Das Philosophiestudium in den Seminaren (Wortlaut)

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Thomas von Aquin, der Meister der katholischen Priesterausbildung
Rundschreiben
Das Philosophiestudium in den Seminaren

der Kongregation für das katholische Bildungswesen
im Pontifikat von Papst
Paul VI.
20. Januar 1972

(Quelle: Die deutschen Bischöfe Nr. 36, S. 38-49; vom 22. September 1983)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


An die Hochwürdigsten Ordinarien
über das Studium der Philosophie in den Seminarien
Hochwürdigste Exzellenz !

Angesichts des im heutigen Leben der Priesterseminare sich vollziehenden Wandels gestattet sich die Kongregation für das katholische Bildungswesen einige Gedanken über ein Thema vorzulegen, dem sie große Bedeutung beimisst.

Bei der im Geist des Konzils durchzuführenden Erneuerung der Priesterseminare stellt sich bekanntlich mit besonderer Dringlichkeit das Problem der philosophischen Ausbildung der künftigen Priester. Zur Gewinnung einer soliden Grundlage für das Studium der Theologie, sowie zur Schaffung der Voraussetzungen für eine fruchtbare Begegnung zwischen Kirche und Welt, Glauben und Wissenschaft, christlichem Geistesgut und moderner Kultur hielt es das 2. Vatikanische Konzil für angebracht, auch die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Reform des Philosophiestudiums zu betonen und hierzu einige grundlegende Richtlinie anzubieten (Vgl. Optatam totius, n. 15; Gaudium et spes, n. 62 u. a.; Ad gentes, n. 16).

Es handelt sich um ein umfassendes, Einsatz forderndes Programm, das heute immer dringlicher wird, jedoch auch nicht wenigen Schwierigkeiten begegnet. Die Kongregation für das katholische Bildungswesen verfolgt die Entwicklung auf diesem Gebiet mit besonderem Interesse. Verschiedentlich konnte sie anerkennenswerte Bemühungen und Fortschritte feststellen, musste leider aber auch beunruhigende Erscheinungen konstatieren, die zu Entmutigung und Resignation führen.

Heute, sechs Jahre nach dem Konzil, ist es geboten, sich über die Situation genaue Rechenschaft zu geben, um daraus klare, konkrete Folgerungen für die Zukunft zu ziehen. Es ist nicht zu leugnen, dass die Bemühungen um eine philosophische Erneuerung heute Schwierigkeiten begegnen. Sie erfordern eine genaue Untersuchung und die Prüfung geeigneter Möglichkeiten zu ihrer Überwindung.

Die heutigen Schwierigkelten des Philosophiestudiums

Die Reform des Philosophiestudiums in den Seminarien vollzieht sich in einem geistigen Klima, das sich der Philosophie gegenüber sowohl günstig als ungünstig erweist. Bei dem vielfältigen gesellschaftlichen Wandel und den ideologischen Strömungen von heute ruft unsere Zeit nach einer ernsten philosophischen Neubesinnung; anderseits geht der Trend zur Unterbewertung der Philosophie, in einigen extremen Fällen sogar bis zur Auffassung, sie sei unnütz und darum aufzugeben. Zweifellos nimmt die heutige Kultur, die sich immer stärker vor dem Problem der Transzendenz verschließt, mehr und mehr eine ablehnende Haltung gegen das echte philosophische Denken ein, insbesondere gegen die metaphysische Spekulation, die allein zu den absoluten Werten vorstoßen kann.

Hier ist in erster Linie der heutige technologische Geist zu erwähnen, der dahin geht, den „homo sapiens“ zu einem bloßen „homo faber“ werden zu lassen. Die der Menschheit viele unleugbare Vorteile bringende Technik fördert nicht immer den Sinn für die Werte des Geistes. Nach allgemeiner Auffassung ist die Geisteshaltung vornehmlich der materiellen, konkreten Welt zugewandt, der Beherrschung der Natur durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, wobei die Erkenntnis auf das Niveau der Methoden der positiven Wissenschaften herabgedrückt wird. Während der Akzent einseitig auf der Bewältigung der Zukunft liegt und der durch einen fast unbegrenzten Fortschrittsglauben gespeiste Optimismus zu unmittelbaren und radikalen Veränderungen im wirtschaftlichen, politischen und sozialen Raum drängt, gerät dadurch die bleibende Bedeutung bestimmter sittlicher und geistiger Werte in Vergessenheit und erscheint die echte philosophische Spekulation, die doch als unentbehrliche Grundlage für den erstrebten Wandel gelten müsste, als überflüssig, wenn nicht sogar als schädlich. In einem solchen Klima wird das ernste Suchen nach höchsten Wahrheiten oft verachtet, und statt der festen und gesicherten metaphysischen Prinzipien werden Aktualität und Erfolg zu Wahrheitskriterien erhoben. So wird es begreiflich, dass sich der Geist unserer Zeit immer mehr als antimetaphysisch und darum jeder Form des Relativismus zugänglich erweist.

