Sollicitudo rei socialis (Wortlaut)

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Enzyklika
Sollicitudo rei socialis

von Papst
Johannes Paul II.
An die Bischöfe und Priester, an die Ordensgemeinschaften,
an alle Söhne und Töchter der Kirche, an alle Menschen guten Willens
Zwanzig Jahre nach der Enzyklika Populorum progressio
30. Dezember 1987

(Offizieller lateinischerText AAS 73 [1981] 577-647)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; Ergänzt aus den Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 82; auch in: DAS 1987, 1789-1850; Kirchliche Dokumente nach dem Konzil, Nr. 26)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Verehrte Mitbrüder,
liebe Söhne und Töchter!
Gruß und Apostolischen Segen!

I. EINLEITUNG

1. Die soziale Sorge der Kirche mit dem Ziel einer wahren Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft, welche die menschliche Person in allen ihren Dimensionen achten und fördern soll, hat sich stets in verschiedenster Weise bekundet. Eine der bevorzugten Formen, hierzu beizutragen, war in letzter Zeit das Lehramt der römischen Päpste. Ausgehend von der Enzyklika Rerum Novarum von Leo XIII. als bleibendem Bezugspunkt<ref>LEO XIII., Enzyklika Rettern Novarum (15. Mai 1891): Leonis XIII. PM. Acta, XI (Rom 1892) 97-144. </ref> hat es diesen Problemkreis immer wieder behandelt, wobei es einige Male die Veröffentlichungen der verschiedenen sozialen Dokumente mit dem Jahresgedenken dieses ersten Dokumentes zusammenfallen ließ.<ref>PIUS XI., Enzyklika Quadragesimo Anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931) 177-228; JOHANNES XXIII., Enzyklika Mater et Magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961) 401-464; PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971): AAS 63 (1971) 401-441; JOHANNES PAUL II., Enzyklika Laborem Exercens (14. September 1981): AAS 73 (1981) 577-647. Auch Pius XII. bat zum fünfzigsten Jahrestag der Enzyklika Leos XIII. eine Radiobotschaft (1. Juni 1941) verlesen: AAS 33 (1941) 195-205. </ref>

Dabei haben es die Päpste nicht versäumt, in solchen Stellungnahmen auch neue Aspekte der Soziallehre der Kirche zu behandeln. So hat sich, angefangen mit dem hervorragenden Beitrag Leos XIII. und durch die folgenden Beiträge des Lehramtes bereichert, nunmehr ein zeitgemäßes Lehrgebäude gebildet, das sich in dem Maße entwickelt, wie die Kirche aus der Fülle der von Jesus Christus offenbarten Wahrheit<ref>Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogm. Konst. über die göttliche Offenbarung Dei Verbum, 4. </ref> und mit dem Beistand des Heiligen Geistes (vgl. Joh 14,16.26; 16,13-15) die Ereignisse deutet, die sich im Verlauf der Geschichte zutragen. Sie sucht auf diese Weise die Menschen dahinzuführen, dass sie auch mit Hilfe rationaler Reflexion und wissenschaftlicher Erkenntnis, ihrer Berufung als verantwortliche Gestalter des gesellschaftlichen Lebens auf dieser Erde entsprechen.

2. In diesem bedeutenden Gebäude der Soziallehre nimmt die Enzyklika Populorum Progressio<ref>Paul VI., Enzyklika Populorum Progressio (26. März 1967): AÄS 59 (1967) 257-299. </ref>, die mein verehrter Vorgänger Paul VI. am 26. März 1967 veröffentlichte, einen besonderen Platz ein.

Die bleibende Aktualität dieser Enzyklika erkennt man leicht an der Vielfalt der Gedenkfeiern, die im Verlauf dieses Jahres in vielfältigen Formen und an zahlreichen Orten des kirchlichen wie zivilen Lebens stattgefunden haben. Aus demselben Anlaß hat die Päpstliche Kommission Justitia et Pax im vergangenen Jahr einen Rundbrief an die Synoden der katholischen Ostkirchen und an die Bischofskonferenzen gesandt, mit dem sie Meinungen und Vorschläge dazu erbat, wie das Jubiläum der Enzyklika am besten gefeiert, wie ihre Lehren vertieft und gegebenenfalls fortgeschrieben werden könnten. Dieselbe Kommission veranstaltete zum 20. Jahrestag eine Gedenkfeier, an der ich selbst teilgenommen und die Schlussansprache gehalten habe.<ref>Vgl. L'Osservatore Romano, 25. März 1987. </ref> Und nun erachte ich es, auch in Anbetracht der Antworten auf den erwähnten Rundbrief, für angebracht, zum Abschluss des Jahres 1987 der Thematik von Populorum Progressio eine eigene Enzyklika zu widmen.

3. Ich möchte damit hauptsächlich zwei Ziele von nicht geringer Bedeutung verfolgen: Einerseits will ich diesem historischen Dokument von Paul VI. und seinen Lehraussagen meine Wertschätzung bekunden; andererseits möchte ich in der Linie meiner verehrten Vorgänger auf dem Stuhl Petri die Kontinuität, aber zugleich die ständige Erneuerung der Soziallehre bekräftigen. Inder Tat, Kontinuität und Erneuerung bestätigen den bleibenden Wen der Lehre der Kirche.

Diese doppelte Eigenart ist ein charakteristisches Zeichen ihrer Lehre im sozialen Bereich. Sie ist einerseits konstant, weil sie sich gleichbleibt in ihrer Grundidee, in ihren "Leitprinzipien", in ihren "Urteilskriterien", in ihren wesentlichen "Richtlinien für das konkrete Handein"<ref>Vgl. Kongr. für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 72: AAS 79 (1987)586; PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 4: A/S 63 (1971) 403 f. </ref> und vor allem in ihrer lebendigen Verbindung mit der Botschaft des Herrn; sie ist andererseits immer neu, weil sie die notwendigen und ratsamen Anpassungen erfährt, die vom Wandel der geschichtlichen Bedingungen und vom unaufhörlichen Fluß der Ereignisse nahegelegt werden, in dem das tägliche Leben der Menschen und Gesellschaften verläuft.

4. Ich bin der Überzeugung, dass die Lehraussagen der Enzyklika Populorum Progressio, die sich an die Menschen und die Gesellschaft der sechziger Jahre richteten, auch heute, am Ende der achtziger Jahre, ihre ganze Kraft eines Appells an das Gewissen beibehalten. Darum möchte ich im Bemühen, die wesentlichen Züge der heutigen Welt aufzuzeigen, und immer unter dem Leitgedanken der "Entwicklung der Völker", die ja bei weitem noch nicht abgeschlossen ist, jenen Ruf weitertragen mit der Absicht, ihn mit jenen Verwirklichenden zu verbinden, die in der geschichtlichen Stunde von heute möglich sind, einer Stunde, die ja ebenso dramatisch ist wie jene vor zwanzig Jahren.

Die Zeit verläuft zwar, wie wir wissen, immer nach demselben Rhythmus; heute jedoch hat man den Eindruck, als unterliege sie einer stetigen Beschleunigung, vor allem wegen der Vielzahl und Verflochtenheit der Ereignisse, in deren Mitte wir leben. Infolgedessen hat die Gestalt der Welt im Laufe der letzten zwanzig Jahre, trotz einiger grundlegender Konstanten, bedeutsame Veränderungen erfahren und weist darum völlig neue Aspekte auf.

Die heutige Zeit, die kurz vor dem Beginn des dritten christlichen Jahrtausends von einer verbreiteten Erwartung, fast eines neuen "Advents"<ref>Vgl. Enzyklika Redemptoris Mater (25. März 1987), 3: AAS 79 (1987) 363 f.; Homilie in der Messe am 1. Januar 1987: L'Osservatore Romano, 2. Januar 1987. </ref>, geprägt ist, die in irgendeiner Weise alle Menschen berührt, bietet die Gelegenheit, die Lehre jener Enzyklika zu vertiefen, um auch die Auswirkungen für die Zukunft zu erkennen.

Die vorliegenden Überlegungen verfolgen das Ziel, mit Hilfe einer theologischen Analyse der heutigen Wirklichkeit die Notwendigkeit eines umfassenderen und differenzierteren Begriffes von Entwicklung hervorzuheben, wie er von der Enzyklika vorgeschlagen wurde. Außerdem sollen einige Formen der Verwirklichung aufgezeigt werden.

II. DAS NEUE AN DER ENZYKLIKA POPULORUM PROGRESSIO

5. Schon bei seinem ersten Erscheinen erweckte das Dokument von Papst Paul VI. die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung gerade wegen seiner Neuheit Man konnte darin mit großer Klarheit die genannten Merkmale von Kontinuität und Erneuerung innerhalb der Soziallehre der Kirche konkret feststellen. Die Absicht, die zahlreichen Aspekte dieser Unterweisung durch ein aufmerksames erneutes Lesen der Enzyklika zu entdecken, soll darum die vorliegenden Überlegungen durchgebend bestimmen.

Zuvor aber möchte ich mich mit dem Datum jener Veröffentlichung befassen: dem Jahr 1967. Die Tatsache selbst, dass Papst Paul VI. in jenem Jahr den Entschluss fasste, eine eigene Sozialenzyklika herauszugeben, lädt dazu ein, das Dokument in seiner Beziehung zum II. Vatikanischen Konzil zu betrachten, das ja am 8. Dezember 1965 abgeschlossen worden war.

6. In dieser Folge müssen wir mehr als eine bloß zeitliche Nähe sehen. Die Enzyklika Populorum Progressio stellt sich in gewissem Sinne als ein Dokument dar; in dem die Lehren des Konzils Anwendung finden. Und das nicht so sehr, weil sie sich fortwährend auf die Konzilstexte bezieht,<ref>Die Enzyklika Populorum Progressio zitiert neunzehnmal die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils; allein sechzehn Zitationen beziehen sich auf die Pastoralkonst., über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes. </ref> als vielmehr deshalb, weil sie der Sorge der Kirche entspringt, die die gesamte Konzilsarbeit - und in besonderer Weise die Pastoralkonstitution Gaudium er Spes - beseelt hat, als sie nicht wenige Themen der kirchlichen Soziallehre zusammenhängend behandelte.

Wir können darum sagen, dass die Enzyklika Populorum Progressio als Antwort auf den Konzilsappell gelten kann, mit dem die Konstitution Gaudium et Spes beginnt: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände".<ref>Gaudium. et Spes, 1. </ref> Diese Worte geben das Grundmotiv an, das jenes bedeutende Dokument des Konzils beseelt, wenn es zu Beginn die Situation des Elends und der Unterentwicklung feststellt, in der Millionen und Millionen von Menschen leben.

Elend und Unterentwicklung sind, mit anderen Worten, die "Trauer und Angst" von heute, "besonders der Armen"; vor diesem breiten Hintergrund von Leiden und Schmerz will das Konzil Horizonte von "Freude und Hoffnung" eröffnen. In dieselbe Richtung zielt die Enzyklika von Faul VI. in voller Treue zum Geist des Konzils.

7. Aber auch in der Themenfolge nimmt die Enzyklika im Anschluss an die große Tradition der Soziallehre der Kirche in direkter Weise jene neue Darstellung und reiche Synthese wieder auf, die das Konzil vor allem in der Konstitution Gaudium er Spes erarbeitet hat.

Was die Inhalte und Themen betrifft, welche die Enzyklika erneut aufgreift, sind vor allem folgende zu nennen: das Bewusstsein von der Pflicht, die die Kirche als "Expertin in Menschlichkeit" hat, "die Zeichen der Zeit zu erforschen und im Licht des Evangeliums zu deuten";<ref>Ebd., 4: vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 13: a.a.O., S. 263-264. </ref> das ebenso tiefe Bewusstsein ihrer Sendung zum "Dienen", die sich von der Aufgabe des Staates unterscheidet, auch wo sie sich um konkrete Anliegen der Menschen kümmert;<ref>Vgl. Gaudium et Spes. 3: Enzyklika Populorum Progressio, 13: a.a.O., S. 264. </ref> der Hinweis auf die schreienden Unterschiede in den Lebensbedingungen dieser Personen;<ref>Vgl. Gen/mm et Spes, 63; Enzyklika Populorum Progressio, 9: a.a.O., S. 261 f. </ref> die Bestätigung der Lehre des Konzils, die in Treue zur jahrhundertealten Tradition der Kirche die "Bestimmung der irdischen Güter für alle" vertritt;<ref>Vgl. Gaudium et Spes, 69; Enzyklika Populorum Progressio, 41: a.a.O., S. 269. </ref> die Würdigung von Kultur und technischer Zivilisation, die zur Befreiung des Menschen beitragen,<ref>Vgl. Gaudium et Spes, 57; Enzyklika Populorum Progressio, 41: a.a.O., S. 277. </ref> ohne ihre Grenzen zu übersehen;<ref>Vgl. Gaudium et Spes, 19; Enzyklika Populorum Progressio, 41: a.a.O., S. 277 f. </ref> schließlich, im Rahmen des Themas der Entwicklung, das der Enzyklika eigen ist, die Betonung der "schweren Verpflichtung" der stärker entwickelten Nationen, "den Ländern auf dem Wege der Entwicklung beizustehen.<ref>Vgl. Gaudium et Spes 86; Enzyklika Populorum Progressio, 48: a.a.O., S. 281. </ref> Der Begriff von Entwicklung selbst, wie ihn die Enzyklika vorlegt, entstammt unmittelbar der Sichtweise, unter der die Pastoralkonstitution dieses Problem angeht.<ref>Vgl. Gaudium et Spes, 69; Enzyklika Populorum Progressio, 14-21: a.a.O., S. 264-268 , </ref>

Aus diesen und weiteren ausdrücklichen Bezügen zur Pastoralkonstitution folgt, dass sich die Enzyklika als Anwendung der Soziallehre des Konzils auf die spezifische Frage von Entwicklung und Unterentwicklung der Völker darstellt.

8. Die soeben vorgenommene kurze Analyse hilft uns, das Neue an der Enzyklika besser zu ermessen. Man kann es in drei Punkten zusammenfassen. Der erste Punkt besteht in der Tatsache selbst, dass von der höchsten Autorität der katholischen Kirche ein Dokument herausgegeben wird, das sich an die Kirche selbst und zugleich "an alle Menschen guten Willens" richtet<ref>Vgl. den Titel der Enzyklika Populorum Progressio: a.a.O., S. 257. </ref> und das eine Frage behandelt, die auf den ersten Blick rein ökonomischer und sozialer Natur ist: die Entwicklung der Völker. Der Begriff "Entwicklung" ist dem Wortschatz der 5ozial- und Wirtschaftswissenschaften entnommen. In dieser Hinsicht folgt die Enzyklika Populorum Progressio direkt der Enzyklika Rerum Novarum, die von der "Lage der Arbeiter" handelt.<ref>Die Enzyklika Rerurn Novarum Leos XIII. hat als Hauptthema "Die Lage der Arbeiter": Leonis XIII. PM. Acta, XI (Rom 1892) 97. </ref> Oberflächlich betrachtet, könnten beide Themen als außerhalb der berechtigten Anliegen der Kirche als religiöser Institution erscheinen; dies gilt sogar noch mehr für den Begriff "Entwicklung" als für jenen der "Lage der Arbeiter".

Charakter der mit der Entwicklung verbundenen Problematik unterstrichen hat und ebenso die Berechtigung und Notwendigkeit eines Beitrages der Kirche auf diesem Gebiet. Hiermit hat die Soziallehre der Kirche ein weiteres Mal bewiesen, dass es zu ihrem Wesen gehört, das Wort Gottes auf das Leben der Menschen und der Gesellschaft sowie auf die damit verbundenen irdischen Wirklichkeiten anzuwenden, indem sie "Leitprinzipien"' "Urteilskriterien" und "Richtlinien für das konkrete Handeln" vorlegt.<ref>Vgl. Kongr. für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 72:445 79(1987>586; PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 971), 4: AAS 63 (1971) 403 f. </ref> Im Dokument Pauls VI. finden sich alle diese drei vorwiegend auf die Praxis, das heißt, auf das sittliche Verhalten, bezogenen Elemente. Wenn sich also die Kirche mit der "Entwicklung der Völker"4 befasst, darf sie nicht angeklagt werden, den besonderen Bereich ihrer Kompetenz und erst recht ihre vom Herrn empfangene Sendung überschritten zu haben.

9. Das zweite Neue an Populorum Progressio ist die Weite des Horizontes. mit dem sie an das herangeht, was man gemeinhin als die "Soziale Frage" bezeichnet.

Die Enzyklika Mater et Magistra von Papst Johannes XXIII. war zwar schon in diesen erweiterten Horizont eingetreten,<ref>Vgl. Enzyklika Mater er Magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961) 440. </ref> und das Konzil hat es ihr mit seiner Pastoralkonstitution Gaudium et Spes gleichgetan; <ref>Gaudium et Spes, 63. </ref> trotzdem war die soziale Verkündigung der Kirche noch nicht dahin gelangt, mit voller Klarheit auszusagen, dass die Soziale Frage ein weltweites Ausmaß erlangt hat,<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 3: a.a.O., S.258; vgl. auch ebd., 9: a.a.O., S. 261. </ref> noch hatte sie aus dieser Aussage und per zugehörigen Analyse eine "Richtlinie für das konkrete Handeln" geformt, wie es Papst Faul VI. in seiner Enzyklika tut.

Eine solche ausdrückliche Stellungnahme bietet einen großen Reichtum an Inhalten, die nun aufgezeigt werden sollen.

Zunächst muss ein mögliches Mißverständnis ausgeräumt werden. Die Feststellung, dass die "Soziale Frage" eine weltweite Dimension angenommen hat, bedeutet in keiner Weise, dass ihre Wirkkraft erloschen sei oder sie ihre Bedeutung auf nationaler oder örtlicher Ebene eingebüßt habe. Es bedeutet im Gegenteil, dass die Probleme an den Arbeitsstätten oder in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung eines bestimmten Landes oder einer Region nicht als verstreute Inseln ohne Verbindung untereinander gesehen werden dürfen, sondern dass sie in wachsendem Maße von Faktoren abhängen, die jenseits der regionalen oder nationalen Grenzen liegen. Leider sind in wirtschaftlicher Hinsicht die Entwicklungsländer viel zahlreicher als die Industrieländer. Die Menschenmengen, die an den vom Fortschritt bereitgestellten Gütern und Dienstleistungen nicht teilhaben können, sind sehr viel zahlreicher als jene, die darüber verfügen.

Wir stehen also vor dem schweren Problem ungleicher Verteilung der lebensnotwendigen Mittel, die ursprünglich für alle Menschen bestimmt waren, sowie auch der Vorteile, die sich daraus ergeben. Und das geschieht nicht etwa aufgrund der Verantwortung der benachteiligten Völker und schon gar nicht durch eine Art von Schicksalsergebenheit als Folge von Naturbedingungen oder der gesamten Umstände.

Wenn die Enzyklika Pauls VI. erklärt, dass die Soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt habe, will sie damit vor allem auf ein moralisches Faktum hinweisen, das sein Fundament in der objektiven Analyse der Wirklichkeit hat. Nach den eigenen Worten der Enzyklika muss sich ein jeder dieses Faktums bewusst werden,<ref>Vgl. ebd., 3: a.a.O., S. 258. </ref> weil es direkt das Gewissen, die Quelle der sittlichen Entscheidungen, berührt.

In diesem Zusammenhang besteht das Neue an der Enzyklika nicht sosehr in der historisch gesehenen Aussage von der weltweiten Bedeutung der Sozialen Frage als vielmehr in der moralischen Bewertung dieser Tatsache. So haben die politisch Verantwortlichen und auch die Bürger der reichen Länder ganz persönlich, vor allem wenn sie Christen sind, nach dem Grad ihrer jeweiligen Verantwortung die sittliche Verpflichtung, bei ihren persönlichen wie öffentlichen Entscheidungen diese weltweite Beziehung, diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen ihrem Verhalten und dem Elend und der Unterentwicklung so vieler Millionen von Männern und Frauen, in Betracht zu ziehen. Mit noch größerer Genauigkeit gibt die Enzyklika Pauls VI. diese moralische Verpflichtung "als Pflicht zur Solidarität" wieder;<ref>Ebd., 48: a.a.O., S. 281. </ref> auch wenn sich in der Welt inzwischen vieles geändert hat, behält diese Aussage heute dieselbe Kraft und Gültigkeit wie damals, als sie niedergeschrieben wurde.

