Pastores dabo vobis (Wortlaut)

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Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Pastores dabo vobis

von Papst Johannes Paul II.
an die Bischöfe, Priester und Gläubigen
über die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart
Die VIII. Ordentlichen Generalversammlung der Weltbischofssynode fand am 30. September bis 28. Oktober 1990 statt
25. März 1992
(Offizieller lateinischer Text: AAS 84 [1992] 657-804)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; Die Überschriften wurden aus den Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 105 ergänzt)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

1 "Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen" (Jer 3,15).

Mit diesen Worten des Propheten Jeremia verspricht Gott seinem Volk, es nie ohne Hirten zu lassen, die sie sammeln und führen sollen: "Ich werde ihnen (d. h. meinen Schafen) Hirten geben, die sie weiden, und sie werden sich nicht mehr fürchten und ängstigen" (Jer 23,4).

Die Kirche als Volk Gottes erlebt immerfort die Verwirklichung dieser prophetischen Ankündigung und hört nicht auf, dem Herrn voll Freude zu danken. Sie weiß, dass Jesus Christus selbst die lebendige, letzte und endgültige Erfüllung der Verheißung Gottes ist. "Ich bin der gute Hirte" (Joh 10, 11).

Der "erhabene Hirte der Schafe" (Hebr 13,20) hat die Apostel und ihre Nachfolger mit dem Auftrag betraut, die Herde Gottes zu weiden (vgl. Joh 21,15ff.; 1 Petr 5,2). Ohne Priester könnte die Kirche vor allem jenen grundlegenden Gehorsam nicht leben, der die eigentliche Mitte ihrer Existenz und ihrer Sendung in der Geschichte bildet: den Gehorsam gegenüber dem Gebot Jesu "Darum geht zu allen Völkern ... und lehrt sie" (Mt 28,19) und Tut dies zu meinem Gedächtnis" (Lk 22)19; vgl. 1 Kor 11,24); das heißt das Gebot Jesu, das Evangelium zu verkünden und jeden Tag das Opfer seines für das Leben der Welt hingegebenen Leibes und vergossenen Blutes zu erneuern.

Im Glauben wissen wir, dass die Verheißung des Herrn in Erfüllung geht. Gerade diese Verheißung gibt ja der Kirche Anlass und Kraft, sich angesichts des Reichtums und der zahlenmäßigen Zunahme an Priesterberufen, wie man sie heute in einigen Teilen der Welt feststellen kann, zu freuen; gleichzeitig stellt sie das Fundament und den Ansporn zu einem Bekenntnis größeren Glaubens und stärkerer Hoffnung dar angesichts des besorgniserregenden Priestermangels, der auf anderen Teilen der Welt lastet.

Wir sind alle aufgerufen, das volle Vertrauen in die dauernde Erfüllung der Verheißung Gottes zu teilen, von dem die Synodenväter mit klarer Festigkeit Zeugnis gegeben haben: "Mit vollem Vertrauen in die Verheißung Christi, der gesagt hat: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28,20), und im Bewusstsein des beständigen Wirkens des Heiligen Geistes in der Kirche glaubt die Synode zutiefst, dass in der Kirche die heiligen Diener niemals vollständig fehlen werden ... Auch wenn in einigen Gegenden Priestermangel auftritt, wird doch in der Kirche das Handeln des Vaters, der die Berufungen weckt, niemals aufhören.<ref>Propositio 2.</ref>

Wie ich zum Abschluss der Synode im Hinblick auf die Krise der Priesterberufe sagte, "besteht die erste Antwort, die die Kirche gibt, in einem Akt totalen Vertrauens auf den Heiligen Geist. Wir sind zutiefst überzeugt, dass uns diese vertrauensvolle Hingabe nicht enttäuschen wird, wenn wir dazu der empfangenen Gnade treu bleiben".<ref> Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 5: O.R.dt. Nr. 45 vom 9.11.1990, 4.</ref>

2 Der empfangenen Gnade treu bleiben! Denn das Geschenk Gottes hebt die Freiheit des Menschen nicht auf, sondern weckt sie, bringt sie zur Entfaltung und fordert sie ein.

Darum geht das umfassende Vertrauen in die unbedingte Treue gegenüber der Verheißung Gottes in der Kirche mit der schwerwiegenden Verantwortung einher, mitzuwirken beim Tun Gottes, der uns ruft, beizutragen zur Schaffung und Erhaltung von Bedingungen, unter welchen der von Gott gesäte Same Wurzel schlagen und reiche Frucht bringen kann. Die Kirche darf niemals aufhören, den Herrn der Ernte zu bitten, dass er Arbeiter für seine Ernte aussende (vgl. Mt 9,38); sie darf nicht aufhören, sich mit einem klaren und beherzten Berufungskonzept an die jungen Generationen zu wenden und ihnen zu helfen, die Wahrheit des göttlichen Anrufes zu erkennen und ihm großmütig und selbstlos zu entsprechen; und sie darf nicht aufhören, besondere Sorge auf die Ausbildung der Priesteramtskandidaten zu verwenden.

Die Ausbildung sowohl der künftigen Weltpriester wie der Ordenspriester und die eifrige, das ganze Leben lang geltende Sorge um ihre persönliche Heiligung im Amt und um die ständige Weiterbildung und Anpassung ihres pastoralen Einsatzes werden von der Kirche tatsächlich als eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben für die zukünftige Evangelisierung der Menschheit angesehen.

Diese Bildungstätigkeit der Kirche ist eine Weiterführung des Werkes Christi, auf die der Evangelist Markus mit den Worten hinweist: Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben" (Mk 3,13-15).

Man kann sagen, dass die Kirche in ihrer Geschichte durch die den Kandidaten für das Priesteramt und den Priestern selbst geltende Ausbildungstätigkeit diese Seite des Evangeliums immer von neuem mit Leben erfüllt hat, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität und in verschiedener Weise. Heute freilich fühlt sich die Kirche aufgerufen, das, was der Meister mit seinen Aposteln getan hat, mit neuem Eifer wiederzubeleben; veranlasst sieht sie sich dazu von den tiefgreifenden und raschen gesellschaftlichen und kulturellen Veränderungen unserer Zeit, von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit des jeweiligen Umfeldes, in dem sie das Evangelium verkündet und bezeugt, von der günstigen zahlenmäßigen Entwicklung der Priesterberufe in verschiedenen Diözesen der Welt, von der Dringlichkeit einer neuen Überprüfung der Inhalte und Methoden der Priesterausbildung, von der Sorge der Bischöfe und ihrer Gemeinden wegen des anhaltenden Priestermangels, von der absoluten Notwendigkeit, dass die "Neu-Evangelisierung" ihre ersten "Neu-Evangelisatoren" in den Priestern haben müsse.

Genau in diesem geschichtlichen und kulturellen Rahmen war die letzte ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode angesiedelt, die der "Priesterbildung im Kontext der Gegenwart" gewidmet war, mit der Absicht, fünfundzwanzig Jahre nach dem Ende des Konzils die Konzilslehre über dieses Thema inhaltlich zu erfüllen und sie im Hinblick auf die heutigen Verhältnisse zu aktualisieren und schärfer zu umreißen.<ref>Vgl. Propositio 1.</ref>

3 In Kontinuität mit den Texten des II. Vatikanischen Konzils über den Priesterberuf und die Priesterausbildung<ref>Wir beziehen uns selbstverständig auf Nr. 28 der dogmatischen Konstitution Lumen gentium und auf die beiden Dekrete über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis und über die Priesterausbildung]] Optatam totius.</ref> sowie in der festen Absicht, deren inhaltsreiche und verbindliche Lehre konkret auf die verschiedenen Situationen anzuwenden, hat sich die Kirche mehrmals mit den Problemen des Lebens, des Amtes und der Ausbildung der Priester auseinandergesetzt.

Die herausragendsten Anlässe dafür waren die Bischofssynoden. Schon auf der ersten im Oktober 1967 abgehaltenen Vollversammlung widmete die Synode fünf Generalsitzungen dem Thema der Erneuerung der Priesterseminare. Diese Arbeit gab den entscheidenden Anstoß zur Abfassung des Dokumentes der Kongregation für das katholische Bildungswesen "Grundordnung für die Ausbildung der Priester".<ref>Hl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Grundordnung für die Ausbildung der Priester) (6. Januar 1970): AAS 62 (1970) 321-384.</ref>

Vor allem die zweite ordentliche Vollversammlung von 1971 widmete die Hälfte ihrer Arbeiten dem Weihepriestertum. Die Ergebnisse dieser langen synodalen Auseinandersetzung, die in einigen meinem Vorgänger Papst Paul Vl. unterbreiteten und bei der Eröffnung der Synode von 1974 verlesenen "Empfehlungen" neu aufgegriffen und zusammengefasst wurden, betrafen hauptsächlich die Lehre über das Weihepriestertum und einige Aspekte der priesterlichen Spiritualität und des priesterlichen Dienstes.

Auch bei vielen anderen Gelegenheiten hat das kirchliche Lehramt immer wieder Zeugnis gegeben von seiner Sorge um das Leben und den Dienst der Priester. Man kann wohl sagen, dass es in den Jahren unmittelbar nach dem Konzil keine lehramtliche Äußerung gegeben hat, die nicht in irgendeiner Weise, explizit oder implizit, auf die Bedeutung der Anwesenheit von Priestern in der Gemeinde, auf ihre Rolle und ihre Unentbehrlichkeit für die Kirche und für das Leben der Welt eingegangen wäre.

In den allerletzten Jahren ist man sich nun vielerorts der Notwendigkeit bewusst geworden, auf das Thema Priestertum zurückzukommen, und zwar so, dass man sich damit von einem Standpunkt her neu auseinandersetzt, der der heutigen kirchlichen wie kulturellen Situation angemessener ist. Die Aufmerksamkeit hat sich dabei vom Problem der Identität des Priesters zu den Fragen verlagert, die mit dem Ausbildungsgang des Priesterberufes und mit der Lebensqualität der Priester zusammenhängen. In der Tat weisen die neuen Generationen der zum Priesteramt Berufenen ganz andere Wesensmerkmale auf als ihre unmittelbaren Vorgänger, und sie leben in einer in vieler Hinsicht neuen Welt, die in ständiger und rascher Entwicklung begriffen ist. Das alles muss bei der Erstellung und Durchführung der Ausbildungsordnungen für den Priesterberuf berücksichtigt werden.

Die Priester schließlich, die ihr Amt schon länger oder erst seit kurzem ausüben, scheinen heute unter der übermäßigen Zersplitterung in den immer noch zunehmenden pastoralen Tätigkeiten zu leiden und fühlen sich angesichts der Schwierigkeiten der modernen Gesellschaft und Kultur genötigt, neu nachzudenken über ihren Lebensstil und über die Prioritäten des pastoralen Einsatzes, während sie immer deutlicher die Notwendigkeit einer ständigen Weiterbildung erkennen.

Die Überlegungen der Bischofssynode von 1990 galten also der Zunahme von Priesterberufungen sowie der Ausbildung, in der die Kandidaten mit Jesus im Blick auf die Nachfolge besser vertraut werden sollen, während sie sich auf den Empfang der Weihe und das Leben aus diesem Sakrament vorbereiten, das sie Christus, dem Haupt und Hirten, dem Diener und Bräutigam der Kirche nachformt. Die Sorge der Synode galt weiterhin der Erstellung von Plänen für die ständige Weiterbildung, die in der Lage sein sollen, den Dienst und das geistliche Leben der Priester realistisch und erfolgreich zu unterstützen.

Desgleichen wollte diese Synode auch auf ein Anliegen der vorhergehenden Synode über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt antworten. Die Laien selbst hatten ja die Bemühungen der Priester im Blick auf die Ausbildung angeregt, damit ihnen bei der Erfüllung der gemeinsamen kirchlichen Sendung angemessene Hilfe geboten werden kann. In der Tat, "je mehr sich das Laienapostolat entfaltet, desto stärker spürt man das Bedürfnis nach gut ausgebildeten, heiligmäßigen Priestern. So artikuliert das Leben des Volkes Gottes selbst die Lehre des II. Vatikanischen Konzils über die Beziehung zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und dem Weihepriestertum. Denn im Mysterium der Kirche hat die Hierarchie Dienstcharakter (vgl. Lumen gentium, 10). je mehr das Verständnis der den Laien eigenen Sendung vertieft wird, desto mehr tritt das hervor, was dem Priester eigen ist".<ref>Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 3: a.a.O.,4.</ref>

4 In der kirchlichen Erfahrung, wie sie für die Synode kennzeichnend ist, nämlich "einem einzigartigen Erleben der Gemeinschaft der Bischöfe in der Universalität, die den Sinn für die Weltkirche, die Verantwortlichkeit der Bischöfe für die Weltkirche und ihren Auftrag in affektiver und effektiver Gemeinschaft um Petrus stärkte",<ref>Ebd.,1.</ref> hat sich klar und deutlich die Stimme der verschiedenen Teilkirchen vernehmen lassen - und bei dieser Synode zum ersten Mal die Stimme einiger Kirchen des Ostens: die einzelnen Teilkirchen haben ihren Glauben an die Erfüllung der Verheißung Gottes verkündet: "Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen" (Jer 3,15), und sie haben ihr pastorales Engagement für die Sorge um geistliche Berufe und um die Ausbildung der Priester erneuert in dem Bewusstsein, dass davon die Zukunft der Kirche, ihre Entfaltung und ihre Heilssendung abhängen.

Indem ich also den reichen Schatz an Überlegungen, Ausrichtungen und Hinweisen, die die Arbeiten der Synodenväter vorbereitet und begleitet haben, wieder aufgreife, verbinde ich mit diesem nachsynodalen Apostolischen Schreiben meine Stimme als Bischof von Rom und Nachfolger des Petrus und wende mich mit ihr an das Herz aller und jedes einzelnen Gläubigen und ganz besonders an das Herz der Priester und Priesteramtskandidaten sowie aller jener, denen der schwierige Dienst ihrer Ausbildung aufgetragen ist. ja, ich möchte mit diesem Apostolischen Schreiben allen Priestern und jedem einzelnen von ihnen, sowohl Welt- wie Ordenspriestern, begegnen.

Mit dem Mund und dem Herzen der Synodenväter mache ich mir die Worte und Gefühle der Schlussbotschaft der Synode an das Volk Gottes zu eigen: "In Dankbarkeit und Bewunderung richten wir unser Wort an euch, unsere ersten Mitarbeiter in unserem apostolischen Dienst. Euer Dienst in der Kirche ist notwendig und kann durch nichts ersetzt werden. Ihr tragt die Bürde des Priesteramtes und steht in täglichem Kontakt mit den Gläubigen. Ihr seid die Diener der Eucharistie, die Spender der göttlichen Barmherzigkeit im Sakrament der Buße, die Tröster der betrübten Seelen, die Führer aller Gläubigen in den Stürmen und Nöten des Lebens.

Aus ganzem Herzen grüßen wir euch, sagen euch Dank und ermahnen euch, mit freudig bereitem Herzen auf diesem Weg zu verbleiben. Lasst euch nicht entmutigen! Unser Tun ist nicht unser, sondern Gottes Werk.

Er, der uns gerufen und ausgesandt hat, bleibt bei uns alle Tage unseres Lebens. Denn wir tun unser Werk im Auftrag Christi".<ref>Achte Weltbischofssynode, Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), III: L'Osservatore Romano,29./30.Oktober 1990, 4.</ref>

KAPITEL I: AUS DEN MENSCHEN ERWÄHLT.
Die Priesterausbildung vor den Herausforderungen am Ende des zweiten Jahrtausends

Der Priester in seiner Zeit

5 Jeder Hohepriester wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott" (Hebr 5,1).

Die Worte des Hebräerbriefes sprechen klar von der Menschlichkeit" des Gottesdieners: er kommt von den Menschen und dient den Menschen, indem er Jesus Christus nachahmt, "der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat" (Hebr 4,15).

Gott ruft seine Priester immer aus einer bestimmten menschlichen und kirchlichen Umgebung, von der sie unweigerlich geprägt werden und in die sie für den Dienst am Evangelium Christi gesandt werden.

Darum hat die Synode das Thema "Priester" in einen bestimmten Kontext gestellt, das heißt in die heutige Situation der Gesellschaft und der Kirche, und Perspektiven auf das dritte Jahrtausend hin eröffnet, wie es sich im übrigen aus der Formulierung des Themas ergibt: "Die Priesterbildung im Kontext der Gegenwart".

Gewiss "gibt es einen Wesenszug des Priesters, der sich nicht verändert: der Priester von morgen muss nicht weniger als der von heute Christus ähnlich sein. Jesus zeigte, als er auf Erden lebte, aus sich selbst heraus das endgültige Gesicht des Priesters, indem er ein Priesteramt verwirklichte, mit dem die Apostel als erste betraut wurden. Es ist dazu bestimmt, fortzudauern und sich in allen Geschichtsperioden unaufhörlich fortzupflanzen. Der Priester des dritten Jahrtausends wird in diesem Sinn die Reihe der Priester fortsetzen, die in den vorhergegangenen Jahrtausenden das Leben der Kirche beseelt haben. Auch im Jahr 2000 wird die priesterliche Berufung weiterhin der Ruf dazu sein, das einzige und ewige Priestertum Christi zu leben".<ref>Johannes Paul II. Ansprache vor dem Angelus, 14. Januar 1990, 2: L'Osservatore Romano,15./16. Januar 1990,5.</ref> Ebenso gewiss müssen sich das Leben und der Dienst des Priesters "jeder Epoche und jedem Lebensumfeld anpassen ... Wir unsererseits müssen deshalb versuchen, uns so weit wie möglich der höheren Eingebung des Heiligen Geistes zu öffnen, um die Entwicklungslinien der heutigen Gesellschaft zu entdecken, die tiefsten geistlichen Anliegen zu erkennen, die wichtigsten konkreten Aufgaben und anzuwendenden Pastoralmethoden zu bestimmen und so in angemessener Weise den menschlichen Erwartungen zu entsprechen".<ref> Ebd.,3.</ref>

Die Synodenväter, die die bleibende Wahrheit des Priesterlichen Dienstes mit den heutigen Erfordernissen und Merkmalen verbinden mussten, haben auf einige notwendige Fragen zu antworten versucht: Welche Probleme und zugleich welche positiven Anstöße vermittelt das heutige soziokulturelle und kirchliche Umfeld in Kindern, Heranwachsenden und jugendlichen, die für ihre ganze Existenz einen Lebensentwurf im Priesterberuf reifen lassen sollen? Welche Schwierigkeiten und welche neuen Möglichkeiten bietet unsere Zeit für die Ausübung eines priesterlichen Dienstes, der kohärent ist mit der Gabe des empfangenen Sakramentes und mit dem Bedürfnis nach einem entsprechenden geistlichen Leben?

Ich lege nun einige Elemente der Situationsanalyse, die die Synodenväter vorgenommen haben, wieder vor, wobei ich mir jedoch dessen bewusst bin, dass die große Vielfalt der soziokulturellen und kirchlichen Verhältnisse in den verschiedenen Ländern empfiehlt, nur auf die tiefgreifendsten und verbreitetsten Phänomene hinzuweisen, im besonderen auf jene, die sich auf die Probleme der Erziehung und der Priesterausbildung beziehen.

Das Evangelium heute: Hoffnungen und Hindernisse

6 Vielfältige Faktoren begünstigen, so scheint es, in den heutigen Menschen ein reiferes Bewusstsein der Würde der Person und eine neue Aufgeschlossenheit für die religiösen Werte, für das Evangelium und den priesterlichen Dienst.

So finden wir im Bereich der Gesellschaft trotz vieler Widersprüche ein weithin verbreitetes, starkes Verlangen nach Gerechtigkeit und Frieden, ein ausgeprägteres Verständnis für die Sorge des Menschen um die Schöpfung und um die Achtung vor der Natur, ein offeneres Suchen nach der Wahrheit und dem Schutz des menschlichen Lebens und bei vielen Gruppen der Weltbevölkerung einen wachsenden Einsatz für eine konkretere internationale Solidarität und für eine neue Weltordnung in Freiheit und Gerechtigkeit. Während sich das von Wissenschaft und Technik angebotene Energiepotential immer weiter entwickelt und sich Information und Kultur verbreiten, entsteht auch ein neues Problem im Bereich des Ethischen, nämlich die Frage nach dem Sinn und damit nach einer objektiven Werteskala, die es erlaubt, die Möglichkeiten und Grenzen des Fortschritts festzulegen.

Im eigentlich religiösen und christlichen Bereich brechen ideologische Vorurteile und gewaltsame Abschirmungen gegen die Verkündigung der geistlichen und religiösen Werte zusammen, während neue, unverhoffte Möglichkeiten für die Evangelisierung und die Wiederaufnahme des kirchlichen Lebens in vielen Teilen der Welt entstehen. So sind zu beobachten eine wachsende Verbreitung der Kenntnis der Heiligen Schrift; eine Vitalität und Expansionskraft vieler junger Kirchen mit einer immer wichtigeren Rolle bei der Verteidigung und Förderung der Werte der Person und des menschlichen Lebens: ein leuchtendes Zeugnis des Martyriums seitens der Kirchen Mittel- und Osteuropas wie auch das Zeugnis der Treue und des Mutes anderer Kirchen, die noch immer um des Glaubens willen unter Verfolgungen und Bedrängnissen zu leiden haben.<ref> Vgl. Propositio 3.</ref>

Die Sehnsucht nach Gott und nach einer lebendigen und bedeutungsvollen Beziehung zu ihm scheint heute dort, wo eine glaubwürdige und unverkürzte Verkündigung des Evangeliums fehlt, die Verbreitung einer Religiosität ohne christliches Gottesbild und das vielfältige Anwachsen von Sekten zu begünstigen. Ihre Ausbreitung auch in manchen traditionell christlichen Gebieten ist für alle Angehörigen der Kirche und besonders für die Priester ein ständiger Grund zur Gewissensprüfung über die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses für das Evangelium, aber zugleich auch ein Zeichen dafür, wie tief und verbreitet die Suche nach Gott ist.

7 Aber mit diesen und mit anderen positiven Faktoren sind viele problematische bzw. negative Elemente verflochten.

Weitverbreitet scheint noch immer der Rationalismus zu sein, der im Namen eines reduktiven Wissenschaftsverständnisses die menschliche Vernunft für die Begegnung mit der Offenbarung und mit der göttlichen Transzendenz unempfänglich macht.

Weiterhin ist eine ausgedehnte Verteidigung der personalen Subjektivität festzustellen, die darauf angelegt ist, den Menschen in einen zu echten menschlichen Beziehungen unfähigen Individualismus zu sperren. So versuchen viele, vor allem Kinder und jugendliche, diese Einsamkeit durch verschiedene Ersatzmittel, durch mehr oder weniger ausgeprägte Formen von Genusssucht und Flucht aus der Verantwortung zu kompensieren; als Gefangene des flüchtigen Augenblicks suchen sie, möglichst starke und befriedigende individuelle Erlebnisse im Bereich direkter Emotionen und Gefühle zu "konsumieren", was unweigerlich zur Folge hat, dass sie dem Aufruf zu einem Lebensentwurf, der eine geistliche und religiöse Dimension und ein Bemühen um Solidarität einschließt, gleichgültig, ja wie gelähmt gegenüberstehen.

Zudem verbreitet sich auch nach dem Zusammenbruch der Ideologien, die den Materialismus zu einem Dogma und die Ablehnung der Religion zu einem Programm gemacht hatten, überall auf der Welt eine Art praktischer und existentieller Atheismus, der mit einer säkularistischen Auffassung von Leben und Bestimmung des Menschen zusammenfällt. Dieser Mensch, "der ganz mit sich selbst beschäftigt ist, der sich nicht nur zum Mittelpunkt aller Interessen macht, sondern es sogar wagt, sich als Anfang und Grund jeder Wirklichkeit zu bezeichnen",<ref> Paul VI., Homilie bei der Eucharistiefeier zu Beginn der IX. öffentlichen Sitzung des Konzils (7. Dezember 1965): AAS 58 (1966) 55.</ref> wird zunehmend ärmer um jene "seelische Ergänzung", die er um so nötiger braucht, je mehr die ihm reichlich zur Verfügung stehenden materiellen Güter und Mittel ihm Selbstgenügsamkeit vortäuschen. Es ist nicht mehr nötig, Gott zu bekämpfen, man glaubt, einfach auf ihn verzichten zu können.

In diesem Zusammenhang muss besonders die Zersetzung der Familie und die Trübung oder Verzerrung des wahren Verständnisses der menschlichen Sexualität angeführt werden: Es geht dabei um Phänomene, die sich auf die Erziehung junger Menschen und ihre Verfügbarkeit für einen geistlichen Beruf sehr negativ auswirken. Hinzuweisen ist außerdem auf die Verschärfung der sozialen Ungerechtigkeiten und auf die Konzentration des Reichtums in den Händen einiger weniger als Ergebnis eines unmenschlichen Kapitalismus,<ref> Vgl. Propositio 3.</ref> der den Abstand zwischen reichen und armen Völkern immer weiter vergrößert: Dadurch werden in das Zusammenleben der Menschen Spannungen und Besorgnisse eingeführt, die das Leben der einzelnen und der Gemeinschaften zutiefst erschüttern.

Auch im kirchlichen Bereich sind besorgniserregende negative Erscheinungen zu verzeichnen, die das Leben und den Dienst der Priester direkt beeinflussen. Dazu gehören: die religiöse Gleichgültigkeit bei vielen Gläubigen; der geringe Einfluss der Katechese, die von den viel weiter verbreiteten und mehr auf Gefälligkeit hin ausgerichteten Impulsen der Massenmedien erstickt wird; der missverstandene theologische, kulturelle und pastorale Pluralismus, dem zwar bisweilen gute Absichten zugrunde liegen, der aber schließlich den ökumenischen Dialog erschwert und die notwendige Einheit des Glaubens gefährdet; das Fortbestehen eines Gefühls des Misstrauens, ja beinahe der Unduldsamkeit gegenüber dem hierarchischen Lehramt; die einseitigen und einschränkenden Anstöße aus dem Reichtum der Frohbotschaft, die die Verkündigung und das Zeugnis des Glaubens zu einem ausschließlichen Faktor der menschlichen und sozialen Befreiung oder zu einer glaubensentfremdenden Zuflucht in den Aberglauben und eine Religiosität ohne Gott umwandeln".<ref> Vgl. ebd.</ref> 

Ein sehr bedeutsames, wenn auch verhältnismäßig neues Phänomen in vielen Ländern mit alter christlicher Tradition ist das Vorhandensein von dauerhaften Gruppen verschiedener Rassen und verschiedener Religionen auf dem gleichen Territorium. So entwickelt sich immer mehr die multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft. Mag dies auf der einen Seite Gelegenheit zu einem häufigeren und fruchtbareren Dialog, zu einer offeneren Gesinnung, zu Erfahrungen der Annahme und richtigen Toleranz sein, so kann es auf der anderen Seite Anlass zu Verwirrung und Relativismus sein "vor allem bei Menschen und Bevölkerungen mit nicht wirklich reifem Glauben.

Zu diesen Faktoren - und in enger Verknüpfung mit dem wachsenden Individualismus - kommt das Phänomen der Versubjektivierung des Glaubens hinzu. Das heißt, bei einer wachsenden Zahl von Christen ist wegen ihrer subjektiven Zustimmung zu dem, was ihnen gefällt, was ihrer eigenen Erfahrung entspricht, was ihre eigenen Gewohnheiten nicht stört, eine geringere Empfänglichkeit für das gesamte, objektive Ganze der Glaubenslehre zu bemerken. Auch die an sich berechtigte Berufung auf die Unverletzlichkeit des persönlichen Gewissens des einzelnen kann in diesem Zusammenhang gefährliche Züge von Doppeldeutigkeit annehmen.

Darauf beruht auch das immer weiter verbreitete Phänomen der nur mehr partiellen und bedingten Kirchenzugehörigkeit, die auf das Entstehen neuer Priesterberufe, auf das Selbstbewusstsein des Priesters und auf seinen Dienst in der Gemeinde einen negativen Einfluss ausübt.

Schließlich verursacht in vielen Stellen des kirchlichen Lebens noch heute die mangelnde Präsenz und Verfügbarkeit priesterlicher Kräfte sehr ernste Probleme. Die Gläubigen sind oft über lange Zeit allein gelassen und haben häufig auch keinen angemessenen pastoralen Beistand: Darunter leidet das Wachstum ihres christlichen Lebens insgesamt und noch mehr ihre Fähigkeit, sich stärker für die Evangelisierung einzusetzen.

Die Situation der Jugend im Blick auf Priesterberuf und Priesterausbildung

8 Die zahlreichen Widersprüche und Chancen, von denen unsere Gesellschaften und Kulturen und ebenso die kirchlichen Gemeinschaften gekennzeichnet sind, werden von der Welt der jungen Menschen ganz besonders intensiv und mit unmittelbaren und äußerst gravierenden Auswirkungen auf ihren Reifungsprozess wahrgenommen, erlebt und erfahren. In diesem Sinn trifft das Erwachen und Sich-Entfalten der priesterlichen Berufung bei Kindern, Heranwachsenden und jugendlichen ständig zugleich auf Hindernisse und Anregungen.

Einen äußert starken, verführerischen Zauber auf die jugendlichen übt die sogenannte "Konsumgesellschaft" aus, die sie zu Sklaven und Gefangenen einer individualistischen, materialistischen und hedonistischen Auslegung des menschlichen Daseins macht. Das materiell verstandene "Wohlergehen" ist dabei, sich als einziges Lebensideal durchzusetzen; ein Wohlergehen, das unter jeder Bedingung und um jeden Preis erlangt werden soll: von daher kommt die Ablehnung von allem, was nach Opfer aussieht, und der Verzicht auf die Anstrengung, geistliche und religiöse Werte zu suchen und zu leben. Die ausschließliche "Sorge" um das Haben verdrängt den Vorrang des Seins, was zur Folge hat, dass die personalen und interpersonalen Werte nicht nach dem Maßstab des unverrechenbaren Schenkens, sondern nach der Logik egoistischen Besitzdenkens und der Instrumentalisierung des Mitmenschen interpretiert werden.

Das spiegelt sich besonders in der Auffassung von der menschlichen Sexualität wider, die ihrer Würde eines Dienstes an der Gemeinschaft und Hingabe zwischen den Personen entkleidet und zu einem bloßen Konsumgut gemacht wird. So führt die affektive Erfahrung vieler junger Menschen nicht zu einem harmonischen, erfreulichen Wachstum der eigenen Persönlichkeit, die sich dem anderen in der Selbsthingabe öffnet, sondern zu einer schwerwiegenden psychologischen und sittlichen Verwirrung, die unweigerlich gewichtige Auswirkungen auf die Zukunft dieser jugendlichen haben muss.

Den Ursprung dieser Neigungen bildet bei sehr vielen jungen Menschen eine verzerrte Freiheitserfahrung. Die Freiheit wird ganz und gar nicht als Gehorsam gegenüber der objektiven und universalen Wahrheit erlebt, sondern als blinde Zustimmung zu den triebhaften Kräften und zum Machtwillen des einzelnen. Dabei wird auf der Ebene der Gesinnung und des Verhaltens das Zerbröckeln des Einvernehmens über die sittlichen Grundsätze sowie auf der religiösen Ebene zwar nicht immer die ausdrückliche Ablehnung Gottes, wohl aber eine religiöse Gleichgültigkeit und ein Leben, das auch in seinen bedeutendsten Augenblicken und in seinen nachhaltigsten Entscheidungen so gelebt wird, als ob es Gott nicht gäbe, irgendwie zur Selbstverständlichkeit. In einem solchen Umfeld wird nicht erst die Realisierung, sondern bereits das Verstehen der Bedeutung einer Berufung zum Priestertum schwierig, die ein spezifisches Zeugnis für den Vorrang des Seins vor dem Haben ist, die Anerkennung des Lebenssinnes als freier und verantwortungsvoller Selbsthingabe an die anderen sowie die Bereitschaft, sich in jener Form ganz in den Dienst des Evangeliums und des Reiches Gottes zu stellen.

Auch im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft stellt die Welt der jugendlichen nicht selten ein "Problem" dar. Wenn bei den jugendlichen noch mehr als bei den Erwachsenen eine starke Neigung zur Versubjektivierung des christlichen Glaubens und eine nur teilweise und bedingte Zugehörigkeit zum Leben und zur Sendung der Kirche vorhanden sind, bereitet es in der kirchlichen Gemeinschaft aus einer Reihe von Gründen tatsächlich Mühe, eine auf den heutigen Stand gebrachte mutige Jugendpastoral in Gang zu bringen: Die jugendlichen laufen Gefahr, sich selbst überlassen zu bleiben, ihrer psychischen Zerbrechlichkeit preisgegeben, unbefriedigt und kritisch gegenüber einer Welt von Erwachsenen, die ihnen, da sie den Glauben inkonsequent und ohne Reife leben, nicht als glaubwürdige Vorbilder erscheinen.

Es wird also die Schwierigkeit offenkundig, den jungen Menschen eine unverkürzte und sie gleichzeitig einbeziehende Erfahrung christlichen und kirchlichen Lebens vorzulegen und sie auf diese Haltung hin zu erziehen. Auf diese Weise bleibt die Perspektive des Priesterberufes weit entfernt von den konkreten und lebendigen Interessen der jugendlichen.

9 Es fehlt jedoch nicht an positiven Situationen und Anregungen, die im Herzen der heranwachsenden jugendlichen eine neue Verfügbarkeit sowie ein echtes, wirkliches Suchen nach solchen ethischen und spirituellen Werten wecken und fördern, die ihrer Natur nach den geeigneten Boden für einen Berufsweg zur Ganzhingabe an Christus und an die Kirche im Priestertum bieten.

Zunächst ist hervorzuheben, dass einige Phänomene, die in der jüngsten Vergangenheit nicht wenige Probleme verursacht haben - wie z. B. radikale Protestbewegungen, anarchistische Ansätze, utopische Forderungen, wahllose Sozialisierungsformen, Gewaltverhalten -, an Bedeutung abgenommen haben.

Man muss zudem erkennen, dass auch die heutigen jugendlichen mit der für ihr Alter typischen Kraft und Frische Träger von Idealen sind, die sich ihren Weg in der Geschichte bahnen: der Durst nach Freiheit, die Anerkennung des unermesslichen Wertes der Person, das Bedürfnis nach Authentizität und Transparenz, eine neue Auffassung und ein neuer Stil von Partnerschaft in den Beziehungen von Mann und Frau, die überzeugte und leidenschaftliche Suche nach einer gerechteren, solidarischeren, geeinteren Welt, die Offenheit und der Dialog mit allen und der Einsatz für den Frieden.

Die so reiche und lebendige Entwicklung zahlreicher Formen freiwilligen Dienstes bei vielen jugendlichen unserer Zeit - eines Dienstes, der den vergessensten und bedürftigsten Schichten unserer Gesellschaft gilt - stellt heute ein besonders wichtiges Erziehungsmittel dar, weil sie die jungen Menschen zu einem selbstloseren und offeneren und solidarischeren Lebensstil mit den Armen anspornt und sie darin unterstützt. Dieser Lebensstil vermag das Verständnis, das Verlangen und die Antwort auf eine Berufung zum ständigen und totalen Dienst für die anderen auch auf dem Weg der vollen Weihe an Gott durch ein Leben als Priester zu erleichtern.

Der jüngst erfolgte Zusammenbruch der Ideologien, die sehr kritische Einstellung gegenüber der Welt der Erwachsenen, die nicht immer das Zeugnis eines Lebens bieten, das sich den moralischen und transzendenten Werten anvertraut, die Erfahrung von Altersgefährten, die in die Droge und in die Gewalt auszuweichen versuchen: all das trägt sehr viel dazu bei, die Grundfrage nach solchen Werten, die wirklich in der Lage sind, dem Leben, dem Leiden und dem Tod Bedeutungsfülle zu geben, dringender und unausweichlich zu machen. Bei vielen jugendlichen brechen die religiöse Frage und das Bedürfnis nach Spiritualität wieder deutlicher auf: Von daher erklärt sich das Verlangen nach Einsamkeits- und Gebetserlebnissen, die Rückkehr zum Lesen der Heiligen Schrift, das immer mehr zu einer persönlichen Gewohnheit wird, und zum Studium der Theologie.

Und wie schon im Bereich des freiwilligen Sozialdienstes, so treten die jugendlichen im Bereich der kirchlichen Gemeinschaft immer aktiver und als Vorkämpfer auf, vor allem durch die Teilnahme an den verschiedenen Vereinigungen, von den traditionellen, aber erneuerten bis hin zu denen, die mehr an die neuen geistlichen Bewegungen gebunden sind: Die Erfahrung einer Kirche, die von der Treue zu dem Geist, der sie beseelt, und von den Bedürfnissen einer von Christus fernen Welt, die aber seiner dringend bedarf, zur "Neu-Evangelisierung" gedrängt wird, wie auch die Erfahrung einer Kirche, die immer solidarischer mit dem Menschen und den Völkern ist bei der Verteidigung und Förderung der Würde der Person und der Menschenrechte aller und jedes einzelnen, öffnen das Herz und das Leben junger Menschen für äußerst faszinierende und verpflichtende Ideale, die ihre konkrete Verwirklichung in der Nachfolge Christi und im Priestertum finden können.

Von dieser menschlichen und kirchlichen Situation, die von starker Ambivalenz gekennzeichnet ist, wird man natürlich keinesfalls absehen können, weder in der Berufungspastoral und bei der Ausbildung der künftigen Priester noch auch im Bereich des Lebens und des Dienstes der Priester und ihrer ständigen Weiterbildung. Wenn sich also die verschiedenen "Krisenformen" erfassen lassen, denen die Priester von heute bei der Ausübung ihres Dienstes, in ihrem geistlichen Leben und selbst bei der Interpretation von Wesen und Bedeutung des Priesteramtes ausgesetzt sind, so müssen doch auch mit Freude und Hoffnung die neuen positiven Möglichkeiten festgehalten werden, welche der gegenwärtige Abschnitt der Geschichte den Priestern für die Erfüllung ihrer Sendung bietet.

Das Evangelium als Bewertungsmaßstab

10 Die komplexe Situation unserer Zeit, die wir sozusagen im Schnellverfahren durch Hinweise anhand von Beispielen umrissen haben, verlangt, sie nicht nur zu kennen, sondern auch und vor allem zu deuten. Nur so wird es möglich sein, eine angemessene Antwort auf die grundlegende Frage zu geben: Wie sind Priester auszubilden, die wirklich auf der Höhe dieser Zeit stehen und imstande sein sollen, die Welt von heute zu evangelisieren?<ref> Vgl. Lineamenta, Einleitung, Nr. 1.</ref> 

Die Kenntnis der Situation ist wichtig. Eine bloße Datenerhebung genügt nicht, es bedarf einer "wissenschaftlichen". Untersuchung, auf deren Grundlage dann eine genaue und konkrete Beschreibung der tatsächlichen soziokulturellen und kirchlichen Verhältnisse vorgenommen werden kann.

Noch wichtiger aber ist die Deutung der Situation. Sie wird gefordert von der Ambivalenz und bisweilen Widersprüchlichkeit, von der die Lage gekennzeichnet ist, findet man doch hier tief miteinander verflochten Schwierigkeiten und Erfolge, negative Elemente und manchen Grund zur Hoffnung, Behinderungen und Aufgeschlossenheit, wie auf dem Acker im Evangelium, wo guter Same und Unkraut gesät worden waren und miteinander wuchsen" (vgl. Mt 13,24ff.).

Die Deutung, die zu unterscheiden wissen soll zwischen Gut und Böse, zwischen Hoffnungszeichen und Bedrohungen, ist nicht immer leicht. Bei der Priesterausbildung handelt es sich nicht einfach darum, die positiven Faktoren anzunehmen und sich den negativen frontal zu widersetzen. Es geht darum, gerade bei den positiven Faktoren eine sorgfältige Gewichtung vorzunehmen, damit sie sich nicht voneinander absondern und durch ihre Verabsolutierung und gegenseitige Bekämpfung in Gegensatz zueinander geraten. Dasselbe gilt von den negativen Faktoren, sie dürfen nicht pauschal und unterschiedslos zurückgewiesen werden, denn in jedem von ihnen kann irgendein Wert verborgen sein, der darauf wartet, freigelegt und wieder zu seiner vollen Wahrheit gebracht zu werden.

Der Gläubige findet für die Deutung der geschichtlichen Situation das Erkenntnisprinzip und das Kriterium der konkreten Vollzugsentscheidung in einer neuen und originellen Wirklichkeit, das heißt in der Unterscheidung anhand des Evangeliums; diese Deutung erfolgt im Licht und in der Kraft des Evangeliums, des lebendigen und persönlichen Evangeliums, das Jesus Christus ist, und mit der Gabe des Heiligen Geistes. So erfasst die Unterscheidung am Maßstab des Evangeliums in der geschichtlichen Situation mit ihren Wechselfällen und Bedingtheiten nicht einfach eine präzis feststellbare "Sachlage", der gegenüber man gleichgültig oder passiv bleiben könnte, sondern sie enthält eine "Aufgabe", eine Herausforderung zur verantwortungsvollen Freiheit des Menschen, sowohl des einzelnen wie der Gemeinschaft. Es ist eine "Herausforderung", die sich mit einem "Anruf" verbindet, den Gott gerade in dieser geschichtlichen Situation vernehmen lässt. Auch in ihr und durch sie ruft Gott den Glaubenden und vorher schon die Kirche auf, daran mitzuwirken, dass "das Evangelium der Berufung und des Priestertums" auch unter den veränderten Lebensumständen seine ewige Wahrheit zum Ausdruck bringt. Auch auf die Priesterausbildung sollen die Worte des Il. Vatikanischen Konzils angewandt werden: "Der Kirche obliegt allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 4.</ref>

Diese Unterscheidung nach dem Evangelium gründet sich auf das Vertrauen in die Liebe Jesu Christi, der sich stets unermüdlich seiner Kirche annimmt (vgl. Eph 5,29), und der Herr und Meister, Schlüssel zum Himmelreich, Mittelpunkt und Ziel der gesamten Menschheitsgeschichte ist.<ref> Vgl. Achte Weltbischofssynode, Schlussbotscaft an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), I.</ref> Diese Unterscheidung lebt vom Licht und von der Kraft des Heiligen Geistes, der überall und in jeder Situation den Gehorsam des Glaubens, den freudigen Mut zur Nachfolge Jesu sowie die Gabe der Weisheit weckt, die alles beurteilt selbst aber von niemandem beurteilt werden kann (vgl. 1 Kor 2,15), weil sie auf der Treue des Vaters zu seinen Verheißungen gründet.

So spürt die Kirche, dass sie imstande ist, sich mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen dieser neuen Epoche unserer Geschichte auseinanderzusetzen und auch für die Gegenwart und Zukunft Priester zu gewährleisten, die so gut ausgebildet sind, dass sie überzeugte, leidenschaftliche Träger der "Neu-Evangelisierung", treue und hochherzige Diener Jesu Christi und der Menschen sind.

Wir verhehlen uns keineswegs die Schwierigkeiten. Sie sind weder gering noch leicht. Aber um sie zu überwinden, gibt es unsere Hoffnung, unseren Glauben an die unfehlbare Liebe Christi, unsere Gewissheit, dass für das Leben der Kirche und der Welt der priesterliche Dienst unersetzlich ist.

KAPITEL II: DER HERR HAT MICH GESALBT UND GESANDT

Wesen und Sendung des Priesteramtes

11 "Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet" (Lk 4,20). Was der Evangelist Lukas von denen sagt, die an jenem Sabbat in der Synagoge von Nazaret anwesend waren und die Darlegung Jesu über die von ihm vorgelesene Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaja hörten, lässt sich auf alle Christen anwenden, die ja zu allen Zeiten berufen sind, in Jesus von Nazaret die endgültige Erfüllung der prophetischen Botschaft zu erkennen: "Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt" (Lk 4,21). Dieses "Schriftwort" lautete: "Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe" (Lk 4,18-19; vgl. Jes 61,1-2). Jesus stellt sich also selbst als den vor, der vom Geist erfüllt ist, den "der Herr gesalbt hat", den "er gesandt hat, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe": Er ist der Messias, der Messias, der Priester, Prophet und König ist.

Auf dieses Antlitz Christi sollen die Augen des Glaubens und der Liebe der Christen gerichtet sein. Ausgehend von dieser "Betrachtung" und unter Bezugnahme auf sie haben die Synodenväter über das Problem der Priesterausbildung unter den heutigen Lebensbedingungen nachgedacht. Eine Antwort kann dieses Problem nicht ohne eine vorausgehende Reflexion über das Ziel, auf das der Ausbildungsweg hingeordnet sein soll, erfahren: Und das Ziel ist das Priesteramt, genauer der Dienst des Priesters als Teilhabe am Priestertum Jesu Christi in der Kirche. Das Wissen um das Wesen und die Sendung des priesterlichen Dienstamtes ist die unverzichtbare Voraussetzung und zugleich die sicherste Führung und der entschiedenste Ansporn, um in der Kirche den pastoralen Einsatz für die Förderung und das Erkennen der Priesterberufe und für die Ausbildung der bereits zum geweihten Amt Berufenen zur Entfaltung zu bringen.

Die richtige und gründliche Kenntnis vom Wesen und der Sendung des priesterlichen Dienstamtes ist der Weg, den man geben muss - und den die Synode tatsächlich gegangen ist - um aus der Krise um die Identität des Priesters herauszufinden: "Diese Krise war" - so sagte ich zum Abschluss der Synode - "in den Jahren unmittelbar nach dem Konzil entstanden. Sie hatte ihren Grund in einem irrigen, zuweilen sogar bewusst tendenziösen Verständnis der Lehre des Konzils. Hier liegt ohne Zweifel auch eine der Ursachen für die große Zahl von Verlusten, die die Kirche damals erlitt, Verluste, die den pastoralen Dienst und die Berufungen zum Priestertum, besonders die missionarischen Berufungen schwer getroffen haben. Es scheint, als wäre es der Synode von 1990 gelungen, nach diesen schmerzlichen Verlusten neue Hoffnung einzuflößen, indem sie durch so viele Beiträge, die wir in dieser Aula gehört haben, die priesterliche Identität in ihrer ganzen Tiefe wiederentdecken half. Diese Beiträge haben das Bewusstsein von der spezifischen ontologischen Verbundenheit des Priesters mit Christus, dem Hohenpriester und Guten Hirten, deutlich gemacht. Diese Identität liegt dem Wesen der Ausbildung zugrunde, die im Blick auf das Priestertum und damit das ganze Priesterleben hindurch erfolgen muss. Das war der eigentliche Zweck der Synode".<ref> Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 4: a.a.O., 4; vgl. auch das Gründonnerstagsschreiben an die Priester (15. März 1991): L'Osservatore Romano, 15 März 1991, 4.</ref>

Deshalb hat es die Synode für notwendig gehalten, in zusammenfassender und grundlegender Weise das Wesen und die Sendung des Weihepriestertums so in Erinnerung zu rufen, wie sie der Glaube der Kirche durch die Jahrhunderte ihrer Geschichte anerkannt und das II. Vatikanische Konzil den Menschen unserer Zeit wieder vor Augen gestellt hat.<ref> Vgl. vor allem II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis und Dekret über die Priesterausbildung]] Optatam totius; vgl. u.a. auch Hl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Grundordnung für die Ausbildung der Priester) (6. Januar1970): a.aO., und II. Vollversammlung der Weltbischofssynode (1971).</ref>

Kirche als Mysterium, Communio und Missio

12 "Die priesterliche Identität", - schrieben die Synodenväter, "hat wie jede christliche Identität ihren Ursprung in der göttlichen Trinität",<ref> Vgl. Propositio 7.</ref> die sich den Menschen in Christus offenbart und selbst mitteilt, indem sie in ihm und durch den Geist die Kirche als "Keim und Anfang des Reiches" darstellt.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 5.</ref> Das Apostolische Schreiben Christifideles laici stellt in einer Zusammenfassung der Konzilslehre die Kirche als Mysterium, Communio und Missio vor. Sie "ist Geheimnis, weil die Liebe und das Leben des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes die völlig unverdienten Gaben sind für alle, die aus dem Wasser und dem Geist geboren (vgl. Job 3,5), die berufen sind, die Communio Gottes selbst zu leben, zu bezeugen und in der Geschichte anderen mitzuteilen (Sendung)".<ref> Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt Christifideles laici (30. Dezember 1988), 8: AAS 81 (1989) 405; vgl. auch II. Außerordentliche Bischofssynode (1985).</ref>

Innerhalb des Mysteriums der Kirche als Geheimnis trinitarischer Gemeinschaft in missionarischer Spannung offenbart sich jede christliche Identität und somit auch die spezifische Identität des Priesters und seines Dienstes. Denn der Priester ist kraft seiner sakramentalen Weihe vom Vater gesandt durch Jesus Christus, dem Haupt und Hirten seines Volkes. Ihm ist er in besonderer Weise nachgestaltet, um in der Kraft des Heiligen Geistes im Dienst der Kirche und zum Heil der Welt zu leben und zu wirken.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

Man kann die im wesentlichen "relationale" Kennzeichnung der Identität des Priesters so verstehen: Durch das Priestertum, das der Tiefe des unaussprechlichen Geheimnisses Gottes, das heißt der Liebe des Vaters, der Gnade Jesu Christi und der Gabe der Einheit des Heiligen Geistes, entspringt, ist der Priester sakramental in die Gemeinschaft mit dem Bischof und mit den anderen Priestern eingebunden,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 7-8.</ref> um dem Volk Gottes, das die Kirche ist, zu dienen und alle zu Christus hinzuführen, dem Gebet des Herrn entsprechend: "Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir ... Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast" (Joh 17,11.12).