Es ist keineswegs zu verwundern, wenn viele unter solchen Verhältnissen keinen Platz mehr für eine von den positiven Wissenschaften zu unterscheidende Philosophie finden. Während heute fast überall ein stark vermindertes Interesse für die klassischen philosophischen Fächer festzustellen ist, nimmt die Einschätzung der Natur- und Humanwissenschaften, mit denen man eine erschöpfende Erklärung der Wirklichkeit vorzulegen glaubt, in steigendem Maße zu. Man geht dabei sogar so weit, die Philosophie völlig auszuschalten als eine veraltete und zum Verschwinden bestimmte Sache. Statt einer wünschenswerten Begegnung, die zum wahren Wohl und Fortschritt sowohl der genannten Wissenschaften wie auch der Philosophie beitragen könnte, entsteht so ein Antagonismus mit negativen Folgen für beide Seiten.

Während viele Wissenschaftler eine von den positiven Wissenschaften zu unterscheidende Philosophie ablehnen und ihr sogar die Existenzberechtigung abstreiten, betrachten auch gewisse Theologen die Philosophie als nutzlos und selbst schädlich für die Heranbildung der Priester. Nach ihrer Auffassung sei im Lauf der Geschichte die Reinheit der evangelischen Botschaft durch das Eindringen der griechischen Spekulation in die heilige Wissenschaft gefährdet worden. Die scholastische Philosophie habe sodann die spekulative Theologie mit einer Menge von Pseudoproblemen belastet, weshalb man in den theologischen Disziplinen ausschließlich von der geschichtlichen Methode Gebrauch machen solle.

Weitere Schwierigkeiten kommen aus dem Raum der Philosophie selbst. Wo nämlich die Philosophie noch anerkannt wird, gewinnt immer mehr ein philosophischer Pluralismus an Boden, der nicht nur in der Begegnung mit den verschiedenen Kulturen oder in der Verschiedenheit und Problemdichte der philosophischen Strömungen seine Wurzeln hat, sondern auch in der fast unerschöpflichen Vielfalt der Quellen menschlicher Erfahrung. Diese Entwicklung verstärkt sich zusehends trotz des anerkennenswerten Bemühens mancher heutiger Philosophen, zu einer größeren Kohärenz ihrer Systeme und zu ausgeglicheneren Positionen zu gelangen. Umfang und Tiefe der Problematik, die aus den verschiedenen neuen Philosophien und dem Fortschritt der Naturwissenschaften erwächst, sind solcher Art, dass nicht nur eine Synthese, sondern auch die Verarbeitung der für einen lebendigen und wirksamen philosophischen Unterricht notwendigen neuen Begriffe ungemein schwierig wird.

Naturgemäß hat diese Lage starke Auswirkungen auf das Philosophiestudium in den Priesterseminarien. Professoren sowohl wie Hörer werden davon berührt. Es ist allgemein bekannt, welch schwere und zahlreiche Aufgaben sich heute einem Professor der Philosophie stellen : die notwendige Assimilierung einer großen Zahl neuer, aus den verschiedenen philosophischen Richtungen und dem Fortschritt der Naturwissenschaften sich ergebenden Begriffe; die Auseinandersetzung mit einer oft völlig neuen Problematik; die erforderte neue Anpassung in den sprachlichen Ausdrucksformen und didaktischen Methoden usw. – und das alles oft in kurzer Zeit, mit bescheidenen Mitteln und einer nicht immer hinreichend interessierten und vorbereiteten Hörerschaft.