Ohne diesen moralischen Gesichtspunkt zu verlassen, besteht das Neue der Enzyklika andererseits auch in der grundsätzlichen Aussage, dass sich der Begriff der Entwicklung selbst deutlich ändert, wenn man sie im Hinblick auf die weltweite gegenseitige Abhängigkeit betrachtet. Wahre Entwicklung darf nicht in der bloßen Anhäufung von Reichtum und einem wachsenden Angebot von Gütern und Dienstleistungen bestehen, wenn dies nur auf Kosten der Unterentwicklung der Massen und ohne die geschuldete Rücksicht für die soziale, kulturelle und geistige Dimension des Menschen erreicht wird.<ref>Vgl. ebd., 14: a.a.O., S.264: "Die Entwicklung beschränkt sieh nicht auf einfaches wirtschaftliches Wachstum. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, muss sich auf die Förderung jedes Menschen und des ganzen Menschen beziehen". </ref>

10. Als dritter Punkt bereichert die Enzyklika die kirchliche Soziallehre im allgemeinen und den Begriff der Entwicklung im besonderen durch beachtliche neue Elemente, Diese Neuheit wird in einem Satz sichtbar, der im Schlussabschnitt des Dokumentes steht und als Zusammenfassung seines Inhaltes wie auch als sein geschichtliches Kennzeichen angesehen werden kann Entwicklung ist der neue Name für Friede".<ref>Ebd., 87: a.a.O., S.299. </ref>

In der Tat, wenn die soziale Frage eine weltweite Dimension erlangt hat, dann darum, weil die Forderung nach Gerechtigkeit nur auf dieser Ebene erfüllt werden kann. Sich um eine solche Forderung nicht zu kümmern, könnte bewirken, dass auf seiten der Opfer der Ungerechtigkeit die Versuchung zu einer gewalttätigen Antwort aufbricht, wie es am Beginn vieler Kriege geschieht. Die Bevölkerungen, die von der gerechten Verteilung der Güter, welche ursprünglich für alle bestimmt sind, ausgeschlossen werden, könnten sich fragen: Warum sollten wir nicht all denen mit Gewalt antworten, die uns zuerst mit Gewalt begegnen? Und wenn man die Lage im Licht der Aufteilung der Welt in ideologische Blöcke betrachtet - wie sie bereits im Jahre 1967 bestand - und die daraus folgenden Auswirkungen und wirtschaftlichen wie politischen Abhängigkeiten bedenkt, wird diese Gefahr noch viel größer.

Dieser ersten Überlegung zum dramatischen Inhalt jener Formulierung der Enzyklika schließt sich eine weitere an, auf die das Dokument selbst bereits hinweist:<ref>Vgl. ebd., 53: a.a.O., S.283. </ref> Wie soll man die Tatsache rechtfertigen, dass ungeheure Geldsummen, die dazu bestimmt sein könnten und müssten, die Entwicklung der Völker voranzubringen, statt dessen für die Bereicherung von einzelnen und Gruppen oder für die Erweiterung der Waffenarsenale sowohl in den Industrieländern wie in den Entwicklungsländern verwendet werden und so die wahren Prioritäten auf den Kopf stellen? Das wiegt noch schwerer, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt die nicht selten den direkten Weg der Gelder behindern, die dafür bestimmt sind, den not leidenden Ländern Hilfe zu bringen. Wenn Entwicklung der neue Name für Friede" ist, dann sind der Krieg und die militärischen Vorbereitungen dazu der größte Feind einer allseitigen Entwicklung der Völker.

Darum sind wir im Licht jenes Wortes von Papst Paul VI. aufgefordert, den Begriff der Entwicklung zu überprüfen, der gewiss nicht mit jenem übereinstimmt, der sich darauf beschränkt, die materiellen Bedürfnisse durch ein wachsendes Angebot von Gütern zu befriedigen, ohne auf die Leiden der Mehrheit der Menschen zu achten, und den Egoismus von einzelnen oder ganzer Nationen zum Hauptmotiv macht. Daran erinnert in scharfer Weise der Jakobusbrief: "Woher kommen die Kriege bei euch, woher die Streitigkeiten? Doch nur vom Kampf der Leidenschaften in eurem Innern. Ihr begehrt und erhaltet doch nichts" (Jak 4,1 f.).

Demgegenüber wäre in einer anderen Welt, die von der Sorge Gemeinwohl der ganzen Menschheit geleitet ist, das heißt, von der Sorge um die "geistige und menschliche Entwicklung aller" statt von der Sorge um den persönlichen Vorteil, der Friede möglich als Frucht einer "vollkommeneren Gerechtigkeit unter den Menschen".<ref>Vgl. ebd., 76: a.a.O. S. 295.</ref>

Auch dieses neue Element der Enzyklika hat einen bleibenden und aktuellen Wert, wenn man die heutige Mentalität bedenkt, die so sensibel ist für die enge Verbindung zwischen der Beachtung von Gerechtigkeit und der Errichtung eines wahren Friedens.

III. DAS BILD DER HEUTIGEN WELT

11. Die grundlegende Lehraussage der Enzyklika Populorum Progressio hatte wegen ihres neuartigen Charakters ein starkes Echo gefunden. Der soziale Kontext, in dem wir heute leben, ist freilich nicht mehr völlig identisch mit dem vor zwanzig Jahren. Darum möchte ich mich nun in einem kurzen Überblick mit einigen Merkmalen der heutigen Welt beschäftigen, um die Lehre der Enzyklika Pauls VI. zu vertiefen, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt der "Entwicklung der Völker".

12. Die erste Tatsache, die hervorgehoben werden muss, besteht darin, dass die damals so lebhaften Hoffnungen auf Entwicklung heute weit entfernt von ihrer Verwirklichung erscheinen.

Die Enzyklika machte sich hierin keine Illusionen. Ihre starke und bisweilen dramatische Sprache beschränkte sich darauf, den Ernst der Lage zu betonen und die Gewissen aller dringend zu verpflichten, zu einer Lösung beizutragen. In jenen Jahren bestand ein gewisser Optimismus hinsichtlich der Möglichkeit, den wirtschaftlichen Rückstand der armen Völker ohne allzu große Anstrengungen aufzuholen, sie mit Infrastrukturen zu versehen und ihnen beim Prozess der Industrialisierung zu helfen.

In jenem geschichtlichen Kontext proklamierte die Organisation der Vereinten Nationen über die Anstrengungen jedes einzelnen Landes hinaus zwei aufeinanderfolgende Entwicklungsdekaden.<ref>Die Dekaden meinen die Jahre 1960-1970 und 1970-1980; wir befinden uns jetzt in der dritten Dekade (1980-1990). </ref> So wurden einige bilaterale und multilaterale Maßnahmen ergriffen, um zahlreichen Nationen beizustehen, von denen einige seit längerer Zeit unabhängig waren, andere aber - der größere Teil - eben erst als Staaten aus dem Prozess der Entkolonisierung geboren waren. Die Kirche fühlte sich ihrerseits verpflichtet, die Probleme dieser neuen Situation tiefer zu bedenken, um diese Bemühungen mit ihrem religiösen und humanen Geist zu unterstützen und ihnen so eine "Seele" und einen wirksamen Impuls zu geben.

13. Man kann nicht sagen, dass diese verschiedenen religiösen, humanitären, wirtschaftlichen und technischen Initiativen vergebens gewesen seien; denn sie haben doch einige Ergebnisse erzielen können. Aber aufs Ganze gesehen und in Anbetracht der verschiedenen Faktoren kann man nicht leugnen, dass die gegenwärtige Weltsituation unter diesem Gesichtspunkt der Entwicklung eher einen negativen Eindruck bietet.

Hierfür möchte ich die Aufmerksamkeit zunächst auf einige allgemeine Indikatoren lenken, ohne einige andere mehr spezifischer Art zu übergehen. Ohne mich in eine Analyse von Zahlen oder Statistiken einzulassen, genügt es, die Wirklichkeit einer unzähligen Menge von Männern und Frauen, Kindern, Erwachsenen und alten Menschen, von konkreten und einmaligen menschlichen Personen also, zu sehen, die unter der unerträglichen Last des Elends leiden. Viele Millionen sind ohne Hoffnung, weil sich ihre Lage in vielen Teilen der Welt fühlbar verschlechtert hat. Angesichts dieser Dramen von völligem Elend und größter Not, in denen so viele unserer Brüder und Schwestern leben, ist es der Herr Jesus Christus selbst, der an uns appelliert (vgl. Mt 25, 31-46).

14. Die erste negative Feststellung, die es zu machen gilt, ist das Fortbestehen und oft sogar die Verbreiterung des Grabens zwischen dem sogenannten entwickelten Norden und dem unterentwickelten Süden. Diese geographische Sprechweise ist nur eine erste Orientierung; denn man darf nicht übersehen, dass die Grenzen zwischen Reichtum und Armut durch die verschiedenen Gesellschaften selber verlaufen. und dies sowohl in den Industrieländern als auch in den Entwicklungsländern. Wie es nämlich soziale Ungleichheiten bis zu den Stufen des Elends auch in reichen Ländern gibt, so beobachtet man entsprechend in den weniger entwickelten Ländern nicht selten Zeichen von Egoismus und Zurschaustellung von Reichtum, die ebenso empörend wie skandalös sind.

Dem Überfluss an Gütern und Dienstleistungen, die in einigen Teilen der Welt, vor allem im entwickelten Norden, zur Verfügung stehen, entspricht im Süden ein unannehmbarer Rückstand. Und gerade in dieser geopolitischen Zone lebt der größere Teil der Menschheit.

Wenn man die ganze Reihe der verschiedenen Sektoren - Erzeugung und Verteilung von Lebensmitteln, Hygiene, Gesundheitswesen und Wohnung, Trinkwasserversorgung, Arbeitsbedingungen, vor allem jene für Frauen, Lebenserwartung sowie andere wirtschaftliche und soziale Indikatoren - ins Auge fasst, ergibt sich ein enttäuschendes Gesamtbild, sei es in sich selbst betrachtet oder in bezug auf die entsprechenden Daten der stärker entwickelten Länder. Das Wort "Graben" kommt einem dabei spontan wieder auf die Lippen.

Vielleicht ist dies nicht der angemessene Ausdruck, um die wahre Realität wiederzugeben, insofern er den Eindruck eines statischen Phänomens vermitteln könnte. Dies aber ist nicht so. Im Fortschritt der Industrieländer und der Entwicklungsländer hat es in diesen Jahren eine unterschiedliche Beschleunigung gegeben, die zu noch breiteren Abständen führt. So gelangen die Entwicklungsländer, vor allem die ärmsten unter ihnen, allmählich in die Lage eines sehr schweren Rückstandes.

Hinzufügen muss man noch die Unterschiede in Kultur und Wertsystemen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die nicht immer mit dem jeweiligen Grad wirtschaftlicher Entwicklung übereinstimmen, aber dazu beitragen, weitere Abstände zu schaffen. Es sind diese Elemente und Aspekte, welche die Soziale Frage noch viel komplexer machen, eben weil sie eine weltweite Dimension erlangt hat.

Wenn man die verschiedenen Teile der Welt beobachtet, wie sie durch die wachsende Breite eines solchen Grabens voneinander getrennt sind, und dabei feststellt, dass jeder von ihnen einer eigenen Richtung mit eigenen Initiativen zu folgen scheint, versteht man, warum man im allgemeinen Sprachgebrauch von verschiedenen Welten innerhalb unserer einen Welt spricht: Erste Welt, Zweite Welt, Dritte Welt und manchmal sogar Vierte Welt.<ref>Der Begriff "Vierte Welt" wird nicht nur gelegentlich für die sogenannten weniger fortgeschrittenen Länder, sondern auch und vor allem für die Gebiete großer und äußerster Armut der Länder mit mittlerem und hohem Einkommen verwandt. </ref> Solche Ausdrücke, die gewiss nicht beanspruchen, alle Länder erschöpfend zu klassifizieren, erscheinen doch bezeichnend: Sie sind Zeichen eines verbreiteten Gefühls, dass die Einheit der Welt, mit anderen Worten, die Einheit des Menschengeschlechtes, ernstlich bedroht ist. Jenseits seiner mehr oder weniger objektiven Bedeutung verbirgt dieser Wortgebrauch zweifellos einen moralischen Inhalt, dem gegenüber die Kirche als "Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug... für die Einheit der ganzen Menschheit",<ref>II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogm. Konst. über die Kirche Lumen Gentium, 1. </ref> nicht gleichgültig bleiben kann.

15. Das hier beschriebene Bild wäre allerdings unvollständig, fügte man den wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren der Unterentwicklung nicht weitere ebenso negative und sogar noch besorgniserregendere Faktoren, angefangen im kulturellen Bereich, hinzu. Es sind folgende: der Analphabetismus, die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit, zu höheren Ausbildungsstufen zu gelangen, die Unfähigkeit, am Aufbau der eigenen Nation teilzunehmen, die verschiedenen Formen von Ausbeutung oder wirtschaftlicher, sozialer, politischer und auch religiöser Unterdrückung der menschlichen Person und ihrer Rechte, die Diskriminierungen jeder Art, insbesondere jene überaus bösartige, die sich auf den Rassenunterschied gründet. Wenn man manche dieser Mißstände auch in Gebieten des entwickelteren Nordens beklagt, so sind sie doch in den Entwicklungsländern ohne Zweifel häufiger, langfristiger und schwerer zu beseitigen.

Man muss außerdem hervorheben, dass in der heutigen Welt unter den anderen Rechten oft auch das Recht auf unternehmerische Initiative unterdrückt wird. Und doch handelt es sich um ein wichtiges Recht nicht nur für den einzelnen, sondern auch für das Gemeinwohl. Die Erfahrung lehrt uns, dass die Leugnung eines solchen Rechtes oder seine Einschränkung im Namen einer angeblichen "Gleichheit" aller in der Gesellschaft tatsächlich den Unternehmungsgeist, das heißt, die Kreativität des Bürgers als eines aktiven Subjektes, lähmt oder sogar zerstört. Als Folge entsteht auf diese Weise nicht so sehr eine echte Gleichheit als vielmehr eine "Nivellierung nach unten". Anstelle von schöpferischer Eigeninitiative kommt es zu Passivität, Abhängigkeit und Unterwerfung unter den bürokratischen Apparat, der als einziges "verfügendes" und "entscheidenes" - wenn nicht sogar "besitzendes" - Organ der gesamten Güter und Produktionsmittel alle in eine Stellung fast völliger Abhängigkeit bringt, die der traditionellen Abhängigkeit des Arbeiterproletariers vom Kapitalismus gleicht. Das ruft ein Gefühl von Frustration oder Resignation hervor und bringt die Menschen dazu, sich aus dem Leben der Nation zurückzuziehen, indem viele zur Auswanderung gedrängt werden und ebenso eine Form von "innerer" Emigration gefördert wird.

Eine solche Lage wirkt sich auch auf die "Rechte der Einzelnationen" aus. In der Tat geschieht es öfters, dass eine Nation ihres Subjektcharakters beraubt wird, das heißt, ihrer "Souveränität", die ihr in wirtschaftlicher, politisch-sozialer und in gewisser Weise auch kultureller Beziehung zukommt, weil in einer staatlichen Gemeinschaft alle diese Dimensionen des Lebens miteinander verbunden sind.

Man muss ferner betonen, dass keine gesellschaftliche Gruppe, wie zum Beispiel eine politische Partei, das Recht hat, das Führungsmonopol an sich zu reißen; denn das führt zur Zerstörung des wahren Subjektcharakters der Gesellschaft und der Bürger als Personen, wie es bei jedem Totalitarismus geschieht. In einer solchen Situation werden der Mensch und das Volk zu "Objekten", trotz aller gegenteiligen Erklärungen und verbaler Beteuerungen. An diesem Punkt sollte man hinzufügen, dass es in der heutigen Welt noch viele weitere Formen der Armut gibt. Verdienen nicht der Mangel oder der Entzug gewisser anderer Güter ebenfalls diesen Namen? Lassen nicht etwa die Leugnung oder die Einschränkung der Menschenrechte - ich nenne zum Beispiel das Recht auf Religionsfreiheit, das Recht, am Aufbau der Gesellschaft teilzunehmen, die Freiheit, Vereinigungen zu bilden, Gewerkschaften zu gründen oder Initiativen im wirtschaftlichen Bereich zu ergreifen - die menschliche Person ebenso, wenn nicht sogar noch mehr, verarmen als durch die Entbehrung materieller Güter? Und ist eine Entwicklung, die nicht diese Rechte voll bejaht, wirklich eine Entwicklung in menschlicher Dimension?

So ist, kurz gesagt, die Unterentwicklung unserer Tage nicht nur wirtschaftlicher Art, sondern erstreckt sieh auch auf den kulturellen, politischen und einfach menschlichen Bereich, wie die Enzyklika Populorum Progressio schon vor zwanzig Jahren betont hat. Darum müssen wir uns an dieser Stelle fragen, ob die so traurige Wirklichkeit von heute nicht wenigstens zum Teil das Resultat einer zu engen, das heißt, überwiegend wirtschaftlichen Auffassung von Entwicklung ist.

16. Man muss klar aussprechen, dass sich die Gesamtlage trotz der lobenswerten Anstrengungen, die in den letzten zwanzig Jahren von den Industrieländern, von den Entwicklungsländern sowie von den internationalen Organisationen unternommen worden sind, um einen Ausweg aus dieser Situation oder wenigstens ein Heilmittel gegen einige ihrer Symptome zu finden, erheblich verschlimmert hat.

Die Verantwortung für eine solche Verschlechterung ist bei verschiedenen Ursachen zu suchen. Man muss hinweisen auf die zweifellos schwerwiegenden Unterlassungen der Entwicklungsländer selber und insbesondere jener Personen, die dort die wirtschaftliche und politische Macht in Händen halten. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, die Verantwortung der Industrieländer zu übersehen, die nicht immer, wenigstens nicht in erforderlichem Maße, die Verpflichtung erkannt haben, den Ländern, die von der Welt des Wohlstandes ausgeschlossen sind, zu der sie selber gehören, Hilfe zu leisten.

Auf jeden Fall muss man das Bestehen wirtschaftlicher, finanzieller und sozialer Mechanismen anprangern, die, obgleich vom Willen des Menschen gelenkt, doch fast automatisch wirken, wobei sie die Situation des Reichtums der einen und der Armut der anderen verfestigen. Solche Mechanismen, von den stärker entwickelten Ländern in direkter oder indirekter Weise gesteuert, begünstigen durch die ihnen eigene Wirkweise die Interessen derer, die über sie verfügen, erdrücken oder lenken aber schließlich vollständig die Wirtschaftsordnungen der weniger entwickelten Länder. Es wird notwendig sein, diese Mechanismen später einer sorgfältigen Analyse in ethisch-moralischer Hinsicht zu unterziehen.

Die Enzyklika Populorum Progressio sah bereits voraus, dass mit solchen Systemen der Reichtum der Reichen zunehmen und das Elend der Armen verfestigt werden konnte.<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 33: a.a.O., S. 273. </ref> Eine Bestätigung dieser Voraussage war das Auftreten der Vierten Welt.

17. Sosehr sich die Weltgesellschaft in mancher Beziehung gespalten zeigt, wie jene bekannten Ausdrücke einer Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Welt es dartun, bleibt doch die wechselseitige Abhängigkeit dieser Welten stets sehr eng. Klammert man von dieser Abhängigkeit die ethischen Forderungen aus, so führt das gerade für die Schwächsten zu traurigen Konsequenzen. Die gegenseitige Abhängigkeit ruft durch eine Art von innerer Dynamik und unter dem Druck von Mechanismen, die man geradezu als entartet bezeichnen muss, sogar in den reichen Ländern negative Wirkungen hervor. Im Innern dieser Länder findet man, wenn auch in geringerem Umfang, sehr ausgeprägte Formen von Unterentwicklung Darum sollte es unbestritten sein, dass die Entwicklung entweder allen Teilen der Welt gemeinsam zugute kommt oder einen Prozess der Rezession auch in jenen Gegenden erleidet, die bisher einen ständigen Fortschritt zu verzeichnen hatten Diese Tatsache ist besonders aufschlussreich für das Wesen echter Entwicklung: Entweder nehmen alle Nationen der Welt daran teil, oder sie ist tatsächlich nicht echt.

Unter den typischen Kennzeichen von Unterentwicklung, die in wachsendem Maße auch die entwickelten Völker betreffen, gibt es zwei, die in besonderer Weise eine dramatische Situation offenbaren. An erster Stelle steht die Wohnungskrise. In diesem Internationalen Jahr der Menschen ohne Wohnung, das die Organisation der Vereinten Nationen beschlossen hat, richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Millionen von Menschen ohne angemessene oder sogar ohne jegliche Wohnung, um die Gewissen aller aufzurütteln und eine Lösung für dieses schwere Problem zu finden, das eine Reihe von negativen Folgen im individuellen, familiären und gesellschaftlichen Bereich hat.<ref>Bekanntlich hat sich der Heilige Stuhl der Feier dieses Internationalen Jahres angeschlossen mit einem besonderen Dokument der Päpstlichen Kommission Justitia er Pax: Was hast du mir deinem obdachlosen Bruder gemacht? - Die Kirche zur Wohnungskrise (27. Dezember 1987). </ref>

Wohnungen fehlen überall; dies ist größtenteils eine Folge der stets zunehmenden Verstädterung.<ref>Vgl. PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 8-9: AAS 63 (1971) 406-408. </ref> Sogar die stärker entwickelten Völker bieten den traurigen Anblick von einzelnen und Familien, die im wahrsten Sinne des Wortes um das Überleben kämpfen und dabei ohne Wohnung sind oder in einer derart elenden Behausung leben müssen, dass sie den Namen einer Wohnung nicht verdient.