Man kann also das Wesen und die Sendung des Priestertums des Dienstes nur in diesem vielfältigen und reichen Zusammenspiel von Beziehungen bestimmen, die aus der innergöttlichen Trinität kommen und sich in die Gemeinschaft der Kirche, als Zeichen und Werkzeug in Christus für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit, hinein fortsetzen.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> Auf diese Weise wird die Communio-Ekklesiologie entscheidend, um die Identität des Priesters, seine eigenständige Würde, seine Berufung und Sendung im Volk Gottes und in der Welt zu begreifen. Der Bezug auf die Kirche ist deshalb bei der Bestimmung der Identität des Priesters zwar notwendig, aber nicht vorrangig. Als Geheimnis ist die Kirche wesentlich auf Jesus Christus bezogen. Sie ist in der Tat eine Fülle, sein Leib, seine Braut. Sie ist das lebendige "Zeichen" und "Erinnerungsbuch" seiner ständigen Gegenwart und seines Wirkens unter uns und für uns. Der Priester findet die volle Wahrheit seiner Identität darin, sich von Christus herzuleiten, in besonderer Weise an Christus teilzuhaben und eine Weiterführung Christi, des einzigen Hohenpriesters des neuen und ewigen Bundes, zu sein: Er ist ein lebendiges und transparentes Abbild des, Priesters Christus. Das Priestertum Christi, Ausdruck der absoluten "Neuigkeit" der Heilsgeschichte, stellt den einzigen Ursprung und das unersetzliche Modell für das Priestertum des Gläubigen und im besonderen des geweihten Priesters dar. Der Bezug auf Christus ist also der absolut notwendige Schlüssel für das Verständnis aller Dimensionen priesterlicher Wirklichkeit.

Die grundlegende Beziehung zu Christus, dem Haupt und Hirten

13 Jesus Christus hat in sich selbst das vollkommene und endgültige Wesen des Priestertums des Neuen Bundes geoffenbart:<ref> Vgl. Propositio 7.</ref> Er hat es während seines ganzen Erdenlebens getan, aber vor allem in dem zentralen Geschehen seines Leidens und Sterbens und seiner Auferstehung.

Wie der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt, ist Jesus, der Mensch ist wie wir und zugleich der eingeborene Sohn Gottes, in seinem Wesen vollkommener Mittler zwischen dem Vater und der Menschheit (vgl. Hebr 8-9), der uns durch die Gabe des Geistes den unmittelbaren Zugang zu Gott erschließt: ,Gott sandte den Geist seines Sohnes in unser Herz, den Geist, der ruft: Abba, Vater!" (Gal 4,6; vgl. Röm 8,15).

Zur vollen Verwirklichung bringt Jesus sein Wesen als Mittler durch die Selbsthingabe am Kreuz, mit der er uns ein für allemal den Zugang zum himmlischen Heiligtum, zum Haus des Vaters eröffnet (vgl. Hebr 9,24-28). Im Vergleich mit Jesus erscheinen Mose und alle "Mittler" des Alten Testaments zwischen Gott und seinem Volk - die Könige, Priester und Propheten - nur wie "Vorausbilder" und "ein Schatten der künftigen Güter", nicht wie "die Gestalt der Dinge selbst" (vgl. Hebr 10,1).

Jesus ist der angekündigte gute Hirt (vgl. Ez 34), der seine Schafe kennt, der sein Leben für sie hingibt und der alle sammeln will, sodass es nur eine Herde und einen Hirten geben wird (vgl. Joh 10,10-16). Der Hirt ist gekommen, "nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen" (Mt 20,28); der Hirt, der im österlichen Geschehen der Fußwaschung (vgl. Joh 13,1-20) den Seinen das Vorbild des Dienstes hinterlässt, wie sie ihn aneinander vollziehen sollen, und der sich freiwillig als "unschuldiges Lamm" hingibt, das um unserer Erlösung willen geschlachtet wird (vgl. Joh 1,36; Offb 5,6.12).

Durch das einzigartige und endgültige Opfer am Kreuz überträgt Jesus allen seinen Jüngern die Würde und Sendung von Priestern des neuen und ewigen Bundes. So erfüllt sich Gottes Verheißung an Israel: "Ihr aber sollt mir als ein Reich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören" (Ex 19,6). Das ganze Volk des Neuen Bundes - schreibt der hl. Petrus - soll als "ein geistiges Haus" "zu einer heiligen Priesterschaft" aufgebaut werden, "um durch Jesus Christus geistige Opfer darzubringen" (1 Petr 2,5). Die Getauften sind die "lebendigen Steine", die das geistige Haus aufbauen, indem sie sich um Christus, den "lebendigen Stein, der ... von Gott auserwählt und geehrt worden ist", zusammenschließen (1 Petr 2,4-5). Die Kirche als das neue priesterliche Volk hat nicht nur in Christus ihr authentisches Bild, sondern empfängt von ihm auch eine wirkliche, ontologische Teilhabe an seinem ewigen und einzigen Priestertum, dem sie sich mit ihrem ganzen Leben anpassen soll.

14 Im Dienste dieses universalen Priestertums des Neuen Bundes ruft Jesus im Laufe seiner irdischen Heilssendung einige Jünger zu sich (vgl. Lk 10,1-12), und mit einem besonderen und glaubwürdigen Auftrag beruft und bestellt er die Zwölf, "die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben" (Mk 3,14-15).

Deshalb überträgt Jesus schon während seines öffentlichen Wirkens (vgl. Mt 16,18) und dann in vollem Ausmaß nach seinem Tod und seiner Auferstehung (vgl. Mt 28,16-20; Joh 20;21) Petrus und den Zwölf ganz besondere Vollmachten gegenüber der künftigen Gemeinde und für die Evangelisierung aller Völker. Nachdem er sie zu seiner Nachfolge berufen hat, behält er sie bei sich und lebt mit ihnen, wobei er ihnen durch Wort und Beispiel seine Heilslehre mitteilt, und sendet sie schließlich zu allen Menschen. Für die Erfüllung dieses Auftrags überträgt Jesus den Aposteln kraft einer besonderen österlichen Ausgießung des Heiligen Geistes eben die messianische Vollmacht, die ihm vom Vater zukommt und die ihm mit der Auferstehung voll übertragen worden ist: "Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern, tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt" (Mt 28,18-20).

Jesus stellt so eine enge Verbindung her zwischen dem Dienst, der den Aposteln anvertraut wurde, und seiner eigenen Sendung: "Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat" (Mt 10,40); "Wer euch hört, der hört mich, und wer euch ablehnt, der lehnt mich ab; wer aber mich ablehnt, der lehnt den ab, der mich gesandt hat" (Lk 10,16). ja, das vierte Evangelium bekräftigt im Lichte des Ostergeschehens des Todes und der Auferstehung kraftvoll und klar: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch" (Joh 20,21; vgl. 130; 17,18). Wie Jesus einen Auftrag hat, der ihm direkt von Gott zukommt und, der die Autorität Gottes selbst konkretisiert (vgl. Mt 7,29; 21,23; Mk 1,27; 11,28; Lk 20,2; 24,19), so haben die Apostel einen Auftrag, der ihnen von Jesus zukommt. Und wie "der Sohn nichts von sich aus tun kann" (Job 5,19), also seine Lehre nicht von ihm stammt, sondern von dem, der ihn gesandt hat (vgl. Job 7,16), so sagt Jesus zu den Aposteln: "Getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen" (Joh 15,5): Ihre Sendung kommt nicht von ihnen, sondern ist dieselbe wie die Sendung Jesu. Und das ist nicht aus menschlicher Kraft möglich, sondern durch die "Gabe" Christi und seines Geistes, mithin durch das "Sakrament": "Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert" (Job 20,22-23). Also nicht aus irgendeinem besonderen eigenen Verdienst, sondern einzig und allein durch die unverdiente Teilhabe an der Gnade Christi setzen die Apostel die Heilssendung Christi für die Menschen in der Geschichte fort bis ans Ende der Zeiten.

Zeichen und Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit und Fruchtbarkeit dieser Sendung ist die Einheit der Apostel mit Jesus und in ihm untereinander und mit dem Vater, wie das hohepriesterliche Gebet des Herrn, die Synthese seiner Sendung, bezeugt (vgl. Joh 17,20-23).

15 Die vom Herrn eingesetzten Apostel werden ihrerseits nach und nach ihre Sendung dadurch erfüllen, dass sie in verschiedenen, im letzten aber übereinstimmenden Formen andere Männer als Bischöfe, Presbyter und Diakone berufen, um den Auftrag des auferstandenen Jesus zu erfüllen, der sie zu allen Menschen aller Zeiten gesandt hat.

Das Neue Testament betont eindeutig, dass es der Geist Christi selbst ist, der diese von den Brüdern ausgewählten Männer in ihren priesterlichen Dienst einführt. Durch die Geste der Handauflegung (vgl. Apg 6,6; 1 Tim 4,14; 5,22; 2 Tim 1,6), die die Gabe des Geistes weitergibt, werden sie dazu berufen und befähigt, den Dienst der Versöhnung, der wachsamen Sorge für die Herde Gottes und der Verkündigung fortzusetzen (vgl. Apg 20,28; 1 Petr 5,2).

Darum sind die Priester aufgerufen, die Gegenwart Christi, des einen Hohepriesters, dadurch fortzusetzen, dass sie seinen Lebensstil mit ihrem Leben bezeugen und in der ihnen anvertrauten Herde gleichsam an sich selbst transparent werden lassen. Sehr klar und deutlich wird dies im ersten Petrusbrief umschrieben: "Eure Ältesten ermahne ich, da ich ein Ältester bin wie sie und ein Zeuge der Leiden Christi und auch an der Herrlichkeit teilhaben soll, die sich offenbaren wird: Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes, nicht aus Zwang, sondern freiwillig, wie Gott es will; auch nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung; seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde! Wenn dann der oberste Hirte erscheint, werdet ihr den nie verwelkenden Kranz der Herrlichkeit empfangen" (1 Petr 5,1-4).

Die Priester sind in der Kirche und für die Kirche eine sakramentale Vergegenwärtigung Jesu Christi, des Hauptes und Hirten; sie verkünden mit Vollmacht sein Wort, sie wiederholen sein vergebendes Wirken und sein umfassendes Heilsangebot, vor allem durch die Taufe, die Buße und die Eucharistie, sie sorgen wie er liebevoll bis zur völligen Selbsthingabe für die Herde, die sie in der Einheit sammeln und durch Christus im Geist zum Vater führen. Mit einem Wort, die Priester leben und handeln für die Verkündigung des Evangeliums an die Welt und für den Aufbau der Kirche im Namen und in der Person Christi, des Hauptes und Hirten.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

Auf diese typische, spezifische Art und Weise nehmen die geweihten Diener an dem einen Priestertum Christi teil. Der Heilige Geist gestaltet sie durch die sakramentale Salbung auf eine neue und spezifische Weise Christus nach, dem Haupt und Hirten, er formt und beseelt sie mit der Hirtenliebe Christi und versetzt sie in der Kirche in die wirkmächtige Lebensaufgabe von Dienern an der Verkündigung des Evangeliums für alle Geschöpfe und Dienern an der Fülle des christlichen Lebens aller Getauften.

Die Wahrheit über den Priester, wie sie aus dem Wort Gottes, das heißt aus Jesus Christus selbst und aus seinem Gründungsplan für die Kirche hervorgeht, wird von der Liturgie in der Präfation der Chrisammesse mit Freude und Dankbarkeit besungen: "Du hast deinen eingeborenen Sohn gesalbt mit dem Heiligen Geist und ihn bestellt zum Hohenpriester des neuen und ewigen Bundes; du hast bestimmt, dass dieses eine Priestertum fortlebe in deiner Kirche. Denn Christus hat dein ganzes Volk ausgezeichnet mit der Würde seines königlichen Priestertums, aus ihm hat er 1 in brüderlicher Liebe Menschen erwählt, die durch Auflegen der Hände teilhaben an seinem priesterlichen Dienste.

In seinem Namen feiern sie immer neu das Opfer, durch das er die Menschen erlöst hat, und bereiten deinen Kindern das Ostermahl. Sie dienen deinem Volk in Werken der Liebe, sie nähren es durch das Wort und stärken es durch die Sakramente. Ihr Leben sollen sie einsetzen für dich und das Heil der Menschen, dem Vorbild Christi folgen und ihre Liebe und ihren Glauben in Treue bezeugen." (Aus: Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Authentische Ausgabe für den liturgischen Gebrauch, 1975.)

Im Dienst an Kirche und Welt

16 Die grundlegende Beziehung für den Priester ist die zu Jesus Christus, dem Haupt und Hirten: Denn er hat in spezifischer und wirkmächtiger Weise Anteil erhalten an der "Weihe", Salbung und "Sendung" Christi (vgl. Lk 4,18f.). Aber eng verflochten mit dieser Beziehung ist die Beziehung zur Kirche. Es handelt sich nicht einfach um von außen her zusammengeführte "Beziehungen", sondern sie sind in einer Art gegenseitiger Immanenz aus sich heraus miteinander verbunden. Die Beziehung zur Kirche gehört eben zu der einzigartigen Beziehung des Priesters zu Christus, und zwar in dem Sinne, dass die "sakramentale Vergegenwärtigung" Christi die Beziehung des Priesters zur Kirche begründet und beseelt.

In diesem Sinne haben die Synodenväter geschrieben: "Insofern er Christus als Haupt, Hirten und Bräutigam der Kirche repräsentiert, steht der Priester nicht nur in der Kirche, sondern auch der Kirche gegenüber. Das Priestertum gehört zusammen mit dem Wort Gottes und den sakramentalen Zeichen, denen es dient, zu den konstitutiven Elementen der Kirche. Der Dienst des Priesters ist ganz für die Kirche da; der Priester soll die Ausübung des gemeinsamen Priestertums des ganzen Gottesvolkes fördern; er ist nicht nur für die Ortskirche, sondern auch für die Gesamtkirche bestellt (vgl. Presbyterorum ordinis, 10), in Gemeinschaft mit dem Bischof, mit Petrus und unter Perus. Durch das Priestertum des Bischofs ist das Priestertum zweiter Ordnung in die apostolische Struktur der Kirche eingebunden. So tritt der Priester wie der Apostel als Gesandter an Christi Statt auf (vgl. 2 Kor 5,20). Darauf gründet sich der missionarische Wesenszug jedes Priesters.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

Das geweihte Amt entsteht also mit der Kirche und hat in den Bischöfen und, in Beziehung und Gemeinschaft mit ihnen, in den Priestern einen besonderen Bezug zu dem ursprünglichen Dienst der Apostel, in dessen "Nachfolge" es wirklich steht, auch wenn es im Vergleich zu ihm ganz verschiedene Existenzformen annimmt.

Man darf also nicht meinen, es gäbe das Weihepriestertum früher als die Kirche, denn es steht völlig im Dienst eben dieser Kirche; aber ebenso wenig darf man es später als die kirchliche Gemeinschaft ansetzen, so als könnte deren Gründung ohne das Priestertum verstanden werden.

Die Beziehung des Priester zu Jesus Christus und in ihm zu seiner Kirche liegt in der Existenz des Priesters selbst aufgrund seiner sakramentalen Weihe bzw. Salbung und in seinem Tun, das heißt in seiner Sendung bzw. seinem Dienst. Im besonderen "ist der Priester Diener des in der Kirche - in Form von Mysterium, Communio und Missio - gegenwärtigen Christus. Dadurch, dass er Anteil erhalten hat an der, Salbung und, Sendung Christi, kann er dessen Gebet, Wort, Opfer und Heilswirken in die Kirche hinein übersetzen. Er ist also Diener der Kirche als Geheimnis, weil er die kirchlichen und sakramentalen Zeichen der Gegenwart des auferstandenen Christus gegenwärtig setzt. Er ist Diener der Kirche als Gemeinschaft, weil er -verbunden mit dem Bischof und in enger Beziehung zum Presbyterium - Im Zusammenführen der verschiedenen Berufungen, Charismen und Dienste die Einheit der kirchlichen Gemeinschaft aufbaut. Und er ist schließlich Diener der Kirche als Sendung, weil er die Glaubensgemeinschaft zur Verkünderin und Zeugin der frohen Botschaft aufbaut.<ref> Instrumentum laboris, Nr. 16; vgl. Propositio 7.</ref>

So erscheint der Priester in seinem eigentlichen Wesen und in seiner sakramentalen Sendung innerhalb der Struktur der Kirche als Zeichen für den absoluten Vorrang und die Unentgeltlichkeit der Gnade, die der Kirche vom auferstandenen Christus als Geschenk zuteil wird. Durch das Weihepriestertum wird sich die Kirche im Glauben bewusst, dass sie ihr Sein nicht sich selbst, sondern der Gnade Christi im Heiligen Geist verdankt. Die Apostel und ihre Nachfolger stehen als Inhaber einer Vollmacht, die ihnen von Christus, dem Haupt und Hirten, zukommt, mit ihrem Dienst der Kirche gegenüber, als sichtbare Fortsetzung und sakramentales Zeichen Christi, der die Kirche und der Welt als ewige und immer neue Heilsquelle gegenübersteht, er, "der die Kirche gerettet hat, denn sie ist sein Leib" (Eph 5,23).

17 Das geweihte Amt kann aufgrund seiner Natur nur erfüllt werden, weil der Priester durch die sakramentale Einbeziehung in den Priesterstand mit Christus verbunden ist und sich somit in hierarchischer Gemeinschaft mit seinem Bischof befindet. Das geweihte Amt hat eine radikale "Gemeinschaftsform" und kann nur als "Gemeinschaftswerk" erfüllt werden.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache vor dem Angelus, 25 Februar 1990.</ref> Mit diesem Gemeinschaftscharakter des Priestertums hat sich das Konzil lange beschäftigt,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 7-8.</ref> indem es das Verhältnis des Priesters zu seinem Bischof, zu den anderen Priestern und zu den gläubigen Laien jeweils eigens untersuchte.

Der Dienst der Priester ist vor allem verantwortungsvolle und notwendige Verbundenheit und Mitarbeit am Dienst des Bischofs in der Sorge um die Universalkirche und um die einzelnen Teilkirchen; für den Dienst an ihnen bilden sie zusammen mit dem Bischof ein einziges Presbyterium.

Jeder Priester, ob Welt- oder Ordenspriester, ist mit den anderen Mitgliedern dieses Presbyteriums aufgrund des Weihesakraments durch besondere Bande der apostolischen Liebe, des Dienstes und der Brüderlichkeit verbunden. Denn alle Welt und Ordenspriester haben teil an dem einen Priestertum Christi, des Hauptes und Hirten, "sie arbeiten für das gleiche Anliegen, nämlich für den Aufbau des Leibes Christi, der vielfältige Tätigkeiten und vor allem in der heutigen Zeit Neuanpassungen erfordert"<ref> Ebd., 8; vgl. Propositio 7.</ref> und im Laufe der Jahrhunderte mit immer neuen Charismen bereichert wird.

Schließlich stehen die Priester in einer positiven und anregenden Beziehung zu den Laien, denn ihre Gestalt und ihre Aufgabe in der Kirche ersetzen ja nicht das auf die Taufe zurückgehende gemeinsame Priestertum des ganzen Volkes Gottes, sondern fördern es, indem sie es zu seiner vollen kirchlichen Verwirklichung führen. Sie dienen dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe der Laien. Sie anerkennen und unterstützen als Brüder und Freunde die Würde der Kinder Gottes und helfen ihnen, ihre besondere Rolle im Rahmen der Sendung der Kirche voll auszuüben.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 9.</ref>

Das vom Weihesakrament übertragene Amtspriestertum und das gemeinsame oder "königliche" Priestertum der Gläubigen, die sich dem Wesen und nicht bloß dem Grade nach unterscheiden, <ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium,10.</ref> sind einander zugeordnet, stammen doch beide - in verschiedenen Formen - aus dem einen Priestertum Christi. Das Amtspriestertum bedeutet nämlich nicht an sich einen höheren Grad an Heiligkeit im Vergleich zum gemeinsamen Priestertum der Gläubigen; aber durch das Weihepriestertum wird den Priestern von Christus im Geist eine besondere Gabe verliehen, damit sie dem Volk Gottes helfen können, das ihm verliehene gemeinsame Priestertum getreu und vollständig auszuüben.<ref> Vgl. Propositio 7.</ref>

18 Wie das Konzil unterstreicht, rüstet die Geistesgabe, die den Priestern in ihrer Weihe verliehen wurde, sie nicht für irgendeine begrenzte und eingeschränkte Sendung, sondern für die alles umfassende und universale Heilssendung bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8), denn jeder priesterliche Dienst hat teil an der weltweiten Sendung, die Christus den Aposteln aufgetragen hat".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 10.</ref> Aufgrund des Wesens ihres Dienstes sollen sie daher von einem tiefen missionarischen Geist und "von jener wahrhaft katholischen Geisteshaltung" durchdrungen und beseelt sein, die sie dazu befähigt, "über die Grenzen der eigenen Diözese, der Nation oder des Ritus zu blicken und für die Bedürfnisse der ganzen Kirche einzustehen, stets bereit, das Evangelium überall zu verkünden".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester, Optatum totius, 20.</ref>

Außerdem soll der Priester, eben weil er innerhalb des Lebens der Kirche der Mann der Gemeinschaft ist, in der Beziehung zu allen Menschen der Mann der Sendung und des Dialogs sein. Tief verwurzelt in der Wahrheit und in der Liebe Christi und beseelt von dem Wunsch und dem Gebot, seine Heilsbotschaft allen zu verkünden, ist er dazu berufen, zu allen Menschen Beziehungen der Brüderlichkeit, des Dienstes, der gemeinsamen Wahrheitssuche, der Förderung von Gerechtigkeit und Frieden zu knüpfen. An erster Stelle zu den Brüdern und Schwestern der anderen christlichen Kirchen und Konfessionen; aber auch zu dem Gläubigen der anderen Religionen; zu den Menschen guten Willens und ganz besonders zu den Armen und Schwachen und zu allen, die sich, auch ohne es zu wissen oder zu äußern, nach der Wahrheit und nach dem Heil Christi sehnen, gemäß dem Wort Jesu, der gesagt hat: "Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken; ... ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten (Mk 2,17).

Insbesondere die vorrangige pastorale Aufgabe der Neu-Evangelisierung, die das ganze Volk Gottes betrifft und einen neuen Eifer, neue Methoden und eine neue Ausdruckskraft für die Verkündigung und das Zeugnis des Evangeliums fordert, verlangt heute Priester, die radikal und vollständig in das Geheimnis Christi eingetaucht und fähig sind, einen neuen, von der tiefen Verbundenheit mit dem Papst, den Bischöfen und untereinander und von einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit den gläubigen Laien gekennzeichneten pastoralen Lebensstil zu verwirklichen in der Achtung und Förderung der verschiedenen Rollen, Charismen und Dienste innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft.<ref> Vgl. Propositio 12.</ref>

"Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt" (Lk 4,21). Hören wir uns diese Worte Jesu noch einmal im Lichte des Weihepriestertums an, das wir in seinem Wesen und seiner Sendung dargelegt haben. Das "Heute", von dem Jesus spricht, weist auf die Zeit der Kirche hin, eben weil es zur Fülle der Zeit, das heißt der Zeit des vollen und endgültigen Heils, gehört und sie bestimmt. Die Salbung und die Sendung Christi, ausgedrückt in dem Schriftwort "Der Geist des Herrn ... hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe..." (Lk 4,18), sind die lebendige Wurzel, aus der die Weihe und die Sendung der "von Christus erfüllten (vgl. Eph 1,23) Kirche herauswachsen: Mit der Wiedergeburt in der Taufe ergießt sich auf alle Gläubigen der Geist des Herrn, der sie dafür weiht, ein geistiges Haus und eine heilige Priesterschaft aufzubauen, und sie aussendet, die großen Taten dessen zu verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat (vgl. 1 Petr 2,4-10). Der Priester hat an der Salbung und Sendung Christi in besonderer und wirkmächtiger Weise teil, nämlich durch das Weihesakrament, kraft dessen er in seinem Wesen Jesus Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet wird und die Sendung teilt, im Namen und in der Person Christi selbst "den Armen eine gute Nachricht zu bringen".

In ihrer Schlussbotschaft haben die Synodenväter in wenigen, aber um so reicheren Worten die "Wahrheit", besser das "Geheimnis" und das "Geschenk" des Weihepriestertums so zusammengefasst: "Unsere Identität hat ihre letzte Quelle in der Liebe des Vaters. Mit dem von ihm gesandten Sohn, dem Hohenpriester und Guten Hirten, sind wir durch das Weihepriestertum in der Kraft des Heiligen Geistes sakramental verbunden. Das Leben und der Dienst des Priesters sind eine Fortsetzung des Lebens und Wirkens Christi selbst. Das ist unsere Identität, unsere wahre Würde, die Quelle unserer Freude und die Zuversicht unseres Lebens.<ref> Achte Weltbischofssynode, Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), III: a.a.O.,4.</ref>

KAPITEL III: DER GEIST DES HERRN RUHT AUF MIR.
Das geistliche Leben des Priesters

Eine "besondere" Berufung zur Heiligkeit

19 "Der Geist des Herrn ruht auf mir" (Lk 4,18). Der Geist befindet sich nicht nur "über" dem Messias, sondern er "erfüllt" ihn, er durchdringt ihn, er erreicht ihn in seinem Sein und Wirken. Denn der Geist ist der Anfang der "Weihe" und der "Sendung" des Messias: "Der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe . . ." (Lk 4,18) Durch den Geist gehört Jesus vollständig und ausschließlich zu Gott, hat teil an der unendlichen Heiligkeit Gottes, der ihn ruft, ihn erwählt und ihn sendet. So offenbart sich der Geist des Herrn als Quelle der Heiligkeit und Aufruf zur Heiligung.

Dieser selbe "Geist des Herrn" ruht auf mir dem ganzen Volk Gottes, das verstanden wird als Gott "geweihtes" und von Gott "gesandtes" Volk zur Verkündigung des heilbringenden Evangeliums. Die Mitglieder des Volkes Gottes sind "getränkt" und "gezeichnet" vom Geist (vgl. 1 Kor 12,13; 2 Kor 1,21ff, Eph 1,13; 4,30) und zur Heiligkeit berufen.

Im besonderen offenbart und vermittelt uns der Geist die grundlegende Berufung, die der Vater von Ewigkeit her an alle richtet: die Berufung, "heilig und untadelig (zu) leben vor Gott", weil er uns ... im voraus dazu bestimmt hat, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus (Eph 1,4-5). Der Geist offenbart und vermittelt uns nicht nur diese Berufung, er wird in uns auch Anfang und Quelle ihrer Verwirklichung: er, der Geist des Sohnes (vgl. Gal 4,6), macht uns Jesus Christus gleichförmig und lässt uns teilhaben an seinem Leben als Sohn, das heißt an seiner Liebe zum Vater und zu den Menschen: "Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen (Gal 5,25). Mit diesen Worten erinnert uns der Apostel Paulus daran, dass das christliche Dasein "geistliches Leben" ist, das heißt ein vom Geist beseeltes Leben, das von ihm zur Heiligkeit bzw. zur vollkommenen Liebe geführt wird.

Die Aussage des Konzils, "dass alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen sind",<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 40.</ref> findet eine besondere Anwendung auf die Priester: Sie sind nicht nur als Getaufte berufen, sondern auch und ganz besonders als Priester, das heißt mit einer neuen Würde und unter eigenständigen Bedingungen, die sich aus dem Weihesakrament ableiten lassen.

20 Eine sehr reiche und anregende Zusammenfassung über das "geistliche Leben" der Priester und die Hingabe und Verantwortlichkeit, zu "Heiligen" zu werden, bietet uns das Konzilsdekret über Dienst und Leben der Priester: "Das Weihesakrament macht die Priester Christus, dem Priester, gleichförmig. Denn sie sind Diener des Hauptes zur vollkommenen Auferbauung seines ganzen Leibes, der Kirche, und Mitarbeiter des Bischofsstandes. Schon in der Taufweihe haben sie, wie alle Christen, Zeichen und Geschenk der so hohen gnadenhaften Berufung zur Vollkommenheit empfangen, nach der sie, bei aller menschlichen Schwäche, streben können und müssen, wie der Herr sagt: Ihr aber sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist (Mt 5,48). Als Priester sind sie jedoch in besonderer Weise zum Streben nach dieser Vollkommenheit verpflichtet. Denn im Empfang des Weihesakramentes Gott auf neue Weise geweiht, sind sie lebendige Werkzeuge Christi, des ewigen Priesters, geworden, damit sie sein wunderbares Werk, das mit Kraft von oben die ganze menschliche Gesellschaft erneuert hat, durch die Zeiten fortzuführen vermögen. jeder Priester vertritt also, seiner Weihestufe entsprechend, Christus. Darum erhält er auch die besondere Gnade, durch den Dienst an der ihm anvertrauten Gemeinde und am ganzen Volk Gottes besser der Vollkommenheit dessen nachzustreben, an dessen Stelle er steht, und für die Schwäche seiner menschlichen Natur Heilung in der Heiligkeit dessen zu finden, der für uns ein heiliger, unschuldiger, unbefleckter, von den Sünden geschiedener Hoherpriester (Hebr 4,26) geworden ist".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 12.</ref>

Das Konzil betont vor allem die "gemeinsame" Berufung zur Heiligkeit. Diese Berufung hat ihre Wurzel in der Taufe, die den Priester als "Christgläubigen" (Christifidelis), als Bruder unter Brüdern" charakterisiert, der in das Volk Gottes eingebunden und mit ihm verbunden ist in der Freude, die Heilsgaben zu teilen (vgl. Eph 4,4-6) und in der gemeinsamen Verpflichtung, "gemäß dem Geist voranzugehen und dem einen Meister und Herrn zu folgen. Wir denken an das berühmte Wort des hl. Augustinus: Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ. Jenes ist ein übernommenes Amt, dieses Gnade; jenes bezeichnet Gefahr, dieses Heil und Rettung.<ref> Hl. Augustinus, Sermo 340, 1: PL 38, 1483.</ref>

Mit gleicher Klarheit spricht der Konzilstext auch von einer "spezifischen" Berufung zur Heiligkeit, genauer von einer Berufung, die sich auf das Weihesakrament als eigentliches und besonderes Sakrament des Priesters gründet, das kraft einer neuen Weihe an Gott realisiert wird. Auf diese Berufung besonderer Art spielt auch der hl. Augustinus an, wenn er dem Satz Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ" noch diese Worte folgen lässt: "Daher werde ich, auch wenn es für mich Grund zu größerer Freude ist, mit euch erlöst als an eure Spitze gestellt worden zu sein, dem Gebot des Herrn folgen und mich mit größtem Einsatz dem Dienst an euch widmen, um nicht gegenüber dem undankbar zu sein, der mich um den Preis erlöst hat, dass er mich zu eurem dienenden Mitbruder gemacht hat.<ref> Ebd.</ref>

Der Konzilstext fährt fort mit dem Hinweis auf einige Elemente, die notwendig sind, um den Inhalt des "Spezifikums" im geistlichen Leben der Priester näher zu bestimmen. Es sind Elemente, die im Zusammenhang stehen mit der "Weihe" der Priester, die sie Jesus Christus, dem Haupt und Hirten der Kirche, "gleichförmig macht"; mit der "Sendung" als dem kennzeichnenden Dienst der Priester, die sie dazu befähigt und verpflichtet, "lebendige Werkzeuge Christ, des ewigen Priesters", zu sein und "im Namen und in der Person Christi selbst" zu handeln; mit ihrem ganzen "Leben", das dazu berufen ist, auf eigenständige Weise die "Radikalität des Evangeliums<ref> Vgl. Propositio 8.</ref> zu bekunden und zu bezeugen.

Die Gleichgestaltung mit Jesus Christus, dem Haupt und Hirten, und die pastorale Liebe

21 Durch das Weihesakrament wird der Priester Jesus Christus als dem Haupt und Hirten der Kirche gleichgestaltet und empfängt als Geschenk eine "geistliche Vollmacht", die Teilhabe an der Autorität bedeutet, mit der Jesus Christus durch seinen Geist die Kirche führt.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 6.</ref>

Dank dieser vom Geist bei der Spendung des Weihesakramentes bewirkten Heilsgnade wird das geistliche Leben des Priesters von jenen Grundhaltungen und Ausdrucksweisen geprägt, geformt und gekennzeichnet, die Jesus Christus als Haupt und Hirt der Kirche eigen und in seiner Hirtenliebe zusammengefasst sind.

Jesus Christus ist Haupt der Kirche, die sein Leib ist. Er ist "Haupt" in dem neuen, eigentümlichen Sinn des "Diener-Seins", wie seine eigenen Worte bezeugen. "Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele" (Mk 10,45). Seine ganze Fülle erlangt der Dienst Jesu mit dem Kreuzestod, das heißt mit der totalen Selbsthingabe in Demut und Liebe: "Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz" (Phil 2,7-8). Die Autorität Jesu Christi als Haupt fällt also mit seinem Dienst zusammen, mit seiner Haltung des Schenkens, mit seiner totalen, demütigen und liebevollen Hingabe gegenüber der Kirche. All dies tat Christus in vollkommenem Gehorsam gegenüber dem Vater: Er ist der einzige wahre leidende Gottesknecht, zugleich Priester und Opfer.

Von dieser Art von Autorität, also vom Dienst gegenüber der Kirche, wird das geistliche Leben jedes Priesters als Anspruch aus seiner Gleichgestaltung mit Jesus Christus, dem Haupt und Diener der Kirche, beseelt und belebt.<ref> Vgl Propositio 8.</ref> So ermahnte der hl. Augustinus einen Bischof am Tag seiner Weihe: "Wer Haupt des Volkes ist, muss sich zuallererst bewusst sein, dass er der Diener vieler ist. Und verschmähe nicht, es zu sein, ich wiederhole, verschmähe nicht, der Diener vieler zu sein, denn der allerhöchste Herr hat es nicht verschmäht, unser Diener zu werden".<ref> Hl. Augustinus, Serm. Geulferb., 32,1: PLS 2, 637.</ref>

Das geistliche Leben der Diener des Neuen Bundes wird also von dieser Grundhaltung des Dienstes am Volk Gottes geprägt sein müssen (vgl. Mt 20,24ff; Mk 10,43-44), frei von jeder Anmaßung und von jedem Verlangen, die anvertraute Herde "zu beherrschen" (vgl. 1 Petr 5,2f.). Es geht um einen Dienst, der gern und nach Gottes Willen getan wird: Auf diese Weise werden die "Ältesten" der Gemeinde, also die Priester, Modell" für die Herde sein können, die ihrerseits dazu berufen ist, gegenüber der ganzen Welt diese priesterliche Haltung anzunehmen und der Fülle des menschlichen Lebens und seiner ganzheitlichen Befreiung zu dienen.

22 Das Bild von Jesus Christus als dem Hirten der Kirche, die seine Herde ist, greift inhaltlich den Gedanken von Jesus Christus als Haupt und Diener wieder auf und stellt ihn uns mit neuen und sehr eindrucksvollen Nuancen vor. Unter Bezugnahme auf die prophetische Ankündigung des Messias und Erlösers, der vom Psalmisten und vom Propheten Ezechiel jubelnd besungen wird (vgl. Ps 23; Ez 34,11 ff.), stellt sich Jesus selbst als "der gute Hirte" (Joh 10,11. 14) nicht nur Israels, sondern aller Menschen vor (vgl. Job 10,16). Und sein Leben ist ein ununterbrochener Erweis, ja eine tägliche Verwirklichung seiner Hirtenliebe": Er hat Mitleid mit den Menschen, weil sie müde und erschöpft sind wie Schafe, die keinen Hirten haben (vgl. Mt 9,35-36); er sucht die Verlorenen und Verirrten (vgl. Mt 18,12-14) und feiert ihr Wiederheimfinden, er sammelt und verteidigt sie, er kennt sie und ruft sie einzeln beim Namen (vgl. Joh 10,3), er führt sie auf grüne Weiden und zum Ruheplatz am Wasser (vgl. Ps 23,2), er bereitet für sie einen Tisch und nährt sie mit seinem eigenen Leben. Dieses Leben bringt der Gute Hirte durch seinen Tod und seine Auferstehung als Opfer dar, wie es die Liturgie der römischen Kirche besingt: "Auferstanden ist der Gute Hirt. Er gab sein Leben für seine Schafe. Er ist für seine Herde gestorben. Halleluja".<ref> Römisches Messbuch, Kommunion-Antiphon der Messe des vierten Sonntags der Osterzeit.</ref>

Petrus nennt Jesus den "obersten Hirten" (1 Petr 5,4), weil sein Werk und seine Sendung durch die Apostel (vgl. Joh 21,15ff.) und ihre Nachfolger (vgl. 1 Petr 5,lff.) und durch die Priester in der Kirche fortgeführt werden. Kraft ihrer Weihe werden die Priester Jesus, dem Guten Hirten, gleichgestaltet und sind dazu berufen, seine Hirtenliebe nachzuahmen und mit ihrem Leben zu bezeugen.

Das Sich-Schenken Christi an die Kirche als Frucht seiner Liebe ist gekennzeichnet von jener ursprünglichen Hingabe, die dem Bräutigam gegenüber der Braut eigen ist, woran die heiligen Texte immer wieder erinnern. Jesus ist der wahre Bräutigam, der die Kirche den Wein des Heils darbietet (vgl. Joh 2,11). Er, der "das Haupt der Kirche ist und sie gerettet hat, denn sie ist sein Leib" (Eph 5,23), "hat die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben, um sie im Wasser und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten oder andere Fehler, heilig soll sie sein und makellos" (Eph 5,25-27). Die Kirche ist der Leib, in dem Christus, das Haupt, gegenwärtig und wirksam ist, aber sie ist auch die Braut, die als neue Eva aus der geöffneten Seite des Erlösers am Kreuz erwächst: Darum steht Christus "vor" der Kirche, nährt und pflegt" sie (Eph 5,29) durch die Hingabe seines Lebens für sie. Der Priester ist berufen, lebendiges Abbild Jesu Christi, des Bräutigams der Kirche, zu sein:<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988).</ref> Sicher, er bleibt immer Teil der Gemeinde, als Glaubender zusammen mit allen anderen vom Geist zusammengerufenen Brüdern und Schwestern, aber kraft seiner Gleichgestaltung mit Christus, dem Haupt und Hirten, befindet er sich der Gemeinde gegenüber in dieser Haltung des Bräutigams. "Insofern er Christus als Haupt, Hirt und Bräutigam der Kirche darstellt, steht der Priester nicht nur in der Kirche, sondern auch der Kirche gegenüber".<ref> Propositio 7.</ref> Er ist also dazu berufen, in seinem geistlichen Leben die Liebe des Bräutigams Christus zu seiner Braut, der Kirche, wiederzubeleben. Sein Leben soll auch von diesem Wesensmerkmal erleuchtet und angeleitet werden, das von ihm verlangt, Zeuge der Liebe Christi als des Bräutigams seiner Kirche und somit fähig zu sein, das Volk zu lieben mit neuem, großem und reinem Herzen, mit echtem Abstand zu sich selbst, mit voller, ständiger und treuer Hingabe und zugleich mit einer Art göttlicher "Eifersucht" (vgl. 2 Kor 11,2), mit einer Zartheit, die sich sogar Nuancen der mütterlichen Liebe zu eigen macht und .Geburtswehen" erleidet, bis "Christus in den Gläubigen Gestalt annimmt" (vgl. Gal 4,19).

23 Das innere Prinzip, die Kraft, die das geistliche Leben des Priesters, insofern er Christus, dem Haupt und Hirten, nachgebildet ist, beseelt und leitet, ist die pastorale Liebe, die Teilhabe an der Hirtenliebe Jesu Christi. Sie ist unverdientes Geschenk des Heiligen Geistes und zugleich Aufgabe und Appell an die freie und verantwortungsvolle Antwort des Priesters.

Der wesentliche Gehalt der pastoralen Liebe ist die Verfügbarkeit des eigenen Ich als ganzheitliche Selbsthingabe an die Kirche, nach dem Vorbild und in Teilnahme an der Hingabe Christi. "Die pastorale Liebe ist die Tugend, mit der wir Christus in seiner Selbsthingabe und in seinem Dienst nachahmen. Nicht nur was wir tun, sondern unsere Selbsthingabe zeigt die Liebe Christi zu seiner Herde. Die pastorale Liebe bestimmt unser Denken und Handeln, die Art unseres Umgangs mit den Menschen. Und sie erweist sich als besonders anspruchsvoll für uns...".<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der eucharistischen Anbetung (Seoul, 7. Oktober 1989), 2: Insegnamenti, XII, 2 (1989) 785.</ref>

Empfängerin der Selbsthingabe, als der Wurzel und Synthese der pastoralen Liebe, ist die Kirche. Das galt für Christus, der "die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat" (Eph 5,25); das soll auch für den Priester gelten. Durch die pastorale Liebe, die die Ausübung des Priesteramtes als "amoris officium<ref> Hl. Augustinus, Tract. in Io., 123, 5: PL 35 1967.</ref> prägt, "ist der Priester, der die Berufung zum Dienst empfängt, in der Lage, daraus eine Liebesentscheidung zu machen, aufgrund welcher die Kirche und die Seelen zu seinem Hauptinteresse werden. Er selbst wird durch diese konkrete Spiritualität fähig, die Universalkirche und jenen Teil von ihr, der ihm anvertraut ist, zu lieben mit der ganzen Beschwingtheit eines Bräutigams gegenüber der Braut".<ref>Johannes Paul II., An die Priester, die an einem von der CEI ausgerichteten Kongress teilnahmen (4. November 1980).</ref> Die Selbsthingabe hat keine Grenzen, da sie von der apostolischen und missionarischen Beschwingtheit Christi, des Guten Hirten, gekennzeichnet ist, der gesagt hat: "Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten" (Joh 10,16).

Innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft betreibt und erfordert die pastorale Liebe des Priesters ganz besonders seine persönliche Beziehung zu dem in und mit dem Bischof verbundenen Presbyterium, wie das Konzil ausdrücklich schreibt: "Die Hirtenliebe erfordert, dass die Priester, um nicht ins Leere zu laufen, immer in enger Verbindung mit den Bischöfen und mit den anderen Mitbrüdern im Priesteramt arbeiten".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 14.</ref>

Die Selbsthingabe an die Kirche betrifft die Kirche als Leib und Braut Jesu Christi. Darum bezieht sich die Liebe des Priesters in erster Linie auf Jesus Christus: Nur wenn er Christus als Haupt und Bräutigam liebt und ihm dient, wird die Liebe zur Quelle, zum Kriterium, Maßstab und Anstoß für die Liebe und den Dienst des Priesters an der Kirche als Leib und Braut Christi. Dessen war sich der Apostel Paulus mit klarer Eindringlichkeit bewusst, als er an die Christen der Kirche von Korinth schrieb: "Wir aber sind eure Knechte um Jesu willen" (2 Kor 4,5). Das ist vor allem die ausdrückliche und programmatische Lehre Jesu, wenn er Petrus erst nach dessen dreifacher Liebesbezeugung - ja, einer Liebe, die schon "Vorzugsliebe" ist - den Auftrag erteilt, seine Herde zu weiden: "Zum drittenmal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? ... Petrus sagte zu ihm: Herr, du weißt alles, du weißt, dass ich dich lieb habe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe. . ." (Joh 21,17).

Die Hirtenliebe, die ihren spezifischen Ursprung im Weihesakrament hat, findet in der Eucharistie ihren vollen Ausdruck und ihre wichtigste Nahrung: "Diese Hirtenliebe erwächst am stärksten aus dem eucharistischen Opfer. Es bildet daher Mitte und Wurzel des ganzen priesterlichen Lebens, sodass der Priester in seinem Herzen auf sich beziehen muss, was auf dem Opferaltar geschieht".<ref> Ebd.</ref> Denn in der Eucharistie wird das Kreuzesopfer, die totale Selbsthingabe Christi an seine Kirche, das Geschenk seines hingegebenen Leibes und seines vergossenen Blutes von neuem gegenwärtig gemacht als erhabenstes Zeugnis dafür, dass er Haupt und Hirt, Diener und Bräutigam der Kirche ist. Eben deshalb erwächst die Hirtenliebe des Priesters nicht nur aus der Eucharistie, sondern findet in ihrer Feier gleichzeitig ihre höchste Verwirklichung, sodass er aus der Eucharistie die Gnade und Verantwortung empfängt, seine ganze Existenz im Sinn des Opfers Jesu Christi zu prägen.

Diese pastorale Liebe stellt das innere und dynamische Prinzip dar, das die vielfältigen und verschiedenen Tätigkeiten des Priesters zu vereinigen vermag. Durch sie kann der wesentliche und dauernde Anspruch einer Einheit zwischen dem inneren Leben und den vielen Aktivitäten und Verantwortlichkeiten des priesterlichen Dienstes realisiert werden; es handelt sich um ein äußerst dringendes Erfordernis in einem soziokulturellen und ekklesialen Kontext, der stark von Kompliziertheit, Bruchstückhaftigkeit und Zersplitterung gezeichnet ist. Allein die Ausrichtung jedes Augenblicks und jeder Handlung auf die grundlegende und qualifizierende Entscheidung, .das Leben für die Herde hinzugeben", vermag diese Einheit zu gewährleisten, die für die harmonische Ausgeglichenheit und das geistige Gleichgewicht des Priesters lebensnotwendig, ja unerlässlich ist: "Die Priester können diese Lebenseinheit erreichen, wenn sie in der Ausübung ihres Amtes dem Beispiel Christi, des Herrn, folgen, dessen Speise es war, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hatte, um sein Werk zu vollenden ... Wenn sie so die Rolle des Guten Hirten übernehmen, werden sie gerade in der Betätigung der Hirtenliebe das Band der priesterlichen Vollkommenheit finden, das ihr Leben und Wirken zur Einheit verknüpft".<ref> Ebd.</ref>

Das geistliche Leben in der Ausübung des Priesteramtes

24 Der Geist des Herrn hat Christus gesalbt und ihn gesandt, damit er das Evangelium verkünde (vgl. Lk 4,18). Die Sendung ist kein äußerliches Element neben der Weihe, sondern sie stellt deren inneres Lebensziel dar: die Weihe ist um der Sendung willen da. Somit steht nicht nur die Weihe, sondern auch die Sendung unter dem Zeichen des Geistes, unter seinem heiligenden Einfluss.