Nicht wenige Schwierigkeiten ergeben sich auch seitens der Studenten. Sie zeigen zwar Interesse für gewisse aktuelle Fragen, die den Menschen und die Gesellschaft betreffen, doch bedeutet das heutige kulturelle Klima, das mehr dem Bild als der Reflexion zugewandt ist, im allgemeinen keinen Anreiz zum Philosophiestudium; noch weniger die vorausgehende Schulbildung, die oft vorwiegend technisch und pragmatisch ausgerichtet ist. Darüber hinaus gibt es eine Reihe anderer spezifischer Umstände, die das Philosophiestudium weniger anziehend machen. Viele stehen in einer gewissen Ratlosigkeit den zahlreichen einander widersprechenden philosophischen Strömungen gegenüber; der nach ihrer Meinung zu sehr eine Stellungnahme fordernde Charakter, ja die Unmöglichkeit eines desinteressierten Forschens nach der Wahrheit; die Abneigung gegen fertige und autoritativ empfohlene Systeme; die Mängel einer wenig zeitgemäßen Darbietung des Stoffes und einer veralteten, lebensfernen Problematik; eine gewisse archaische, dem modernen Menschen wenig zugängliche Sprache; eine zu abstrakte Lehrweise, die den Zusammenhang zwischen Philosophie und Theologie sowie vor allem mit der pastoralen Tätigkeit nicht aufzeigt, auf welche die Studenten in erster Linie sich vorbereiten wollen.

Von daher entsteht in manchen Seminarien ein gewisses Unbehagen und eine Abneigung gegenüber der Philosophie, mit Zweifeln über den Wert und praktischen Nutzen des Philosophiestudiums, daher kommt auch ein Nachgeben, ja sogar das Aufgeben eines authentischen philosophischen Unterrichts zugunsten der aktuelleren und scheinbar stärker auf das konkrete Lehen bezogenen Wissenschaften.

Wie ersichtlich, dürften sich die Hauptschwierigkeiten, die heute das Philosophiestudium in den Seminarien in Frage stellen, in folgenden drei Punkten zusammenfassen lassen:

1. Die Philosophie hat nicht mehr ihr klares Eigenobjekt. Sie wird verdrängt und ersetzt durch die positiven, Natur- und Humanwissenschaften, die den Problemen der Wirklichkeit mit einer heute als einzig gültig anerkannten Methodik zugewandt sind. Es ist die vom Positivismus, Neopositivismus und Strukturalismus inspirierte Haltung.

2. Die Philosophie hat an Bedeutung für die Religion und Theologie verloren. Das Theologiestudium muss sich vom nutzlosen Wortspiel der philosophischen Spekulation lösen und sich in voller Autonomie auf einer von der geschichtlichen Kritik und von besonderen exegetischen Methoden gebotenen Grundlage aufbauen. Die Theologie der Zukunft wird eine spezifische Aufgabe der Historiker und Philologen sein.

3. Die zeitgenössische Philosophie ist zu einer für die Mehrzahl der Kandidaten des Priestertums unzugänglichen, esoterischen Wissenschaft geworden. Die modernen philosophischen Schulen (Phänomenologie; Existenzialismus, Strukturalismus, Neopositivismus usw.) kultivieren ihre Wissenschaft mit einer derartigen Fachtechnik hinsichtlich des Vokabulars, der Analysen und Beweisführungen, dass sie zu einem Reservat für hochentwickelte Spezialisten wird. Es ist deshalb nicht einzusehen, wieso es angebracht und möglich sein soll, eine so schwierige und verwickelte Wissenschaft in die normale Ausbildung der Kandidaten für das Priestertum einzubauen.

Es ist verständlich, dass diese Hindernisse vielen unüberwindlich erscheinen und dass deshalb mancherorts eine wirkliche Entmutigung aufkommt.