Die Wohnungsnot, die in sich selbst schon ein ziemlich schweres Problem darstellt, muss als Zeichen und Synthese einer ganzen Reihe von wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder einfach menschlichen Unzulänglichkeiten angesehen werden. In Anbetracht der Ausdehnung des Phänomens kann man sich leicht davon überzeugen, wie weit wir noch vom wirklichen Fortschritt der Völker entfernt sind.

18. Ein weiteres Kennzeichen, das die große Mehrheit der Nationen betrifft, ist das Phänomen der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung.

Niemandem entgeht, wie aktuell und stets schwieriger sich dieses Problem in den industrialisierten Ländern darstellt.<ref>Die kürzliche Veröffentlichung der Vereinten Nationen Etude sur l'Economie mondiale 1987 enthält die letzten diesbezüglichen Daten (vgl. S. 8-9). Der Prozentsatz der Arbeitslosen in den entwickelten Ländern mit Marktwirtschaft ist von 3% der Arbeitskräfte im Jahre 1970 auf 8% im Jahre 1986 gestiegen. Sie betragen jetzt 29 Millionen. </ref> Wenn es in den Entwicklungsländern wegen ihres hohen Bevölkerungszuwachses und der Menge junger Menschen bereits alarmierend wirkt, scheinen in den Ländern starker wirtschaftlicher Entwicklung die Quellen der Arbeit selbst abzunehmen und, statt zuzunehmen, verringern sich so die Möglichkeiten für eine Beschäftigung.

Auch diese Erscheinung mit ihrer Reihe von negativen Folgen auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene, von der Abwertung der Person bis zum Verlust der Selbstachtung, die sich jeder Mann und jede Frau schuldet, drängt uns dazu, die Art der im Laufe der letzten zwanzig Jahre angestrebten Entwicklung ernsthaft in Frage zu stellen. Hierbei erweist sich als höchst angebracht die folgende Überlegung der Enzyklika Laborem Exercens: "Dabei ist hervorzuheben, dass das entscheidende Element und gleichzeitig der beste Prüfstein eines solchen Fortschritts im Geist der Gerechtigkeit und des Friedens, wie ihn die Kirche verkündet und unaufhörlich vom Vater aller Menschen und Völker erbittet, gerade die ständige Aufwertung der menschlichen Arbeit ist, sei es unter dem Gesichtspunkt ihrer objektiven Zielsetzung, sei es im Hinblick auf die Würde des Subjekts jeder Arbeit, die der Mensch ist". Demgegenüber "werden wir unvermeidlich von einer erschütternden Tatsache ungeheuren Ausmaßes schmerzlich berührt", dass es nämlich "Scharen von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten... gibt, eine Tatsache, die zweifelsfrei bezeugt, dass im Innern der einzelnen politischen Gemeinschaften wie auch in den Beziehungen zwischen ihnen auf kontinentaler und globaler Ebene hinsichtlich der Organisation der Arbeit und der Beschäftigung irgend etwas nicht funktioniert, und zwar gerade in den entscheidenden und sozial wichtigen Punkten".<ref>Enzyklika Laborem Exercens (14. September 1981), 18: AAS 73 (1981) 624-625. </ref>

Wie das erstgenannte, so bedeutet auch dieses zweite Phänomen wegen seines universalen Charakters und seiner sich gleichsam fortpflanzenden Tendenz ein in seiner negativen Auswirkung höchst aufschlussreiches Zeichen für den Zustand und die Qualität jener Entwicklung der Völker, vor der wir heute stehen.

19. Ein weiteres Phänomen, ebenfalls typisch für die letzten Jahre - auch wenn es nicht überall auftritt -,ist zweifellos genauso bezeichnend für die wechselseitige Abhängigkeit zwischen entwickelten und unterentwickelten Ländern. Es ist das Problem der internationalen Verschuldung dem die Päpstliche Kommission Iustitia et Pax dieses Jahr ein eigenes Dokument<ref>Im Dienst der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986). </ref> gewidmet hat.

Man muss an dieser Stelle die enge Verbindung eines solchen Problems, dessen wachsendes Gewicht die Enzyklika Populorum Progressio bereits vorausgesehen hatte,<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 54. a.a.O., S. 283 f.: "Die Entwicklungsländer werden dann nicht mehr Gefahr laufen, von Schulden erdrückt zu werden, deren Abzahlung ihren ganzen Gewinn verschlingt. Zinsen und Laufzeit der Anleihen können so geregelt werden, dass es für die einen wie die anderen erträglich ist, indem man zwischen den verlorenen Darlehen, den nicht oder nur wenig verzinsten Anleihen und der Laufzeit der Amortisation einen Ausgleich schafft". </ref> mit der Frage nach der Entwicklung der Völker deutlich aussprechen.

Der Grund, der die Entwicklungsländer veranlasste, das Angebot einer Fülle von bereitstehenden Kapitalien anzunehmen, war die Hoffnung, sie in Entwicklungsprojekte investieren zu können. Darum kann man die Bereitstellung von Kapitalien und ihre Annahme in Form von Darlehen durchaus als einen Beitrag zur Entwicklung selbst ansehen. Das ist an sich ein wünschenswerter und berechtigter Vorgang, wenn er vielleicht auch unvorsichtig und manchmal überstürzt in die Wege geleitet worden ist. Seitdem sich aber die Lage in den Schuldnerländern ebenso wie auf dem internationalen Finanzmarkt geändert hat, hat sich das Instrument, das bestimmt war, die Entwicklung voranzutreiben, in einen Mechanismus verwandelt, der das Gegenteil bewirkt: sei es, weil die Schuldnerländer, um dem Schuldendienst nachzukommen, sich verpflichtet sehen, Kapitalien auszuführen, die notwendig wären, um ihren Lebensstandard zu heben oder wenigstens zu halten, sei es, weil sie aus demselben Grund keine neuen Kredite erhalten können, die sie dringend bräuchten.

Durch diesen Mechanismus ist das Mittel, das zur Entwicklung der Völker bestimmt war, zu einer Bremse geworden, in gewissen Fällen sogar zur Ursache einer verschärften Unterentwicklung.

Diese Feststellungen müssen dazu drängen - wie das kürzlich erschienene Dokument der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax sagt -,<ref>Vgl. die "Einführung" zum Dokument Im Dienst der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986). </ref> über den ethischen Charakter der wechselseitigen Abhängigkeiten der Völker nachzudenken und in der Linie der vorliegenden Betrachtung die ebenfalls von ethischen Prinzipien bestimmten Erfordernisse und Bedingungen der Zusammenarbeit zur Entwicklung zu bedenken.

20. Wenn wir an diesem Punkt die Ursachen eines solchen schweren Rückstandes im Prozess der Entwicklung untersuchen, wie er im Gegensatz zu den Hinweisen der Enzyklika Populorum Progressio, die so viele Hoffnungen geweckt hatte, eingetreten ist, richtet sich unsere Aufmerksamkeit in besonderer Weise auf die politischen Ursachen der heutigen Situation.

Weil wir uns dabei vor einem Bündel zweifellos komplexer Faktoren befinden, ist es nicht möglich, hier zu einer vollständigen Analyse zu gelangen. Wir dürfen jedoch ein besonders entscheidendes Faktum der politischen Situation, die den geschichtlichen Abschnitt prägt, der auf den Zweiten Weltkrieg folgt, und den Verlauf der Entwicklung der Völker stark beeinflusst, nicht verschweigen.

Wir meinen damit die Existenz zweier entgegengesetzter Blöcke, die allgemein mit den gebräuchlichen Namen von Ost und West, oder auch Orient und Okzident, bezeichnet werden. Der Grund für diese Namengebung ist nicht einfach nur politischer, sondern, wie man sagt, auch weltpolitischer Art. Denn jeder dieser beiden Blöcke neigt dazu, rings um sich her weitere Länder oder Ländergruppen sich anzugleichen oder anzuschließen.

Dieser Gegensatz ist zuallererst politischer Art insofern jeder der beiden Blöcke seine eigene Identität in einem System gesellschaftlicher Organisation und Machtausübung findet das dazu neigt das jeweils andere auszuschließen. Seinerseits hat der politische Gegensatz seine Wurzeln in einem tieferen ideologischer Art.

Im Westen besteht nämlich ein System, das sich historisch an den Prinzipien des liberalistischen Kapitalismus orientiert, wie er sich im vergangenen Jahrhundert mit der Industrialisierung entwickelt hat; im Osten dagegen besteht ein System, das sich am marxistischen Kollektivismus orientiert, der entstanden ist aus einer Interpretation der Lage der proletarischen Klassen, wie sie im Licht einer besonderen Geschichtsdeutung vorgenommen wurde. Indem sich jede der beiden Ideologien auf zwei so unterschiedliche Auffassungen vom Menschen, von seiner Freiheit und seiner gesellschaftlichen Rolle bezieht, vertreten sie in Vergangenheit und Gegenwart auf wirtschaftlicher Ebene entgegengesetzte Formen der Arbeitsorganisation und der Eigentumsstrukturen, insbesondere was die sogenannten Produktionsmittel betrifft.

Es war unvermeidlich, dass der ideologische Gegensatz durch die Entwicklung von miteinander ringenden Systemen und Machtzentren und mit je eigenen Formen von Propaganda und Indoktrination zu einem wachsenden militärischen Gegensatz führte und so zwei Blöcke bewaffneter Macht entstehen ließ, von denen jeder die Vorherrschaft des anderen misstrauisch fürchtet.

Die internationalen Beziehungen mussten ihrerseits die Auswirkungen dieser "Logik der Blöcke" und der jeweiligen "Einflusssphären" notwendigerweise zu spüren bekommen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden, hat die Spannung zwischen den beiden Blöcken die ganzen folgenden vierzig Jahre beherrscht, indem sie bald den Charakter eines "kalten Krieges"; bald den eines "Stellvertreterkrieges" durch die Ausnutzung örtlicher Konflikte annahm oder mit der Drohung eines offenen und totalen Krieges die Herzen in Unruhe und Angst hielt .

Wenn sich auch eine solche Gefahr gegenwärtig weiter entfernt zu haben scheint, ohne freilich völlig verschwunden zu sein, und wenn man auch zu einem ersten Abkommen über die Zerstörung einer Kategorie von Atomwaffen gekommen ist, so bleiben doch die Existenz und der Gegensatz der Blöcke immer noch eine reale und beunruhigende Wirklichkeit, die weiterhin die Weltlage bestimmt.

21. Das zeigt sich mit besonders negativer Auswirkung in den internationalen Beziehungen, die die Entwicklungsländer betreffen. Die Spannung zwischen Ost und West ist ja eigentlich, wie bekannt, nicht ein Gegensatz zwischen zwei unterschiedlichen Graden von Entwicklung, sondern eher zwischen zwei Auffassungen von der Entwicklung der Menschen und Völker, die beide unvollkommen sind und als solche eine tiefgreifende Korrektur erfordern. Dieser Gegensatz wird dann in jene Länder eingeführt und trägt so zur Verbreiterung des Grabens bei, der bereits auf wirtschaftlicher Ebene zwischen Nord und Süd besteht und die Folge des Abstandes der entwickelten von der weniger entwickelten Welt darstellt.

Das ist einer der Gründe, warum die Soziallehre der Kirche eine kritische Haltung gegenüber dem liberalistischen Kapitalismus wie dem kollektivistischen Marxismus einnimmt. Und in der Tat, von der Entwicklung her gesehen, stellt sich die spontane Frage: Auf welche Weise oder in welchem Maße lassen diese beiden Systeme Veränderungen oder Anpassungen zu, so dass eine echte und umfassende Entwicklung des Menschen und der Völker in der heutigen Gesellschaft begünstigt oder gefördert würde? Solche Veränderungen und Anpassungen sind für die Sache einer gemeinsamen Entwicklung aller dringend und unerlässlich.

Die eben erst unabhängig gewordenen Länder, die für ihre Anstrengungen, eine eigene kulturelle und politische Identität zu erlangen, den wirksamen und selbstlosen Beitrag der reicheren und entwickelteren Länder nötig hätten, sehen sich in ideologische Konflikte hineingezogen - und manchmal sogar von ihnen überwältigt -, die im Innern des Landes unvermeidliche Spaltungen erzeugen und in gewissen Fällen sogar wahre Bürgerkriege entfesseln. Dies auch deswegen, weil die Investitionen und Entwicklungshilfen oft ihrem eigentlichen Zweck entzogen und dazu missbraucht werden, Gegensätze zu vertiefen, außerhalb und sogar gegen die Interessen der Länder, die dadurch gefördert werden sollten. Viele von ihnen werden sich immer mehr der Gefahr bewusst, zu Opfern eines Neokolonialismus zu werden, und versuchen, sich herauszuhalten. Ein solches Bewusstsein hat, wenn auch unter Schwierigkeiten, Schwankungen und gelegentlichen Widersprüchen, die internationale Bewegung der blockfreien Länder hervorgebracht, die, was ihre positive Ausrichtung betrifft, das Recht jedes Volkes auf seine Identität, auf seine Unabhängigkeit und Sicherheit sowie, auf der Grundlage von Gleichheit und Solidarität, das Recht zur Nutzung der Güter, die für alte Menschen bestimmt sind, in wirksamer Weise vertreten möchte.

22. Nach diesen Erwägungen gelingt es leicht, einen klareren Überblick über das Bild der letzten zwanzig Jahre zu bekommen und besser zu verstehen, dass die Kontraste im Norden der Welt, das heißt, zwischen Ost und West, wahrlich nicht die geringste Ursache für den Rückstand oder den Stillstand des Südens sind.

Anstatt sich zu selbständigen Nationen zu entwickeln, die sich um den eigenen Weg zur gerechten Teilhabe an den für alle bestimmten Gutem und Dienstleistungen bemühen, werden die Länder auf dem Wege der Entwicklung zu Rädern eines Mechanismus zu Teilen einer gewaltigen Maschinerie. Das geschieht oft auch auf dem Gebiet der sozialen Kommunikationsmittel: Weil diese meistens von Zentren im Norden der Welt aus geleitet werden, berücksichtigen sie nicht immer in gebührender Weise die eigenen vorrangigen Anliegen und Probleme dieser Länder, noch achten sie ihr kulturelles Antlitz, sondern drängen ihnen nicht selten ein entstelltes Bild vom Leben und vom Menschen auf und entsprechen so nicht den Anforderungen einer echten Entwicklung.

Jeder der beiden Blöcke birgt auf seine Weise in sich die Tendenz zum Imperialismus, wie man dies allgemein nennt, oder zu Formen eines Neokolonialismus, eine naheliegende Versuchung, in die man nicht selten fällt, wie selbst die jüngste Geschichte noch lehrt.

Diese anormale Situation, die Folge eines Krieges und einer Besorgnis, die von Motiven der eigenen Sicherheit über das berechtigte Maß hinaus ins Unermeßliche gesteigert ist, ertötet den Aufschwung zu solidarischer Zusammenarbeit aller für das Gemeinwohl des Menschengeschlechtes, zum Schaden vor allem der friedensbereiten Völker, die dadurch in ihrem Recht, Zugang zu den für alle Menschen bestimmten Gütern zu erlangen, blockiert sind. So gesehen, ist die gegenwärtige Spaltung der Welt ein direktes Hindernis für eine wirkliche Veränderung der Bedingungen der Unterentwicklung in den Ländern auf dem Wege der Entwicklung oder in jenen weniger entwickelten. Die Völker finden sieh allerdings nicht immer mit ihrem Los ab. Ferner scheinen nunmehr die Bedürfnisse einer Wirtschaft selber, die von den Militärausgaben sowie von Bürokratismus und innerer Leistungsschwäche erstickt wird, Prozesse zu begünstigen, die jenen Gegensatz der Blöcke mildern und den Beginn eines fruchtbaren Dialogs und einer echten Zusammenarbeit für den Frieden erleichtern.

23. Die Feststellung der Enzyklika Populorum Progressio, dass die zur Verfügung stehenden Mittel und Investitionen1 die für die Waffenproduktion vorgesehen sind, verwendet werden müssten, um das Elend der darbenden Bevölkerungen zu mildern,<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio 53: a.a.O., S. 283. </ref> macht den Appell, den Gegensatz zwischen den beiden Blöcken zu überwinden, noch dringender.

Praktisch dienen heute solche Mittel dazu jedem der beiden Blöcke zu ermöglichen, Vorteile gegenüber dem anderen zu erringen und so die eigene Sicherheit zu garantieren. Diese Einstellung, ein Fehler von Anfang an, erschwert es den Nationen, die in historischer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht die Möglichkeit besitzen, eine Führungsrolle zu übernehmen, ihrer Verpflichtung, sich den Völkern solidarisch zu erweisen, die ihre volle Entwicklung anstreben, hinreichend nachzukommen.

Es ist angebracht, an diesem Punkt darauf hinzuweisen - und es sollte nicht als Übertretung erscheinen -, dass eine Führungsrolle unter den Nationen nur von der Möglichkeit und Bereitschaft gerechtfertigt werden kann, umfassend und großzügig zum Gemeinwohl beizutragen.

Eine Nation, die mehr oder weniger bewusst der Versuchung nachgäbe, sich in sich selbst zu verschließen und der Verantwortung nicht nachzukommen, die sich aus ihrer Überlegenheit im Verbund der Nationen ergibt, würde in schwerwiegender Weise ihre eindeutige ethische ,wicht verletzen. Das ist leicht zu erkennen in einer geschichtlichen Situation, in der der gläubige Mensch die Fügungen der göttlichen Vorsehung wahrnimmt, die gewillt ist, sich der Nationen für die Verwirklichung ihrer Pläne zu bedienen wie auch ,,die Pläne der Völker zunichte zumachen" (vgl. PS 33,10). Wenn der Westen den Eindruck macht, sich in Formen einer wachsenden egoistischen Isolierung zurückzuziehen, und der Osten seinerseits aus fragwürdigen Gründen die eigene Verpflichtung zu ignorieren scheint, den Einsatz für die Erleichterung des Elends der Völker mitzutragen, handelt es sich nicht nur um einen Verrat an den berechtigten Erwartungen der Menschheit, der unvorhersehbare Folgen ahnen lässt, sondern um ein echtes Versagen vor einer moralischen Verpflichtung.

24. Wenn bereits die Produktion von Waffen in Anbetracht der wahren Notwendigkeiten der Menschen und des erforderlichen Einsatzes von geeigneten Mitteln, um ihnen zu genügen, ein schwerer Missstand in der heutigen Welt ist, so ist dies ebenso der Handel mit solchen Waffen. Was diesen angeht, so muss man hinzufügen, so ist das moralische Urteil sogar noch strenger. Bekanntlich handelt es sich um ein Geschäft ohne Grenzen und dazu fähig, sogar die Mauern der Blöcke zu überwinden. Es versteht sich darauf, die Trennungslinie zwischen Ost und West und vor allem jene zwischen Nord und Süd zu überschreiten und sogar, was noch schwerwiegender ist, in die verschiedenen Strukturen der südlichen Zone der Erde einzudringen. So befinden wir uns vor einem seltsamen Phänomen: Während Wirtschaftshilfen und Entwicklungspläne auf das Hindernis unüberwindlicher Barrieren von Ideologien sowie von Steuer- und Handelsgesetzen stoßen, fließen Waffen jeglicher Herkunft fast ungehindert in alle Teile der Welt. Und jedermann weiß - wie das kürzlich erschienene Dokument der Päpstlichen Kommission Iustitia et Pax über die internationale Verschuldung hervorhebt<ref> Im Dienst der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986), III.2.1. </ref> -, dass in gewissen Fällen die Gelder, die von der entwickelten Welt als Darlehen gegeben werden, in der unterentwickelten Welt zum Erwerb von Waffen benutzt werden.

Wenn man all dem die weithin bewusste furchtbare Gefahr hinzufügt, die von den unglaublich angewachsenen Vorräten an Atomwaffen ausgeht, scheint dies die logische Konsequenz zu sein: Statt sich um eine echte Entwicklung zu sorgen, die alle zu einem ,,humaneren" Leben führen könnte - wie es sich die Enzyklika Populorum Progressio erhofft hatte<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 20-21: a.a.O., S. 267 f. </ref> -, scheint sich das Bild der heutigen Welt, einschließlich der Wirtschaft, schneller und schneller auf eine tödliche Vernichtung hinzubewegen.

