Heinrich Seuse: Büchlein der Ewigen Weisheit

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Büchlein der Ewigen Weisheit

Histoire d'une âme écrite par elle-même

Heinrich Seuse OP

Quelle: Heinrich Seuse, Büchlein der Ewigen Weisheit, Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen und Einleitung von Paul Mons, Johann Josef Zimmer Verlag GmbH Trier 1968 (Erste Auflage, Imprimatur. N. 47/68. Treveris, die 20 m. Aprilis 1968 Dr. Hofmann, Vicarius Generalis; bei der Digitalisierung wurde Minne mit Liebe übersetzt).

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil: Vorspruch: Hier fängt an das andere Büchlein

Ein Prediger stand einmal nach der Mette vor einem Kruzifix und führte Klage zu Gott, dass er über Marter und Leiden des Herrn nicht zu betrachten vermöge und dass ihm das sehr bitter ankam. Denn das hatte ihm bis dahin viel Kummer gemacht. Als er so seine Klage vortrug, gerieten seine inneren Sinne in eine ungewöhnliche Verzückung, schnell und klar ging ihm eine Erleuchtung auf. Nämlich: "Du sollst hundertmal den Niederfall (Venien) machen und jeden mit einer anderen Betrachtung meines Leidens und jede Betrachtung mit einer Bitte. Jedes Erleiden soll dir geistlich so eingeprägt werden, dass du es, sofern möglich, für mich wiedererleiden willst. "

Wie er so in der Verzückung stand und zählen wollte, kam er nicht höher als auf neunzig. Da sagte er zu Gott: "Lieber Herr, du hattest hundert gemeint, und ich komme nur auf neunzig." Da ward er auf die zehn verwiesen, die er zuvor im Kapitelsaal getan hatte, bevor er, wie gewohnt, das Hinausführen in den Tod gleichnishaft nachvollzogen hatte und daher unter das Kruzifix getreten war. Da fand er, dass des Herrn bitterer Tod von Anfang bis zum Ende in die hundert Betrachtungen ganz einbezogen war. Als er sich nun darangab zu tun, wie er unterwiesen war, da kehrte sich die anfängliche Härte in süße Liebe.

Nun wünschte er sich, falls jemand an der gleichen Not litte, wegen der Härte und Bitternis das nimmerreiche Leiden des Herrn zu betrachten, was ja lauter Seligkeit ist, dass dem auch Hilfe werde. Dass er sich hierin übe und nicht nachließe, bis er geheilt sei. Dazu zeichnete er die Betrachtungen auf, und zwar in deutscher Sprache, weil sie ihm auch so von Gott eingegeben waren.

So kamen ihm manche Erleuchtungen über göttliche Wahrheiten aufgrund der Übungen. Er kostete das Liebkosen mit der Ewigen Weisheit, und das war kein Liebkosen dem Leibe nach noch mit einer Antwort in Bildern; es geschah allein beim Betrachten gemäß dem Licht der Heiligen Schrift. Ihre Antwort kann ja nicht trügen, da sie entweder aus dem Munde der Ewigen Weisheit stammt, die sie selber sprach im Evangelium, oder von den höchsten Lehrern. Sie begreifen in sich die gleichen Worte oder denselben Sinn oder aber solche Wahrheit, die auch dem Sinn, in dem die Ewige Weisheit sprach, ausgerichtet ist.

Die nachfolgenden Gesichte geschahen auch nicht dem Leibe nach, sie sind nur Auslegung und Gleichnis.

Die Antwort auf Unserer Lieben Frau Klage hat er sinngemäß mitgeteilt nach Worten Sankt Bernhards. Er legt die Lehre in Frageform vor, damit sie gewinnender erscheine, nicht um selbst als Autor da zu stehen. Er möchte damit einen allgemeinen Hinweis geben, dass solcherweise er und mit ihm alle Menschen finden könnten, was einem jeden zukommt. Er spricht, wie ein Lehrer tun soll in eines jeden Namen: jetzt als Sünder, dann wie ein Vollendeter, bald in Bildern der liebenden Seele, bald wie es der Stoff ergibt als Diener, mit dem die Ewige Weisheit redet.

Fast alles ist hier in dunkler Weise ausgelegt. Vieles steht da als eine Art Lehre, daraus ein beflissener Mensch für Andacht und Gebet auswählen soll.

Die Gedanken, die hier stehen, sind schlicht, die Worte sind einfältig, sie kommen aus einer schlichten Seele und sind einfältigen Menschen zugedacht, die noch Fehler abzulegen haben.

Es geschah: Als derselbe Bruder begonnen hatte zu schreiben, vom Leiden, von der Nachfolge und was noch dasteht, diesen Drei, und an die Stelle gekommen war, die von der Reue handelt: "Wohlan, meine Seele ... etc." (Hauptstück fünf), da überfiel ihn ein gewisses Unbehagen.

An einem Mittag saß er in einem Stuhl gelehnt, da wurde ihm im Schlafe eine Erleuchtung: Wie zwei Schuldner im geistlichen Gewande vor ihm saßen und er sie anherrschte, weil sie müßig dasäßen und sich nicht einübten. Da ward ihm zu verstehen gegeben, er solle ihnen eine Nadel einfädeln, die ihm zuhand gereicht wurde. Der Faden war dreiteilig, zwei Teile waren klein, der dritte ein wenig größer (nach Bihlmeyer eine Anspielung auf das Buch). Als er die drei Teile zusammendrehen wollte (wie beim Einfädeln), da ging es ihm nicht von der Hand. Da sieht er rechter Hand vor sich unseren lieben Herrn stehen, wie er von der Geißelsäule genommen wird. Er stand vor ihm väterlich gütig, dass er glaubte, er sei sein Vater.

Er nahm wahr: sein zarter Leib hatte eine natürliche Farbe, er war nicht gerade weiß, sondern weizenfarben, das heißt, weiß mit rot gemischt, also die natürlichste Farbe.

Er nahm wahr: sein Leib war voller Wunden, die Wunden waren frisch und blutig, einige rund, andere eckig, andere länglich, wie sie die Geißeln gezogen hatten.

Wie der Herr so inniglich vor ihm stand und ihn so gütig ansah, hob der Prediger seine Hände, fuhr an seinen blutigen Wunden hin und wieder ... Dann nahm er die drei Teile des Fadens und drehte sie geschwind ineinander. Da war ihm die Kraft gegeben, er verstand es so, dass er das Werk vollbringen sollte, und dass der Herr mit dem rosafarbenen Gewande, das aus seinen Wunden lieb gewirkt ist, jene in ewige Schönheit kleiden wolle, die hier ihre Stunden damit vertrieben.

Eines soll man wissen: so ungleich es ist, ein süßes Saitenspiel selber süß erklingen hören gegenüber dem, nur davon sprechen hören, so ungleich sind die Worte, die in lauterer Gnade empfangen werden und aus lebendigem Herzen, lebendig geformt durch den Mund, ausfließen - so im Vergleich sind die Worte, wenn sie auf das tote Papier kommen (zumal in deutscher Zunge). Sie erkalten, ich weiß nicht wie, sie verwelken wie abgerissene Rosen ... denn die Weise der Freude, die mehr als anderes das Herz des Menschen anspricht, kommt zum Erlöschen, so werden sie dürr von dürren Herzen aufgenommen. Sprach eine Saite noch so süß an: spann sie auf ein dürres Scheit, sie verstummt.

Eine liebereiche Sprache kann ein liebearmes Herz ebensowenig verstehen, wie ein Deutscher einen Ausländer. Darum soll ein beflissener Mensch dem Quell dieser süßen Lehre nachforschen, dass er sie finde im Ursprung, wo sie in ihrer Lebendigkeit, ihrer Wonne und Schönheit ausströmt. Und das ist das Einströmen der gegenwärtigen Gnade, in dem die toten Herzen erquickt werden.

Wer es also ansieht, der kann kaum darüber weglesen, sein Herz muss innerlich bewegt werden entweder zur Liebe und Innerlichkeit oder zu neuem Licht, zur Sehnsucht nach Gott und zum Missbehagen am Sündigen, zu manchem Heimweh im Geiste, das die Seele in Gnaden erneuert.

Hier hat der Prolog, die Vorrede zu diesem Büchlein, ein Ende.

I. Wie manche Menschen von Gott gezogen werden, ohne es zu wissen

Hanc amavi et exquisivi a iuventute mea et quaesivi mihi sponsam assumere.

Diese Worte stehen im Buche der Weisheit (Weish 8, 2). Sie sind gesprochen von der herrlichen, liebevollen Ewigen Weisheit und heißen zu Deutsch: "Diese habe ich geminnt und gesucht seit jungen Jahren, sie habe ich mir auserkoren zur Gemahlin."

Ein unstetes Herz hatte sich in seiner ersten Entfernung ins Äußere, in Zersplitterung verloren. Da begegnete ihm die Ewige Weisheit in einem unaussprechbaren geistlichen Gesicht. Sie zog ihn durch Süß und Sauer, bis sie ihn auf den rechten Weg der göttlichen Wahrheit brachte. Als er sich recht bedachte, wie er wunderbar war geleitet worden, sprach er zu Gott also: "Geliebter, guter Herr, mein Herz hat von Kindestagen an etwas gesucht mit heißem Durst. Was das sei, Herr, habe ich noch nicht ganz begriffen. Ich bin dem manches Jahr mit Leidenschaft nachgegangen, Herr, aber ich konnte es noch nicht gut fassen. Denn ich weiß nicht recht, was es ist. Und ist doch etwas, was mir Herz und Seele anzieht, ohne das ich nicht zur Ruhe kommen kann. Ich wollte es, Herr, in den ersten Kindestagen suchen, wie ich es sah im Wirken der Schöpfung, aber je mehr ich suchte, desto weniger fand ich, je näher ich hinging, desto mehr war ich fern. Denn von einem jeden Bild, das mich traf, kam mir, noch bevor ich es ganz auskostete oder mich ihm mit Ruhe hingab, die innere Einsicht: ,Das ist nicht das, was du suchst.' Dieses Davoneilen ist mir je und je in allen Dingen begegnet.

Herr, nun brennt mein Herz erst recht darauf. Denn es hätte es gerne. Es hat zu oft empfunden, was es nicht ist. Herr, was es aber ist, das ist ihm noch verschlossen. O, geliebter Herr im Himmel, was ist es? Oder wie ist es beschaffen, was im geheimen in mir spielt?"

Antwort der Ewigen Weisheit: Erkennst du es nicht?

Es hält dich doch lieb umfangen, es hat dir den Weg ganz verbaut, dass es dich für sich allein genommen hat.

Der Diener: Herr, ich sah es nie, ich hörte es nicht, ich weiß nicht, was es ist.

Antwort der Ewigen Weisheit: Das ist nichts Unrechtes. Die Vertrautheit mit den Geschöpfen und das Fernsein von ihm, die tragen die Schuld daran. Aber jetzt öffne das innere Auge und sieh, wer ich bin. Ich bin es, die Ewige Weisheit, ich habe dich von Ewigkeit mir selber auserkoren im Qalten meiner ewigen Vorsehung.

Ich habe dir jeweils den Weg verlegt, so oft du dabei warst, dich von mir zu sondern, hätte ich dich gehen lassen. Du fandest in allen Dingen immer etwas Widerstand. Das ist das Gewährzeichen für meine Auserwählten. Denn ich will sie für mich selber haben.

Der Diener; Herrliche, liebewerte Weisheit, und du bist es, was ich so lange suchte? Du bist es, um den mein Herz je und je rang? O Gott, warum hast du dich mir nicht schon längst gezeigt? Du hast es gar lange aufgespart. Wie bin ich manchen mühseligen Weg hergezogen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Hätte ich das damals getan, so hättest du mich nicht so tief erkannt, wie du es jetzt erkennst, das Gute, das ich bin.

Der Diener: O, grundloses Gut, wie hast du mir deine Güte erwiesen! Ich war es nicht, du gabst mir das Sein. Ich hatte mich von dir gesondert, da hast du nicht von mir gelassen. Ich wollte vor dir fliehen, da hieltest du mich lieb gefangen. O, Ewige Weisheit, möchte mein Herz in tausend Stücke zerspringen und dich, mein Herzenswonn, umfangen und in ewiger Liebe und vollem Lob alle meine Tage mit dir verbringen - das wäre mein Herzenswunsch. Fürwahr, selig der Mensch, den du so liebevoll behütest, dass du ihm nie Ruhe gewährst, er suchte denn Ruhe in dir allein. (Vgl. Augustinus' "Bekenntnisse" 1,1: "Du hast uns Dir erschaffen, o Gott. Unruhig ist unser Herz, es ruhte denn in Dir.")

Du auserwählte, liebewerte Weisheit, ich habe in dir gefunden, den meine Seele liebt, so verschmähe nicht dein armes Geschöpf. Sieh an, mein Herz ist verstummt in Lieb und Leid von dieser Welt! Herr, soll mein Herz auch stumm vor dir bleiben? Gewähre Herr, gewähre meiner armen Seele, ein Wort zu dir zu sprechen. Mein Herz fließt über und kann nicht mehr an sich halten. Es hat in dieser weiten Welt niemand, dem es sich eröffnen mag als dich herrlicher, auserkorener, lieber Herr und Bruder. Herr, du siehst und kennst allein die Natur eines liebevollen Herzens: Keiner kann lieben, was ihm unbekannt bleibt. Darum: seit ich dich allein lieben soll, so gib dich mir besser zu erkennen, damit ich dich voll lieben kann.

Antwort der Ewigen Weisheit: Alle Wesen sind aus ihrem ersten Ursprung (Gott dem Schöpfer) ausgeflossen. Man nimmt an, nach natürlicher Ordnung, vom Edelsten zum Niedrigsten. Der Rückfluss aber - alle Dinge müssen zu ihrem Ursprung zurückfließen - vollzieht sich vom Niedrigsten zum Höchsten. Willst du mich darum schauen in meiner ungewordenen Gottheit, so sollst du mich hier kennen und lieben lernen in meiner leidenden Menschheit. Das ist der schnellste Weg zur ewigen Seligkeit.

Der Diener: Herr, so erinnere ich dich heute an die grundlose Liebe, dich vom hohen Thron, dem königlichen Sitz am Herzen des Vaters, herabzulassen in Schmach und Elend durch 33 Jahre.

Ich erinnere dich an die Liebe, die du zu mir und zu allen Menschen hattest, die du vor allem zeigtest in deinem bitteren Leiden und deinem grimmen Tod. Herr, lass dich erinnert sein: Du hast dich meiner Seele geistig gezeigt in der liebenswertesten Gestalt, wozu dich deine unermessliche Liebe je führte.

Antwort der Ewigen Weisheit: Je mehr von Liebe verzehrt und dem Tode nahe ich bin, desto liebenswerter erscheine ich dem geordneten Herzen. Meine grenzenlose Liebe offenbart sich in der großen Bitternis meines Leidens, wie die Sonne in wem Glast, wie die herrliche Rose in wem Duft, wie das Feuer in seiner flimmernden Hitze. - So höre denn mit Bedacht, wie herzinnig für dich gelitten worden ist.

II. Wie es vor dem Kreuzigen zuging

Nach dem Letzten Abendmahl, als ich mich auf dem Berg in mein Leiden und den grimmen Tod ergab, als ich gewahrte, dass er mir bevorstand, da brachen alle Ängste meines Herzens auf, alle Nöte meiner leiblichen Natur zerflossen in blutigen Schweiß. Ich wurde freventlich gefangen, stramm geschnürt, armselig abgeführt. Ich wurde in jener Nacht mit Ruten gestrichen, angespuckt, gelästert, die Augen wurden mir zugebunden, gegen Morgen vor Kaiphas verurteilt und des Todes für schuldig befunden.

Unsägliches Herzeleid erlitt meine Mutter, vom ersten Augenblick an, in dem sie mich in Nöten wusste bis hin zur Kreuzigung. - Ich wurde von falschen Anklägern schändlich dem Pilatus unterstellt und zu Tode verdammt. Sie standen mir gegenüber mit grässlichen Augen, zum Fürchten wie Riesen, ich stand vor ihnen als Lamm voller Sanftmut.

Ich, die Ewige Weisheit, wurde von Herodes im weißen Mantel als Narr verhöhnt, mein guter Leib wurde gar bitter von den frechen Geißelschlägern zerfurcht und zermürbt, mein zartes Haupt zerschunden und das liebenswerte Antlitz mit Speichel und Blut überzogen - so verurteilt, bin ich in Elend und Schande mit meinem Kreuz hinausgeführt worden in den Tod. Sie schrien mich an, grässlich zerriss es die Lüfte: "Henkt ihn, den Verbrecher, henkt ihn!"

Der Diener: Der Anfang ist bitter, wie soll das enden? Sähe ich vor mir ein wildes Tier so zugerichtet, ich könnte es kaum mit ansehen. Wie soll mir dann dein Leiden so regungslos durch Herz und Seele gehen?

Doch das, Herr, bringt mich zum Verwundern: Liebenswerter Herr, ich suche deine Gottheit, du gewährst mir deine Menschheit. Ich suche deine Süße, du bietest mir deine Bitterkeit. Ich suche wie ein Kind, du lehrst den Kampf. Herr, was meinst du damit?

Antwort der Ewigen Weisheit: Niemand kommt zum außerordentlichen Genuss göttlicher Süße, wenn er nicht angezogen war vom Bild der Bitterkeit des Menschen. Je höher einer aufsteigt abseits meiner Menschheit, desto tiefer fällt er. Meine Menschheit ist der Weg, den man geht, mein Leiden ist das Tor, das man durchschreiten muss, um zu dem zu kommen, was du suchst.

Darum verabschiede den Kleinmut und tritt zu mir in den Rang ritterlicher Stärke. Dem Knecht steht Verzärtelung schlecht an, wo sein Herr zu einem kühnen Streit antritt. Ich will dir meine Rüstung anlegen, denn aIl mein Leiden muss von dir nach Vermögen gelitten werden. Wappne dich mit Entschlossenheit, denn dein Herz muss vielem absterben, bis du deine Natur überwindest und in Ängsten den Blutschweiß schwitzen musst ob der Menge Leids und Pein, in der ich dich forme für mich. Ich will deinen Würzgarten mit rotem Blut düngen. Deine alten Gewohnheiten müssen eingefangen und gebunden werden. Du wirst von meinen Gegnern oft insgeheim verleumdet und öffentlich angeprangert werden. Die Leute werden sich in falschen Urteilen über dich ergehen. Meine Marter sollst du in mütterlicher, inniger Liebe im Herzen tragen. - Viele werden arg mit dir ins Gericht gehen wegen deines gottseligen Lebens, deine fromme Art wird von den Leuten als Narretei verhöhnt, dein ungeübter Leib wird gefoltert in einem harten strengen Leben, du wirst zum Spott gekrönt durch das Verbot deiner heiligmäßigen Übungen. Danach, hinausgeführt mit mir zum bittern Kreuzweg, wenn du dich des eigenen Willens begibst und auf dich selbst verzichtest und aller Kreatur ledig bist in den Dingen, die dich deines ewigen Heiles wegen irreführen können, dann bist du wie ein Mensch im Absterben, der aus dieser Welt auszieht und nichts mehr mit ihr zu schaffen hat.