Die Notwendigkeit der Philosophie für die künftigen Priester

1. Auch nach dem bisher Gesagten sind wir überzeugt, dass alle Tendenzen, die die Philosophie aufgeben oder ihre Bedeutung schmälern wollen, überwunden werden können und uns darum nicht entmutigen dürfen. Auch wenn die Hindernisse, die sich heute dem Philosophiestudium entgegenstellen, schwer und zahlreich sind, erbringen sie nicht den Beweis, dass eine Unterschätzung der Philosophie oder gar ihre Streichung aus dem Studienprogramm mit der Bildung zu einem wahren und echten Humanismus, insbesondere im Hinblick auf die Sendung des Priesters vereinbar ist. Ein Nachgeben wäre gleichbedeutend mit der Verkennung echtester und tiefster Anliegen des modernen Denkens. Zweifellos stehen ja die fundamentalsten philosophischen Probleme mehr denn je im Mittelpunkt des Fragens der heutigen Menschen. Wir begegnen ihnen auf allen Gebieten der Kultur : in der Literatur (Romane, Essays, Dichtung...), im Theater, Film, Fernsehen und sogar in den Schlagern. Immer wieder kreist man um die ewigen Themen des menschlichen Denkens, den Sinn von Leben und Tod, Gut und Böse, die Begründung der Werte, die Würde und die Rechte der menschlichen Person, Gegenüberstellung der Kulturen und ihres Geistesgutes, das Ärgernis des Leidens, der Ungerechtigkeit, der Unterdrückung und der Gewalt, das Wesen und die Gesetze der Liebe, die Ordnung und Freiheit, den Sinn der Geschichte und des Fortschritts, das Geheimnis des Jenseits, und schließlich im Hintergrund aller Probleme die Frage nach Gott in seinem Dasein, seine personale Wirklichkeit und seine Vorsehung.

2. Keines dieser Probleme kann eine adäquate Lösung auf der Ebene der positiven, Natur- oder Humanwissenschaften finden, da deren spezifische Methoden nicht geeignet sind, diese Probleme hinreichend anzugehen. Diese Fragen gehören zu dem spezifischen Bereich der Philosophie, die über die nur äußeren Phänomene und ihre Teilaspekte hinaus sich der Gesamtwirklichkeit zuwendet, sie im Licht der letzten Ursachen zu verstehen und zu erklären sucht.

Obschon die Philosophie die Ergebnisse der, Erfahrungswissenschaften braucht, ist sie doch eine von den anderen verschiedene Wissenschaft. Sie ist autonom und von größter Bedeutung für den Menschen, der die Vielfalt der Phänomene nicht nur registrieren, beschreiben und ordnen will, sondern auch und vor allem ihren wahren Wert und letzten Sinn verstehen möchte. Die anderen Erkenntnisse der Wirklichkeit führen die Dinge nicht bis zu diesem hohen Grad des Verstehens, dem charakteristischen Vorzug menschlichen Geistes. Solange keine Antwort auf diese grundlegenden Fragen gegeben wird, bleibt unsere ganze Kultur unterhalb der Fähigkeiten unseres forschenden Geistes. Die Philosophie hat mithin einen unersetzbaren Kulturwert : sie ist die Seele echter Kultur, insofern sie in einer dem innersten Verlangen des Menschen angemessenen Weise die Frage nach dem Sinn der Dinge und der menschlichen Existenz stellt.

3. Ein ausschließlicher Rekurs auf die Offenbarung ist in vielen Fällen überhaupt nicht möglich. Eine solche Geisteshaltung wäre aus den folgenden Gründen völlig unzureichend:

a) Das volle Umfassen der Offenbarung Gottes durch den Menschen kann nicht als ein Akt blinden Glaubens oder als fideistische Haltung ohne vernunftgemäße Begründung verstanden werden. Der Glaubensakt setzt seiner Natur nach eine Glaubensbegründung, „motiva credibilitatis“ voraus, die weitgehend philosophischer Art sind : Gotteserkenntnis, Begriff der Schöpfung, Vorsehung, Unterscheidung der wahren Offenbarungsreligion, Erkenntnis des Menschen als freier und verantwortlicher Person. Man darf sagen, dass jedes Wort des Neuen Testamentes formell diese grundlegenden philosophischen Begriffe voraussetzt. Der Priester bedarf also der Philosophie, um seinem persönlichen Glauben eine wissenschaftlich gültige, seiner geistigen Kultur angemessene Grundlage zu sichern.

b) Das Programm der „fides quaerens intellectum“ hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt : die geoffenbarte Wahrheit fordert die Reflexion des Glaubenden, sie lädt ein zu Analyse, Vertiefung und Synthese, was alles spekulative Theologie genannt wird.