Die Folgen dieser Lage der Dinge zeigen sich in der Zunahme einer Plage, die typisch und bezeichnend ist für die Ungleichgewichte und Konflikte der heutigen Welt: die Millionen von Flüchtlingen, denen Kriege, Naturkatastrophen, Verfolgungen und Diskriminierungen aller Art Heim, Arbeit Familie und Vaterland geraubt haben. Die Tragödie dieser Menschenmengen spiegelt sich im niedergeschlagenen Antlitz der Männer, Frauen und Kinder wider, die in einer geteilten und ungastlich gewordenen Welt keine Heimstatt mehr finden können.

Man darf auch nicht die Augen schließen vor einer weiteren schmerzhaften Plage der heutigen Welt: vor dem Phänomen des Terrorismus, verstanden als Vorsatz, unterschiedslos Menschen zu töten Güter zu zerstören und gerade so ein Klima des Schreckens und der Unsicherheit zu schaffen, oft auch verbunden mit Geiselnahme. Auch wenn man als Motivation dieser unmenschlichen Praxis irgendeine Ideologie oder die Errichtung einer besseren Gesellschaft anführt, sind terroristische Akte niemals zu rechtfertigen. Das sind sie noch weniger, wenn solche Beschlüsse und Täten, durch die es manchmal zu wahren Blutbädern kommt, sowie manche Entführungen unschuldiger Menschen außerhalb der Konflikte einem propagandistischen Zweck zum Vorteil der eigenen Sache dienen sollen oder wenn sie, was noch schlimmer ist, als Ziel an sich gewollt sind, so dass man allein darum tötet, um zu töten. Angesichts von soviel Entsetzen und Leid behalten jene Worte stets ihren Wert, die ich vor einigen Jahren ausgesprochen habe und hier noch einmal wiederholen möchte: "Das Christentum verbietet ..., die Wege des Hasses einzuschlagen sowie das Mittel des Mordes an wehrlosen Personen und die Methode des Terrorismus zu benutzen".<ref>Homilie bei Drogheda, Irland (29. September 1979), S: AAS 71 (1979), II, 1079. </ref>

25. An dieser Stelle muss auch an das Problem der Bevölkerungsentwicklung erinnert werden und an die Weise, darüber heute nach den Maßstäben zu reden, die Paul VI. in seiner Enzyklika<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 37: a.a.O., S.275 f. </ref> aufgezeigt und die ich selbst im Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio<ref>Vgl. Apost. Schreiben Familiaris Consortio (22November1981), besonders 30: AAS 74 (1982) 115-117. </ref> ausführlich dargelegt habe.

Unleugbar gibt es, vor allem im Süden unseres Planeten, ein derartiges demographisches Problem, dass es Schwierigkeiten für die Entwicklung bereitet. Es ist aber angebracht, gleich hinzufügen dass sich dieses Problem im Norden mit umgekehrten Vorzeichen darstellt Was hier Sorgen macht, ist der Abfall der Geburtenziffer mit Auswirkungen auf die Altersstruktur der Bevölkerung, die sogar unfähig wird, sich biologisch zu erneuern. Auch dieses Phänomen ist von sich aus geeignet, die Entwicklung zu behindern. Wie es ungenau ist, zu behaupten, solche Schwierigkeiten kämen nur vom Bevölkerungswachstum her, so ist es auch nicht erwiesen, dass jegliches Bevölkerungswachstum unvereinbar sei mit einer geordneten Entwicklung. Andererseits erscheint es sehr alarmierend, in vielen Ländern auf Initiative ihrer Regierungen die Propagierung von systematischen Kampagnen zur Geburtenkontrolle festzustellen, und das im Gegensatz nicht nur zur kulturellen und religiösen Identität der Länder selbst, sondern auch zum Wesen einer echten Entwicklung. Oft geschieht es, dass diese Kampagnen unter Druck zustande kommen und durch Kapital aus dem Ausland finanziert werden, ja, dass wirtschaftliche und finanzielle Hilfe und Unterstützung ihnen manchmal sogar untergeordnet werden. In jedem Fall handelt es sich um einen absoluten Mangel an Respekt vor der Entscheidungsfreiheit der betroffenen Personen, Männer und Frauen, die nicht selten unerträglichem Druck, auch wirtschaftlicher Art, ausgesetzt sind, um sie für diese neue Form der Unterdrückung gefügig zu machen. Gerade die ärmsten Völker erleiden diese Mißhandlungen; und es endet mitunter damit, dass die Tendenz zu einem gewissen Rassismus geweckt oder die Anwendungen gewisser Formen von Eugenetik gefördert werden, die gleichermaßen rassistisch sind.

Auch diese Vorgänge, die auf das energischste zu verurteilen sind, sind Zeichen eines irrigen und entarteten Begriffes: von echter menschlicher Entwicklung.

26. Ein solches vorwiegend negatives Bild der realen Situation der Entwicklung in der Welt von heute wäre nicht vollständig wenn nicht auch das gleichzeitige Vorhandensein von positiven Aspekten aufgezeigt würde.

Das erste positive Merkmal ist das wache Bewusstsein sehr vieler Männer und Frauen von der eigenen Würde und der eines jeden Menschen. Dieses Bewusstsein kommt zum Beispiel in der überall auflebenden Sorge um die Achtung der Menschenrechte und in einer entschiedeneren Zurückweisung ihrer Verletzungen zum Ausdruck. Ein deutliches Zeichen dafür ist die Zahl der privaten Vereinigungen, einige von weltweiter Bedeutung, die in jüngster Zeit dafür entstanden sind; fast alle bemühen sich darum, mit großer Sorgfalt und lobenswerter Objektivität das internationale Geschehen in diesem so delikaten Bereich zu verfolgen.

Auf dieser Ebene muss man den Einfluss anerkennen den die Erklärung der Menschenrechte ausübt, die vor ungefähr vierzig Jahren von der Organisation der Vereinten Nationen verkündet worden ist. Ihr Vorhandensein als solches und ihre fortschreitende Annahme von seiten der internationalen Gemeinschaft sind ein Zeichen für ein Bewusstsein das sich immer mehr durchsetzt. Dasselbe muss man, immer im Bereich der Menschenrechte auch von den anderen Rechtsmitteln derselben Organisation der Vereinten Nationen oder anderer internationaler Organe sagen.<ref>Vgl. Droits de l'homme. Recueil d'instruments internationaux, Nations Unies, New York 1983. JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptor Hominis (4. März 1979), 17: AAS 71 (1979) 296. </ref>

Das Bewusstsein, von dem wir hier sprechen meint nicht nur die einzelnen Personen, sondern auch die Nationen und Völker die als Körperschaften mit bestimmter kultureller Identität für die Wahrung freie Handhabung und Förderung dieses kostbaren Erbes besonders aufgeschlossen sind.

Gleichzeitig breitet sich in der durch alle Art von Konflikten entzweiten und verworrenen Welt die Überzeugung von einer tiefen wechselseitigen Abhängigkeit aus und folglich auch die Forderung nach einer Solidarität, die diese aufgreift und auf die moralische Ebene überträgt. Mehr als in der Vergangenheit werden sich die Menschen heute dessen bewusst, durch ein gemeinsames Schicksal verbunden zu sein, das man vereint gestalten muss, wenn die Katastrophe für alle vermieden werden soll. Aus der tiefen Erfahrung von Sorge und Angst sowie von Fluchtmitteln wie den Drogen, die für die Welt von heute charakteristisch sind, erhebt sich allmählich die Einsicht, dass das Gut, zu dem wir alle berufen sind, und das Glück, nach dem wir uns sehnen, ohne die Anstrengung und den Einsatz aller, niemanden ausgeschlossen, und ohne konsequenten Verzicht auf den eigenen Egoismus nicht erreicht werden können.

Hier fügt sich auch als Zeichen für die Achtung vor dem Leben trotz aller Versuchungen, es zu zerstören, von der Abtreibung bis zur Euthanasie - die gleichzeitige Sorge um den Frieden ein und wiederum das Bewusstsein davon, dass dieser unteilbar ist: Fr gehört entweder allen oder niemandem; ein Friede, der immer mehr die strenge Beachtung der Gerechtigkeit und folglich die gerechte Verteilung der Früchte wahrer Entwicklung fordert.<ref>Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonst. über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 78: PAUL VI., Enzyklika Populorum Progressio 76: a.a.O., S. 294 f.: "Das Elend bekämpfen und gegen die Ungerechtigkeit angehen, heißt, zusammen mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse den menschlichen und geistigen Fortschritt aller und somit das Gemeinwohl der Menschheit zu fördern. Den Frieden schafft man Tag für Tag, in der Beobachtung einer von Gott gewollten Ordnung, die eine vollkommenere Gerechtigkeit unter den Menschen herbeiführt". </ref> Unter die positiven Zeichen der Gegenwart muss man auch das wachere Bewusstsein von der Begrenztheit der verfügbaren Grundstoffe zählen; ferner die Notwendigkeit, die Unversehrtheit und die Rhythmen der Natur zu achten und bei der Planung der Entwicklung zu berücksichtigen, ohne diese bestimmten demagogischen Auffassungen von ihr zu opfern. Wir bezeichnen dies heute als Sorge für die Umwelt.

Es ziemt sich, auch den Einsatz von Personen in Regierung, Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften, in der Wissenschaft und im internationalen Leben anzuerkennen, die sich - oft von religiösem Glauben inspiriert - darum bemühen, mit nicht geringen persönlichen Opfern und mit Hochherzigkeit die Übel der Welt zu überwinden, und alles daran setzen, dass immer mehr Männer und Frauen sich der Wohltaten des Friedens und einer Lebensqualität erfreuen können, die diesen Namen verdient.

Dazu tragen in nicht geringem Maße die großen internationalen und einige regionale Organisationen bei, deren vereinte Anstrengungen Initiativen von größerer Wirksamkeit ermöglichen.

Auch durch diese Beiträge ist es einigen Entwicklungsländern trotz der Last zahlreicher negativer Voraussetzungen gelungen, eine gewisse Selbstversorgung in der Ernährung oder eine Stufe der Industrialisierung zu erreichen, die es ihnen gestattet, in Würde zu überleben und der aktiven Bevölkerung Arbeitsplätze zu beschaffen.

Darum ist nicht alles negativ in der Welt von heute, und es könnte auch nicht anders sein, weil doch die Vorsehung des himmlischen Vaters sogar über unseren täglichen Sorgen mit Liebe wacht (vgl. Mt 6, 25-32; 10, 23-31; Lk 12, 6-7.22-30); die positiven Werte, die wir aufgezeigt haben, bezeugen sogar eine neue moralische Besorgtheit, vor allem hinsichtlich der großen Menschheitsprobleme wie der Entwicklung und des Friedens.

Diese Tatsache veranlasst mich, die Überlegungen nun auf die wahre Natur der Entwicklung der Völker zu lenken, im Einklang mit der Enzyklika, deren Jubiläum wir feiern, und als Würdigung ihrer Lehre. 
==IV. DIE WAHRE MENSCHLICHE ENTWICKLUNG==

27. Der Blick, den wir auf Einladung der Enzyklika auf die Welt von heute richten, lässt uns vor allem erkennen, dass die Entwicklung kein gradliniger, fast automatischer und von sich aus grenzenloser Prozess ist, als ob das Menschengeschlecht unter gewissen Bedingungen auf eine Art unbegrenzter Vollkommenheit zueilen könnte.<ref>Vgl. Apost. Schreiben Familiaris Consortio (22. November 1981), 6: AAS 74 (1982) 88: "Die Geschichte ist nicht einfach ein notwendiger Fortschritt zum Besseren, sondern vielmehr ein Ereignis der Freiheit, ja ein Kampf zwischen Freiheiten". </ref>

Eine solche Auffassung, die eher mit einem Begriff von "Fortschritt" verbunden ist, der von philosophischen Überlegungen aufklärerischer Natur geprägt ist, als mit einem Begriff von "Entwicklung",<ref>Aus diesem Grunde wurde es vorgezogen, im Text dieser Enzyklika statt des Wortes "Fortschritt das Wort "Entwicklung" zu gebrauchen, wobei aber versucht wurde, dem Wort "Entwicklung" einen volleren Sinn zu geben. </ref> wie er in spezifisch wirtschaftlich-sozialem Sinn gebraucht wird erscheint heute ernsthaft in Frage gestellt, und das besonders nach der tragischen Erfahrung der bei den letzten Weltkriege, der geplanten und teilweise durchgeführten Vernichtung ganzer Völker sowie der drohenden atomaren Gefahr. An die Stelle eines einfältigen Optimismus mechanistischer Art ist eine begründete Sorge um das Schicksal der Menschheit getreten.

28. Gleichzeitig ist aber auch die "ökonomische" oder "ökonomistische" Auffassung selbst, die mit dem Wort "Entwicklung" verbunden ist, in eine Krise geraten. Tatsächlich erkennt man heute besser, dass die reine Anhäufung von Gütern und Dienstleistungen, auch wenn sie zum Nutzen der Mehrheit erfolgt, nicht genügt, um das menschliche Glück zu verwirklichen. Folglich bringen auch nicht die zur Verfügung stehenden vielfältigen echten Errungenschaften, die in jüngster Zeit durch Wissenschaft und Technik hervorgebracht worden sind, einschließlich der Informatik, die Befreiung von jeglicher Form von Knechtschaft Im Gegenteil die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass die gesamte Menge der Hilfsquellen und Möglichkeiten, die dem Menschen zur Verfügung gestellt worden ist, wenn sie nicht von einer sittlichen Grundeinstellung gelenkt und auf das wahre Wohl des Menschengeschlechts hingeordnet wird, sich leicht gegen den Menschen richtet, um ihn zu unterdrücken.

Eine betrübliche Feststellung aus der jüngsten Zeit sollte höchst lehrreich sein: Neben dem Elend der Unterentwicklung, das nicht geduldet werden kann, finden wir eine Art von Überentwicklung, die gleichermaßen unannehmbar ist, weil sie, wie die erste, im Gegensatz zum wahren Wohl und Glück steht. Denn diese Überentwicklung, die in einer übertriebenen Verfügbarkeit von jeder Art materieller Güter zugunsten einiger sozialer Schichten besteht, macht die Menschen leicht zu Sklaven des "Besitzens" und des unmittelbaren Genießens, ohne eine andere Perspektive als die Vermehrung oder den ständigen Austausch der Dinge, die man schon besitzt, gegen andere immer perfektere. Das ist die sogenannte Konsumgesellschaft oder der Konsumismus der so viele "Verschwendung" und "Abfälle" mit sich bringt. Ein Gegenstand, den man besitzt und der von einem anderen, noch perfekteren, übertroffen wird, wird beiseite geschoben, ohne seinen möglichen bleibenden Wert in sieh selbst oder zugunsten eines anderen, ärmeren Menschen zu berücksichtigen.

Wir alle greifen mit den Händen die traurigen Auswirkungen dieser blinden Unterwerfung unter den reinen Konsum: vor allem eine Form von krassem Materialismus und zugleich eine tiefgehende Unzufriedenheit, weil man sofort erkennt, dass man - wenn man nicht gegen die Flut der Reklame und das ständige verlockende Angebot von Produkten gefeit ist - um so mehr haben möchte, je mehr man besitzt, während die tieferen Wünsche unerfüllt bleiben oder vielleicht schon erstickt sind.

Die Enzyklika Papst Paul VI. hat auf den heute so oft betonten Unterschied zwischen "Raben" und "Sein"<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 19: a.a.O., S. 266: "Mehr haben ist also weder für die Völker noch für die einzelnen das letzte Ziel. Jedes Wachstum ist ambivalent. Das ausschließliche Streben nach Besitz wird so ein Hindernis für das Wachsen im Sein und steht im Gegensatz zu seiner wahren Größe: Für die Nationen wie für die einzelnen ist die Habsucht das deutlichste Zeichen für moralische Unterentwicklung": vgl. auch von PAUL VI., Apost. Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 8: AAS 63 (1971) 407 f. </ref> hingewiesen, den zuvor schon das II. Vatikanische Konzil mit treffenden Worten ausgedrückt hatte.<ref>Vgl. Pastoralkonst. über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 3.5; PAUL VI., Ansprache an das Diplomatische Korps (7. Januar 1965): AAS 57 (1965) 232. </ref> Das "Haben" von Dingen und Gütern vervollkommnet von sich aus nicht die menschliche Person, wenn es nicht zur Reifung und zur Bereicherung ihres "Seins", das heißt, zur Verwirklichung der menschlichen Berufung als solcher, beiträgt.

Gewiss, der Unterschied zwischen "Sein" und "Haben" sowie die Gefahr, die einer reinen Vermehrung oder Auswechselung von Dingen, die man besitzt, im Hinblick auf den Wert des "Seins" innewohnt, muss nicht unbedingt zu einer Antinomie werden. Eine der größten Ungerechtigkeiten in der Welt von heute besteht gerade darin: Nur relativ wenige sind es, die viel besitzen, und viele jene, die fast nichts haben. Es ist die Ungerechtigkeit der schlechten Verteilung der Güter und Dienstleistungen, die ursprünglich für alle bestimmt sind.

So ergibt sich folgendes Bild: Da gibt es jene - die wenigen, die viel besitzen -, die nicht wirklich zu "sein" imstande sind, weil sie durch eine Umkehrung der Hierarchie der Werte vom Kult des "Habens" daran gehindert werden; und dann diejenigen - die vielen, die wenig oder nichts besitzen -, die wegen der Entbehrung der elementaren Güter ihre grundlegende menschliche Berufung nicht zu verwirklichen vermögen.

Das Übel liegt nicht im "Haben" als solchem, sondern in der Art und Weise des Habens, die auf die Qualität und die Rangordnung der besessenen Güter keine Rücksicht nimmt: Qualität und Rangordnung, wie sie sich aus der Unterordnung der Güter und aus der Verfügbarkeit für das "Sein" des Menschen und seine wahre Berufung ergeben.

Damit ist nachgewiesen, dass sich die Entwicklung, wenn sie auch eine notwendige wirtschaftliche Dimension besitzt, weil sie ja der größtmöglichen Zahl der Erdenbewohner die zum "Sein" unerlässlichen Güter zur Verfügung stellen muss, dennoch nicht in dieser Dimension erschöpft. Wenn sie auf diese beschränkt wird, wendet sie sich gegen diejenigen, die man damit fördern möchte.

Die Merkmale einer umfassenden, "menschlicheren" Entwicklung, die imstande ist - ohne die wirtschaftlichen Erfordernisse zu leugnen -, sich auf der Höhe der wahren Berufung von Mann und Frau zu halten, sind von Paul VI. beschrieben worden.<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 20-21: a.a.O., S. 267 f. </ref>

29. Eine nicht nur wirtschaftliche Entwicklung misst und orientiert sich an dieser Wirklichkeit und an dieser Berufung des Menschen in seiner gesamten Existenz, das heißt, an einer Art von Maßstab, der ihm selbst innewohnt. Er braucht ohne Zweifel die geschaffenen Güter und die Produkte der Industrie, die sich durch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ständig entfaltet. Und während die immer neue Verfügbarkeit von materiellen Gütern auf die notwendigen Bedürfnisse antwortet, eröffnet sie zugleich neue Horizonte. Die Gefahr des konsumistischen Missbrauchs und das Auftreten von künstlichen Bedürfnissen dürfen keineswegs die Wertschätzung und den Gebrauch der neuen Güter und Hilfsquellen, die uns zur Verfügung gestellt werden, verhindern. Wir müssen darin vielmehr ein Geschenk Gottes und eine Antwort auf die Berufung des Menschen sehen, die sich in Christus voll verwirklicht.

Um aber die wahre Entwicklung zu erreichen, darf man den genannten Maßstab nicht aus den Augen verlieren: Er ist enthalten in der besonderen Natur des Menschen, der von Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen worden ist (vgl. Gen 1, 26), in seiner körperlichen wie geistigen Natur, im zweiten Schöpfungsbericht symbolisiert durch die zwei Elemente der Erde, aus der Gott den Leib des Menschen formt, und des Lebensatems, der in seine Nase eingehaucht wird (vgl. Gen 2, 7).