So war es bei Jesus. So war es bei den Aposteln und bei ihren Nachfolgern. So ist es bei der ganzen Kirche und in ihr bei den Priestern: alle empfangen den Geist als Geschenk und Aufruf zur Heiligung sowohl im eigenen Inneren wie bei der Erfüllung ihrer Sendung.<ref> Vgl. Paul VI., Evangelii nuntiandi, 75.</ref>

Es besteht also eine innige Beziehung zwischen dem geistlichen Leben des Priesters und der Ausübung seines Dienstes,<ref> Propositio 8.</ref> was das Konzil so formuliert: "Indem sie also den Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit erfüllen (vgl. 2 Kor 3,8-9), werden sie (die Priester) im Leben des Geistes gefestigt, sofern sie nur auf Christi Geist, der sie belebt und führt, hören. Gerade die täglichen heiligen Handlungen, wie ihr gesamter Dienst, den sie in Gemeinschaft mit dem Bischof und ihren priesterlichen Mitbrüdern ausüben, lenken sie auf ein vollkommeneres Leben hin. Die Heiligkeit der Priester wiederum trägt im höchsten Maß zur größeren Fruchtbarkeit ihres besonderen Dienstes bei".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis,12.</ref>

"Ahme nach, was du vollziehst, und stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes!" Diese mahnende Aufforderung richtet die Kirche beim Weiheritus an den Priester, wenn ihm die Gaben des heiligen Volkes für das eucharistische Opfer überreicht werden. Das "Geheimnis", dessen Verwalter" (vgl. 1 Kor 4,1) der Priester ist, ist letzten Endes Jesus Christus Selbst, der im Geist Quelle der Heiligkeit und Aufruf zur Heiligung ist. Dieses "Mysterium" erfordert seine Bezeugung im konkreten Lebensvollzug des Priesters. Dazu bedarf es großer Wachsamkeit und eines lebendigen Bewusstseins. Wiederum ist es der Weiheritus, der den vorhin erwähnten Worten die Empfehlung vorausschickt: "Bedenke, was du tust." Schon Paulus mahnte den Bischof Timotheus: "Vernachlässige die Gnade nicht, die in dir ist" (1 Tim 4,14; vgl. 2 Tim 1,6).

Die Beziehung zwischen dem geistlichen Leben und der Ausübung des priesterlichen Dienstamtes kann auch von der pastoralen Liebe her erklärt werden, die ihm durch das Weihesakrament zugeeignet wird. Der priesterliche Dienst muss, eben weil er teilhat am heilbringenden Dienst Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, dessen Hirtenliebe, die zugleich die Quelle und der Geist seines Dienstes und seiner Selbsthingabe ist, neu zum Ausdruck bringen und beleben. In seiner objektiven Realität ist der priesterliche Dienst nach dem zitierten Wort des hl. Augustinus "officium amoris": Eben diese objektive Realität gilt als Fundament und Aufforderung zu einem entsprechenden Ethos, das nichts anderes bedeuten kann, als die Liebe vorzuleben, wie der hl. Augustinus gleichfalls darlegt: "Sit amoris officium pascere dominicum gregem"<ref> Hl. Augustinus, Tract. in Io., 123, 5: a.a.O.</ref> ("Die Pflicht der Liebe soll es sein, die Herde des Herrn zu weiden"). Dieses Ethos des geistlichen Lebens ist nichts anderes als im Bewusstsein und in Freiheit, also im Geist, im Herzen, in den Entscheidungen und Handlungen, die "Wahrheit" des priesterlichen Dienstes als Officium amoris anzunehmen.

25 Für ein geistliches Leben, das sich durch die Ausübung des Dienstes entfaltet, ist es wesentlich, dass der Priester das Bewusstsein, kraft des Weihesakramentes und der Gleichgestaltung mit Christus, dem Haupt und Hirten der Kirche, Diener Jesu Christi zu sein, ständig erneuert und weiter vertieft.

Ein solches Bewusstsein entspricht nicht nur dem wahren Wesen der Sendung, die der Priester für die Kirche und die Menschheit erfüllt, sondern ist auch entscheidend für das geistliche Leben des Priesters beim Vollzug dieser Sendung. Denn der Priester wird ja von Christus nicht wie eine Sache" erwählt, sondern als "Person": er ist kein träges, passives Werkzeug, sondern ein Lebendiges Werkzeug": so drückt sich das Konzil dort aus, wo es davon spricht, dass die Priester zum Streben nach Vollkommenheit verpflichtet sind.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis,12.</ref> Ebenfalls spricht das Konzil von den Priestern als den "Gefährten und Helfern" des "heiligen und heiligenden" Gottes.<ref>Ebd., 5.</ref>

In diesem Sinne ist die bewusste, freie und verantwortliche Person des Priesters in die Ausübung des Dienstes auf das tiefste miteinbezogen. Die Verbundenheit mit Jesus Christus, die durch die im Sakrament empfangene Weihe und die Gleichgestaltung gewährleistet wird, begründet und erfordert beim Priester eine weitere Bindung, die aus seiner Grundintention", das heißt aus seinem bewussten und freien Willen kommt, durch seinen Dienst das zu tun, was die Kirche zu tun vorhat. Eine Bindung neigt aufgrund ihrer Natur dazu, im Leben möglichst umfassend und tiefgreifend zu werden. Dies geschieht dadurch, dass sie den Verstand, die Gefühle, das Leben, also eine Reihe moralischer und spiritueller "Dispositionen" prägt, die dem amtlichen Handeln des Priesters entsprechen.

Es besteht kein Zweifel, dass die Ausübung des priesterlichen Dienstes, im besonderen die Feier der Sakramente, ihre Heilswirksamkeit von dem in den Sakramenten gegenwärtig gemachten Handeln Jesu Christi selbst erhält. Aber aufgrund eines göttlichen Planes, der die absolute Unverdientheit der Heilsrettung hervorhebt" indem er aus dem Menschen einen "Geretteten" und zugleich - immer und nur mit Jesus Christus - einen "Retter" macht, ist die Wirksamkeit der Dienstausübung auch mitbedingt von der größeren oder geringeren Annahme und Teilnahme.<ref> Vgl. Konzil von Trient, Sess. VI, cap. 7; Sess. VII, can. 6 (DS 1592; 1606).</ref> Im besonderen beeinflusst die größere oder geringere Heiligkeit des Dieners tatsächlich die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente, die Leitung der Gemeinde in Liebe. Das alles bestätigt das Konzil ganz klar: "Die Heiligkeit der Priester ( ... ) trägt in höchstem Maß zur größeren Fruchtbarkeit ihres besonderen Dienstes bei. Denn obwohl die Gnade Gottes auch durch unwürdige Diener das Heilswerk durchführen kann, so will Gott doch seine Heilswunder für gewöhnlich lieber durch diejenigen kundtun, die sich dem Antrieb und der Führung des Heiligen Geistes mehr geöffnet haben und darum wegen ihrer innigen Verbundenheit mit Christus und wegen eines heiligmäßigen Lebens mit dem Apostel sprechen können: Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir (Gal 2,20)".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis,12.</ref>

Das Wissen darum, Diener Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, zu sein, bringt auch das dankbare und freudige Bewusstsein mit sich, von Jesus Christus eine einzigartige Gnade empfangen zu haben: die Gnade und das Glück, vom Herrn unverdientermaßen als "lebendiges Werkzeug" seines Heilswirkens erwählt worden zu sein. Diese Erwählung bezeugt die Liebe Jesu Christi zum Priester. Gerade diese Liebe verlangt genauso und noch mehr als jede andere Liebe Erwiderung. Nach seiner Auferstehung stellt Jesus an Petrus die grundlegende Frage nach seiner Liebe: "Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese?" Und auf die Antwort des Petrus folgt die Betrauung mit der Sendung: "Weide meine Lämmer!" (Ich 21,15) Jesus fragt Petrus, ob er ihn liebe, zunächst um ihm seine Herde anvertrauen zu können. Tatsächlich aber ist die freie und zuvorkommende Liebe Jesu selbst die auslösende Ursache dafür, dass er dem Apostel seine Frage stellt und ihm "seine" Schafe anvertraut. Alles Handeln des Priesters zielt dahin, die Kirche zu lieben und ihr zu dienen und ist gleichzeitig darauf ausgerichtet, immer mehr zu reifen in der Liebe zu und im Dienst für Jesus Christus, der Haupt, Hirte und Bräutigam der Kirche ist. Es handelt sich um eine Liebe, die sich stets nur als Antwort auf die zuvorkommende, freie und unverdiente Liebe Gottes in Christus gestaltet. Das Wachsen in der Liebe zu Jesus Christus bestimmt seinerseits das Wachsen in der Liebe zur Kirche: "Wir sind eure Hirten (pascimus vobis), gemeinsam mit euch empfangen wir Nahrung (pascimur vobiscum). Der Herr gebe uns die Kraft, euch so zu lieben, dass wir entweder wirklich oder im Herzen (aut effectu aut affectu) für euch sterben können.<ref> Hl. Augustinus, Sermo de Nat. Sanct. Apost. Petri et Pauli ex Evangelio in quo ait: Simon Iohannis diligis me?. Bibliotheca Casinensis, in: "Miscellanea Augustiniana", Bd. I, hrsg. von G. Morin, O.S.B., Rom, Tip. Poligl. Vat., 1930, S. 404.</ref>

26 Dank der wertvollen Lehre des II. Vatikanischen Konzils<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 4-6;13.</ref> können wir die Bedingungen und Erfordernisse, die Auswirkungen und Früchte der engen Beziehung zwischen dem geistlichen Leben des Priesters und der Ausübung seines dreifachen Dienstamtes - Dienst des Wortes, Dienst der Sakramente und Dienst der Liebe - erfassen.

Der Priester ist zunächst Diener des Wortes Gottes, er ist geweiht und gesandt, allen das Evangelium vom Reich Gottes zu verkünden, indem er jeden Menschen zum Glaubensgehorsam ruft und die Gläubigen zu einer immer tieferen Kenntnis und Gemeinschaft des Geheimnisses Gottes führt, das uns in Christus geoffenbart und mitgeteilt wurde. Darum muss der Priester zuallererst selber eine große persönliche Vertrautheit mit dem Wort Gottes entwickeln: Für ihn genügt es nicht, dessen sprachlichen oder exegetischen Aspekt zu kennen, der sicher auch notwendig ist; er muss sich dem Wort mit bereitem und betendem Herzen nähern, damit es tief in seine Gedanken und Gefühle eindringt und in ihm eine neue Gesinnung erzeugt - "den Geist Christi" (1 Kor 2,16), sodass seine Worte, Entscheidungen, Einstellungen und Haltungen zunehmend eine Transparenz, eine Verkündigung und ein Zeugnis des Evangeliums darstellen. Nur wenn er im Wort "bleibt", wird der Priester ein vollkommener jünger des Herrn werden, wird er die Wahrheit erkennen und wirklich frei sein nach Überwindung von allem, was dem Evangelium entgegengesetzt oder fremd ist (vgl. Joh 8,31-32). Der Priester muss der erste "Glaubende" des Wortes sein in dem vollen Bewusstsein, dass die Worte seines Dienstes nicht "seine", sondern die Worte dessen sind, der ihn ausgesandt hat. Er ist nicht der Herr dieses Wortes: er ist Diener. Er ist auch nicht der alleinige Besitzer dieses Wortes: er ist Schuldner gegenüber dem Volk Gottes. Eben weil er evangelisiert und damit er tatsächlich evangelisieren kann, muss der Priester wie die Kirche in dem Bewusstsein wachsen, dass er es nötig hat, selbst ständig evangelisiert zu werden.<ref> Vgl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi, 15: a.a.O., 13-15.</ref> Er verkündet des Wort in seiner Eigenschaft als "Diener", der an der prophetischen Vollmacht Christi und der Kirche teilhat. Um selbst die Gewähr zu haben und den Gläubigen die Gewähr zu geben, dass er das Evangelium vollständig und unversehrt weitergibt, ist der Priester daher berufen, eine besondere Sensibilität, Liebe und Offenheit gegenüber der lebendigen Überlieferung der Kirche und ihres Lehramtes zu entwickeln: Diese stehen dem Wort nicht fern, sondern sie dienen seiner richtigen Auslegung und wachen über seinen authentischen Sinn.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Göttliche Offenbarung Dei Verbum, 8; 10.</ref>

Vor allem in der Feier der Sakramente und in der Feier des Stundengebetes soll der Priester die tiefe Einheit zwischen der Ausübung seines Dienstes und seinem geistlichen Leben erfahren und bezeugen: Die der Kirche als ganzer geschenkte Gnade zeigt sich als Ursprung der Heiligkeit und Aufruf zur Heiligung. Auch für den Priester gehört der zentrale Platz sowohl im Dienst wie im geistlichen Leben der Eucharistie, denn sie "enthält ja das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm und das lebendige Brot. Durch sein Fleisch, das durch den Heiligen Geist lebt und Leben schafft, spendet er den Menschen das Leben; so werden sie ermuntert und angeleitet, sich selbst, ihre Arbeiten und die ganze Schöpfung mit ihm darzubringen".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 5.</ref>

Von den verschiedenen Sakramenten und besonders von der jedem von ihnen eigenen, spezifischen Gnade erhält das geistliche Leben des Priesters Prägungen eigener Art. Es wird in der Tat aufgebaut und geformt von den vielfältigen Wesensmerkmalen und Ansprüchen der verschiedenen Sakramente, die vom Priester gefeiert und gelebt werden.

Ein eigenes Wort möchte ich dem Bußsakrament vorbehalten, dessen Verwalter und Spender die Priester sind; doch sollen sie auch Empfänger dieses Sakramentes sein und so zu Zeugen von Gottes Mitleid mit den Sündern werden. Das geistliche Leben und das pastorale Wirken des Priesters wie auch der Laien und Ordensleute, die seine Geschwister sind, hängen vom häufigen und bewussten Empfang des Bußsakramentes ab. Ich wiederhole, was ich in dem Apostolischen Schreiben Reconciliatio et paenitentia geschrieben habe: "Die Feier der Eucharistie und der Dienst der anderen Sakramente, der pastorale Eifer, die Beziehung zu den Gläubigen, die Verbundenheit mit den Mitbrüdern, die Zusammenarbeit mit dem Bischof, das Gebetsleben, ja die ganze priesterliche Existenz würden unweigerlich schweren Schaden nehmen, wenn man es aus Nachlässigkeit oder anderen Gründen unterließe, regelmäßig und mit echtem Glauben und tiefer Frömmigkeit das Bußsakrament zu empfangen. Wenn ein Priester nicht mehr zur Beichte geht oder nicht gut beichtet, so schlägt sich das sehr schnell in seinem priesterlichen Leben und Wirken nieder, und auch die Gemeinde, deren Hirte er ist, wird dessen bald gewahr".<ref> Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Reconciliatio et paenitentia über Versöhnung und Buße in der Sendung der Kirche heute (2. Dezember 1984), 31, VI: AAS 77 (1985) 265-266.</ref>

Schließlich ist der Priester berufen, die Vollmacht und den Dienst Jesu Christi, des Hauptes und Hirten der Kirche, dadurch im Leben zu bezeugen, dass er die kirchliche Gemeinschaft anregt und führt, das heißt "die Familie Gottes, die als Gemeinschaft von Brüdern nach Einheit verlangt", versammelt und "sie durch Christus im Heiligen Geist zum Vater" führt.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 6.</ref> Dieses "munus regendi" als Amt der Leitung ist eine sehr heikle und komplizierte Aufgabe, die außer der Aufmerksamkeit für die einzelnen Personen und verschiedenen Berufungen die Fähigkeit einschließt, alle Gaben und Charismen, die der Geist in der Gemeinschaft weckt, zu koordinieren, indem er sie prüft und ihren Wert für die Auferbauung der Kirche im Einklang mit den Bischöfen zur Geltung bringt. Es ist ein Dienst, der vom Priester ein intensives geistliches Leben erfordert, das in reichem Maße jene Eigenschaften und Tugenden aufweist, wie sie den "Vorsteher" und "Leiter" einer Gemeinde, den "Ältesten" im vornehmsten und erhabensten Sinne des Wortes, kennzeichnen. Diese Eigenschaften sind Treue, Konsequenz, Weisheit, Gastfreundlichkeit gegenüber allen, Liebenswürdigkeit und Güte, feste Autorität in den wesentlichen Dingen, Freisein von allzu subjektiven Standpunkten, persönliche Selbstlosigkeit, Geduld, Gefallen am täglichen Einsatz, Vertrauen in das verborgene Wirken der Gnade, das an den Einfachen und Armen offenbar wird (vgl. Tit 1,7f.).

Das Leben des Priesters und die Radikalität des Evangeliums

27 "Der Geist des Herrn ruht auf mir" (Lk 4,18). Der im Weihesakrament ausgegossene Heilige Geist ist Quelle der Heiligkeit und Aufforderung zur Heiligung, nicht nur weil er dem Priester Christus, dem Haupt und Hirten der Kirche, gleichgestaltet ist und ihm aufträgt, die Sendung des Propheten, Priesters und Königs im Namen und in der Person Christi zu erfüllen, sondern auch, weil er sein tägliches Leben beseelt und belebt, indem er es durch Gaben und Aufgaben, durch Tugenden und Impulse bereichert, die in der Hirtenliebe zusammengefasst sind. Eine ähnliche Liebe ist die einigende Synthese der evangelischen Werte und Tugenden und bildet zugleich die Kraft, die ihre Entfaltung bis zur christlichen Vollkommenheit unterstützt.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 42.</ref>

Die Radikalität des Evangeliums ist für alle Christen ohne Ausnahme ein grundlegender und unverzichtbarer Anspruch, der aus dem Anruf Christi erwächst, ihm aufgrund der vom Geist bewirkten innigen Verbundenheit mit ihm zu folgen und ihn nachzuahmen (vgl. Mt 6,18ff.; 10,37ff.; Mk 8,3438; 10,17-21; Lk 9,57ff.). Dieser Anspruch stellt sich für die Priester wiederum nicht nur, weil sie "in" der Kirche sind, sondern auch, weil sie der Kirche "gegenüber" stehen, insofern sie Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet, zum geweihten Dienstamt zugelassen und bestellt und von seiner Hirtenliebe beseelt sind. Als inneren Kern und äußere Konsequenz dieser Radikalität des Evangeliums gibt es eine reiche Blüte vielfältiger Tugenden und sittlicher Ansprüche, die für das pastorale und geistliche Leben des Priesters entscheidend sind, wie z. B. Glaube, Demut vor dem Geheimnis Gottes, Barmherzigkeit und Klugheit. Bevorzugter Ausdruck dieser Radikalität sind die verschiedenen "evangelischen Räte", die Jesus in der Bergpredigt vorschlägt (vgl. Mt 5-7); unter diesen Räten sind die Lebenshaltungen von Gehorsam, Keuschheit und Armut eng miteinander verbunden:<ref> Propositio 9.</ref> Der Priester ist berufen, sie entsprechend jenen Bedingungen und Zielsetzungen und gemäß jenen ursprünglichen Sinngehalten zu leben, die Quelle und Ausdruck der ihm eigenen Identität sind.

28 "Zu den Tugenden, die für den Dienst der Priester besonders erfordert sind, muss man als ständige Seelenhaltung die innerste Bereitschaft zählen, nicht den eigenen Willen zu suchen, sondern den Willen dessen, der sie gesandt hat" (vgl. Joh 4,34; 5,30; 6,38).<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 15.</ref> Das ist der Gehorsam, der im Fall des geistlichen Lebens des Priesters einige besondere Wesensmerkmale aufweist.

Dieser Gehorsam ist zunächst ein "apostolischer" Gehorsam in dem Sinne, dass er die Kirche in ihrer hierarchischen Struktur anerkennt, liebt und ihr dient. Denn priesterlichen Dienst gibt es nur in Gemeinschaft mit dem Papst und mit dem Bischofskollegium, besonders mit dem eigenen Diözesanbischof; ihnen muss der Priester "den kindlichen Respekt und den Gehorsam" entgegenbringen, den er im Ritus der Priesterweihe gelobt hat. Diese Verfügbarkeit" gegenüber den kirchlichen Autoritätsträgern hat nichts Demütigendes an sich, sondern sie entspringt aus der verantwortungsvollen Freiheit des Priesters, der nicht nur die Erfordernisse eines organischen und organisierten kirchlichen Lebens auf sich nimmt, sondern auch jene Gnade der Unterscheidung und Verantwortung bei kirchlichen Entscheidung anerkennt, die Jesus seinen Aposteln und ihren Nachfolgern zugesagt hatte, damit das Geheimnis der Kirche zuverlässig gehütet und der christlichen Gemeinschaft insgesamt auf ihrem gemeinsamen Weg zum Heil gedient werde.

Der richtig motivierte und ohne servile Unterwürfigkeit gelebte echte christliche Gehorsam hilft dem Priester, die ihm übertragene Vollmacht gegenüber dem Volk Gottes mit evangelischer Transparenz auszuüben: ohne autoritäres Verhalten und ohne demagogische Entscheidungen. Nur wer in Christus zu gehorchen vermag, weiß, wie man nach dem Evangelium von anderen Gehorsam einfordern kann.

Der priesterliche Gehorsam stellt zudem einen "Gemeinschaftsanspruch" dar: Es ist nicht der Gehorsam eines einzelnen, der sich individuell mit der Autorität verbindet, er ist vielmehr zutiefst in die Einheit des Presbyteriums eingebunden; als solches ist das Presbyterium berufen, die einträchtige Zusammenarbeit mit dem Bischof und durch diesen mit dem Nachfolger Petri zu leben.<ref> Vgl. Ebd.</ref>

Diese Seite des Gehorsams erfordert vom Priester eine beachtliche Askese sowohl in dem Sinne, dass er es sich zur Gewohnheit macht, nicht zu sehr an seinen eigenen Vorlieben oder Standpunkten zu hängen, als auch in der Weise, dass er den Mitbrüdern Raum lässt, damit sie frei von jeder Eifersucht, Missgunst und Rivalität ihre Talente und Fähigkeiten zur Geltung bringen können. Der Gehorsam des Priesters ist ein solidarischer Gehorsam, der aus seiner Zugehörigkeit zum einen Presbyterium entspringt und mitverantwortliche Orientierungen und Entscheidungen immer in ihm und mit ihm angeht.

Schließlich ist dem priesterlichen Gehorsam ein besonderer "pastoraler" Charakter eigen. Das heißt, er wird in einem Klima der ständigen Verfügbarkeit, der Bereitschaft gelebt, sich von den Nöten und Bedürfnissen der Herde ergreifen und geradezu "aufzehren" zu lassen. Diese Nöte und Anliegen müssen wirklich berechtigt sein, und manchmal wird eine Auswahl und Überprüfung unumgänglich. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass das Leben des Priesters völlig "in Anspruch genommen" wird von dem Hunger nach dem Evangelium, nach Glauben, nach Hoffnung, nach Gottes Liebe und seinem Geheimnis, wie er in dem ihm anvertrauten Volk Gottes mehr oder weniger bewusst vorhanden ist.

29 Unter den evangelischen Räten, schreibt das Konzil, "ragt die kostbar göttliche Gnadengabe hervor, die der Vater einigen gibt (vgl. Mt 19,11; 1 Kor 7,7), die Jungfräulichkeit oder der Zölibat, in dem man sich leichter ungeteilten Herzens (vgl. 1 Kor 7,32-34) Gott allein hingibt. Diese vollkommene Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen wurde von der Kirche immer besonders in Ehren gehalten als Zeichen und Antrieb für die Liebe und als eine besondere Quelle geistlicher Fruchtbarkeit in der Welt".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 42.</ref> In der Jungfräulichkeit und im Zölibat bewahrt die Keuschheit ihren ursprünglichen Sinngehalt: Die menschliche Geschlechtlichkeit wird dabei als authentischer Ausdruck der Ziele und als wertvoller Dienst an interpersonaler Gemeinschaft und Hingabe gelebt. Dieser Sinngehalt ist in der Jungfräulichkeit voll bewahrt; diese verwirklicht gerade auch im Verzicht auf die Ehe die "bräutliche Bedeutung" des Leibes durch eine persönliche Bindung und Hingabe an Jesus Christus und seine Kirche, die die im jenseits zu erwartende vollkommene und endgültige Gemeinschaft und Hingabe ankündigen und vorwegnehmen: "In der Jungfräulichkeit steht der Mensch auch leiblich in der Erwartung der eschatologischen Hochzeit Christi mit der Kirche; er schenkt sich ganz der Kirche und hofft, dass Christus sich der Kirche schenken wird in der vollen Wahrheit des ewigen Lebens".<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute, Familiaris consortio (22. November 1981), 16: AAS 74 (1982) 98.</ref>

In diesem Licht lassen sich die Beweggründe für die Entscheidung leichter verstehen und beurteilen, die die Kirche des Abendlandes vor Jahrhunderten getroffen und an der sie festgehalten hat trotz aller Schwierigkeiten und der Einsprüche, die im Laufe der Zeit dagegen erhoben wurden, nämlich die Priesterweihe nur Männern zu erteilen, die den Beweis erbringen, dass sie von Gott zur Gabe der Keuschheit in der Lebensform der bedingungslosen und dauerhaften Ehelosigkeit berufen sind.

Die Synodenväter haben ihre Gedanken dazu klar und nachdrücklich in einer wichtigen Vorlage zum Ausdruck gebracht, die es verdient, vollständig und wörtlich wiedergegeben zu werden: Während die in den Ostkirchen geltende Disziplin beibehalten wird, erinnert die Synode in der festen Überzeugung, dass die vollkommene Keuschheit im priesterlichen Zölibat ein Charisma ist, die Priester daran, dass die Keuschheit ein unschätzbares Geschenk Gottes für die Kirche und einen prophetischen Wert für die heutige Welt darstellt. Diese Synode billigt und bekräftigt von neuem und mit Nachdruck alles, was die lateinische Kirche und einige östliche Riten fordern, nämlich dass die priesterliche Würde nur solchen Männern übertragen wird, die von Gott das Geschenk der Berufung zur Keuschheit in der Ehelosigkeit empfangen haben (ohne Vorurteil gegen die Tradition einiger orientalischer Kirchen und gegen die Sonderfälle zum Katholizismus konvertierter verheirateter Geistlicher; für diese Fälle sind in der Enzyklika Pauls Vl. über den priesterlichen Zölibat, Nr. 42, Ausnahmen vorgesehen). Die Synode will bei niemandem den geringsten Zweifel an der festen Entschlossenheit der Kirche aufkommen lassen, an dem Gesetz festzuhalten, das den zur Priesterweihe nach dem lateinischen Ritus ausersehenen Kandidaten den frei gewählten ständigen Zölibat auferlegt. Die Synode drängt darauf, dass der Zölibat in seinem vollen biblischen, theologischen und spirituellen Reichtum dargestellt und erläutert wird, nämlich als kostbares Geschenk Gottes an seine Kirche und als Zeichen des Reiches, das nicht von dieser Welt ist, Zeichen der Liebe Gottes zu dieser Welt sowie der ungeteilten Liebe des Priesters zu Gott und zum Volk Gottes, sodass der Zölibat als positive Bereicherung des Priestertums angesehen werden kann".<ref> Propositio 11.</ref>

Besonders wichtig ist es, dass der Priester die theologische Begründung des kirchlichen Zölibatsgesetzes erfasst. Als Gesetz drückt es noch vor dem Willen des einzelnen, der durch dessen Verfügbarkeit zum Ausdruck gebracht wird, den Willen der Kirche aus. Aber der Wille der Kirche findet seine letzte Begründung in dem Band, das den Zölibat mit der heiligen Weihe verbindet, die den Priester Jesus Christus, dem Haupt und Bräutigam der Kirche, gleichgestaltet. Die Kirche als Braut Jesu Christi will vom Priester mit der Vollständigkeit und Ausschließlichkeit geliebt werden, mit der Jesus Christus, das Haupt und der Bräutigam, sie geliebt hat. Der priesterliche Zölibat ist also Selbsthingabe in und mit Christus an seine Kirche und Ausdruck des priesterlichen Dienstes an der Kirche in und mit dem Herrn.

Für ein angemessenes geistliches Leben des Priesters darf der Zölibat nicht als ein isoliertes oder rein negatives Element , sondern immer als Aspekt einer positiven, ganz spezifischen und charakteristischen Lebensorientierung angesehen und gelebt werden: Er verlässt Vater und Mutter und folgt Jesus, dem Guten Hirten, in eine apostolische Gemeinschaft, um dem Volk Gottes zu dienen. Der Zölibat muss also als unschätzbares Geschenk Gottes, als "Antrieb der Hirtenliebe"<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 16.</ref> als einzigartige Teilnahme an Gottes Vaterschaft und an der Fruchtbarkeit der Kirche und als Zeugnis vor der Welt für das eschatologische Reich in freier und von Liebe getragener Entscheidung angenommen und unablässig erneuert werden. Um sämtliche moralischen, pastoralen und spirituellen Erfordernisse des priesterlichen Zölibats zu leben, braucht es unbedingt das demütige und vertrauensvolle Gebet, wie uns das Konzil lehrt: je mehr in der heutigen Welt viele Menschen ein Leben in vollkommener Enthaltsamkeit für unmöglich halten, um so demütiger und beharrlicher werden die Priester und mit ihnen die ganze Kirche die Gabe der Beständigkeit und Treue erflehen, die denen niemals verweigert wird, die um sie bitten. Zugleich werden sie alle übernatürlichen und natürlichen Hilfen anwenden, die jedem zur Verfügung stehen".<ref> Ebd.</ref> Auch wird das Gebet, in Verbindung mit den Sakramenten der Kirche und asketischem Eifer, in schwierigen Situationen Hoffnung, bei Verfehlungen Vergebung und dort, wo es gilt, sich neu auf den Weg zu machen, Vertrauen und Mut einflößen.

30 Die evangelische Armut haben die Synodenväter sehr treffend und tiefgründig beschrieben, wenn sie diese Haltung als "Unterordnung aller Güter unter das höchste Gut, nämlich Gott und sein Reich", darstellten.<ref> Propositio 8.</ref> Tatsächlich vermag nur der, der das Geheimnis Gottes als einziges und höchstes Gut, als wahren und endgültigen Reichtum betrachtet und lebt, die Armut zu verstehen und zu verwirklichen, die gewiss nicht Geringschätzung und Ablehnung der materiellen Dinge beinhaltet, sondern ein von Herzen dankbarer Gebrauch dieser Güter und zugleich ein freudiger Verzicht auf sie mit großer innerer Freiheit ist, die sich am Willen Gottes ausrichtet.

Die Armut des Priesters nimmt dadurch, dass er im Sakrament der Priesterweihe Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet wird, deutlich pastorale" Merkmale an; mit diesen Merkmalen haben sich die Synodenväter eingehend befasst und dazu die Konzilslehre<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 17.</ref> wieder aufgegriffen und weiterentwickelt. Sie schreiben unter anderem: "Nach dem Vorbild Christi, der, reich wie er war, aus Liebe zu uns arm geworden ist (vgl. 2 Kor 8,9), sollen die Priester die Armen und Schwachen als Menschen betrachten, die ihnen in besonderer Weise anvertraut sind; und sie müssen imstande sein, durch ein einfaches, strenges Leben Zeugnis zu geben von der Armut, indem sie sich daran gewöhnen, auf überflüssige Dinge bereitwillig zu verzichten" (Optatam totius, 9; CIC, can. 282).<ref> Propositio 10.</ref>

Zwar hat, "wer arbeitet, ein Recht auf seinen Lohn" (Lk 10,7), und der Herr hat denen, die das Evangelium verkündigen, geboten, vom Evangelium zu leben" (1 Kor 9,1-14); aber dieses Recht des Apostels darf absolut nicht mit einem Anspruch verwechselt werden, den Dienst am Evangelium und an der Kirche den Vorteilen und Interessen unterzuordnen, die daraus abgeleitet werden können. Einzig und allein die Armut gewährleistet dem Priester seine Bereitschaft, sich auch unter persönlichen Opfern dorthin senden zu lassen, wo seine Arbeit am dringendsten gebraucht wird. Sie ist die unerläßliche Bedingung und Voraussetzung dafür, dass der Apostel sich dem Geist fügt, der ihn bereitmacht zu "gehen" und, frei von Ballast und Bindungen, nur dem Willen des Meisters zu folgen (vgl. Lk 9,57-62; Mk 10,17-22).

Der Priester, der persönlich in das Leben der Gemeinde eingebunden. und für sie verantwortlich ist, muss auch bei der Verwaltung der Güter der Gemeinde das Zeugnis einer völligen "Transparenz" bieten; er soll diese Güter niemals so handhaben, als wären sie sein eigenes Vermögen, sondern als etwas, worüber er vor Gott sowie vor den Brüdern und Schwestern, vor allem den Armen gegenüber Rechenschaft ablegen muss. Das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu dem einen Presbyterium wird den Priester anspornen, sich engagiert sowohl für eine gerechtere Verteilung der Güter unter den Brüdern als auch für so etwas wie einen gemeinsamen Gütergebrauch einzusetzen (vgl. Apg 2,42-47).

Die innere Freiheit, die die evangelische Armut schützt und nährt, befähigt den Priester dazu, an der Seite der Schwächsten zu stehen; sich mit ihren Bemühungen um die Errichtung einer gerechteren Gesellschaft zu solidarisieren; mit mehr Einfühlungsvermögen und Fähigkeit die Phänomene zu verstehen und zu unterscheiden, die die wirtschaftliche und soziale Seite des Lebens betreffen, sowie die Option für die Armen zu fördern: Diese macht fähig - ohne jemanden von der Verkündigung und dem Geschenk des Heils auszuschließen -, sich nach dem Vorbild, das Jesus bei der Erfüllung seines prophetischen und priesterlichen Dienstes gegeben hat, den Geringen, den Sündern, den Ausgestoßenen und Randgruppen jeder Art zuzuwenden (vgl. Lk 4,18).

Nicht zu vergessen ist die prophetische Bedeutung der priesterlichen Armut, die in der Wohlstands- und Konsumgesellschaft besonders dringend ist: "Der wirklich arme Priester ist sicherlich ein konkretes Zeichen für die Trennung und Ablehnung und nicht für die Unterwerfung unter den Druck der modernen Welt, die ihr ganzes Vertrauen in das Geld und in die materielle Sicherheit legt".<ref> Ebd.</ref>

Jesus Christus, der am Kreuz seine Hirtenliebe in einer abgrundtiefen äußeren und inneren Lebenshingabe zur Vollkommenheit führte, ist das Vorbild und die Quelle für die Tugenden des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut, die der Priester seiner Berufung nach als Ausdruck der pastoralen Liebe zu den Brüdern und Schwestern leben soll. Der Priester soll, wie Paulus an die Christen von Philippi schreibt, "so gesinnt sein", wie Jesus gesinnt war, der sich selbst entäußerte, um in der gehorsamen, keuschen und armen Liebe den Lehr- und Lebensweg zur Vereinigung mit Gott und zur Einheit mit den Menschen zu finden (vgl. Phil 2,5).

Einsatz und Einbindung in der Teilkirche

31 Wie jedes wahrhaft christliche geistliche Leben hat auch das des Priesters eine wesentliche und unverzichtbare kirchliche Dimension: Es hat teil an der Heiligkeit der Kirche selbst, die wir im Credo als "Gemeinschaft der Heiligen" bekennen. Die Heiligkeit des Christen kommt von jener der Kirche her, sie verleiht ihr Ausdruck und bereichert sie zugleich. Diese kirchliche Dimension hat im geistlichen Leben des Priesters aufgrund seiner spezifischen Beziehung zur Kirche besondere Eigenschaften, Zielsetzungen und Sinngehalte, die immer von seiner Gleichgestaltung mit Christus, dem Haupt und Hirten, von seinem geweihten Amt und von seiner Hirtenliebe her zu verstehen sind.

Aus dieser Sicht muss die Zugehörigkeit des Priesters zur Teilkirche und sein hingebungsvoller Einsatz für sie als geistlicher Wert in seinem Leben angesehen werden. Diese Zugehörigkeit und Hingabe lassen sich ja in der Tat nicht nur durch organisatorische und disziplinäre Ursachen begründen. Im Gegenteil, die Beziehung zum Bischof in dem einen Presbyterium, die Teilnahme an seinem Bemühen um die Kirche, die Hingabe an die am Evangelium orientierte Sorge um das Volk Gottes unter den konkreten Bedingungen von Geschichte und Umwelt einer Teilkirche sind Elemente, von denen man nicht absehen kann, wenn man die eigentliche Gestalt des Priesters und seines geistlichen Lebens beschreibt. In diesem Sinne erschöpft sich die "Inkardination" nicht in einer reinen Rechtsverbindlichkeit, sondern bringt auch eine Reihe von geistlichen und pastoralen Haltungen und Entscheidungen mit sich, die dazu beitragen, dem Berufungsprofil des Priesters eine eigene Physiognomie zu verleihen.

Der Priester muss sich dessen bewusst sein, dass seine Zugehörigkeit zu einer Teilkirche ihrem Wesen nach ein kennzeichnendes Element ist, um eine christliche Spiritualität zu leben. In diesem Sinne findet der Priester gerade in seiner Zugehörigkeit und Hingabe an die Teilkirche eine Quelle für Sinngehalte, für Unterscheidungs- und Aktionskriterien, die sowohl seiner pastoralen Sendung als auch seinem geistlichen Leben Gestalt geben.

Zum Weg der Vervollkommnung können auch weitere inspirierende Impulse oder Hinweise auf andere Traditionen des spirituellen Lebens beitragen, wenn sie in der Lage sind, das Leben des einzelnen Priesters zu bereichern und das Presbyterium insgesamt durch wertvolle geistliche Gaben zu beleben. Das geschieht im Fall vieler alter und neuer kirchlicher Gemeinschaften, die auch Priester in ihren Kreis aufnehmen: von den Vereinigungen apostolischen Lebens bis zu den Säkularinstituten für Priester, von den verschiedenen Formen kommunitärer Spiritualität bis hin zu den neuen kirchlichen Bewegungen. Priester, die Mitglieder von Orden oder geistlichen Gemeinschaften sind, bedeuten einen geistlichen Reichtum für die gesamte Priesterschaft der Diözese, der sie den Beitrag ganz spezifischer Gnadengaben und qualifizierter Dienste anbieten. Durch ihre Anwesenheit spornen sie die Teilkirche dazu an, ihre Öffnung nach allen Seiten intensiver zu leben.<ref> Vgl. Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Mutuae relationes. Leitlinien für die gegenseitigen Beziehungen zwischen Bischöfen und Ordensleuten in der Kirche (14. Mai 1978), 18: AAS 70 (1978) 484-485.</ref>

Die Zugehörigkeit des Priesters zur Teilkirche und sein hingebungsvoller Einsatz, bis zur Hingabe des Lebens, für die Auferbauung der Kirche "in der Person" Christ, des Hauptes und Hirten, im Dienst an der ganzen christlichen Gemeinschaft und in herzlicher, kindlicher Beziehung zum Bischof werden von jedem anderen Charisma gestärkt, das von Anfang an zu einem priesterlichen Leben gehört oder sich ihm anschließt.<ref> Propositio 25 und 38.</ref>

Damit die Fülle der Geistesgaben mit Freude angenommen und zur Ehre Gottes und zum Wohl der ganzen Kirche fruchtbar gemacht wird, ist von seiten aller in erster Linie die Kenntnis und Unterscheidung der eigenen und der Gnadengaben der anderen erfordert. Die Anwendung dieser Charismen muss immer begleitet sein von christlicher Demut, vom Mut zur Selbstkritik, von dem Vorsatz - der Vorrang vor jeder anderen Sorge hat -, mitzuhelfen beim Aufbau der ganzen Gemeinde, in deren Dienst jedes einzelne Charisma gestellt ist. Außerdem wird von allen ein aufrichtiges Bemühen um gegenseitige Wertschätzung und Achtung und um eine aufeinander abgestimmte Bewertung aller im Priestertum vorhandenen positiven und berechtigten Unterschiede gefordert. Auch das alles gehört zum geistlichen Leben und zur ständigen Askese des Priesters.

32 Die Zugehörigkeit zur Teilkirche und die Hingabe an sie engen die Tätigkeit und das Leben des Priesters nicht auf die Teilkirche<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 23.</ref> ein: Sie können sie in der Tat gar nicht einengen sowohl wegen der Natur der Teilkirche, wie der des priesterlichen Dienstes. Das Konzil schreibt dazu: "Die Geistesgabe, die den Priestern in ihrer Weihe verliehen wurde, rüstet sie nicht für irgendeine begrenzte und eingeschränkte Sendung, sondern für die alles umfassende und universale Heilssendung bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8), denn jeder priesterliche Dienst hat teil an der weltweiten Sendung, die Christus den Aposteln aufgetragen hat".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, Vgl. Propositio 12.</ref>

Daraus ergibt sich, dass das geistliche Leben der Priester tief von einem Dynamismus missionarischen Bemühens geprägt sein muss. Es ist ihre Aufgabe, durch die Ausübung des Dienstes und das Zeugnis ihres Lebens die ihnen anvertraute Gemeinde als wahrhaft missionarische Gemeinde zu gestalten. Wie ich in der Enzyklika Redemptoris missio geschrieben habe, "müssen alle Priester ein missionarisches Herz und eine missionarische Mentalität haben. Sie müssen offen sein für die Anliegen der Kirche und der Welt; sie müssen auch die Fernstehenden beachten und vor allem die nichtchristlichen Gruppen in ihrer eigenen Umgebung. Im Gebet und besonders im eucharistischen Opfer mögen sie die Sorge der ganzen Kirche für die ganze Menschheit mittragen".<ref> Johannes Paul II., Enzyklika über die fortdauernde Gütigkeit des missionarischen Auftrag Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 67.</ref>

Wird das Leben der Priester großzügig von diesem missionarischen Geist beseelt, so wird das die Antwort auf jenes zunehmend ernste Problem in der heutigen Kirche, das aus der ungleichen Verteilung des Klerus entsteht, erleichtern. In diesem Sinne hat bereits das Konzil äußerst klare und eindringliche Worte gesprochen: Die Priester mögen also daran denken, dass ihnen die Sorge für alle Kirchen am Herzen liegen muss. Deshalb sollen sich die Priester jener Diözesen, die mit einer größeren Zahl von Berufungen gesegnet sind, gern bereit zeigen, mit Erlaubnis oder auf Wunsch des eigenen Ordinarius ihren Dienst in Gegenden, in Missionsgebieten oder in Seelsorgsaufgaben auszuüben, in denen es an Klerus mangelt".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 10.</ref>

"Erneuere in ihnen den Geist der Heiligkeit"

33 Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe . . ." (Lk 4,18). Jesus lässt auch heute in unserem Priesterherzen die Worte wieder erklingen, die er in der Synagoge von Nazaret gesprochen hat. In der Tat enthüllt uns unser Glaube die wirksame Anwesenheit des Geistes Christi in unserem Dasein, in unserem Handeln und in unserem Erleben so, wie das Weihesakrament sie gestaltet, ermöglicht und geformt hat.

Ja, der Geist des Herrn ist der große Hauptakteur unseres geistlichen Lebens. Er schafft in uns das "neue Herz", er beseelt und führt es durch das neue Gesetz" der Liebe, der Hirtenliebe Christi. Entscheidend für die Entfaltung des geistlichen Lebens ist das Bewusstsein, dass dem Priester niemals die Gnade des Heiligen Geistes fehlt - als völlig unverdientes Geschenk und als verantwortungsvolle Aufgabe. Das Wissen um dieses Geschenk begründet und stärkt in den Schwierigkeiten, Versuchungen und Schwächen, die sich auf dem geistlichen Weg einstellen, das unerschütterliche Vertrauen des Priesters.

Ich wiederhole für alle Priester noch einmal, was ich bei einer anderen Gelegenheit an viele von ihnen in der Homilie gesagt habe: "Die priesterliche Berufung ist im wesentlichen eine Berufung zur Heiligkeit in der Form, die aus dem Sakrament der Priesterweihe entspringt. Die Heiligkeit ist Vertrautheit mit Gott, sie ist Nachahmung des armen, keuschen und demütigen Christus sie ist vorbehaltlose Liebe zu den Seelen und Hingabe an ihr wahres Wohl; sie ist Liebe zur Kirche, die heilig ist und uns heiligen will, weil das die Sendung ist, die Christus ihr anvertraut hat. jeder von euch muss heilig sein, um auch den Brüdern zu helfen, ihrer Berufung zur Heiligkeit zu folgen.

Wie sollte man sich nicht Gedanken über die entscheidende Rolle machen, die der Heilige Geist in der dem Priesteramt eigenen Berufung entfaltet? Rufen wir uns die Worte des Ritus der Priesterweihe in Erinnerung, die für die wesentlichen in der sakramentalen Formel gehalten werden: Allmächtiger Gott, wir bitten dich: Gib deinen Knechten die priesterliche Würde. Erneuere in ihnen den Geist der Heiligkeit. Gib, o Gott, dass sie festhalten an dem Amt, das sie aus seiner Hand empfingen; ihr Leben sei für alle Ansporn und Richtschnur.

Durch die Priesterweihe empfangt ihr, meine Lieben, den Geist Christi, der euch ihm ähnlich macht, damit ihr in seinem Namen handeln und in euch seine Empfindungen erleben könnt. Die innige Gemeinschaft mit dem Geist Christi verlangt, während sie die Wirksamkeit der sakramentalen Handlung gewährleistet, die ihr in der Rolle Christi vernehmt, auch in der Glut des Gebetes Ausdruck zu finden, in der Konsequenz der Lebensführung, in der pastoralen Liebe eines Dienstes, der unermüdlich auf das Heil der Brüder ausgerichtet ist. Sie verlangt, mit einem Wort, eure persönliche Heiligung".<ref> Johannes Paul II., Predigt bei Messe mit 5.000 Priestern aus der ganzen Welt (9. Oktober 1984) 2: Insegnamenti, VIII, 2 (1984) 899.</ref>

KAPITEL IV: KOMMT UND SEHT.
Der Priesterberuf in der Pastoral der Kirche

Suchen, folgen, bleiben

34 "Kommt und seht!" (Joh 1,39). So antwortet Jesus den beiden Jüngern Johannes des Täufers auf ihre Frage, wo er wohne. Aus seinen Worten erfahren wir, was Berufung bedeutet.

Und so erzählt der Evangelist die Berufung von Andreas und Petrus: Am Tag darauf stand Johannes wieder dort, und zwei seiner jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister wo wohnst du? Er antwortete. Kommt und seht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde.

Andreas, der Bruder des Simon Petrus, war einer der beiden, die das Wort des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Er traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt. der Gesalbte (Christus). Erführte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)" (Joh 1,35-42).