Natürlich geht es nicht darum, den Irrtum vergangener Jahrhunderte zu wiederholen, als man die theologische Spekulation in oft übertriebener und einseitiger Weise, bis zur Verdrängung der biblischen und patristischen Studien betrieb. In dieser Hinsicht muss dem Studium der Offenbarungsquellen und der Weitervermittlung der Botschaft des Evangeliums durch die Jahrhunderte der Primat zuerkannt werden, der unanfechtbar ist und nicht herabgemindert werden darf. Zu verurteilen ist ebenfalls eine missbräuchliche Anwendung der Philosophie in dem wesentlich der Offenbarungswissenschaft zustehenden Bereich. Heute jedoch, bei dem wiedergewonnenen Gleichgewicht und den bedeutenden Fortschritten in den biblischen Wissenschaften und auf allen Gebieten der positiven Theologie, ist es möglich und notwendig, diese historische Arbeit durch Reflexion des Geistes über die Offenbarungstatsachen zu ergänzen und zu vervollkommnen.

Im Besitz reicherer und gesicherterer Gegebenheiten als ehedem muss der spekulative Theologe die Begriffe und Denkkategorien, in denen sich die Offenbarung ausdrückt, einer vernünftigen Kritik unterziehen. Bei dieser delikaten Aufgabe wird er nicht nur die Errungenschaften der Natur- und Humanwissenschaften (Psychologie, Anthropologie, Soziologie, Linguistik, Pädagogik usw.) berücksichtigen, sondern wird auch ganz besonders die gesunde Philosophie zu Hilfe nehmen müssen, damit sie zur Reflexion über die Voraussetzungen und Folgerungen der Erkenntnisse beitrage, die von den positiven Wissenschaften geboten werden. Da ferner die Methoden der positiven Wissenschaften (Exegese, Geschichte usw.) vielfach von verschiedenen Voraussetzungen ausgehen, die philosophische Stellungnahmen einbegreifen, kann eine gesunde Philosophie auch zur Klärung und kritischen Bewertung dieser Stellungnahme beachtlich beitragen (was heute beispielsweise hinsichtlich der exegetischen Methode Bultmanns besonders notwendig ist), ohne dass sich jedoch die Philosophie eine absolute kritische Funktion gegenüber den Offenbarungsgegebenheiten anmaßt.

Diese gegenseitige Beeinflussung der beiden Wissenschaften, die ihre tiefen Wurzeln schon in deren Wesen hat, wird noch akzentuiert durch die in den letzten Jahren entstandene Lage der Theologie, die sich neuen (geschichtlichen, anthropologischen, existentiellen, personalistischen) Dimensionen erschloss, neue Aspekte entwickelte (psychologischer, sozialpolitischer Aspekt, Orthopraxis usw.) und außerdem ihre Methoden vertiefte (das hermeneutische Problem), dadurch aber zugleich vor neue Probleme gestellt wurde, die zuweilen sogar die Voraussetzungen theologischen Erkennens berühren (z. B. die Frage nach der Möglichkeit dogmatischer Definitionen von permanenter Geltung). Für all das braucht die Theologie eine neue Klärung und Vertiefung vieler Begriffe, so der Begriff der Wahrheit, der Möglichkeit und der Grenzen des menschlichen Erkennens, des Fortschritts, der Entwicklung, der menschlichen Natur und Person, des natürlichen Sittengesetzes, der Verantwortlichkeit für das sittliche Handeln usw.

c) Die Philosophie ist des weiteren unersetzbar als Stätte der Begegnung und des Dialogs zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. In dieser Hinsicht besitzt sie offenkundig hohen pastoralen Wert. In einer pluralistischen Gesellschaft, in der auf allen kulturellen Ebenen und mittels der Massenmedien grundlegende philosophische Probleme erörtert werden, ist es völlig unannehmbar, dass ein katholischer Priester zu einem geistig gehobenen Gespräch mit Nichtchristen über Grundfragen seines persönlichen Glaubens und die brennenden Probleme der Welt nicht fähig sein soll.

d) Es ist schließlich noch darauf hinzuweisen, dass die Orientierungen pastoraler und pädagogischer Art, selbst die Rechtsnormen, die Sozialreformen und viele politische Entscheidungen mit Voraussetzungen und Folgerungen philosophischer Art verbunden sind, die geklärt und kritisch bewertet werden müssen. Eine authentische Philosophie kann zweifellos beträchtlich zur Humanisierung der Welt und ihrer Kultur beitragen, da sie eine für das erfolgreiche Handeln so notwendige richtige Wertordnung bietet.