Der Diener: O Herr, mühselig ist dieses Spiel! Meine ganze Natur zittert bei dieser Rede. Herr, wie kann ich das alles durchstehen? Guter Herr, ich muss fragen: Konnte deine Ewige Weisheit keinen anderen Weg finden, mich zu retten und mir deine Liebe zu zeigen, so dass ich des großen Leidens und des bitteren Mittragens enthoben wäre? Wie sind deine Gerichte wunderbar! (Röm 11, 33).

Antwort der Ewigen Weisheit: Dem unendlichen Abgrund meiner Verborgenheit, nach dem ich alle Dinge einrichte dank meiner ewigen Vorausschau, soll sich kein Sterblicher nähern. Keiner kann ihn begreifen. Beides ruht in ihr beschlossen, diese Möglichkeit und andere, die nie verwirklicht werden. Doch wisse: eine bessere Weise als die Ordnung, in der die gewordenen Wesen jetzt bestehen, konnte nicht werden. Der Herr der Schöpfung sinnt nicht darauf, was er in der Kreatur vermag, er ist bedacht, was jedem Geschöpf am schönsten steht. Danach richtet er sein Wirken.

Wie könnte der Mensch die göttliche Verborgenheit besser erkennen als in der Menschwerdung? - Der die Freude verloren aus ungeordneter Lust, wie könnte er gemäßer in die ewige Freude eingewiesen werden (*als durch Leiden in der Zeit)? Wer möchte den ungewöhnlichen Weg eines bitteren, missachteten Lebens einschlagen, hätte Gott ihn nicht selbst betreten?

Gesetzt, du bist zum Tod verurteilt und es empfinge jemand statt deiner den tödlichen Streich: wie könnte er mehr tun, dir Treue und Liebe zu beweisen oder dich stärker zu reizen, ihn wieder zu lieben? - Wen meine abgründige Liebe, mein unsägliches Erbarmen, meine lichte Gottheit, meine gütigste Menschheit, die brüderliche Treue, die bräutliche Freundschaft, wen das nicht bewegt zur wahren Liebe, was könnte dann ein steinern Herz erweichen? - Befrage aller Geschöpfe Ordnung: Hätte ich besser meine Gerechtigkeit wahren, mein abgründiges Erbarmen offenbaren, die Natur des Menschen veredeln, meine Güte erzeigen, Himmel und Erde versöhnen können, wäre es mit größerer Liebe möglich gewesen als durch meinen bitteren Tod? (*Vgl. Thomas S. Th. 3/19 ff. Auch er befasst sich eingehend mit der Frage, ob zur Erlösung a) die Menschwerdung an sich b) die Erlösung durch Kreuz und Tod nötig war.)

Der Diener: Wirklich Herr, ich beginne zu begreifen: es ist so. Wen der Unverstand nicht blendet, wer sich in Gedanken hineinvertieft, der muss das bejahen und die klare liebenswerte Weise rühmen über alles. Doch dem faulen Leib fällt die Nachfolge schwer.

Antwort der Ewigen Weisheit: Erschrick nicht wegen der Nachfolge im Leiden! Wer Gottes inne wird, dem wird Leiden leicht, er hat nicht zu klagen. Niemand genießt mich mehr, ja in ungewöhnlicher Wonne, als wer mit mir das härteste Leid durchsteht! Solange einer das süße Innen eines Kerns nicht kennt, klagt er über die bittere Schale. - Wer einen guten Gefährten findet, hat halb gewonnen.

Der Diener: Herr, dein tröstendes Wort hat mich beherzt gemacht, Mich dünkt, ich vermöchte in dir alles zu tun und zu leiden (vgl. Phil 4, 13), darum begehre ich mehr zu wissen. Erschließe mir das Geheimnis deines Leidens bis ins Innerste.

III. Wie es am Kreuz um ihn stand nach dem äußeren Menschen

Antwort der Ewigen Weisheit: Als ich für dich und für alle Menschen an das hohe Kreuz geschlagen wurde aus abgrundtiefer Liebe, da war mein ganzer Leib jämmerlich verunstaltet: Meine lichten Augen erloschen, verdrehten sich, meine göttlichen Ohren füllten sich mit Spott und Lästerung, mein edler Geruch wurde verpestet, mein süßer Mund mit Galle gefüllt, mein zartes Gefühl mit Schlägen zerquält. Da gab es für mich auf Erden kein Plätzchen zum Ruhen, mein göttliches Haupt neigte sich vor Schmerz und Tränen. Mein lieblicher Hals war sehr unsanft angepackt, mein reines Antlitz mit Spucke bespritzt, die gesunde Farbe verblasst. Schau hin, meine schöne Gestalt starb dahin, als sei ich ein Aussätziger gewesen und niemals die lichte Weisheit (vgl. Is 53,4: "Wir hielten ihn für einen Aussätzigen ... ").

Der Diener: O, du holder Spiegel aller Gnaden, in dem die seligen Geister ihre Augen ergötzen und sich spiegeln, hätte ich doch dein liebes Antlitz sterbend vor mir, dass ich es mit meines Herzens Tränen benetze. Ich erschaute die holden Augen, die lichten Wangen, den zarten Mund, blass und erstorben. Mein Herz erging sich darob in inniger Klage.

Liebenswerter Herr, dein Leiden geht manchen so tief zu Herzen, die vermögen dich so innig zu betrauern und so herzlich zu beweinen. O Gott, wäre ich imstande, aller liebenden Herzen Klage vorzutragen, könnte ich aller Augen lautere Tränen vergießen und aller Zungen Klagelied anstimmen, so wollte ich dir heute zeigen, wie nah mich dein bitteres Leiden angeht.

Antwort der Ewigen Weisheit: Niemand zeigt besser, wie nah ihm mein Leiden angeht, als der es mit mir trägt im Erweis guter Taten. Mir ist ein freies Herz, unbesorgt aller vergänglichen Liebe, ein Herz, das mit Fleiß und Ausdauer das Höchste verfolgt und mein Leben als Vorbild verwirklicht, lieber, als wenn du ständig um mich klagst und Tränen die Menge ob meiner Marter vergießt, soviel wie es je Tropfen vom Himmel geregnet hat. Denn der Nachfolge wegen habe ich Bitternis und Tod erlitten, wiewohl mir auch Tränen lieb und wert sind.

Der Diener: O lieber Herr, wenn dir die Nachfolge deines sanftmütigen Lebens und deines liebevollen Leidens so liebenswert sind, so will ich fortan meinen Eifer mehr auf die Nachfolge in Liebe richten als auf Weinen und Klagen, wiewohl ich auf dein Wort hin beides üben soll. So lehre mich denn, wie ich mich da in diesem Mitleiden angleichen soll.

Antwort der Ewigen Weisheit: Zerbrich in dir die Lust an ungezügeltem Schauen und leichtfertigem Hinhören. Aus Liebe finde Geschmack und Lust an dem, was dir bisher zuwider war, mir zuliebe verwöhne nicht deinen Leib. Du sollst deinen Frieden in mir suchen, des Leibes Unbilden liebend ertragen, fremdes Leid gern auf dich nehmen, Schmähung erwünschen, dein Begehren abtöten und allen Gelüsten absterben. - Das ist der Anfang der Schule der Weisheit, so zu lesen im aufgeschlagenen, ausgestreckten Buch meines Leibes am Kreuz.

Schau an: Setze selbst einer sein ganzes Können darein - wäre ihm dennoch jemand in dieser Welt das, was ich ihm bin?

IV. Wie recht getreu sein Leiden war

Der Diener: Herr, vergesse ich deiner Würde, deiner Gabe, des Nutzens und aller Dinge, so geht mir dennoch eines sehr nahe, und das ist, wenn ich es recht bedenke, nicht zuerst die Weise, unser Heil zu wirken, sondern die unergründliche Treue darin. Manch einer gibt dem anderen seine Liebe und seine Treue besser an der Weise als an der Gabe zu erkennen: eine kleine Gabe, in Treue gegeben, wirkt mehr denn eine große ohne diese Weise. Herr, alle deine Gabe ist groß, auch deine Weise dünkt mich abgrundtief getreu. Du hast nicht allein den Tod für mich gelitten, du hast auch das Alleräußerste, das Höchste, das Verborgenste ausgesucht, was man wählen kann, um in Liebe zu leiden. Du hast recht daran getan. Als ob du sprächest: "Schaut ihr Herzen alle meine Glieder, das edelste Glied, das ich habe, das ist das Herz - ich wollte es ganz verwunden und töten und aufreißen und in Stücke zerkleinern lassen, dass nichts in mir noch an mir unverschenkt bliebe. So solltet ihr meine Liebe erkennen." O Herr, wie war dir zu Mut? Was dachtest du? Du gestattest doch, noch näher zu treten?

Antwort der Ewigen Weisheit: Kein durstiger Mund verlangte je so heftig nach einem kühlen Trunk noch je ein Sterbender nach der Freude am Leben wie ich es erwünschte, allen Sündern zu helfen und mich ihnen liebenswert zu machen. Eher bringt man die verflossene Zeit wieder her, eher lässt man alle dürren Blumen wieder grünen, eher sind alle Regentropfen wieder eingesammelt, ehe man meine Liebe zu dir und zu allen Menschen zu messen vermag. Ich bin ganz und gar übersät von Zeichen der Liebe, dass man keine Nadelspitze an meinem zermarterten Leib ansetzen kann, ohne dort das entsprechende Zeichen der Liebe zu finden.

Schau, meine rechte Hand war vom Nagel durchbohrt, meine linke durchschlagen, mein rechter Arm überzogen, mein linker ganz zerdehnt, mein rechter Fuß durchstoßen, mein linker grässlich durchgehauen. In Ohnmacht hing ich da, die göttlichen Glieder ganz erschlafft. Meine zarten Glieder alle wurden starr auf die schmale Folter des Kreuzes gezwängt, mein warmes Blut ergoss sich in diesem Elend in Strömen. Mein sterbender Leib, vom Blut ganz überronnen - ein Bild des Jammers! Welch ein kläglich Ding: Mein Leib, jung, schön und blühend, er begann zu verblassen, zu dörren und zu darben. Der müde zarte Rücken fand an dem Kreuz eine harte Lehne, der schwere Leib hing herab, mein ganzer Leib verwundet und zermartert - das alles ertrug mein liebendes Herz in Liebe.

V. Wie die Seele unter dem Kreuz zu herzhafter Reue und milder Vergebung kommt

Der Diener: Wohlauf, meine Seele, sammle dich von allem Äußerem ganz in Stille und Schweigen der Innerlichkeit. Brich mit ganzer Kraft auf, um dich zu verlaufen und zu verlieren in die Wüste abgrundtiefer Bitternis, auf die hohen Kuppen des wohlbedachten Leides. Rufe mit abgehärmtem Herzen, dass es über Berg und Tal hochauf dringe durch die Lüfte in die Himmel hinauf vor das ganze himmlische Heer. Sprich deine Klage also:

Ach, ihr lieben Steine,
ihr wilden Raine,
ihr lichten Auen!

Wer hilft mir, dass Feuer und Inbrunst meines vollen Herzens und die heißen Wasser meiner Tränen und Klagen euch aufwecken, dass ihr mir beisteht, zu beklagen das abgründige Leid, Leid, das Herzeleid, das mein armes Herz trägt in Schweigen. Weh, der himmlische Vater hatte mich über aller Geschöpfe Schönheit erhoben und für sich selbst zum liebenswerten Gemahl auserkoren, nun bin ich ihm entkommen. O weh, ich habe ihn verloren, ich habe mein einzig auserkorenes Lieb verloren! Weh und Weh! Immer weh meinem armen Herzen! Was habe ich getan, was verloren! Ich habe mich selbst verloren und alle Gefolgschaft des Himmels, alles, was Freude und Wonne zu spenden vermag... Ich sitze verlassen, denn meine falschen Liebhaber, wahre Betrüger - wehe der Missetat! - haben mich falsch und feig verlassen und all das Gute von mir abgezogen, womit mich mein einzig Lieb geschmückt hatte. - Ehre, o weh! Freude, o weh! Aller Trost, o weh! Wie bin ich euer so beraubt! Weh und Ach soll mein Trost für immer sein. - Wohin soll ich mich wenden? Hat mich doch alle Welt verlassen, weil ich mein einzig Lieb verlassen habe. Weh und weh, dass ich das je getan! Ein jämmerlicher Augenblick war das. Sieh mich an, Herbstzeitlose, sieh mich an, du Schlehdorn, all ihr roten Rosen, ihr weißen Lilien, erfasst es, wie rasch dahin, verdorrt und verdarbt die Blume ist, die diese Welt sich bricht. Ich soll fortan lebend absterben, glühend verdorren, jung hinwegaltern, gesund dahinsiechen.

Weh, lieber Herr, aber alles Leiden ist gering zu werten gegen die Schuld, dass ich dein väterliches Antlitz erzürnt habe. Das bedeutet mir die Hölle, Leiden über Leiden.

Du hast mich in Liebe umsorgt, zart ermahnt, liebevoll an dich gezogen - weh mir, dass ich darauf ganz vergessen! Wehe - Sterben! Wehe, Herz des Menschen, was kannst du erdulden! Weh, mein Herz, was bist du stahlhart, dass du nicht zerpringst vor Leid. Zuvor hieß ich sein lieber Gemahl - weh, weh und immer weh! -, jetzt bin ich nicht wert, seine arme Wäscherin genannt zu werden. In bitterer Scham getraue ich mir nie mehr, meine Augen zu erheben, mein Mund muss für immer stumm bleiben vor ihm in Lieb und Leid. Weh, wie ist mir in dieser weiten Welt so eng! Weh, wäre ich in einem weiten wüsten Wald, wo niemand mich sähe noch hörte, bis sich mein Herz, wie es wollte, ausgeschrien hätte, dass es ihm leichter würde ... Einen anderen Trost finde ich nicht.

Weh der Sünde, wohin hast du mich gebracht! Weh, falsche Welt, weh dem, der dir dient! Wie hast du es mir gelohnt, dass ich mir selbst und aller Kreatur eine Last bin und immer sein muss! (Vgl. Job 7, 20: " ... dass ich mir selber zur Last geworden.")

Gesegnet die reichen Seelen, reiche Königinnen, die, aus fremdem Schaden klug geworden, in der ersten Unschuld und Reinheit an Leib und Gemüt verblieben sind! Wie sind sie so unbewusst selig!

Weh, lauteres Gewissen, lediges, freies Herz, wie ist dir so unbekannt, wie es um ein sündenbeladenes, schwermütIges Herz steht! Weh, ich arme Frau wie war mir so wohl bei meinem Gemahl, und ich erkannte es kaum. Wer gIbt mir des Himmels Breite zum Pergament des Meeres Tiefe zur Tinte, Laub und Gras zur Feder, dass Ich voll ausschriebe mein Herzeleid und den uneinbringbaren Schaden, den mir das schmerzliche Scheiden von meinem Geliebten angerichtet hat. Weh mir, dass ich geboren bin! Was bleibt mir jetzt übrig, als mich selber zu verwerfen in den Abgrund von Leid und Verzweiflung ?

Antwort der Ewigen Weisheit: Du sollst nicht verzweifeln. Ich bin doch deinet- und aller Sünder wegen in diese Welt gekommen, um dich meinem himmlischen Vater heimzubringen in solcher Zier, Reinheit und Lauterkeit, herrlicher, als du sie je besaßest.

Der Diener: Weh, was ist das? Es erklingt so süß in der erstorbenen, missfälligen, verworfenen Seele?

Antwort der Ewigen Weisheit: Erkennst du mich nicht? Wie tief bist du gesunken? Oder sind dir von unermesslichem Herzeleid die Sinne geschwunden? Mein liebes Kind, ich bin es doch, die gute, barmherzige Weisheit, die da den Abgrund ihrer grundlosen Barmherzigkeit, deren Tiefe allen Heiligen Geheimnis bleibt, aufgeschlossen hat, um dich und alle reuigen Seelen an ihr Herz zu nehmen. - Ich bin es, der Gute, der da arm und elend wurde, um dich wieder zu Ehren zu bringen. Ich bin es, der den bitteren Tod erlitten, um dich wieder lebendig zu machen. Ich stehe hier bleich, blutend und liebend, wie ich am hohen Balken des Kreuzes stand zwischen dir und dem strengen Gericht meines Vaters. Ich bin es, dein Bruder, sieh, ich bin es, dein Gemahl.

Ich habe alles, was du wider mich getan, völlig vergessen, als wäre nichts geschehen, du musst dich nur völlig zu mir kehren und dich nicht mehr von mir abwenden. Wasche dich in meinem liebereichen, rosafarbenen Blut, richte das Haupt auf, öffne das Auge, fasse Mut!

Nimm als Urkunde der vollen Aussöhnung meinen Brautring an deine Hand (*vgl. Lk 15, 22 ff: " ... gebt ihm einen Siegelring an die Hand ... "), dein erstes Kleid, Schuhe all deine Füße und den liebenswerten Namen. Du sollst ewig mein Gemahl heißen und sein.

Sieh, ich habe dich sehr sauer erworben. Wäre alle Erde ein Feuermeer und läge darin eine Handvoll Werg, so hätte das nach der Art seiner Natur noch nicht so schnell Feuer gefangen von den feurigen Flammen, wie der Abgrund meiner grundlosen Barmherzigkeit dem heimkehrenden Sünder Verzeihung gewährt.

Der Diener: O Vater, o mein Bruder, o alles, was mein Herz erfreuen kann! Du willst mich schlechte Seele noch begnaden? Welches Geschenk! Abgrund der Barmherzigkeit! - Ich falle dir zu Füßen, himmlischer Vater, und danke dir von ganzem Herzen und bitte dich, du mögest deinen lieben eingeborenen Sohn ansehen, den du aus Liebe in den bitteren Tod gegeben, und meiner großen Untaten nicht mehr gedenken. Gedenke, himmlischer Vater, du hast ehedem Noe gelobt und gesprochen: "Ich will meinen Bogen (Regenbogen) spannen in die Lüfte, ihn will ich ansehen, er soll mir ein Sühnezeichen sein zwischen mir und der Erde" (vgl. Gen 9, 13).

