form der Gemeinschaftsmesse über die Jugendverbände hinaus verbreitete.<ref>Thomas Labonté: Die Sammlung "Kirchenlied" (1938). Entstehung, Korpusanalyse, Rezeption. Francke Verlag, Tübingen 2008, ISBN 978-3-7720-8251-1, S. 7.</ref> Die Ausgabe von 1930 bot erstmals den 1928 in einer privaten Initiative in Köln erarbeiteten Einheitstext des Mess-Ordinariums, wie er ab dann in alle Messbücher und Diözesangebetbücher übernommen wurde. Alle diese Schriften erhielten das bischöfliche Imprimatur.

Doch es regte sich auch Kritik. Auf der einen Seite war es vielen nicht recht, dass liturgische Bestimmungen missachtet wurden, auf der anderen Seite wurde auch inhaltliche Kritik geübt. 1939 erschien Max Kassiepes Schrift Irrwege und Umwege im Frömmigkeitsleben der Gegenwart, die die Ziele der Bewegung scharf angriff. Der Oblatenmissionar Kassiepe war der Ansicht, dass eine Erneuerung des Glaubenslebens nicht dadurch erreicht werden könne, dass man sein Hauptaugenmerk auf liturgische Detailfragen lenke; dadurch verliere man den Blick für Wesentliches. Einen gewissen Ausgleich in den Auseinandersetzungen erreichte die von der Bischofskonferenz eingesetzte liturgische Kommission sowie die Enzyklika Mystici Corporis von Papst Pius XII. vom 29. Juni 1943.

Die Enzyklika Mediator Dei vom 20. November 1947 war die Antwort des Lehramtes auf die liturgische Bewegung. Dabei wurde – in versöhnlichem Ton – manchen Missbräuchen ein Riegel vorgeschoben, auf der anderen Seite jedoch wurden zahlreiche Inhalte und Formen bestätigt. Das Wesen der Liturgie, die Eucharistiefeier, das Stundengebet und das Kirchenjahr, auch die außerliturgische Frömmigkeit werden behandelt. Insbesondere wird die aktive und passive Teilnahme der Gläubigen am heiligen Opfer ausdrücklich gelehrt, ihre Teilnahme aber ebenso klar von der Konsekrations- und Opfermacht des geweihten Priesters abgehoben. - Schon vorher hatte der Heilige Vater sich autoritativ über das Wesen, die Materie und die Form des Ordo geäußert und die Spendung der hl. Firmung im Notfalle einem weiteren Kreis von Seelsorgern zuerkannt.

Das Motu proprio von Papst Johannes XXIII. vom 25. Juli 1960 leitete eine vorläufige Reform der Rubriken im römischen Brevier und Missale ein. Sie ist nicht nur eine Kodifizierung der Dekrete früherer Päpste, sondern auch eine Verkürzung des Breviers und in etwa eine Vereinfachung, die aber keine grundlegenden Änderungen brachte (vgl. Die Rubriken für das Römische Brevier und Missale im Pontifikat Johannes XXIII., Pontifikat Johannes' XXIII, Nr. 2).

Es sollte noch zwei Jahrzehnte dauern, bis mit der Konstitution Sacrosanctum Concilium des II. Vatikanums und der nachfolgenden Liturgiereform von 1969 die formalen Forderungen der Bewegung umgesetzt waren.

Früchte der Liturgischen Erneuerung

"Die liturgische Erneuerung ist die sichtbarste Frucht der ganzen Arbeit des Konzils. Wiewohl einige Schwierigkeiten auftauchten, wurde sie doch von den Gläubigen im allgemeinen froh und fruchtbringend angenommen. Liturgische Erneuerung kann nicht auf die Zeremonien, Riten, Texte usw. beschränkt werden; und auch die aktive Teilnahme der Gläubigen, die nach dem Konzil so glücklich anwuchs, besteht nicht nur in äußerlicher Aktivität, sondern vor allem in innerer und geistlicher Teilnahme, in einer lebendigen und fruchtbringenden Teilhabe am österlichen Geheimnis Jesu Christi (vgl. SC 11). Die Liturgie muss sehr klar den Sinn für das Heilige fördern und ihn aufleuchten lassen. Sie muss vom Geiste der Ehrfurcht vor Gott, der Anbetung und seiner Verherrlichung durchtränkt sein." (Exeunte coetu secundo, 1. Innere Erneuerung der Liturgie).

Jungfrau Maria

Die nachkonziliare Erneuerung hat die seligste Jungfrau Maria, wie es schon Wunsch der liturgischen Bewegung war, in entsprechender Sicht im Zusammenhang mit dem Geheimnis Christi betrachtet und ihr im Einklang mit der Überlieferung die einzigartige Stellung zuerkannt, die ihr als heilige Gottesgebärerin und erhabene Gefährtin des Erlösers zukommt (Marialis cultus, Nr. 15).

Literatur

Päpstliche Schreiben

Pius XII. (siehe: Pontifikat Pius' XII., Nr. 6)

Johannes Paul II.

Benedikt XVI.

Anmerkungen

<references />