Einige Richtlinien für die philosophische Ausbildung

Im vorausgehenden wurde versucht zu zeigen, dass eine solide philosophische Ausbildung für die künftigen Priester heute mehr als je notwendig ist. Zugleich sollte auf Einwände Antwort gegeben werden, die von seiten mancher Vertreter der positiven Wissenschaften und von gewissen Theologenkreisen gegen die Philosophie erhoben werden. Es ist nunmehr noch zu den Schwierigkeiten Stellung zu nehmen, die von der heutigen Lage der Philosophie selbst, d. h. von einem philosophischen Pluralismus, dem schwierigen technischen Vokabular usw. herkommen.

Es handelt sich um wirkliche Schwierigkeiten, die jedoch nicht übertrieben werden dürfen. Gewiss ist es wichtig, mit der Zeit Schritt zu halten, anderseits ist in einem gesunden Realismus ein »Perfektionismus« zu vermeiden. Jedes Seminar muss in den heutigen Schwierigkeiten zu verwirklichen suchen, was in seinen Kräften liegt, unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse, der örtlichen Möglichkeiten, ohne sofort das volle Ideal erreichen zu wollen.

1. Das erste Bemühen muss dem konkreten Aufbau der Studien gelten, vor allem mit folgenden Zielsetzungen:

a) Sorge zu tragen ist für eine solide fachliche Vorbereitung der Dozenten. Angesichts der auf dem Gebiet der Philosophie erhöhten Anforderungen ist es unerlässlich, dass die Professoren eine ernste Fachausbildung erhalten. Diese ist in Studienzentren zu erwerben, die in doktrineller Hinsicht Garantien bieten und als Institute echter philosophischer Forschung anerkannt sind.

b) Zu fördern ist auf jede Weise eine ständige Weiterbildung der Professoren durch Studienkurse und Begegnungen zum Zweck gegenseitigen Geanken- und Erfahrungsaustausches. Zur Erleichterung ihrer Arbeit wird auch eine angemessene Besoldung und eine entsprechende Verteilung der Vorlesungen beitragen, so dass jedem persönlich die Möglichkeit intensiven und systematischen Studiums gesichert wird.

c) Den Schwierigkeiten auf seiten der Studenten ist durch bessere didaktische Methoden entgegenzukommen, wie dies im Dekret „Optatam totius“, n. 17 und in der „Ratio Fundamentalis“, Kap. 15 empfohlen wird. Dabei ist die für das Philosophiestudium vorgesehene Zeit, das in der „Ratio Fundamentales“ geforderte Biennium (n. 61c), unverkürzt durchzuhalten.

Zur klareren Orientierung der Studenten empfiehlt sich, unbeschadet der Autonomie der einzelnen Lehrfächer, ein Dialog zwischen den Dozenten der Philosophie und Theologie als Brückenschlag zwischen beiden Fachgebieten, wie es der Forderung wirksamer zwischenfachlicher Zusammenarbeit entspricht (vgl. „Ratio Fundamentales“, n. 61b; Kap. XI, Anm. 148a).

d) Ausbau der Seminarbibliothek, um Professoren und Studenten die für die Forschung benötigten Veröffentlichungen zur Verfügung zu stellen.

e) Anregung einer engen Zusammenarbeit zwischen den Seminarien und theologischen Instituten mit Förderung des Austausches der Dozenten. Es versteht sich von selbst, dass über die Anwendung dieser oder anderer Mittel die lokalen Autoritäten gemäß den konkreten Erfordernissen urteilen werden. Bei allen wünschenswerten Erneuerungsbemühungen ist jedoch die fundamentale Bedeutung der philosophischen Fakultäten und der sonstigen spezialisierten philosophischen Studienzentren nicht aus dem Auge zu verlieren. Ihnen fällt ja die ernste und nicht leichte Aufgabe zu, die künftigen Professoren auszubilden, periodische Kurse zur Weiterbildung zu organisieren, die wissenschaftlichen Veröffentlichungen und die Herausgabe zeitangepasster Handbücher zu besorgen. Die zuständigen Autoritäten werden es sich deshalb sehr angelegen sein lassen, die Tätigkeit solcher Institute bestens zu organisieren und zu fördern.