Sieh ihn an, guter Vater, wie zerspannt und zerdehnt dein Sohn ist, dass man ihm Bein und Rippen zählen kann! Schau nur, wie ihn die Liebe rot, grün und gelb verfärbt hat! Himmlischer Vater, sieh deines zarten, eingeborenen lieben Sohnes Hände und Arme und Füße so jämmerlich zerschlissen ... sieh seinen schönen Leib, rosafarben und so zermartert, und vergiss deinen Zorn gegen mich! - Bedenke: Warum heißt du der barmherzige Herr, der Vater der Barmherzigkeit? Eben, weil du vergibst. Das ist dein Name. - Wem hast du dein allerliebstes Lieb gegeben? Den Sündern! - Herr, er ist mein Herr, er ist ganz unser.

Ich hülle mich heute in seine ausgebreiteten, bloßen Arme, ihn aus Herzensgrund innig zu umfangen. Ich will von ihm weder im Leben noch im Tode geschieden sein. Darum ehre ihn heute an mir und lass in Güte vergessen sein, womit ich dich je erzürnte. Eher wollte ich den Tod erleiden als dich, meinen getreuen, himmlischen Vater, jemals mehr schwer zu erzürnen. Kein Leid, keine Bedrückung, Hölle nicht, noch Fegfeuer beklage ich nicht so sehr, alles tut meinem Herzen nicht so weh, als dich, meinen Schöpfer, meinen Gott, meinen Erlöser, ach, alle meine Freude und meines Herzens Wonne je erzürnt und dir Schande angetan zu haben. O weh, könnte ich darob durch alle Himmel meinen Jammer ausrufen! Und zerspränge mein Herz in tausend Stücke, ich täte es gern. Je vollkommener du mir meine Sünden vergibst, um so mehr greift es mir ans Herz, dass ich deiner großen Güte so wenig Dank gebracht habe.

Du mein einziger Trost, liebe auserwählte Ewige Weisheit, wie kann ich dir je genug danken für das alles überstrahlende Gut (der Erlösung), dass du in deinem Schmerz und deinen Wunden gesühnt und geheilt hast jenen Bruch, den alle Geschöpfe nicht wieder gut machen konnten! Meine einzige Freude, darum unterweise mich, wie ich die Male deiner Liebe an meinem Leibe trage, sie allzeit vor Augen habe, damit alle WeIt und das ganze himmlische Heer meinen Dank erkennt für das unschätzbare Gut, das du meiner armen, verlorenen Seele gewährt hast aus unergründlicher, unendlicher Güte.

Antwort der Ewigen Weisheit: Du sollst dich und das Deine aus freien Stücken mir geben und dir nicht wieder nehmen. Was du nicht notwendig brauchst, soll von dir unberührt dastehn. Dann sind deine Hände wirklich an mein Kreuz genagelt. Gute Werke fröhlich aufgreifen und darinnen feststehen, dann ist dein linker Fuß angeheftet. Deinen unsteten Sinn und die zerstreuten Gedanken in mir sammeln und festigen, dann ist dein rechter Fuß an mein Kreuz gebunden. Die Kräfte deines Leibes und Geistes sollen nicht lau werden und erlahmen, sie sollen gleich meinen Armen im Dienst für mich weit ausgespannt sein. Dein schwacher Leib soll meinem göttlichen Leib zu Ehren in geistlicher Übung sehr ermüdet werden, um keine Kraft zu haben, sein eigenes Begehren durchzusetzen. Viele unbekannte Leiden zwingen dich zu mir in die Enge meiner Kreuzesnot. Das macht dich mir ähnlich in Liebe und Leiden.

Das Darben deiner Natur soll mich wieder zum Aufleben bringen, dein freiwilliges Dulden soll wie ein Bett für meinen Rücken werden, dein entschlossener Widerstand gegen die Sünde soll mir das Herz erleichtern, dein frommes Herz soll meinen Schmerz lindern, dein flammendes Herz soll meine Liebe entzünden.

Der Diener: Ewige Weisheit, führe mein gutes Vorhaben nach deinem höchsten Lob und deinem allerliebsten Wollen, denn dein Joch ist sanft und deine Bürde leicht (Mt 11,30). Das wissen alle, die es je empfunden und mit der Sünde Last und Schwere je beladen waren.

VI. Wie ist der Welt Liebe Betrug, wie ist Gott aber Liebe

Liebewertes Gut, wende ich mich auch nur ein wenig von dir, so geschieht mir doch wie dem Rehlein, das bei einer hitzigen Jagd seine Mutter verloren hat und mit einem flüchtigen Schwung sich rettet und an seinen Standplatz entkommt. Herr, ich flüchte, ich jage zu dir mit Inbrunst und Ernst wie der Hirsch zur sprudelnden Quelle (vgl. Ps 41,1). Herr, eine einzige Stunde ohne dich bedeutet ein ganzes Jahr, einen Tag nur dir fern sein erscheint meinem Herzen wie tausend Jahre. - O, du Glücksreis, du Maienzweig, du roter, blühender Rosenstrauch, öffne deine Arme, weite, zerspreize die blühenden Äste deiner Gottes- und Menschennatur! Herr, dein Antlitz ist so voll Gnaden, dein Mund so voll der Worte des Lebens, dein ganzes Leben ein leuchtender Spiegel aller Zucht und Sanftmut. Du holdseliger Anblick allen Heiligen, selig, wer deiner zarten Brautschaft wert befunden wird!

Antwort der Ewigen Weisheit: Viele Menschen sind dazu berufen, wenige sind auserwählt (vgl. Mt 22, 14).

Der Diener: Guter Herr, werden sie denn von dir aufgegeben oder du von ihnen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Dazu erhebe dein inneres Auge und schaue dieses Gesicht.

Der Diener blickte auf, er erschrak und sprach unter innigem Seufzen: Weh, mein lieber Herr, weh meiner Geburt! Sehe ich recht? Träume ich nur? Ich schaute dich vorher schön und weich und lieblich zart, jetzt aber erblicke ich einen armen, vertriebenen, elenden Pilger, der steht auf seinen Stab gestützt im Elend vor einer alten, versunkenen Stadt. Die Gräben sind eingestürzt, das Gemäuer ist ganz wenig geworden, nur hie und da ragen noch die hohen Spitzen des alten Bauwerkes hoch hinauf. In der Stadt lebt eine Menge Volkes, darunter erscheinen viele wie wilde Tiere in menschlicher Gestalt. Da geht der arme Pilger umher und wartet, dass ihm jemand die Hand böte. Weh, ich sehe, dass sich die Menge keine Zeit nimmt, ihn anzusehen, und ihn unfreundlich fortschickt. Aber ihrer etliche reichen ihm die Hand, doch treten die anderen, die wilden Tiere, auf und verhindern es. Nun höre ich den flüchtigen Pilger tief aufseufzen, er spricht: Himmel und Erde, erbarmt euch! Wie habe ich diese Stadt so sauer erworben, und nun geschieht mir hier soviel übles, indes jene, die noch keine Mühe für sie ansetzten, willkommen sind. - Herr, das stand vor mir. - Weh, liebender Gott, was bedeutet das Gesicht? Bin ich recht daran oder nicht?

Antwort der Ewigen Weisheit: Das Gesicht ist lautere Wahrheit. Höre die klägliche Geschichte, dass es dein liebes Herz erbarme. Siehe, der arme flüchtige Pilger, den du gesehen, der bin ich. Ich stand einst in der Stadt in großem Ansehen, jetzt bin ich armselig verbannt und vertrieben.

Der Diener: Weh, geliebter, Herr, welche Stadt ist das und was für ein Volk?

Antwort der Ewigen Weisheit: Die zerfallene Stadt, das ist das ernste Leben im Geiste (das klösterliche Leben), in dem man mir hier so einmütig gedient hat und darin so heilig und sicher lebte. Es beginnt mancherorts sehr zu verflachen. Die Wehren fangen an einzustürzen, die Mauern reißen, das bedeutet: der fromme Gehorsam, die freiwillige Armut, Abgeschiedenheit und Lauterkeit, die heilige Einfalt beginnen zu schwinden, wenn man auch das hohe Gemäuer, das äußere Gehaben, dem Scheine nach noch spürt. Doch das viele Volk, die wilden Tiere in Menschengestalt, das sind die verweltlichten Herzen in geistlicher Kleidung, sie vertreiben mich aus ihren Herzen in Eitelkeit, Nichtstun und Sorge um Vergänglichkeiten. - Etliche, die mir die Hand boten, wurden von anderen belästigt, das bedeutet: Der gute Wille und das Beginnen mancher Menschen wird vom schlechten Rat und bösen Beispiel anderer zunichte gemacht. Der Stab, auf den gebeugt ich vor ihnen stand, das ist das Kreuz meines bitteren Leidens, mit dem ich wie zu allen Zeiten mahne, dessen zu gedenken und mit ihres Herzens Liebe allein zu mir sich zu kehren. - Du hörtest verzweifeltes Rufen, das bedeutet: hier beginnt mein Tod zu rufen und immer mehr zu schreien über die, denen weder meine abgründige Liebe noch mein bitteres Sterben das Herz zu bewegen vermag, ich werde von ihnen verstoßen und vertrieben.

Der Diener: Weh, lieber Herr, wie schneidet mir das durch Herz und Seele: du bist so ganz liebenswert, doch manche Herzen lassen deine Opfer völlig unbeachtet. Guter Herr, was bietest du aber jenen, die dir in deiner elenden Gestalt, worin dich die Menge verworfen, die Hände in wahrer Treue und Liebe entgegenhielten?

Antwort der Ewigen Weisheit: Wer meinetwillen irdische Liebe lässt und mich in wahrer Treue und Liebe zu sich lädt und darin beharrt, den will ich hier mit meiner göttlichen Liebe und Süße vermählen. Ich will ihm sterbend die Hand reichen und ihn auf den Thron meiner ewigen Ehre erhöhen vor allen Heiligen des Himmels.

Der Diener: Herr, viele meinen, sie wollen dich lieben, aber von irdischer Liebe nicht ablassen. Herr, sie wollen dir zugetan sein und doch auch zeitlicher Liebe.

Antwort der Ewigen Weisheit: Das ist so unmöglich wie den Himmel zusammendrücken und in eine Nußschale einschließen. Sie täuschen sich mit schönen Worten, sie bauen in den Wind, sie zimmern das Haus auf den Regenbogen. Wie soll das Ewige beim Zeitlichen bleiben, da sich doch das eine Zeitliche mit dem anderen nicht verträgt? Wer den König der Könige in ein gewöhnliches Gasthaus laden oder in eine verlassene Knechtshütte stoßen will, der betrügt sich offenbar selbst. In reiner Abgeschiedenheit von aller Kreatur muss sich halten, wer den lieben Gast recht beherbergen will.

Der Diener: Ach, liebe Weisheit, sie sind so ganz verzaubert, dass sie nichts einsehen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Sie sitzen tief in Blindheit, sie jagen nach Freuden, die ihnen weder Liebe noch reinen Genuss bringen. Ehe jenen ein Liebes geschieht, fallen zehn Übel auf sie. Je mehr sie ihrem Begehren nachgeben, desto unbefriedigter gehen sie in die Irre. Schau, das Herz des Gottlosen muss doch allezeit in Furcht und Schrecken leben. Die kurze Freude, die ihnen zufällt, die wird alsbald bitter, sie gewinnen es nur mit Mühe, behalten es unter großer Angst und, ach, sie verlieren es mit großer Bitterkeit.

Die Welt ist voll Untreue, Falschheit und Unstete. Mit dem Nutzen hört auch die Freundschaft auf. Um es kurz zu sagen: Wahre Liebe, ganze Freude, steten Herzensfrieden, die gewinnt kein Mensch aus den Geschöpfen.

Der Diener: Weh, lieber Herr, wie beklagenswert ! Weh, manche edle Seele, manch liebendes Herz, manch schöner Mensch, ein wohlgeformtes Ebenbild Gottes - sie sollten in deiner Bereitschaft König und Kaiserin sein und über Himmel und Erde Gewalt besitzen -, wie lassen sie sich dummerweise verwirren und erniedrigen ! Wahrhaftig, guter Gott, sie verderben sich aus freien Stücken, denn nach deinem wahren Wort stünde ihnen die grimme Trennung der Seele vom Leibe besser an, als dass du, das ewige Leben, dich von der Seele trennen musst, da du in ihr keine Bleibe findest. Weh, uhr Dummen, wie kommt euch großer Schaden zu, wie vergrößert sich für euch der Verlust, wie lasst ihr die schöne, edle, wonnevolle Zeit verstreichen, die ihr kaum oder nie zurückholen könnt ! Und wie gebärdet ihr euch hier so fröhlich, als sei's euch nicht darum! Weh, liebe Weisheit, erkännten und fühlten sie es selbst!

Antwort der Ewigen Weisheit: Wunder und Jammer! Höre: sie wissen es, sie merken es jede Stunde und lassen doch nicht davon. Sie wissen es und wollen es doch nicht wissen. Sie verbrämen ihre unklaren Begründungen mit schönen Scheingründen, die aber kommen der Wahrheit nie gleich, wie viele am Ende empfinden, wenn es zu spät ist.

Der Diener: Wie sind sie ohne Einsicht! Was soll das sein?

Antwort der Ewigen Weisheit: Da wollen sie dem Leiden und Ungemach von mir ausweichen und geraten mitten hinein. Sie wollen mich, das ewige Gut, und mein süßes Joch nicht annehmen, so spricht ihnen meine strenge Gerechtigkeit viel schwere Last und Bürde zu. Sie fürchten den Reif und fallen in den Schnee.

Der Diener: Die gute, barmherzige Weisheit bedenke: Niemand vermag etwas ohne deine Kraft. Ich sehe keinen anderen Ausweg, als die armen Augen zu dir zu erheben und vor deine guten Füße zu fallen unter bitteren Tränen ihres Herzens, dass du sie erleuchtest und lösest von den schweren Banden, die sie gefangen halten.

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich bin bereit, ihnen zu jeder Stunde zu helfen, wären sie nur bereit. Ich verliere nichts an ihnen, sie entbehren mich.

Der Diener: Herr, es tut weh, wenn sich Lieb von Liebe scheidet.

Antwort der Ewigen Weisheit: Das ist wahr. Könnte und wollte ich nicht den Liebenden alle Liebe mit Liebe vergelten?

Der Diener: O Herr, Mühe macht es, Altgewohntes abzutun.

Antwort der Ewigen Weisheit: Es kostet aber noch mehr Mühe, die künftige Marter auszustehen.

Der Diener: Herr, sie sind vielleicht so mit sich in Ordnung, dass es ihnen nichts ausmacht.

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich bin der Bestgeordnete und doch der am meisten Losgelöste. Wie kann das Ordnung bedeuten, was das Herz am stärksten durcheinanderbringt, das Gemüt verwirrt, was Innerlichkeit und Herzensfriede dahinreißt? Es bricht die Tore auf, hinter denen göttliches Leben verborgen liegt, nämlich die fünf Sinne. Es beraubt der Bescheidung und bringt Verwegenheit, gnadenlose Gottesferne, Lauheit des inneren und Faulheit des äußeren Menschen.

Der Diener: Sie glauben nicht, dass sie stark behindert werden, wenn nur das, was sie gerne treiben, den Anschein eines geistlichen Lebens erweckt.

Antwort der Ewigen Weisheit: Zuweilen wird das klare Auge ebenso leicht von weißem Mehl geblendet wie von fahler Asche. Schau, war je eines Menschen Verkehr so untadelig als das Zusammensein mit meinen Jüngern? Es gab kein unnützes Wort, keine ausgelassenen Gebärden, man verlor sich nicht hoch im Geistigen und verfiel dann in leere, zwecklose Worte. Es herrschte rechter Ernst und Wahrhaftigkeit ohne alle Lüge, und doch musste ihnen meine leibliche Gegenwart entzogen werden, bis sie fähig waren, den Geist zu empfangen (vgl. Jo 16,7). - Was bedeutet da erst der Verkehr mit Menschen ein Hindernis! Eh dass sie von einem nach innen geführt werden, führen sie tausend ins Äußerliche. Ehe sie in Lehre weise werden, verweist sie ein schlechtes Vorbild in die Irre. Kurzum: Wie der Frost im Maien Wonne und Lust vernichtet und verwüstet, so tötet irdische Liebe allen Ernst zu, Gott und die Zucht des Geistes. Und zweifelst du noch daran, so blicke um dich in die schönen blühenden Weinberge (= Klöster), die zuvor in der ersten Blüte in Wonnen standen, wie sind sie verdorrt und verfallen, so dass man von Ernst und wahrer Andacht nichts mehr spürt! Das aber bewirkt uneinbringbaren Schaden, dass zur Gewohnheit geworden ist und zur geistlichen Sitte, was insgeheim jede Seligkeit im Geiste abschnürt. Um so schädlicher, je unschädlicher es aussieht! Wie mancher gute Würzgarten, ausgezeichnet mit ergötzenden Gaben, ein Paradies des Himmels, in dem es dem Herrn eine Lust war zu weilen, ist durch Liebe zum Vergänglichen zum Unkrautbeet geworden! Wo vorher Rosen und Lilien gediehen, da wuchern jetzt Dornen, Nesseln und Disteln. Wo vorher die heiligen Engel zu wohnen geruhten, da suhlen sich nun die Schweine. Weh, weh, weh der Stunde, da abgerechnet wird über jedes unnütze Wort, alle verlorene Zeit, über das unterlassene Gute ... Wo man alle unnützen Worte, waren sie gedacht, gesprochen oder geschrieben, heimlich oder öffentlich, vor Gott und aller Welt offenlegen und ihren Sinn verstehen wird, ohne ihn verheimlichen zu können!

Der Diener: Herr, diese Worte sind gar scharf, da muss doch wohl ein Herz aus Stein sein, wenn es nicht davon betroffen ist. - Liebenswerter Herr, manches Herz ist so zart, es wird leichter durch Liebe gerührt als durch Furcht, du bist ja auch der Herr der Natur und nicht ihr Verwüster - du bist der Vollender der Natur (vgl. Thomas: "Die Gnade zerstört nicht die Natur, sie vollendet sie."). Darum, liebenswerter Herr, lass der traurigen Rede ein Ende sein und künde mir, wie du Mutter der schönen Liebe bist und wie gut die Liebe ist zu dir.

VII. Wie liebewert Gott ist

Der Diener: Herr, ich überdenke den Aufruf zur Liebe, den du von dir selber sprichst im Buch der Weisheit (Sir 24, 26 ff): "Transite ad me omnes ... Kommt alle zu mir, die meiner begehren, von meinen Geburten (= Früchten) werdet ihr erfüllt. Ich bin die Mutter der schönen Liebe, mein Geist ist süßer als Honig, mein Erbe über Honig und Honigseim. Edler Wein und süße Musik erfreuen das Herz, mehr noch der Weisheit Liebe" (vgl. Sir 40, 20).