Der Mensch erhält so eine gewisse Verwandtschaft mit den anderen Geschöpfen. Er ist berufen, sie zu gebrauchen, sich um sie zu kümmern, und ist - immer nach dem Genesisbericht (2,15)- in den Garten versetzt mit der Aufgabe, ihn zu bebauen und zu hüten, über allen anderen Geschöpfen, die von Gott seiner Herrschaft unterstellt sind (vgl. Gen 1, 25-26). Gleichzeitig aber muss der Mensch dem Willen Gottes ergeben bleiben, der Unterordnung der Güter und aus deren Verfügbarkeit für das "Sein" des j ihm die Grenzen für den Gebrauch und die Beherrschung der Dinge vorschreibt (vgl. Gen 2,16-17), sowie er ihm auch die Unsterblichkeit verheißt (vgl. Gen 2,9; Weish 2, 23). Darum hat der Mensch, da er Bild Gottes ist, auch eine echte Verwandtschaft mit Gott.

Auf der Grundlage dieser Lehre kann Entwicklung nicht nur im Gebrauch, in der Beherrschung und im wahllosen Besitz der geschaffenen Dinge und der Produkte des menschlichen Fleißes bestehen, sondern vielmehr in der Unterordnung des Besitzes, der Herrschaft und des Gebrauchs unter die göttliche Ebenbildlichkeit des Menschen und unter seine Berufung zur Unsterblichkeit. Dies ist die transzendente Wirklichkeit des menschlichen Seins, an der von Anfang an ein Menschenpaar, Mann und Frau (vgl. Gen 1, 27), teilhat und die somit grundsätzlich sozial ausgerichtet ist.

30. Der Begriff der Entwicklung ist also nach der Heiligen Schrift nicht rein "weltlich" oder "profan", sondern erscheint auch, obgleich mit einem sozio-ökonomischen Schwerpunkt, als der moderne Ausdruck einer wesentlichen Dimension der Berufung des Menschen.

Der Mensch ist ja nicht gleichsam unbeweglich und statisch geschaffen. Die erste Beschreibung, die die Bibel von ihm gibt, zeigt ihn gewiss als Geschöpf und Abbild das in seiner inneren Wirklichkeit von seinem Ursprung und der den Menschen begründenden Ähnlichkeit bestimmt ist. Dies alles aber senkt in das menschliche Sein, in Mann und Frau, den Keim und die Anforderung einer grundlegenden Aufgabe, die es zu erfüllen gilt, sei es von jedem einzeln oder als Paar. Die Aufgabe besteht darin, "über die anderen Geschöpfe zu herrschen", "den Garten zu bestellen"; eine Aufgabe, die im Rahmen des Gehorsams gegenüber dem göttlichen Gesetz und somit in der Achtung vor dem empfangenen Abbild zu verwirklichen ist, dem offensichtlichen Fundament jener Herrschermacht, die ihm für seine Vervollkommnung zuerkannt ist (vgl. Gen 1,26-30; 2,15 ff.; Weish 9, 2-3). Wenn der Mensch Gott gegenüber ungehorsam ist und es ablehnt, sich seiner Macht zu unterwerfen, dann lehnt sich die Natur gegen ihn auf und erkennt ihn nicht mehr als ihren "Herrn" an, weil er das göttliche Abbild in sich verdunkelt hat. Der Aufruf zum Besitzen und Gebrauchen der geschaffenen Mittel bleibt immer gültig; aber nach dem Sündenfall wird der Vollzug schwierig und leidvoll (vgl. Gen 3,17-19).

Das folgende Kapitel der Genesis zeigt uns nämlich die Nachkommenschaft von Kam, die "eine Stadt" erbaut, den Hirtenberuf ausübt und sich mit den Künsten (der Musik) und der Technik (der Metallurgie) beschäftigt, während man zugleich beginnt, "den Namen des Herrn anzurufen" (vgl. Gen 4, 17-26).

Die Geschichte des Menschengeschlechts, wie sie von der Heiligen Schrift beschrieben wird, ist auch nach dem Sündenfall eine Geschichte ständiger konkreter Taten, die sich - durch die Sünde immer in Frage gestellt und gefährdet - wiederholen, sich vervollkommnen und ausbreiten als Antwort auf die göttliche Berufung, die von Anfang an dem Mann und der Frau zuerkannt (vgl. Gen 1, 26-28) und dem von ihnen empfangenen göttlichen Abbild eingeprägt ist.

Es ist wenigstens für diejenigen, die an das Wort Gottes glauben, naheliegend, daraus zu folgern, dass die "Entwicklung" von heute als ein Moment der Geschichte gesehen werden muss, die mit der Schöpfung begonnen hat und wegen der Untreue gegenüber dem Willen des Schöpfers ständig gefährdet ist, vor allem durch die Versuchung zum Götzendienst, die aber doch grundsätzlich dem Gesetz ihres Anfangs entspricht. Wer den schwierigen, aber auch beglückenden Auftrag zurückweisen wollte, das Los des ganzen Menschen und aller Menschen zu verbessern, und dies unter dem Vorwand der Last des Kampfes und der ständigen Anstrengung zur Überwindung der Schwierigkeiten oder sogar wegen der Erfahrung des Mißerfolges und des Rückfalls auf den Ausgangspunkt, der würde dem Willen des Schöpfers untreu. Unter dieser Hinsicht habe ich in der Enzyklika Laborem exercens auf die Berufung des Menschen zur Arbeit hingewiesen, um zu unterstreichen, dass immer der Mensch die Hauptperson der Entwicklung ist.<ref>Vgl. Enzyklika Laborem Exercens (14. September 1931), 4: AAS 73 (1981), 584 f.: PAUL VI., Enzyklika Populorum Progressio. 15: a.a.O., S. 265. </ref>

Jesus Christus selbst hebt im Gleichnis von den Talenten die strenge Behandlung dessen hervor, der die empfangene Begabung zu verbergen wagte: "Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe... Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat" (Mt 25, 26-28). Uns, die wir die Gaben Gottes empfangen, um sie Frucht bringen zu lassen, kommt es zu, zu "säen" und zu "sammeln". Wenn wir es nicht tun, wird uns auch das genommen, was wir haben.

Das tiefere Verständnis dieser strengen Worte kann uns veranlassen, mit mehr Entschlossenheit die heute für alte dringliche Verpflichtung auf uns zu nehmen, an der vollen Entwicklung der anderen mitzuwirken: an der "Entwicklung des ganzen Menschen und aller Menschen".<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 42: a.a.O., S. 278. </ref>

31. Während der Glaube an Christus, den Erlöser, das Wesen der Entwicklung von innen her erhellt, weist er uns auch den Weg bei der Aufgabe der Zusammenarbeit. Im Brief des heiligen Paulus an die Kolosser lesen wir, dass Christus der "Erstgeborene der ganzen Schöpfung" ist und "alles durch ihn und auf ihn hin geschaffen ist" (1,15-16). Denn jedes Ding "hat in ihm Bestand", weil "Gott mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen sollte, um durch ihn alles zu versöhnen (1, 20).

In diesen göttlichen Plan, der von Ewigkeit her in Christus, dem vollkommenen "Ebenbild" des Vaters, beginnt und in ihm als dem "Erstgeborenen der Toten" (Kol 1, 15.8) seinen Höhepunkt findet, fügt sich unsere Geschichte ein, die von unserem persönlichen wie gemeinschaftlichen Bemühen gekennzeichnet ist, die menschliche Lage zu bessern und die auf unserem Weg immer wieder entstehenden Widerstände zu überwinden, indem wir uns so auf die Teilnahme an jener Fülle vorbereiten, die "in ihm wohnt" und die er "seinem Leib, der die Kirche ist", mitgeteilt hat (ebd. 1,18; vgl. Eph 1, 22-23), während die Sünde, die uns stets bedrängt und unsere menschlichen Unternehmungen beeinträchtigt, durch die von Christus gewirkte "Versöhnung" besiegt und entgolten worden ist (vgl. Kol 1, 20).

Hier weitet sich der Blick. Der Traum von einem unbegrenzten "Fortschritt" kehrt wieder, doch radikal verwandelt durch eine neue Sicht, die der christliche Glaube eröffnet hat, indem er uns versichert, dass ein solcher Fortschritt nur möglich ist, weil Gott Vater von Anfang an beschlossen hat, den Menschen an seiner Herrlichkeit teilhaben zu lassen im auferstandenen Herrn Jesus Christus, in dem wir "durch sein Blut die Erlösung, die Vergebung der Sünden haben" (Eph 1,7). In ihm hat er die Sünde besiegen und für unser höheres Wohl dienstbar machen wollen,<ref>Vgl. Exsultet, Missale Romanum, ed. typ. altera 1975, S. 272: "O wahrhaft heilbringende Sünde des Adam, du wurdest uns zum Segen, da Christi Tod dich vernichtet hat. O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!" </ref> das unendlich übersteigt, was immer der Fortschritt verwirklichen könnte.

Während wir uns inmitten der Dunkelheiten und Mängel der Unterentwicklung und der Überentwicklung abmühen, können wir also sagen, dass eines Tages "dieses Vergängliche sich mit Unvergänglichkeit und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit bekleidet" (1 Kor 15, 54), wenn der Herr "seine Herrschaft Gott, dem Vater, übergibt" (ebd. 24) und alle Werke und Handlungen, die des Menschen würdig sind, eingelöst werden.

Diese Sicht des Glaubens zeigt ferner gut die Gründe auf, die die Kirche veranlassen, sich mit der Problematik der Entwicklung zu befassen, sie als eine Verpflichtung ihres pastoralen Dienstes zu betrachten und alle dazu anzuregen, über die Natur und die Merkmale der wahren menschlichen Entwicklung nachzudenken. Mit ihrem Einsatz möchte sie sieh einerseits in den Dienst des göttlichen Planes stellen, der darauf abzielt, alle Dinge auf die Fülle hinzuordnen, die "in Christus wohnt" (vgl. Kol 1,19) und die er seinem Leib mitgeteilt hat; andererseits möchte sie dadurch ihrer grundlegenden Berufung entsprechen, "Sakrament" oder "Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit" zu sein.<ref>II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium 1. </ref>

Einige Kirchenväter haben sich durch diese Sicht inspirieren lassen, um ihrerseits eine eigene Auffassung vom Sinn der Geschichte und der menschlichen Arbeit darzulegen, die auf ein Ziel ausgerichtet ist, das sie übersteigt, und stets durch ihre Beziehung zum Werk Christi bestimmt ist. Mit anderen Worten, man kann in der patristischen Lehre eine optimistische Sicht von der Geschichte und der Arbeit finden oder vom bleibenden Wert der echten menschlichen Werke, insofern sie von Christus erlöst und für das verheißene Reich bestimmt sind.<ref>Vgl. z.B. BASILIUS d. Gr., Regulae fusius tractatae, interrogatio XXXVII, 1-2. PG, 31, 1009-1012; THEODORET VON KYROS, De Providentia, Oratio VII: PG 665-686; AUGUSTINIUS, De Civitate Dei, XIX, 17: CCL 48, 683-685. </ref>

So gehört zur ältesten Lehre und Praxis der Kirche die Überzeugung, dass sie selbst, ihre Amtsträger und jedes ihrer Glieder durch ihre Berufung dazu angehalten sind, das Elend der Leidenden, ob nah oder fern, nicht nur aus dem "Überfluss", sondern auch aus dem "Notwendigen" zu lindern. Angesichts von Notfällen kann man nicht einen Überfluss an Kirchenschmuck und kostbare Geräte für die Liturgie vorziehen; im Gegenteil, es könnte verpflichtend sein, solche Güter zu veräußern, um den Bedürftigen dafür Speise und Trank, Kleidung und Wohnung zu geben.<ref>Vgl. z.B. JOHANNES CHRYSOSTOMUS. In Evang. S. Mathaei 50, 3-4: PG 58, 508-510; AMBROSIUS, De Officiis Ministrorurn, lib. II, XXVIII, 136-140: PL 16, 139-141; POSIDIUS, Vita S. Augustini Episcopi, XXIV: PL 32, 53 a. </ref> Wie schon bemerkt wurde, wird uns hier - im Rahmen des Rechts auf Eigentum - eine "Rangfolge der Werte " zwischen "Haben" und "Sein" angegeben, besonders wenn sich das "Haben" einiger zum Schaden des "Seins" von so vielen anderen auswirken kann.

In seiner Enzyklika steht Papst Paul VI. auf der Linie dieser Lehre, wobei er sich von der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes anregen lässt.<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 23: a.a.O.: S. 268: "Wer aber die Güter der Welt hat und seinen Bruder Not leiden sieht und sein Herz gegen ihn verschließt, wie kann da die Liebe Gottes in ihm bleiben?" (1 Joh 3, 17). Es ist bekannt, mit welcher Entschiedenheit die Kirchenväter gelehrt haben, welche Haltung die Besitzenden gegenüber den Notleidenden einzunehmen haben. In der vorausgehenden Nummer hatte der Papst die Nr.69 der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes das II. Vatikanischen Konzil zitiert. </ref> Meinerseits möchte ich ihre schwerwiegende Bedeutung und Dringlichkeit noch besonders unterstreichen. Vom Herrn erbitte ich für alle Christen die Kraft, diese Lehre treu in die Praxis übertragen zu können.

32. Die Verpflichtung, sich für die Entwicklung der Völker einzusetzen, ist nicht nur von individueller und noch weniger von individualistischer Art, als ob es möglich wäre, sie mit den isolierten Anstrengungen der einzelnen zu erreichen. Es ist eine Pflicht für alle und jeden, für Mann und Frau, für Gesellschaften und Nationen, im besonderen aber für die katholische Kirche und für die anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mit denen wir zur Zusammenarbeit auf diesem Gebiet voll bereit sind. Wie wir Katholiken die christlichen Brüder einladen sich an unseren Initiativen zu beteiligen, so erklären wir uns in diesem Sinne auch bereit, an den ihrigen mitzuarbeiten, indem wir die an uns gerichteten Einladungen annehmen. Bei diesem Bemühen um die ganzheitliche Entwicklung des Menschen können wir vieles auch zusammen mit den Gläubigen der anderen Religionen tun, wie es übrigens auch an vielen Orten geschieht.

Die Zusammenarbeit für die Entwicklung des ganzen Menschen und jedes Menschen ist ja eine Pflicht aller gegenüber allen und muss zugleich den vier Teilen der Welt, Ost und West, Nord und Süd, oder, um den heute üblichen Ausdruck zu verwenden, den verschiedenen "Welten" gemeinsam sein. Wenn man sie dagegen nur in einem Teil oder nur in einer "Welt" zu verwirklichen sucht, dann geschieht dies auf Kosten der anderen; und dort, wo Entwicklung beginnt, nimmt sie gerade deswegen, weil die anderen ignoriert werden, übertriebene Ausmaße an und entartet.

Auch die Völker oder Nationen selbst haben ein Recht auf ihre eigene volle Entwicklung, die natürlich, wie gesagt, die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte beinhaltet, aber auch die entsprechende kulturelle Identität und die Öffnung zum Transzendenten hin umfassen muss. Nicht einmal die Notwendigkeit der Entwicklung darf als Vorwand genommen werden, um anderen den eigenen Lebensstil oder den eigenen religiösen Glauben aufzuzwingen.

33. Ebenfalls wäre ein Entwicklungstyp nicht wirklich des Menschen würdig, der nicht auch die persönlichen und gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Menschenrechte, die Rechte der Nationen und Völker eingeschlossen, achten und fördern würde.

Heute erkennt man vielleicht mehr als früher und mit größerer Klarheit den inneren Widerspruch einer Entwicklung, die allein auf die wirtschaftliche Seite beschränkt bleibt. Eine solche ordnet die menschliche Person und ihre tieferen Bedürfnisse allzu leicht den Erfordernissen der wirtschaftlichen Planung oder des alleinigen Profits unter.

Die innere Verbindung zwischen wahrer Entwicklung und Achtung der Menschenrechte offenbart noch einmal deren moralischen Charakter. Die wahre Förderung des Menschen, die im Einklang mit der wesentlichen und geschichtlichen Berufung jedes einzelnen steht, erreicht man nicht, indem man nur ein Übermaß an Gütern und Dienstleistungen nutzt oder über perfekte Infrastrukturen verfügt.

Wenn Einzelmenschen und Gemeinschaften nicht die moralischen, kulturellen und geistigen Erfordernisse gewissenhaft respektiert sehen, die auf der Würde der Person und auf der eigenen Identität einer jeden Gemeinschaft, angefangen bei der Familie und den religiösen Gesellschaften, gründen, dann wird sich alles übrige - Verfügbarkeit von Gütern, Überfluss an technischen Hilfsmitteln für das tägliche Leben, ein gewisses Niveau materiellen Wohlstandes - als ungenügend und langfristig als verachtenswert erweisen. Das bestätigt der Herr eindeutig im Evangelium, wo er die Aufmerksamkeit aller auf die wahre Rangfolge der Werte lenkt: "Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele verliert?" (Mt 16, 26).

Echte Entwicklung nach den eigenen Erfordernissen des menschlichen Wesens, ob Mann oder Frau, Kind, Erwachsener oder Betagter, schließt, in erster Linie bei allen, die sich an diesem Prozess aktiv beteiligen und dafür verantwortlich sind, ein lebendiges Bewusstsein ein vom Wert der Rechte al1er und eines jeden sowie von der Notwendigkeit, das Recht eines jeden auf den vollen Gebrauch der Hilfen, die von Wissenschaft und Technik angeboten werden, zu achten.

Im inneren Bereich einer jeden Nation erhält die Achtung aller Menschenrechte eine große Bedeutung: besonders das Recht auf Leben in jedem Stadium seiner Existenz; die Rechte der Familie, insofern sie die soziale Grundgemeinschaft oder "Zelle der Gesellschaft" ist; die Gerechtigkeit in den Arbeitsverhältnissen; die Rechte, die dem Leben der politischen Gemeinschaft als solcher innewohnen; die Rechte aus der transzendenten Berufung des Menschen, angefangen beim Recht auf Freiheit, den eigenen religiösen Glauben zu bekennen und zu praktizieren.

Auf internationaler Ebene, in den Beziehungen zwischen den Staaten oder - nach dem geläufigen Sprachgebrauch - zwischen den verschiedenen "Welten", muss die Identität eines jeden Volkes mit seinen geschichtlichen und kulturellen Eigenschaften voll geachtet werden. Ebenso unerlässlich ist es, wie schon die Enzyklika Populorum Progressio gewünscht hat, jedem Volk das gleiche Recht zuzugestehen mit am Tisch des gemeinsamen Mahles zu sitzen",<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 47: a.a.O., S. 280: "...eine Welt, wo die Freiheit nicht ein leeres Wort ist, wo der arme Lazarus an derselben Tafel mit dem Reichen sitzen kann". </ref> statt wie Lazarus draußen vor der Tür zu liegen während "die Hunde kommen, um seine Geschwüre zu lecken (vgl. Lk 16 20.21). Sowohl die Völker als auch die einzelnen Personen müssen sich der grundsätzlichen Gleichheit erfreuen,<ref>Vgl. ebd., 47: a.a.O., S.28o: "Es geht darum, eine Welt zu bauen wo jeder Mensch ohne Unter schied der Rasse, der Religion, der Abstammung ein volles menschliches Leben fuhren kann frei von Versklavung von seiten der Menschen..."; vgl. auch II. Vatikanisches Konzil Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 29. Diese fundamentale Gleichheit ist eines der Grundmotive, mit dem sich die Kirche immer jeder Form von Rassismus widersetzt hat. </ref> auf der zum Beispiel die Charta der Organisationen der Vereinten Nationen beruht: eine Gleichheit, die das Fundament des Rechtes aller auf Teilnahme am Prozess einer vollen Entwicklung ist.

Um von solcher Art zu sein, muss sich die Entwicklung im Rahmen von Solidarität und Freiheit vollziehen, ohne jemals die eine oder die andere, unter welchem Vorwand auch immer zu opfern. Der moralische Charakter der Entwicklung und seine notwendige Förderung werden besonders herausgestellt, wenn alle Erfordernisse, die sich aus der dem menschlichen Geschöpf eigenen Ordnung von Wahr und Gut herleiten, auf das strengste beachtet werden. Der Christ, der dazu angeleitet worden ist, im Menschen das Abbild Gottes zu sehen, das zur Teilnahme an der Wahrheit und am Guten berufen ist, die Gott selbst darstellt, versteht ferner den Einsatz für die Entwicklung und ihre Verwirklichung nicht unabhängig von der Beachtung und dem Respekt vor der einzigartigen Würde dieses "Abbildes". Mit anderen Worten, die wahre Entwicklung muss sich auf die Liebe zu Gott und zum Nächsten gründen und dazu beitragen, die Beziehungen zwischen den einzelnen und der Gesellschaft zu fördern. Das ist die "Zivilisation der Liebe", von der Papst Paul VI. so oft gesprochen hat.

34. Der moralische Charakter der Entwicklung kann auch nicht von der Achtung vor den Geschöpfen absehen, welche die sichtbare Natur bilden, die die Griechen in Anspielung auf die Ordnung, von der sie geprägt ist, "Kosmos" nannten. Auch diese Wirklichkeiten verlangen Achtung, und zwar in einer dreifachen Hinsicht, über die aufmerksam nachzudenken sich lohnt.