2. Nach der Sicherstellung eines sachgerechten Aufbaus der Studien ist sodann vor allem an die Lösung der wichtigeren und heikleren Probleme des Lehrgehaltes und der Studienprogramme zu denken. Diese Probleme sind mit dem Blick auf das zu erstrebende Studienziel in : Rahmen der Priesterausbildung anzugehen.

Obwohl das 2. Vatikanische Konzil klare Grundlinien für die wünschenswerte Erneuerung des Philosophiestudiums vorgezeichnet hat, müssen wir heute, nach Ablauf von sechs Jahren, leider feststellen, dass nicht alle Seminarien der von der Kirche gewollten Linie gefolgt sind. Verschiedene, oft verwickelte und schwer definierbare Ursachen haben bewirkt, dass das Philosophiestudium statt eines Fortschritts einen Kraftverlust aufweist und Unsicherheit verrät, vor allem hinsichtlich seines Inhalts und seines Ziels. Angesichts dieser Lage erscheint es notwendig folgendes klarzustellen: Die philosophische Ausbildung in den Seminarien darf sich nicht damit begnügen, den jungen Studenten das „Philosophieren« beizubringen. Gewiss ist es wichtig, dass die Studenten es lernen zu philosophieren, d. h. von echter, beständiger LIEBE getragen die Wahrheit zu suchen, ihren kritischen Sinn zu schärfen, die Grenzen des menschlichen Erkennens in den Blick zu bekommen und die vernunftgemäßen Voraussetzungen des eigenen Glaubens zu vertiefen. Doch das ist nicht genug. Der Philosophieunterricht muss gültige Prinzipien und Inhalte darbieten, die von den Hörern aufmerksam erwogen, bewertet und stufenweise angeeignet werden können.

Der Philosophieunterricht kann auch nicht auf eine Untersuchung reduziert werden, die sich darauf beschränkt, mit Hilfe der Humanwissenschaften die Gegebenheiten der Erfahrung zu erfassen und zu beschreiben. Es muss vielmehr zu einer wirklichen philosophischen Reflexion vorangeschritten werden, im Licht gesicherter metaphysischer Prinzipien, um zu objektiv und absolut gültigen Aussagen zu kommen. Zu diesem Zweck leistet sicher die Geschichte der Philosophie einen nützlichen Dienst, da sie die hauptsächlicheren Lösungen darbietet, die von den großen Denkern der Menschheit im Lauf der Jahrhunderte für die Probleme der Welt und die großen Fragen des Lebens gesucht wurden. Die Geschichte der zeitgenössischen Philosophie und das Studium ausgewählter Werke der Literatur vermitteln ein besseres Verstehen der heutigen Problematik. Trotzdem darf sich der Philosophieunterricht nicht auf die Darlegung dessen beschränken, was andere gesagt haben. Der junge Mensch muss zur unmittelbaren Auseinandersetzung mit den Problemen der Wirklichkeit angeleitet werden, um sich dann durch den Vergleich und die Wertung der verschiedenen Lösungen eigene Überzeugungen und eine zusammenhängende Schau der Wirklichkeit zu erarbeiten.

Diese Gesamtschau der Wirklichkeit, zu der der Philosophieunterricht in den Seminarien hinführen soll, kann natürlich nicht im Gegensatz zur christlichen Offenbarung stehen. Keine Schwierigkeit besteht an sich gegen einen gesunden philosophischen Pluralismus, wie er durch regionale Gegebenheiten, die Verschiedenheit der Kulturen und Geisteshaltungen bedingt ist, da sich die gleiche Wahrheit auf verschiedenen Wegen erreichen und in verschiedener Weise darstellen und entfalten lässt. Dagegen ist es nicht möglich, einen philosophischen Pluralismus anzunehmen, der den wesentlichen Kern der mit der Offenbarung verbundenen Wahrheiten gefährdet, da es ja keinen Widerspruch zwischen den gesicherten philosophischen und den übernatürlichen Wahrheiten des Glaubens geben kann. In dieser Hinsicht lässt sich ganz allgemein sagen, dass die jüdisch-christliche Offenbarung ihrem Wesen nach absolut unvereinbar ist mit jedem epistemologischen, moralischen oder metaphysischen Relativismus, ebenso auch mit jeder Form des, Materialismus, Pantheismus, Immanentismus, Subjektivismus und Atheismus.