Guter Herr, du kannst dich selber liebewert und zart allen Herzen darbieten, dass sie nach dir gelüsten und sich nach deiner Liebe sehnen und sie verlangen. Die Worte der Liebe fließen so lebendig aus deinem Munde, sie haben manches Herz in den Tagen der Blüte so kräftig getroffen, dass in ihm jede irdische Liebe erlosch. O, du guter Herr, danach sehnt sich mein Herz, danach verlangt mein Gemüt, davon höre ich gerne reden. Nun sprich, mein einziger, auserkorener Trost, mir ein Wort zu meiner Seele, deiner armen Magd! Unter deinem Schatten bin ich eingeschlummert, aber mein Herz, das wacht (vgl. Hld 2, 3 und 5, 2).

Antwort der Ewigen Weisheit: Höre, meine Tochter, neige dein Ohr zu mir (vgl. Ps 44, 11), nimm eine kraftvolle Wendung nach innen, vergiss dich selbst und alle Dinge.

Ich bin in mir selbst das unerkannte Gut, das immer war, immer ist, das nie ins Wort kam und nie gesprochen wird. Ich kann mich wohl dem Herzen inwendig zu verstehen geben, aber keine Zunge bildet mich ins Wort, keine kann mich aussprechen. Und doch: Wenn ich, das übernatürliche, unwandelbare Gut, mich jeder Kreatur gebe in der Art, wie sie dafür empfänglich ist, so fange ich dir der Sonne Schein in ein Tuch ein und gewähre dir geistlichen Sinn in lieblichen Worten von mir und meiner süßen Liebe, also: Ich stelle mich lieb vor deines Herzens Auge. Nun ziere, kleide mich im geistlichen Sinne, putze mich fein heraus nach Wunsches Gewalt, gib mir alles, was dein Herz zu ganzer Liebe und Güte bewegen kann und zur vollen Herzensfreude. Sieh, das alles und alles, was du und alle Menschen ausdenken können an Form, Zier, Gnade, das ist in mir noch wonniger da, als einer es auszusprechen vermag. Und das sind die Worte, in denen ich mich zu erkennen gebe.

Höre weiter: Ich bin hochgeboren, von edlem Geschlecht.

Ich bin das liebewerte Wort aus dem Herzen des Vaters, an dem seine liebewerten Augen Wonne und Wohlgefallen finden in der süßen, flammenden Liebe des Heiligen Geistes - gemäß dem liebreichen Abgrund meiner natürlichen Sohnschaft in seiner reinen Väterlichkeit.

Ich bin der Wonnen Thron,
Ich bin des Glückes Kron,
mein Aug ist klar,
der Mund ist zart,
meine Wange voll Farbe,
gar rosenrot,
Schönheit die ganze Gestalt,
wonnig und wohlgeformt ...

Sollte ein Mensch bis zum Jüngsten Tag in einem glühenden Ofen aushalten, um mich nur für einen Augenblick sehen zu können, es geschähe ihm auch dann noch unverdient.

Sieh, mein Gewand ist lichte Wonne. Aller Blust blühender Blumen, roter Rosen, weißer Lilien, der lieben Veilchen, jedweder Blumen, das ist mein Umhang. Aller Maien Wunderglanz, aller Auen grüner Samt, aller bunten Heide Blumenflor, stehen gegen mein Gepränge da wie eine stachelige Distel.

Ich spiel in der Gottheit der Freude Spiel,
das gibt der Engelschar Lust soviel,
dass ihnen tausend Jahre sind
kurz wie eine kleine Stund.

Das ganze Himmelsheer erhebt, von meinen Wundern gebannt, seine Augen und hat acht auf mich. Ihre Augen sind in mich versenkt, ihr Herz in meines geneigt, Geist und Gemüt ohne Ende in mich verhangen. Wohl dem, der das Spiel der Liebe, den Tanz des Himmels an Freude und Wonne bei mir, an meiner lieben Hand fröhlich und sicher, immer und ewig mitspielen darf! Ein einziges Wort, lebendig ausklingend aus meinem Mund, übertrifft

aller Engel Sang,
aller Harfen Klang,
jedes süße Saitenspiel.

Sieh, ich bin so treu zu lieben, so lieblich zu umfangen, einer reinen lieben Seele so zart zu küssen, dass jedes Herz sich mir ergeben sollte. Ich füge mich ins kleinste, ich bin dir herzensgut, ich bin der reinen Seele allerorts gegenwärtig. Ich begleite sie verborgen

zu Tisch,
zu Bett,
auf Weg und Steg.
Ich kehr mich hin,
ich kehr mich her,

in mir ist nichts, was missfällt, in mir ist alles nach Gefallen, nach Herzenswunsch, nach des Inneren Begehr.

Sieh, ich bin das lautere Gut. Wem in dieser Zeit nur ein Tropfen meiner selbst geschenkt wird, dem wird die Freude und Wollust dieser Welt zur Bitterkeit, Gut und Ehre alle zu Auswurf und Kehricht (vgl. Phil 3, 8). Sie, die Liebenden, werden von meiner süßen Liebe eingehüllt, sie gehen ein in das Eine (= Gott) ohne geformte Bilder der Liebe, ohne Worte und Ausdruck, sie werden frei und fließen ein in das Gut, aus dem sie ausgeflossen sind. Meine Liebe kann auch anfangende Menschen von der schweren Last der Sünde entbinden, ihnen ein freies, wohlgemutes, lauteres Herz schaffen und ein reines, ruhiges Gewissen. Sage mir: Was in aller Welt vermag dies aufzuwiegen? Die ganze Welt vermöchte ein solches Herz nicht aufzuwiegen, denn der Mensch, der mir allein sein Herz schenkt, der lebt in Wonne, der stirbt in Frieden, der genießt hier und drüben den Himmel für immer.

Nun bedenke: Ich habe dir viele Worte geschenkt und bin doch von alldem in meiner liebenswerten Schönheit so unberührt wie das Firmament vor deinem kleinen Fingerlein. Denn kein Auge hat es je gesehen noch ein Ohr es je gehört, in keines Menschen Herz ist es je gedrungen (vgl. 1 Kor 2, 9). Doch zur Unterscheidung meiner süßen Liebe von der falschen vergänglichen sei dir dies bezeugt.

Der Diener: Du zarte, prangende Lilie des Feldes (vgl. Hld 2,1), du liebes Herzenstraut in den Armen der reinen, liebenden Seele, wie kennt das jeder, der dich je ganz empfand, wie klingt es seltsam dem, der dich nicht kennt, weil sein Geist und Gemüt noch am Leibe hängt.

Du liebes, unerkanntes Gut, das ist eine liebe Stunde, das der süße Augenblick, ich muss dir die heimliche Wunde zeigen, die mein Herz noch trägt von deiner süßen Liebe. Herr, Vielzahl in der Liebe verträgt sich so schlecht wie Wasser und Feuer. Liebenswerter Herr, du weißt es: rechte, glühende Liebe duldet keine Zweiheit. Guter, einziger Herr meines Herzens und meiner Seele, darum wünscht es mein Herz ganz heiß, dass du besondere Liebe und Liebe zu mir hegst und dein göttliches Auge ein besonders herzliches Wohlgefallen an mir finde! O Herr, du hast so viele liebende Herzen, die dich innig lieben und viel bei dir gelten, wie bin ich dran bei dir?

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich bin der Liebende, der in der Einzahl nicht und in der Vielzahl nicht angereichert wird. Ich bin jederzeit auf dich allein bedacht und beflissen, mich dir allein lieb zu erweisen und alles zu wirken, was du brauchst, als wäre ich aller anderen Dinge frei und ledig.

Der Diener: Meine Seele schmilzt dahin, wenn mein Geliebter redet (vgl. Hld 5, 6). Wirklich, wo bin ich hingeraten? Ich bin ganz ab vom Wege, meine Seele ist ganz zerflossen von des Geliebten freundlichen, guten Worten. Wende dein lichtes Auge von mir (Hld 6,4), es hat mich ganz berückt. Welches Herz ist so hart, welche Seele so kalt und lau, dass sie deine lieben Worte des Lebens und der Liebe, die so überaus feurigen, hörte, ohne zu erweichen und sich zu entzünden in deiner süßen Liebe? O Wunder, Wunder über allem Wunder, dass das Herz, das dich inwendig schauen darf, von Liebe nicht ganz dahinschmilzt! O selig der Liebende, der dein Gemahl heißt und ist. Was wird ihm an gutem Trost und verborgener Liebe von dir zuteil?

O, du süße, zarte Jungfrau Sankt Agnes, Liebe der Ewigen Weisheit, wie konntest du dich deines lieben Gemahls rühmen, wenn du sagst: Sein Blut hat meine Wangen rosenrot gefärbt (siehe Offizium der heiligen Agnes).

Du guter Herr, wäre meine Seele wert, deine Geliebte zu heißen! Sieh: Hinge alle Lust, Freude und Liebe, die diese Welt zu reichen vermag, an einem Menschen, wäre es möglich, ich wollte ihn freiwillig hergeben deinetwillen. Gesegnet, dass er in die Welt kam, der dein Liebender heißt und ist (* gemeint ist Christus, der Gottmensch, der uns der Weg ist und das Licht der Nachfolge). Besäße einer auch das Leben tausendfach, er sollte es dranwagen, dich zu gewinnen.

Ihr Gottesfreunde, das ganze Heer des Himmels, du liebe Jungfrau Sankt Agnes, helft ihr mir anflehen, denn ich wusste nicht recht, was seine Liebe war. Ach, mein Herz, gib aller Trägheit gründlich Abschied, sieh zu, ob du vor deinem Ableben dahin gelangest, seine süße Liebe zu empfangen.

Du gute, schöne, auserkorene Weisheit, wie kannst du recht wohl liebenswertes Lieb sein über allem Lieb dieser Welt! Wie ist deine Liebe und die der Kreatur so verschieden! Was in dieser Welt liebenswert und gültig erscheint, ist von nah gesehen alles eitel Lüge. Herr, wohin mein Auge auch reicht, überall fand es ein "Wenn" und ein "Aber"! Fand ich wo eine Schönheit, so fehlte ihr die Gnade, war das Gefundene schön und liebewert, so fehlte die gute Art, oder besaß es auch dies, so war doch immer etwas, innen oder außen, was der ganzen Richtung meines Herzens zuwiderlief. Bei näherem Bekanntwerden fand ich heraus, dass es an einer Verdrossenheit über sich selbst litt. Anders du, du Schönheit voll unergründlicher Huld, Gnade und Wohlgestalt, Wort und Weise, Adel und Tugend, Reichtum und Macht, du innerlich Freier und auch äußerlich Makelloser! Und was ich bisher nie fand, nämlich: die gerechte hinreichende Vergeltung nach Können, Vermögen und Wollen, wie es ein liebendes Herz sieht - auch das bist du! Je besser man dich kennt, um so mehr gewinnt man dich lieb. Je vertrauter man mit dir ist, um so liebenswerter findet man dich. Wahrhaftig, du bist das lautere, unergründliche, vollkommene Gut!

Sehe es jedes Herz! Wer seine Liebe an etwas anderes vergibt, der ist betrogen. Ach, ihr falschen Lieben, fort von mir! Kommt mir nimmer nahe, denn das einzige Lieb habe ich mir im Herzen erkoren. Herz, Geist, Begehren, alle meine Kräfte sind erfüllt von inniger Liebe, die nimmer zerrinnt. - O Herr, könnte ich dich auf mein Herz zeichnen, könnte ich dich in mein Herzinnerstes eingraben mit goldenen Buchstaben, dass du nie mehr aus mir wichest! Jammer und Schande, dass sich mein Herz nicht alleweil darum sorgte! Was habe ich von meinen Liebhabern Gutes gewonnen? Nichts als verlorene Zeit, flüchtige Worte, eine leere Hand, kaum ein gutes Werk, ein schuldbeladenes Gewissen! Guter Herr, gib mir den Tod in deiner Liebe, ich will mich von deinen liebenden Fußstapfen nie mehr entfernen!

Antwort der Ewigen Weisheit: Wer mich sucht, dem komme ich zuvor, wer meine Liebe begehrt, den empfange ich in Liebe und Freude. Was du in der Zeit von mir empfindest an Wonne der Liebe, das bedeutet gegen die Liebe der Ewigkeit soviel wie ein Tropfen vor dem Meer.

VIII. Eine Auslegung über drei Punkte, die dem Liebenden an Gott unvereinbar vorkommen können. Das eine ist: Er erscheint zornig und ist doch so liebevoll

Der Diener: Guter Herr, drei Dinge wundern mich sehr. Das erste ist: Du bist über alles liebevoll in dir selber und doch der strenge Richter der Schuld. Wenn ich deine strenge Gerechtigkeit bedenke, so klagt mein Herz mit Sehnen: Wehe allen Sündern! Kennten sie das strenge Urteil - du verkündest es schweigend ohne Einspruch über jede Sünde, auch vor deinen besten Freunden -, sie sollten sich eher Zähne und Haare ausreißen, als dich je zu erzürnen. O, der Zorn in deinem Antlitz ist so grimm, dein Unwille, das Wegwenden nicht zu ertragen, wehe, deine Worte, feindlich wie Feuer, zermartern Herz und Seele. Herr, schütze mich vor dem Zorn deines Antlitzes, spare die Vergeltung für mich nicht auf für jene Welt. Schau, wenn ich annehmen müsste, du habest, gekränkt ob meiner Sündenschuld, dein Antlitz von mir gewandt - Herr, das ist mir so leid, dass mir nichts in der weiten Welt gleich bitter ist. Getreuer Herr und Vater mein, wie sollte mein Herz je dein düsteres Antlitz ertragen? Ach, denke ich an dein verändertes, zorniges Antlitz, so grämt sich meine Seele, meine Kraft gerät ins Zittern.. . . ich kann es nur dem vergleichen, wenn der Himmel sich allmählich verdunkelt und einschwärzt, der Blitz im Gewölk wütet und ein Donnerschlag die Wolken zerreißt, so dass die Erde bebt und der Feuerstrahl auf einen Menschen niederschießt.

Niemand, Herr, traue deinem Schweigen! Es schlägt gewiss alsbald um in einen grimmen Donner. Herr, dein Zorn im Antlitz, der Zorn des Vaters, ist dem Menschen, der Angst hat, dich zu erzürnen und zu verlieren, die Hölle unter allen Höllen - ich will schweigen von dem erzürnten Antlitz, das die Bösen am Jüngsten Tag in ihrer Herzensqual ansehen müssen. Weh, weh, weh, auf wen der große Jammer wartet!

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich bin das unwandelbare Gut, ich bin und bleibe der Gleiche. Dass ich ungleich erscheine, das erklärt sich aus der Ungleichheit derer, die mich mit oder ohne Sünde ungleich ansehen. Ich bin die Liebe von Natur und doch der furchterzeugende Richter der Sünde. Im erwarte von meinen Freunden kindliche Ehrfurcht, Liebe und Liebe. Die Furcht soll sie allezeit abschrecken von Sünden, die Liebe soll sie mir vereinen in wahrer Treue.

IX. Der zweite Punkt: Warum entzieht er sich seinen Freunden, wie es ihm gefällt, und woran erkennt man seine wahre Gegenwart?

Der Diener: Es geht mir, Herr, alles nach Wunsch, bis auf eines: Wahrlich, Herr, sehnt sich eine Seele ganz nach dir und dem Liebekuss deiner lieben Gegenwart, ja Herr, dann schweigst du und lässt kein Sterbenswörtlein vernehmen. O mein Herr, soll das nicht weh tun? Du bist doch das einzige auserkorene Herzlieb und gebärdest dich so fremd und verhältst dich still ...

Antwort der Ewigen Weisheit: Alle Geschöpfe rufen doch für mich: Ich bin.

Der Diener: O Herr, das ist der Sehnsucht der Seele nicht genug.

Antwort der Ewigen Weisheit: Jedes Wort, über mich gesprochen, ist ein Bote der Liebe an ihr Herz, jedes Wort der Heiligen Schrift, von mir eingegeben, ist ein Brieflein der Liebe wie von mir selbst an sie geschrieben. Soll ihr das nicht genügen?

Der Diener: O gutes, auserwähltes Lieb, du kennst es doch: einem liebenden Herzen genügt nichts, was sein einziges Lieb, sein einziger Trost nicht selber ist. Herr, du bist ein trautes, auserwähltes, unergründliches Lieb, sieh, sprächen aller Engel Zungen zu mir, drängte und triebe die unergründliche Liebe doch zu dem Einen, den sie begehrt. Eine liebende Seele nähme dich doch für das Himmelreich. Du bist ihr Himmelreich. - Herr, darf ich es sagen, du solltest diesem armen liebenden Herzen etwas mehr Treue zeigen ... sie darben und dürsten nach dir, sie schicken manchen innigen Herzensseufzer zu dir, ihrem einzigen Lieb, sie blicken so hilflos zu dir auf, sie rufen aus Herzensgrund: "Komm, komm wieder" (Hld 6, 12). Sie sind mit sich selber im Gespräch: "O weh, hast du ihn erzürnt, meinst du? Will er dich loshaben? Gewährt er dir je wieder die Gegenwart seiner Liebe, dass du ihn mit den Armen deines Herzens liebend umfangen und an dich drücken kannst? Schwindet all dein Leid - meinst du?" - Herr, du hörst und weißt das und - schweigst?

Antwort der Ewigen Weisheit: Ja, ich weiß es, ich sehe es gern und mit der Freude des Herzens.

Die Weisheit fragt: Nun beantworte auch mir eine Frage, wo du so an Geheinmissen grübelst: Was unter allen Dingen, was mundet dem höchsten geschaffenen Geist am vorzüglichsten?

Der Diener: Das will ich von dir wissen. Herr. Die Frage ist mir zu hoch.

Antwort der Ewigen Weisheit: So will ich es dir sagen. Dem ersten der Engel mundet nichts besser, denn meinem Willen zu genügen in allen Dingen. Wüsste er, dass es mir Lob bedeutet, Nesseln und anderes Unkraut zu jäten, er schaffte mir Freude.

Der Diener: Du hast mich in dieser Frage geschlagen. Denn du meinst: ich soll mich ledig und gelassen halten gegen die Lust und allein dein Lob suchen in Härten wie in Wonnen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Gelassenheit der Gelassenheit ist das: Gelassensein in Verlassenheit.

Der Diener: O Herr, das tut arg weh.

Antwort der Ewigen Weisheit: Wie bewährt sich die Tugend anders als im Leiden? Doch wisse, ich komme oft und begehre Einlass in mein Haus, es wird mir versagt ... Oft werde ich feierlich empfangen wie ein Pilger, aber ungastlich gehalten und alsbald ausgewiesen.