Dieser Abschnitt des Evangeliums ist eine der Passagen der Heiligen Schrift, wo das "Geheimnis" der Berufung, in unserem Fall das Geheimnis der Berufung zum Apostel Jesu, beschrieben wird. Dem Abschnitt bei Johannes, der auch für die christliche Berufung als solche wichtig ist, kommt eine symbolhafte Bedeutung für den Priesterberuf zu. Als Gemeinschaft der jünger Jesu ist die Kirche dazu gerufen, diese Szene im Auge zu behalten, die sich in gewisser Weise in der Geschichte ständig wiederholt. Sie ist aufgefordert, den ursprünglichen, persönlichen Sinn der Berufung zur Nachfolge Christi im Priesteramt und die unauflöslichen Bande zwischen der göttlichen Gnade und der menschlichen Verantwortung zu vertiefen, wie sie das Wortpaar, dem wir im Evangelium öfter begegnen, enthält und verdeutlicht: Komm und folge mir nach (vgl. Mt 19,21). Die Kirche ist dringend dazu angehalten, die der Berufung eigene Dynamik, ihre stufenweise konkrete Entwicklung in den einzelnen Phasen - Jesus suchen, ihm folgen und bei ihm bleiben - zu entschlüsseln und zu durchlaufen.

Die Kirche erkennt in diesem "Evangelium der Berufung" das Grundmodell, die Kraft und den Antrieb für ihre Berufungspastoral, das heißt für die ihr aufgetragene Sendung, sich um das Entstehen, das Erkennen und die Begleitung von Berufungen, insbesondere der Berufungen zum Priestertum, zu kümmern. Die Tatsache, dass "der Priestermangel gewiss die Betrübnis jeder Kirche ist",<ref> Johannes Paul II., Ansprache zum Abschluss der Achten Weltbischofssynode (27. Oktober 1990), 5.</ref> erfordert es, dass die Pastoral für die geistlichen Berufe vor allem heute von allen Mitgliedern der Kirche mit neuem, tatkräftigem und entschlossenerem Engagement aufgenommen wird, in dem Bewusstsein, dass die Sorge für die Priesterberufe weder etwas Sekundäres oder Nebensächliches noch ein isoliertes oder ausschnitthaftes Element, sozusagen bloß ein wenn auch wichtiger "Teil" der Gesamtseelsorge der Kirche ist: Vielmehr ist sie, wie die Synodenväter wiederholt bekräftigt haben, eine zutiefst in die allgemeine Pastoral jeder Ortskirche einbezogene Tätigkeit,<ref> Vgl. Propositio 6.</ref> eine Sorge, die in die sogenannte "normale Seelsorge" integriert und voll mit ihr identifiziert werden muss,<ref> Vgl. Propositio 13.</ref> eine Dimension, die wesentlich zur Pastoral der Kirche, das heißt zu ihrem Leben und ihrer Sendung, gehört.<ref> Vgl. Propositio 4.</ref>

Ja, die Dimension der Berufung ist der Pastoral der Kirche wesenseigen. Der Grund dafür liegt darin, dass die Berufung gewissermaßen das tiefgründige Sein der Kirche noch vor ihrem Wirken definiert. Im Namen Kirche, Ecclesia, selbst wird der ihr eigene tiefere Charakter der Berufung angedeutet, denn die Kirche ist wirklich "zusammengerufene Versammlung", Versammlung derer, die gerufen bzw. berufen sind: "Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 9.</ref>

Eine im eigentlichen Sinne theologische Deutung der Priesterberufung und der sie betreffenden Pastoral kann nur aus der Deutung des Geheimnisses der Kirche als Mysterium vocationis erwachsen.

Die Kirche und das Geschenk der Berufung

35 Jede christliche Berufung hat ihre Grundlage in der unverdienten und zuvorkommenden Erwählung durch den Vater, der uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet [hat] durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen Willen zu ihm zu gelangen" (Eph 1,3-5).

Jede christliche Berufung kommt von Gott, ist Geschenk Gottes. Sie erfolgt jedoch niemals außerhalb oder unabhängig von der Kirche, sondern vollzieht sich immer in der Kirche und durch die Kirche, denn - so ruft uns das II. Vatikanische Konzil in Erinnerung - "Gott hat es gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volk zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll".<ref> Ebd.</ref>

Die Kirche vereint in sich nicht nur alle Berufungen, die Gott ihr auf ihrem Heilsweg schenkt, sondern sie erhält selbst ihre Gestalt als Geheimnis der Berufung, als leuchtender, lebendiger Widerschein des Mysteriums der göttlichen Trinität. Die Kirche, "das von der Einheit der Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zusammengerufene Volk",<ref> Hl. Cyprianus, De dominica Oratione, 23: CCL 3/A, 105.</ref> trägt in der Tat das Geheimnis des Vaters in sich, der, von niemandem gerufen und gesandt (vgl. Röm 11,33 ff.), alle ruft, seinen Namen zu heiligen und seinen Willen zu erfüllen; sie hütet sich das Geheimnis des Sohnes, der vom Vater gerufen und gesandt wurde, allen das Reich Gottes zu verkündigen, und der alle in seine Nachfolge ruft; und sie wahrt das Geheimnis des Heiligen Geistes, der jene für die Sendung heiligt, die der Vater durch seinen Sohn Jesus Christus beruft.

Die Kirche, die aufgrund ihrer angestammten Verfassung "Berufung" ist, ist Erzeugerin und Erzieherin von Berufungen. Sie ist es in ihrem Grunddasein als "Sakrament", als "Zeichen" und "Werkzeug", in dem die Berufung jedes Christen sichtbar wird und sich erfüllt; und sie ist es in ihrem Wirken, das heißt in der Entfaltung ihres Dienstes der Verkündigung des Wortes, der Feier der Sakramente und im Dienst und Zeugnis für die Liebe.

So lässt sich also die wesentliche kirchliche Dimension der christlichen Berufung begreifen: Nicht allein, dass sie aus" der Kirche und ihrer Vermittlung stammt, nicht allein, dass sie "in" der Kirche zu erkennen ist und sich "in" ihr erfüllt, sondern sie nimmt - in dem grundlegenden Dienst an Gott - auch und notwendigerweise Gestalt an als Dienst "an" der Kirche. Die christliche Berufung ist in jeder ihrer Formen ein Geschenk, bestimmt zum Aufbau der Kirche, zum Wachstum des Gottesreiches in der Welt.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über das Laienapostolat Apostolicam actuositatem, 3.</ref>

Was wir von jeder christlichen Berufung sagen, findet seine Verwirklichung in besonderer Weise in der Berufung zum Priestertum: Sie ist der Anruf, sich durch das in der Kirche empfangene Weihesakrament in den Dienst des Gottesvolkes zu stellen mit einer besonderen Zugehörigkeit und Hinordnung zu Jesus Christus, verbunden mit der Vollmacht, im Namen und in der Person" dessen zu handeln, der das Haupt und der Hirte der Kirche ist.

Aus dieser Sicht ist zu verstehen, was die Synodenväter schreiben: "Die Berufung jedes Priesters verwirklicht sich grundlegend in der Kirche und für die Kirche: Durch sie kommt eine solche Berufung zur vollen Entfaltung. Daraus folgt, dass jeder Priester seine Berufung vom Herrn durch die Kirche als eine Gnadengabe, eine Gratia gratis data (Charisma) empfängt. Dem Bischof oder dem zuständigen Oberen obliegt es nicht nur, die Eignung und Berufung des Kandidaten zu prüfen, sondern sie auch zu erkennen. Ein derartiges kirchliches Element wohnt der Berufung zum Priesteramt als solchem inne. Der Priesteramtskandidat darf die Berufung nicht aufgrund dessen empfangen, dass er seine persönlichen Bedingungen durchsetzt, sondern dadurch, dass er auch die Normen und Bedingungen annimmt, die die Kirche aufgrund ihrer Verantwortung festsetzt".<ref> Propositio 5.</ref>

Berufung als Dialog: Gottes Initiative und die Antwort des Menschen

36 Die Geschichte jeder Berufung zum Priester, wie übrigens auch jeder Berufung zum Christen, ist die Geschichte eines unvergleichlichen Dialogs zwischen Gott und dem Menschen, zwischen der Liebe Gottes, der den Menschen ruft, und der Freiheit des Menschen, der in der Liebe Gott antwortet. Diese beiden voneinander untrennbaren Seiten der Berufung, das unverdiente Geschenk Gottes und die verantwortliche Freiheit des Menschen, ergeben sich für uns sehr treffend und wirkungsvoll aus den knappen Worten, mit denen der Evangelist Markus die Berufung der Zwölf schildert: Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm (Mk 3,13). Wichtig ist einerseits der absolut freie Entschluss Jesu, aber genauso das "Kommen" der Zwölf zu Jesus, das heißt, dass sie "ihm folgen".

Das ist das bleibende Modell, der unverzichtbare Ausgangspunkt für jede Berufung: für die Berufung der Propheten, der Apostel, der Priester, der Ordensleute, der gläubigen Laien, jedes Menschen.

Aber ganz und gar vorrangig, ja entscheidend ist das freie und unverdiente Eingreifen Gottes, der den Menschen ruft. Es ist seine Initiative, uns zu rufen. Das ist zum Beispiel die Erfahrung des Propheten Jeremia: "Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt" (Jer 1,4-5). Dieselbe Wahrheit legt der Apostel Paulus vor, nämlich dass jede Berufung in der ewigen Erwählung in Christus wurzelt, die "vor der Erschaffung der Welt" und nach seinem gnädigen Willen" erfolgt ist (vgl. Eph 1,4-5). Der absolute Vorrang der Gnade bei der Berufung findet seine vollkommene Erklärung in dem Wort Jesu: "Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet" (Joh 15,16).

Wenn die Berufung zum Priester in unmissverständlicher Weise den Vorrang der Gnade bezeugt, dann verlangt die freie und souveräne Entscheidung Gottes, den Menschen zu rufen, absolute Anerkennung; sie kann überhaupt nicht von irgendeinem menschlichen Anspruch erzwungen, durch irgendeine menschliche Entscheidung ersetzt werden.

Die Berufung ist ein Geschenk der göttlichen Gnade und niemals ein Recht des Menschen; deshalb "kann das Priesterleben niemals als ein rein menschliches Unternehmen und die Sendung des Dieners nicht als ein bloß menschliches Vorhaben betrachtet werden".<ref> Johannes Paul II., Ansprache vor dem Angelus am 3. Dezember 1989, in: Osservatore Romano, 4./5. Dez. 1989.</ref> Somit ist im Grunde jeder Stolz und jede Anmaßung von seiten der Berufenen unangebracht (vgl. Hebr 5,4 ff.). Der ganze geistliche Raum ihres Herzens ist erfüllt von staunender, ergriffener Dankbarkeit, von unerschöpflichem Vertrauen und Hoffnung, weil die Berufenen wissen, dass sie sich nicht auf ihre eigenen Kräfte stützen, sondern auf die unbedingte Treue Gottes, der sie ruft. "Er rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm" (Mk 3,13). Dieses "Zu-ihm-Kommen", was heißt, dass sie Jesus "folgten", drückt die freie Antwort der Zwölf auf den Anruf des Meisters aus. So war es bei Petrus und Andreas- "Da sagte ihnen: Kommt her, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischer machen. Sofort ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm" (Mt 4,19-20). Die gleiche Erfahrung machten Jakobus und Johannes (vgl. Mt 4,21-22). So geschieht es immer: In der Berufung leuchten zugleich die unverdiente Liebe Gottes und die höchstmögliche Wertschätzung der menschlichen Freiheit auf, einer Freiheit, dem Anruf Gottes zuzustimmen und sich ihm anzuvertrauen.

Tatsächlich stehen Gnade und Freiheit nicht im Gegensatz zueinander. Im Gegenteil, die Gnade beseelt und trägt die menschliche Freiheit, indem sie diese von der Knechtschaft der Sünde befreit (vgl. Joh 8,34-36), sie heilt und wird in ihrer Fähigkeit zur Öffnung und Annahme des Gottesgeschenkes bestärkt. Und wenn es nicht angeht, die absolut unverdiente Initiative Gottes, der den Menschen ruft, abzuschwächen, so darf man auch nicht die äußerste Ernsthaftigkeit herunterspielen, mit welcher der Mensch in seiner Freiheit herausgefordert wird. So erteilt der reiche Jüngling der Aufforderung Jesu "Komm und folge mir nach!" eine abschlägige Antwort - ein wenn auch negatives Zeichen seiner Freiheit: "Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen" (Mk 10,22).

Die Freiheit gehört also wesentlich zur Berufung, eine Freiheit, die sich in der positiven Antwort als tiefe persönliche Verbundenheit, als Sich-Verschenken aus Liebe oder, besser, als Sich-Wiederverschenken an den Spender, das heißt an Gott, der uns ruft, als Selbsthingabe darstellt. "Die Berufung", sagte Paul IV., "wird mit der Antwort verglichen. Es kann nur freie Berufungen geben; das heißt nur Berufungen, die spontane, bewusste, selbstlose und totale Angebote der eigenen Person sind ... Darbringung, Hingabe. Hier liegt praktisch das eigentliche Problem ... Es ist die bescheidene und eindringliche Stimme Christi, die heute wie gestern, ja heute mehr als gestern, sagt: Komm! Damit sieht sich die Freiheit vor ihr größtes Wagnis gestellt: das Wagnis der Hingabe, der Selbstlosigkeit, des Opfers.<ref> Paul VI., Botschaft zum 5. Weltgebetstag für Priesterberufe (19. April 1968): Insegnamenti, VI (1968) 134-135.</ref>

Die freie Hingabe, die den innersten und wertvollsten Kern der Antwort des Menschen an den ihn rufenden Gott darstellt, findet ihr unvergleichliches Vorbild, ja ihren lebendigen Urgrund in der freien Hingabe Jesu Christi, des Erstberufenen, an den Willen des Vaters: "Darum spricht Christus bei seinem Eintritt in die Welt: Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gefordert, doch einen Leib hast du mir geschaffen ... Da sagte ich: Ja, ich komme..., um deinen Willen, Gott, zu tun" (Hebr 10,5-7).

In inniger Gemeinschaft mit Christus war Maria, die Jungfrau und Mutter, das Geschöpf, das mehr als alle die volle Wahrheit der Berufung erlebt hat, denn kein Mensch hat wie sie mit einer so großen Liebe auf die unermessliche Liebe Gottes geantwortet.<ref>Vgl. Propositio 5.</ref>

37 "Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen" (Mk 10,22). Der reiche Jüngling aus dem Evangelium, der dem Ruf Jesu nicht folgt, erinnert uns an die Hindernisse, die die freie Antwort des Menschen blockieren oder unterbinden können: Nicht nur die materiellen Güter können das menschliche Herz den Werten des Geistes und den radikalen Forderungen des Reiches Gottes verschließen, sondern auch manche sozialen und kulturellen Gegebenheiten unserer Zeit können mannigfache Bedrohungen darstellen und den Menschen verzerrte, falsche Ansichten über das wahre Wesen der Berufung aufzwingen und so deren Annahme und Verständnis erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen.

Viele haben eine derart unklare und verworrene Vorstellung von Gott, dass sie in Formen einer Religiosität ohne Gott abgleiten, wo der Wille Gottes zu einem unabänderlichen und unvermeidbaren Schicksal degeneriert, dem sich der Mensch anpassen und mit dem er sich völlig passiv abfinden muss. Aber das ist nicht das Antlitz Gottes, das uns zu offenbaren Jesus Christus in die Welt gekommen ist: In Wirklichkeit ist Gott der Vater, der mit ewiger und zuvorkommender Liebe den Menschen ruft und einen wunderbaren, ständigen Dialog mit ihm aufnimmt, indem er ihn einlädt, als Kind Gottes teilzuhaben an seinem göttlichen Leben. Mit einer falschen Gottesvorstellung vermag der Mensch natürlich auch die Wahrheit über sich selbst nicht zu erkennen, so dass die Berufung weder in ihrem echten Wert begriffen noch gelebt werden kann: Sie kann nur als eine auferlegte und unerträgliche Last empfunden werden.

Auch manche verzerrten Vorstellungen über den Menschen, die häufig als angeblich philosophische oder "wissenschaftliche" Argumente vertreten werden, verleiten den Menschen mitunter zu der Erklärung, seine Existenz und seine Freiheit seien zur Gänze von äußeren Faktoren aus Erziehung, Psychologie, Kultur und Milieu bestimmt und bedingt. Dann wieder wird die Freiheit als absolute Autonomie verstanden, die Anspruch darauf erhebt, die einzige unanfechtbare Quelle der persönlichen Entscheidungen zu sein und sich als Selbstbestätigung um jeden Preis definiert. Auf diese Weise versperrt sie sich aber den Weg, die Berufung als freien Dialog der Liebe zu begreifen und zu leben, der aus der Selbstmitteilung Gottes an den Menschen erwächst und in die aufrichtige Selbsthingabe des Menschen einmündet.

Im Umfeld der heutigen Zeit gibt es auch die Tendenz, über das Verhältnis des Menschen zu Gott sehr individualistisch und intimistisch zu denken, so als würde der Anruf Gottes den einzelnen Menschen direkt, ohne irgendeine gemeinschaftliche Vermittlung, erreichen und hätte persönlich einen Vorteil für den einzelnen Gerufenen oder lediglich dessen eigenes Heil zum Ziel und nicht die totale Hingabe an Gott im Dienst der Gemeinschaft. Wir begegnen hier also einer weiteren tiefgreifenden und zugleich subtilen Bedrohung, die es unmöglich macht, die kirchliche Dimension zu erkennen und freudig anzunehmen, die jeder christlichen Berufung und insbesondere der des Priesters von allem Anfang an eigen ist: In der Tat gewinnt das Weihepriestertum des Dienstes - wie uns das Konzil in Erinnerung ruft - seine wahre Bedeutung und verwirklicht seine volle Wahrheit über sich selbst nur dadurch, dass es als Dienst verstanden wird und zum Wachstum der christlichen Gemeinschaft und des gemeinsamen Priestertums der Gläubigen beiträgt.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 10; Dekret über Dienst und Leben der Presbyterorum ordinis,12.</ref>

Der hier angedeutete kulturelle Zusammenhang, dessen Einfluss unter den Christen und besonders unter den jungen Menschen durchaus vorhanden ist, hilft uns, die Ausweitung der Krise der Priesterberufe zu verstehen, die von radikalen Glaubenskrisen verursacht und begleitet wird. Das haben die Synodenväter ausdrücklich mit der Feststellung erklärt, dass die Krise der Berufungen zum Priestertum tief im kulturellen Milieu und in der Gesinnung und Praxis der Christen verwurzelt ist.<ref> Vgl. Propositio 13.</ref>

Daraus ergibt sich die Dringlichkeit, dass die Berufungspastoral der Kirche entschieden und vorrangig auf die Wiederherstellung der "christlichen Gesinnung" abzielt, wie sie vom Glauben hervorgebracht und getragen wird. Notwendiger denn je bedarf es einer Evangelisierung, die nicht müde wird, das wahre Antlitz Gottes, den Vater, der in Jesus Christus jeden von uns ruft, und den wahren Sinn der menschlichen Freiheit als Ursprung und Kraft zur verantwortlichen Selbsthingabe darzustellen. Nur so werden die unerlässlichen Grundlagen dafür gelegt werden, dass jede Berufung, einschließlich der zum Priestertum, in ihrer Wahrheit erfasst, in ihrer Schönheit geliebt und mit völliger Hingabe und tiefer Freude gelebt werden kann.

Inhalte und Mittel der Berufungspastoral

38 Die Berufung ist gewiss ein unerforschliches Geheimnis, das die Beziehung miteinschließt, die Gott zum Menschen in seiner Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit herstellt, ein Geheimnis, das als ein Anruf wahrgenommen und empfunden wird, der im Innern des Gewissens, in jenem "Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist",<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 16.</ref> eine Antwort erwartet. Aber das hebt die gemeinschaftliche und insbesondere die kirchliche Dimension der Berufung nicht auf: Auch die Kirche ist bei der Berufung jedes Christen präsent und beteiligt.

Im Dienst an der Berufung des Priesters und seinem Werdegang, das heißt an der Entstehung, am Erkennen und an der Begleitung der Berufung, kann die Kirche in Andreas, einem der ersten beiden jünger, die sich in die Nachfolge Jesu begeben, ein Modell finden. Er selbst erzählt seinem Bruder, was ihm widerfahren ist: "Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus)" (Joh 1,41). Und der Bericht von dieser "Entdeckung" eröffnet den Weg zur Begegnung: "Er führte ihn zu Jesus" (Joh 1,42). An der absolut freien Initiative und souveränen Entscheidung Jesu besteht kein Zweifel. Jesus ruft Simon und gibt ihm einen neuen Namen: Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)" (ebd.). Aber auch Andreas war an dieser Initiative beteiligt: Er hat die Begegnung seines Bruders mit Jesus angeregt.

"Und er führte ihn zu Jesus." Hierin liegt gewissermaßen das Herz der ganzen Berufungspastoral der Kirche, mit der sie sich beim Entstehen und Wachsen der Berufungen engagiert, wobei sie von den Gaben und Verantwortlichkeiten, den Charismen und dem von Christus und seinem Geist empfangenen Dienstamt Gebrauch macht. Die Kirche ist als priesterliches, prophetisches und königliches Volk dazu verpflichtet, das Entstehen und Heranreifen der Priesterberufe durch das Gebet und durch das sakramentale Leben, durch die Verkündigung des Wortes und durch die Glaubenserziehung, durch die Leitung und das Zeugnis der Liebe zu fördern.

In ihrer Würde und Verantwortung als priesterliches Volk verfügt die Kirche im Gebet und in der Feier der Liturgie über die wesentlichen und wichtigsten Elemente der Berufungspastoral. Denn das christliche Gebet, das sich vom Wort Gottes nährt, schafft den Idealraum, damit ein jeder die Wahrheit über sein Dasein und die Identität des persönlichen und unwiederholbaren Lebensplanes, den Gott ihm anvertraut, entdecken kann. Es gilt daher im besonderen, die Kinder und jugendlichen dahin zu erziehen, dass sie am Gebet und an der Betrachtung des Wortes Gottes treu festhalten: Im Schweigen und im Zuhören sollen sie den Ruf des Herrn zum Priestertum wahrnehmen und ihm bereitwillig und selbstlos folgen können.

Die Kirche muss jeden Tag die überzeugende und anspruchsvolle Einladung Jesu annehmen, der uns auffordert: "Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden" (Mt 9,38). Mit dem Gehorsam gegenüber dem Gebot Christi vollzieht die Kirche vor allem ein demütiges Glaubensbekenntnis: Damit, dass sie für die Berufe betet, deren ganze Dringlichkeit für ihr Leben und ihre Sendung sie spürt, anerkennt sie, dass die Berufe ein Gottesgeschenk sind und dass man sie in unaufhörlichem und vertrauensvollem Gebet inständig bitten muss. Dieses Gebet, das der Angelpunkt der ganzen Berufungspastoral ist, darf jedoch nicht nur die einzelnen Gläubigen verpflichten, sondern muss die kirchlichen Gemeinschaften insgesamt engagieren. Niemand zweifelt an der Wichtigkeit der einzelnen Gebetsinitativen, der besonderen Gelegenheiten, die dieser Bitte vorbehalten sind, angefangen vom jährlichen Weltgebetstag für die geistlichen Berufe, und am ausdrücklichen Einsatz von Personen und Gruppen, die für das Problem der Priesterberufe besonders empfänglich sind. Aber heute muss aus dem betenden Warten auf neue Berufe zunehmend eine ständige Haltung werden, die in der ganzen christlichen Gemeinschaft und in jedem kirchlichen Umfeld weithin geteilt wird. Auf diese Weise wird die Erfahrung der Apostel im Abendmahlssaal fortleben können, die zusammen mit Maria im Gebet auf die Ausgießung des Geistes warteten (vgl. Apg 1,14), der es nicht versäumen wird, im Volk Gottes weiterhin "Menschen zu berufen, die dem Altar dienen und die Frohe Botschaft mit Festigkeit und Güte verkünden".<ref> Römisches Messbuch, Tagesgebet der Messe um Berufe zu den heiligen Weihen (MB, S. 1057).</ref>

Als Höhepunkt und Quelle des Lebens der Kirche<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 10.</ref> und besonders jedes christlichen Gebetes hat die Liturgie eine unerläßliche Rolle und einen bevorzugten Einfluss in der Berufungspastoral. Sie stellt in der Tat eine lebendige Erfahrung des Geschenkes Gottes und eine großartige Schule für die Antwort auf seinen Ruf dar. Jede liturgische Feier, vor allem die der Eucharistie, enthüllt uns das wahre Antlitz Gottes, vermittelt uns das Ostergeheimnis, das heißt die "Stunde", für die Jesus in die Welt gekommen ist und auf die er, dem Ruf des Vaters gehorchend, frei und bereitwillig zugegangen ist (vgl. Joh 13,1). Weiterhin offenbart uns die Liturgie das Antlitz der Kirche als eines priesterlichen Volkes und einer in der Vielfalt und Komplementarität der Charismen und Berufungen gut gefügten Gemeinschaft. Das Erlösungsopfer Christi, das die Kirche in dem Mysterium feiert, verleiht dem in der Verbundenheit mit dem Herrn Jesus erlebten Leiden einen besonders kostbaren Wert. Die Synodenväter haben uns dazu angehalten, niemals zu vergessen, dass "durch das Aufopfern der im menschlichen Leben so häufigen Leiden der kranke Christ sich selbst Gott als Opfer darbringt, nach dem Vorbild Christi, der sich für uns alle geheiligt hat (vgl. Joh 17,19), und dass das Aufopfern der Leiden mit dieser Intention von großem Nutzen für die Förderung der Berufe ist".<ref> Propositio 15.</ref>

39 Bei der Ausübung ihrer prophetischen Sendung erfährt die Kirche es als eine sie verpflichtende und unverzichtbare Aufgabe, den christlichen Sinngehalt der Berufung, wir könnten auch sagen "das Evangelium der Berufung", zu verkünden und zu bezeugen. Dabei wird sie auch der Dringlichkeit des Apostelwortes gewahr: "Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!" (1 Kor 9,16). Diese Warnung gilt zunächst für uns Bischöfe und geht, zusammen mit uns, alle Erzieher in der Kirche an. Predigt und Katechese müssen immer die ihnen innewohnende Dimension der Berufung zum Ausdruck bringen: Das Wort Gottes erleuchtet die Gläubigen, ihr Leben als Antwort auf den Anruf Gottes zu bewerten, und begleitet sie, wenn sie das Geschenk der persönlichen Berufung im Glauben annehmen.

Aber das alles, so wichtig und wesentlich es auch ist, genügt nicht: Es bedarf unbedingt einer "direkten Verkündigung über das Geheimnis der Berufung in der Kirche, über den Wert des priesterlichen Dienstamtes, über seine dringende Notwendigkeit für das Volk Gottes".<ref> Ebd.</ref> Nicht nur dass eine organische und allen Gliedern der Kirche angebotene Katechese Zweifel zerstreut und einseitigen oder falschen Vorstellungen über das Priesteramt entgegentritt, sie öffnet auch die Herzen der Gläubigen für die Erwartung des Geschenkes und schafft günstige Bedingungen für die Entstehung neuer Berufungen. Es ist der Zeitpunkt gekommen, mutig und beherzt vom Leben des Priesters als einem unschätzbaren Wert und einer herrlichen und bevorzugten Weise christlichen Lebens zu sprechen. Die Erzieher und besonders die Priester sollen sich nicht fürchten, die Berufung zum Priestertum klar und nachdrücklich als eine reale Möglichkeit für jene jungen Männer vorzuschlagen, bei denen sich zeigt, dass sie die entsprechenden Gaben und Anlagen besitzen. Man braucht keine Angst zu haben, dass man sie dadurch abhängig macht oder ihre Freiheit einschränkt; im Gegenteil, ein klarer Vorschlag im richtigen Augenblick kann entscheidend sein, um bei den jungen Menschen eine freie und glaubwürdige Antwort auszulösen. Im übrigen beweist die Geschichte der Kirche ebenso wie die vieler Priesterberufungen, die bereits in frühester Jugend entstanden sind, in großem Umfang, wie nützlich die Nähe und das Wort eines Priesters sind. Wichtig ist dabei nicht nur das Wort, sondern gerade auch die Nähe, das heißt ein konkretes und freudiges Zeugnis, das Fragen entstehen lässt und auch endgültige Entscheidungen herbeizuführen vermag.

40 Als königliches Volk sieht sich die Kirche in dem "Gesetz des Geistes, der lebendig macht" (Röm 8,2) verwurzelt und von ihm beseelt; es ist im wesentlichen das königliche Gesetz der Liebe (vgl. Jak 2,8) oder "das vollkommene Gesetz der Freiheit (Jak 1,25). Sie erfüllt daher ihre Sendung, wenn sie jeden Gläubigen leitet, seine Berufung in der Freiheit zu entdecken und zu leben und sie in der Liebe zur Erfüllung zu bringen.

Bei ihrer Erziehungsaufgabe zielt die Kirche mit besonderer Aufmerksamkeit darauf ab, in den Kindern und jugendlichen den Wunsch und den Willen zu einer vollen und engagierten Nachfolge Jesu Christi zu wecken. Die erzieherische Tätigkeit, die auch die christliche Gemeinde betrifft, muss sich an den einzelnen Menschen wenden: Denn Gott erreicht mit seinem Ruf das Herz jedes Menschen, und der Geist, der im Innersten jedes Jüngers wohnt (vgl. 1 Joh 3,24), verschenkt sich an jeden Christen mit verschiedenen Gnadengaben und besonderen Offenbarungen. jedem soll also geholfen werden, das Geschenk zu erfassen, das gerade ihm, als einmaliger und unwiederholbarer Person, anvertraut wird und die Worte zu hören, die der Geist Gottes besonders an ihn richtet.

Aus dieser Sicht wird die Sorge um die Berufungen zum Priestertum auch in einem entschlossenen und überzeugenden Angebot geistlicher Führung Ausdruck finden können. Es gilt, die großartige Tradition der persönlichen geistlichen Begleitung wiederzuentdecken, die im Leben der Kirche stets so viele und kostbare Früchte getragen hat: Sie kann in bestimmten Fällen und unter klaren Bedingungen zwar unterstützt, aber niemals durch Formen psychologischer Analyse oder Hilfe ersetzt werden.<ref> Vgl. CIC, can. 220: "Niemand darf (...) das Persönliche Recht eines jeden auf den Schutz der eigenen Intimsphäre verletzen"; vgl. auch can. 642.</ref> Kinder und jugendliche sollen eingeladen werden, das Geschenk der geistlichen Führung zu entdecken und zu schätzen, es zu prüfen und zu erproben und ihre Erzieher im Glauben mit vertrauensvoller Beharrlichkeit darum zu bitten. Die Priester ihrerseits sollen als erste Zeit und Kraft auf diese Arbeit der Erziehung und der persönlichen geistlichen Hilfe verwenden: Sie sollen nie bedauern, viele andere, selbst schöne und nützliche Dinge vernachlässigt oder hintangestellt zu haben, wenn sich das nicht vermeiden ließ, um ihrem Dienst als Mitarbeiter des Geistes bei der Erleuchtung und Führung der Berufenen treu zu bleiben.

Ziel der Erziehung des Christen ist es, unter dem Einfluss des Geistes dahin zu gelangen, dass er "Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellt" (Eph 4,13) Das tritt dann ein, wenn er durch sein Nachahmen und Teilhaben an der Liebe Christi sein ganzes Leben zu einem Dienst an dieser Liebe macht (vgl. Joh 13,14-15), indem er Gott einen ihm gefälligen Gottesdienst darbringt (vgl. Röm 12,1) und sich an die Mitmenschen verschenkt. Der Dienst an der Liebe ist der grundlegende Sinn jeder Berufung, die in der Berufung des Priesters eine besondere Verwirklichung findet: Denn er ist dazu berufen, die Hirtenliebe Jesu, das heißt die Liebe des guten Hirten, der "sein Leben hingibt für die Schafe" (Joh 10,11), weiterzuleben.

Darum wird eine glaubwürdige Berufungspastoral niemals müde werden, Kinder und jugendliche zu Einsatzfreude, zum Geist des unentgeltlichen Dienens, zu Opfersinn und zu bedingungsloser Selbsthingabe zu erziehen. Als besonders nützlich erweist sich dabei die Erfahrung des freiwilligen Dienstes, wofür die Empfänglichkeit bei vielen jungen Menschen zunimmt: Wenn es sich dabei um einen vom Evangelium motivierten freiwilligen Dienst handelt, der zur Unterscheidung der Bedürfnisse zu erziehen vermag, der jeden Tag treu und hingebungsvoll gelebt wird, offen für die Möglichkeit einer endgültigen Verpflichtung im geweihten Leben und genährt durch das Gebet, wird er mit größerer Sicherheit ein Leben in selbstlosem und unentgeltlichem Einsatz unterstützen und den, der sich ihm widmet, empfänglicher für die Stimme Gottes machen können, die ihn möglicherweise zum Priestertum ruft. Zum Unterschied vom reichen Jüngling könnte der Freiwillige die Einladung, die Jesus voll Liebe an ihn richtet, annehmen (vgl. Mk 10,2 1); und er könnte sie annehmen, weil sein einziges Vermögen bereits darin besteht, sich für die anderen hinzugeben und sein Leben " zu verlieren".

Wir alle sind verantwortlich für die Priesterberufe

41 Die Berufung zum Priester ist ein Gottesgeschenk, das für dessen Erstempfänger sicher ein großes Gut darstellt. Aber sie ist auch ein Geschenk für die ganze Kirche, ein Gut für ihr Leben und ihre Sendung. Die Kirche ist daher gerufen, dieses Geschenk zu hüten, es hochzuschätzen und zu lieben: Sie ist verantwortlich für das Entstehen und Heranreifen der Priesterberufe. Infolgedessen ist das handelnde Subjekt, der Hauptakteur der Berufungspastoral, die kirchliche Gemeinschaft als solche in ihren verschiedenen Ausdrucksformen: von der Universalkirche bis zur Teilkirche und, analog, von dieser bis zur Pfarre und zu allen Mitgliedern des Gottesvolkes.

Um so dringender ist es vor allem heute, da sich die Überzeugung verbreitet und Wurzeln schlägt, dass alle Glieder der Kirche, ohne Ausnahme, die Gnade und die Verantwortung der Sorge um die Berufungen haben. Das II. Vatikanische Konzil hat mit äußerster Klarheit bekräftigt, dass "die Verpflichtung zum Fördern von Priesterberufungen Aufgabe der gesamten christlichen Gemeinschaft ist. Sie erfüllt sie vor allem durch ein wirklich christliches Leben".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 2.</ref> Nur aufgrund dieser Überzeugung wird es der Berufungspastoral möglich sein, ihr wahrhaft kirchliches Gesicht zu zeigen und ein einmütiges Handeln zu entfalten, wobei sie sich auch spezifischer Organe und angemessener Hilfsmittel im Bereich von Gemeinschaft und Mitverantwortung bedient.

Die Erstverantwortung für die den Priesterberufen geltende Pastoral liegt beim Bischof,<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche Christus dominus,15.</ref> der gerufen ist, sie als erster zu leben, auch wenn vielfältige Formen der Mitarbeit entstehen können und sollen. Er ist Vater und Freund in seinem Presbyterium, und seine Sorge ist es vor allem, dem Charisma und dem priesterlichen Dienstamt dadurch " Beständigkeit zu geben", dass er durch das Auflegen der Hände immer neue Kräfte hinzufügt. Er wird dafür sorgen, dass das Anliegen der Berufungspastoral im Gesamtbereich der ordentlichen Seelsorge stets präsent ist, ja voll in sie integriert und gleichsam mit ihr identifiziert wird. Ihm obliegt die Aufgabe, die verschiedenen Berufungsinitiativen zu fördern und zu koordinieren.<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 2.</ref>

Der Bischof weiß, dass er vor allem auf die Mitarbeit seiner Priesterschaft zählen kann. Alle Priester sind mit ihm solidarisch und mitverantwortlich bei der Suche und Förderung von Priesterberufen. Denn, wie das Konzil sagt, "obliegt es den Priestern als Erziehern im Glauben, selbst oder durch andere dafür zu sorgen, dass jeder Gläubige im Heiligen Geist angeleitet wird zur Entfaltung seiner persönlichen Berufung".<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 6.</ref> "Diese Pflicht gehört in der Tat mit zur priesterlichen Sendung, durch die der Priester teilhat an der Sorge für die ganze Kirche, damit im Gottesvolk hier auf Erden nie die Arbeiter fehlen".<ref> Ebd., 11.</ref> Das Leben der Priester, ihre bedingungslose Hingabe an Gottes Herde, ihr Zeugnis des liebevollen Dienstes für den Herrn und seine Kirche - ein Zeugnis, das gekennzeichnet ist von der Annahme des in der Hoffnung und österlichen Freude getragenen Kreuzes -, ihre brüderliche Eintracht und ihr Eifer für die Evangelisierung der Welt sind der wichtigste und überzeugendste Faktor für die Fruchtbarkeit ihrer Berufung.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 2.</ref>

Eine besondere Verantwortung ist der christlichen Familie aufgetragen, die aufgrund des Ehesakramentes in ganz eigener Weise am Erziehungsauftrag der Kirche, der Lehrmeisterin und Mutter, teilhat. Wie die Synodenväter schrieben, "hat die christliche Familie, die wirklich, eine Art Hauskirche (Lumen gentium, 11) ist, schon immer günstige Voraussetzungen für das Entstehen von geistlichen Berufen geboten und bietet sie auch weiterhin. Da heute die Vorstellung von der christlichen Familie gefährdet ist, muss der Familienpastoral große Bedeutung beigemessen werden, so dass die Familien dadurch, dass sie das Geschenk des menschlichen Lebens großzügig annehmen gleichsam das erste Seminar (Optatam totius, 2) darstellen, in dem die Kinder von Anfang an den Geist der Frömmigkeit und des Gebets und die Liebe zur Kirche erwerben können".<ref> Propositio 14.</ref> In Kontinuität und Einklang mit dem Bemühen der Eltern und der Familie muss die Schule stehen, deren Auftrag es ist, ihre Identität als "Erziehungsgemeinschaft" auch mit einem kulturellen Angebot zu verbinden, das imstande ist, die jungen Menschen über die Dimension der Berufung als angestammten Grundwertes der menschlichen Person aufzuklären. In diesem Sinne kann die Schule, wenn sie in passender Weise durch christlichen Geist bereichert wird (sowohl durch eine gewichtige kirchliche Präsenz in der staatlichen Schule - was von der nationalen Ordnung des jeweiligen Landes abhängt-, als vor allem im Fall der katholischen Schule), "den Kindern und jugendlichen den Wunsch" einflößen, "den Willen Gottes in dem Lebensstand zu erfüllen, der für einen jeden am geeignetsten ist, ohne dabei je die Berufung zum priesterlichen Dienst auszuschließen".<ref> Propositio 15.</ref>

Auch die gläubigen Laien, insbesondere die mit der Katechese Beauftragten, die Lehrer und Lehrerinnen, die im pädagogischen Bereich Tätigen sowie alle, die Jugendseelsorge anregen und in Schwung halten, erfüllen mit den je eigenen Mitteln und Möglichkeiten eine wichtige Rolle in der Berufungspastoral: je mehr sie den Geist ihrer eigenen Berufung und Sendung in der Kirche vertiefen, desto klarer werden sie die Bedeutung und die Unersetzlichkeit der Berufung und Sendung des Priesters erkennen können.

Im Rahmen der Gemeinschaften auf Diözesan- und Pfarrebene sollen jene Gruppen geschätzt und gefördert werden, deren Mitglieder ihren Beitrag an Gebet und Leiden für die Priester und Ordensberufe einsetzen sowie moralische und materielle Unterstützung leisten.

Hier sind auch die zahlreichen Gruppen, Bewegungen und Vereinigungen gläubiger Laien zu erwähnen, die der Heilige Geist in der Kirche entstehen und wachsen lässt, um eine stärker missionarisch geprägte christliche Präsenz in der Welt zu gewährleisten. Diese verschiedenen Zusammenschlüsse von Laien erweisen sich als ein besonders fruchtbares Feld für das Entstehen geistlicher Berufe, als echte Stätten des Angebots und Wachsens von Berufungen. In der Tat haben viele jugendliche gerade innerhalb und dank dieser Vereinigungen den Ruf des Herrn wahrgenommen, ihm auf dem Weg des Priestertums zu folgen, und mit ermutigender Selbstlosigkeit auf diesen Ruf geantwortet.<ref> Vgl. Propositio 16.</ref>

Die verschiedenen Gruppen und Mitglieder der Kirche, die in der Berufungspastoral engagiert sind, werden ihre Aufgabe um so wirksamer erfüllen, je mehr sie der kirchlichen Gemeinschaft als ganzer, angefangen bei der Pfarre, das Gespür und die Einsicht dafür vermitteln können, dass das Problem der Priesterberufe keineswegs einigen "Beauftragten" (den Priestern im allgemeinen und speziell den im Priesterseminar Tätigen) überlassen werden kann; denn als "ein zentrales Anliegen der Kirche selbst"<ref> Johannes Paul II., Botschaft zum 22. Weltgebetstag für geistliche Berufe, 13. April 1985, 1.</ref> muss es im Zentrum der Liebe jedes Christen zu seiner Kirche stehen.

KAPITEL V: ER SETZTE ZWÖLF EIN, DIE ER BEI SICH HABEN WOLLTE.
Die Ausbildung der Priesteramtskandidaten

In der Nachfolge Christi leben wie die Apostel

42 Jesus stieg auf einen Berg und rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten und mit seiner Vollmacht Dämonen austrieben" (Mk 3,13-15).

"Die er bei sich haben wollte": Aus diesen Worten lässt sich unschwer die mit der Berufung zusammenhängende Begleitung der Apostel durch Jesus herauslesen. Nachdem er sie gerufen hatte und ehe er sie aussandte, ja ehe er sie zum Predigen aussenden konnte, verlangt Jesus von ihnen eine "Zeit" der Ausbildung, in der sich ein Verhältnis tiefer Verbundenheit und Freundschaft zwischen dem Herrn und ihnen herausbilden sollte. Für sie hat er eine gründlichere Unterweisung vorgesehen als für das Volk (vgl. Mt 13,11) und er will, dass sie Zeugen seines stillen Gebetes zum Vater sind (vgl. Joh 17,1-26; Lk 22,39-45).

In ihrer Sorge um die Priesterberufe nimmt die Kirche aller Zeiten Maß am Vorbild Christi. Die konkreten Formen, mit denen sich die Kirche in der Berufungspastoral engagiert, die die Berufungen zum Priestertum nicht nur erkennen, sondern auch "begleiten" soll, waren und sind zum Teil noch immer sehr verschieden. Aber der Geist, der sie beseelen und stärken muss, bleibt derselbe: Es geht darum, nur diejenigen zum Priestertum zu führen, die berufen sind, und sie erst nach angemessener Ausbildung zuzulassen. Diese zielt bei den Kandidaten auf eine bewusste und freie Antwort der Zustimmung und des Sich-ergreifen-Lassens der ganzen Person von Jesus Christus, der zur innigen Vertrautheit mit ihm und zur Teilnahme an seiner Heilssendung ruft. In diesem Sinne stellt das "Seminar" in seinen verschiedenen Gestalten und ähnlich das "Ausbildungshaus" der Ordenspriester nicht zuerst einen materiellen Ort oder Raum dar, sondern einen geistlichen Raum, eine Lebensstrecke, eine Atmosphäre, die einen Ausbildungsprozess begünstigt und gewährleistet, so dass der von Gott zum Priestertum Berufene durch das Weihesakrament zu einem lebendigen Bild Jesu Christi, des Hauptes und Hirten der Kirche, werden kann. Die Synodenväter haben in ihrer Schlussbotschaft unmittelbar und gründlich die grundlegende und kennzeichnende Bedeutung der Ausbildung der Priesteramtskandidaten erfasst, wenn sie sagen: "Das Leben im Seminar, der Schule des Evangeliums, ist ein Leben in der Nachfolge Christi, wie es die Apostel vorgelebt haben; von ihm lassen sich die Kandidaten einführen in den Dienst am Vater und an den Menschen unter der Führung des Heiligen Geistes; sie lassen sich Christus, dem Guten Hirten, gleichgestalten für einen besseren priesterlichen Dienst in Kirche und Welt. Sich für das Priestertum ausbilden lassen heißt, eine persönliche Antwort auf die entscheidende Frage Christi zu geben: ,Liebst du mich?. Für den künftigen Priester kann die Antwort nur die Ganzhingabe seines Lebens sein".<ref> Achte Weltbischofssynode, Botschaft der Synodenväter an das Volk Gottes (28. Oktober 1990), IV: a.aO.,4.</ref>

Es geht darum, diesen Geist, der in der Kirche niemals verschwinden darf, unter den sozialen, psychologischen, politischen und kulturellen Gegebenheiten der heutigen Welt weiterzugeben, die allerdings nicht nur kompliziert, sondern auch ganz unterschiedlich sind, wovon die Synodenväter in bezug auf die verschiedenen Teilkirchen Zeugnis ablegten. Desgleichen konnten die Synodenväter mit nachdenklicher Sorge, aber auch mit großer Hoffnung von dem in allen ihren Kirchen vorhandenen Bemühen erfahren, die Methoden der Ausbildung der Priesterkandidaten zu untersuchen und sie auf den heutigen Stand zu bringen, und sie haben lange und ausgiebig darüber nachgedacht.

Das vorliegende Apostolische Schreiben will den Ertrag der Synodenarbeiten zusammenfassen, indem es an einige gewonnene Gesichtspunkte anknüpft, einige unverzichtbare Ziele aufzeigt und die Fülle an Erfahrungen und bereits positiv bewährten Ausbildungswegen allen zur Verfügung stellt. In diesem Schreiben wird zwischen der Grundausbildung und der ständigen Weiterbildung klar unterschieden, ohne freilich je das tiefe Band zu vergessen, das sie verbindet und das aus beiden einen einzigen organischen Weg christlichen und priesterlichen Lebens machen soll. Dieses Schreiben befasst sich mit den verschiedenen Dimensionen der Ausbildung - der menschlichen, geistlichen, intellektuellen und pastoralen - sowie auch mit dem Milieu und mit den Verantwortlichen der Ausbildung der Priesteramtskandidaten.

I. Die Dimensionen der Priesterbildung

Die menschliche Bildung als Fundament der gesamten Priesterbildung

43 "Ohne eine angemessene menschliche Bildung entbehrte die ganze Priesterausbildung ihrer notwendigen Grundlage".<ref> Propositio 21.</ref> Diese Behauptung der Synodenväter benennt nicht nur eine täglich von der Vernunft empfohlene und von der Erfahrung bestätigte Voraussetzung, sondern bringt eine Forderung zum Ausdruck, die ihre tiefere und eigentliche Begründung im Wesen des Priesters und seines Dienstes findet.

Der Priester, der dazu berufen ist, Lebendiges Abbild" Jesu Christi, des Hauptes und Hirten der Kirche, zu sein, muss versuchen, im Maße des Möglichen in sich jene menschliche Vollkommenheit widerzuspiegeln, die im menschgewordenen Sohn Gottes aufleuchtet und mit einzigartiger Wirksamkeit in seinem Verhalten gegenüber den anderen, so wie die Evangelisten es darstellen, durchscheint. Das Dienstamt des Priesters besteht dann darin, dass er das Wort verkündet, das Sakrament feiert und die christliche Gemeinde "im Namen und in der Person Christi" in der Liebe führt, wobei er sich aber immer und nur an konkrete Menschen wendet: "Denn jeder Hohepriester wird aus den Menschen ausgewählt und für die Menschen eingesetzt zum Dienst vor Gott" (Hebr 5,1). Darum enthüllt die menschliche Bildung des Priesters ihre eigentliche Bedeutung in bezug auf die Empfänger seiner Sendung: Damit sein Dienst menschlich möglichst glaubwürdig und annehmbar ist, muss der Priester seine menschliche Persönlichkeit so formen, dass er sie für die anderen bei der Begegnung mit Jesus Christus, dem Erlöser des Menschen, zur Brücke und nicht zum Hindernis macht. Der Priester muss nach dem Vorbild Jesu, der wusste, was im Menschen ist" (Joh 2,25; vgl. 8,3-11), in der Lage sein, die menschliche Seele in ihrer Tiefe zu kennen, die Schwierigkeiten und Probleme zu erfassen, die Begegnung und den Dialog zu erleichtern, Vertrauen und Zusammenarbeit zu bewirken und ausgewogene, objektive Urteile abzugeben.