Die erste besteht darin, dass es angemessen ist, sich zunehmend dessen bewusst zu werden, dass man nicht ungestraft von den verschiedenen lebenden oder leblosen Geschöpfen - Naturelemente, Pflanzen, Tiere - rein nach eigenem Gutdünken und entsprechend den eigenen wirtschaftlichen Erfordernissen Gebrauch machen kann. Im Gegenteil, man muss der Natur eines jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System wie dem Kosmos Rechnung tragen.

Die zweite Überlegung gründet sich hingegen auf die noch eindringlichere Feststellung von der Begrenztheit der natürlichen Hilfsquellen, von denen sich einige, wie man sagt, nicht regenerieren. Diese Quellen mit absolutem Verfügungsanspruch zu benutzen, als ob sie unerschöpflich wären, bringt ihr Fortbestehen nicht nur für die gegenwärtige Generation, sondern vor allem für die künftigen in ernste Gefahr.

Die dritte Überlegung bezieht sich unmittelbar auf die Folgen, die eine gewisse Art von Entwicklung auf die Lebensqualität in den Industriegebieten hat. Wir wissen alle, dass ein direktes oder indirektes Ergebnis der Industrialisierung immer häufiger die Verschmutzung der Umwelt ist, mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung.

Ein weiteres Mal wird dadurch deutlich, dass sich die Entwicklung, der Wille zur Planung, der sie lenkt, der Gebrauch der Hilfsquellen und die Art und Weise, sie zu verwerten, nicht von der Beachtung der moralischen Forderungen lösen dürfen. Eine davon verlangt ohne Zweifel Grenzen für den Gebrauch der sichtbaren Natur. Die vom Schöpfer dem Menschen anvertraute Herrschaft ist keine absolute Macht noch kann man von der Freiheit sprechen, sie zu "gebrauchen oder zu missbrauchen" oder über die Dinge zu verfügen, wie es beliebt. Die Beschränkung, die der Schöpfer selber von Anfang an auferlegt hat, ist symbolisch in dem Verbot enthalten, "von der Frucht des Baumes zu essen" (vgl. Gen 2, 16-17); sie zeigt mit genügender Klarheit, dass wir im Hinblick auf die sichtbare Natur nicht nur biologischen, sondern auch moralischen Gesetzen unterworfen sind, die man nicht ungestraft übertreten darf.

Eine richtige Auffassung von Entwicklung kann nicht von solchen Überlegungen hinsichtlich des Gebrauchs der Naturdinge, der möglichen Erneuerung der Hilfsquellen und der Folgen einer ungeordneten Industrialisierung absehen, die unser Gewissen erneut auf die moralische Dimension der Entwicklung hinlenken.<ref>Vgl. Homilie in Val Visdende, Norditalien (12. Juli 1987), 5: L'Osservatore Romano. 13-14. Juli 1987; PAUL VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971) 21: AAS 63 (1971) 416 f. </ref>

V. EINE THEOLOGISCHE ANALYSE DER MODERNEN PROBLEME

35. Im Lichte dieses wesentlichen moralischen Charakters der Entwicklung sind auch die Hindernisse zu betrachten, die sich ihr entgegenstellen. Wenn es während der Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika Pauls VI. keine Entwicklung gegeben hat - oder sie nur in geringem, unregelmäßigem, wenn nicht geradezu widersprüchlichem Maße stattgefunden hat -, können die Gründe dafür nicht nur wirtschaftlicher Natur sein. Wie bereits angedeutet, sind dabei auch politische Motive im Spiel. Die Entscheidungen, die die Entwicklung der Völker vorantreiben oder hemmen, sind ja gewiss Faktoren von politischem Charakter. Um die oben genannten entarteten Mechanismen zu überwinden und sie durch neue, gerechtere zu ersetzen, die dem Gemeinwohl der Menschheit mehr entsprechen, bedarf es eines wirksamen politischen Willens. Leider muss man aber nach einer Analyse der Situation feststellen, dass dieser bisher unzureichend gewesen ist.

In einem pastoralen Dokument wie dem vorliegenden wäre aber eine Analyse, die sich ausschließlich auf wirtschaftliche und politische Ursachen der Unterentwicklung (und analog auch der sogenannten Überentwicklung) beschränken würde, unvollständig. Es ist deshalb erforderlich, die Ursachen moralischer Natur zu ermitteln, die auf der Ebene des Verhaltens der Menschen als verantwortliche Personen wirken, um den Fortgang der Entwicklung zu hemmen und ihre Vollendung zu verhindern.

Wenn wissenschaftliche und technische Hilfsmittel zur Verfügung stehen, die zusammen mit den notwendigen und konkreten politischen Entscheidungen endlich dazu beitragen sollen, die Völker auf den Weg zu einer echten Entwicklung zu bringen, dann erfolgt die Überwindung der hauptsächlichen Hindernisse ebenfalls nur durch wesentlich moralische Entschlüsse, welche sich für die Glaubenden, besonders für Christen, mit Hilfe der göttlichen Gnade an den Prinzipien des Glaubens orientieren.

36. Deshalb ist zu betonen, dass eine in Blöcke geteilte Welt, die von starren Ideologien gestützt werden und wo statt gegenseitiger solidarischer Abhängigkeit verschiedene Formen von Imperialismus vorherrschen, nur eine Welt sein kann, die "Strukturen der Sünde" unterworfen ist. Die Summe der negativen Faktoren, die sieh in einem Sinne auswirken, der zu einem echten Bewusstsein vom umfassenden Gemeinwohl und von der Aufgabe, diese zu fördern, im Gegensatz steht, macht den Eindruck, in Personen und Institutionen eine Barriere zu schaffen, die nur schwer zu überwinden ist.<ref>Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 25. </ref>

Wenn die heutige Situation Schwierigkeiten unterschiedlicher Natur zuzuschreiben ist, so ist es nicht verfehlt, von "Strukturen der Sünde" zu sprechen, die, wie ich im Apostolischen Schreiben Reconciliatio et Paenitentia festgestellt habe, in persönlicher Sünde ihre Wurzeln haben und daher immer mit konkreten Taten von Personen zusammenhängen, die solche Strukturen herbeiführen, sie verfestigen und es erschweren, sie abzubauen.<ref>Apostolisches Schreiben Reconciliatio et paenitentia (2. Dezember1984), 16: "Wenn die Kirche von Situationen der Sünde spricht oder bestimmte Verhältnisse und gewisse kollektive Verhaltensweisen von mehr oder weniger breiten sozialen Gruppen oder sogar von ganzen Nationen und Blöcken von Staaten als soziale Sünden anklagt, dann weiß sie und betont es auch, dass solche Fälle von sozialer Sünde die Frucht, die Anhäufung und die Zusammenballung vieler personaler Sünden sind. Es handelt sich dabei um sehr persönliche Sünden dessen, der Unrecht erzeugt, begünstigt oder ausnutzt; der, obgleich er etwas tun könnte, um gewisse soziale Übel zu vermeiden, zu beseitigen oder wenigstens zu begrenzen, es aus Trägheit oder Angst, aus komplizenhaften Schweigen oder geheimer Beteiligung oder aus Gleichgültigkeit doch unterlässt; der Zuflucht sucht in der behaupteten Unmöglichkeit, die Welt zu verändern, und der sich den Mühen und Opfern entziehen will, indem er vorgebliche Gründe höherer Ordnung anführt. Die wirkliche Verantwortung liegt also bei den Personen. Eine Situation ebenso wie eine Institution, eine Struktur, eine Gesellschaft - ist an sich kein Subjekt moralischer Akte; deshalb kann sie in sich selbst nicht moralisch gut oder schlecht sein: AAS 77 (1985) 217. </ref>

Und so verstärken und verbreiten sie sich und werden zur Quelle weiterer Sünden, indem sie das Verhalten der Menschen negativ beeinflussen.

"Sünde" und "Strukturen der Sünde" sind Kategorien, die nicht oft auf die Situation der Welt von heute angewandt werden. Man gelangt aber nicht leicht zu einem tieferen Verständnis der Wirklichkeit, wie sie sich unseren Augen darbietet, wenn man der Wurzel der Übel, die uns bedrängen, nicht auch einen Namen gibt.

Man kann gewiss von "Egoismus" und von "Kurzsichtigkeit" sprechen; man kann auf "falsche politische Einschätzungen", auf "unkluge wirtschaftliche Entscheidungen" hinweisen. In jeder dieser Wertungen bemerkt man jedoch ein Echo ethisch-moralischer Natur. Die Lage des Menschen ist derartig, dass eine tiefere Analyse von Taten und Unterlassungen der Personen erschwert wird, wenn man nicht in der einen oder anderen Weise Urteile oder Bezüge ethischer Natur miteinschließt.

Diese Wertung ist an sich positiv zu sehen, vor allem wenn sie daraus sämtliche Folgen zieht und sich auf den Glauben an Gott und auf sein Gesetz gründet, das das Gute vorschreibt und das Böse verbietet.

Darin besteht der Unterschied zwischen der Art von sozialpolitischer Analyse und dem ausdrücklichen Hinweis auf die "Sünde" und auf "Strukturen der Sünde". Bei dieser letzteren Sichtweise kommen der Wille des dreimal heiligen Gottes, sein Plan mit den Menschen, seine Gerechtigkeit und sein Erbarmen mit ins Spiel. Gott, der reich ist an Erbarmen, der Erlöser der Menschen, der Herr und Geber des Lebens, fordert von den Menschen bestimmte Verhaltensweisen, die sich auch in Handlungen oder Unterlassungen gegenüber dem Nächsten ausdrücken. Hierin liegt ein Bezug auf die "zweite Tafel" der Zehn Gebote (vgl. Ex 20,12-17; Dt 5,16-21); durch deren Nichtbeachtung beleidigt man Gott und schadet dem Nächsten, wobei man Abhängigkeiten und Hindernisse in die Welt einführt, die viel weiter reichen als die Taten selbst und die kurze Lebensspanne des einzelnen Menschen. Sie wirken sich auch auf den Prozess der Entwicklung der Völker aus, dessen Verzögerung oder zu langsames Voranschreiten auch in diesem Licht zu beurteilen ist.

37. An diese allgemeine Analyse religiöser Natur können sich nun einige mehr ins einzelne gehende Überlegungen anschließen, um zu bemerken, dass die bezeichnendsten Handlungen und Verhaltensweisen, die im Gegensatz zum Willen Gottes und zum Wohl des Nächsten stehen, sowie die "Strukturen", die sie herbeiführen, heute vor allem zwei zu sein scheinen: auf der einen Seite die ausschließliche Gier nach Profit und auf der anderen Seite das Verlangen nach Macht mit dem Vorsatz, anderen den eigenen Willen aufzuzwingen. Jeder dieser Verhaltensweisen kann man, um sie noch treffender zu kennzeichnen, die Qualifizierung hinzufügen: "um jeden Preis". Mit anderen Worten, wir stehen vor einer Absolutsetzung menschlicher Verhaltensweisen mit allen ihren möglichen Folgen.

Auch wenn beide Haltungen an sich voneinander getrennt werden können, weil die eine ja ohne die andere zu existieren vermag, finden sie sich doch in dem Bild, das sich unseren Augen darbietet, unauflöslich verbunden, mag auch die eine oder die andere vorherrschen.

Dieser doppelten sündhaften Haltung verfallen offensichtlich nicht nur Einzelpersonen, sondern auch Nationen und Blöcke. Das begünstigt noch mehr das Entstehen von "Strukturen der Sünde", von denen ich gesprochen habe. Wenn man gewisse Formen eines modernen "Imperialismus" im Licht dieser moralischen Kriterien betrachten würde, könnte man entdecken, dass sich hinter bestimmten Entscheidungen, die scheinbar nur von Wirtschaft oder Politik getragen sind, wahrhafte Formen von Götzendienst verbergen: gegenüber Geld, Ideologie, Klasse oder Technologie.

Mit dieser Analyse wollte ich vor allem die wahre Natur des Bösen aufzeigen, mit der wir es bei der Frage der Entwicklung der Völker zu tun haben: Es handelt sich um ein moralisches Übel, die Frucht vieler Sünden, die zu "Strukturen der Sünde" führen. Das Böse so zu erkennen bedeutet, auf der Ebene menschlichen Verhaltens den Weg genau anzugeben, den man gehen muss, um es zu überwinden.

38. Es ist ein langer und umständlicher Weg, weil er zudem noch unter ständiger Bedrohung steht, sei es durch die innere Zerbrechlichkeit menschlicher Vorsätze und Taten, sei es durch die Wandelbarkeit der äußeren, oft nicht vorhersehbaren Umstände. Auf jeden Fall muss man den Mut haben, diesen Weg aufzunehmen und, wenn einige Schritte getan sind oder ein Teil der Wegstrecke durchschritten ist, ihn bis zum Ende zu gehen.

Im Rahmen solcher Überlegungen enthält die Entscheidung, sich auf den Weg zu machen oder den Weg fortzusetzen, vor allem einen moralischen Wert, den gläubige Männer und Frauen als von Gottes Willen gefordert anerkennen, dem einzigen wahren Fundament einer Ethik mit absoluter Verpflichtung.

Es ist zu wünschen, dass auch die Männer und Frauen, die keinen ausdrücklichen Glauben haben, davon überzeugt sind, dass die Hindernisse, die einer vollen Entwicklung entgegenstehen, nicht nur wirtschaftlicher Natur sind, sondern von Grundhaltungen abhängen, die sich für den Menschen als absolute Werte darstellen. Deshalb ist zu hoffen, dass alle, die im einen oder anderen Maße für ein "menschlicheres Leben" gegenüber ihren Mitmenschen verantwortlich sind, seien sie von einem religiösen Glauben inspiriert oder nicht, sich vollkommen Rechenschaft geben über die dringende Notwendigkeit einer Änderung der geistigen Haltungen, welche die Beziehungen eines jeden Menschen mit sich selbst, mit dem Nächsten, mit den menschlichen Gemeinschaften, auch den entferntesten, sowie mit der Natur bestimmen, und zwar aus der Kraft höherer Werte wie des Gemeinwohls oder, um den glücklichen Ausdruck der Enzyklika Populorum Progressio aufzugreifen, der vollen Entwicklung "des ganzen Menschen und aller Menschen".<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 42: a.a.O., S.278. </ref>

Für die Christen wie für alle, die die genaue theologische Bedeutung des Wortes "Sünde" anerkennen, heißt die Änderung des Verhaltens oder der Mentalität oder der Lebensweise in biblischer Sprache "Umkehr" (vgl. Mk 1,15; Lk 13, 3.5; Jes 30, 15). Diese Umkehr betrifft im einzelnen die Beziehung zu Gott, zur zugezogenen Schuld, zu ihren Folgen und darum auch zum Nächsten als Individuum oder in Gemeinschaft. Gott, in "dessen Händen die Herzen der Mächtigen sind"<ref>Vgl. Liturgia Horarum, Feria III Hebdomadae IIIac Temporis per annum, Preces ad Vesperas. </ref> und aller anderen, ist es, der die "Herzen aus Stein" nach seiner eigenen Verheißung und durch das Wirken seines Geistes "in Herzen aus Fleisch" umzuwandeln vermag (vgl. Ez 36, 26)

Auf dem Wege zur ersehnten Umkehr und zur Überwindung der moralischen Hindernisse für die Entwicklung kann man bereits das wachsende Bewusstsein der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Menschen und den Nationen als positiven und moralischen Wert hervorheben. Daß Männer und Frauen in verschiedenen Teilen der Welt Ungerechtigkeiten und Verletzungen der Menschenrechte, begangen in fernen Ländern, die sie vielleicht niemals besuchen werden, als ihnen selbst zugefügt empfinden, ist ein weiteres Zeichen einer Wirklichkeit, die sich in Gewissen verwandelt hat und so eine moralische Qualität erhält.

Vor allem die Tatsache der gegenseitigen Abhängigkeit wird als entscheidendes System von Beziehungen in der heutigen Welt mit seinen wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Faktoren verstanden und als moralische Kategorie angenommen. Wenn die gegenseitige Abhängigkeit in diesem Sinne anerkannt wird, ist die ihr entsprechende Antwort als moralisches und soziales Verhalten, als "Tugend" also, die Solidarität Diese ist nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah oder fern. Im Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das "Gemeinwohl" einzusetzen, das heißt, für das Wohl aller und eines jeden, weil wir alle für alle verantwortlich sind. Eine solche Entschlossenheit gründet in der festen Überzeugung, dass gerade jene Gier nach Profit und jener Durst nach Macht, von denen bereits gesprochen wurde, es sind, die den Weg zur vollen Entwicklung aufhalten. Diese Haltungen und "Strukturen der Sünde" überwindet man nur - neben der notwendigen Hilfe der göttlichen Gnade mit einer völlig entgegengesetzten Haltung mit dem Einsatz für das Wohl des Nächsten zusammen mit der Bereitschaft, sich im Sinne des Evangeliums für den anderen zu "verlieren", anstatt ihn auszubeuten, und ihm zu "dienen", anstatt ihn um des eigenen Vorteils willen zu unterdrücken (vgl. Mt 10, 40-42; 20, 25; Mk 10, 42-45; Lk 22, 25-27).

39. Die Übung von Solidarität im Innern einer jeden Gesellschaft hat ihren Wert, wenn sich ihre verschiedenen Mitglieder gegenseitig als Personen anerkennen. Diejenigen, die am meisten Einfluss haben weil sie über eine (größere Anzahl von Gütern und Dienstleistungen verfügen sollen sich verantwortlich für die Schwächsten fühlen und bereit sein, Anteil an ihrem Besitz zu geben. Auf derselben Linie von Solidarität sollten die Schwächsten ihrerseits keine rein passive oder gesellschaftsfeindliche Haltung einnehmen, sondern selbst tun, was ihnen zukommt wobei sie durchaus auch ihre legitimen Rechte einfordern. Die Gruppen der Mittelschicht ihrerseits sollten nicht in egoistischer Weise auf ihrem Eigenvorteil bestehen, sondern auch die Interessen der anderen beachten.

Positive Zeichen in der heutigen Welt sind das wachsende Bewusstsein für die Solidarität der Armen untereinander, ihre Initiativen gegenseitiger Hilfe, die öffentlichen Kundgebungen im gesellschaftlichen Leben, wobei sie nicht zu Gewalt greifen, sondern die eigenen Bedürfnisse und ihre Rechte angesichts von Unwirksamkeit oder Korruption staatlicher Stellen deutlich machen. Kraft ihres Auftrages aus dem Evangelium fühlt sich die Kirche an die Seite der Armen gerufen. um die ~ und zu deren Erfüllung beizutragen, ohne den Blick für das Wohl der einzelnen Gruppen im Rahmen des Gemeinwohls aller zu verlieren.

Derselbe Maßstab wird analogerweise auf die internationalen Beziehungen angewandt. Die wechselseitige Abhängigkeit muss sich in eine Solidarität verwandeln, die auf dem Prinzip gründet, dass die Güter der Schöpfung für alle bestimmt sind: Was menschlicher Fleiß durch Verarbeitung von Rohstoffen und Arbeitsleistung hervorbringt, muss dem Wohl aller in gleicher Weise dienen.

Indem die stärkeren und reicheren Nationen jeglichen Imperialismus und alle Absichten, die eigene Hegemonie zu bewahren, überwinden, müssen sie sich für die anderen moralisch verantwortlich fühlen, bis ein wirklich internationales System geschaffen ist, das sich auf die Grundlage der Gleichheit aller Völker und auf die notwendige Achtung ihrer legitimen Unterschiede stützt. Die wirtschaftlich schwächeren Länder oder jene, deren Menschen gerade noch überleben können, müssen mit Hilfe der anderen Völker und der internationalen Gemeinschaft in den Stand versetzt werden, mit ihren Schätzen an Menschlichkeit und Kultur; die sonst für immer verloren gehen würden, auch selbst einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten.

Die Solidarität hilft uns, den "anderen" - Person, Volk oder Nation - nicht als irgendein Mittel zu sehen, dessen Arbeitsfähigkeit und Körperkraft man zu niedrigen Kosten ausbeutet und den man, wenn er nicht mehr dient, zurücklässt, sondern als ein uns "gleiches" Wesen, eine "Hilfe" für uns (vgl. Gen 2,18.20), als einen Mitmenschen also, der genauso wie wir am Festmahl des Lebens teilnehmen soll, zu dem alle Menschen von Gott in gleicher Weise eingeladen sind. Hieraus folgt, wie wichtig es ist, das religiöse Gewissen der Menschen und Völker zu wecken. So sind Ausbeutung, Unterdrückung und Vernichtung der anderen ausgeschlossen. Bei der gegenwärtigen Teilung der Welt in einander entgegengesetzte Blöcke ballen sich solche Tendenzen in der Gefahr von Krieg und der übertriebenen Sorge um die eigene Sicherheit zusammen, oft auf Kosten der Autonomie, der freien Entscheidung und sogar der territorialen Integrität der schwächeren Nationen, die in die sogenannten "Einflusszonen" oder "Sicherheitsgürtel" einbezogen sind.