Ich komme zu meiner Geliebten höchsteigen und wohne ihr liebevoll bei. Doch das vollzieht sich so insgeheim, dass es allen Menschen verborgen bleibt außer denen, die ganz abgeschieden leben und auf meine Wege achten. Sie stehen allezeit auf der Warte, um meiner Gnade gewärtig zu sein. Denn ich bin meiner Gottheit gemäß im Wesen ein lauterer Geist und werde geistig im lauteren Geiste empfangen.

Der Diener: Mich dünkt, Herr, du bist ein sehr heimlicher Liebhaber. Gib mir darum, ich bitte, ein paar Anzeichen deiner wahren Gegenwart.

Antwort der Ewigen Weisheit: Meine wahre Gegenwart erkennst du nirgends so gut als darin: Wenn ich mich verborgen halte und mich der Seele entziehe, dann wirst du es erst inne, wer ich bin und wer du. Ich bin das ewige Gut, ohne das niemand Gutes hat. Wenn ich, das ewige Gut, meine Güte und Liebe ausfließen lasse, so wird alles gut, wohin ich komme. Dabei kann man meine Gegenwart erkennen, so wie die Sonne an ihrem Glanz, die man doch in ihrer Substanz nicht zu sehen vermag. Empfindest du mich je einmal (gegenwärtig), so gehe in dich, lerne die Rosen von den Dornen zu unterscheiden und die Blumen herauszufinden.

Der Diener: Gut, Herr, ich suche, aber ich finde in mir große Ungleichheit. In der Verlassenheit ist meine Seele wie ein Kranker, dem nichts mundet, der zu nichts Lust hat. Der Leib ist faul, das Gemüt niedergeschlagen - inwendig Härte, außen Trauer. Alles, was ich sehe, höre, verdrießt mich, wiewohl ich weiß, wie gut es ist. Es fehlt mir dann an Haltung. Ich neige zu Fehlern, vernachlässige den Widerstand gegen den Feind, bin kalt und lau in allem Guten. Wer mich besucht, findet ein leeres Haus, der Wirt ist nicht daheim, er, der guten Rat erteilt und das ganze Gesinde anspornt.

Wenn aber der lichte Morgenstern aufbricht in meiner Seele Mitten, Herr, dann verfliegt alles Leid, die Finsternis flieht, die lichte Heiterkeit erscheint, da lacht mir das Herz, Herr, da jubelt mein Gemüt, da singt meine Seele, es wird mir ganz hochzeitlich zumute, alles in mir und an mir wandelt sich in Lobpreisung für dich. Was schwer, mühselig, unmöglich erschien, das stellt sich als leicht und süß dar. Fasten, Wachen, Beten, Leiden, Meiden, alles Strenge gilt nichts in deiner Gegenwart. Ich stehe da in großer Entschlossenheit, ich verliere sie aber wieder in Verlassenheit. Die Seele ist von Klarheit, Wahrheit und Wonne durchströmt, sie vergisst der Mühen. Das Herz kann gut betrachten, die Zunge Hohes reden, der Leib jede Sache leicht in Angriff nehmen. Wer etwas sucht, findet da guten Rat für alles, was er begehrt. Mir ist da, als hätte ich Raum und Zeit übersprungen und stünde im Vorhof der ewigen Seligkeit.

Herr, wer gewährt mir, dass es nunmehr lange so anhält? Denn geschwind, in einem Nu, wird alles entrückt, ich bin wieder bloß und verlassen, manchmal gar so, als hätte ich es nie erlebt, bis es vielleicht wiederkommt nach viel Jammer des Herzens. - Ach, Herr, bist du es? Bin ich es? Oder wer ist das?

Antwort der Ewigen Weisheit: Du bist und du hast von dir aus nur Gebrechen. - Ich bin es, und das ist der Liebe Spiel.

Der Diener: Herr, was ist der Liebe Spiel?

Antwort der Ewigen Weisheit: Alldieweilen Lieb bei Lieb ist, weiß Liebe nicht, wie lieb Liebe ist. Wenn aber Lieb von Liebe scheidet, weiß Liebe erst, wie lieb Liebe war.

Der Diener: Ein mühsames Spiel, Herr! Verliert ein Mensch diese Wechselhaftigkeit je in dieser Zeit?

Antwort der Ewigen Weisheit: Nur wenige. Denn Unwandelbarkeit kommt der Ewigkeit zu.

Der Diener: Welches sind solche Menschen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Die ganz Geläuterten, die der Ewigkeit am meisten Gleichgeformten.

Der Diener: Und wer sind diese?

Antwort der Ewigen Weisheit: Die alles, was sie hemmt, geflissentlich abgetan haben, das sind sie.

Der Diener: Guter Herr, lehre mich, wie ich mich in meiner Unvollkommenheit hierin (in diesem Wechselzustand) verhalten soll?

Antwort der Ewigen Weisheit: Du sollst in guten Tagen um die schlimmen wissen und in schlimmen der guten nicht vergessen (Sir 11, 27). So kann dir weder Übermut in der Gegenwärtigkeit noch Schwermut in der Verlassenheit Schaden bringen. Bist du zu schwach, die Ferne von mir in Freude hinzunehmen, so nähre doch das geduldige Sehnen in dir und das liebe Suchen.

Der Diener: Ach, Herr, langes Warten tut weh (Spr 13, 12).

Antwort der Ewigen Weisheit: Ja, wer in der Zeit kein Lieb haben will, der muss Wohl und Weh ertragen. Es genügt nicht, mir eine Zeit im Tag zu opfern. Wer Gott inwendig empfinden, seine geheimen Worte hören und seine verborgenen Ziele wahrnehmen will, der muss stetig inwärts verbleiben. - Sieh, wie lässt du Herz und Augen leichtsinnig spazieren gehen, wo du doch das ewige Bild voll Wonne vor dir stehen hast. Es wendet sich auch keinen Augenblick lang von dir ab. Wie lässt du deine Ohren schlafen, indes ich dir Worte der Liebe zuspreche! Wie vergisst du deiner selbst so offenkundig, wo dich das ewige Gut mit seiner Gegenwart umgibt ! Was sucht die Seele, die das Himmelreich verborgen in sich trägt, in der Äußerlichkeit? (vgl. Lk 17, 21).

Der Diener: Was ist das Himmelreich, das in der Seele ist?

Antwort der Ewigen Weisheit: Das ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geiste (Röm 14,17).

Der Diener: Ich erkenne, Herr, aus dieser Rede, dass du manchen geheimen Umgang mit der Seele pflegst, der ihr selber verborgen ist. Du ziehst sie in Verborgenheit und weisest sie wohl ein in die Liebe und Erkenntnis deiner Gottheit, sie, die zuvor allein sich um deine holde Menschheit bemühte.

X: Der dritte Punkt: Warum lässt Gott es seinen Freunden in dieser Zeit so recht übel ergehen?

Der Diener: Herr, es liegt mir etwas auf dem Herzen. Darf ich davon mit dir sprechen? - Guter Herr, darf ich, gestattest du, mit dir zu disputieren wie der heilige Jeremias? Zürne nicht, lieber Herr, höre in Geduld!

Man spricht: Deine Liebe ist innig und süß und auch die Freundschaft mit dir, und doch lässt du sie deinen Freunden mitunter sauer werden in Leid und Bitternis, die du ihnen schickst, sie werden von aller Welt geschmäht, sie fallen in Widerwärtigkeiten von innen wie von außen. Ist einer in die Freundschaft mit dir eingetreten, so ist der erste Schritt danach, sich entschlossen auf Leiden gefasst zu machen (vgl. Sir 2,1). Bei deiner Güte, Herr, was kann für die darin Süßes stecken, wie magst du das dulden bei deinen Freunden? Oder machst du darüber keine Mitteilung?

Antwort der Ewigen Weisheit: Wie mich der Vater liebt, also liebe ich meine Freunde (Jo 15,9). Ich handle an meinen Freunden, wie ich ihnen getan habe von Anfang der Welt bis auf den heutigen Tag.

Der Diener: Das eben, Herr, ist die Klage, darum sagen sie, du habest so wenig Freunde, weil du es ihnen in dieser Welt so schlecht gehen lässt. Herr, darum sind auch viele, die deine Freundschaft erwerben und sich im Leid bewähren sollen, aber dann fortgehen, und - ich muss zu meinem Leidwesen und unter Kummer des Herzens bekennen - sie kehren sich wieder dem zu, was sie vordem gelassen haben für dich. Was sagst du dazu, mein Herr?

Antwort der Ewigen Weisheit: Das ist die Klage von Menschen schwachen Glaubens und armer Werke, lauen Lebens und ungeübten Geistes. Doch du, Geliebte, voran im Gemüt, heraus aus dem Sumpf und den tiefen Lachen der leiblichen Lust! Tu deinen inneren Sinn auf, öffne deine geistigen Augen, schau und vernimm es genau, was du bist, wo du stehst und wohin du gehörst. Sieh, so magst du erkennen, dass ich meinen Freunden das Liebenswerteste antue.

Du bist von Natur ein Spiegel der Gottheit, du bist ein Ebenbild der Dreifaltigkeit, ein Gebilde der Ewigkeit. Wie ich in meinem ewigen ungewordenen Sein das Gut bin, das unendliche, so bist du in deinem Begehren ohne Maß. Und so wenig ein Tröpflein für die Tiefe des Meeres etwas bedeutet, ebensowenig bedeutet etwas zur Stillung deines Begehrens alles, was die Welt nur bieten kann.

Du bist in dem elenden Jammertal, in dem Liebe mit Leid, Lachen mit Weinen, Freude mit Trauer gemischt ist, in dem kein Herz volle Freude gewann. Denn es trügt und lügt - ich sage es dir -, es verspricht viel und leistet wenig, es ist kurz, unstet, wechselhaft. - Heute der Liebe viel, morgen das Herz Leides voll, das ist dieser Zeiten Spiel.

XI. Vom immerwährenden Jammer der Hölle

Die Ewige Weisheit: Meine Erkorene, erkenne nun bis ins Herz hinein den elenden Jammer. Wo sind sie nun, die sich bislang mit Ruhe und Vergnügen daheim fühlten in dieser Zeit, mit des Leibes Lässigkeit und Gemächlichkeit? O des Jammers! Was hilft jenen nun alle Freude dieser Zeit? Sie ist mit ihr verflogen, als sei sie nie gewesen. Wie ist die Liebe so schnell dahin, das Leid aus ihr aber muss ewig währen. O, ihr dummen Narren! Wo bleibt nun, was ihr so lustig verhießet: "Auf, ihr fröhlichen Kinder, wir wollen der Trauer Urlaub geben und hoher Freuden pflegen!" (Weish 2,6). Was hilft euch nun alle Freude, die ihr je eingefangen? Ihr könnt wohl mit jämmerlicher Stimme rufen: "Weh, weh, ewig weh, dass wir für diese Welt geboren wurden! Die kurze Zeit hat uns betrogen, wie hat uns der Tod hinterrücks beschlichen! Weh, wer auf Erden ist so betrogen worden, wie wir Armen betrogen sind? Will vielleicht jemand aus fremdem Schaden Lehren ziehen? Trüge auch ein Mensch aller Menschen Leiden tausend Jahre lang, es wäre gegen hier ein Augenblick. Weh, wie selig der Mann, der nie Freude ohne Gott suchte, der sich nie gute Tage in der Zeit machte. Wir Toren wähnten, er sei von Gott verlassen und vergessen - ei, wie hat er ihn nun in der Ewigkeit so lieb umfangen und in so großen Ehren vor dem ganzen Himmelsheer! Was konnte ihm alles Leiden und Schmach schaden? Sie wurden für ihn zu großen Freuden! All unsere Lust aber - wie ist sie dahin! Ach, Jammer über Jammer - es währt ewig! Weh, immer und immer - was bist du? Weh, Ende ohne Ende - weh, Sterben ob allem Sterben -, jede Stunde sterben und doch nicht aussterben können!

Weh, Vater und Mutter, alle Lieben zusammen, behüte euch Gott für immer - wir sehen euch nimmermehr, zu keiner Freude je einmal, wir müssen von euch geschieden bleiben - ewig! Weh, Scheiden, immerwährendes Scheiden - du tust gar weh! Weh, Händeringen, Zähneknirschen, Weinen und Seufzen! Weh, Rufen und Heulen - und nie gehört werden! - Unsere armen Augen dürfen nie mehr etwas anderes sehen als Angst und Not, unsere Ohren nichts hören als Ach und Weh. - O, ihr Herzen alle, lasst euch erbarmen des Jammers: "Immer und immer!" Lasst euch das Elend von "Immer und immer!" zu Herzen gehn!

Weh und weh, ihr Berge und Täler, worauf wartet ihr? Was zögert ihr? Warum verschont ihr uns? Warum, bei diesem Jammer des Anblicks, stürzt ihr nicht auf uns? (Vgl. Hos 10, 8 und Lk 23, 30.)

Weh, Leiden jener Welt, Leiden dieser Welt - wie ist das ungleich!

Weh, Gegenwart, du blendest, du betrügst! - Dass wir das nicht voraussahen in jungen, blühenden Tagen, in schöner, freudvoller Zeit. Wir haben sie eitel vergeudet, weh, sie kommen nimmer und nimmer zurück. Ach und Weh, hätten wir noch ein einziges Stündlein für uns aus den langen Jahren - es ist uns von Gottes Gerechtigkeit versagt und muss hoffnungslos versagt bleiben.

O, der Not und des Leides und Jammers in diesem vergessenen Lande, wo wir von allen Lieben, ohne Trost und Zuversicht, für immer geschieden bleiben! - Weh, wir begehrten nichts anderes als das: Gäbe es einen Mühlstein, groß und breit wie die ganze Erde und rundherum hoch, dass er den Himmel berührte, und käme nach hunderttausend Jahren ein Vögelein und pickte von dem Stein soviel ab wie den zehnten Teil eines Hirsekerns und abermals nach hunderttausend Jahren soviel, so dass es in zehnmal hunderttausend Jahren soviel von dem Stein abgepickt hat wie ein Hirsekorn groß ist - wir Elenden wünschten nichts weiter, als dass mit dem Ende des Steines auch unsere ewige Marter ein Ende fände! Und das kann nicht sein!" - Schau, das ist der Jammergesang, der auf die Freuden dieser Zeit folgt!

Der Diener: Weh, strenger Richter, mein Herz ist bis in den Grund erschrocken. Meine Seele sinkt ohne Kraft dahin ob dem Jammer und Erbarmen über die armen Seelen. Wer in aller Welt ist so verrucht, dieses anzuhören und nicht zu erzittern ob dieser grimmen Not? Weh, weh, mein einzig Lieb, verlass mich nicht! Weh, mein einziger, auserwählter Trost, wende dich nicht so von mir! - Weh, sollte ich jedoch für immer und ewig von dir, meinem einzigen Lieb, geschieden sein - ich will von anderem schweigen -, ach des Jammers und der Not, lieber wollte ich jeden Tag tausendmal gemartert werden. Denke ich nur an die Trennung, ich möchte vor Angst erliegen.

Mein Herr, guter Vater, verfahre mit mir hier, wie du willst. Ich gebe dazu meine freie Einwilligung, erlass mir nur den Jammer, von dir geschieden zu sein, ich könnte es mitnichten ertragen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Kein Erschrecken! In Ewigkeit bleibt ungeschieden, was in der Zeit vereint ist.

Der Diener: O Herr, möchten es doch alle Menschen hören, die ihre schönen Tage noch so sinnlos zubringen! Sie sollten gewitzigt werden und ihr Leben ändern, ehe ihnen auch so geschieht!

XII. Von der unermesslichen Freude des Himmels

Die Ewige Weisheit: Nun erhebe deine Augen, schau, wohin du gehörst. Du gehörst in das Vaterland des himmlischen Paradieses, bist hier ein fremder Gast, ein Pilger im Elend. Wie darum ein Pilger wieder in seine Heimat eilt, wo die lieben Freunde auf ihn warten und in großer Sehnsucht verharren, so sollst du ins Vaterland eilen, wo man dich gern sieht, wo man herzlich nach deiner frohen Gegenwart verlangt, wo sie dich liebevoll begrüßen, freundlich empfangen und dich ihrer seligen Gemeinschaft auf ewig vereinen.

Schau, wüsstest du, wie sehr sie dich bei sich haben möchten, wie sie wünschen, du mögest wacker streiten im Leiden und dich ritterlich bewähren in allen Widerwärtigkeiten, die sie überstanden haben, und nun mit großer Genugtuung auf die harten Jahre, die sie hatten, herabsehen - dir schiene alles Leid erträglich, denn je bitterlicher du gelitten, desto würdiger wirst du empfangen.

Wie tut die Ehre dann wohl, wie zieht die Freude durch Herz und Gemüt, wenn die Seele von mir vor meinem Vater und dem ganzen Himmelsheer zu Recht gerühmt, gelobt und gepriesen wird, weil sie hier im Streit der Zeit soviel ausgehalten, gekämpft und überwunden hat - unverständlich für den, der im Leben ohne Leiden war! Wie wird die Krone, hier so sauer verdient, dort herrlich aufglänzen, wie werden Wunden und Zeichen, aus Liebe zu mir empfangen, von innen leuchten! Siehe, du lebst daheim im Vaterland unter lauter Freuden, selbst der Unbekannteste der unzählbaren Schar liebt dich in Treue von Herzen, mehr noch als Vater und Mutter ihr einziges herzliebes Kind je liebten in dieser Zeit!

Der Diener: Bei deiner Güte, Herr, darf ich dir nun zumuten, mir noch mehr von unserem Vaterland zu sagen, damit ich mich um so mehr nach ihm sehne und alle Widerwärtigkeit nun um so besser ertrüge? - Mein Herr, wie sieht es aus in dem Land? Was tut man dort? Sind viele da? Oder auch: Wissen sie um unser Befinden hier so recht, wie deine Worte es ausweisen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Mache dich auf mit mir, ich will dich in der Betrachtung dahin führen und dir einen fernen Einblick gewähren an Hand eines allerdings groben Gleichnisses. - Siehe, viel weiter als hunderttausend Stunden über allem Erdreich, da ist der neunte Himmel (*"coelum empyreum" nach Thomas von Aquin). Er hat seinen Namen nicht vom Feuer, sondern vom unermesslichen Glanz und der Klarheit, die ihm von Natur aus eigen sind - unbewegbar, unzerstörbar. Und das ist der herrliche Hof, in dem das himmlische Heer wohnt, in dem mich allzumal lobt das Morgengestirn und alle Gotteskinder jubeln (vgl. Job 38, 7). Da stehen die ewigen, von unbegreiflichem Licht umflossenen Throne, von denen die bösen Geister gestürzt wurden, sie gehören jetzt den Auserwählten. Sieh, die Stadt der Freude glänzt von getriebenem Gold, leuchtet von kostbaren Gemmen, sie ist mit edlem Stein belegt, klar wie Kristall, im Schein roter Rosen, weißer Lilien und allerlei lebender Blumen. Hei nun, schau selber hin auf die Herrlichkeit der himmlischen Heide: die ganze Sommerwonne, des Maien lichte Aue, das Tal der guten Freude! Man sieht den Blick von Lieb zu Lieb gehen, Harfen, Geigen, Singen, Springen, Tanzen, der Freuden ganzer Reigen ist im Schwung. Hier Wunsches Gewalt, hier Lieb ohne Leid in ewig währender Sicherheit! Schau um dich: die ungezählten Scharen, sie trinken aus dem sprudelnden, lebendigen Brunnen nach Herzenslust (vgl. Ps 42,2), ihr Blick ist dem lauteren, klaren Spiegel der reinen Gottheit verhaftet, in ihm werden ihnen alle Dinge kund und offenbar.