Die zukünftigen Priester müssen also nicht nur für eine persönlich richtige und angemessene Reife und Selbstverwirklichung, sondern gerade auch im Hinblick auf ihren Dienst eine Reihe menschlicher Eigenschaften ausbilden, die für die Auferbauung ausgeglichener, starker und freier Charaktere notwendig sind. Solche Persönlichkeiten sollen fähig sein, die Last der pastoralen Verantwortlichkeiten zu tragen. Die Kandidaten müssen also erzogen werden: zu Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Achtung vor jedem Menschen, Gerechtigkeitssinn, Einhaltung des gegebenen Wortes, zu echtem Mitgefühl, zu einem konsequenten Lebensstil und besonders zu Ausgewogenheit im Urteil und Verhalten.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 11, und Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 3; Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Grundordnung für die Ausbildung der Priester Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (6. Januar 1970), 51: a.a.O., 356-357.</ref> Ein einfaches und verpflichtendes Programm für diese menschliche Formung wird vom Apostel Paulus den Philippern vorgeschlagen. "Was immer wahrhaft, edel, recht, was lauter, lobenswert, ansprechend ist, was Tugend heißt und lobenswert ist, darauf seid bedacht!" (Phil 4,8). Interessant ist die Feststellung, dass Paulus gerade für diese zutiefst menschlichen Eigenschaften sich selbst seinen Gläubigen als Vorbild hinstellt: "Was ihr gelernt und angenommen", - so fährt er unmittelbar fort - "gehört und an mir gesehen habt, das tut!" (ebd. 4,9).

Besonders wichtig ist die Beziehungsfähigkeit zu den anderen Menschen. Sie bildet ein wirklich wesentliches Element für jemanden, der berufen ist, für eine Gemeinde Verantwortung zu tragen und "Gemeinschaftsmensch" zu sein. Das verlangt vom Priester, dass er weder arrogant noch streitsüchtig ist, sondern liebenswürdig, gastfreundlich, aufrichtig in dem, was er sagt und denkt,<ref> Vgl. Propositio 21.</ref> klug und diskret, selbstlos und dienstbereit, fähig, lautere und brüderliche Beziehungen persönlich anzubieten und bei allen zu wecken, bereit, zu verstehen, zu verzeihen und zu trösten (vgl. auch 1 Tim 3,1-5; Tit 1,7-9). Die Menschheit unserer Zeit, die sich vor allem in den Ballungsgebieten der Großstädte häufig zu Vermassung und Einsamkeit verurteilt sieht, wird immer empfänglicher für den Wert der Gemeinschaft: Das ist heute eines der beredtsten Zeichen und einer der wirksamsten Wege zur Durchsetzung der Botschaft des Evangeliums.

In diesen Zusammenhang fügt sich als kennzeichnendes und entscheidendes Moment die Ausbildung des Priesterkandidaten zur gefühlsmäßigen Reife ein, als Ergebnis der Erziehung zur wahren und verantwortungsvollen Liebe.

44 Die Reifung des Gefühlslebens setzt voraus, dass man sich der zentralen Stellung der Liebe im menschlichen Dasein bewusst ist. Es ist, wie ich in der Enzyklika Redemptor hominis geschrieben habe, tatsächlich so, dass "der Mensch nicht ohne Liebe leben kann. Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er nicht der Liebe begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält".<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 10: AAS 71 (1979) 274.</ref>

Es handelt sich um eine Liebe, die den ganzen Menschen, in seinen physischen, psychischen und geistigen Dimensionen und Komponenten, mit einbezieht und die in der "bräutlichen Bedeutung" des menschlichen Leibes zum Ausdruck kommt, dank der sich der Mensch dem anderen hingibt und ihn annimmt. Um das Verständnis und die Verwirklichung dieser "Wahrheit" der menschlichen Liebe geht es der richtig verstandenen Sexualerziehung. Man muss in der Tat in weiten Kreisen eine soziale und kulturelle Situation feststellen, "die menschliche Geschlechtlichkeit banalisiert, weil sie diese in verkürzter und verarmter Weise interpretiert und lebt, indem sie sie einzig mit dem Leib und dem egoistisch verstandenen Vergnügen in Verbindung setzt".<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute Familiaris consortio (22. November 1981), 37.</ref> Häufig weist der Zustand der Familien, aus denen die Priesterberufe hervorgehen, diesbezüglich viele Mängel und bisweilen auch schwere Störungen auf.

In einem solchen Kontext wird eine Erziehung zu verantworteter Geschlechtlichkeit immer schwieriger, aber auch dringender, die wahrhaft und voll menschlich ist und daher der Achtung und Liebe zur Keuschheit Raum schafft, "als einer Tugend, die die wahre Reifung der Person fördert und sie befähigt, die "bräutliche Bedeutung des Leibes zu achten und zu entfalten".<ref>Ebd.</ref>

Die Erziehung zur verantwortungsvollen Liebe und zur gefühlsmäßigen Reife der Person erweist sich nun als ganz und gar unverzichtbar für den, der als Priester zum Zölibat berufen ist, das heißt dazu, mit der Gnade des Geistes und mit der freien Antwort seines eigenen Willens, mit der Gesamtheit seiner Liebe und seiner Sorge für Jesus Christus und die Kirche verfügbar zu sein. Im Hinblick auf die Zölibatsverpflichtung muss die gefühlsmäßige Reife imstande sein, in die menschlichen Beziehungen unbeschwerter Freundschaft und tiefer Brüderlichkeit eine große, lebendige und persönliche Liebe zu Jesus Christus mit einzuschließen. Wie die Synodenväter geschrieben haben: "Wenn die gefühlsmäßige Reifung geweckt werden soll, ist die Liebe Christi von größter Bedeutung, die als ganzheitliche Hingabe fortwirkt. Der zum Zölibat berufene Kandidat wird deshalb in der Reife des Gefühlslebens eine feste Stütze finden, um die Keuschheit in Treue und mit Freude zu leben".<ref> Propositio 21.</ref>

Da das Charisma der Ehelosigkeit, auch wenn es glaubwürdig und erwiesen ist, die Veranlagungen und Neigungen des Gefühls- und des Trieblebens bestehen lässt, benötigen die Priesterkandidaten eine affektive Reife, die fähig ist zu Klugheit, zum Verzicht auf alles, was sie gefährden kann, zum sensiblen Umgang mit Körper und Geist, zu Hochachtung und Respekt in den zwischenmenschlichen Beziehungen mit Männern und Frauen. Eine wertvolle Hilfe dabei kann eine angemessene Erziehung zur wahren Freundschaft bieten, nach dem Vorbild brüderlicher Zuneigung, wie sie Christus selbst in seinem Erdendasein vorgelebt hat (vgl. Joh 11,5).

Die menschliche Reife, und besonders die im Bereich des Gefühlslebens, verlangt eine klare und starke Formung zu einer Freiheit, die Gestalt annimmt als überzeugter und liebenswürdiger Gehorsam gegenüber der "Wahrheit" des eigenen Seins, gegenüber dem "Sinngehalt" der eigenen Existenz, das heißt als Gehorsam gegenüber der "aufrichtigen Hingabe seiner selbst" als Weg und Hauptinhalt der authentischen Selbstverwirklichung.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 24.</ref> So verstanden, erfordert die Freiheit, dass die menschliche Person wahrhaft Herrin über sich selbst ist: Sie ist entschlossen, die verschiedenen Formen des Egoismus und Individualismus, die das Leben jedes einzelnen beeinträchtigen, zu bekämpfen und zu überwinden, und bereit, sich in selbstloser Hingabe und im Dienst am Nächsten den anderen gegenüber zu öffnen. Das ist wichtig für die Antwort auf die Berufung, speziell auf die zum Priestertum und für die Treue zu diesem Weg und den mit ihm verbundenen Verpflichtungen auch in schwierigen Augenblicken. Hilfe kann auf diesem Erziehungsweg zu einer reifen, verantwortlichen Freiheit vom Gemeinschaftsleben des Priesterseminars kommen.<ref> Vgl. Propositio 21.</ref>

Mit der Bildung zur verantwortlichen Freiheit eng verbunden ist die Gewissensbildung im moralischen Bereich: Diese enthüllt, während sie im Innersten des eigenen "Ich" darauf drängt, den sittlichen Verpflichtungen zu entsprechen, die tiefe Bedeutung eines solchen Gehorsams: nämlich eine bewusste und freie und daher aus Liebe gegebene Antwort auf den Anruf Gottes und seiner Liebe zu sein. "Die menschliche Reife des Priesters", schreiben die Synodenväter, "muss besonders die Bildung seines Gewissens einschließen. Damit er seine Verpflichtungen gegenüber Gott und der Kirche getreu zu erfüllen und die Gewissen der Gläubigen weise zu führen vermag, muss sich der Kandidat nämlich angewöhnen, auf die Stimme Gottes zu hören, der im Herzen zu ihm spricht, und seinem Willen mit Liebe und Festigkeit nachkommen".<ref> Propositio 22.</ref>

Die spirituelle Formung: In Gemeinschaft mit Gott und auf der Suche nach Christus

45 Wenn die menschliche Bildung im Rahmen einer Anthropologie erfolgt, die die ganze Wahrheit des Menschen erfasst, öffnet und vervollkommnet sie sich in der geistlichen Formung. jeder Mensch ist, da er von Gott geschaffen und durch das Blut Christi erlöst wurde, dazu berufen, "aus Wasser und Geist von neuem geboren (vgl. Joh 3,5) und "Kind im Sohn Gottes" zu werden. In diesem eindrucksvollen Plan Gottes liegt das Fundament der grundlegend religiösen Dimension des menschlichen Seins, die übrigens von der einfachen Vernunft intuitiv erkannt und anerkannt wird: Der Mensch ist offen für das Transzendente, für das Absolute; er besitzt ein Herz, das unruhig ist, bis es Ruhe findet im Herrn.<ref>Vgl. Hl. Augustinus, Confessiones (Bekentnisse) I, 1:CSEL 33, 1.</ref>

Bei diesem nicht unterdrückbaren religiösen Grundbedürfnis setzt der Erziehungsprozess eines geistlichen Lebens ein und entfaltet sich. Dieses Leben wird als Beziehung zu und Gemeinschaft mit Gott verstanden. Nach der Offenbarung und der ihr entsprechenden christlichen Glaubenserfahrung besitzt die geistliche Formung die unverkennbare Ursprünglichkeit, die aus der "Neuheit" der Christusbotschaft stammt. Denn "sie ist das Werk des Geistes und verpflichtet die Person in ihrer Ganzheit; sie führt ein in die tiefe Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Guten Hirten; sie führt zu einer Unterordnung des ganzen Lebens unter den Geist, in einer kindlichen Haltung gegenüber dem Vater und in einer vertrauensvollen Zugehörigkeit zur Kirche. Sie ist verwurzelt in der Erfahrung des Kreuzes, um in einer tiefen Gemeinschaft zur ganzen Fülle des Ostergeheimnisses führen zu können".<ref> Achte Weltbischofssynode, Instrumentum laboris, 30, E Civitate Vaticana, 1990, 62.</ref>

Es handelt sich, wie man sieht, um eine geistliche Formung, die allen Gläubigen gemeinsam ist, die aber entsprechend jenen Sinngehalten und Merkmalen gestaltet werden will, die sich aus der Identität des Priesters und seines Dienstes. herleiten. Und wie für jeden Gläubigen in bezug auf sein Wesen und seine christliche Existenz im Sinn der "neuen Schöpfung" in Christus, die im Geiste lebt, die geistliche Formung den zentralen Einheitsgrund bildet, so stellt für Jeden Priester die geistliche Formung die Mitte dar, die sein Priestersein und sein Wirken als Priester zusammenhält und belebt. In diesem Sinne stellen die Synodenväter fest, dass "beim Fehlen einer geistlichen Formung<ref> Propositio 22.</ref> die pastorale Ausbildung ohne Grundlage vorgenommen würde<ref> Propositio 23.</ref> und dass die geistliche Formung gleichsam das wichtigste Element in der Priestererziehung darstellt".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 8.</ref>

Der wesentliche Inhalt der geistlichen Formung für einen klar konzipierten Ausbildungsweg zum Priestertum wird von dem Konzilsdekret Optatam totius gut umschrieben: Bei der geistlichen Formung "sollen die Alumnen lernen, in inniger und steter Gemeinschaft mit dem Vater durch seinen Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist zu leben. Durch die heilige Weihe werden sie einst Christus dem Priester gleichförmig; so sollen sie auch lernen, ihm wie Freunde in enger Gemeinschaft des ganzen Lebens verbunden zu sein. Sein Pascha-Mysterium sollen sie so vorleben, dass sie das Volk, das ihnen anvertraut wird, darin einzuführen vermögen. Sie sollen angeleitet werden, Christus zu suchen: in der gewissenhaften Meditation des Gotteswortes, in der aktiven Teilnahme an den heiligen Geheimnissen der Kirche, vor allem in der Eucharistie und im Stundengebet, im Bischof, der ihnen die Sendung gibt, und in den Menschen, zu denen sie gesandt werden, vor allem in den Armen, den Kindern und den Kranken, den Sündern und Ungläubigen. Die seligste Jungfrau Maria, die von Christus Jesus bei seinem Tod am Kreuz dem jünger als Mutter gegeben wurde, sollen sie mit kindlichem Vertrauen lieben und verehren".

46 Der Konzilstext verdient es, dass sorgfältig und liebevoll über ihn nachgedacht wird; daraus lassen sich dann leicht einige grundlegende Wertvorstellungen und Erfordernisse für den spirituellen Bildungsweg des Priesteramtskandidaten gewinnen.

Zunächst werden der Wert und die Notwendigkeit herausgestellt, Jesus Christus "in enger Gemeinschaft verbunden zu sein". Die Verbundenheit mit dem Herrn Jesus, die sich auf die Taufe gründet und durch die Eucharistie genährt wird, will im Leben jedes Tages dadurch Ausdruck finden, dass sie dieses Leben radikal erneuert. Die enge Gemeinschaft mit der göttlichen Trinität, das heißt das neue Leben der Gnade, die Menschen zu Kindern Gottes macht, stellt die "Neuartigkeit" des Glaubenden dar: eine Neuartigkeit, die das Sein und das Tun mit einbezieht. Sie macht das "Geheimnis" der christlichen Existenz aus, die unter dem Einfluss des Geistes steht: Diese Neuartigkeit muss folglich auch das "Ethos" im Leben des Christen prägen. Diesen wunderbaren Gehalt der christlichen Existenz, der auch die Herzmitte des geistlichen Lebens ist, hat uns Jesus mit dem Gleichnis vom Weinstock und von den Reben gelehrt: "Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer ... Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht, denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen" (Joh 15,1.4f.).

In der modernen Kultur fehlt es gewiss nicht an geistlichen und religiösen Werten, und allem gegenteiligen Anschein zum Trotz hungert und dürstet es den Menschen auch heute unablässig nach Gott. Aber der christliche Glaube läuft nicht selten Gefahr, als eine Religion unter vielen betrachtet und auf eine bloße Sozialethik im Dienst des Menschen verkürzt zu werden. So wird seine umwälzende Neuartigkeit in der Geschichte nicht immer sichtbar: Er ist "Geheimnis", er ist das Heilsgeschehen vom Sohn Gottes, der Mensch wird und allen, die ihn aufnehmen, "Macht gibt, Kinder Gottes zu werden" (Joh 1,12), er ist die Verkündigung, ja das Geschenk eines persönlichen Liebes- und Lebensbundes Gottes mit dein Menschen. Nur wenn die künftigen Priester durch eine angemessene geistliche Formung dieses "Geheimnis" in seiner Tiefe kennengelernt und in wachsendem Maße erfahren haben, werden sie den anderen diese erstaunliche und seligmachende Botschaft mitteilen können (vgl. 1 Joh 1,1-4).

Der Konzilstext kennzeichnet, obgleich er um die absolute Transzendenz des christlichen Geheimnisses weiß, die enge Verbundenheit der künftigen Priester mit Jesus durch den nuancierten Ausdruck der Freundschaft. Sie ist kein vermessener Anspruch, den der Mensch von sich aus stellt. Sie ist einfach das unschätzbare Geschenk Christi, der zu seinen Aposteln gesagt hat: "Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe" (Joh 15,15)

Der Konzilstext weist dann auf einen weiteren großen spirituellen Wert hin: die Suche nach Jesus. "Sie sollen angeleitet werden, Christus zu suchen." Das ist, zusammen mit dem quaerere Deum, ein klassisches Thema der christlichen Spiritualität, das gerade im Zusammenhang mit der Berufung der Apostel seine spezifische Anwendung findet. Wenn Johannes davon berichtet, wie die ersten beiden jünger Jesus folgen, macht er deutlich, welchen Stellenwert diese "Suche" einnimmt. Es ist Jesus selbst, der die Frage stellt: "Was wollt ihr?" Und die beiden antworten: "Rabbi, wo wohnst du?" Der Evangelist fährt fort: "Er antwortete: Kommt und steht! Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm" (Joh 1,37-39). Das geistliche Leben dessen, der sich auf das Priestertum vorbereitet, wird in gewissem Sinne von dieser Suche beherrscht: von ihr und vom "Finden" des Meisters, um ihm zu folgen, um bei ihm zu bleiben. Auch im Dienst und im Leben des Priesters wird dieses "Suchen" weitergehen müssen, so unerschöpflich ist das Geheimnis der Nachahmung und Teilnahme am Leben Christi. Ebenso muss das "Finden" des Meisters weitergehen, um die anderen auf ihn hinzuweisen, besser noch, um in den anderen das sehnsüchtige Verlangen zu wecken, den Meister zu suchen. Ein solcher Prozess ist tatsächlich möglich wenn den Menschen eine Lebenserfahrung bezeugt wird, die sich als mitteilenswert erweist. Das war der Weg, den Andreas einschlug, als er seinen Bruder Simon zu Jesus brachte: Andreas, so schreibt der Evangelist Johannes, "traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: Wir haben den Messias gefunden. Messias heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Er führte ihn zu Jesus" (Joh 1,41-42). Und so wird auch Simon als Apostel in die Nachfolge des Messias berufen: Jesus blickte ihn an und sagte: Du bist Simon, der Sohn des Johannes, du sollst Kephas heißen. Kephas bedeutet: Fels (Petrus)" (Joh 1,42).

Aber was bedeutet die Suche nach Jesus im geistlichen Leben? Und wo ist er zu finden? "Rabbi, wo wohnst du?" Das Konzilsdekret Optatam totius scheint einen dreifachen Weg anzugeben, der durchlaufen werden soll: die gewissenhafte Meditation des Gotteswortes, die aktive Teilnahme an den heiligen Geheimnissen der Kirche, der Liebesdienst an den "Kleinen". Das sind drei große Werte und Anforderungen, die den Inhalt der geistlichen Formung des Priesterkandidaten weiter bestimmen.

47 Ein wesentliches Element der geistlichen Formung ist die von Betrachtung und Gebet begleitete Lesung des Gotteswortes (lectio divina), das demütige und liebevolle Hinhören auf den, der spricht. Denn im Licht und in der Kraft des Gotteswortes kann die eigene Berufung entdeckt, verstanden, geliebt und befolgt und die eigene Sendung so erfüllt werden, dass die ganze Existenz ihre eine und radikale Bedeutung darin findet, Zielpunkt für das Wort Gottes zu sein, der den Menschen ruft, und Ausgangspunkt für das Wort des Menschen, der Gott antwortet. Die Vertrautheit mit dem Wort Gottes wird den Weg der Umkehr nicht nur in der Weise erleichtern, dass eine Abwendung vom Bösen erfolgt, um dem Guten anzuhängen, sondern auch in dem Sinn, dass im Herzen die Gedanke Gottes genährt werden, so dass der Glaube als Antwort auf Gottes Wort zum neuen Kriterium für die Beurteilung und Bewertung von Menschen und Dingen, von Ereignissen und Problemen wird.

Nur wenn wir uns dem Wort Gottes in seiner Wesenswahrheit nähern und es aufnehmen, ermöglicht es uns tatsächlich die Begegnung mit Gott selbst, mit Gott, der zum Menschen spricht; es ermöglicht uns die Begegnung mit Christus, dem Wort Gottes, der Wahrheit, die zugleich auch der Weg und das Leben ist (vgl. Joh 14,6). Es geht darum, die "Schriften" zu lesen und dabei auf die "Worte", auf das "Wort" Gottes, zu hören, wie uns das Konzil in Erinnerung bringt: "Die Heiligen Schriften enthalten das Wort Gottes und, weil inspiriert, sind sie wahrhaft Wort Gottes.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 24.</ref> Und ebenso sagt das Konzil: "In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,7) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen".<ref> Ebd., 2.</ref>

Das liebevolle Kennenlernen und die vom Gebet begleitete Vertrautheit mit dem Wort Gottes sind von besonderer Bedeutung für den prophetischen Dienst des Priesters, für dessen angemessene Durchführung diese Haltung zu einer unumgänglichen Voraussetzung wird, vor allem im Zusammenhang mit der "Neu-Evangelisierung", zu der die Kirche heute aufgerufen ist. Das Konzil ermahnt: "Darum müssen alle Kleriker, besonders Christi Priester und die anderen, die sich als Diakone oder Katecheten ihrem Auftrag entsprechend dem Dienst des Wortes widmen, in beständiger heiliger Lesung und gründlichem Studium sich mit der Schrift befassen, damit keiner von ihnen werde zu einem, hohlen und äußerlichen Prediger des Wortes Gottes, ohne dessen innerer Hörer zu sein (hl. Augustinus, Serm. 179, 1 - PL 38, 966)".<ref> Ebd., 25.</ref>

Die erste und grundlegende Form einer Antwort auf das Wort Gottes ist das Gebet, das zweifellos einen wesentlichen Wert und ein zentrales Erfordernis der geistlichen Formung darstellt. Diese soll die Priesteramtskandidaten dazu anleiten, den echten Sinn des christlichen Gebets kennenzulernen und zu erfahren, dass es nämlich eine lebendige und persönliche Begegnung mit dem Vater durch den eingeborenen Sohn unter der Einwirkung des Geistes ist, ein Dialog, der zur Teilnahme an der Sohnesbeziehung Jesu zum Vater wird. Dass der Priester "Gebetserzieher" sein soll, ist sicher kein nebensächlicher Aspekt seiner Sendung. Aber nun wenn der Priester in der Schule des betenden Jesus ausgebildet worden ist und sich darin weiterbildet, wird er die anderen in der gleichen Schulung ausbilden können. Die Menschen wollen den Priester so haben: "Der Priester ist der Mann Gottes, der Gott gehört und an Gott erinnert. Wenn der Hebräerbrief von Christus spricht, stellt er ihn vor als einen barmherzigen und treuen Hohepriester vor Gott (Hebr 2,17) ... Die Christen hoffen, im Priester nicht nur einen Menschen zu finden, der sie aufnimmt, sie gern anhört und ihnen aufrichtige Sympathie entgegenbringt, sondern auch und vor allem einen Menschen, der ihnen hilft, auf Gott zu schauen und auf ihn zuzugehen. Deshalb ist es notwendig, dass der Priester zu einer tiefen Verbundenheit mit Gott erzogen wird. Diejenigen, die sich auf den Priesterberuf vorbereiten, müssen verstehen, dass der ganze Wert ihres Priesterlebens davon abhängt, inwieweit sie sich selbst Christus und durch Christus dem Vater schenken".<ref> Johannes Paul II., Ansprache vor dem Angelus (4. März 1990), 2-3: L'Osservatore Romano, 5./6. März 1990,1.</ref>

Angesichts des lärmenden Treibens und aufgeregter Unruhe, wie sie in unseren Gesellschaften so häufig zu beobachten sind, ist die Gebetserziehung auch und zuerst Erziehung zum tief menschlichen Verständnis und zum religiösen Wert der Stille. sie bildet die unerläßliche geistliche Atmosphäre, um die Gegenwart Gottes zu erfassen und sich von ihr ergreifen zu lassen (vgl. 1 Kön 19,11 ff.).

48 Höhepunkt des christlichen Gebets ist die Eucharistie, die sich ihrerseits als "Höhepunkt und Quelle" der Sakramente und des Stundengebets erweist. Und ganz notwendig für die geistliche Formung jedes Christen und insbesondere jedes Priesters ist die liturgische Erziehung, verstanden als lebendige Einbeziehung in das Paschamysterium Jesu Christi, der, gestorben und auferstanden, in den Sakramenten der Kirche gegenwärtig und wirksam ist. Die Gemeinschaft mit Gott, Stütze des ganzen geistlichen Lebens, ist Geschenk und Frucht der Sakramente; und gleichzeitig ist sie Aufgabe und Verantwortung, die die Sakramente der Freiheit des Glaubenden übertragen, damit eben diese Gemeinschaft in den Entschlüssen, Entscheidungen, Haltungen und Tätigkeiten seines Alltagslebens lebendig ist. In diesem Sinne ist die "Gnade", die das christliche Leben "neu" macht, die Gnade des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, der seinen heiligen und heiligmachenden Geist weiter in den Sakramenten ausgießt. Auf diese Weise wird das "neue Gesetzt", das die Existenz des Christen leiten und regeln soll, von den Sakramenten in das "neue Herz" eingeschrieben. Es ist das Gesetzt der Liebe zu Gott und den Menschen als Antwort und Fortsetzung der von den Sakramenten zum Ausdruck gebrachten und mitgeteilten Liebe Gottes zum Menschen. Von daher lässt sich unmittelbar die Bedeutung einer "vollen, bewussten und tätigen".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium,14.</ref> Teilnahme an der Feier der Sakramente für die Gabe und Aufgabe jener "Hirtenliebe" begreifen, die die Seele des priesterlichen Dienstes bildet.

Das gilt vor allem für die Teilnahme an der Eucharistie, die zum Gedächtnis des Opfertodes Christi und seiner glorreichen Auferstehung als "Sakrament der Frömmigkeit, Zeichen der Einheit und Band der Liebe"<ref> Hl. Augustinus, In Ioannis Evangelium Tractatus XXVI, 13: CCL 26, 266.</ref> gefeiert wird; sie ist das Ostermahl, bei dem "wir Christus empfangen, unsere Seele mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der zukünftigen Herrlichkeit geschenkt wird".<ref> Vgl. Liturgia Horarum, In festo SS. Corporis Christi, ad II Vesperas antiphona ad Magnificat.</ref> In ihrer Berufung zum Dienst am Heiligen sind die Priester also vor allem Diener beim Messopfer:<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 13.</ref> Ihre Rolle ist ganz und gar unersetzlich, denn ohne Priester kann es kein Eucharistieopfer geben.

Das erklärt die zentrale Bedeutung der Eucharistie für das Leben und den Dienst des Priesters; dies gilt folglich auch für die geistliche Ausbildung der Kandidaten zum Priesterberuf. Ich wiederhole schlicht und einfach und mit größter Sachlichkeit: "Es ist daher notwendig, dass die Seminaristen jeden Tag an der Eucharistiefeier teilnehmen, damit sie später in ihrem Priesterleben diese tägliche Feier zur Regel machen. Sie sollen außerdem dazu erzogen werden, die Eucharistiefeier als den wichtigsten Augenblick des Tages zu betrachten, an dem sie aktiv teilnehmen; sie sollen sich aber nie mit einem nur gewohnheitsmäßigen Mitvollzug begnügen. Endlich sollen die Priesteramtskandidaten zu den inneren Haltungen erzogen werden, die die Eucharistie fördert: zur Dankbarkeit für die von oben empfangenen Wohltaten, denn Eucharistie ist Danksagung; zur Haltung der Hingabe, die sie drängt, das eigene persönliche Opfer mit dem eucharistischen Opfer Christi zu vereinen; zur Liebe, die von einem Sakrament genährt wird, das Zeichen der Einheit und der Mitbeteiligung ist; zu dem Verlangen nach Betrachtung und Anbetung des in den eucharistischen Gestalten wirklich gegenwärtigen Christus".<ref> Johannes Paul II., Ansprache vor dem Angelus (1. Juli 1990), 3: L'Osservatore Romano, 2./3. Juli 1990, 7.</ref>

Dringend geboten ist der Hinweis, dass im Rahmen der geistlichen Ausbildung die Schönheit der sakramentalen Versöhnung und die Freude daran wiederentdeckt werden sollte. In einer Kultur, die Gefahr läuft, durch neu hervorgeholte, sehr subtile Formen der Selbstrechtfertigung unglücklicherweise das "Sündenbewusstsein" und infolgedessen die trostreiche Freude über das Geschenk der Vergebung (vgl. Ps 51,24) und über die Begegnung mit Gott, "der voll Erbarmen ist" (Eph 2,4), zu verlieren, ist es dringend notwendig, die künftigen Priester zur Tugend der Buße zu erziehen, die von der Kirche in ihren liturgischen Feiern und in den verschiedenen Abschnitten des Kirchenjahres weise genährt wird und ihre Fülle im Sakrament der Versöhnung findet. Daraus entspringen der Sinn für Askese und innere Disziplin, der Opfergeist und die Bereitschaft zum Verzicht, die Annahme der Mühe und des Kreuzes. Es handelt sich um Elemente des geistlichen Lebens, die sich nicht selten als besonders schwierig für viele Priesteramtskandidaten herausstellen, die in relativ bequemen und wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen sind und infolge der durch die Massenmedien verbreiteten Verhaltensmodelle und Ideale nicht gerade sensibel und empfänglich für eben diese Elemente gemacht worden sind; das trifft auch in Ländern zu, wo die Lebensverhältnisse einfacher und die Situation der Jugend strenger ist. Darum, aber vor allem um die "radikale Selbsthingabe" nach dem Vorbild Christi, des Guten Hirten, gerade im Leben des Priesters zu verwirklichen, haben die Synodenväter geschrieben: "Es ist notwendig, den Kandidaten den Sinn für das Kreuzesgeschehen einzuprägen, das in der Mitte des Ostergeheimnisses steht. Dank dieser Identifikation mit dem als Knecht gekreuzigten Christus vermag die Welt, selbst in der von Säkularismus, Gewinn- und Genusssucht geprägten Kultur unserer Zeit, den Wert der Einfachheit, des Schmerzes und auch des Martyriums wiederzuentdecken".<ref> Propositio 23.</ref>

49 Zur geistlichen Formung gehört auch, Christus in den Menschen zu suchen. Das geistliche Leben ist sicher innerliches Leben, Leben inniger Vertrautheit mit Gott, Leben des Gebets und der Kontemplation. Aber gerade die Begegnung mit Gott und mit seiner väterlichen Liebe zu allen stellt unvermeidlich die Forderung nach der Begegnung mit dem Nächsten, der Hingabe an die anderen in dem demütigen und selbstlosen Dienst, den Jesus, als er den Aposteln die Füße wusch, allen als Lebensprogramm aufgetragen hat: "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe" (Job 13,15).

Die Hinführung zu der großherzigen und freiwilligen Selbsthingabe, die auch von der normalerweise für die Vorbereitung auf das Priestertum gewählten Gemeinschaftsform begünstigt wird, stellt eine unverzichtbare Voraussetzung für den dar, der berufen ist, zur Erscheinung und Transparenz des Guten Hirten zu werden, der sein Leben hingibt (vgl. Job 10, 11. 15). In dieser Hinsicht verfügt die geistliche Formung über eine innere pastorale bzw. karitative Dimension, die sie entfalten muss. Dabei kann sie sich auch vorteilhaft einer richtigen, das heißt einer tiefen und zarten Verehrung des Herzens Jesu bedienen, wie die Synodenväter hervorheben: "Die künftigen Priester in der Herz-Jesu-Spiritualität zu formen, heißt ein Leben führen, das der Liebe und Zuneigung Christi, des Priesters und Guten Hirten, entspricht: seiner Liebe zum Vater im Heiligen Geist, seiner Liebe zu den Menschen bis zur Aufopferung seines Lebens".<ref> Ebd.</ref>

Der Priester ist also der Mann der Liebe, und er ist dazu berufen, die anderen zur Nachahmung Christi und zu dem neuen Gebot von der brüderlichen Liebe zu erziehen (vgl. Joh 15,12). Aber das erfordert, dass er selber sich ständig vom Geist zur Liebe Christi erziehen lässt. In diesem Sinne muss die Vorbereitung auf den Priesterberuf eine ernsthafte Bildung zur Liebe einschließen, im besonderen zur vorrangigen Liebe für die "Armen", in denen der Glaube die Gegenwart Jesu entdeckt (vgl. Joh 25,40), und zur barmherzigen Liebe für die Sünder.

In der Perspektive dieser liebenden Selbsthingabe findet die Erziehung zum Gehorsam, zur Ehelosigkeit und zur Armut in der geistlichen Formung des künftigen Priesters ihren angemessenen Platz.<ref> Vgl. ebd.</ref> In diesem Sinne liegt auch die Aufforderung des Konzils: "Die Alumnen müssen mit voller Klarheit verstehen, da sie nicht zum Herrschen oder für Ehrenstellen bestimmt sind, sondern sich ganz dem Dienst Gottes und der Seelsorge widmen sollen. Mit besonderer Sorgfalt sollen sie im priesterlichen Gehorsam, in armer Lebensweise und im Geist der Selbstverleugnung erzogen werden, so dass sie sich daran gewöhnen, auch auf erlaubte, aber unnötige Dinge bereitwillig zu verzichten und dem gekreuzigten Christus ähnlich zu werden".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 9.</ref>

50 Die geistliche Formung dessen, der zu einem ehelosen Leben berufen ist, muss den künftigen Priester mit besonderer Sorgfalt darauf vorbereiten, den Zölibat in seinem eigentlichen Wesen und in seinen wahren Zielsetzungen, also in seinen evangeliumsgemäßen geistlichen und pastoralen Begründungen kennenzulernen, zu achten, zu lieben und zu leben. Voraussetzung und Inhalt dieser Vorbereitung ist die Tugend der Keuschheit, die alle menschlichen Beziehungen kennzeichnet und die dazu anleitet, "nach dem Beispiel Christi eine aufrichtige, menschliche, brüderliche, persönliche und opferfähige Liebe zu allen und zu jedem einzelnen zu erproben und zu bekunden".<ref> Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Grundordnung für die Ausbildung der Priester Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (6. Januar 1970), 51: a.a.O.,354.</ref>

Die Ehelosigkeit der Priester trägt das Merkmal der Keuschheit. Ihre prägenden Charakteristika lassen sich im Blick auf die Priester so umschreiben: "Sie verzichten um des Himmelreiches willen (vgl. Mt 19,12) auf die eheliche Gemeinschaft, bangen dem Herrn mit ungeteilter Liebe an, wie sie dem Neuen Bund in besonderer Weise entspricht; sie geben Zeugnis für die Auferstehung in der künftigen Welt (vgl. Lk 20,36) und gewinnen besonders wirksame Hilfe zur ständigen Übung jener vollkommenen Liebe, die sie in ihrer priesterliche Arbeit allen alles werden lässt".<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 10.</ref> In diesem Sinne kann der priesterliche Zölibat weder als eine bloße Rechtsnorm noch als eine ganz äußerliche Bedingung für die Zulassung zur Priesterweihe angesehen werden. Er ist vielmehr als ein Wert zu begreifen, der tief mit der heiligen Weihe verbunden ist, die den Priester Jesus Christus, dem Guten Hirten und Bräutigam der Kirche gleichförmig macht, und daher als die Wahl einer größeren und ungeteilten Liebe zu Christus und zu seiner Kirche und in voller, freudiger Verfügbarkeit des Herzens für den priesterlichen Dienst. Der Zölibat ist als eine besondere Gnade, als ein Geschenk anzusehen: "Nicht alle können es erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist" (Mt 19,11). Gewiss handelt es sich um eine Gnade, die ihren Empfänger nicht von der bewussten und freien Antwort entbindet, sondern diese mit einzigartiger Kraft von ihm fordert. Dieses Charisma des Geistes schließt auch die Gnade ein, dass derjenige, der sie empfängt, das ganze Leben treu bleibt und mit Selbstlosigkeit und Freude die damit verbundenen Verpflichtungen erfüllt. In der Ausbildung zum priesterlichen Zölibat muss das Bewusstsein vom "kostbaren Geschenk Gottes"<ref> Ebd.</ref> gewährleistet sein; es wird zum Gebet und zur Wachsamkeit anleiten, damit das Geschenk vor allem, was es bedrohen könnte, geschützt wird.

Der ehelos lebende Priester wird seinen Dienst im Volk Gottes besser erfüllen können. Indem er den evangelischen Wert der Jungfräulichkeit bezeugt, wird er insbesondere die christlichen Eheleute dazu anhalten können, das "große Sakrament" der Liebe des Bräutigams Christus zu seiner Braut, der Kirche, in seiner Fülle zu leben, so wie auch seine Treue im Zölibat für die Treue der Eheleute hilfreich sein wird.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Schreiben an alla Priester der Kirche zum Gründonnerstag (8. April 1979): Insegnamenti, II, 1 (1979) 841-862.</ref>

Die Bedeutung und die Schwierigkeit der Hinführung zur priesterlichen Ehelosigkeit, insbesondere unter den heutigen sozialen und kulturellen Gegebenheiten, haben die Synodenväter zu einer Reihe von Anträgen veranlasst, deren bleibende Gültigkeit im übrigen von der Weisheit der Mutter Kirche bestätigt wird. Ich lege sie hier als Kriterien wieder vor, die bei der Erziehung zur Keuschheit im Zölibat befolgt werden sollten: "Die Bischöfe sollen zusammen mit den Rektoren und den Spirituälen der Seminare Grundsätze festlegen, Kriterien und Hilfen anbieten für den Unterscheidungsprozess auf diesem Gebiet. Von größter Wichtigkeit für die Erziehung zur Keuschheit im Zölibat sind die Sorge des Bischofs und das brüderliche Leben unter den Priestern. Im Seminar, das heißt in seinem Ausbildungsprogramm, soll der Zölibat mit aller Klarheit, ohne jede Doppeldeutigkeit und in seinem positiven Gehalt, dargestellt werden. Der Seminarist soll über einen hinreichenden Grad psychischer und sexueller Reife sowie über ein eifriges und echtes Gebetsleben verfügen und unter der Führung eines geistlichen Begleiters stehen. Der Spiritual soll dem Seminaristen dabei helfen, dass er zu einer reifen und freien Entscheidung gelangt, die sich auf die Wertschätzung der priesterlichen Freundschaft und der Selbstbeherrschung sowie auch auf die Annahme der Einsamkeit und auf ein in rechter Weise verstandenes physisches und psychologisches Persönlichkeitsbild gründet. Darum sollen die Seminaristen die Lehre des II. Vatikanischen Konzils, die Enzyklika Sacerdotalis caelibatus und die 1974 von der Kongregation für das katholische Bildungswesen herausgegebene Instruktion über die Erziehung zum priesterlichen Zölibat gut kennen. Damit der Seminarist den priesterlichen Zölibat in freier Entscheidung um des Himmelreiches willen auf sich nehmen kann, ist es notwendig, dass er um die christliche und wahrhaft menschliche Natur sowie um den Zweck der Geschlechtlichkeit in der Ehe und im Zölibat Bescheid weiß. Es ist auch notwendig, die gläubigen Laien über die dem Zölibat eigenen evangelischen, spirituellen und pastoralen Motivationen zu unterweisen, so dass sie den Priestern durch Freundschaft, Verständnis und Zusammenarbeit behilflich sein können".<ref> Propositio 24.</ref>

Die wissenschaftliche Ausbildung: Das Mühen um Glaubenseinsicht

51 Die wissenschaftliche Ausbildung ist, obwohl sie einen ihr eigenen Sondercharakter hat, eng mit der menschlichen und geistlichen Formung verbunden; dies zeigt sich darin, dass sie eine notwendige Ausdrucksform dieser Dimensionen darstellt: Sie nimmt nämlich Gestalt an als ein nicht unterdrückbares Bedürfnis des Verstandes, mit dem der Mensch "am Licht des göttlichen Geistes teilnimmt" und eine Weisheit zu erwerben sucht, die sich ihrerseits auf die Erkenntnis Gottes und auf die Verbundenheit mit ihm öffnet.<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 15.</ref>

Die wissenschaftlich-intellektuelle Ausbildung der Priesteramtskandidaten findet ihre charakteristische Rechtfertigung in der Natur des geweihten Dienstes selbst und beweist ihre aktuelle Dringlichkeit angesichts der Herausforderung der Neu-Evangelisierung", zu welcher der Herr die Kirche an der Schwelle des dritten Jahrtausends aufruft. "Wenn schon jeder Christ", schreiben die Synodenväter, "bereit sein soll, den Glauben zu verteidigen und die Hoffnung, die in uns lebt, zu bezeugen (vgl. 1 Petr 3,15), um wie viel mehr müssen dann die Priesteramtskandidaten und die Priester sich sorgfältig um den Wert der intellektuellen Bildung in der Erziehung und in der Seelsorgstätigkeit kümmern, da sie sich zum Heil der Brüder und Schwestern um eine Unsere vertiefte Kenntnis der göttlichen Geheimnisse bemühen sollen.<ref> Propositio 26.</ref> Unsere heutige Situation, die schwer gezeichnet ist von religiöser Gleichgültigkeit und einem verbreiteten Misstrauen in bezug auf die tatsächliche Fähigkeit der Religion, zur objektiven und universalen Wahrheit zu gelangen und außerdem von den durch die Entdeckungen in Wissenschaft und Technik hervorgerufenen neuen Problemen und Fragen geprägt ist, erfordert mit Nachdruck ein hervorragendes Niveau der intellektuellen Ausbildung. Diese Ausbildung soll die Priester dazu befähigen, dem so geschilderten Umfeld das unwandelbare Evangelium Christi zu verkünden und es angesichts der legitimen Erfordernisse der menschlichen Lebenswirklichkeit glaubwürdig zu machen. Hinzugefügt sei außerdem, dass das in unseren Tagen nicht nur im Bereich der menschlichen Gesellschaft, sondern auch der kirchlichen Gemeinschaft sehr ausgeprägte Phänomen des Pluralismus eine besondere Begabung zu kritischer Unterscheidung verlangt: Das ist ein weiterer Grund, der die Notwendigkeit einer sehr ernsthaften intellektuellen Ausbildung beweist.

Diese "pastorale" Begründung der wissenschaftlichen Ausbildung bestätigt noch einmal das, was bereits über die Einheit des Erziehungsprozesses in seinen verschiedenen Dimensionen gesagt wurde. Der engagierte Einsatz für das Studium, der einen Großteil des Lebens des Kandidaten während seiner Vorbereitung auf das Priestertum einnimmt, ist in der Tat keine äußerliche und nebensächliche Komponente seines menschlichen, christlichen und geistlichen Hineinwachsens in die Berufung: In Wirklichkeit kommt der künftige Priester durch das Studium, vor allem der Theologie, zu einer engen Verbindung mit dem Wort Gottes, wächst in seinem geistlichen Leben und bereitet sich auf die Erfüllung seines pastoralen Dienstes vor. Das ist der vielfältige und einheitliche Zweck des Theologiestudiums, der vom Konzil ausgewiesen<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 16.</ref> und vom Instrumentum laboris der Synode wieder vorgelegt wurde: "Die intellektuelle Formung wird, damit sie in pastoraler Hinsicht wirksam sein kann, in einen von der persönlichen Gotteserfahrung geprägten geistlichen Ausbildungsgang integriert, um so ein bloß angelerntes Wissen zu überwinden und zu jener Einsicht des Herzens zu gelangen, die zuerst zu sehen vermag und danach imstande ist, das Geheimnis Gottes den Menschen mitzuteilen".<ref> Achte Weltbischofssynode, Instrumentum laboris,39.</ref>

52 Ein wesentliches Element der intellektuellen Ausbildung ist das Studium der Philosophie, das zu tieferem Verständnis und zur besseren Deutung der menschlichen Person, ihrer Freiheit und ihrer Beziehungen zur Welt und zu Gott anleitet. Die philosophische Ausbildung erweist sich als sehr dringend, nicht nur wegen der Bande, die zwischen den philosophischen Themen und den in der Theologie im höheren Licht des Glaubens erforschten Heilsgeheimnissen bestehen,"<ref> Vgl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Schreiben alle Bischöfe über die Notwendigkeit einer intensiven Förderung des Studiums der Philosophie an den Seminaren De necessitate Philosophiae studia in Seminariis impensius promovendi (20. Januar 1972).</ref> sondern auch angesichts einer weitverbreiteten kulturellen Situation, die den Subjektivismus zum Kriterium und Maßstab der Wahrheit erhebt: Nur eine gesunde Philosophie kann den Priesteramtskandidaten helfen, ein reflektiertes Bewusstsein von der Grundbeziehung zu entwickeln, die zwischen dem menschlichen Geist und jener Wahrheit besteht, die sich uns in Jesus Christus voll enthüllt. Nicht unterschätzt werden darf auch die Bedeutung der Philosophie für die Garantie jener "Wahrheitsgewissheit", die es allein auf der Grundlage der persönlichen Ganzhingabe an Jesus Christus geben kann. Man kann unschwer verstehen, dass einige sehr konkrete Fragen, wie die Identität des Priesters und sein apostolischer und missionarischer Einsatz, tief mit der keineswegs abstrakten Frage nach der Wahrheit verbunden sind: Wenn man über die Wahrheit keine Gewissheit haben kann, wie ist es dann möglich, sein ganzes Leben aufs Spiel zu setzen und die Kraft aufzubringen, sich ernsthaft des Lebens der anderen anzunehmen?