Die "Strukturen der Sünde" und die Sünden, die dort einmünden, widersetzen sich mit gleicher Rationalität dem Frieden wie der Entwicklung, weil Entwicklung nach dem bekannten Ausdruck der Enzyklika Papst Paul VI. "der neue Name für den Frieden" ist.<ref>Enzyklika Populorum Progressio., 87: a.a.O., S. 299. </ref>

Auf solche Weise wird Solidarität, wie wir sie vorschlagen, der Weg zum Frieden und zugleich zur Entwicklung. Der Weltfriede ist in der Tat nicht denkbar ohne die Anerkennung von seiten der Verantwortlichen, dass die wechselseitige Abhängigkeit schon von sich aus die Überwindung der Politik der Blöcke, den Verzicht auf jede Form von wirtschaftlichem, militärischem oder politischem Imperialismus und die Verwandlung des gegenseitigen Misstrauens in Zusammenarbeit fordert. Und diese ist gerade der ureigene Akt der Solidarität zwischen Einzelpersonen und Nationen.

Der Wahlspruch des Pontifikats meines verehrten Vorgängers Papst Pius XII. lautete: Opus iustitiae pax - der Friede, die Frucht der Gerechtigkeit. Heute könnte man mit derselben Genauigkeit und der gleichen Kraft biblischer Inspiration (vgl. Jes 32,17; Jak 3,18) sagen: Opus solidarietatis pax - Friede, die Frucht der Solidarität.

Das von allen so sehr ersehnte Ziel des Friedens wird gewiss mit der Verwirklichung der sozialen und internationalen Gerechtigkeit erreicht werden, aber auch mit der Übung jener Tugenden, die das Zusammenleben fördern und das Leben in Einheit lehren, um gemeinsam, im Geben und Nehmen, eine neue Gesellschaft und eine bessere Welt zu schaffen.

40. Die Solidarität ist zweifellos eine christliche Tugend. Bereits in der vorangegangenen Darlegung war es möglich, zahlreiche Berührungspunkte zwischen ihr und der Liebe auszumachen, dem Erkennungszeichen der Jünger Christi.

Im Licht des Glaubens strebt die Solidarität danach, sich selbst zu übersteigen, um die spezifisch christlichen Dimensionen des völligen Ungeschuldetseins, der Vergebung und der Versöhnung anzunehmen. Dann ist der Nächste nicht mehr nur ein menschliches Wesen mit seinen Rechten und seiner grundlegenden Gleichheit mit allen, sondern wird das lebendige Abbild Gottes, des Vaters, erlöst durch das Blut Jesu Christi und unter das ständige Wirken des Heiligen Geistes gestellt. Er muss also, auch als Feind, mit derselben Liebe geliebt werden, mit der ihn der Herr liebt, und man muss für ihn zum Opfer bereit sein, auch zum höchsten: "das Leben für die eigenen Brüder geben" (vgl. Joh 3,16).

Das Bewusstsein von der gemeinsamen Vaterschaft Gottes, von der Brüderlichkeit aller Menschen in Christus, der "Söhne im Sohn", von der Gegenwart und dem lebenschaffenden Wirken des Heiligen Geistes wird dann unserem Blick auf die Welt gleichsam einen neuen Maßstab zu ihrer Interpretation verleihen. Jenseits der menschlichen und naturgegebenen Bindungen, die schon so fest und eng sind, zeigt sich im Licht des Glaubens ein neues Modell der Einheit des Menschengeschlechtes, an dem sich die Solidarität in letzter Konsequenz inspirieren muss. Dieses höchste Modell der Einheit ein Abbild des innersten Lebens Gottes, des Einen in drei Personen, bezeichnen wir Christen mit dem Wort "Gemeinschaft" (communio). Eine solche ausgesprochen christliche Gemeinschaft, die mit der Hilfe des Herrn sorgfältig gepflegt, erweitert und vertieft wird, ist die Seele der Berufung der Kirche, um "Sakrament" im bereits angegebenen Sinne zu sein.

Die Solidarität muss deshalb zur Verwirklichung dieses göttlichen Planes sowohl auf individueller wie auch auf nationaler und internationaler Ebene beitragen. Die "entarteten Mechanismen" und die "Strukturen der Sünde", von denen wir bereits besprochen haben, können nur durch die Übung jener menschlichen und christlichen Solidarität überwunden werden, zu der die Kirche einlädt und die sie unermüdlich fördert. Nur auf diese Weise können sich viele positive Energien zum Vorteil für die Entwicklung und den Frieden voll entfalten.

Viele von der Kirche heiliggesprochene Menschen bieten wunderbare Zeugnisse einer solchen Solidarität und können uns als Beispiel in den gegenwärtigen schwierigen Umständen dienen. Unter allen möchte ich an den hl. Petrus Claver erinnern mit seinem Dienst an den Sklaven von Cartagena de Indias (Kolumbien) oder an den hl. Maximilian Kolbe, der sein Leben für einen ihm unbekannten Gefangenen im Konzentrationslager von Auschwitz-Oswiecim hingegeben hat.

VI. EINIGE BESONDERE ORIENTIERUNGEN

41. Die Kirche hat zum Problem der Unterentwicklung als solchem keine technischen Lösungen anzubieten, wie bereits Papst Paul VI. in seiner Enzyklika betont hat.<ref>Vgl. ebd., 13; 81: a.a.O., S. 263 f; 296 f. </ref> Sie legt ja keine wirtschaftlichen und politischen Systeme oder Programme vor, noch zieht sie die einen den anderen vor, wenn nur die Würde des Menschen richtig geachtet und gefördert wird und ihr selbst der notwendige Raum gelassen wird, ihren Dienst in der Welt auszuüben.

Aber die Kirche ist auch "erfahren in den Fragen, die den Menschen betreffen",<ref>Vgl. ebd., 13: a.a.O., S. 263. </ref> und diese Erfahrung veranlasst sie, ihre religiöse Sendung notwendigerweise auf die verschiedenen Bereiche auszudehnen, in denen Männern und Frauen wirken, um im Einklang mit ihrer Würde als Person das stets begrenzte Glück zu suchen, das in dieser Welt möglich ist.

Nach dem Beispiel meiner Vorgänger muss ich wiederholen, dass nicht auf ein "technisches" Problem reduziert werden darf, was, wie die echte Entwicklung, die Würde des Menschen und der Völker berührt. Durch eine solche Reduzierung würde die Entwicklung ihres wahren Inhalts beraubt; man würde so die Menschen und Völker verraten, denen sie dienen soll.

Aus diesem Grunde hat die Kirche heute wie vor zwanzig Jahren und auch in Zukunft ein Wort zu sagen zur Natur, zu den Bedingungen, den Anforderungen, den Zielen einer echten Entwicklung und ebenso zu den Hindernissen, die sich dieser entgegenstellen. Indem sie das tut, erfüllt die Kirche ihren Verkündigungsauftrag, da sie ihren Hauptbeitrag zur Lösung des drängenden Problems der Entwicklung leistet, wenn sie die Wahrheit über Christus, über sich selbst und über den Menschen verkündet und auf eine konkrete Situation anwendet.<ref>Vgl. Eröffnungsrede bei der Dritten Generalkonferenz der Lateinamerikanischen Bischöfe (28Januar 1979): AAS 71 (1979)189-196. </ref>

Als Mittel zur Erreichung dieses Zieles benutzt die Kirche ihre Soziallehre. Um in der heutigen schwierigen Lage eine richtige Problemstellung wie auch die beste Lösung der Fragen zu fördern, kann es eine große Hilfe sein, die "Summe von Leitprinzipien, von Urteilskriterien und von Richtlinien für das konkrete Handeln", die die kirchliche Lehre vorlegt,<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 72: AAS 79 (1987) 586; PAUL VI., Apostolisches Schreiben Octogesima Adveniens (14. März 1971). 4: AAS 63 (1971) 403 f. </ref> genauer zu kennen und mehr zu verbreiten.

Man wird so unmittelbar bemerken, dass die Fragen, vor denen wir stehen, vor allem moralischer Natur sind und dass weder die Analyse des Entwicklungsproblems an sich noch die Mittel zur Überwindung der gegenwärtigen Schwierigkeiten von einer solchen wesentlichen Dimension absehen dürfen.

Die kirchliche Soziallehre ist kein "dritter Weg" zwischen liberalistischem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus und auch keine mögliche Alternative zu anderen, weniger weit voneinander entfernten Lösungen: Sie ist vielmehr etwas Eigenständiges. Sie ist auch keine Ideologie, sondern die genaue Formulierung der Ergebnisse einer sorgfältigen Reflexion über die komplexen Wirklichkeiten menschlicher Existenz in der Gesellschaft und auf internationaler Ebene, und dies im Licht des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung. Ihr Hauptziel ist es, solche Wirklichkeiten zu deuten, wobei sie prüft, ob diese mit den Grundlinien der Lehre des Evangeliums über den Menschen und seine irdische und zugleich transzendente Berufung übereinstimmen oder nicht, um daraufhin dem Verhalten der Christen eine Orientierung zu geben. Sie gehört daher nicht in den Bereich der Ideologie, sondern der Theologie insbesondere der Moraltheologie.

Ihre Soziallehre vorzutragen und zu verbreiten ist Teil des Verkündigungsauftrages der Kirche. Und weil es sich um eine Lehre handelt, die darauf abzielt, das Verhalten der Personen zu beeinflussen, ergibt sich daraus auch "der Einsatz für die Gerechtigkeit" je nach Auftrag, Berufung und Lage des einzelnen.

Die Durchführung des Verkündigungsauftrages im sozialen Bereich, der ein Aspekt der prophetischen Dimension der Kirche ist, umfasst auch die Offenlegung der Übel und Ungerechtigkeiten. Doch ist die Klarstellung angebracht, dass Verkündigung wichtiger ist als Anklage, und dass diese nicht von jener absehen darf, da sie nur von dort ihre wahre Berechtigung und die Kraft einer höchsten Motivation erhält.

42. Die kirchliche Soziallehre muss sich heute mehr als früher einer internationalen Sicht in der Linie des II. Vatikanischen Konzils,<ref>Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, Teil II, 5. Kapitel, 2. Abschnitt: "Der Aufbau der internationalen Gemeinschaft" (83-90). </ref> der jüngsten Enzykliken<ref>Vgl. JOHANNES XXIII., Enzyklika Mater et Magistra (15Mai 1961):Als 53(1961)440; Enzyklika Pacem in Terris (11-April 1963), Teil IV: AAS 55 (1963) 291-296; PAUL VI., Apostolisches Schreiben Octogesima Adveniens (14. Mai 1971), 2-4: ÄAS 63 (1971) 402-404. </ref> und besonders derjenigen, an die wir hier gerade erinnern,<ref>Vgl. Enzyklika Populorum Progressio, 3; 9: a.a.O., 5.258; 261. </ref> öffnen. Es wird deshalb nicht überflüssig sein, deren Themen und charakteristische Weisungen, die das Lehramt in diesen Jahren aufgegriffen hat, in diesem Licht erneut zu überprüfen und zu vertiefen.

Ich möchte hier auf eines davon besonders hinweisen: auf die Option vorrangige Liebe für die Armen. Dies ist eine Option oder ein besonderer Vorrang in der Weise, wie die christliche Liebe ausgeübt wird; eine solche Option wird von der ganzen Tradition der Kirche bezeugt. Sie bezieht sich auf das Leben eines jeden Christen, insofern er dem Leben Christi nachfolgt; sie gilt aber gleichermaßen für unsere sozialen Verpflichtungen und daher auch für unseren Lebensstil sowie für die entsprechenden Entscheidungen die hinsichtlich des Eigentums und des Gebrauchs der Güter zu treffen sind.

Heute muss angesichts der weltweiten Bedeutung, die die Soziale Frage erlangt hat,<ref>Ebd., 3: a.a.O., S. 258. </ref> diese vorrangige Liebe mit den von ihr inspirierten Entscheidungen die unzähligen Scharen von Hungernden, Bettlern, Obdachlosen, Menschen ohne medizinische Hilfe und vor allem ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft umfassen: Es ist unmöglich, die Existenz dieser Menschengruppen nicht zur Kenntnis zu nehmen. An ihnen vorbeizusehen würde bedeuten, dass wir dem "reichen Prasser" gleichen, der so tat, als kenne er den Bettler Lazarus nicht, "der vor seiner Tür lag" (vgl. Lk 16, 19-31).<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 47: a.a.O., 8.280; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März1986), 68:445 19 (1987) 583 f. </ref>

Unser tägliches Leben wie auch unsere Entscheidungen in Politik und Wirtschaft müssen von diesen Gegebenheiten geprägt sein. In gleicher Weise dürfen die Verantwortlichen der Nationen und internationalen Einrichtungen, die ja verpflichtet sind, die wahre menschliche Dimension immer an die erste Stelle ihrer Programme zu setzen, nicht vergessen, dem Phänomen der wachsenden Armut Vorrang zu geben. Anstatt abzunehmen, vervielfacht sieh leider die Zahl der Armen, nicht nur in den weniger entwickelten, sondern auch, was ebenso skandalös erscheint, in den stärker entwickelten Ländern.

Man muss sich noch einmal das kennzeichnende Prinzip der christlichen Soziallehre vergegenwärtigen: Die Güter dieser Welt sind ursprünglich für alle bestimmt.<ref>Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 69; PAUL VI., Enzyklika Populorum Progressio, 22; a.a.O., S. 268; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 90: AAS 79 (1987) 594; THOMAS VON AQUIN, Summa Theol. IIa IIae, q. 66, art. 2. </ref> Das Recht auf Privateigentum ist gültig und notwendig; es entwertet aber dieses Prinzip nicht: Auf ihm liegt in der Tat eine "soziale Hypothek",<ref>Vgl. Eröffnungsrede bei der Dritten Generalkonferenz der Lateinamerikanischen Bischöfe (28. Januar 1979): AAS 71(1979) 189-196; Ansprache an eine Gruppe von polnischen Bischöfen zum Adlimina-Besuch (17. Dezember 1987), 6: L'Osservatore Romano, 18. Dezember 1987. </ref> das heißt, darin erkennt man eine soziale Funktion als innere Qualität, die genau auf dem Prinzip der allgemeinen Bestimmung der Güter gründet und von dorther gerechtfertigt ist. Auch darf man bei diesem Einsatz für die Armen jene besondere Form der Armut nicht vergessen, wie sie der Entzug der Grundrechte der Person, insbesondere des Rechtes auf Religionsfreiheit bis zum Recht auf freie wirtschaftliche Initiative, darstellt.

43. Die aufrüttelnde Sorge für die Armen - die nach einer aufschlussreichen Formulierung "die Armen des Herrn"<ref>Denn der Herr wollte sich mit ihnen identifizieren (Mt 25, 31-46) und nahm sich in besonderer Weise ihrer an (vgl. Ps 12, 6; Lk 1, 52 f.). </ref> sind - muss auf allen Ebenen in konkrete Taten einmünden, bis schließlich eine Reihe von notwendigen Reformen mit Entschlossenheit erreicht ist. Es hängt von den einzelnen örtlichen Situationen ab, die dringlichsten Reformen herauszufinden und die Art und Weise festzulegen, sie zu verwirklichen; man darf dabei aber nicht jene Reformen vergessen, die von der Situation des oben beschriebenen internationalen Ungleichgewichtes gefordert werden. Diesbezüglich möchte ich hier besonders erwähnen: die Reform des internationalen Handelssystems, das durch Protektionismus und einen wachsenden Hang zu zweiseitigen Vereinbarungen belastet ist; die Reform des Weltwährungs- und -finanzsystems, das heute als nicht ausreichend erkannt ist; die Frage des Transfers von Technologie und ihrer angemessenen Verwendung; die Notwendigkeit einer Überprüfung der Struktur der bestehenden internationalen Organisationen im Rahmen einer internationalen Rechtsordnung.

Das internationale Handelssystem diskriminiert heute oft die Produkte der in den Entwicklungsländern entstehenden Industrien, während es die Produzenten von Rohstoffen entmutigt. Es besteht unter anderem eine Art von internationaler Arbeitsteilung bei der die mit niedrigen Kosten hergestellten Produkte einiger Länder, in denen es keine wirksamen Arbeitsgesetze gibt oder die zu schwach sind, sie anzuwenden, in anderen Teilen der Welt mit beträchtlichen Gewinnen zugunsten der Firmen mit einem solchen Produktionssystem, das keine Grenzen kennt, verkauft werden.

Das Weltwährungs- und -finanzsystem ist heute gekennzeichnet durch eine übergroße Fluktuation der Wechselkurse und Zinssätze zum Schaden der Zahlungsbilanz und der Verschuldungssituation der armen Länder.

Der Technologietransfer bildet heute eines der Hauptprobleme des internationalen Austausches zusammen milden Schäden, die sich daraus ableiten. Nicht selten werden unterentwickelten Ländern notwendige Technologien verwehrt oder nutzlose angeboten. Die internationalen Organisationen scheinen nach Meinung vieler an einem Punkt ihrer Existenz zu stehen, an dem ihre Funktionsabläufe, die laufenden Kosten und ihre Wirksamkeit eine aufmerksame Prüfung und eventuelle Korrekturen erfordern. Offensichtlich wird ein so heikler Prozess nicht ohne die Mitarbeit aller verwirklicht werden können. Ersetzt die Überwindung der politischen Rivalitäten sowie den vollständigen Verzicht voraus, diese Organisationen, deren einzige Berechtigung das Gemeinwohl ist, missbrauchen zu wollen.

Die bestehenden Institutionen und Organisationen haben gut für die Völker gewirkt. Die Menschheit braucht jedoch heute, angesichts einer neuen und schwierigeren Phase ihrer echten Entwicklung, für den Dienst an den Gesellschaften, den Wirtschaften und den Kulturen der ganzen Welt einen höheren Grad internationaler Ordnung.

44. Die Entwicklung erfordert auf seiten der betroffenen Länder selbst vor allem Untemehmungsgeist.<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 55: a.a.O., S. 284: "Aber gerade diesen Männern und Frauen muss man helfen; sie muss man überzeugen, dass sie selbst ihr Vorankommen in die Hand nehmen und schrittweise die Mittel dazu erwerben müssen"; vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 86. </ref> Jedes Land muss nach seinen eigenen Verantwortlichkeiten handeln, ohne alles von den bessergestellten Ländern zu erhoffen, und in Zusammenarbeit mit den anderen, die in derselben Lage sind. Jedes Land muss den Raum der eigenen Freiheit, soweit wie möglich, entdecken und ausnutzen. Jedes sollte sich die Fähigkeit verschaffen zu Initiativen, die den eigenen sozialen Bedürfnissen entsprechen. Jedes sollte sich auch Rechenschaft geben über die wirklichen Bedürfnisse sowie über die Rechte und die Pflichten, durch die es gehalten ist, solche Bedürfnisse zu befriedigen. Die Entwicklung der Völker setzt ein und verwirklicht sich am besten, indem sich jedes einzelne Volk um die eigene Entwicklung in Zusammenarbeit mit den anderen bemüht.

Wichtig ist ferner, dass gerade auch die Entwicklungsländer die Selbstverwirklichung eines jeden Bürgers durch den Zugang zu einer höheren Kultur und zu einem freien Informationsfluß fördern. Alles, was der Alphabetisierung und der Grundausbildung, die jene vertieft und vervollständigt, nach den Vorschlägen der Enzyklika Populorum Progressio<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 35: a.a.O., S. 274: "Deshalb ist die Grundausbildung die erste Stufe eines Entwicklungsplanes". </ref> dienen kann - Ziele, die in so vielen Teilen der Welt noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt sind ist ein unmittelbarer Beitrag zu einer echten Entwicklung.

Um diesen Weg einzuschlagen, müssen diese Länder die eigenen Prioritäten ermitteln und die eigenen Bedürfnisse unter den besonderen Lebensbedingungen der Bevölkerung, in ihrer geographischen Umwelt und bei ihren kulturellen Traditionen erkennen.

Einige Nationen müssten die Nahrungsmittelproduktion steigern, um stets das Notwendige für die Ernährung und zum Leben zur Verfügung zu haben. Es gibt in der heutigen Welt - wo der Hunger so viele Opfer, besonders unter den Kindern, fordert - Beispiele von weniger stark entwickelten Nationen, denen es doch gelungen ist, das Ziel der Selbstversorgung in der Ernährung zu erreichen und sogar Exportländer von Nahrungsmitteln zu werden.