Schreite heimlich noch weiter, schau: die du so herzlich liebest, die gute Königin der himmlischen Lande, schwebt in Freud und Wonne über allem himmlischen Heer, zärtlich ihrem Geliebten zugeneigt (vgl. Hld 8, 5), umgeben von Blumen, Rosen und den Lilien des Tales (Hld 2, 1). Schau, ihre Schönheit und Wonne wird Wonne, Freude, Staunen dem ganzen Volk des Himmels. Schau nun, ein Blick, der dir Herz und Gemüt aufrichtet: Die Mutter der Barmherzigkeit richtet ihr Auge, das milde, barmherzige Auge, dir zu und allen Sündern . .. Wie gewaltig sie alle schützt und mit ihrem lieben Sohn versöhnt!

Wende dich jetzt und erkenne mit den Augen des lauteren Verstehens: die hohen Seraphim und die liebevollen Seelen des gleichen Chores (vgl. Dionisius: "Die himmlische Hierarchie") haben ein inbrünstiges Aufflammen zu mir, die lichten Cherubim und ihr Gefolge haben ein lichtes Einfließen und Ausfließen meines ewigen, unbegreiflichen Lichtes, die hohen Throne und ihre Schar haben ein süßes Ruhen in mir und ich in ihnen.

Schau: die Dreiheit der anderen Schar, der Herrschaften, der Kräfte und Gewalten vollziehen die wonnevolle, ewige Ordnung in der Gesamtheit der Natur ... Die dritte Schar der englischen Geister verkündet meine hohe Botschaft in aller Welt, sie vollzieht mein Gesetz allüberall. . . Schau, wie herzwonnig und vielfältig gegliedert die große Schar dasteht - ein unvergleichlicher Anblick!

Und wieder wende den Blick: Meine auserwählten Jünger und meine allerliebsten Freunde sitzen in großer Ruhe und Ehre auf würdigen Richterstühlen, die Blutzeugen leuchten in ihren rosafarbenen Gewändern, die Beichtiger (Bekenner) glänzen herrlich grün (* nach der grünen Farbe der damaligen Liturgie an ihren Festen), die zarten Jungfrauen strahlen in engelgleicher Reinheit, das ganze himmlische Heer labt sich in göttlicher Wonne. o, welche Gemeinschaft, ein Land voll Freude!

Sieh, in dieses Vaterland, aus dem Elend heraus, führe ich mit eigenem Arm mein liebes Gemahl, um ihm die überreiche Morgengabe darzubieten: ich ziere sie inwendig mit dem herrlichen Gewand des Lichtes der Glorie, das sie erhebt über alle Ausstattung der Natur, mit dem verklärten Leib wird sie auswendig gekleidet, er ist siebenmal lichter als der Sonnenschein, schnell, von feinerer Art und unfähig zu leiden. Ich setze ihr aufs Haupt eine Krone aus Gold und Wonne und ein gülden Kränzlein.

Der Diener: Guter Herr, was ist die Morgengabe, was die Krone und was das zierliche Kränzlein?

Antwort der Ewigen Weisheit: Die Morgengabe ist das offene Schauen dessen, was du hier nur im Glauben erfassest, ein Ergreifen in Gegenwärtigkeit dessen, was du hier erhoffest, ein Genießen in Lust und Liebe dessen, was hier deine Liebe ist. Die Krone der Wonne ist wesentlicher Lohn, das zierliche Kränzlein aber ist der zusätzliche Lohn (*"zufallender Lohn" = der akzidentelle Lohn nach Thomas von Aquin).

Der Diener: Herr, was ist das?

Antwort der Ewigen Weisheit: Der zusätzliche Lohn liegt in der besonderen Freude, die der Seele zukommt aus besonderen, lobenswerten Werken, in denen sie sich hier hervorgetan hat, wie die großen Lehrer, die todesmutigen Martyrer, die reinen Jungfrauen. Der wesentliche Lohn aber liegt in der Vereinigung der Seele im Schauen mit der reinen Gottheit. Sie findet ja keine Ruhe, ehe sie nicht, hinausgeführt über ihre Kraft und ihr Vermögen, eingewiesen wird in die Natur und das Wesen der Personen und in des Wesens bloßer Einfalt. In diesem findet sie Genügen und ewiges Glück. - Je gelöster und abgeschiedener der Ausgang, desto näher der Eingang in die wilde Wüste (reine Einsamkeit), den tiefen Abgrund der Gottheit. Sie werden in ihn versenkt, verschwemmt, vereint und wollen nichts anderes, als was Gott will. Und das ist das selbige, was Gott ist. Das heißt: sie sind selig aus Gnade, er aber ist selig von Natur.

Nun erhebe freudig dein Antlitz, vergiss eine Weile deine Leiden, erfrische dein Herz in dieser sanften Stille mit der lieben Gemeinschaft, die du verborgen erschaust. Sieh, wie rosenrot, wie wonnig ihre Gesichter leuchten, die hier meinetwegen oft in Scham erröteten. Wohlauf, erhebe dein Herz und singe: Wo ist nun die bittere Scham, die eure reinen Herzen durchdrungen? Wo die Häupter, die sich senkten, wo die Augen, die niederschlugen, wo das heimliche Herzeleid, die tiefen Seufzer, die bitteren Tränen? Wo die bleichen Gesichter, wo die Armut und Entbehrung, wo die klägliche Stimme: "Ach Herr, o Gott, wie ist mir weh ums Herz!" Wo sind, die euch schmähten und verfolgten? Man hört nicht mehr Tag und Nacht: "Auf zum Streit, zum Kampf, zum Gefecht!" wie bei einem, der gegen die Heiden kämpft. Wo ist nun, was ihr inwendig zu tausend Malen spracht in Gegenwart der Gnade: "Bist du bereit, festzustehen in Verlassenheit?" Man hört nicht mehr den armen Ruf der Klage, den ihr damals getan: "Herr, wie hast du mich verlassen?" (Mt 27, 46). Ich höre aber liebevoll das Wort erklingen in eueren Ohren: "Kommt her zu mir, meine Geliebten, besitzet das ewige Reich, das euch bereitet seit Anbeginn der Welt!" (vgl. Mt 25, 34).

Wo ist das Leiden, Weh und Ungemach, das euch die Erde bescherte? O Gott, schnell wie ein Traum ist alles dahingefahren, als hättet ihr nie Leides erduldet. Wahrhaftig, guter Gott, dein Gesicht bleibt der Welt verborgen (vgl. Röm 11,33).

Nun, ihr Auserkorenen, es ist nicht mehr an dem, sich in die Ecke zu verziehen und zu verbergen vor dem Toben und Unsinn der anderen! - O, wären alle Herzen ein Herz, sie alle könnten nicht bemessen die große Ehre, die überhohe Würde, Lob und Herrlichkeit, die ihr für und für genießen sollt. O, ihr Fürsten des Himmels, ihr edlen Könige und Kaiser, ihr ewigen Kinder Gottes, wie ist euer Antlitz voll Wonne, euer Herz voll Freude und hohem Mut, wie erklingt eure Stimme freudig im Gesang! O ja, Dank und Preis, Heil und Herrlichkeit, Gnade, Wonne, ewig Ehre sei ihm gesagt aus Herzensgrund von Ewigkeit zu Ewigkeit, ihm, aus dessen Gnade wir dies alles immer und ewig empfangen haben! (vgl. Offb 7, 12). - Sieh hier, dein Vaterland, hier das Ruhen in Fülle, hier Freude aus Herzensgrund, hier das Lob, unergründlich, immerwährend.

Der Diener: O Wunder über Wunder! Du unfassbares Gut, was bist du? O guter, auserwählter, liebewerter Herr, wie ist hier gut sein! O mein einzig Lieb, lass uns dahier bleiben!

Antwort der Ewigen Weisheit: Hier ist noch nicht des Bleibens. Du musst noch manchen kühnen Streit ausfechten. Dieser Einblick ist dir nur gewährt, damit du dorthin eine geschwinde Kehr nimmst aus deinen mancherlei Leiden. - Du kannst nun nicht mehr verzagen, du sollst alles Leid vergessen. Das ist auch die Antwort auf Rede und Klage unvernünftiger Leute, ich ließe es meinen Freunden schlecht gehen.

Nun sieh die Ungleichheit der Freundschaft dieser Zeit mit der meinen, und wie ungleich gut ich es meinen Freunden ergehen lasse, wenn man es recht nimmt - zu schweigen von dem Kummer, den Mühen und manchem schweren Leid, in dem sie (die Freunde der Welt) schwimmen und waten Tag und Nacht, sie sind so geblendet, sie verstehen es nicht. - Meine ewige Ordnung ist diese: jedes ungeordnete Gemüt ist sich selbst Marter und Strafe. Meine Freunde erleiden Ungemach des Leibes, genießen aber Herzensfrieden. Freunde der Welt suchen Freuden des Leibes und gewinnen Ungemach für Herz, Seele und Gemüt.

Der Diener: Herr, von Sinnen, im Wahn leben jene, die deine wahre Freundschaft und die der falschen Welt gegeneinander halten. Du habest nur wenige Freunde und wenige, die sich über Leiden nicht mehr beklagen.Diese Blinden! O wie ist deine väterliche Rute so liebenswert! An wem du sie nicht sparst, selig ist er (vgl. Spr 3,12). Herr, ich sehe ein, Leiden kommt nicht von Härte, es fließt aus Güte und Liebe. Behaupte keiner mehr, du habest deiner Freunde vergessen! An denen du hier Leiden sparst, weil du an ihnen zweifelst - derer hast du vergessen. Herr, die sollen hier billigerweise nicht gute Tage, nicht Lieb noch Freude haben, die du dort vor der ewigen Not bewahren willst, um ihnen die immerwährenden Freuden zu gewähren. - Lass mich, o Herr, ich bitte, den zweifachen Anblick nicht mehr aus den Augen verlieren (* nämlich von Hölle und Himmel), dass ich deiner Freundschaft nie mehr verlustig gehe!

XIII. Vom unermesslichen Adel zeitlichen Leidens

Guter Herr, sage mir nun, welches Leiden, das inwendig nütze und gut ist, meinst du? Ich wünsche von Herzen mehr davon zu hören, damit ich es, wenn du es schickst, annehme in Liebe und Freude aus der Hand des Vaters.

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich meine jedes Leid, wird es nun freiwillig angenommen oder unfreiwillig verlangt. Der Mensch mache aus der Not eine Tugend, er wolle ohne Willen von Leiden nicht frei sein, er ordne es ein mir zum ewigen Lob in Liebe, Demut und Geduld. Je freiwilliger, um so edler und angenehmer für mich! Sieh, von derlei Leiden vernimm nun mehr, schreibe es dir tief ins Herz, halte es dir vor die Seele als ein Zeichen!

Das Einwohnen in der reinen Seele ist wie die lautere Lust des Paradieses. Darum kann ich es nicht dulden, dass sie mit Lieb und Lust einem Ding verfalle. Sie neigt von Natur zu schädlichem Vergnügen, darum werfe ich Dornen auf ihren Pfad (Os 2,6), ich bestücke jeden Ausweg mit Widerwärtigkeit, ihr zu Lieb oder zu Leid, sie soll mir nicht entkommen. Ich verstreue das Leid, wohin sie geht, nirgendwo soll sie den Fuß hinsetzen können als zu mir in die Höhe meiner göttlichen Natur. - Sieh, wären alle Herzen ein Herz, sie könnten in der Zeit nicht den kleinsten Lohn ertragen, den ich in der Ewigkeit biete für das kleinste Leid, gelitten für mich in der Liebe. Darin besteht meine ewige Ordnung in aller Natur, von der ich nicht abgehe: Alles Edle und Gute muss man sauer erwerben. Wer da bleibt, der bleibe. Viele sind berufen, wenige auserwählt (Mt 20,16).

Der Diener: Mag sein, Herr, Leiden ist unermesslich gut, wenn es nicht über das Maß geht und nicht unerhört grausam ist. Herr, du kennst allein das Verborgene, du hast alles nach Zahl und Maß erschaffen (Weish 11,21), du weißt, mein Leiden übersteigt jedes Maß, es geht über meine Kraft. Herr, wer in dieser Welt steht unaufhörlich so in Leid und Pein wie ich? Das ist mir unerfindlich. Wie soll ich es aushalten? Gäbst du mir gewöhnliche Leiden, Herr, die könnte ich ertragen, ich erkenne aber nicht, wie ich die außerordentlichen Leiden, die mir im geheimen Seele und Gemüt einengen - du kennst sie in der Tiefe -, wie ich diese durchstehen kann.

Antwort der Ewigen Weisheit: Jeder Kranke glaubt, er sei am übelsten daran, jeder Arme hält sich für den Allerärmsten. Hätte ich dir andere Leiden geschickt, es wäre das gleiche Lied. Füge dich bei jedem Leid, das ich von dir fordere, frei in meinen Willen, ohne dieses oder jenes Übel auszuklammern. Weißt du nicht, dass ich nur dein Bestes will, so wie du es dir selbst wünschest? Ich bin die ewige Weisheit und weiß besser, was dir das Allerbeste ist. Du magst es gespürt haben: Wer recht mittut, den bringen meine Leiden viel näher (zu mir), den führen sie in die Tiefe, den treiben sie mehr aufwärts als alle angenommenen Leiden. Wozu die Klage? Besser, du sprichst: "Mein herzenstreuer Vater, verfüge über mich nach deinem Willen!" (Mt 26, 42).

Der Diener: Herr, das Wort ist leicht zu sagen, aber der Augenblick des Leidens ist schwer zu tragen. Denn es schmerzt sehr.

Antwort der Ewigen Weisheit: Täte Leiden nicht weh, es hieße nicht Leiden. Nichts bitterer denn - leiden, nichts süßer denn - gelitten haben! Leiden ist kurzes Leid, und eine lange Liebe. Leiden bewirkt: Wem Leiden Leiden ist, dem wird Leiden zum Nicht-Leiden. - Hättest du soviel geistlicher Süße, göttlichen Trostes und Freude, dass du jeder Zeit überströmtest vom Tau des Himmels, das wäre dir an sich nicht so lohnbringend, denn ich hätte dir für das alles nicht soviel zu danken, es machte mich nicht in dem Maße zu deinem Schuldner, als leiden in Liebe und gelassen sein in der Härte, in der du mich aus Liebe erleidest (Ekkehart: "Gott leiden" = " Gott, der alles schickt, ertragen."). Es sind eher zehn umgeschwenkt im Braus der Lust und Freude, ehe einer umschwenkt im ausdauernden Leid und Widerwärtigkeit. Besäßest du soviel Wissen wie alle Sternseher, vermöchtest du so gut von Gott zu reden wie aller Menschen und Engel Zungen, hättest du aller Meister Reichtum an Wissen, das könnte dich nicht soviel voranbringen zu einem guten Leben, als dich in deinem Leid Gott ganz geben und überlassen. Das Erste ist Guten wie Schlechten gemeinsam, das Zweite allein meinen Auserwählten. Wer Zeit und Ewigkeit recht abwägen kann, der soll lieber hundert Jahre in einem brennenden Ofen liegen als den kleinsten Lohn um das kleinste Leid entbehren wollen in der Ewigkeit. Denn das Erste kommt zu Ende, das Letztere ist ohne Ende.

Der Diener: Du guter, liebenswerter Herr, das ist ein süßes Harfenspiel für einen leidenden Menschen. Herr, hörte ich deinen liebenswerten Gesang in meinem Leid, ich würde gerne leiden. Leiden wäre da besser als Nicht-Leiden.

Antwort der Ewigen Weisheit: So vernimm denn das süße Saitenspiel eines gottleidenden Menschen, wie voll die angeschlagenen Saiten tönen, wie süß sie erklingen.

Leiden ist vor der Welt Verworfenheit, vor mir eine unermessliche Ehre. Leiden löscht meinen Zorn und gewährt meine Huld. Leiden macht den Menschen liebenswert, der Leidende wird mir ähnlich. Leiden ist ein geheinmisvolles Gut, das niemand entgelten kann. Kniete einer auch hundert Jahre vor mir um ein Leiden in Freude, es wäre unverdient. Es macht aus einem irdischen Menschen einen himmlischen Menschen. Leiden macht die Welt zur Fremde und gewährt ständige Vertrautheit mit mir. Es mindert die Freude und mehrt die Gnade. Wessen ich mich in Güte annehme, der muss von aller Welt verleugnet und verlassen sein. Leiden ist der sicherste, der kürzeste und nächste Weg. Wer weiß, wie gut Leiden ist, der sollte es annehmen von Gott als eine werte Gabe. So mancher Mensch war ein Kind des ewigen Todes, er lag im tiefen Schlaf, das Leid hat ihn aufgeweckt und zu einem guten Leben gebracht. Ein Vergleich: das wilde Tier, der ungezähmte Vogel ist in seinem Käfig eingeschlossen, wie du es bist in deinem Leid. Wer ihm Stund und Statt ließe, nun, er wäre entronnen ... So du der ewigen Seligkeit!

Leiden bewahrt vor schwerem Fall, es hilft dem Menschen, sich selber zu erkennen, sich treu zu bleiben, seinem Nächsten zu vertrauen. Leiden hält die Seele demütig, es lehrt uns Geduld. Und sie hütet die Reinheit, sie bringt die Krone der ewigen Seligkeit. Kaum ein Mensch, der nichts Gutes zieht aus dem Leid, mag er nun in Sünden stecken oder noch im Anfang stehen, im Fortschritt oder in der Vollendung. Feuer fegt Eisen, läutert das Gold, lässt das Geschmeide erglänzen (* diese drei Tätigkeiten sind Sinnbilder für die vorher genannten Stufen des inneren Aufstiegs). Leiden verringert die Sünde, lindert das Fegfeuer, treibt Versuchungen aus, vertilgt die Mängel, erneuert den Geist, gibt Zuversicht, ein reines Gewissen und steten, hohen Mut. - Wisse: Es ist ein Gesundtrank, mehr als andere, ein Heilkräutlein aus dem Paradies. Es züchtigt den Leib, der doch verwesen muss, und speist doch die Seele, die ewig leben soll.