Die Philosophie hilft dem Kandidaten nicht wenig, die intellektuelle Bildung um den "Wahrheitskult" zu bereichern: Gemeint ist eine Art liebevoller Verehrung der Wahrheit, die zu der Erkenntnis führt, dass die Wahrheit nicht nach menschlichen Maßstäben geschaffen, sondern dem Menschen von der höchsten Wahrheit, Gott, als Geschenk gegeben wird; gemeint ist ferner die Überzeugung, dass die menschliche Vernunft, sei es auch begrenzt und manchmal mit Schwierigkeiten, die objektive und universale Wahrheit, auch jene, die Gott und den radikalen Sinn der Existenz betrifft, zu erreichen vermag; einbezogen ist weiterhin die Erfahrung, dass selbst der Glaube nicht von der Vernunft und von der Mühe, seine Inhalte zu "denken", absehen kann, wovon der große Geist des Augustinus Zeugnis gab: "Ich wollte mit dem Verstand das sehen, was ich glaubte, und ich habe viel diskutiert und mich abgemüht".<ref> Desideravi intellectu videre quod credidi, et multum disputavi et laboravia, De Trinitate XV, 28: CCL 50/A, 534.</ref>

Hilfreich für ein tieferes Verständnis des Menschen und der gesellschaftlichen Phänomene und Perspektiven in bezug auf eine so weit wie möglich "inkardinierte" pastorale Tätigkeit können auch die sogenannten "Humanwissenschaften" sein, wie die Soziologie, die Psychologie, die Pädagogik, die Wirtschafts- und Politikwissenschaft, die Kenntnis der sozialen Kommunikationsformen. Und selbst in dem sehr präzisen Bereich der positiven oder deskriptiven Wissenschaften helfen diese dem künftigen Priester, die von Christus gelebte "Gleichzeitigkeit" ins Heute zu übertragen. "Christus hat sich", sagte Paul IV., Für einige Menschen zum Zeitgenossen gemacht und mit ihnen in ihrer Sprache gesprochen. Die Treue zu ihm verlangt, dass diese Gleichzeitigkeit fortdauert".<ref> Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer an der 21. Italienischen Bibelwoche (25. September 1970): AAS 62 (1970) 618.</ref>

53 Die intellektuelle Ausbildung des künftigen Priesters stützt sich vor allem auf das Studium der Sacra doctrina, der Theologie, und baut auf dieser Grundlage auf. Der Wert und die Authentizität der wissenschaftlichen Ausbildung hängen von der gewissenhaften Respektierung des der Theologie eigenen Wesens ab, das die Synodenväter so zusammengefasst haben: "Die wahre Theologie stammt aus dem Glauben und will zum Glauben hinführen".<ref> Propositio 26.</ref> Das ist die Auffassung, die die Kirche und insbesondere ihr Lehramt ständig vertreten haben. Und das ist auch die Linie, der die großen Theologen folgten, die im Laufe der Jahrhunderte das Denken der Kirche bereichert haben. Der hl. Thomas drückt sich äußerst klar aus, wenn er sagt, der Glaube sei der Habitus der Theologie, das heißt ihr dauerndes Wirkungsprinzip,<ref> Fides, quae est quasi habitus principiorum theologiae, In Boëth. de Trin. 5, 4, ad 8: Opuscula Theologica, vol. II (hrsg. von R. Spiazzi, O.P., Turin, Marietti 1954, 378).</ref> und "die ganze Theologie ist darauf hingeordnet, den Glauben zu nähren".<ref> Vgl. hl. Thomas, in I Sentent. Prolog., 9. I, a. 1-5.</ref>

Der Theologe ist also vor allem ein Glaubender, ein Mann des Glaubens.

Aber er ist ein Glaubender, der sich über seinen Glauben Rechenschaft gibt (fides quaerens intellectum), um zu einem tieferen Verständnis eben dieses Glaubens zu gelangen. Die beiden Aspekte, der Glaube und das gereifte Nachdenken, sind tief miteinander verbunden und verflochten: Ihre enge Zuordnung und Durchdringung entscheidet über die wahre Natur der Theologie und infolgedessen über die Inhalte, die Möglichkeiten und den Geist, nach denen die Sacra doctrina aufbereitet und studiert wird.

Da der Glaube, Ausgangs- und Zielpunkt der Theologie, dann ein persönliches Verhältnis des Glaubenden zu Jesus Christus in der Kirche bewirkt, verfügt auch die Theologie über innere christologische und ekklesiale Merkmale, die der Priesterkandidat bewusst übernehmen soll. Dies gilt nicht nur wegen der Auswirkungen auf sein persönliches Leben, sondern auch wegen der Konsequenzen für seinen Seelsorgsdienst. Wenn das Wort Gottes angenommen wird, läuft der Glaube hinaus auf ein radikales ja" des Glaubenden zu Jesus Christus, dem vollen und endgültigen Wort Gottes an die Welt (vgl. Hebr 1,lff.). Folglich hat die theologische Reflexion ihren Mittelpunkt in der Zugehörigkeit zu Jesus Christus als der Weisheit Gottes: Die reife Reflexion, das reife Nachdenken muss sich als Teilhabe am "Denken" Christi (vgl. 1 Kor 2,16) in der menschliche Form einer Wissenschaft (scientia fidel) verstehen. Gleichzeitig fügt der Glaube den Glaubenden in die Kirche ein und lässt ihn Anteil nehmen am Leben der Kirche als Glaubensgemeinschaft. Folglich besitzt die Theologie eine kirchliche Dimension, weil sie eine gereifte Reflexion über den Glauben der Kirche seitens des Theologen darstellt, der selbst Glied der Kirche ist.<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen, Donum veritatis (24. Mai 1990) 11; AAS 82 (1990) 1554-1555; 1568-1569.</ref>

Diese christologischen und ekklesialen Perspektiven, die zum Wesen der Theologie gehören, helfen mit, bei den Priesteramtskandidaten in Verbindung mit wissenschaftlicher Strenge eine große, lebendige Liebe zu Jesus Christus und seiner Kirche zur Entfaltung zu bringen: Indem diese Liebe ihr geistliches Leben nährt, bewirkt sie schon eine Orientierung auf die selbstlose Erfüllung ihres Dienstes. Genau das war schließlich die Absicht des II. Vatikanischen Konzils das die Neugestaltung der kirchlichen Studien anregte. Es wollte die verschiedenen philosophischen und theologischen Disziplinen besser aufeinander abgestimmt sehen; "sie sollen harmonisch darauf hinstreben, den Alumnen immer tiefer das Mysterium Christi zu erschließen, das die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht, sich ständig der Kirche mitteilt und im priesterlichen Dienst in besonderer Weise wirksam wird".<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 14.</ref>

Wissenschaftliche Ausbildung und geistliches Leben, im besonderen das Gebetsleben, begegnen und stärken sich gegenseitig, ohne im geringsten der theologischen Forschung etwas von ihrem Ernst noch dem Gebet etwas von seiner spirituellen Würze zu nehmen. Der hl. Bonaventura ermahnt uns: "Niemand solle glauben, dass ihm die Lektüre ohne die Geistsalbung, das spekulative Denken ohne das gefühlsbetonte Frohlocken, das Tun ohne die Frömmigkeit, das Wissen ohne die Liebe, der Verstand ohne die Demut, das Studium ohne die göttliche Gnade, die Selbstbetrachtung ohne die von Gott eingegossene Weisheit genüge".<ref>Itinerarium mentis in Deum, Prol. Nr 4: Opera omnia, Tomus V, Ad Claras Aquas (Quaracchi) prope Florentiam, Ex Typographia Collegii S. Bonaventurae 1891, 296.</ref>

54 Die theologische Ausbildung ist eine sehr komplexe und verpflichtende Aufgabe. Sie soll den Priesteramtskandidaten dazu führen, eine Sicht der von Gott in Jesus Christus geoffenbarten Wahrheiten und der Glaubenserfahrung der Kirche zu erhalten, die vollständig und einheitlich sein soll: Daher kommt die zweifache Forderung, "alle" christlichen Wahrheiten kennenzulernen, ohne willkürliche Auswahlentscheidungen zu treffen und sie in organischer Form zu erfassen. Das erfordert, dass dem Alumnen dabei geholfen wird, eine Synthese vorzunehmen, die Frucht der Beiträge der verschiedenen theologischen Disziplinen sein soll, deren spezifische Eigenart erst in ihrer tieferen Zuordnung echten Wert gewinnt.

In ihrer reifen Reflexion über den Glauben bewegt sich die Theologie in zwei Richtungen. Die erste drückt sich im Studium des Wortes Gottes aus und zielt auf das in der Heiligen Schrift enthaltene, in der lebendigen Überlieferung der Kirche gefeierte und gelebte und vom Lehramt der Kirche glaubwürdig ausgelegte Wort. Daraus ergibt sich ein Zusammenhang zwischen dem Studium der Heiligen Schrift, "die die Seele der ganzen Theologie sein muss",<ref> Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 16.</ref> dem Studium der Kirchenväter und der Liturgie, der Kirchengeschichte und den Verlautbarungen des Lehramtes. Die zweite Richtung ist die Sicht des Menschen als Gesprächspartner Gottes: Im Blickpunkt steht der Mensch, der gerufen ist, die Fides und das christliche Ethos zu "glauben", zu "leben" und den anderen "mitzuteilen". Daraus ergibt sich das Studium der Dogmatik, der Moraltheologie, der Theologie des geistlichen Lebens, des Kirchenrechts und der Pastoraltheologie.

Der Bezug zum glaubenden Menschen veranlasst die Theologie, einerseits besonders auf die ständige grundlegende Beziehung zwischen Glaube und Vernunft zu achten sowie andererseits auf einige Erfordernisse, die mehr mit der sozialen und kulturellen Lage von heute zusammenhängen. In die erste Gruppe gehört das Studium der Fundamentaltheologie, die die christliche Offenbarung und ihre Weitergabe in der Kirche zum Gegenstand hat. In der zweiten Gruppe sind Fächer zu finden, die als Antworten auf heute stark empfundene Probleme eine entschiedenere Entwicklung erfahren haben und erfahren. So etwa das Studium der kirchlichen Soziallehre, die "in den Bereich der Theologie, insbesondere der Moraltheologie, gehört"<ref>Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), 41: AAS 80 (1988) 571.</ref> und die zu den "wesentlichen Bestandteilen" der Neu-Evangelisierung" zählt, deren Werkzeug sie darstellt.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 54: AAS 83 (1991), 859-860.</ref> Dasselbe gilt vom Studium der Missionswissenschaft, des Ökumenismus, des Judentums, des Islam und der anderen Religionen.

55 Die theologische Ausbildung in der heutigen Zeit muss einigen Problemen Aufmerksamkeit schenken, die nicht selten im Leben der Kirche Schwierigkeiten, Spannungen und Verwirrungen auslösen. Man denke an das Verhältnis zwischen den Verlautbarungen des Lehramtes und den theologischen Diskussionen, das sich nicht immer so gestaltet, wie es sein sollte, das heißt im Zeichen der Zusammenarbeit. Sicher "haben das lebendige Lehramt der Kirche und die Theologie trotz verschiedener Gaben und Funktionen letzten Endes dasselbe Ziel: das Volk Gottes in der Wahrheit zu erhalten, die frei macht und es so zum Licht der Völker zu machen. Dieser Dienst an der kirchlichen Gemeinschaft setzt den Theologen in wechselseitige Beziehung zum Lehramt. Dieses lehrt authentisch die Lehre der Apostel und, während es aus der theologischen Arbeit Nutzen zieht, weist die Einwände gegen den Glauben und seine Entstellungen zurück und schlägt mit der von Jesus Christus empfangen Vollmacht neue Vertiefungen, Erläuterungen und Anwendungen der geoffenbarten Lehre vor. Die Theologie hingegen gewinnt auf dem Weg der Reflexion eine immer tiefere Erkenntnis des Gotteswortes, das in der Schrift enthalten ist und von der lebendigen Überlieferung der Kirche unter der Führung des Lehramtes weitergegeben wird; sie versucht, die Belehrung über die Offenbarung vor der Instanz der Vernunft klarzustellen und gibt ihr schließlich eine organische und systematische Gestalt".<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die kirchliche Berufung des Theologen, Donum veritatis (24. Mai 1990), 21: a.a.O., 1559.</ref> Wenn jedoch - aus einer Reihe von Gründen - diese Zusammenarbeit nachlässt, gilt es, keine Missverständnisse und Verwirrungen aufkommen zu lassen, indem man "die gemeinsame Lehre der Kirche" sorgfältig zu unterscheiden weiß "von den Meinungen der Theologen und von Tendenzen", die rasch vergehen (den sogenannten , Modena).<ref>Propositio 26.</ref> Es gibt kein "Parallel-Lehramt", denn das einzige Lehramt ist das des Petrus und der Apostel, des Papstes und der Bischöfe.<ref>So schreib z.B. der hl. Thomas von Aquin: "Man muss sich mehr an die Autorität der Kirche als an die Autorität eines Augustinus oder Hieronymus oder irgendeines anderen Kirchenlehrers halten" (S. Theol., II-II, 10,12). Und weiter, dass niemand sich mit der Autorität des Hieronymus oder Augustinus oder irgendeines anderen Kirchenlehrer gegen die Autorität des Petrus verteidigen kann. Vgl. edb., II-II,11,1-3.</ref>

Ein anderes Problem, das man vor allem dort wahrnimmt, wo die Seminarstudien akademischen Institutionen übertragen werden, betrifft das Verhältnis zwischen der wissenschaftlichen Ausrichtung der Theologie und ihrer pastoralen Zielsetzung. Es handelt sich in Wirklichkeit um zwei Wesensmerkmale der Theologie und ihrer Unterweisung, die einander nicht widersprechen, sondern die, wenn auch unter verschiedenen Perspektiven, am vollen "Verständnis des Glaubens" mitwirken. Denn der pastorale Charakter der Theologie bedeutet nicht eine Theologie, die weniger doktrinell oder sogar ihrer Wissenschaftlichkeit beraubt wäre; er bedeutet hingegen, dass sie die künftigen Priester befähigt, die Botschaft des Evangeliums mit Hilfe der kulturellen Möglichkeiten ihrer Zeit zu verkünden und die Seelsorgstätigkeit einer authentischen theologischen Anschauung entsprechend zu konzipieren. So wird ein Studium, das die strenge Wissenschaftlichkeit der einzelnen theologischen Disziplinen respektiert, einerseits zur möglichst vollständigen und gründlichen Ausbildung des Seelsorgers als Glaubenslehrer beitragen; andererseits wird die angemessene Sensibilität für die pastorale Zielsetzung das ernsthafte wissenschaftliche Studium der Theologie für die künftigen Priester ausgesprochen fruchtbar machen.

Ein weiteres Problem ergibt sich aus der heute stark vernehmbaren Forderung nach der Evangelisierung der Kulturen und nach der Inkulturation der Glaubensbotschaft. Es ist ein überwiegend pastorales Problem, das in größerem Umfang und mit mehr Sensibilität in die Ausbildung der Priesteramtskandidaten Eingang finden muss: "Unter den heute gegebenen Verhältnissen, wo in manchen Gegenden der Welt die christliche Religion als etwas sowohl für die alten wie die modernen Kulturen Fremdes angesehen wird, ist es von großer Wichtigkeit, dass bei der ganzen intellektuellen und menschlichen Ausbildung die Dimension der Inkulturation für notwendig und wesentlich gehalten wird".<ref>Propositio 32.</ref> Aber das erfordert zuvor eine authentische Theologie, die sich von den katholischen Grundsätzen zur Inkulturation inspirieren lässt. Diese Grundsätze verbinden sich mit dem Geheimnis der Menschwerdung des Gotteswortes und mit der christlichen Anthropologie und erhellen den authentischen Sinn der Inkulturation: Sie will angesichts der verschiedensten und manchmal gegensätzlichen Kulturen, die es in den verschiedenen Teilen der Welt gibt, gehorsam gegenüber dem Gebot Christi sein, allen Völkern bis an die äußersten Grenzen der Erde das Evangelium zu verkünden. Ein solcher Gehorsam bedeutet weder Synkretismus noch einfache Anpassung der Verkündigung des Evangeliums, sondern meint die Tatsache, dass das Evangelium voll Lebenskraft in die Kulturen eindringt, in sie hineinwächst, indem es deren kulturelle Elemente, die mit dem Glauben und mit dem christlichen Leben nicht vereinbar sind, überwindet und ihre Werte in das Heilsmysterium, das von Christus kommt, hineinintegriert.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 52-54.</ref> Das Problem der Inkulturation kann von besonderem Interesse sein, wenn die Priesteramtskandidaten selbst aus autochthonen Kulturen kommen: Sie werden angemessene Ausbildungswege benötigen, sei es um die Gefahr zu überwinden, weniger anspruchsvoll im Blick auf die Erziehung zu den menschlichen, christlichen und priesterlichen Werten zu sein, sei es um die guten und authentischen Elemente ihrer Kulturen und Traditionen zur Geltung zu bringen.<ref>Vgl. Propositio 32.</ref>

56 Im Gefolge der Lehre und der Richtlinien des II. Vatikanischen Konzils und der von der Grundordnung für die Ausbildung der Priester gegebenen Anwendungshinweise ist in der Kirche eine umfangreiche Weiterentwicklung der Ausbildung in den philosophischen und vor allem den theologischen Lehrfächern in den Seminaren zum Abschluss gekommen. Auch wenn in einigen Fällen noch weitere Verbesserungen und Entwicklungen erforderlich sind, so hat diese Anpassung an die heutigen Erfordernisse insgesamt dazu beigetragen, das Erziehungsangebot im Rahmen der intellektuellen Ausbildung immer qualifizierter zu machen. Diesbezüglich "haben die Synodenväter erneut mehrmals und mit aller Klarheit die Notwendigkeit, ja Dringlichkeit bekräftigt, dass in den Seminaren und Ausbildungshäusern der grundlegende Studienplan eingeführt werde, und zwar sowohl in seiner gesamtkirchlichen Fassung wie in den Sonderbestimmungen der einzelnen Nationen oder Bischofskonferenzen".<ref>Propositio 27.</ref>

Entschieden entgegengetreten werden muss der Tendenz, die Ernsthaftigkeit und den Verpflichtungscharakter der Studien abzuschwächen, eine Tendenz, die sich in manchen kirchlichen Kreisen auch als Folge einer unzureichenden und lückenhaften Grundvorbereitung der Alumnen, die den philosophischen und theologischen Studiengang beginnen, bemerkbar macht. Gerade die gegenwärtige Situation verlangt in zunehmendem Maße Lehrer, die wirklich insgesamt auf der Höhe der Zeit stehen und imstande sind, sich sachkundig und mit klaren, eindeutigen Argumenten den Sinnfragen der heutigen Menschen zu stellen, auf die allein das Evangelium Jesu Christi die ganze und endgültige Antwort gibt.

Die pastorale Ausbildung: In Kommunikation mit der Liebe Jesu Christi, des Guten Hirten

57 Die gesamte Ausbildung der Priesteramtskandidaten ist dazu bestimmt, sie in besonderer Weise darauf vorzubereiten, die Kommunikation mit der Liebe Christi, des Guten Hirten, zu verwirklichen. Diese Ausbildung muss daher in ihren verschiedenen Aspekten einen im wesentlichen pastoralen Charakter haben. Das unterstrich das Konzilsdekret Optatam totius in bezug auf die Priesterseminare sehr klar: "Die gesamte Ausbildung der Alumnen muss dahin zielen, dass sie nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu wahren Seelenhirten geformt werden; sie müssen also zum Dienst am Wort vorbereitet werden, dass sie das geoffenbarte Gotteswort immer besser verstehen, durch Meditation mit ihm vertraut werden und es in Wort und Leben darstellen; zum Dienst des Kultes und der Heiligung, dass sie in Gebet und im Vollzug der heiligen Liturgie das Heilswerk durch das eucharistische Opfer und die Sakramente vollziehen; zum Dienst des Hirten, dass sie den Menschen Christus darstellen können, der nicht kam, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben (Mk 10,45; vgl. Joh 13,12-17), und dass sie, indem sie Diener aller werden, so viele gewinnen" (vgl. 1 Kor 9,19).<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 4.</ref>

Der Konzilstext besteht auf der tiefgreifenden Zuordnung, die zwischen den verschiedenen Aspekten der Ausbildung - der menschlichen, geistlichen und intellektuellen - besteht; und zugleich drängt er auf ihre besondere pastorale Zielbestimmung. In diesem Sinne vermittelt die pastorale Zielsetzung der menschlichen, geistlichen und intellektuellen Dimension ganz bestimmte Inhalte und Wesensmerkmale und kann so für die gesamte Ausbildung der künftigen Priester das einheitsstiftende Spezifikum sein.

Wie jede andere Ausbildung entfaltet sich auch die pastorale Dimension mittels der reiflichen Überlegung und der operativen Anwendung, und sie schlägt ihre lebendigen Wurzeln in einem Geist, der die Stütze sowie die Antriebs- und Entfaltungskraft vor allem darstellt.

Erfordert ist daher das Studium einer richtigen und eigenen theologischen Disziplin: der Pastoral- oder praktischen Theologie, die eine wissenschaftliche Reflexion über die Kirche in ihrer täglichen Auferbauung in der Geschichte durch die Kraft des Geistes ist: Es geht also um ein Nachdenken über die Kirche als allumfassendes Heilssakrament",<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 48.</ref> als lebendiges Zeichen und Werkzeug des Heilstat Jesu Christi im Wort, in den Sakramenten und im Dienst der Liebe. Die Seelsorge ist weder nur eine Kunst noch ein Gefüge von Ratschlägen, Erfahrungen und Methoden; sie besitzt ihre volle theologische Würde, weil sie aus dem Glauben die Grundsätze und Kriterien für das pastorale Wirken der Kirche in der Geschichte bezieht, einer Kirche, die jeden Tag die Kirche selbst "hervorbringt", wie es der hl. Beda Venerabilis sehr gelungen ausgedrückt hat: Nam et Ecclesia quotidie gignit Ecclesiam".<ref> Hl. Beda Venerabilis, Explanatio Apocalypsis, Lib. II, 12: PL 93, 166.</ref> Unter diesen Grundsätzen und Kriterien kommt dem Maßstab der evangelischen Unterscheidung in der soziokulturellen und kirchlichen Situation, innerhalb der sich das pastorale Wirken vollzieht, besondere Bedeutung zu.

Das Studium der Pastoraltheologie soll die Seelsorgstätigkeit durch die Übernahme einiger Diensttätigkeiten erleuchten, die die Priesteramtskandidaten mit notwendiger Abstufung und stets im Einklang mit den anderen Ausbildungsverpflichtungen verwirklichen sollen: Es handelt sich um pastorale "Erfahrungen", die in eine echte pastorale Lehrzeit" einfließen können, die auch von längerer Dauer sein kann und methodisch überprüft werden muss.

Das Studium und die Seelsorgstätigkeiten verweisen aber auf eine innere Quelle, die die Ausbildung stets zu bewahren und neu zu erschließen haben wird: die immer tiefere Verbundenheit mit der Hirtenliebe Jesu. Wie sie das Prinzip und die Kraft seines Heilswirkens gewesen ist, so muss sie dank der Ausgießung des Heiligen Geistes im Weihesakrament das Prinzip und die Kraft des priesterlichen Dienstes darstellen. Es handelt sich um eine Ausbildung, die nicht nur eine wissenschaftliche seelsorgerische Kompetenz und eine operative Fähigkeit sicherstellen muss, sondern sie soll auch und vor allem das Wachstum einer Seinsweise in Verbundenheit, in Gemeinschaft mit eben den Gesinnungen und Haltungen Christi, des Guten Hirten, gewährleisten: "Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht" (Phil 2,5).

58 So verstanden kann sich die pastorale Ausbildung sicher nicht auf die eines einfachen Lehrlings beschränken, der sich mit irgendeiner pastoralen Technik vertraut machen will. Das Erziehungsangebot des Seminars übernimmt die Verantwortung für eine gediegene Einführung in die Sensibilität für den Hirtendienst und in die bewusste und reife Übernahme seiner Verantwortlichkeiten. Gleichzeitig soll dieses Bemühen den Kandidaten innerlich daran gewöhnen, die Probleme einzuschätzen und Prioritäten und Möglichkeiten bei ihrer Lösung festzulegen, und zwar immer auf der Grundlage klarer Glaubensbegründungen und entsprechend den theologischen Ansprüchen der Seelsorge selbst.

Durch die einführende und schrittweise Erprobung im Dienst sollen die künftigen Priester in die lebendige pastorale Tradition ihrer Teilkirche eingegliedert werden können; sie sollen lernen, den Horizont ihres Geistes und ihres Herzens für die Dimension der Mission des kirchlichen Lebens zu öffnen; sie sollen sich üben in einigen ersten Formen der Zusammenarbeit untereinander und mit den Priestern, zu denen sie geschickt worden sind. Letzteren obliegt in Verbindung mit dem Angebot des Seminars eine pastorale Erziehungsverantwortung von nicht geringer Bedeutung.

Bei der Wahl geeigneter Orte und Dienste für das Einüben pastoraler Erfahrungen wird man die Pfarre als Lebenszelle der ausschnitthaften und spezifizierten Seelsorgserfahrungen, durch die sich die Priesterkandidaten mit den besonderen Problemen ihres künftigen Berufes konfrontiert sehen, sorgfältig berücksichtigen müssen.<ref>Vgl. Propositio 28.</ref> Die Synodenväter haben in diesem Zusammenhang eine Reihe konkreter Beispiele vorgeschlagen: den Besuch von Kranken; die Sorge um Emigranten, Asylanten und Nichtsesshafte; den Eifer der Liebe, der in verschiedene soziale Aktivitäten umgesetzt wird. Im besonderen schreiben sie dazu: "Es ist notwendig, dass der Priester Zeuge der Liebe Christi ist, der, umherzog und Gutes tat" (Apg 10,38); der Priester muss auch das sichtbare Zeichen für die Sorge der Kirche sein, die Mutter und Lehrerin ist. Und da der Mensch unserer Zeit von so viel Missgeschick heimgesucht wird - das gilt besonders von dem Menschen, der von einer unmenschlichen Armut, von blinder Gewalt und ungerechter Macht überfallen wird -, ist es notwendig, dass der zu jedem guten Werk bereite und gerüstete Mann Gottes (vgl. 2 Tim 3,17) die Rechte und die Würde des Menschen fordernd geltend macht. Man hüte sich jedoch davor, falschen Ideologien anzuhängen und zu vergessen, dass die Welt, während sie den Fortschritt fördern will, allein durch das Kreuz Christi erlöst wird".<ref> Ebd.</ref>

Diese und andere Seelsorgstätigkeiten erziehen den künftigen Priester dazu, seine Sendung durch "Vollmacht" in der Gemeinde als "Dienst" zu erleben und Abstand zu nehmen von jeder Haltung der Überlegenheit oder der Ausübung einer Macht, die nicht immer und allein durch die pastorale Liebe gerechtfertigt wäre.

Für eine angemessene Ausbildung ist es notwendig, dass die verschiedenen Erfahrungen der Priesterkandidaten einen klaren "Dienstcharakter" annehmen, in enger Verbindung mit den anderen Erfordernissen, die zur Vorbereitung auf das Priesteramt gehören, und (keineswegs zum Nachteil des Studiums) in Beziehung zu den Diensten der Verkündigung des Wortes, der Liturgie und der Leitung. Diese Dienste können zur konkreten Umsetzung der Beauftragungen des Lektorats, des Akolythats und des Diakonamtes werden.

59 Da die Seelsorgstätigkeit ihrer Natur nach dazu bestimmt ist, die Kirche zu beseelen, die in ihrem Wesen Mysterium, Communio und Missio ist, wird die pastorale Ausbildung diese kirchlichen Dimensionen in der Ausübung des priesterlichen Dienstes kennen und leben müssen.

Als grundlegend erweist sich das Bewusstsein, dass die Kirche "Mysterium", Geheimnis, göttliches Werk, Frucht des Geistes Christi, wirksames Zeichen der Gnade, Gegenwärtigkeit der Trinität in der christlichen Gemeinschaft ist: Ein solches Bewusstsein wird den Priester, ohne deshalb den ihm eigenen Verantwortungssinn zu schwächen, davon überzeugen, dass das Wachstum der Kirche das unverdiente Werk des Geistes ist und dass sein - von derselben göttlichen Gnade der freien Verantwortlichkeit des Menschen anvertraute - Dienst der vom Evangelium so verstandene Einsatz des "unnützen Knechtes" (vgl. Lk 17,10) ist.

Das Bewusstsein, dass die Kirche "Gemeinschaft" ist, wird den Priesteramtskandidaten auf die Verwirklichung einer kommunikativen Pastoral in engem Zusammenwirken mit den verschiedenen kirchlichen Personen vorbereiten: Priester und Bischof, Diözesan und Ordenspriester, Priester und Laien. Aber Voraussetzung für eine solche Zusammenarbeit ist die Kenntnis und Achtung der verschiedenen Gaben und Charismen, der verschiedenen Berufungen und Verantwortlichkeiten, die der Geist den Gliedern des Leibes Christi anbietet und anvertraut; sie verlangt einen lebendigen und gewissenhaften Sinn für die eigene Aufgabe und die Identität des anderen in der Kirche; sie verlangt gegenseitiges Vertrauen, Geduld, Milde, Verständnis und Wartefähigkeit; sie hat ihre Wurzel vor allem in einer Liebe zur Kirche, die größer ist als die Liebe zu sich selbst und zu den partikulären Vereinigungen, denen man angehört. Besonders wichtig ist es, die künftigen Priester auf die Zusammenarbeit mit den Laien vorzubereiten. "Sie sollen - wie das Konzil sagt - gern auf die Laien hören, ihre Wünsche brüderlich erwägen und ihre Erfahrung und Zuständigkeit in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Wirkens anerkennen, damit sie gemeinsam mit ihnen die Zeichen der Zeit verstehen können".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 9. Vgl. auch Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt Christifideles laici (30. Dezember 1988), 61: a.a.O., 512-514.</ref> Auch die jüngste Synode hat auf der Hirtensorge für die Laien bestanden: "Der Alumne muss fähig werden, die gläubigen Laien, vor allem die jugendlichen, mit den verschiedenen Berufungen (Ehe, soziales Engagement, Apostolat, Dienste und Verantwortlichkeiten im pastoralen Bereich, Ordensleben, rechte Gestaltung des politischen und gesellschaftlichen Handelns, wissenschaftliche Forschung und Lehre) bekannt zu machen und sie darin einzuführen. Vor allem ist es notwendig, die Laien im Blick auf ihre Berufung dazu anzuhalten, dass sie die Welt mit dem Licht des Evangeliums durchdringen und umgestalten, indem sie dies als ihre Aufgabe erkennen und respektieren".<ref> Propositio 28.</ref>

Schließlich wird das Bewusstsein von der Kirche als "missionarischer" Gemeinschaft dem Priesteramtskandidaten helfen, die missionarische Grunddimension der Kirche und ihrer verschiedenen pastoralen Tätigkeiten zu lieben und aus ihr zu leben, weiterhin für alle Möglichkeiten offen und verfügbar zu sein, die sich der Verkündigung des Evangeliums heute bieten, nicht zu vergessen den wertvollen Dienst, den diesbezüglich der Einsatz der sozialen Kommunikationsmittel leisten kann und Soll.<ref> Vgl. ebd.</ref> Auch sei nicht vergessen, dass es um die Vorbereitung auf einen Dienst geht, der vom einzelnen Kandidaten die konkrete Verfügbarkeit dem Heiligen Geist und dem Bischof gegenüber fordern kann, sich aussenden zu lassen, um das Evangelium jenseits der Grenzen seines Landes zu verkünden".<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 67-68.</ref>

II. Das Umfeld der Priesterausbildung

Die Ausbildungskommunität des Priesterseminars

60 Die Notwendigkeit des Priesterseminars - und analog des Ordenshauses - für die Ausbildung der Priesteramtskandidaten, die vom II. Vatikanischen Konzil<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 4.</ref> mit Nachdruck bekräftigt wurde, ist nun von der Synode mit folgenden Worten aufs neue beteuert worden: "Die Einrichtung des Priesterseminars als der beste Ausbildungsort muss sich wieder durchsetzen als normaler, auch materieller Raum eines kommunitären und hierarchischen Lebens, ja als das eigentliche Haus für die Ausbildung der Priesteramtskandidaten, mit Oberen, die sich mit ganzer Kraft dieser Aufgabe widmen. Diese Einrichtung hat im Laufe der Jahrhunderte sehr viele Früchte gebracht und erbringt sie weiterhin in der ganzen Welt".<ref> Propositio 20.</ref>

Das Seminar stellt eine Zeitstrecke und einen Lebensraum dar; vor allem aber stellt es sich vor als eine Erziehungsgemeinschaft, die auf dem Weg ist: Diese Gemeinschaft wird vom Bischof gefördert, um dem, der vom Herrn gerufen wird, zu dienen wie die Apostel, die Möglichkeit zu bieten, die Ausbildungserfahrung, die der Herr den Zwölfen vorbehalten hat, wiederzuerleben. Tatsächlich wird in den Evangelien eine lange, innige Gewohnheit, mit Jesus zu leben, als notwendige Voraussetzung für den apostolischen Dienst hingestellt. Sie verlangt von den Zwölf, auf besonders deutliche und eigenartige Weise die - irgendwie allen Jüngern empfohlene - Loslösung vom gewohnten Milieu, von der bisherigen Arbeit, selbst von den liebsten Neigungen (vgl. Mk 1,16-20; 10,28; Lk 9,23.57-62; 14,25-27). Wir haben schon mehrmals die Überlieferung des Markus angeführt, der die tiefen Bande hervorhebt, die die Apostel mit Christus und untereinander verbinden: Ehe sie ausgesandt werden, um zu predigten und zu hellen, will Jesus "sie bei sich haben" (Mk 3,14).

Die ureigene Identität des Seminars besteht darin, dass es auf seine Weise in der Kirche eine Fortsetzung der engen apostolischen Gemeinschaft rund um Jesus ist, die auf sein Wort hört, die auf dem Weg zur Erfahrung von Ostern ist, in Erwartung des Geistes als Geschenk zur Sendung.

Eine solche Identität stellt das maßgebende Ideal dar, das das Seminar in den verschiedenen Gestalten und in den vielfältigen Wechselfällen, die es als menschliche Einrichtung in der Geschichte zu verzeichnen hat, dazu anspornt, eine konkrete Realisierung zu finden, die den Werten des Evangeliums entspricht, an denen es sich inspiriert und von denen her es in der Lage ist, auf Situation und Erfordernisse in der jeweiligen Zeit zu antworten.

Das Seminar ist an sich eine Ur-Erfahrung des Lebens der Kirche: In ihm ist der Bischof gegenwärtig durch das Amt des Rektors und den von ihm beseelten Dienst der Mitverantwortung und Gemeinschaft mit den anderen Erziehern für das apostolische und pastorale Wachstum der Alumnen. Die verschiedenen Mitglieder der Seminargemeinschaft, die vom Geist zu einer einzigen Bruderschaft vereint werden, wirken, jeder seiner Gabe entsprechend, zum Wachstum aller im Glauben und in der Liebe zusammen, damit sie sich in angemessener Weise auf das Priestertum und somit darauf vorbereiten, die heilbringende Gegenwart Jesu Christi, des Guten Hirten, in der Kirche und in der Geschichte fortzuleben.

Bereits unter einem menschlichen Gesichtspunkt muss das Priesterseminar bestrebt sein, "eine Kommunität zu werden, die aus einer tiefen Freundschaft und Liebe lebt, so dass sie wahrhaft als Familie angesehen werden kann, in der die Freude vorherrscht.<ref> Ebd.</ref> Unter dem christlichen Gesichtspunkt muss das Seminar - so die Synodenväter weiter - als "kirchliche Gemeinschaft", als "Gemeinschaft der jünger des Herrn, in der die Liturgie gefeiert wird (was das Leben mit dem Geist des Gebets durchdringt), Gestalt annehmen, jeden Tag geformt durch die Lesung und Betrachtung des Gotteswortes und durch das Sakrament der Eucharistie und in der Übung der brüderlichen Liebe und Gerechtigkeit, eine Kommunität, in der im Fortschritt des Gemeinschaftslebens und im Leben jedes einzelnen Mitgliedes der Geist Christi und die Liebe zur Kirche erstrahlen".<ref> Ebd.</ref> Zur Bestätigung und konkreten Entfaltung der kirchlichen Grunddimension des Seminars schreiben die Synodenväter weiter: "Als kirchliche Gemeinschaft - sei sie diözesan, überdiözesan oder vom Ordensleben geprägt - nährt das Seminar den Sinn der Kandidaten für die Verbundenheit mit ihrem Bischof- und mit ihrem Presbyterium, so dass sie an ihren Hoffnungen und an ihren Ängsten teilnehmen und diese Öffnung auf die Bedürfnisse der Gesamtkirche auszuweiten wissen".<ref> Ebd.</ref> Wesentlich für die Ausbildung der Kandidaten zum Priesteramt und zum priesterlichen Dienst, der seinem Wesen nach kirchlich ist, ist es, dass das Seminar nicht als etwas Äußerliches und Oberflächliches, das heißt lediglich als ein Wohn- und Studienplatz, empfunden wird, sondern verinnerlicht und tiefer gesehen wird: als eine spezifisch kirchliche Gemeinschaft, eine Kommunität, die die Gruppenerfahrung der um Jesus vereinten Zwölf wiedererlebt.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Alumnen und Ex-Alumnen des römischen Collegio Capranica (21. Januar 1983), in: Insegnamenti VI/1 (1983), 173-178.</ref>

61 Das Seminar ist also eine kirchliche Erziehungsgemeinschaft, ja eine erziehende Gemeinschaft besonderer Art. Und es ist das besondere Ziel, ihre Physognomie zu bestimmen: Dabei geht es um die helfende Wegbegleitung der künftigen Priester beim Erkennen der Berufung, es müssen Hilfen geboten werden, ihr zu entsprechen; wichtig ist schließlich die Vorbereitung auf den Empfang des Weihesakramentes mit den ihm eigenen Gnaden und Verantwortlichkeiten, durch die der Priester Jesus Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet und befähigt und verpflichtet wird, an seiner Heilssendung in Kirche und Welt teilzunehmen.

Als Erziehungsgemeinschaft ist das ganze Leben des Seminars mit seinen verschiedenen Ausdrucksformen in der menschlichen, geistlichen, intellektuellen und pastoralen Ausbildung der künftigen Priester engagiert: Es ist eine Ausbildung, die zwar viele gemeinsame Aspekte mit der menschlichen und christlichen Ausbildung aller Glieder der Kirche, aber doch Inhalte, Bedingungen und Wesensmerkmale aufweist, die sich in spezifischer Weise von dem gesetzten Ziel herleiten, auf das Priestertum vorzubereiten.

Die Inhalte und Formen dieser Erziehungstätigkeit erfordern also, dass das Seminar seine eigene gewissenhafte Planung hat, das heißt ein Lebensprogramm, das gekennzeichnet ist sowohl durch seine Geschlossenheit und Einheitlichkeit als auch durch seine Abstimmung bzw. Übereinstimmung mit dem einzigen Ziel, das die Existenz des Seminars rechtfertigt: die Ausbildung der künftigen Priester.

In diesem Sinne schreiben die Synodenväter: Als Erziehungsgemeinschaft muss [das Seminar] einem klar definierten Programm dienen, das als charakteristisches Merkmal eine einheitliche Leitung in der Person des Rektors und seiner Mitarbeiter aufweist. Es braucht weiterhin den Zusammenhang der Lebensordnung mit der Bildungstätigkeit und den Grundforderungen eines Gemeinschaftslebens, das die zentralen Ausbildungsverpflichtungen umfasst. Dieses Programm muss ohne Zögern und Unentschiedenheit der besonderen Zielsetzung dienen, die allein die Existenz des Seminars rechtfertigt, nämlich die Ausbildung der künftigen Priester zu Hirten der Kirche".<ref> Propositio 20.</ref> Damit die Planung wirklich passend und wirksam ist, müssen die großen inhaltlichen Linien durch einige Sonderbestimmungen, die das Gemeinschaftsleben regeln sollen und dabei auch geeignete Mittel und zeitliche Perspektiven benennen, konkreter ins Detail umgesetzt werden.

Hier gilt es, noch einen anderen Gesichtspunkt hervorzuheben: Die Erziehungsarbeit ist ihrer Natur nach die Begleitung der konkreten geschichtlichen Personen, die auf dem Weg sind, bestimmte Lebensideale zu wählen und ihnen treu zu bleiben. Gerade deshalb muss es die Erziehungsarbeit fertig bringen, die klare Orientierung auf das Berufsziel hin, die Notwendigkeit, ernsthaft auf dieses Ziel zuzugehen, die sorgfältige Betreuung des "Wanderers", das heißt des konkreten Menschen, der sich auf diese Herausforderung und damit auf eine Reihe von Situationen, Problemen, Schwierigkeiten und ganz unterschiedliche Wegerfahrungen und Wachstumsphasen einlässt, harmonisch in Einklang zu bringen. Das erfordert kluge Flexibilität, die keineswegs falsche Kompromisse bedeutet, weder hinsichtlich der Werte noch des bewusst und frei gelebten Verpflichtungscharakters der priesterlichen Lebensform. Solche Flexibilität bedeutet vielmehr wahre Liebe und aufrichtigen Respekt für den, der sich in seiner ganz persönlichen Lage auf dem Weg zum Priestertum befindet. Das gilt nicht nur in bezug auf die einzelne Person, sondern auch in bezug auf die verschiedenen sozialen und kulturellen Umfelder, innerhalb derer die Seminare leben, und auf ihre jeweils unterschiedliche Geschichte. In diesem Sinne verlangt die Erziehungsarbeit eine ständige Erneuerung. Die Synodenväter haben auch bezüglich der Gestaltung des Seminarlebens mit Nachdruck festgestellt: "Abgesehen von der Gültigkeit der klassischen Formen des Seminars wünscht die Synode, dass die Konsultationsarbeit der Bischofskonferenzen über die heutigen Erfordernisse der Ausbildung so fortgeführt wird, wie es im Dekret Optatam totius (Nr. 1) und auf der Synode von 1967 festgelegt wurde. Entsprechend sollen die Ausbildungsordnungen der einzelnen Nationen oder Riten revidiert werden, sei es auf Ersuchen der Bischofskonferenzen, sei es bei apostolischen Visitationen in den Seminaren der verschiedenen Nationen. Dadurch soll es möglich werden, verschiedene Ausbildungsformen einzubringen, die sich bewährt haben und den Bedürfnissen der eingeborenen Völker und ihrer Kultur, der Berufungen von Erwachsenen, der Missionsberufe usw. entsprechen müssen".<ref> Ebd.</ref>

62 Die Zielsetzung des Priesterseminars und die ihm eigene Ausbildungsordnung erfordern es, dass die Priesteramtskandidaten, die dort eintreten, schon eine gewisse Vorbereitung hinter sich haben. Eine solche Vorbereitung warf - zumindest bis vor einigen Jahrzehnten - keine besonderen Probleme auf, als nämlich die Priesteramtskandidaten für gewöhnlich aus den "Kleinen Seminaren" hervorgingen und das christliche Leben der Gemeinden mit Leichtigkeit allen ohne Unterschied eine recht ordentliche christliche Unterweisung und Erziehung bot.

Die Situation hat sich vielerorts geändert. Es besteht eine starke Diskrepanz zwischen dem Lebensstil und der elementaren Formung der Kinder, Heranwachsenden und jugendlichen einerseits, auch wenn diese Christen - und mitunter engagiert - im Leben der Kirche sind, und dem ganz anderen Lebensstil des Seminars und seiner erzieherischen Erfordernisse andererseits. In diesem Zusammenhang stelle ich - gemeinsam mit den Synodenvätern - die Frage, ob es eine angemessene Zeit der Vorbereitung geben solle, die der Seminarausbildung vorausgeht: "Es ist von Nutzen, dass es eine menschliche, christliche, intellektuelle und geistliche Vorbereitungsphase für die Kandidaten gebe, die sich für den Eintritt in das Priesterseminar bewerben. Die Kandidaten müssen ihrerseits bestimmte Eigenschaften aufweisen: die rechte Absicht, einen genügenden Grad menschlicher Reife, eine möglichst umfassende Kenntnis der Glaubenslehre, eine gewisse Vertrautheit mit den Gebetsweisen und dem Brauchtum, das der christlichen Tradition entspricht. Sie sollen auch die ihrem Lebensraum gemäßen Einstellungen mitbringen, durch die das Bemühen um die Suche nach Gott und die Suche nach dem Glauben seinen Ausdruck findet (vgl. Evangelii nuntiandi, 48)".<ref> Vgl. Propositio 19.</ref>

"Eine möglichst umfassende Kenntnis der Glaubenslehre", von der die Synodenväter sprechen, ist schon vor Beginn des Theologiestudiums erforderlich: eine intelligentia fidel lässt sich nicht entfalten, wenn man die fides in ihren Inhalten nicht kennt. Eine solche Lücke wird künftig durch den neuen Weltkatechismus leichter geschlossen werden können.

Während die Überzeugung von der Notwendigkeit solch einer dem Priesterseminar vorausliegenden Vorbereitung allgemein geteilt wird, ist die Beurteilung ihrer Inhalte und Charakteristika bzw. ihrer vorrangigen Zielsetzung unterschiedlich: ob es sich mehr um eine geistliche Formung zur Unterscheidung einer Berufung oder um eine intellektuelle und kulturelle Ausbildung handeln solle. Andererseits können die zahlreichen und tiefgreifenden Unterschiede nicht außer acht gelassen werden, die nicht nur in bezug auf die einzelnen Kandidaten bestehen, sondern auch in bezug auf die verschiedenen Regionen und Länder. Dies legt noch eine Phase weiterer Überlegungen und Sammlung von Erfahrungen nahe, damit die verschiedenen Elemente dieser vorgängigen Vorbereitung oder "propädeutischen Phase" in angemessenerer und klarerer Weise umrissen werden können: Dauer, Ort und Themen einer solchen Zeitphase, die überdies auf die folgenden Ausbildungsjahre im Seminar abgestimmt werden muss.

In diesem Sinne nehme ich die von den Synodenvätern formulierte Frage auf und lege sie der Kongregation für das Katholische Bildungswesen erneut vor: "Die Synode bittet darum, dass die Kongregation für das Katholische Bildungswesen alle Informationen über die anfänglich schon gemachten oder derzeitigen Erfahrungen sammeln möge. Zu gegebener Zeit möge die Kongregation den Bischofskonferenzen die Informationen zu diesem Thema zuleiten.<ref> Ebd.</ref>

Das Kleine Seminar und andere Formen der Berufungsbegleitung

63 Nach dem Zeugnis einer breiten Erfahrung äußert sich die Berufung zum Priester in einem anfänglichen Moment oftmals in den Jahren der Präadoleszenz oder den allerersten Jahren der Jugend. Und auch bei denjenigen, die sich zum Eintritt ins Seminar erst nach Ablauf einer längeren Zeit entscheiden, kann nicht selten festgestellt werden, dass der Ruf Gottes bereits in weit zurückliegenden Lebensabschnitten gegenwärtig war. Die Kirchengeschichte bezeugt durchgängig die Existenz von Berufungen, die der Herr an Menschen in frühem Kindesalter richtet. Der heilige Thomas erklärt beispielsweise die Vorliebe Jesu für den Apostel Johannes mit dessen "zartem Alter" und zieht daraus folgenden Schluss: "Dies lässt uns verstehen, dass Gott diejenigen auf besondere Weise liebt, die sich seinem Dienst von frühester Jugend auf ergeben".<ref> In Iohannes Evangelistam Expositio, c. 21, lect. V,2.</ref>

Die Kirche nimmt sich durch die Einrichtung der Kleinen Seminare dieser Samenkörner der Berufung an, die ins Herz der Kinder gelegt sind und lässt ihnen eine aufmerksame, wenngleich anfängliche vernünftige Begleitung angedeihen. In verschiedenen Teilen der Welt leisten die Kleinen Seminare nach wie vor eine wertvolle erzieherische Arbeit, die auf die Wahrung und Entfaltung der Berufung zum Priester gerichtet ist, damit die Alumnen sie leichter wahrnehmen können und besser in der Lage sind, ihr zu entsprechen. Ihr Erziehungsangebot zielt darauf, in maßvoller und gestufter Weise jene menschliche, kulturelle und geistliche Bildung zu fördern, die den jungen Menschen hinführt, den Weg im Priesterseminar auf angemessener und solider Grundlage aufzunehmen.

"Dazu angeleitet werden, Christus dem Erlöser mit großherzigem Sinn und reinem Herzen nachzufolgen": dies ist das Ziel des Kleinen Seminars, wie es im Dekret Optatam totius angegeben ist, das die erzieherische Grundgestalt dieser Einrichtung folgendermaßen umreißt: Die Alumnen sollen "unter der väterlichen Leitung der Oberen und durch entsprechende Mitarbeit der Eltern ... ein Leben führen, wie es zu Alter, Sinnesart und Entwicklung der jungen Menschen passt und mit den Grundsätzen einer gesunden Psychologie in Einklang steht. Eine hinreichende Lebenserfahrung und der Umgang mit der eigenen Familie dürfen nicht fehlen".<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Ausbildung der Priester Optatam totius, 3.</ref>

Das Kleine Seminar wird in der Diözese auch ein Bezugspunkt für die Berufungspastoral sein können, mit geeigneten Formen offener Annahme und Informationsangeboten für diejenigen jugendlichen, die auf der Suche nach ihrer Berufung sind oder die sich bereits entschieden haben, dieser Berufung zu folgen, aber aus verschiedenen Umständen - familiären oder schulischen - den Eintritt ins Seminar aufschieben müssen.