Zu dem erwähnten wesentlichen Wahrheitskern gehört in besonderer Weise:

a) die Fähigkeit des menschlichen Erkennens, in den kontingenten Wirklichkeiten objektive und notwendige Wahrheiten zu erfassen und so in einem kritischen Realismus einen Ausgangspunkt für die Ontologie zu besitzen;

b) die Möglichkeit einer realistischen Ontologie, die die transzendenten Werte ins Licht setzt und zur Bejahung eines personalen Absoluten und Schöpfers des Universums vorstößt;

c) ebenso die Möglichkeit einer Anthropologie, die den Menschen in seiner authentischen Geistigkeit bejaht und so zu einer theozentrischen, das irdische Leben transzendierenden und doch zugleich für die soziale Dimension des Menschen geöffneten Ethik führt.

Dieser fundamentale Wahrheitskern, der jeden historizistischen Relativismus und jeden materialistischen oder idealistischen Immanentismus ausschließt, entspricht jener soliden, einheitlichen Erkenntnis des Menschen, der Welt und Gottes , von der das 2. Vatikanische Konzil spricht („Optatam totius“, n. 15), wenn es dem Philosophieunterricht in den Seminarien die Weisung gibt, sich auf das reiche Geisteserbe der Vergangenheit zu stützen („innixi patrimonio philosophico pereneiter valido“, ebd.), doch zugleich aufnahmebereit zu sein für den vom neuen Denken immer wieder eingebrachten Reichtum („ratione habita quoque philosophicarum investigationum progredientis aetatis“, ebd.).

In diesem Sinn rechtfertigen sich – und bleiben auch heute noch gültig – die wiederholten kirchlichen Empfehlungen der Philosophie des heiligen Thomas, in der die Grundprinzipien der natürlichen Wahrheit sauber und organisch dargelegt, sowie mit der Offenbarung harmonisiert werden. In ihr ist aber auch die dynamische Erneuerungskraft eingeschlossen, die nach dem Zeugnis der Biographen die Lehrweise des heiligen Thomas kennzeichnete und bis heute den Unterricht all derer kennzeichnen muss, die Thomas folgen wollen, indem sie sich beständig und immer neu um die Synthese der gültigen Erkenntnisse der Vergangenheit mit den Errungenschaften des heutigen menschlichen Denkens bemühen.

Bei der Erfüllung dieser Aufgabe sind die Problematik und die Eigenart der verschiedenen Regionen und ihrer Kulturen ins Auge zu fassen. Es ist dafür zu sorgen, da8 die Studenten eine angemessene Kenntnis der bedeutenderen philosophischen Ideen der eigenen Zeit und des eigenen Milieus erlangen, damit das Studium der Philosophie. eine wirkliche Vorbereitung auf das Leben und auf die sie erwartende Sendung werde, und sie für den Dialog mit den Zeitgenossen, den Glaubenden und den Nichtglaubenden, fähig werden („Optatam totius“, ebd.).


Hochwürdigste Exzellenz,

Wenn wir uns erlaubt haben, Ihre Aufmerksamkeit auf die Probleme der philosophischen Ausbildung der künftigen Priester zu lenken, war es unsere Absicht, Ihnen einige Gedanken zu dem Thema vorzulegen und vor allem eine gewisse Hilfe anzubieten für die Erneuerung der Ausbildung auf einem heute so wichtigen Gebiet. Wir sind uns der Grenzen dieses unseres Schreibens wohl bewusst. Es beschränkt sich absichtlich nur auf das Wesentliche. Wir möchten hoffen, dass es, zusammen mit den Texten des 2. Vatikanischen Konzils und der „Ratio Fundamentales Institutionis sacerdotalis“, den Dozenten der Philosophie bei der Erfüllung ihrer Bildungsarbeit einige nützliche Anregungen und Orientierungen zu geben vermag.

Mit den besten Segenswünschen für Sie persönlich sowie für alle, die sich der Heranbildung der künftigen Priester in Ihrer Diözese widmen, verbleibe ich

Rom, den 20. Januar 1972
Ihr im Herrn ergebenster
GABRIEL-MARIE Kard. GARRONE
Präfekt
+ Joseph Schröffer
Sekretär

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