Sieh, die gute Seele blüht auf im Leid, wie die schöne Rose im Tau des Maien. Leid macht das Gemüt weise, den Menschen erfahren. Ein Mensch, der nie gelitten, was weiß der? Leiden ist eine Liebesgerte, ein Schlag des Vaters für seine Auserwählten. Leid zieht und zwingt den Menschen zum Guten, ob genehm oder nicht. - Wer sich fröhlich hält im Leiden, dem dient Lieb und Leid, Freund und Feind (zum Wohle).

Wie hast du mit deinem Lob im Leiden, mit Freude und Sanftmut deinen anzischenden Feinden das eiserne Gebiss eingeschlagen, sie zur Ohnmacht verurteilt! Lieber schüfe ich Leid aus dem Nichts, als meine Freunde ohne Leiden zu lassen. Denn im Leid reifen die Tugenden, schmückt sich der Mensch, bessert sich der Nächste und Gott findet Lob. - Geduld im Leiden ist lebendiges Opfer. Es ist ein süßer Duft edlen Balsams vor meinem göttlichen Antlitz, ein Wunder, das hinaufdringt vor alle Heere des Himmels. Es gab nie ein derartiges Staunen über einen Sieger im Turnier, wie das Staunen der himmlischen Heere über einen wohlleidenden Menschen. Alle Heiligen sind eines leidenden Menschen Kredenzer (Tafeldiener, die die Speisen vorkosten). Denn sie haben es vorher wohl versucht und rufen einhellig, dass es allen Giftes bar und ein Heiltrunk ist. Geduld im Leiden ist mehr, als Tote auferwecken oder andere Zeichen tun. Es ist der enge Weg, der da herrlich hinaufführt zur Pforte des Himmels. Leiden macht dich den Blutzeugen zum Genossen, es bringt mit sich das Lob und den Sieg über alle Feinde. Leiden kleidet die Seele in ein Rosengewand von Purpur, sie trägt der roten Rosen Kränzlein, der grünen Palme Szepter, sie ist ein glänzender Rubin im Halsschmuck einer Jungfrau. Sie singt in Ewigkeit mit süßer Stimme, mit freiem Mut einen neuen Reigen vor, den aller Engel Scharen nie singen konnten, weil sie Leiden nie empfunden. Um es kurz zu machen: die Leidenden heißen vor der Welt die Armen, ich heiße sie die Seligen, denn sie sind meine Auserwählten.

Der Diener: Wie gut, dass du die ewige Weisheit bist! Du kannst die Wahrheit so trefflich ins Feld führen, dass keiner daran zweifeln kann noch mag. Es nimmt nicht Wunder, dass der Leiden mag erleiden, dem du Leiden so liebenswert machen kannst. Herr, du hast mit deinem guten Wort bewirkt, dass mir alles Leiden von nun an erträglich und zur Freude sein muss. Mein Herr und treuer Vater, ich knie heute vor dich hin, ja, ich lobe dich von Herzen für die gegenwärtigen und für die vergangenen Leiden, auch für jene, die mir unfassbar groß erschienen, weil sie so feindlich aufblitzten.

Die Ewige Weisheit: Was aber meinst du jetzt?

Der Diener: Herr, mir scheint so: Wenn ich dich, meine Wonne und Herzensaugenweide, ansehe mit den Augen der Liebe - dass dann die großen Leiden, in denen du mich als ein Vater geübt hast, deren Anblick deine frommen Freunde in Schrecken versetzte -, dass sie alle waren wie ein süßer Tau im Maien.

Als derselbe Prediger begonnen hatte, vom Leiden zu schreiben, da kam es ihm vor, so zu Beginn geschrieben steht, als ob die zwei Menschen, die in Leid und Trübsal gewesen, vor ihm saßen, und dass einer von beiden wünschte, man solle ihnen die Harfe spielen. Das nahm der Bruder nicht gut auf, er hielt es für ungeistlich. Da wurde ihm gesagt, der Wunsch nach Gesang und Harfe sei nicht ungeistlich. Und da war ein Jüngling zur Hand, der richtete die Harfe zurecht, und als er sie gerichtet hatte, zog er zwei Fäden kreuzweise über die Saiten und reichte sie dem Bruder hin. Und da hub er an zu sprechen vom Leiden.

XIV. Es ist unnennbar gut, das göttliche Leiden zu betrachten

Der Diener: Herr, wahrlich, allen Herzen ist verborgen das grundlose Gut, das man in deinem Leiden findet, so man dem Zeit und Statt gibt. Wahrlich, der Weg deines Leidens ist ein zuverlässiger Pfad auf dem Weg der Wahrheit hin zu den Höhen der Vollkommenheit. Wohl dir, edles Licht unter allen Sternen des Himmels, Paulus! Du wurdest hoch emporgezogen und tief hineingeführt in das verborgene Geheimnis der bloßen Gottheit. Du hörtest die tiefen Worte, die niemand zu sprechen vermag (2 Kor 12,4). Dir drang dieses liebevolle Leiden über alldem so tief ins Herz, dass du ausriefst: "Ich kenne nichts denn Jesus Christus und ihn als Gekreuzigten (1 Kor 2, 2).

Gesegnet auch du, guter Herr Sankt Bernhard, unter allen Lehrern! Deine Seele war durchleuchtet von des ewigen Wortes Offenheit, aus deinem vollem Herzen floß es von deiner süßen Zunge wie Tau über das Leiden seiner Menschheit. Deine liebende Seele sprach: "Das blühende Myrrhenbüschlein des bitteren Leidens meines lieben Herrn habe ich liebevoll an meine Brust gedrückt und zärtlich mir ins Herzinnere gelegt (vgl. Hld 1, 12). Ich suche nicht wie die Braut, wo er im Mittag ruhen kann, ich umfange ihn mitten innen im Herzen. Ich frage nicht, so er um Mittag zu Tisch sitzt, meine Seele erblickt ihn liebevoll am Kreuz. Das Eine ist wohl höher, dies aber ist süßer und breiter. In liebevollem Leiden finde ich vollen Ersatz für mein kleines Verdienst. Hierin beruht meine vollkommene Gerechtigkeit. Dieses Betrachten nenne ich ewige Weisheit, alles Wissens volles Maß, alles Heiles Fülle, jeden Lohnes bares Genügen. Es bedrückt mich im Glück, es stärkt mich im Unglück. Es hält mich zwischen Lieb und Leid dieser Welt im rechten Gleichmaß, es bewahrt mich ganz sicher vor jedem Übel. Manche Stunde habe ich daraus den Trunk seiner Bitternis empfangen, und zuweilen ist mir daraus ein Trunk göttlichen Trostes und geistlicher Süße geworden (Sankt Bernhard über das Hohelied). Darum, guter Herr Sankt Bernhard, floß deine Zunge über von Süße, denn dein Herz war vom süßen Leiden ganz eingenommen.

Ewige Weisheit, ich lerne daraus: Wer sich großen Lohn und das ewige Heil wünscht, wer hohes Wissen und tiefe Weisheit begehrt, wer in Lieb und Leid gleich gut bestehen und sicher sein will vor allem Übel, wer einen Trunk deines bitteren Leidens und außerordentlicher Süße empfangen möchte, der soll dich, den gekreuzigten Jesus, allezeit vor das Auge seines Herzens stellen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Du verstehst nicht recht, was darin Großes und Gutes liegt. Schau, die hingebende Betrachtung meines liebevollen Leidens macht aus einem einfältigen Menschen einen hohen, erfahrenen Meister. Es ist der Mensch so recht selig, dem es zu allen Zeiten vor Augen steht, dass er darin studiert! Was kann der gewinnen: Weisheit und Gnade, Trost und Süße, Ablegen aller Fehler und meine stete Gegenwart! Höre dazu eines: Vor vielen Jahren war es, da hatte ein Prediger (Seuse selbst) in seinem Anfang ein schweres Leiden, nämlich ungeordnete Schwermut, es hatte ihn zeitweise so belastet, dass es kein Mensch ergründen mochte, der es nicht selbst empfand. Als er einmal nach dem Imbiss in der Zelle saß, da hat ihn das Leiden so überkommen, dass er weder studieren noch beten mochte noch etwas Gutes tun. Er saß nur traurig in der Zelle, hielt die Hände im Schoß, als ob er die Zelle Gott zu Lob bewachen wollte, denn er war zu allen anderen Dingen im Geiste nicht zu gebrauchen. Wie er so dasaß, ohne Trost, da war ihm, als würde ihm dieser Gedanke im Geiste zugesprochen: "Was sitzt du hier? Steh auf, ergehe dich in meinem Leiden, so überwindest du das deine." - Und er stand geschwind auf, denn es kam ihm vor, als wäre ihm die Stimme vom Himmel erschollen. Er nahm sich das Leiden (Christi) vor, und in diesem Leiden verlor er sein eigenes Leiden. Er empfand es in solchem Ausmaß nachher nie mehr.

Der Diener: O, gute Weisheit, du kennst doch jedes Herz, du weißt, wie es mir über alles hinweg begehrenswert erscheint, dass mir dein bitteres Leiden vor allen Menschen ins Herz träfe, dass es aus meinen Augen Tag und Nacht einen sprudelnden Brunnen bitterer Tränen gemacht hätte. Nun drückt mein Herz die schwere Klage, dein Leiden könnte mir nicht alleweil so gründlich zu Herzen gehen und ich vermöchte nicht so liebevoll darüber betrachten, wie es deiner, du zarte Auserwählte, würdig wäre. Darum weise mich ein, wie ich mich verhalten soll.

Antwort der Ewigen Weisheit: Die Betrachtung meiner Marter soll nicht so geschehen, wenn man Zeit und Muße hat, dass man eilig darüber hinwegstreift, vielmehr soll man es mit herzlicher Liebe in Trauer überdenken, sonst bleibt das Herz von Andacht unberührt, so wie der Mund von unzerkautem Süßholz. Vermagst du mein Leiden trotz der bitteren Not, die ich litt, nicht mit Tränen in den Augen zu betrachten, so sollst du es doch mit freudigem Herzen überdenken ob des frohen Gutes, das du darin findest. Kannst du aber weder dich freuen noch traurig sein, sollst du es mir zur Ehre in der Dürre deines Herzens bedenken. Und hiermit sollst du nicht weniger getan haben, als wenn du von Trauer und Süße zerflössest. Denn so wirkst du aus Liebe zum Guten ohne Ansehen deiner selbst.

Damit es dir aber je länger desto besser zu Herzen gehe, höre weiter: Die Strenge meiner Gerechtigkeit duldet kein Unrecht in aller Natur, weder kleines noch großes, es muss gebüßt und gebessert werden. Wie sollte nun ein großer Sünder, der vielleicht mehr als tausend Todsünden begangen hat und für jede Todsünde nach der Schrift sieben Jahre Buße verrichten oder die ungeleistete Buße im Glutofen des grausen Fegfeuers abbüßen müßte (*nach scholastischer Auffassung ist hier die zeitliche Strafe für die Sünde gemeint, nicht die Vergebung der Sündenschuld) - ei, wie sollte die arme Seele ihre Buße zu Ende bringen, wann sollte ihr langes Ach und Weh einmal aus sein? Wie würde es ihr gar zu lang! Schau, sie hat es schnell gebüßt und gesühnt in der Betrachtung meines unschuldigen, würdigen Leidens. Sie mag es nur verstehen, in den edlen Schatz meines verdienten Lohnes greifen und ihn zu sich holen. Und sollte sie tausend Jahre im Fegfeuer brennen, sie hat es in Kürze nach Schuld und Buße abgetan, sie fährt ohne alles Fegfeuer in die ewigen Freuden auf.

Der Diener: Du gute, ewige Weisheit, lehre mich das in deiner Güte. Ich möchte so gern diesen Griff tun.

Antwort der Ewigen Weisheit: Der Griff geschieht so:

1. Der Mensch muss reuigen Herzens oft und tief die Größe und Menge seiner großen Missetat, durch die er so offensichtlich das Auge seines himmlischen Vaters erzürnt hat, abwägen.

2. Er muss die Werke seiner Bekehrung für nichts halten, denn sie sind im Vergleich zu den Sünden wie ein Tropfen zur Tiefe des Meeres.

3. Er soll dann getrost abwägen die unermessliche Größe meiner Sühne. Denn der kleinste Tropfen meines kostbaren Blutes, das ich unermesslich allenthalben aus meinem liebereichen Leib vergoss, das könnte für die Sünden von tausend Welten Sühne sein. Doch hat jeder Mensch nur soviel Anteil an der Sühne, als er mir gleichkommt im Mitleiden.

4. Danach soll der Mensch in Demut und Bitten seine winzige Sühne in das Meer meiner Genugtuung versenken und darin verankern.

Kurz gesagt: Alle Meister der Zahl und der Maße können das unmessbare Gut, das im steten Betrachten meines Leidens verborgen liegt, nie ausrechnen.

Der Diener: Guter Herr, darum kein Wort mehr! Ich bin abgeschweift. Offenbare mir mehr von dem geheimen Schatz deines liebereichen Leidens.

XV. Aus dem Liebekosen, das die Seele mit Gott gehabt hatte unter dem Kreuz, wendet sie sich wieder seinem Leiden zu

Der Diener: Du hast mir die maßlose Not geoffenbart, die dein äußerer Mensch am hohen Galgen des Kreuzes erlitt, wie er zermartert war und eingeschlossen von den Banden des Jammers und des Todes. O Herr, wie stand es aber unter dem Kreuz? War jemand da, den deine Klage und dein Tod ins Herz traf? Oder: Wie verhieltest du dich in der Not zu deiner trauernden Mutter?

Antwort der Ewigen Weisheit: Höre du das Beklagenswerte und lass es dir zu Herzen gehen.

Als ich, wie gehört, in Angst und Todesnot zum Erbarmen aufgehängt dastand (Mt 27,39 ff), da traten sie gegen mich auf und erhoben die Stimme zum Spott gegen mich, sie schüttelten schändlich den Kopf über mich, sie hielten mich in ihrem Herzen für ein Nichts, als wäre ich ein lästiger Wurm. Aber ich hielt stand und flehte für sie in Liebe zu meinem himmlischen Vater. Sieh: ich, das schuldlose Lamm, wurde den Frevlern gleichgestellt, ich wurde von dem einen verspottet, von dem anderen angerufen (Lk 23, 39. 42). Ich nahm ihn an und verzieh ihm alle seine Sünden, ich öffnete ihm das himmlische Paradies.

Höre das Beklagenswerte: Ich sah um mich und fand mich von allen Menschen elend verlassen (Is 63,5). Die gleichen Freunde, die mir nachgefolgt waren, standen weit ab (Lk 23,49), meine lieben Jünger waren geflohen. Ich stand da bloß und aller Kleider beraubt. Ich war ein Mann ohne Macht, ohne Sieg. Sie gingen unbarmherzig mit mir um, ich aber verhielt mich sanftmütig wie ein schweigendes Lämmlein (Jer 11,19). Ich war umgeben von Herzeleid und bitterer Not, wohin ich mich auch kehrte. Unter mir stand die trauernde Mutter, ihr mütterliches Herz litt alles mit, was ich am Leibe erlitt. Mein mildes Herz war davon innerlich bewegt, ich allein erkannte wohl ihr großes Herzeleid, ich sah ihre klagende Gebärde, ich hörte ihre traurigen Worte. Ich tröstete sie zum Hinscheiden in Güte und empfahl sie meinem geliebten Jünger zu mütterlicher Treue und befahl ihr den Jünger zu kindlicher Treue (Joh 19, 26 f).

Der Diener: Mein guter Herr, wer kann hier anders, jeder muss innig klagen und bitter weinen. Du schöne Weisheit, wie konnten sie gegen dich sanftes Lämmlein so grausam sein, jene wütenden Löwen, die räuberischen Wölfe, dass sie dich so misshandelten? Wahrhaftig, guter Gott, wäre dein armer Diener dabei gewesen als Vertreter aller Menschen, ich wäre vor meinem Herrn dagestanden oder mit meinem einzigen Lieb in den bittern Tod gegangen. Oder, hätten sie mich nicht mit meinem Lieb töten wollen, ich hätte den harten Fels deines Kreuzes mit den Armen meines Herzens in Jammer und Klage umfangen. Und wie er vor Mitleid zersprang, so wäre auch mein armes Herz mit ihm für den Geliebten zersprungen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Es war meine ewige Ordnung, dass ich zu der Stunde den Kelch meiner bitteren Marter allein für alle Menschen litte. Doch du und alle, die mir nachfolgen wollen, verleugnen sich selbst, nehmen jetzt ihr eigenes Kreuz auf sich und folgen mir nach (Mt 16, 2). Dieses Sterben ist mir so liebelich, als wären sie damals mit mir in den bittern Tod gegangen.

Der Diener: Guter Herr, lehre mich, wie ich mit dir sterben soll, und welches mein eigenes Kreuz sei. Denn wahrhaftig, mein Herr, ich darf nicht mehr leben, seitdem du für mich gestorben bist.

Antwort der Ewigen Weisheit: Wenn du dich bemühst, das Beste zu tun, was du verstehst, und dafür von den Menschen spöttische Worte, Schmähung und Ablehnung erführst, wenn sie dich gar für nichts halten in ihrem Sinn, dass sie meinen, du wagtest nicht, dich zu rächen, du könntest es einfach nicht, wenn du dann fest und unbeirrt dabei bleibst und auch den Himmlischen Vater in Liebe für sie bittest und sie voll Liebe bei ihm entschuldigst: sieh, alsdann, sooft du aus Liebe dir selbst abstirbst, ergrünt und blüht mein Tod an dir.

Wenn du dich lauter hältst und ohne Schuld, wenn deine guten Werke so verkannt werden, dass man dich zu den Schuldigen zählt unter Zustimmung deines Inneren, wenn du gegen deine Peiniger, die dich dem Gericht überantworten wollen, so eingestellt bist, von Herzen alles Unrecht, das dir von ihnen zukam, zu verzeihen, als wäre es nie geschehen, wenn du ihnen zu Hilfe und Dienst bereit bist in Wort und Werk, um es mir gleichzutun, da ich meinen Henkern vergab: dann stehst du wahrhaftig gekreuzigt da in deiner Liebe.

Wenn du dann auf aller Menschen Liebe, Vorteil und Trost verziehtest, außer dem, was die reine Notdurft verlangt, so steht deine Verlassenheit in Liebe für alle, die mich in jener Stunde verließen.