64 Dort, wo keine Möglichkeit zur Einrichtung eines Kleinen Seminars, das "in vielen Regionen notwendig und sehr hilfreich zu sein scheint", gefunden werden kann, ist die Errichtung anderer Institutionen vorzusehen, wie es etwa die "geistlichen Gruppen" für Heranwachsende und jugendliche sein könnten.<ref> Vgl. Propositio 20.</ref> Obwohl sie keine festen Einrichtungen sind, vermögen diese Gruppen in einem gemeinschaftlichen Rahmen eine systematische Anleitung zu bieten für die Prüfung und das Wachsen einer Berufung. Obwohl die betreffenden Kinder und jugendlichen in ihrer Familie leben und in ihrer Gemeinde Umgang pflegen, die ihnen auf ihrem Entscheidungsweg zur Seite steht, dürfen sie nicht alleingelassen werden. Sie brauchen eine bestimmte Gruppe oder eine Bezugsgemeinschaft, der sie sich anschließen, um jenen spezifischen Weg der Berufung zu vollenden, den die Gabe des Geistes in ihnen begonnen hat.

Wie es in der Kirchengeschichte stets vorgekommen ist, und mit einer bestimmten Charakteristik von ermutigender Neuheit und Häufigkeit auch unter den gegenwärtigen Bedingungen der Fall ist, lässt sich das Phänomen von Priesterberufungen im Erwachsenenalter feststellen, nach einer mehr oder weniger langen Erfahrung christlichen Lebens im Laienstand und beruflicher Tätigkeit. Es ist nicht immer möglich - und oft auch nicht geraten -, Erwachsene aufzufordern, den Ausbildungsgang im Priesterseminar zu durchlaufen. Vielmehr muss man - nach einer sorgfältigen Unterscheidung der Echtheit dieser Berufungen - für die Ausgestaltung eines spezifischen Typs von Ausbildungsbegleitung Sorge tragen, um so - vermittels Zweckmäßiger Anpassungen - die notwendige geistliche und geistige Ausbildung sicherzustellen.<ref> Vgl. Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (6. Januar 1970), 19: a.a.O., 342.</ref> Eine rechte Beziehung zu den anderen Priesteramtskandidaten und Zeiten der Anwesenheit in der Seminargemeinschaft vermögen die volle Eingliederung dieser Berufungen in das eine Presbyterium und ihre innige und herzliche Gemeinschaft mit ihm zu gewährleisten.

III. Die Träger der Priesterausbildung

Die Kirche und der Bischof

65 Weil die Ausbildung der Priesteramtskandidaten zur Sorge der Kirche um Berufungen gehört, ist zu sagen, dass die ganze Kirche als solche das gemeinschaftliche Subjekt ist, welches die Gnade und die Verantwortung hat, diejenigen zu begleiten, die der Herr ruft, seine Diener im Priesteramt zu werden.

In diesem Sinn hilft uns der Blick auf das Mysterium der Kirche, den Standort und die Aufgabe besser zu bestimmen, die ihren Gliedern - sei es als einzelnen, sei es als Gliedern eines Leibes - in der Ausbildung der Priesteramtskandidaten zukommt.

Nun ist die Kirche ihrem tiefsten Wesen nach das "Gedächtnis", das "Sakrament" der Gegenwart und des Handelns Jesu Christi mitten unter uns und für uns. Seiner Heilsgegenwart ist der Ruf zum Priestertum zu verdanken: nicht allein der Ruf, sondern auch die Begleitung, damit der Gerufene die Gnade des Herrn besser zu erkennen und ihr in Freiheit und Liebe zu antworten vermöge. Der Geist Jesu ist es, der bei der Unterscheidung und auf dem Weg der Berufung erleuchtet und stärkt. Es geschieht also kein eigentliches Werk der Ausbildung zum Priestertum ohne den Einfluss des Geistes Christi. Jeder menschliche Ausbilder muss sich dessen voll bewusst sein. Denn wie wäre es möglich, eine so vollkommen geschenkte und radikal wirksame Kraftquelle zu übersehen, die ihr entscheidendes" Gewicht" im Engagement für die Ausbildung auf das Priestertum hin hat! Und wie wäre es möglich, sich nicht über jeden menschlichen Ausbilder freuen zu können, der - in gewissem Sinne - für den Priesteramtskandidaten einen sichtbaren Stellvertreter Christi darstellt? Wenn die Priesterausbildung wesentlich die Hinführung des künftigen "Hirten" zum Bild des Guten Hirten Jesus Christi ist - wer kann dann außer Jesus selbst, kraft der Ausgießung seines Geistes, jene pastorale Liebe schenken und zur Reife bringen, die Er bis zur totalen Selbsthingabe gelebt hat (vgl. Joh 15,13; 10, 11) und von der er will, dass sie entsprechend auch von allen Priestern wiederbelebt wird?

Erster Repräsentant Christi in der Priesterausbildung ist der Bischof. Man könnte vom Bischof - von jedem Bischof - sagen, was der Evangelist Markus uns in dem schon mehrfach zitierten Text sagt: "Und er rief die zu sich, die er erwählt hatte, und sie kamen zu ihm. Und er setzte zwölf ein, die er bei sich haben und die er dann aussenden wollte . . ." (Mk 3,13-14). In der Tat bedarf der innere Ruf des Geistes der Anerkennung seiner Authentizität durch den Bischof. Wenn alle zum Bischof "kommen" können, insofern er Hirt und Vater aller ist, können dies in einer besonderen Weise seine Priester aufgrund der gemeinsamen Teilhabe am selben Priestertum und Amt: Der Bischof - sagt das Konzil - muss sie als "Brüder und Freunde" betrachten und behandeln.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 7.</ref> Und dies lässt sich analog auch von denen sagen, die sich auf das Priestertum vorbereiten. Was das "bei sich haben wollen" anbelangt, also den Wunsch, mit dem Bischof zu sein, folgt daraus bereits als höchst bedeutungsvoll für seine Verantwortlichkeit im Hinblick auf die Ausbildung der Priesteramtskandidaten, dass der Bischof sie häufig besuchen und auf bestimmte Weise bei ihnen "sein" sollte.

Die Anwesenheit des Bischofs hat einen ganz besonderen Wert, nicht nur weil es der Seminargemeinschaft hilft, ihr Hineingenommensein in die Ortskirche und ihre Gemeinschaft mit dem Oberhirten, der sie leitet, zu leben, sondern auch, weil es eben jenes seelsorgliche Ziel beglaubigt und fördert, die das Spezifikum der gesamten Ausbildung der Priesteramtskandidaten ausmacht. Vor allen Dingen bietet der Bischof durch seine Anwesenheit und die Gemeinsamkeit mit den Priesteramtskandidaten in allem, was den pastoralen Weg der Ortskirche angeht, einen wesentlichen Beitrag zur Formung des "sensus Ecclesiae", diesem für die Ausübung des Priesteramtes zentralen geistlichen und seelsorglichen Wert.

Die Erziehungsgemeinschaft des Seminars

66 Die Erziehungsgemeinschaft des Seminars bildet sich um verschiedene Ausbilder herum: den Rektor, den Spiritual, die Oberen und die Professoren. All diese müssen sich mit dem Bischof zutiefst verbunden fühlen, den sie auf unterschiedlicher Basis und in mannigfaltiger Weise repräsentieren, und sie müssen untereinander überzeugte und herzliche Gemeinschaft und Zusammenarbeit pflegen: Diese Einheit der Erzieher ermöglicht nicht nur eine angemessene Verwirklichung des Erziehungsprogramms, sondern bietet den Priesteramtskandidaten auch und vor allem ein bezeichnendes Beispiel sowie die konkrete Einführung in jene kirchliche Gemeinschaft, die einen Grundwert christlichen Lebens und seelsorglichen Dienstes bildet.

Offensichtlich hängt die Wirksamkeit der Ausbildung zum großen Teil von der - nach allgemein menschlichem Maßstab und nach dem des Evangeliums - reifen und starken Persönlichkeit der Ausbilder ab. Besonders wichtig wird daher die sorgfältige Auswahl der Ausbilder einerseits sowie deren Bemühen, sich selbst immer besser zur Erfüllung der ihnen anvertrauten Aufgabe zu befähigen, andererseits. Im Bewusstsein, dass gerade die Auswahl und Ausbildung der Verantwortlichen für die Priesterausbildung zentrales Gewicht in der Vorbereitung der Priesteramtskandidaten hat, haben die Synodenväter sich intensiv mit der Profilbeschreibung der Ausbilder beschäftigt. Im einzelnen haben sie geschrieben: "Die Aufgabe der Ausbildung der Priesteramtskandidaten erfordert gewiss nicht nur eine bestimmte besondere Vorbereitung seitens der Ausbilder, die wirklich technisch, pädagogisch, geistlich, menschlich und theologisch sein soll, sondern auch Gemeinschaftssinn und den Geist einmütiger Zusammenarbeit bei der Entfaltung des Ausbildungsprogramms, so dass die Einheit im pastoralen Wirken des Seminars unter der Leitung des Rektors stets gewahrt bleibt. Die Gruppe der Ausbilder soll Zeugnis eines wirklichen Lebens nach dem Evangelium und totaler Hingabe an den Herrn sein. Es ist zweckmäßig, dass sie eine gewisse Dauerhaftigkeit aufweist und dass ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort in der Seminargemeinschaft sei. Sie soll innigst verbunden sein mit dem Bischof als dem Erstverantwortlichen in der Priesterausbildung".<ref> Propositio 29.</ref>

Zuerst und vor allem müssen sich die Bischöfe ihrer großen Verantwortung um die Ausbildung derer bewusst sein, die mit der Erziehung der künftigen Priester beauftragt werden sollen. Für dieses Amt müssen Priester mit beispielhaftem Lebenswandel gewählt werden, die im Besitz verschiedener Eigenschaften sind: "menschliche und geistliche Reife, seelsorgliche Erfahrung, berufliche Kompetenz, Festigkeit in der eigenen Berufung, Kooperationsfähigkeit, ihrem Amt entsprechende Kenntnisse in den Humanwissenschaften (besonders der Psychologie), Kenntnisse über die Formen von Gruppenarbeit".<ref> Ebd.</ref>

Unter Wahrung der Unterscheidung von forum internum und forum externum, der erforderlichen Freiheit bei der Wahl der Beichtväter und der Klugheit und Diskretion, die für die Aufgabe des Spirituals notwendig sind, soll sich die priesterliche Gemeinschaft der Ausbilder solidarisch fühlen in der Verantwortung bei der Erziehung der Priesteramtskandidaten. Ihr kommt an erster Stelle, doch stets mit Bezug auf die maßgebliche zusammenfassende Beurteilung durch den Bischof und den Rektor, die Aufgabe zu, die Eignung der Kandidaten zu fördern und festzustellen, was ihre geistliche, menschliche und geistige Befähigung angeht, vor allem bezüglich des Geistes des Gebetes, der profunden Aneignung der Glaubenslehre, der Fähigkeit zu wahrer Brüderlichkeit und des Charismas des Zölibats.<ref> Vgl. Propositio 23.</ref>

Vergegenwärtigt man sich - wie die Synodenväter es auch getan haben - die Hinweise des Nachsynodalen Schreibens Christifideles Laici und des Apostolischen Schreibens Mulieris dignitatem,<ref> Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifidelis Laici (30. Dezember 1988), 61 und 63; a.a.O., 512-514 und 517-518; Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988), 29-31; a.a.O., 1721-1729.</ref> die den Nutzen und den gesunden Einfluss der Spiritualität der Laien und des weiblichen Charismas auf jeden Erziehungsvorgang hervorheben, so ist es zweckmäßig, in klugem und den verschiedenen kulturellen Kontexten angepasstem Maß auch die Mitarbeit von Laien - Männern und Frauen - in die Ausbildungstätigkeit an den künftigen Priestern einzubeziehen. Diese sind mit Sorgfalt auszuwählen, im Rahmen der kirchlichen Gesetzgebung und gemäß ihren besonderen Begabungen sowie ihren nachgewiesenen Fähigkeiten. Es ist statthaft, von ihrer Mitarbeit, die zweckmäßigerweise auf die vorrangige erzieherische Verantwortung der Ausbilder in der Priestererziehung hingeordnet und ihr eingegliedert ist, gute Früchte für ein ausgewogenes Wachsen des "sensus Ecclesiae" und für eine genauere Wahrnehmung der eigenen priesterlichen Identität seitens der Priesteramtskandidaten zu erwarten.<ref> Vgl. Propositio 29.</ref>

Die Theologie-Professoren

67 Diejenigen, die die künftigen Priester in die heilige Lehre einführen und sie mit ihrem Unterricht in der Theologie begleiten, haben eine besondere erzieherische Verantwortung, die erfahrungsgemäß oft kaum weniger entscheidend für die Entfaltung der priesterlichen Persönlichkeit ist als die der anderen Erzieher.

Die Verantwortung der Theologiedozenten liegt - noch vor dem Lehr-Verhältnis, das sie mit den Priesteramtskandidaten aufzubauen haben - in der Konzeption, die sie selbst vom Wesen der Theologie und des Priesteramtes haben müssen, sowie in dem Geist und dem Stil, dem gemäß sie ihr theologisches Lehren entfalten. In diesem Sinn haben die Synodenväter zurecht bekräftigt, dass "sich der Theologe bewusst bleiben muss, bei seinem Lehren keine aus sich selbst stammende Ermächtigung zu haben, sondern dass er die Glaubenseinsicht letztlich im Namen des Herrn und der Kirche erschließt und weitergibt. Auf diese Weise übt der Theologe, ungeachtet des Gebrauchs aller wissenschaftlichen Möglichkeiten, sein Amt im Auftrag der Kirche aus und arbeitet bei seinem Lehrauftrag mit dem Bischof zusammen. Deshalb stehen die Theologen und die Bischöfe im Dienst der Kirche selbst bei der Vertiefung des Glaubens, sie sollen wechselseitiges Vertrauen entfalten und pflegen und in diesem Geist auch die Spannungen und Konflikte überwinden (vgl. dazu ausführlicher die Instruktion der Glaubenskongregation über Die kirchliche Berufung des Theologen)".<ref> Propositio 30.</ref>

Der Theologiedozent muss - wie jeder andere Erzieher auch - in Gemeinschaft mit all den anderen Personen bleiben, die an der Ausbildung der künftigen Priester beteiligt sind, und herzlich mit ihnen zusammenarbeiten und so mit wissenschaftlicher Genauigkeit, Großherzigkeit, Demut und Eifer seinen ihm eigenen qualifizierten Beitrag leisten. Dieser besteht nicht allein in der Vermittlung einer bloßen Lehre - auch wenn es sich dabei um die heilige Lehre handelt -, sondern vor allem in einer Darlegung der Grundperspektive, die im göttlichen Plan alles menschliche Wissen und die verschiedenen Lebensformen umfasst.

Insbesondere bemessen sich die Eigentümlichkeit und der Ausbildungsbeitrag der Theologiedozenten nach dem Maß, in dein sie zuerst und vor allem "Männer des Glaubens sind und erfüllt von der Liebe zur Kirche; überzeugt davon, dass die Kirche als solche das Subjekt ist, das der Kenntnis des christlichen Mysteriums entspricht, und insofern überzeugt davon, dass ihr Lehrauftrag ein wirkliches kirchliches Amt ist; reich an seelsorglichern Gespür für die Unterscheidung nicht nur der Inhalte, sondern auch der angemessenen Formen für ihre Amtsausübung. Insbesondere ist von dem Dozenten volle Treue zum Lehramt verlangt. Sie lehren ja im Namen der Kirche und sind deshalb Zeugen des Glaubens".<ref> Ebd.</ref>

Die Heimatgemeinden, die geistlichen Gemeinschaften und die Jugendverbände

68 Die Heimatgemeinden, aus denen ein Priesteramtskandidat stammt, üben - trotz der notwendigen Trennung, die die Berufswahl mit sich bringt - weiterhin einen Einfluss auf die Ausbildung des künftigen Priesters aus, der keineswegs gleichgültig ist. Sie müssen sich daher der ihr zukommenden Mitverantwortung bewusst sein.

Vor allem ist hier an die Familie zu erinnern: Die christlichen Eltern, wie auch die Geschwister und die anderen Glieder des engeren Kreises der Familie, werden niemals versuchen, den künftigen Priester auf die engen Grenzen einer allzu menschlichen - wenn nicht gar äußerlich-weltlichen - Logik festzulegen, selbst wenn sie dabei von aufrichtiger Empfindung geleitet sind (vgl. Mk 3,20-21.31-35). Von eben jenem Vorsatz geleitet", den Willen Gottes zu erfüllen", werden sie vielmehr den Ausbildungsweg mit dem Gebet, mit Hochachtung, mit gutem Beispiel in den häuslichen Tugenden und geistlicher wie materieller Unterstützung - vor allem in schwierigen Momenten - zu begleiten wissen. Die Erfahrung zeigt, dass in vielen Fällen diese mannigfaltige Unterstützung sich als entscheidend für den Priesteramtskandidaten erwiesen hat. Auch wenn die Eltern und Familien der Berufswahl gleichgültig oder ablehnend gegenüberstehen, kann die klare und ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer Ansicht und der Ansporn, der hieraus erwächst, eine große Hilfe sein, die priesterliche Berufung in bewussterer und entschiedenerer Weise zur Reife zu führen.

Ein grundlegender Zusammenhang besteht zwischen den Familien und der Pfarrgemeinde, und die eine wie die andere passen sich in das Gefüge der Glaubenserziehung ein; oft spielt dann die Pfarrgemeinde - mit einer besonderen Jugendseelsorge und Berufungspastoral - eine die Aufgabe der Familie ergänzende Rolle. Vor allem leistet die Gemeinde einen ihr eigenen und besonders wertvollen Beitrag zur Ausbildung des künftigen Priesters, insofern sie die unmittelbarste ortsgebundene Verwirklichung des Mysteriums der Kirche ist. Die Pfarrgemeinde soll den jungen Mann auf dem Weg zum Priestertum weiterhin als lebendigen Teil ihrer selbst empfinden, sie soll ihn mit dem Gebet begleiten, ihn in den Zeiten der Ferien herzlich aufnehmen, ihn anerkennen und bei der Ausformung seiner priesterlichen Identität fördern, indem sie ihm zweckmäßige Möglichkeiten und starke Anreize bietet, seine Berufung zum priesterlichen Leben zu erproben.

Auch die geistlichen Gemeinschaften und Jugendverbände, Zeichen und Bestätigung der Lebendigkeit, die der Geist der Kirche zusichert, können und sollen zur Ausbildung der Priesteramtskandidaten beitragen, insbesondere jener, die aus der christlichen, geistlichen und apostolischen Erfahrung solcher Gruppierungen hervorgehen. Die jugendlichen, die ihre grundlegende Formung in solchen Gruppierungen erhalten haben und die sich in ihrer Erfahrung von Kirche auf sie beziehen, sollten sich nicht genötigt fühlen, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen und die Beziehungen zu der Umgebung abzubrechen, die zur Festigung ihrer Berufung beigetragen hat. Sie sollten ebenso wenig die typischen Züge der Spiritualität tilgen, die sie dort erlernt und gelebt haben, mit all dem Guten, Auferbauenden und Bereichernden, das diese enthalten.<ref> Vgl. Propositio 25.</ref> So bleibt auch für sie diese ursprüngliche Umgebung eine Quelle der Hilfe und Unterstützung auf dem Ausbildungsweg hin zum Priestertum.

Die Gelegenheit zur Glaubenserziehung und zu christlichem und kirchlichem Wachstum, die der Geist so vielen jugendlichen durch mannigfache Arten von Gruppierungen, Bewegungen und Gemeinschaften unterschiedlicher, am Evangelium orientierter Sinneshaltungen schenkt, sollen als inspirierende Gabe innerhalb der institutionellen Struktur und im Dienst an ihr wahrgenommen und gelebt werden. Eine Bewegung oder eine bestimmte Spiritualität ist ja "keine Alternativstruktur zur kirchlichen Institution. Sie ist hingegen Quelle einer Präsenz, die ihre existentielle und geschichtliche Authentizität ständig erneuert. Der Priester soll also in einer Bewegung Licht und Wärme finden, die ihn zur Treue gegenüber seinem Bischof befähigt, die ihn bereit macht für die Aufträge der Institution und die ihn die kirchliche Disziplin beachten lässt, so dass der Schwung seines Glaubens und die Freude an seiner Treue fruchtbarer werden".<ref> Johannes Paul II., Ansprache an die Priesters von Comunione e Liberazione (12. September 1985): AAS 78 (1986) 256.</ref>

Es ist deshalb erforderlich, dass die jugendlichen, die aus geistlichen Gemeinschaften und kirchlichen Verbänden kommen, in der neuen Kommunität des Seminars, in der sie vom Bischof zusammengeführt worden sind, "den Respekt vor den anderen geistlichen Wegen sowie den Geist des Dialogs und der Zusammenarbeit" lernen und dass sie sich zustimmend und aus vollem Herzen an den Ausbildungsvorgaben des Bischofs wie an den Erziehern im Seminar orientieren und sich ihrer Leitung wie ihrer Beurteilung mit aufrichtigem Vertrauen überlassen.<ref>Vgl. Propositio 25.</ref> Diese Einstellung bereitet ja die genuine priesterliche Lebensentscheidung zum Dienst inmitten des Gottesvolkes, in der brüderlichen Gemeinschaft des Presbyteriums und in Gehorsam gegenüber dem Bischof vor und nimmt sie gewissermaßen vorweg.

Die Teilhabe des Seminaristen und des Diözesanpriesters an bestimmten Formen von Spiritualität oder bestimmten kirchlichen Gruppierungen ist sicherlich als solche ein förderliches Element des Wachstums und der priesterlichen Mitbrüderlichkeit. Aber diese Teilhabe darf die Ausübung des Amtes und das geistliche Leben, wie sie dem Diözesanpriester eigentümlich sind, nicht beeinträchtigen, sondern muss sie vielmehr unterstützen. Er "ist und bleibt der Hirte der Gesamtheit. Er ist nicht nur der Vollamtliche, für alle erreichbar, sondern er steht auch der Versammlung vor - namentlich an der Spitze der Pfarren -, damit alle den Zugang zur Gemeinschaft und zur sie verbindenden Eucharistie finden, den sie zurecht erwarten, welches immer ihr religiöses Empfinden oder ihr apostolisches Engagement sei".<ref> Johannes Paul II., Ansprache an den Klerus der Schweiz in Einsiedeln (15. Juni 1984), 10: Insegnamenti VII, 1 (1984), 1798.</ref>

Der Kandidat selbst

69 Schließlich darf nicht vergessen werden, dass der Priesteramtskandidat selbst sich als notwendige und unvertretbare Hauptperson der eigenen Ausbildung sehen muss: jede Ausbildung, auch die zum Priester, ist letztlich eine Art Selbst-Bildung. Niemand kann uns ja in unserer eigenen verantwortlichen Freiheit vertreten, die uns als Einzelpersonen zukommt.

Sicherlich muss auch und gerade der künftige Priester in dem Bewusstsein voranschreiten, dass für seine Ausbildung die Hauptperson schlechthin der Heilige Geist ist, der in der Gabe des neuen Herzens den Menschen nach dem Bild Jesu Christi, des Guten Hirten, gestaltet und ihm gleichförmig macht. In diesem Sinn bekräftigt der Kandidat die ihm eigene Freiheit auf die radikalste Weise, wenn er das formende Gestalten des Geistes an seiner eigenen Persönlichkeit bejaht. Dies bedeutet seitens des Priesteramtskandidaten aber auch, dass er die menschlichen Vermittlungsformen, derer sich der Geist bedient, annimmt. Daher erweist sich das Handeln der verschiedenen Erzieher wirklich und in vollem Umfang nur dann als wirksam, wenn der künftige Priester ihm seine persönliche Überzeugung und herzliche Zusammenarbeit entgegenbringt.

KAPITEL VI: ICH RUFE DIR INS GEDÄCHTNIS: ENTFACHE DIE GNADE GOTTES WIEDER, DIE DIR ZUTEIL GEWORDEN IST.
Die Weiterbildung des Priesters

Die theologischen Gründe für die "formatio Permanenz"

70 "Darum rufe ich dir ins Gedächtnis: Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir durch die Auflegung meiner Hände zuteil geworden ist" (2 Tim 1,6).

Die Worte des Apostels an den Bischof Timotheus lassen sich mit voller Berechtigung auf jene Weiterbildung anwenden, zu der alle Priester aufgerufen sind, kraft der "göttlichen Gabe", die sie bei der heiligen Weihe empfangen haben. Die Worte führen uns dazu, die ungeteilte Wahrheit und die unverwechselbare Eigenheit der Priesterbildung als Lebensprozess zu erfassen. Dabei hilft uns auch ein anderer Text des Apostels Paulus, in dem es - wiederum an Timotheus gerichtet - heißt: "Vernachlässige die Gnade nicht, die in dir ist und die dir verliehen wurde, als dir die Ältesten aufgrund prophetischer Worte gemeinsam die Hände auflegten. Dafür sollst du sorgen, darin sollst du leben, damit alle deine Fortschritte offenbar werden. Achte auf dich selbst und auf die Lehre; halte daran fest! Wenn du das tust, rettest du dich und alle, die auf dich hören" (1 Tim 4,14-16).

Der Apostel fordert Timotheus auf, die göttliche Gabe "wiederzubeleben" bzw. wiederzuentfachen, so wie man es mit der Glut tut. Das bedeutet, die göttliche Gabe anzunehmen und im Leben zu verwirklichen, ohne dabei jemals jenes "immerwährend Neue" zu verlieren oder zu vergessen, das jedem Geschenk Gottes eigen ist, der alles neu macht (vgl. Offb, 21,5), und so diese Gabe in ihrer unüberbietbaren Frische und ursprünglichen Schönheit lebendig zu halten.

Aber ein solches "Wiederbeleben" ist nicht nur der Erfolg eines Bemühens, das der persönlichen Verantwortlichkeit des Timotheus anheimgestellt wäre, es ist nicht nur das Ergebnis einer Anstrengung seiner Erinnerungsfähigkeit und seiner Willenskraft. Es ist die Wirkung einer gnadenhaften Dynamik, die der göttlichen Gabe selbst zutiefst innewohnt: Gott selbst also ist es, der seine eigene Gabe wiederbelebt, oder besser, der all den außerordentlichen Reichtum an Gnade und Verantwortung freisetzt, der in diesem Geschenk eingeschlossen ist.

Mit der sakramentalen Ausgießung des Heiligen Geistes, der heiligt und sendet, wird der Priester Jesus Christus, dem Haupt und Hirten der Kirche, gleichgestaltet und ausgesandt zur Erfüllung des seelsorglichen Amtes. Auf diese Weise ist der Priester auf immer und unauslöschlich in seinem Sein als Amtsträger Christi und der Kirche gezeichnet, er ist eingefügt in eine fortdauernde und unumkehrbare Lebensform, und er ist mit einem seelsorglichen Amt beauftragt, das - im Sein des Priesters verwurzelt - seine ganze Existenz beansprucht und ebenfalls fortdauernd ist. Das Weihesakrament teilt dem Priester die sakramentale Gnade, die Hirtenliebe Christi mit, die ihn nicht nur der Heils-Vollmacht und des Heils-Dienstes Jesu teilhaftig macht, sondern auch seiner pastoralen "Liebe"; gleichzeitig versichert es den Priester all derjenigen Gnadengaben, die ihm jeweils dann gegeben werden, wenn sie für eine würdige und vollkommene Erfüllung des empfangenen Dienstamtes notwendig oder nützlich sind.

Die Weiterbildung findet so ihr eigentliches Fundament und ihre ursprüngliche Begründung im Wirkgeschehen des Weihesakramentes.

Sicher fehlen keineswegs auch einfach menschliche Gründe, die den Priester zur Realisierung einer Weiterbildung veranlassen. Sie ist ein Erfordernis fortschreitender Selbstverwirklichung: jedes Leben ist ein unablässiger Weg auf weitere Reifung hin, und diese vollzieht sich durch beständige Ausbildung. Sie ist überdies ein Erfordernis des priesterlichen Amtes, und sei es nur seinem allgemeinen und allen anderen Berufen in der gleichen Weise eigenen Wesen nach. im Blick auf den Dienst am anderen. Es gibt heutzutage keinen Beruf, kein Engagement, keine Arbeit, die nicht eine beständige Bemühung um ein Leben im Heute erforderte, wenn man aktuell und wirkungsvoll sein möchte. Das Erfordernis, "Schritt zu halten" mit dem Gang der Geschichte, ist ein anderer menschlicher Grund für die Weiterbildung.

Diese und andere Gründe werden allerdings motiviert und näherhin qualifiziert durch die bereits genannten theologischen Gründe, die sich noch weiter vertiefen lassen.

Das Weihesakrament lässt sich - aufgrund seines Wesens als Zeichen", wie es allen Sakramenten eigen ist - als Wort Gottes auffassen, das es auch wirklich ist - als Wort Gottes, der ruft und sendet. Es ist der stärkste Ausdruck für Berufung und Sendung des Priesters. Im Weihesakrament ruft Gott den Kandidaten "coram Ecclesia" "ins" Priestertum. Das "komm und folge mir nach" Jesu gelangt zu seiner vollen und endgültigen Kundgabe in der sakramentalen Feier seiner Kirche: es äußert sich und teilt sich mit durch die Stimme der Kirche, die im Munde des Bischofs hörbar wird, der betet und die Hände auflegt. Und der Priester gibt im Glauben Antwort auf den Ruf Jesu: "Ich komme und folge dir nach." Von diesem Moment an beginnt die Antwort, die sich als Lebensentscheidung mit den Jahren im Priestertum in zahllosen anderen Antworten je neu ausdrücken und behaupten muss, die alle grundgelegt und belebt sind vom ja" der heiligen Weihe.

In diesem Sinne kann man von einer Berufung "im" Priestertum sprechen. In der Tat fährt Gott damit fort, zu rufen und zu senden und so seinen Heilsplan in der geschichtlichen Entfaltung des priesterlichen Lebens wie auch der Wechselfälle von Kirche und Gesellschaft zu offenbaren. Und in eben dieser Perspektive tritt die Bedeutung einer Weiterbildung zutage: sie ist erforderlich, um diesen beständigen Ruf oder Willen Gottes unterscheiden und ihm Folge leisten zu können. So wird der Apostel Petrus auch dann noch gerufen, nachdem der Auferstandene ihm seine Herde anvertraut hat: Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe! Amen, amen, das sage ich dir: Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich führen, wohin du nicht willst. Das sagte Jesus, um anzudeuten, durch welchen Tod er Gott verherrlichen würde. Nach diesen Worten sagte er zu ihm: Folge mir nach!" (Joh 21,17-19). Es gibt also ein folge mir nach", das das Leben und die Sendung des Apostels begleitet. Es ist ein "Folge mir nach", das den Aufruf und den Anspruch zur Treue bis in den Tod (vgl. Joh 21,22) bezeugt, ein folge mir nach", das eine Nachfolge Christi bis zur totalen Selbsthingabe im Martyrium bedeuten kann.<ref> Vgl. Augustinus, in : Iohannis Evangelium Tractatus, CX-XIII, 5: CCL 36, 678-680.</ref>

Die Synodenväter haben dem Grund, der die Notwendigkeit einer Weiterbildung belegt und zugleich sein tiefstes Wesen enthüllt, Ausdruck gegeben, indem sie ihn als "Treue" gegenüber dem priesterlichen Amt und als "beständigen Bekehrungsvorgang"<ref> Vgl. Propositio 31.</ref> bezeichnet haben. Es ist der mit dem Sakrament ausgegossene Heilige Geist, der den Priester in dieser Treue stützt, der ihn begleitet und ihn auf dem Weg unablässiger Bekehrung anspornt. Die Geistgabe setzt die Freiheit des Priesters nicht außer Kraft, sondern regt sie an, mit ihr in verantwortlicher Weise zusammenzuwirken und in der Weiterbildung eine ihm übertragene Aufgabe zu sehen. Auf diese Weise ist die Weiterbildung Ausdruck und Anspruch der Treue des Priesters seinem Amt und, mehr noch, seinem eigenen Sein gegenüber. Sie bedeutet also gleichermaßen Liebe zu Jesus Christus und Einklang mit sich selbst. Aber sie ist auch ein Liebeshandeln gegenüber dem Volk Gottes, zu dessen Dienst der Priester bestellt ist. Mehr noch, sie ist Handeln echter und wirklicher Gerechtigkeit: er steht gegenüber dem Gottesvolk in der Pflicht, insofern er gerufen ist, ihm jenes grundlegende "Recht" zuzuerkennen und in ihm zu bestärken, nämlich Empfänger des Wortes Gottes, der Sakramente und des Liebesdienstes zu sein, was der ursprüngliche und unaufgebbare Gehalt pastoralen Dienstes des Priesters ist. Die Weiterbildung ist notwendig dafür, damit der Priester diesem Recht des Volkes in der erforderlichen Art und Weise Genüge tun kann.

Seele und Grundgestalt dieser Weiterbildung ist die pastorale Liebe: Der Heilige Geist, der die pastorale Liebe eingießt, führt und begleitet den Priester zu einem immer tieferen Verständnis des Christus-Mysteriums, das in seinem Reichtum unergründlich ist (vgl. Eph 3,14ff.) und hilft ihm - als dessen Widerschein - zu einem Verständnis des Mysteriums der priesterlichen Sendung. Die pastorale Liebe selbst drängt den Priester, die Erwartungen, Bedürfnisse, Probleme und sensiblen Lebensbereiche der Menschen, denen sein Amt gilt, immer mehr zu verstehen: der Menschen, die sich in ihren konkreten Situationen persönlicher, familiärer und sozialer Art angenommen fühlen müssen.

Auf all dieses zielt die Weiterbildung, verstanden als ein bewußtes und freies Eingehen auf die Dynamik der pastoralen Liebe und des Heiligen Geistes, der ihre Quelle ist und aus dem sie beständig gespeist wird. In diesem Sinn ist die Weiterbildung ein Erfordernis, das dem Geschenk des sakramentalen Amtes selbst innewohnt und sich zu jeder Zeit als notwendig offenbart. Heute erweist sie sich aber als besonders dringlich, nicht nur aufgrund der rasanten gesellschaftlichen und kulturellen Veränderung der Menschen und der Völker, unter denen das Priesteramt vollzogen wird, sondern auch wegen der "Neuevangelisierung", die den wesentlichen und unaufschiebbaren Auftrag der Kirche am Ende des zweiten Jahrtausends darstellt.

Die verschiedenen Dimensionen der Weiterbildung

71 Die Weiterbildung der Welt- wie der Ordenspriester ist die natürliche und absolut notwendige Fortsetzung jenes Bildungsprozesses der priesterlichen Persönlichkeit, der im Seminar oder im Ordenshaus seinen Ausgang genommen und dort auf dem Ausbildungsgang mit Blick auf die Weihe entfaltet worden ist.

Die Wahrnehmung und Anerkennung der bestehenden inneren Zusammengehörigkeit zwischen der Ausbildung, die der Priesterweihe vorausgeht und jener, die darauf folgt, ist von besonderer Bedeutung. Wenn es nämlich Unausgewogenheiten oder gar einen Bruch zwischen diesen beiden Ausbildungsphasen gäbe, würden daraus unmittelbar schwerwiegende Konsequenzen für die seelsorgliche Tätigkeit und die brüderliche Gemeinschaft unter den Priestern - besonders denen unterschiedlichen Alters - folgen. Die Weiterbildung ist nicht nur eine Wiederholung der im Seminar angeeigneten Ausbildung, die bloß neu vorgelegt oder mit neuen Anwendungshinweisen versehen wäre. Sie vollzieht sich mit Inhalten und vor allem unter Zuhilfenahme von Methoden, die verhältnismäßig neu sind, als eine lebendige Wirklichkeit, die - im Grunde ein und dieselbe - in ihrem Voranschreiten (so sehr auch die Wurzeln in der Seminarausbildung ruhen) Anpassungen, Erneuerungen und Veränderungen benötigt, ohne freilich der Gefahr von Brüchen zwischen diesen Phasen oder von falschen Dauerlösungen zu erliegen.

Und umgekehrt ist es notwendig, dass vom Priesterseminar an die spätere Weiterbildung grundgelegt und dass der Sinn der künftigen Priester für dieses Anliegen geöffnet wird, indem ihre Notwendigkeit, ihre Vorteile und ihr Geist dargelegt sowie die Bedingungen für ihre Verwirklichung sichergestellt werden.

Eben weil die Weiterbildung eine Fortsetzung der Seminarausbildung ist, kann ihr Ziel nicht eine sozusagen bloß professionelle Anpassung sein, die man durch die Aneignung einiger neuer pastoraler Techniken erhielte. Sie sollte eher die Art und Weise darstellen, mit der ein allgemeiner und ganzheitlicher beständiger Reifungsvorgang lebendig gehalten wird, nämlich einerseits durch die Vertiefung aller Dimensionen der Ausbildung (menschlich, geistlich, intellektuell und pastoral) und andererseits durch das Herstellen ihres inneren und lebendigen ureigenen Zusammenhangs untereinander. Ausgangs- und Bezugspunkt wird dabei immer die pastorale Liebe sein müssen.

72 Eine erste Vertiefung betrifft die menschliche Dimension der Priesterbildung. Vom täglichen Umgang mit den Menschen hier und vom Mitleben ihres Alltags muss der Priester die menschliche Empfindungsfähigkeit erweitern und vertiefen, die es ihm erlaubt, die Bedürfnisse zu verstehen und die Anliegen aufzunehmen, die unausgesprochenen Fragen wahrzunehmen, die Hoffnungen und Erwartungen, die Freuden und die Mühen gemeinsamen Lebens zu teilen sowie zur Begegnung mit allen und zum Gespräch mit allen fähig zu sein. Insbesondere dadurch, dass der Priester die menschliche Erfahrung des Leidens in seinen unterschiedlichen Erscheinungsweisen - vom Elend bis zur Krankheit, vom Ausgestoßensein bis zum Bildungsmangel, zu Einsamkeit, zu materieller und sittlicher Armut - kennt und teilt, d. h. sich innerlich davon betreffen lässt, bereichert er die eigene Menschlichkeit und macht sie glaubwürdiger und transparenter in einer wachsenden und leidenschaftlichen Liebe zum Menschen.

Bei dem Bemühen, seine menschliche Reife zu vervollkommnen, empfängt der Priester eine besondere Hilfe durch die Gnade Jesu Christi: die Liebe des Guten Hirten drückt sich ja nicht nur im Geschenk des Heils für die Menschen aus, sondern auch in der konkreten Lebensgemeinschaft mit ihnen. Es handelt sich dabei um ein Leben, dessen Freude und Leid Jesus als das Wort, das "Fleisch" geworden ist (vgl. Joh 1, 14), erfahren wollte, dessen Mühen er wahrnehmen, dessen Gefühle er teilen, dessen Schmerz er lindern wollte; in einem Leben als Mensch unter Menschen und mit den Menschen eröffnet Jesus Christus die höchste, ureigentlichste und vollkommenste Ausdrucksform des Menschseins: wir sehen ihn, wie er auf der Hochzeit zu Kana feiert, wie er eine befreundete Familie besucht, wie er sich um die hungrige Menge kümmert, die ihm gefolgt ist, wie er kranke oder gar tote Kinder ihren Eltern zurückgibt, wie er über den Verlust des Lazarus weint ...

Vom Priester, der in seiner menschlichen Empfindungsfähigkeit zu immer größerer Vollkommenheit gelangt ist, soll das Gottesvolk etwas sagen können, das dem vergleichbar ist, was der Hebräerbrief über Jesus sagt: "Wir haben ja nicht einen Hohenpriester, der nicht mitfühlen könnte mit unserer Schwäche, sondern einen, der in allem wie wir in Versuchung geführt worden ist, aber nicht gesündigt hat" (Hebr 4,15).

Die fortdauernde Priesterbildung hinsichtlich ihrer geistlichen Dimension ist ein Erfordernis des neuen Lebens nach dem Evangelium, zu dem der Priester in besonderer Weise vom Heiligen Geist gerufen ist, der im Weihesakrament ausgegossen wird. Der Geist, der den Priester weiht und ihn nach dem Bild Jesu Christi, des Hauptes und Hirten, gestaltet, schafft eine Verbindung, die - im Sein des Priesters selbst angelegt - danach verlangt, in persönlicher Weise angeeignet und gelebt zu werden, d. h. bewusst und frei, durch eine immer reichere Lebens- und Liebesgemeinschaft und ein immer intensiveres und radikaleres Teilen der Empfindungen und Haltungen Jesu Christi. In dieser Verbindung zwischen dem Herrn Jesus und dem Priester, einer ontologischen und psychologischen, einer sakramentalen und sittlichen Verbindung, besteht das Fundament und zugleich die Kraft für Jenes "Leben aus dem Geist und jene "Radikalität des Evangeliums", wozu jeder Priester gerufen ist und die von der Weiterbildung in ihrem geistlichen Aspekt begünstigt wird. Dieses Bemühen um Weiterbildung erweist sich auch in bezug auf das Priesteramt als notwendig, nämlich für seine Glaubwürdigkeit und geistliche Fruchtbarkeit. "Bist du Seelsorger?" fragte sich der hl. Karl Borromäus. Und er antwortete darauf in einer Ansprache an die Priester auf folgende Weise: "Vernachlässige darüber nicht die Sorge für dich selbst, und sei andern gegenüber nicht so freigebig, dass für dich selbst nichts übrig bleibt. Du musst zwar an die Seelen denken, deren Vorsteher du bist, aber nicht so, dass du dich selbst vergisst. Erkennt, Brüder, dass nicht allen Männern der Kirche in gleicher Weise dasselbe notwendig ist. Es gibt das innere Gebet, das allen unseren Handlungen vorausgeht, sie begleitet und ihnen folgt: Ich will dir singen, sagt der Prophet, und erkennen (vgl. Ps 100,1). Spendest du die Sakramente, lieber Bruder, so bedenke, was du tust. Feierst du die Messe, so bedenke, was du darbringst. Singst du im Chor, bedenke, mit wem du sprichst und was du sagst. Leitest du die Seelen, so bedenke, mit wessen Blut sie reingewaschen sind, und, alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (1 Kor 16,14). Alle Schwierigkeiten, die wir notwendig Tag für Tag in großer Zahl erfahren - wir sind ja in sie hineingestellt -, werden wir leicht überwinden können. Auf diese Weise gewinnen wir die Kraft, Christus in uns und in anderen zu gebären.<ref> Karl Borromäus, Acta Ecclesiae Mediolanesis, Mailand 1599, 1178.</ref>

Besonders das Gebetsleben bedarf beim Priester beständiger "Erneuerung". Die Erfahrung lehrt ja, dass man beim Beten nicht von einem angelegten Vorrat zehren kann: jeden Tag ist es erforderlich, nicht nur die äußere Treue bei der Einhaltung von Gebetszeiten neu zu gewinnen, besonders derjenigen Zeiten, die der Feier des Stundengebetes gewidmet sind und derer, die der persönlichen Wahl überlassen und nicht von festen Abläufen und terminlichen Vorgaben des liturgischen Dienstes abgesichert sind. Es geht dabei auch und vor allem um die beständige Suche nach einer wirklichen persönlichen Begegnung mit Jesus und um ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Vater, um eine tiefe Erfahrung des Geistes.

Wenn der Apostel Paulus von allen Gläubigen sagt, dass sie gehalten sind, "zum vollkommenen Menschen zu werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darzustellen" (Eph 4,13), dann kann dies in besonderer Weise auf die Priester angewandt werden, die zur Vervollkommnung der Liebe und somit zur Heiligkeit gerufen sind, und dies auch, weil gerade ihr seelsorgliches Amt sie als lebendige Vorbilder für alle Gläubigen haben will.

Auch die intellektuelle Dimension der Ausbildung verlangt nach Fortsetzung und Vertiefung im Leben des Priesters, insbesondere durch das Studium sowie ein ernsthaftes und engagiertes Mühen um Vergegenwärtigung des kulturellen Lebens. In der Tellnahme an der prophetischen Sendung Jesu und eingefügt in das Mysterium der Kirche als Lehrmeisterin der Wahrheit, ist der Priester gerufen, den Menschen in Jesus Christus das Antlitz Gottes zu offenbaren und damit das wahre Antlitz des Menschen selbst".<ref>Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 22.</ref> Aber das verlangt seitens des Priesters eine Suche nach diesem Antlitz und dessen Betrachtung in Verehrung und Liebe (vgl. Ps 26,7; 41,2): nur so kann er es anderen nahe bringen. In besonderem Maße erweist sich auch die Fortsetzung des theologischen Studiums als erforderlich, damit der Priester in Treue den Dienst am Wort erfüllen kann, in der Verkündigung des Wortes ohne Verwirrungen und Zweideutigkeiten, in seiner Abhebung von den bloßen menschlichen Meinungen, selbst wenn diese hochgerühmt und weit verbreitet sein sollten. Auf diese Weise wird er dem Gottesvolk wirklich dienen, indem er ihm hilft, jedem, der danach fragt, ein Zeugnis christlicher Hoffnung zu geben (vgl. 1 Petr 3,15). Außerdem "ist der Priester, wenn er sich bewusst und beständig dem theologischen Studium widmet, zu einer Aneignung des urtümlichen kirchlichen Reichtums auf sichere und persönliche Weise in der Lage. Er kann daher die Sendung erfüllen die von ihm verlangt, den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der wahren katholischen Lehre zu begegnen und die Neigung zur Zwietracht und zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Lehramt und der Tradition bei sich und bei anderen zu überwinden".<ref>Achte Weltbischofssynode, Instrumentum laboris, 55 a.a.O.</ref>

Der pastorale Aspekt der Weiterbildung kommt in dem folgenden Wort des Apostels Petrus gut zum Ausdruck: "Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat" (1 Petr 4,10). Um jeden Tag gemäß der empfangenen Gnade zu leben, ist es erforderlich, dass der Priester ein immer offenerer Mensch wird für die Annahme der pastoralen Liebe Jesu Christi, die ihm durch seinen Geist im Sakrament geschenkt ist, das er empfangen hat. So wie alles Tun des Herrn Frucht und Zeichen seiner pastoralen Liebe gewesen ist, so ist auch das Wirken des Priesters in seinem Dienstamt. Die pastorale Liebe ist Gabe und - damit verbunden - Aufgabe, ist Gnade und Verantwortung, der es treu zu sein gilt: es gilt daher, sie anzunehmen und aus ihr die lebendige Tatkraft bis hin zu den äußersten Beanspruchungen zu beziehen. Wie schon gesagt, treibt die pastorale Liebe den Priester dazu an, die Lebenssituation der Menschen, zu denen er gesandt ist, immer besser zu verstehen; die geistlichen Umstände zu unterscheiden, in die hinein die Anrufe des Geistes ergehen; die passendsten Methoden und die nützlichsten Formen zu finden, um heute sein Dienstamt ausüben zu können. So durchdringt und stärkt die pastorale Liebe die menschlichen Anstrengungen des Priesters für sein pastorales Wirken, damit es gegenwärtig, glaubwürdig und wirkungsvoll werden kann. Aber all das erfordert eben eine beständige pastorale Weiterbildung.