Andere Nationen brauchen die Reform einiger ungerechter Strukturen und insbesondere der eigenen politischen Institutionen, um korrupte, diktatorische und autoritäre Regime durch demokratische Ordnungen der Mitbeteiligung zu ersetzen. Das ist ein Prozess, von dem wir wünschen, dass er sich ausbreite und verstärke; denn die "Gesundheit" einer politischen Gemeinschaft - insofern sie sich ausdrückt in der freien und verantwortlichen Teilnahme aller Bürger am öffentlichen Leben, in der Rechtssicherheit sowie in der Achtung und Förderung der Menschenrechte - ist die notwendige Bedingung und sichere Garantie der Entwicklung "jedes Menschen und aller Menschen".

45. Das hier Ausgeführte kann nicht verwirklicht werden ohne die Zusammenarbeit aller, besonders der internationalen Gemeinschaft, und im Rahmen einer Solidarität, die alle umfasst, angefangen bei denen, die am äußersten Rande stehen. Aber gerade auch die Entwicklungsländer haben die Pflicht, Solidarität unter sich selbst und mit den am meisten betroffenen Ländern der Welt zu üben.

Wünschenswert ist zum Beispiel, dass Nationen derselben geographischen Zone Formen der Zusammenarbeit vereinbaren, die sie von mächtigeren Produzenten weniger abhängig machen; dass sie ihre Grenzen für die Produkte der eigenen Zone öffnen und die eventuelle Ergänzungsfähigkeit ihrer Produkte überprüfen; dass sie sich zusammenschließen, um sich Dienstleistungen zu schaffen, die der einzelne allein nicht bereitstellen kann; und dass sie die Zusammenarbeit auf den Währungs- und Finanzbereich ausdehnen.

Die wechselseitige Abhängigkeit ist in vielen dieser Länder bereits eine Wirklichkeit. Sie anzuerkennen, um sie noch wirkungsvoller zu machen, stellt eine Alternative zur übermäßigen Abhängigkeit von den reicheren und mächtigeren Ländern im Sinne der erwünschten Entwicklung dar, ohne sich gegen jemanden zu stellen, sondern nur, um die eigenen Möglichkeiten weitestgehend zu entdecken und auszuschöpfen. Die Entwicklungsländer derselben geographischen Zone können und müssen - wie bereits mit verheißungsvollen Ergebnissen begonnen - neue regionale Organisationen aufbauen, die sich an den Kriterien von Gleichheit, Freiheit und Mitbeteiligung im Verbund der Nationen ausrichten.

Die universale Solidarität erfordert als unerlässliche Voraussetzung die Autonomie und freie Verfügbarkeit über sich selbst, auch im Innern solcher Zusammenschlüsse, wie sie eben genannt wurden. Zugleich aber fordert sie die Bereitschaft, die notwendigen Opfer für das Wohl der ganzen Weltgemeinschaft aufsichzunehmen.

VII. SCHLUSS

46. Völker und Einzelpersonen trachten nach der eigenen Befreiung: Die Suche nach ihrer vollen Entwicklung ist Zeichen ihrer Sehnsucht, die vielfältigen Hindernisse zu überwinden, die sie daran hindern, ein "menschlicheres Leben" zu führen.

In den letzten Jahren, im Zeitraum nach der Veröffentlichung der Enzyklika Populorum Progressio, hat sich in einigen Bereichen der katholischen Kirche, besonders in Lateinamerika, eine neue Weise verbreitet, die Probleme des Elends und der Unterentwicklung anzugehen; sie erhebt die Befreiung zur Grundkategorie und zum ersten Handlungsprinzip. Die positiven Werte, aber auch die Fehlentwicklungen und die Gefahren, die mit dieser Form theologischer Reflexion und Arbeit verbunden sind, hat das kirchliche Lehramt in entsprechender Weise aufgezeigt.<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung" Libertatis Nuntius (6. August 1984), Einführung: AAS 76 (1984) 876 f. </ref>

Es ist richtig hinzuzufügen, dass Streben nach Befreiung von jeder Form der Knechtschaft von Mensch und Gesellschaft ein edles und berechtigtes Anliegen ist. Darauf zielt gerade die Entwicklung hin oder, besser gesagt, die Befreiung und Entwicklung, wenn man die enge Verbindung zwischen diesen beiden Vorgängen berücksichtigt.

Eine rein wirtschaftliche Entwicklung vermag den Menschen nicht zu befreien; im Gegenteil, sie versklavt ihn schließlich nur noch mehr. Eine Entwicklung, die nicht die kulturelle, transzendente und religiöse Dimension der Menschen und der Gesellschaft umfasst, trägt in dem Maße, wie sie die Existenz solcher Dimensionen nicht anerkennt und die eigenen Ziele und Prioritäten nicht an ihnen ausrichtet, noch weniger zu einer echten Befreiung bei. Die menschliche Person ist nur dann ganz frei, wenn sie zu sich selbst gekommen ist und in der Fülle ihrer Rechte und Pflichten lebt; dasselbe lässt sich von der Gesellschaft als Ganzer sagen.

Das Haupthindernis, das es für eine wahre Befreiung zu überwinden gilt, sind die Sünde und die Strukturen, die sie schrittweise hervorbringt, wenn sie sich vermehrt und ausbreitet.<ref>Vgl. Apostolisches Schreiben Reconciliatio et Paenitentia (2. Dezember 1984), 16: AAS 77 (1985) 213-217; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 38; 42: AAS 79 (1987) 569; 571. </ref>

Die Freiheit, "zu der Christus uns befreit hat" (vgl. Gal 5,1), spornt an, uns zu Dienern aller zu bekehren. So konkretisiert sich der Weg der Entwicklung und der Befreiung in der Übung von Solidarität oder in Taten der Liebe und des Dienstes am Nächsten, besonders an den Ärmsten: "Denn wo die Wahrheit und die Liebe fehlen, endet der Befreiungsprozess im Tod einer Freiheit, die jede Stütze verloren hat".<ref>Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die christliche Freiheit und die Befreiung Libertatis Conscientia (22. März 1986), 24: AAS 79 (1987) 564. </ref>

47. Im Rahmen der traurigen Erfahrungen der letzten Jahre und des gegenwärtigen vorwiegend negativen Bildes muss die Kirche die Möglichkeit der Überwindung der Hindernisse, die sich der Entwicklung durch ein Zuviel oder ein Zuwenig entgegenstellen, sowie die Hoffnung auf eine echte Befreiung mit ganzer Kraft betonen. Diese Hoffnung und diese Möglichkeit gründen letztlich im Wissen um jene göttliche Verheißung, die dafür garantiert, dass die gegenwärtige Geschichte nicht in sich selbst geschlossen bleibt, sondern offen ist für das Reich Gottes.

Die Kirche hat Vertrauen auch zum Menschen, obwohl sie auch die Bosheit kennt, zu derer fähig ist; denn sie weiß, dass - trotz der Erbsünde und der Sünden, die ein jeder begehen kann - in der menschlichen Person ausreichende Qualitäten und Energien vorhanden sind und es in ihr ein fundamentales "Gutsein" (vgl. Gen 1,31) gibt, weil der Mensch Ebenbild des Schöpfers ist und im Einfluss des erlösenden Wirkens Christi steht, der ,jedem Menschen nahe ist",<ref>Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et Spes, 22; JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptor Hominis (4. März 1979), 8: AAS 71 (1979) 272. </ref> und weil das mächtige Wirken des Heiligen Geistes "die Erde erfüllt" (Weish 1,7).

Weder Verzweiflung noch Pessimismus oder Passivität sind deshalb zu rechtfertigen. Auch wenn es bitter klingt, muss man sagen, dass man, wie durch Egoismus und übersteigertes Verlangen nach Gewinn und Macht, angesichts der bedrängenden Nöte von ungezählten Menschen im Bereich der Unterentwicklung auch durch Angst, Unentschlossenheit und im Grunde durch Feigheit sündigen kann. Und wir sind alle aufgerufen und sogar verpflichtet, uns der furchtbaren Herausforderung des letzten Jahrzehntes des zweiten Jahrtausends zu stellen; und das auch weil die andrängenden Gefahren alle bedrohen: eine Weltwirtschaftskrise, ein Krieg ohne Grenzen, ohne Sieger und Besiegte. Angesichts einer solchen Bedrohung gilt die Unterscheidung zwischen reichen und armen Personen oder Ländern wenig wenn auch die größere Verantwortung bei dem liegt, der mehr hat und mehr kann.

Aber eine solche Motivation ist weder die einzige noch die hauptsächliche. Auf dem Spiel steht vielmehr die Würde der menschlichen Person, deren Verteidigung und Förderung uns vom Schöpfer anvertraut ist und deren verantwortliche Schuldner in strenger Weise alle Männer und Frauen in jeder Lage der Geschichte sind. Das heutige Weltbild scheint dieser Würde nicht zu entsprechen, wie bereits viele mehr oder weniger klar erkennen. Jeder ist aufgerufen, seinen Platz in diesem friedlichen Kampf einzunehmen, den es mit friedlichen Mitteln zu führen gilt, um die Entwicklung zusammen mit dem Frieden zu erreichen sowie auch die Natur selbst und unsere Umwelt zu retten. Auch die Kirche fühlt sich ganz und gar auf diesen Weg gesandt, auf dessen glücklichen Ausgang sie hofft.

Deshalb möchte ich mich nach dem Beispiel von Papst Paul VI. in seiner Enzyklika Populorum Progressio<ref>Enzyklika Populorum Progressio, 5: a.a.O., S.259: "Wir sind der Meinung, dass sie (die Päpstliche Kommission Justitia et Pax) mit Unseren katholischen Söhnen und den christlichen Brüdern alle Menschen guten Willen vereinen kann und soll": vgl. auch 81-83, 87: a.a.O. S. 296-298; 299 </ref> schlicht und demütig an alle wenden, an Männer und Frauen ohne Ausnahme, dass sie, überzeugt vom Ernst des gegenwärtigen Augenblickes und der jeweiligen Verantwortung eines jeden - mit ihrem persönlichen und familiären Lebensstil, durch die Art des Gebrauchs ihrer Güter, durch ihr Mitwirken als Bürger, mit ihrem Beitrag zu den wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen und mit ihrem Einsatz auf nationaler und internationaler Ebene - die von Solidarität und vorrangiger Liebe zu den Armen inspirierten Maßnahmen verwirklichen. So fordert es der Augenblick, und so fordert es vor allem die Würde der menschlichen Person, unzerstörbares Ebenbild des Schöpfers, identisch in einem jeden von uns.

In diesem Einsatz müssen die Söhne und Töchter der Kirche Beispiel und Leitbild sein, da sie nach dem Programm, das Jesus selbst in der Synagoge von Nazaret verkündet hat, dazu berufen sind, "den Armen eine gute Nachricht zu bringen, ... den Gefangenen die Entlassung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht, ... die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen und auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn" (Lk 4~849). Man muss hierbei die den Laien, Männern und Frauen, vorwiegend übertragene Rolle unterstreichen, wie es bei der kürzlich beendeten Synodenversammlung erneut ausgesprochen wurde. Ihnen kommt es zu, mit christlichem Engagement die irdischen Bereiche zu beleben und sich darin als Zeugen und Mitarbeiter des Friedens und der Gerechtigkeit zu erweisen.

Im besonderen möchte ich mich an alle wenden, die durch das Sakrament der Taufe und dasselbe Glaubensbekenntnis an einer wahren, wenn auch noch unvollkommenen, Gemeinschaft mit uns teilhaben. Ich bin sicher, dass die Sorge der dieses Schreiben Ausdruck gibt, wie auch die Motivationen, die es beseelen, ihnen vertraut sein werden, weil sie vom Evangelium Jesu Christi inspiriert sind. Wir können darin eine neue Einladung finden, einstimmig Zeugnis zu geben von unseren gemeinsamen Überzeugungen über die Würde des Menschen, der von Gott erschaffen, von Christus erlöst, vom Heiligen Geist geheiligt und in diese Welt gerufen ist, um hier ein Leben zu führen, das dieser Würde entspricht.

Ich richte diesen Aufruf in gleicher Weise an jene, die mit uns das Erbe Abrahams, "unseres Vaters im Glauben" (vgl. Röm 4,11 f.),<ref>Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen Nostra Aetate, 4. </ref> und die Tradition des Alten Testamentes teilen, die Juden also, sowie an jene, die wie wir an den gerechten und barmherzigen Gott glauben, die Moslems, und richte ihn ebenso an alle Anhänger der großen Weltreligionen. Die Begegnung vom 27. Oktober des vergangenen Jahres in Assisi, der Stadt des hl. Franziskus, um zu beten und sich für den Frieden zu engagieren - ein jeder in Treue zu seinem eigenen religiösen Bekenntnis -, hat allen gezeigt, wie sehr der Friede und, als seine notwendige Bedingung, die Entwicklung eines "jeden Menschen und aller Menschen" auch ein religiöse Frage sind und wie die volle Verwirklichung beider von der Treue zu unserer Berufung als gläubige Männer und Frauen abhängt, weil sie eben zuallererst von Gott abhängt.

48. Die Kirche weiß wohl, dass kein zeitliches Werk mit dem Reich Gottes gleichzusetzen ist, sondern alle Werke nur ein Spiegelbild und in einem gewissen Sinne eine Vorwegnahme der Herrlichkeit jenes Reiches darstellen, das wir am Ende der Geschichte erwarten, wenn der Herr wiederkommt. Aber diese Erwartung dürfte niemals eine Entschuldigung dafür sein, sich nicht für die Menschen in ihrer konkreten persönlichen Lage und ihrem gesellschaftlichen Leben zu interessieren, und dies auf nationaler wie auf internationaler Ebene; denn diese beeinflusst jene, vor allem heute.

Nichts von dem, was man durch die solidarische Anstrengung aller und mit Hilfe der Gnade Gottes in einem bestimmten Augenblick der Geschichte verwirklichen kann und muss - auch wenn es unvollkommen und nur vorläufig ist -, um das Leben der Menschen "menschlicher" zu gestalten, wird verloren oder vergeblich sein. Das lehrt uns das II. Vatikanische Konzil in einem wunderbaren Text der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes: "Alle guten Erträgnisse der Natur und unserer Bemühungen nämlich, die Güter menschlicher Würde, brüderlicher Gemeinschaft und der Freiheit müssen im Geist des Herrn und gemäß seinem Gebot auf Erden gemehrt werden; dann werden wir sie wiederfinden, gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt, dann nämlich, wenn Christus dem Vater "ein ewiges, allumfassendes Reich übergeben wird ...". Hier auf Erden ist das Reich schon im Geheimnis da".<ref> Gaudium et Spes. 39. </ref>

Das Gottesreich wird heute besonders gegenwärtig in der Feier des Sakramentes der heiligen Eucharistie, des Opfers des Herrn. In dieser Feier werden die "Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit" - Brot und Wein - auf geheimnisvolle, aber reale und substantielle Weise durch das Wirken des Heiligen Geistes und die Worte des Priesters in den Leib und das Blut des Herrn Jesus Christus verwandelt, des Sohnes Gottes und des Sohnes Marias, durch den das Reich des Vaters mitten unter uns gegenwärtig geworden ist. Die Früchte dieser Welt und das Werk unserer Hände - Brot und Wein - dienen dem Kommen des endgültigen Reiches, da der Herr sie durch seinen Geist in seine Person aufnimmt, um sich selbst und uns mit ihm in der Erneuerung seines einzigen Opfers dem Vater darzubieten, welches das Gottesreich vorwegnimmt und sein endgültiges Kommen ankündigt.

Durch die Eucharistie als Sakrament und Opfer vereinigt uni so der Herr mit sich selbst und untereinander mit einem stärkeren Band als jede rein natürliche Einigung und, so geeint, sendet er uns in die ganze Welt, um mit Glauben und Werken von Gottes Liebe Zeugnis zu geben, wodurch er das Kommen seines Reiches vorbereitet und, wenn auch in den Schatten der Zeit, vorwegnimmt.

Wir alle, die an der hl. Eucharistie teilnehmen, sind dazu aufgerufen, durch dieses Sakrament den tieferen Sinn unseres Handelns in der Welt für Entwicklung und Frieden zu entdecken und hier die Kräfte zu empfangen, um uns immer großherziger nach dem Beispiel Christi, der in diesem Sakrament "stets das Leben für seine Freunde gibt" (vgl. Joh 15,13), einzusetzen. Unser persönliches Engagement wird wie dasjenige Christi und nach dem Maß seiner Einheit mit dem seinigen nicht nutzlos, sondern ganz gewiss fruchtbar sein.

49. In diesem Marianischen Jahr; das ich ausgerufen habe, damit die katholischen Gläubigen immer mehr auf Maria schauen, die uns auf der Pilgerschaft des Glaubens vorangeht<ref>Vgl. II. VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen Gentium, 58: JOHANNES PAUL II., Enzyklika Redemptoris Mater (25. März 1987), 5-6: AAS 79 (1987) 365-367. </ref> und mit mütterlicher Sorge bei ihrem Sohn, unserem Erlöser, für uns eintritt, möchte ich ihr und ihrer Fürsprache den schwierigen Augenblick der heutigen Welt anvertrauen sowie die Anstrengungen, die man oft unter großen Opfern macht und noch machen wird, um zu einer wahren Entwicklung der Völker beizutragen, wie sie von meinem Vorgänger Papst Paul VI. vorgestellt und verkündet worden ist.

Wie die christliche Frömmigkeit es immer getan hat, empfehlen wir der Allerseligsten Jungfrau die schwierigen Situationen der einzelnen, damit sie diese ihrem Sohne vorlege und von ihm erreiche, dass sie erleichtert und verändert werden. Aber ebenso unterbreiten wir ihr auch die gesellschaftlichen Situationen und die internationale Krise selbst mit ihren beunruhigenden Aspekten von Elend, Arbeitslosigkeit, Ernährungsmangel, Rüstungswettlauf, Mißachtung der Menschenrechte, Situationen oder Gefahren von begrenzten oder totalen Konflikten. All dies wollen wir mit kindlichem Vertrauen vor ihre "barmherzigen Augen" stellen, wobei wir noch einmal in Glaube und Hoffnung die alte marianische Antiphon beten: "Heilige Gottesmutter, verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten, sondern errette uns jederzeit aus allen Gefahren, o du glorwürdige und gebenedeite Jungfrau".

Die allerseligste Jungfrau Maria, unsere Mutter und Königin, ist jene, die sich an ihren Sohn wendet und sagt: "Sie haben keinen Wein mehr" (Joh 2, 3), und sie ist es auch, die Gott, den Vater, preist, weil "er die Mächtigen vom Thron stürzt und die Niedrigen erhöht, die Hungernden mit seinen Gaben sättigt und die Reichen leer ausgehen lässt" (Lk 1,52-53). Ihre mütterliche Sorge gilt den persönlichen und sozialen Aspekten des menschlichen Lebens auf der Erde.<ref>Vgl. PAUL VI., Apostolisches Schreiben Marialis Cultus (2. Februar 1974), 37:AAS 66 (1974) 148 f.; JOHANNES PAUL II., Homilie im Heiligtum Unserer Lieben Frau von Zapopan, Mexiko (30. Januar 1979), 4: AAS 77 (1979) 230. </ref>

Vor der Allerheiligsten Dreifaltigkeit vertraue ich Maria alles an, was ich in dieser Enzyklika dargelegt habe und lade alle ein, darüber nachzudenken und sich mit Taten für die Förderung der wahren Entwicklung der Völker einzusetzen, wie es auf so deutliche Weise das Tagesgebet der gleichnamigen Messe ausdrückt: "Allmächtiger Gott, du hast die vielen Völker durch gemeinsamen Ursprung miteinander verbunden und willst, dass sie eine Menschheitsfamilie bilden. Die Güter der Erde hast du für alle bereitgestellt. Gib, dass die Menschen einander achten und lieben und dem Verlangen ihrer Brüder nach Gerechtigkeit und Fortschritt entgegenkommen. Hilf jedem, seine Anlagen recht zu entfalten. Laß uns alle Trennung nach Rasse, Volk und Stand überwinden, damit in der menschlichen Gesellschaft Recht und Gerechtigkeit herrschen".<ref>Tagesgebet der Messe "Für den Fortschritt der Völker": Missale Romanum ed. tip. altera (1975) 820. </ref>

Das erbitte ich zum Schluss im Namen aller Brüder und Schwestern, denen ich zum Zeichen des Grußes und Güter Wünsche meinen besonderen Segen erteile.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 30. Dezember 1987,

im 10. Jahr meines Pontifikates.

Johannes Paul II.

Anmerkungen

<references />

Weblinks