Der Weg zur Reife verlangt nicht nur, dass der Priester darin fortfährt, die verschiedenen Dimensionen seiner Ausbildung zu vertiefen; sondern er verlangt auch und vor allem, dass er diese Dimensionen immer harmonischer miteinander in Einklang zu bringen weiß und so fortschreitend eine Zusammenführung aller Aspekte im Blick auf ihre innere Einheit anpeilt. Eben diese wird von der pastoralen Liebe gewährleistet, die ja die verschiedenen Aspekte nicht nur aufeinander abstimmt und vereint, sondern sie auch näherhin qualifiziert, indem sie sie als Aspekte innerhalb der Ausbildung des Priesters überhaupt kennzeichnet. So ergeben sich die Kennzeichen des Priesters als Hinweis, als lebendiges Bild, als Dienst Jesu, des Guten Hirten.

Die Weiterbildung hilft dem Priester, der Versuchung zu widerstehen, sein Dienstamt auf einen Aktivismus zu reduzieren, der zum Selbstzweck wird; es auf eine unpersönliche Sakramentenversorgung zu reduzieren oder dieses Amt gar zu einer Beamtenfunktion im Dienst der kirchlichen Organisation degenerieren zu lassen. Allein die dauernde Weiterbildung hilft dem Priester dabei, das "Mysterium", das er in sich trägt, zum Wohl der Kirche und der Menschheit mit wachsamer Liebe zu behüten.

Der tiefere Sinn der Weiterbildung

73 Die verschiedenen, einander ergänzenden Dimensionen der Weiterbildung helfen uns, ihren tieferen Sinn zu erfassen: sie zielt darauf, dem Priester dabei zu helfen, Diener im Geist Jesu und - nach Art Jesu - des Guten Hirten zu sein und so zu wirken.

Die Wahrheit muss getan werden! So ermahnt uns der hl. Jakobus: "Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst" (Jak 1,22). Die Priester sind dazu gerufen, die "Wahrheit dessen zu tun, was sie sind" bzw. ihre Identität und ihr Dienstamt in der Kirche und für die Kirche "in der Liebe" zu leben (vgl. Eph 4,15). Sie sind dazu gerufen, sich immer lebendiger die göttliche Gabe bewusst zu machen, ihrer stets eingedenk zu bleiben. Genau dies meint die Aufforderung des Paulus an Timotheus: "Bewahre das dir anvertraute kostbare Gut durch die Kraft des Heiligen Geistes, der in uns wohnt" (2 Tim 1,14).

Es wurde im ekklesiologischen Zusammenhang schon mehrfach darauf hingewiesen, dass man die tiefere Bedeutung der priesterlichen Weiterbildung auch in bezug auf ihr Dasein und ihren Vollzug in der Kirche als Mysterium, Communio und Missio betrachten kann.

Innerhalb der Kirche als "Mysterium" ist der Priester vermittels seiner Weiterbildung gerufen, das Bewusstsein der ganzen und staunenswürdigen Wahrheit seines Seins im Glauben zu bewahren und zu entfalten: Er ist Diener Christi und "Diener der Diener Christi" (vgl. 1 Kor 4,1). Paulus fordert die Christen ausdrücklich auf, ihn gemäß dieser Bestimmung zu betrachten; aber zuallererst lebt er selbst im Bewusstsein der erhabenen Gabe, die er vom Herrn empfangen hat. So sollte es bei jedem Priester sein, wenn er in der Wahrheit über seine Berufung bleiben will. Doch das ist allein im Glauben möglich, allein mit dem Blick, der sich der Sehweise Christi bedient.

In diesem Sinn muss man sagen, dass die Weiterbildung darauf zielt, zu gewährleisten, dass der Priester ein Glaubender sei und es mehr und mehr werde: dass er sich stets in seiner Wahrheit betrachte, und zwar mit den Augen Christi. Er muss diese Wahrheit mit dankbarer und freudiger Liebe schützen. Er muss seinen Glauben erneuern, wenn er das Priesteramt ausübt: sich als Diener Christi empfinden, als Sakrament der Liebe Gottes zum Menschen, sooft er Vermittler und lebendiges Werkzeug der Gnadenmitteilung Gottes an die Menschen ist. Er muss eben diese Wahrheit in den Mitbrüdern wiederfinden: sie ist die Grundlage der Wertschätzung und der Liebe gegenüber den anderen Priestern.

74 Die Weiterbildung hilft dem Priester - innerhalb der Kirche als "Gemeinschaft" -, das Bewusstsein zu vervollkommnen, dass sein Dienstamt letztlich darauf hingeordnet ist, die Familie Gottes zusammenzurufen als eine von Liebe beseelte Gemeinde und sie durch Christus im Heiligen Geist zum Vater zu führen.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 6.</ref>

Der Priester muss wachsen im Bewusstsein der tiefen Gemeinschaft, die ihn an das Gottesvolk bindet: er befindet sich nicht nur der Gemeinde "gegenüber", sondern vor allem "in" ihr. Er ist Bruder unter Brüdern und Schwestern. Kraft der Taufe - bezeichnet mit der Würde und Freiheit der Kinder Gottes im eingeborenen Sohn - ist der Priester Glied dieses einen Leibes Christi (vgl. Eph 4,16). Das Bewusstsein dieser Gemeinschaft mündet in das Bedürfnis, die Mitverantwortung für die eine gemeinsame Heilssendung anzuregen und zu entfalten mit lebhafter und herzlicher Anerkennung aller Charismen und Aufgaben, die der Geist den Gläubigen für die Auferbauung der Kirche schenkt. Vor allem in der Erfüllung des seelsorglichen Amtes, das seinem Wesen nach auf das Wohl des Gottesvolkes hingeordnet ist, muss der Priester seine tiefe Gemeinschaft mit allen leben und bezeugen, gemäß den Worten Pauls VI.- "Wir müssen uns zu Brüdern der Menschen machen, gerade indem wir ihre Hirten, Väter und Lehrer sein wollen. Die Atmosphäre des Dialogs ist die Freundschaft. Mehr noch, der Dienst".<ref> Paul VI., Enzyklika Ecclesiam suam (6. August 1964), III: AAS 56 (1964) 647.</ref>

In einem noch genauer bestimmten Sinn ist der Priester gerufen, das Bewusstsein dafür zu vervollkommnen, Glied der Ortskirche zu sein, der er inkardiniert ist, d. h. in die er durch eine ebenso rechtliche wie geistliche und pastorale Verbindung eingefügt ist. Ein solches Bewusstsein setzt die besondere Liebe zur eigenen Gemeinde voraus und entfaltet sie. Diese ist ja wirklich das lebendige und dauernde Ziel der pastoralen Liebe, die das Leben des Priesters begleiten muss und die ihn anleitet, mit dieser seiner Gemeinde ihre Lebensgeschichte und -erfahrung in ihrem Reichtum und ihren Gebrechen, ihren Schwierigkeiten und Hoffnungen zu teilen sowie in ihr und für sie zu ihrem Wohl zu arbeiten. Das heißt also, sich gleichermaßen von der eigenen Gemeinde bereichert zu fühlen wie zu ihrer Auferbauung aktiv in Anspruch genommen zu sein. Dabei wird - als einzelner und zusammen mit den anderen Priestern - das pastorale Wirken fortgesetzt, durch das sich jene Mitbrüder hervorgetan haben, die ihm vorausgegangen sind. Es ist ein unaufhebbares Erfordernis der pastoralen Liebe gegenüber der eigenen Gemeinde und gegenüber künftigen Formen des Dienstamtes in ihr, dass der Priester sich mit sorgsamem Eifer darum bemüht, Nachfolger im priesterlichen Dienst zu finden.

Der Priester muss auch wachsen im Bewusstsein der Gemeinschaft, die zwischen den verschiedenen Gemeinden besteht, eine Gemeinschaft, die eben darin wurzelt, dass es "Kirchen" sind, die vor Ort die eine und universale Kirche Christi mit Leben erfüllen. Ein solches Bewusstsein der Kirchengemeinschaft untereinander wird den "Austausch der Gaben" fördern, und zwar zunächst einmal der lebendigen und persönlichen Gabe, die die Priester selbst darstellen. Daraus rührt die Verfügbarkeit, mehr noch, das großherzige Engagement für die Verwirklichung einer gleichmäßigen Verteilung des Klerus.<ref> Vgl. Kongregation für den Klerus, Nota directiva Postquam apostoli (25. März 1980): AAS 72 (1980) 343-364.</ref> Bei den einzelnen Gemeinden ist vor allem an jene zu denken, die "keine eigenen Berufungen haben können, da ihnen die Freiheit genommen ist", wie auch jene "Gemeinden, die erst jüngst Verfolgungen entronnen sind, und an die armen, denen schon seit langer Zeit und von vielerlei Seite großherzig und brüderlich geholfen worden ist und nach wie vor geholfen wird".<ref> Propositio 39.</ref>

Innerhalb der Kirchengemeinschaft ist der Priester gerufen, in seiner Weiterbildung besonders in und mit dem eigenen Presbyterium in Gemeinschaft mit dem Bischof zu wachsen. Das Presbyterium ist seiner vollen Wahrheit nach ein Mysterium: es ist)a eine übernatürliche Wirklichkeit, da diese Gemeinschaft im Weihesakrament wurzelt. Dieses ist ihre Quelle und ihr Ursprung; es ist der" Ort" ihres Entstehens und Wachsens. In der Tat "sind die Priester durch das Welhesakrament mit einem persönlichen und unauflöslichen Band mit Christus, dem Hohenpriester, verbunden. Die Weihe wird ihnen als einzelnen gespendet, aber sie sind hineingenommen in die Gemeinschaft des Presbyteriums, verbunden mit dem Bischof" (Lumen gentium, 28; Presbyterorum ordinis, 7 und 8).<ref> Propositio 34.</ref>

Dieser sakramentale Ursprung verlängert sich in den Raum der priesterlichen Amtsausübung hinein als Schritt vom Mysterium zum Ministerium. "Die Einheit der Priester mit dem Bischof und untereinander ist keine äußerliche Hinzufügung zur Eigenart ihres Dienstes, sondern bringt dessen Wesen zum Ausdruck, insofern sie die Sorge Christi, des Hohenpriesters, für die Belange des Volkes ist, das von der Einheit der Heiligsten Dreifaltigkeit zusammengeführt wird".<ref> Ebd.</ref> "Diese priesterliche Einheit, gelebt im Geist pastoraler Liebe, macht die Priester zu Zeugen Jesu, der zum Vater gebetet hat, "dass alle eins seien" (Joh 17,21).

Die Grundzüge des Presbyteriums sind also die einer wahren Familie, einer Brüderlichkeit, deren Bande nicht solche des Fleisches und des Blutes sind, sondern der Weihegnade: einer Gnade, die die menschlichen, psychologischen, emotionalen, freundschaftlichen und geistlichen Beziehungen unter den Priestern aufnimmt und erhebt; einer Gnade, die sich ausbreitet und entfaltet, die sich verdeutlicht und konkretisiert in den unterschiedlichen Formen gegenseitiger Hilfeleistung, nicht nur geistlicher, sondern auch materieller Art. Die Brüderlichkeit unter Priestern schließt niemanden aus, kann und muss aber ihre Präferenzen haben: es sind dies solche, die dem Evangelium gemäß sind und vor allem jenen gelten, die am meisten der Hilfe und der Ermutigung bedürfen. Solch eine Brüderlichkeit "lässt den jungen Priestern besondere Sorge zuteil werden, bleibt in herzlichem und brüderlichem Gespräch mit denen mittleren und vorgerückten Alters und mit denen, die sich aus verschiedenen Gründen in Schwierigkeiten befinden; diese Brüderlichkeit lässt auch die Priester, die diese Lebensform verlassen haben oder ihr nicht entsprechen, nicht nur nicht im Stich, sondern folgt ihnen mit noch größerer brüderlicher Sorge".<ref> Ebd.</ref>

Zu dem einen Presbyterium gehören - auf einen anderen Titel hin - auch die Ordenspriester, die in einer Ortskirche leben und arbeiten. Ihre Anwesenheit stellt eine Bereicherung für alle Priester und für die verschiedenen von ihnen gelebten Charismen dar. Diese Ordenspriester sind dabei ein lebendiger Anruf, dass die Priester im Verständnis für das eigene Priestertum wachsen sollen, sie leisten ihren Beitrag, die Weiterbildung der Priester anzuregen und zu begleiten. Die Gabe des Ordenslebens ist im Gefüge einer Diözese - sofern sie begleitet wird von aufrichtiger Wertschätzung und der rechten Respektierung der Eigenheiten eines jeden Instituts und einer jeden geistlichen Tradition - eine Horizonterweiterung für das christliche Zeugnis und trägt auf mannigfache Weise zur Bereicherung der priesterlichen Spiritualität bei, vor allem hinsichtlich einer rechten Beziehung und gegenseitigen Einflussnahme zwischen den Werten der Ortskirche und der Kirche des ganzen Gottesvolkes. Die Ordensleute ihrerseits werden darauf achten, dass sie einen Geist echter Kirchengemeinschaft bewahren und eine herzliche Teilnahme am Leben der Diözese und an den pastoralen Entscheiden des Bischofs bekunden, indem sie das ihnen eigene Charisma bereitwillig für die Auferbauung aller in Liebe zur Verfügung stellen.<ref> Vgl. Propositio 38; II Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 1; dass., Dekret über die Ausbildung der Priester Optatum totius, 1; Kongregation für die Ordensleute und für die Säkularinstitute und Kongregation für die Bischöfe, Nota directiva Mutuae relationes (14. Mai 1978), 2 und 10: AAS 70 (1978), 475 und 479-480.</ref>

Schließlich lässt sich im Rahmen der Kirchengemeinschaft und des Presbyteriums dem Problem der Einsamkeit des Priesters besser begegnen, mit dem sich die Synodenväter beschäftigt haben. Es gibt eine Einsamkeit, die zur Erfahrung eines jeden gehört und etwas ganz Normales ist. Es gibt aber auch eine Einsamkeit, die aus bestimmten Schwierigkeiten entsteht und ihrerseits neue Probleme aufwirft. In diesem Sinne "sind die aktive Zugehörigkeit zum Presbyterium einer Diözese, die regelmäßigen Kontakte mit dem Bischof und mit den anderen Priestern, die gegenseitige Zusammenarbeit, das gemeinschaftliche und brüderliche Leben unter Priestern wie auch die Freundschaft und der herzliche Umgang mit den Gläubigen, die in den Pfarrgemeinden mitarbeiten, überaus nützliche Hilfsmittel zur Überwindung der Folgen von Einsamkeit, die der Priester hin und wieder erleben kann".<ref> Propositio 35.</ref>

Die Einsamkeit schafft aber nicht nur Probleme, sondern bietet auch positive Möglichkeiten für das Leben des Priesters: "Wenn sie im Geist der Hingabe angenommen und in der innigen Beziehung mit dem Herrn Jesu Christus gesucht wird, kann die Einsamkeit eine Gelegenheit für das Gebet und das Studium sein sowie eine Hilfe für die Heiligung und das menschliche Wachstum.<ref> Ebd.</ref>

Zweifelsohne ist eine bestimmte Form von Einsamkeit ein notwendiges Element der ständigen Weiterbildung. Jesus wusste sich oft allein zurückzuziehen, um zu beten (vgl. Mt 14,23). Die Fähigkeit, eine recht verstandene Einsamkeit zu pflegen, ist eine unverzichtbare Bedingung für die Sorge um das geistliche Leben. Es handelt sich um ein von der Anwesenheit des Herrn erfülltes Alleinsein, das uns - im Licht des Geistes - mit dem Vater in Verbindung setzt. In diesem Sinn sind die Sorge um das Schweigen und die Suche nach Zeiten und Orten der "Wüste" notwendig für eine umfassende persönliche Weiterbildung, sei es auf intellektuellem, sei es auf geistlichem und pastoralem Gebiet. In diesem Sinne kann man sagen, dass zu wirklicher brüderlicher Gemeinschaft unfähig ist, wer die eigene Einsamkeit nicht recht zu leben versteht.

75 Die Zielbestimmung der Weiterbildung besteht darin, im Priester das Bewusstsein für seine Teilnahme an der Heilssendung der Kirche wachsen zu lassen. In der Kirche als "Sendung" hat die Weiterbildung nicht nur einen Platz als notwendige Bedingung, sondern auch als unverzichtbares Mittel dafür, den Sinn der Sendung beständig ins rechte Licht zu rücken und ihre getreue und großzügige Verwirklichung zu gewährleisten. Durch diese Weiterbildung erfährt der Priester Hilfe darin, das ganze verpflichtende Gewicht, aber zugleich auch die leuchtende Gnade beim Vollzug seiner Sendung wahrzunehmen: die Inpflichtnahme lässt ihn einerseits nicht ruhen - wie Paulus soll er sagen können: "Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, ich das Evangelium nicht verkünde! (1 Kor 9,16); auf der anderen Seite erfährt sich der Priester ausdrücklich oder unausgesprochen von den Menschen ständig und dringlich eingefordert, die Gott unermüdlich zum Heil ruft.

Allein einer angemessenen Weiterbildung gelingt es, den Priester in all dem, was für sein Dienstamt bzw. seine Treue wesentlich und entscheidend ist, zu stärken gemäß den Worten des Apostels Paulus: "Von Verwaltern aber verlangt man, dass sie sich treu erweisen" (1 Kor 4,2). Der Priester soll treu sein ungeachtet der verschiedensten Schwierigkeiten, denen er begegnet, auch unter den widrigsten Bedingungen und in verständlicher Ermüdung, treu mit allen Kräften, über die er verfügt, und bis an sein Lebensende. Das Zeugnis des Paulus sollte für jeden Priester Beispiel und Ansporn sein: "Niemand geben wir", schreibt er an die Christen von Korinth, "auch nur den geringsten Anstoß, damit unser Dienst nicht getadelt werden kann. In allem erweisen wir uns als Gottes Diener: durch große Standhaftigkeit, in Bedrängnis, in Not, in Angst, unter Schlägen, in Gefängnissen, in Zeiten der Unruhe, unter der Last der Arbeit, in durchwachten Nächten, durch Fasten, durch lautere Gesinnung, durch Erkenntnis, durch Langmut, durch Güte, durch den Heiligen Geist, durch ungeheuchelte Liebe, durch das Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit in der Rechten und in der Linken, bei Ehrung und Schmähung, bei übler Nachrede und bei Lob. Wir gelten als Betrüger und sind doch wahrhaftig; wir werden verkannt und doch anerkannt; wir sind wie Sterbende, und seht: wir leben; wir werden gezüchtigt und doch nicht getötet; uns wird Leid zugefügt, und doch sind wir jederzeit fröhlich; wir sind arm und machen doch viele reich; wir haben nichts und haben doch alles" (2 Kor 6,3-10).

In jedem Alter und jeder Lebenslage

76 Die Weiterbildung muss - eben weil sie "fortdauernd" ist - die Priester immer begleiten, d. h. in jeder Phase und Lebenslage sowie auch auf jeder Ebene kirchlicher Verantwortung: dabei sind selbstverständlich die Möglichkeiten und Charakteristika zu sehen, die mit dem Wechsel von Lebensphasen, Lebenslagen und anvertrauten Aufgaben zusammenhängen.

Die Weiterbildung nimmt zunächst und vor allem die jungen Priester in die Pflicht: Sie bedarf einer Häufigkeit und Regelmäßigkeit von entsprechenden Veranstaltungen, die die Jungen Priester - während diese die Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit der im Seminar genossenen Ausbildung beibehalten -fortschreitend dazu führt, den einzigartigen Reichtum der "Gabe" Gottes, nämlich des Priestertums, zu verstehen und im Leben zu verwirklichen und ihren auf den Dienst ausgerichteten Möglichkeiten und Einstellungen Ausdruck zu verleihen. Dazu gehört auch eine immer überzeugtere und verantwortlichere Einfügung in das Presbyterium und somit in die Gemeinschaft und Mitverantwortung mit allen Mitbrüdern.

Wenn auch ein gewisses Sättigungsgefühl verständlich ist, das im jungen Priester, kaum dass er das Seminar verlassen hat, angesichts von neuen Studieneinheiten und Veranstaltungen aufkommen mag, so muss doch der Gedanke als vollkommen falsch und gefährlich zurückgewiesen werden, wonach die Priesterausbildung in dem Augenblick abgeschlossen sei, in dem die Zeit im Seminar endet.

Durch die Teilnahme an den Weiterbildungsmaßnahmen können sich die jungen Priester wechselseitige Hilfe anbieten, verbunden mit dem Erfahrungsaustausch und gemeinsamer Besinnung auf die konkrete Umsetzung jenes Ideals von Priestertum und Amtsausübung, das sie sich während der Seminarzeit angeeignet haben. Zu gleicher Zeit kann ihre aktive Teilnahme an den Bildungsveranstaltungen des Presbyteriums Beispiel und Ansporn für die anderen, schon älteren Priester sein, wenn sie auf diese ein Zeugnis für ihr Zugehörigkeitsgefühl zum Presbyterium und für ihren leidenschaftlichen Eifer für die Ortskirche geben, die gut ausgebildeter Priester bedarf.

Für die Begleitung der jungen Priester in dieser ersten, äußerst wichtigen Phase ihres priesterlichen Lebens und Dienstamtes ist es höchst zweckmäßig (wenn nicht heutzutage gar schlechthin notwendig), ein darauf abgestimmtes stützendes Gefüge einzurichten mit Personen, die sich für die Anleitung und Weiterbildung eignen, so dass die jungen Priester darin auf organische und beständige Weise im Amt die notwendigen Hilfen für ihren priesterlichen Dienst zu finden vermögen. Anlässlich der regelmäßigen Zusammenkünfte - ausreichend lang und häufig, möglichst in einer gemeinsamen Umgebung, in Art eines festen Aufenthalts - werden ihnen wertvolle Momente der Entspannung, des Gebetes, der Besinnung und des brüderlichen Austauschs miteinander geboten. So ist es ihnen leichter möglich, ihrem Leben als Priester von Anfang an eine am Evangelium ausgerichtete Perspektive zu geben. Sollten die einzelnen Ortskirchen nicht in der Lage sein, ihren jungen Priestern diese Hilfe anbieten zu können, wird es zweckmäßig sein, dass sich die benachbarten Kirchen zusammenschließen, gemeinsam Mittel verfügbar machen und entsprechende Programme ausarbeiten.

77 Die Weiterbildung stellt eine Verpflichtung auch für die Priester im mittleren Alter dar. De facto gibt es eine Vielzahl von Risiken, die gerade aufgrund dieser Altersstufe eintreten können, wie zum Beispiel ein übertriebener Aktivismus und eine gewisse Routine bei der Amtsausübung. Der Priester ist dann versucht sich einzubilden, dass die eigene persönliche Erfahrung, die sich nun schon bewährt hat, keiner kritischen Überprüfung durch irgendwen mehr bedürfe. Nicht selten leidet er auf dieser Altersstufe an einer Art gefährlicher innerer Müdigkeit, die Zeichen resignierter Enttäuschung angesichts von Schwierigkeiten und Misserfolgen ist. Die Antwort auf diese Situation wird von der Weiterbildung gegeben, von einer fortdauernden und ausgewogenen kritischen Überprüfung seiner selbst und seines Handelns, von der beständigen Suche nach Motivationen und Hilfsmitteln für die eigene Sendung: auf diese Weise hält der Priester den Geist wachsam und bereit für die immerwährenden und doch auch immer neuen Formen der Suche nach dem Heil, mit denen viele Menschen an den Priester - als einen "Mann Gottes" - herantreten.

Die Weiterbildung muss auch die - wegen der schon vorgerückten Zahl an Lebensjahren- als alt bezeichneten Priester angehen, die in einigen Ortskirchen sogar den zahlenmäßig umfangreichsten Teil des Presbyteriums bilden. Das Presbyterium muss dem treuen Dienst, den sie Christus und der Kirche geleistet haben, seine Dankbarkeit bezeugen und der Lage der alten Priester seine konkrete Solidarität erweisen. Für diese Priester bedeutet Weiterbildung nicht so sehr die Verpflichtung zum Studium, zum Leben im Heute und zur kulturellen Auseinandersetzung, als vielmehr die eindeutige und wichtige Bestätigung ihrer Aufgabe, zu deren Ausübung im Presbyterium sie nach wie vor gerufen sind: nicht allein durch die Fortführung ihres Amtes als Seelsorger (und sei es auch in anderen Formen), sondern auch durch die Möglichkeit, dank ihrer Lebenserfahrung und ihrer Erfahrung im Apostolat, ihrerseits zu wirkungsvollen Begleitern und Helfern für andere Priester zu werden.

Auch diejenigen Priester, die sich aufgrund von schwerer Belastung oder Krankheit in einem Zustand der seelisch-moralischen Ermüdung befinden, können Hilfe durch eine Weiterbildung erfahren, die sie ermuntert, ernsthaft und kraftvoll ihren Dienst an der Kirche fortzusetzen; sich weder gegenüber der Gemeinde noch gegenüber dem Presbyterium abzukapseln, die äußerlichen Aktivitäten zu verringern und sich denjenigen Handlungen in seelsorglichen Beziehungen oder im eigenen geistlichen Leben zu widmen, die in der Lage sind, die Motivationen und die Freude an ihrem Priestertum zu verstärken. Die Weiterbildung hilft ihnen vor allem, die Überzeugung lebendig zu halten, die sie selbst ihren Gläubigen eingeprägt haben, dass sie nämlich weiterhin aktive Glieder für den Aufbau der Kirche sind, auch und gerade kraft ihres Einswerdens mit Jesus Christus als dem Leidenden und mit so vielen anderen Brüdern und Schwestern, die in der Kirche am Leidensweg des Herrn teilhaben und darin die geistliche Erfahrung des Paulus wiederbeleben, der schreibt: Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt" (Kol 1,24).<ref> Vgl. Propositio 36.</ref>


Die Verantwortlichen für die Weiterbildung

78 Die Bedingungen, unter denen sich derzeit das Priesteramt häufig und vielerorts entfaltet, machen ein ernsthaftes Bemühen um die Ausbildung nicht einfach: die sich vervielfachenden Aufgaben und Dienste, die Komplexität menschlichen Lebens im allgemeinen und des Lebens der christlichen Gemeinden im besonderen, der Aktivismus und die Kurzatmigkeit, die weite Bereiche unserer Gesellschaft kennzeichnen, nehmen den Priestern oft die Zeit und die unverzichtbaren Energien, dass sie "auf sich selbst achten" (vgl. 1 Tim 4,16).

Dies muss in allen die Verantwortung dafür wachsen lassen, dass die Schwierigkeiten überwunden werden, mehr noch, dass sie eine Herausforderung werden, eine Weiterbildung zu erarbeiten und zu verwirklichen, die in angemessener Weise auf die Großartigkeit der göttlichen Gabe und auf das Gewicht der Anfragen und Erfordernisse unserer Zeit eingeht.

Die Verantwortlichen für die Weiterbildung der Priester sind in der Kirche als "Gemeinschaft" zu suchen. In diesem Sinne ist es die gesamte Ortskirche, die - unter der Leitung des Bischofs - mit der Verantwortung betraut wird, die Weiterbildung der Priester auf verschiedene Weise anzuregen und für sie Sorge zu tragen. Die Priester sind nicht für sich selbst da, sondern für das Gottesvolk: deshalb stellt sich die Weiterbildung, gerade insofern sie die menschliche, geistliche, geistige und pastorale Reife der Priester gewährleistet, als ein Gut dar, dessen Empfänger das ganze Gottesvolk ist. Im übrigen führt eben die Ausübung des seelsorglichen Dienstamtes zu einem beständigen und fruchtbaren gegenseitigen Austausch zwischen dem Glaubensleben der Priester und der Gläubigen. Gerade die Beziehung zwischen dem Priester und der Gemeinde, die Lebens-Gemeinschaft zwischen ihnen, stellt - sofern sie klug gepflegt und eingesetzt wird - einen grundlegenden Beitrag zur Weiterbildung dar, die allerdings nicht auf die eine oder andere Begebenheit oder Einzelinitiative eingeschränkt werden kann, sondern sich auf das Ganze des priesterlichen Amtes und Lebens erstreckt und es durchzieht. Die christliche Erfahrung einfacher und demütiger Menschen; der geistliche Elan von Menschen, die von der Liebe zu Gott ergriffen sind; die beherzte Umsetzung des Glaubens ins Leben seitens derjenigen Christen, die in vielerlei Verantwortlichkeiten in Staat und Gesellschaft eingebunden sind: dies alles wird ja vom Priester wahrgenommen, und während er es durch seinen priesterlichen Dienst zum Leuchten bringt, entdeckt er darin auch eine kostbare geistliche Nahrung. Auch die Zweifel, die Krisen und die Unsicherheiten angesichts der unterschiedlichsten persönlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, die Versuchung zur Verweigerung oder zur Verzweiflung im Augenblick des Schmerzes, der Krankheit, des Todes: kurz, alle schwierigen Umstände, denen die Menschen auf ihrem Glaubensweg begegnen, werden vom Priester brüderlich mit ihnen zusammen gelebt und aufrichtig in seinem Herzen miterlitten, und in seiner Suche nach Antworten für die anderen ist er beständig angespornt, sie insbesondere für sich selbst zu finden. So kann und soll das ganze Gottesvolk in allen seinen Gliedern einen wertvollen Beitrag zur Weiterbildung seiner Priester leisten. In diesem Sinne muss es den Priestern Zeiträume für das Studium und für das Gebet lassen; von ihnen das verlangen, wofür sie von Christus gesandt worden sind und nichts anderes; Mitarbeit in den verschiedenen Bereichen der pastoralen Sendung anbieten, besonders in jenen, die die Förderung des Menschlichen und den Dienst der Liebe betreffen, herzliche und brüderliche Beziehungen mit ihnen pflegen; in den Priestern das Bewusstsein zu stärken, dass sie nicht "Herren über den Glauben", sondern "Helfer zur Freude" aller Gläubigen sind (vgl. 2 Kor 1,24).

Die Verantwortung der Ortskirche für die Ausbildung der Priester konkretisiert und bestimmt sich in bezug auf die verschiedenen Glieder, die diese gemeinsam übernehmen, angefangen beim Priester selbst.

79 In einem gewissen Sinn ist wirklich er, der einzelne Priester, in der Kirche der Erstverantwortliche für die Weiterbildung: Tatsächlich obliegt jedem Priester die Pflicht, verwurzelt im Sakrament der Weihe, treu zu sein gegenüber der Gabe Gottes und dem Geschehen täglicher Bekehrung, die von der Gabe selbst kommt. Die Vorschriften und Normen der kirchlichen Autorität diesbezüglich reichen ebenso wenig wie das Beispiel der anderen Priester, die Weiterbildung schmackhaft zu machen, wenn der einzelne nicht persönlich von ihrer Notwendigkeit überzeugt ist und nicht entschieden ist, die Gelegenheiten, Zeiten und Formen dafür zu nutzen. Die Weiterbildung erhält die Jugendlichkeit des Geistes, die niemand von außen auferlegen kann, sondern die jeder fortwährend in sich selbst wiederfinden muss. Nur wer den Wunsch, zu lernen und zu wachsen immer lebendig erhält, besitzt diese Jugendlichkeit".

Grundlegend ist die Verantwortung des Bischofs und mit ihm des Presbyteriums. jene des Bischofs gründet in der Tatsache, dass die Priester durch ihn ihr Priestertum empfangen und mit ihm die pastorale Sorge um das Gottesvolk teilen. Er ist verantwortlich für jene Weiterbildung, die dafür zu sorgen hat, dass all seine Priester der Gabe und dem empfangenen Dienstamt in besonderer Weise treu sind, so wie das Gottesvolk sie will und mit Recht will. Diese Verantwortung führt den Bischof in Gemeinschaft mit seinem Presbyterium dazu, einen Plan und ein Programm zu entwerfen, die geeignet sind, die Weiterbildung zu gestalten, nicht als etwas Vorübergehendes, sondern als systematisches, inhaltliches Konzept, das sich schrittweise entfaltet und zu einer genauen Vorgehensweise wird. Der Bischof wird seine Verantwortlichkeit leben, nicht nur indem er seinem Presbyterium Orte und Zeiten der Weiterbildung sichert, sondern indem er persönlich anwesend ist und in überzeugter und herzlicher Weise selbst daran teilnimmt. Oft wird es angemessen oder auch notwendig sein, dass die Bischöfe mehrerer angrenzender Diözesen oder einer Kirchenregion sich untereinander abstimmen und ihre Kräfte vereinen, um qualifiziertere und wirklich anregende Initiativen für die Weiterbildung anbieten zu können, wie es Kurse biblischer, theologischer und pastoraler Erneuerung sind, Wochen der Zusammenkunft, Konferenzzyklen, Zeiten der Reflexion und Überprüfung auf dem pastoralen Weg des Presbyteriums und der Kirchengemeinde.

Der Bischof erfüllt seine Verantwortung, wenn er sich um den Beitrag sorgt, der von den Fakultäten und den theologischen und pastoralen Instituten kommen kann, von den Seminaren, von den Organen und Verbänden, die Priester, Ordensleute und gläubige Laien vereinen, die in der Priesterfortbildung beschäftigt sind.

Im Bereich der Ortskirchen ist den Familien ein bedeutender Platz vorbehalten: sie sind - insofern sie "Hauskirchen" sind - der konkrete Ausgangspunkt des Lebens der kirchlichen Gemeinschaften, die von den Priestern geistlich bewegt und geleitet werden. Insbesondere ist die Rolle der "Kernfamilie" hervorzuheben. Diese kann, vereint und in gemeinsamem Sinne, einen ganz besonders wichtigen Beitrag zur Sendung des Sohnes leisten. Weil sie den Plan der Vorsehung zur Erfüllung bringt, der sie als Ort für den Samen der Berufung haben wollte, als Wiege und Schutz, als unerläßliche Hilfe für sein Wachstum und seine Entwicklung, soll die Familie des Priesters, in größter Achtung dieses Sohnes, der sich entschieden hat, sich Gott und den Nächsten zu widmen, stets verbleiben als eine treue, ermutigende Zeugin seiner Sendung, sie mit Hingabe und Ehrfurcht unterstützen und mit ihm teilen.

Zeiten, Formen und Mittel der Weiterbildung

80 Wenn auch jeder Moment eine Gnadenzeit sein kann (vgl. 2 Kor 6,2), in der der Heilige Geist den Priester zu einem unmittelbaren Wachstum im Gebet, im Studium und im Erkennen der eigenen seelsorglichen Verantwortung führt, so gibt es doch "bevorzugte" Momente, sollten sie auch allgemeinerer und festgefügter Art sein.

Hier ist besonders an die Begegnungen des Bischofs mit seinem Presbyterium zu denken, seien sie liturgischer Art (besonders die gemeinsame Feier der Chrisammesse am Gründonnerstag), pastoraler oder kultureller Art, also zur Abstimmung des seelsorglichen Handelns und zum Studium bestimmter theologischer Probleme.

Es gibt überdies die Zusammenkünfte zur Pflege der priesterlichen Spiritualität wie die geistlichen Exerzitien, die Besinnungstage usw. Sie sind eine Gelegenheit für geistliches und pastorales Wachstum, für längeres und ruhiges Gebet, für eine Rückkehr zu den Wurzeln des Priesterseins, um Frische und Motivation für Treue und pastoralen Schwung wiederzufinden.

Wichtig sind auch die Treffen zum Studium und zu gemeinsamer Reflexion: Sie verhindern die kulturelle Verarmung und die Versteifung auf bequeme Positionen auch im pastoralen Bereich, die Ergebnis geistiger Trägheit ist; sie gewährleisten eine reifere Zusammenschau der verschiedenen Elemente des geistlichen, kulturellen und apostolischen Lebens; sie öffnen Geist und Herz gegenüber neuen Herausforderungen der Geschichte und gegenüber neuen Aufrufen, die der Geist an die Kirche richtet.

81 Zahlreich sind die Hilfen und Mittel, derer man sich bedienen kann, damit die Weiterbildung zu einer immer wertvolleren Lebenserfahrung für die Priester werde. Unter ihnen erinnern wir an die verschiedenen Formen gemeinsamen Lebens unter den Priestern (vita communis), die es, wenn auch in verschiedener Weise und Intensität, immer in der Geschichte der Kirche gibt: "Heute ist es unmöglich, sie nicht zu empfehlen, vor allem denen, die am selben Ort leben oder pastoral tätig sind. Über den Nutzen für das pastorale Leben und deren Aktionen hinaus bietet dieses gemeinsame Leben des Klerus allen, den Mitbrüdern im Priesteramt und den Laien, ein leuchtendes Beispiel der Liebe und der Einheit".<ref> Weltbischofssynode, Instrumentum laboris, 60: a.a.O., 117; vgl. II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Welt Christus dominus, 30; dass., Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 8; CIC, can. 550, par. 2.</ref>

Andere Hilfen können von Priestergemeinschaften, besonders den priesterlichen Säkularinstituten gegeben werden, deren typisches Merkmal die Gebundenheit an die Diözese ist, kraft derer die Priester sich noch enger an den Bischof binden, und die "einen Weihestand bilden, in dem die Priester durch Gelübde oder andere heilige Bande dazu geweiht sind, die evangelischen Räte mit Leben zu erfüllen".<ref> Propositio 37.</ref> Alle von der Kirche approbierten Formen "priesterlicher Brüderlichkeit" sind nützlich, nicht nur für das geistliche, sondern auch für das apostolische und pastorale Leben.

Auch die Praxis der geistlichen Begleitung trägt nicht wenig zugunsten der Weiterbildung von Priestern bei. Sie ist ein klassisches Mittel, das nichts an Wert verloren hat, nicht nur für die geistliche Ausbildung, sondern auch für die Förderung und Erhaltung dauerhafter Treue und Großzügigkeit in der Ausübung des priesterlichen Dienstes. Mit den Worten des nachmaligen Papstes Paul VI. "hat die geistliche Begleitung eine sehr schöne Funktion, und man kann sagen, eine unerläßliche für die moralische und geistliche Erziehung der Jugend, die die Berufung ihres eigenen Lebens, wie immer sie auch sei, mit absoluter Redlichkeit deuten und befolgen will; sie behält ihre positive Bedeutung in jedem Lebensalter, wenn im Licht und in der Liebe eines frommen und klugen Rates die Bewahrheitung der eigenen Aufrichtigkeit und die Bestärkung zur großmütigen Erfüllung der eigenen Pflichten gefragt ist. Sie ist ein feines pädagogisches Mittel, aber von größtem Wert; sie ist eine pädagogische und psychologische Kunst, von ernster Verantwortung für den, der sie ausübt; sie ist geistliche Übung der Demut und des Vertrauens für den, der sie erhält".<ref> G.B. Montini, Hirtenschreiben Vom Sinn der Moral, 1961.</ref>

SCHLUSS

82 "Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen" (Jer 3,15).

Noch heute ist diese Verheißung Gottes lebendig und wirksam in der Kirche: sie empfindet sich zu jeder Zeit als glückliche Empfängerin dieser prophetischen Worte; sie sieht deren Verwirklichung täglich in vielen Teilen der Erde, oder besser: in vielen Menschenherzen, besonders den jungen. Und sie wünscht angesichts der ernsten und dringenden eigenen Bedürfnisse und derjenigen der Welt, dass sich diese göttliche Verheißung an der Schwelle des dritten Jahrtausends in neuer Weise erfüllt, in immer größerer Weite, Stärke, Wirksamkeit: wie eine außerordentliche Ausgießung des Pfingstgeistes.

Die Verheißung des Herrn ruft im Herzen der Kirche das Gebet hervor, das vertrauensvolle und glühende Flehen in der Liebe des Vaters, der, ebenso wie er Jesus, den Guten Hirten, die Apostel, ihre Nachfolger und eine ungezählte Schar an Priestern gesandt hat, auch weiterhin den Menschen von heute seine Treue und Güte kundtun wird.

Und die Kirche ist bereit, auf diese Gnade zu antworten. Sie spürt, dass die Gabe Gottes nach einer gemeinsamen und großherzigen Antwort verlangt: das ganze Volk Gottes soll unermüdlich für Priesterberufungen beten und arbeiten; die Priesteramtskandidaten sollen sich mit großer Ernsthaftigkeit darauf vorbereiten, die Gabe Gottes anzunehmen und zu leben, im Bewusstsein, dass die Kirche und die Welt sie unbedingt brauchen; sie sollen Christus, den Guten Hirten, lieben, ihr Herz nach dem seinen formen, bereit sein, als sein Abbild auf die Straßen der Welt hinauszugehen, um allen Christus, den Weg, die Wahrheit und das Leben, zu verkündigen.

Einen besonderen Aufruf richte ich an die Familien: dass die Eltern und besonders die Mütter dem Herrn freigebig ihre Söhne schenken, die er zum Priestertum beruft, und dass sie mit Freude am Weg ihrer Berufung mitwirken, im Wissen darum, dass sie so ihre christliche und kirchliche "Fruchtbarkeit" vergrößern und vertiefen und dass sie - in einem gewissen Sinne - die Seligpreisung der Jungfrau und Mutter Maria erfahren können: "Gesegnet bist du unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes" (Lk 1,42). Und den jugendlichen von heute sage ich: Achtet noch mehr auf die Stimme des Geistes, lasst die großen Erwartungen der Kirche und der Menschheit in der Tiefe des Herzens wiederklingen, fürchtet euch nicht, euren Geist dem Ruf Christi des Herrn zu öffnen, spürt, dass der liebvolle Blick Jesu auf euch gerichtet ist und antwortet mit Begeisterung auf die vorgelegte Möglichkeit radikaler Nachfolge.

Die Kirche antwortet auf die Gnade mit der Verpflichtung, die die Priester übernehmen, um jene Weiterbildung zu verwirklichen, die die Würde und Verantwortung, die ihnen im Sakrament der Weihe übertragen wird, verlangen. Alle Priester sind gerufen, das einzig Dringende ihrer Formung in der jetzigen Stunde zu erkennen: die Neuevangelisierung braucht neue Verkünder, und das sind die Priester, die sich verpflichten, ihr Priestertum als besonderen Weg zur Heiligkeit zu leben.

Die Verheißung Gottes ist es, der Kirche nicht irgendwelche Hirten zuzusichern, sondern Hirten "nach seinem Herzen". Das "Herz" Gottes hat sich uns vollkommen offenbart im Herzen Christi, des Guten Hirten. Und das Herz Christi hat auch heute Mitleid mit der Menge und gibt das Brot der Wahrheit, das Brot der Liebe und des Lebens (vgl. Mk 6,30ff), und es wünscht, in anderen Herzen zu schlagen - in denen der Priester: "Gebt ihr ihnen zu" (Mk 6,37). Die Leute haben das Bedürfnis, der Anonymität und der essen Furcht zu entgehen; das Bedürfnis, erkannt und beim Namen gerufen zu werden; sicher auf den Pfaden des Lebens zu gehen; wiedergefunden zu werden, wenn sie verloren gehen; geliebt zu werden; das Heil als höchste Gabe der Liebe Gottes zu empfangen: genau dies tut Jesus, der Gute Hirte; er - und die Priester zusammen mit ihm.

Und nun, am Ende dieses Schreibens, richte ich den Blick auf die Vielzahl der Anwärter auf das Priestertum, der Seminaristen und der Priester, die in allen Teilen der Welt, auch unter schwierigen, manchmal dramatischen Bedingungen, immer aber in dem freudigen Bemühen der Treue zum Herrn und in unermüdlichem Dienst an seiner Herde, täglich ihr eigenes Leben hingeben für das Wachstum des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in den Herzen und in der Geschichte der Männer und Frauen unserer Zeit.

Ihr, meine lieben Priester, tut dies, weil der Herr selbst euch mit der Kraft seines Geistes dazu berufen hat, den unschätzbaren Schatz seiner Liebe, die die des Guten Hirten ist, in den zerbrechlichen Gefäßen eures ganz schlichten Lebens zu tragen.

In Gemeinschaft mit den Synodenvätern und im Namen aller Bischöfe der Welt und der ganzen Kirchengemeinschaft drücke ich die volle Anerkennung aus, die eure Treue und euer Dienst verdienen.<ref> Vgl. Propositio 40.</ref>

Und während ich euch allen die Gnade wünsche, jeden Tag das durch die Auflegung der Hände (vgl. 2 Tim 1,6), von Gott empfangene Geschenk zu erneuern; die Tröstung der tiefen Freundschaft, die euch an Jesus bindet und miteinander vereint, zu empfinden; die Freude über das Wachstum der Herde Gottes auf eine immer größere Liebe zu ihm und zu jedem Menschen hin zu erfahren; die ermutigende Überzeugung zu pflegen, dass der, der dieses gute Werk in euch begonnen hat, es auch zur Vollendung bringen wird bis zum Tag Jesu Christi (vgl. Phil 1,6), wende ich mich mit euch allen gemeinsam und mit jedem einzelnen von euch im Gebet an Maria, die Mutter und Erzieherin unseres Priestertums.

Jeder Aspekt der priesterlichen Ausbildung kann auf Maria bezogen werden, als den Menschen, der mehr als jeder andere der Berufung Gottes entsprochen hat; die Magd und Jüngerin des Wortes geworden ist, bis sie in ihrem Herzen und in ihrem Fleische das fleischgewordene Wort empfangen hat, um es der Menschheit zu schenken; die gerufen wurde zur Erziehung des einzigen und ewigen Hohenpriesters, der gehorsam wurde und sich ihrer mütterlichen Autorität unterwarf. Mit ihrem Beispiel und ihrer Fürsprache wacht die heiligste Jungfrau weiterhin über die Entwicklung der Berufungen und des priesterlichen Lebens in der Kirche.

Daher sind wir Priester gerufen, in einer festen und zugleich zartfühlenden Marienfrömmigkeit zu wachsen, indem wir sie durch die Nachahmung ihrer Tugenden und häufiges Gebet bezeugen.

Maria, Mutter Jesu Christi und Mutter der Priester,

empfange diesen Namen, den wir Dir entgegenbringen,
um Deine Mutterschaft zu feiern
und mit Dir das Priestertum
Deines Sohnes und Deiner Söhne zu betrachten,
Heilige Gottesmutter.

Mutter Christi,
dem Messias und Priester hast Du einen menschlichen Leib geschenkt
durch die Kraft des Heiligen Geistes,
zum Heil der Armen und der im Herzen Betrübten:
behüte die Priester in Deinem Herzen und in der Kirche,
Mutter des Erlösers.

Mutter des Glaubens,
Du hast den Menschensohn zum Tempel geleitet
in Erfüllung der den Vätern gegebenen Verheißung:
empfiehl die Priester Deines Sohnes
dem Vater zu seiner Verherrlichung,
Arche des Bundes.

Mutter der Kirche,
inmitten der jünger im Abendmahlssaal hast Du zum Heiligen Geist gebetet
für das Neue Volk und die Hirten:
erhalte dem Priesterstand
die Früchte der Gaben,
Königin der Apostel.

Mutter Jesu Christi,
Du warst bei Ihm in den Anfängen seines Lebens
und seiner Sendung;
Ihn, den Meister, hast Du in der Menschenmenge gesucht,
Ihm bist Du beigestanden, da er von der Erde erhöht wurde
und sich hingab als das eine und ewige Opfer;
Du hattest Johannes bei Dir, Deinen Sohn:
nimm an, die von Anfang an gerufen sind,
schütze ihr Wachsen,
begleite Deine Söhne in ihrem Leben und Dienst,
Mutter der Priester.

Amen!

Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter,
am 25. März, dem Fest Mariä Verkündigung des Jahres 1992,
dem vierzehnten Jahr meines Pontifikates.

Johannes Paul II.

Anmerkungen

<references />

Weblinks