Wenn du mir zuliebe so ledig aller Freunde dastehst, als gehörten sie nicht zu dir, und das in allen Dingen, wo Trennung (zwischen dir und mir) möglich ist, dann habe ich einen lieben Jünger, einen Bruder unter dem Kreuz stehen, der mir Leiden tragen hilft. Die gelöste Freiheit deines Herzens bekleidet und ziert meine Blöße.

Wenn du dann in jeder Widerwärtigkeit, die dich von deinem Nachbarn trifft, mir zulieb die Niederlage hinnimmst und aller Menschen ungezügelten Zorn, von wo er auch weht, wie schnell er auch ausbricht, ob zu Recht oder zu Unrecht, so trägst in Sanftmut wie ein schweigendes Lamm (du überwindest darin der anderen Bosheit mit deinem gutmütigen Sinn, mit deinem sanften Wort und freundlichen Antlitz): sieh, so wird das wahre Bild meines Todes in dir gestaltet. Ei, bei dieser Gleichheit, was finde ich an solchen Lust und Wohlgefallen für mich und meinen himmlischen Vater!

Trage meinen bitteren Tod im Grunde deines Herzens, in deinem Gebet, erweise ihn in Werken, dann stellst du das Leid und die treue Liebe meiner reinen Mutter und meines lieben Jüngers vollständig dar.

Der Diener: Liebenswerter Herr, meine Seele verlangt, du mögest das Bild deines elenden Todes auswirken an meinem Leibe und an meiner Seele, mir zu Lieb oder zu Leid, auf dein Lob hin und nach deinem Willen.

Ich begehre insbesondere, du mögest noch ein wenig mehr das große Herzeleid der trauernden Mutter aufzeigen und mir sagen, wie sie sich unter dem Kreuz verhielt.

Antwort der Ewigen Weisheit: Das frage dich selber.

XVI. Vom würdigen Lob der reinen Königin des Himmelreiches

Der Diener: O hoher Reichtum der göttlichen Wissenschaft und Weisheit, wie unbegreiflich sind deine Gerichte, wie unergründlich deine Wege (Röm 11,33). Wie findest du so manchen seltsamen Weg, verlorene Seelen zurückzuführen! Was gedachtest du, oder wie war dir so wohl zumute in deiner ewigen Unwandelbarkeit, da du so edel erschufst das reine, das zarte, das würdige Geschöpf (die Gottesmutter) hoch über allen lauteren Geschöpfen (Engel)! Du mochtest wohl sprechen, Herr: "Ich denke Gedanken des Friedens" (Jer 29,11). Herr, du hast aus dem Abgrund deines Wesens und der Güte dich in ihr widergespiegelt, indem du alle ausgeflossenen (erschaffenen) Wesen wieder in den Ursprung zurückgeführt hast (* nämlich in Christus, der als "Abglanz des Vaters" die Welt aus der Verlorenheit zum Vater heimholt. Maria steht als Mutter des Herrn ihm zur Seite).

Himmlischer Vater, könnte ein sündiger Mensch zu dir kommen, außer dass du uns dein einziges, auserkorenes Kind, die Ewige Weisheit, zum Weggeleiter gegeben hättest! O, Ewige Weisheit, könnte ein armer sündiger Mensch je die Kühnheit besitzen, vor solcher Lauterkeit die eigene Unreinheit zu zeigen wagen, außer er nähme sich die Mutter aller Barmherzigkeit zum Schirme? Ewige Weisheit, bist du mein Bruder, so auch mein Herr. Bist du ein wahrer Mensch, oh, so auch wahrer Gott und ein gar gestrenger Richter der Untat.

Darum, weil unsere arme Seele sich im Notstand abgründigen Herzeleides befindet und wir nicht aus und ein wissen, so verbleibt uns nichts, als unsere armen Augen zu dir zu erheben, auserkorene Königin des Himmelreiches. Darum, du Spiegel der ewigen Sonne, widerstrahlend ihren Glast (=Glanz), du verborgener Hort der grundlosen göttlichen Barmherzigkeit, Gruß dir heute von mir und allen reuigen Sündern!

Ach, ihr hohen Geister, ihr reinen Seelen, tretet vor, rühmt und preist, lobt und erhebt das wonnige Paradies aller hohen Freude, die herrliche Königin, denn ich bin dessen nicht würdig, es sei denn, sie geruhe, in Güte es mir zu gestatten!

Du, Gottes auserwähltes Herzenstraut, du herrlicher goldener Thron der Ewigen Weisheit, erlaube mir armen Sünder, mich mit dir ein wenig über meine Nöte zu besprechen. Meine Seele tritt vor dich hin schüchternen Blickes, Scham im Gesicht, die Augen niedergeschlagen. Ach, Mutter aller Gnaden, mir ist aber so, ich weiß nicht wie, als bedürfe weder ich noch eine andere sündige Seele einer Erlaubnis oder eines Mittlers bei dir. Bist du doch die unmittelbare Mittlerin aller Sünder. Je sündiger die Seele ist, desto gerechtfertigter erscheint ihr der Zugang zu dir. Je mehr die Missetat sie drückt, um so mehr geziemt es, zu dir vorzudringen. Darum, meine Seele, tritt frei hervor! Hält deine große Missetat ab, so lädt doch die abgrundtiefe Milde dazu ein.

Darum, du einziger Trost aller sündigen Herzen, du einzige Zuflucht der schuldigen Menschheit, zu dir hebt sich manches nasse Auge, manches arme, wunde Herz empor, sei du in Gnaden die Mittlerin, die Versöhnerin zwischen mir und der Ewigen Weisheit (*vgl. "Salve Regina ... " des heiligen Bernhard von Clairvaux). Gedenke, o gedenke, du milde, auserkorene Königin, dass du alle Würde von uns Sündern hast. Was hat dich zur Gottesmutter gemacht? Zum Schrein, in dem die Ewige Weisheit süße Ruhe fand? Herrin, das haben unsere, der armen Menschen Sünden getan. (*Vgl. "Felix culpa" = Glückliche Schuld im "Exultet" der Osternacht. Mit Thomas von Aquin meinen viele Theologen, ohne die Sünde des Adam wäre Gottes Sohn nicht Mensch geworden, somit Maria nicht Gottesmutter).

Könnte man dich "Mutter der Gnaden", "Mutter der Barmherzigkeit" nennen, wenn nicht wegen unserer Armseligkeit, die deiner Gnade und Barmherzigkeit bedarf? Unsere Armut hat dich reich gemacht, unsere Fehler haben dich über alle lautere Kreatur geadelt.

Darum wende das Auge deiner Barmherzigkeit, das dein mildes Herz nie von einem Sünder, von einem trostlosen Menschen abkehrt, mir armen Menschen zu, nimm mich in deinen Schutz, denn mein Trost und meine Zuversicht liegen bei dir (vgl. "Salve Regina"). Manche sündige Seele hat Gott und dem gesamten himmlischen Heer den Abschied gegeben, sie hat Gott verleugnet, ist an ihm verzweifelt und war jämmerlich von ihm geschieden. Wenn sie sich aber an dich anschloss, oh, wie ist sie in Milde von dir aufgenommen worden, bis sie durch deine Güte wieder zu Gnaden kam! Wo ist der Sünder, der, hätte er auch Mord und Meintat (= ist ein schweres Verbrechen, das auf eine gemeine niederträchtige Gesinnung schließen lässt) die Menge auf sich geladen, nicht Mut schöpfte im Gedenken an dich?

Auserwählter, einziger Trost uns armen Sündern, die grundlose Güte Gottes hat dich allen Sündern so lieb gemacht, dass uns bei deiner überfließenden Güte die Lust nach ihr ankommen muss. Sieh, wenn meine Seele sich ganz in dich versenkt, so erhebt sich mein Gemüt, es dünkt mich billig (wenn es möglich wäre), dass mir vor Freude das Herz weinenden Auges aus dem Munde spränge - also zerrinnt dein Name mir in der Seele wie ein Honigseim.

Du heißt doch die Mutter, du Königin der Barmherzigkeit. Du zarte Mutter, du liebe Königin der grundlosen Barmherzigkeit! O welcher Name! Das Wesen ist unergründlich, dessen Name so gnadenreich ist. Fand je ein Harfenspiel solchen Widerhall in einem wilden Herzen, als es dein reiner Name in unseren reuigen Herzen tut? Diesem hohen Namen soll rechterweise jedes Haupt sich neigen, jedes Knie sich beugen. Wie oft hast du die feindliche Hand der bösen Geister von uns abgeschlagen! Wie oft hast du des strengen Richters gerechtem Zorn widerstanden, wie oft uns seine Gnade und Trost von ihm erworben! Ach, wir armen Sünder, was wollen wir da mitreden, wie sollen wir ihr für das große Gut jemals danken? Wo aller Engel Zungen, alle lauteren Geister und Seelen, Himmel und Erde samt allem, was darin lebt, ihre Würde, ihre Gnade, ihre unergründliche Ehre nicht zur Genüge loben können, ach, was sollen dann wir Sünder tun? Verfahren wir nach unserem Vermögen und sagen ihr Lob und Dank, denn ihre große Demut sieht nicht auf die kleine Gabe, sie sieht auf das gute Wollen.

O, gute Königin, das Frauengeschlecht mag sich deiner rechtens rühmen! Was heißt aber: "Verflucht Eva, weil sie die Frucht genoß."? Gesegnet sei Eva (* Maria hier als zweite Eva), weil sie uns die süße Frucht des Himmels schenkte! - Niemand beklage das (verlorene) Paradies, wir haben zwar ein Paradies verloren, aber zwei Paradiese gewonnen (das ist Christus und Maria). Oder ist sie kein Paradies, sie, in der heranwuchs die Frucht des Lebensbaumes (* Christus, vgl. auch Seite 78), in der alle hohe Lust und Freude einbeschlossen war? Oder ist das nicht das Paradies über jedem Paradies, in dem die Toten wieder lebendig werden, wo sie seine Frucht genießen? Von dessen Händen und Füßen und Seiten lebendige Wasser ausfließen, die alle Erde befruchten? Brunnen unerschöpflicher Barmherzigkeit, grundloser Weisheit, überschwänglicher Süße, inbrünstiger Liebe, Quellen des ewigen Lebens! Wahrlich, Herr, wer diese Frucht kostet, wer aus dieser Quelle sich gelabt, der weiß: diese zwei Paradiese stehen haushoch über dem Paradies der Erde.

Erkorene Königin, du bist auch das Tor der Gnade, die Pforte des Erbarmens, die sich nie schließt. Eher vergehen Himmel und Erde, bevor du einen ernstlich Suchenden gehen lässt, ohne ihm zu helfen. Schau, darum gilt dir der erste Aufblick meiner Seele, wenn ich mich erhebe, und der letzte vor dem Schlafengehen. Was deine reinen Hände dem Herrn überantworten und ihm zu Gesicht bringen, wie kann bei der Würde des Bittstellers (sei es selbst nur ein Kleines) verworfen werden, was du, Reine, deinem lieben Kinde vorträgst? Darum, zarte Auserwählte, nimm meine kleinen Werke und biete du sie dar, damit sie auf deinen Händen etwas darstellen mögen vor den Augen des allmächtigen Gottes!

Du bist doch das reine rotgüldene Gefäß, durchschmelzt mit Gnaden, durchsetzt von edlen Smaragden, Saphiren und allerlei Tugenden, ihr einzigartiger Anblick übersteigt in den Augen des himmlischen Königs aller lauteren Geschöpfe Anblick.

Du auserkorene, liebewerte Gottesbraut, König Assuer war in seinem Herzen gebannt von der Schönheit der liebenswerten Esther (Esther 2,9), sie fand Wohlgefallen in seinen Augen vor allen Frauen, sie fand Gnade vor ihnen allen, er tat, was sie begehrte: O, du Zarte, Rosen und alle Lilien überstrahlende, wie mag erst der König des Himmels von deiner lauteren Reinheit, von deiner Sanftmut und Demut, von dem wohlriechenden Strauß ("Apotheke") aller Tugenden und Gnaden eingefangen werden!

Oder: Wer hat das wilde Einhorn gefangen? Nur du! (*Dieses Tier der Sage mit dem Spitzhorn auf der Stirn sollte nur von einer Jungfrau eingefangen werden können. Das Einhorn ist im Mittelalter beliebtes Sinnbild für Christus, der aus Maria, der Jungfrau, geboren wurde.) Was für ein grundloses Wohlgefallen in seinen Augen hat vor allen Menschen deine liebewerte, zarte Schönheit gefunden, der gegenüber alle Schönheit dahinschmilzt wie das leuchtende Nachtwürmchen vor dem Glast der hellen Sonne! überströmende Gnade hast du vor ihm gefunden für dich und für uns andere, gnadenlose Menschen. Wie soll, wie kann dir denn der himmlische König etwas versagen? Du magst wohl sprechen: "Mein Geliebter ist mein, ich bin sein" (Hld 2, 6). Ach, du bist Gottes, Gott ist dein, und ihr zwei spielt ein ewiges, grundloses Liebespiel, das keine Trennung je mehr scheiden kann. Gedenket, vergesst nicht unser, wir armen Bedürftigen pilgern in Jammer und Elend der Verbannung.

Nun, du Herrin Himmels und der Erde, steh auf, sei die Mittlerin, die Gnadenwerberin bei deinem Kind, bei der Ewigen Weisheit!

Du Ewige Weisheit, wie willst du mir nun etwas versagen? Wie ich dich dem ewigen Vater (als Mittler) darbiete, so stelle ich die reine, zarte auserkorene Mutter vor dein mildes Auge. Du gute, schöne Weisheit, nun schau sie an, sieh die milden Augen, die sie so oft an dein kindliches Antlitz, so voll Liebe, drückte. Sieh, den süßen Mund, der dich zart und innig küsste, sieh, die reinen Hände, die dir so oft dienten! (*Die Beschreibung erinnert an alte Mariendarstellungen. Seuse hätte das, was er in Worten malte, auch in Gemälden darstellen können.) Du milde Milde, wie kannst du der etwas versagen, die dich in Liebe nährte und auf ihren Armen trug, dich bettete und aufhob, dich so zärtlich aufzog?

Herr, ich erinnere dich an alle Liebe, die du in den Tagen deiner Kindheit je von ihr erfahren, als du sie auf dem mütterlichen Schoß zartinnig mit deinen glänzenden Äuglein anlachtest, da du sie mit deinen kindlichen Armen liebevoll umfingst in unergründlicher Liebe und Liebe, wie du sie zu ihr hattest vor allen Geschöpfen. Denk auch an das große Leid, das ihr mütterliches Herz allein mit dir trug unter dem Galgen deines elenden Kreuzes, wo sie dich sah in den Nöten des Todes und ihr Herz und Seele in Not und Jammer erstarben! Um ihrer Huld willen gewähre mir, alles abzulegen, was mich trennt von dir, deine Gnade zu erwerben und sie nimmer zu verlieren!

XVII. Von dem unsagbaren Herzeleid unserer Herrin

Wer gibt meinen Augen soviel Tränen wie Buchstaben zum Schreiben, um mit dichten Tränen die jammervollen Tränen des grundlosen Herzeleids meiner lieben Herrin zu beschreiben? Reine Frau, edle Königin Himmels und der Erde, rühre mein steinernes Herz mit einer deiner heißen Tränen, die du vergossen aus der bitteren Not deines lieben Kindes unter dem elenden Kreuz, dass es weich werde und dich begreifen könne. Denn Herzeleid hat es an sich, dass es nur der recht begreift, dem es selbst ans Herz greift. Rühre mein Herz, erkorene Herrin, mit deinen traurigen Worten, erzähle mir mit kurzen, sinnvollen Worten (mir rein zur Mahnung), wie es dir zumute war, wie du dich verhieltest unter dem Kreuz, da du dein liebes Kind, die schöne Ewige Weisheit, sahest so elend dahinsterben.

Antwort: Das sollst du hören mit Jammer und Herzeleid. Denn ich bin jetzt zwar allen Leidens frei, doch erging es mir zu jener Zeit nicht so. Ehe ich unter das Kreuz kam, da hatte ich manch großes, unsagbares Herzeleid empfangen, zumal an der Stätte, wo ich den ersten Anblick bekam vom Schlagen und Stoßen und der üblen Behandlung meines Kindes. Ich war davon ganz kraftlos, und so kraftlos wurde ich meinem lieben Sohn nachgeführt bis unter das Kreuz. Aber wonach du fragst: wie mir zumute war und wie ich mich verhielt, höre es, soviel es zu wissen möglich ist. Denn kein Herz, das je geboren wurde, möchte es ganz ergründen.

Sieh, alles Herzeleid, das ein Herz je traf, das wäre wie ein Tropfen zum Meer im Vergleich mit dem grundlosen Herzeleid, das mein mütterliches Herz damals traf. Und das bedenke daher: Je lieber das Lieb, je lieber und süßer es ist, desto unerträglicher sein Verlust und sein Tod. O, wo wurde auf Erden je etwas Zarteres geboren, je etwas lieberes gesehen, als es mein einziges liebenswertes Lieb war? An ihm und in ihm hatte ich alles zu eigen, was diese Welt zu bieten vermag. Ich war mir selber zuvor schon gestorben und lebte in ihm. Doch als mir mein schönes Lieb getötet wurde, da erst erstarb ich ganz. Wie mein einziges Lieb einzig, ein Lieb über aller Liebe, so war mein einziges Leid einzig, ein Leid über allem Leid, wie es niemals noch besprochen ward. Seine schöne, holdselige Menschheit war mir ein freudiger Anblick, seine würdige Gottheit meinen Augen ein süßes Verharren, an ihn denken meines Herzens Freude, von ihm sprechen meine Kurzweil, seine süßen Worte meiner Seele Saitenspiel. Er war meines Herzens Spiegel, die Wonne meiner Seele. Himmel und Erde und alles, was sie enthalten, das war mir seine Gegenwart.

Sieh, als ich mein einziges Lieb so vor mir (am Kreuze) aufgehängt sah in der Not des Sterbens, oh, dieser Anblick! O weh, was für ein Augenblick? Wie erstarb in mir mein Herz, wie versank mein Gemüt im Tode. Ich verlor alle Kraft, meine Sinne erloschen. Ich blickte auf und konnte meinem lieben Kind nicht zu Hilfe sein. Ich sah um mich her und musste mit meinen eigenen Augen die erkennen, die mit meinem Kind so schändlich umgingen. Wie bedrückend war es mir da auf der ganzen Erde! Ich war ohnmächtig (herzlos) geworden, meine Stimme war mir zerschlagen, ich hatte alle Kraft verloren. (*Im Widerspruch zu Joh 19,25: Es standen bei dem Kreuze Jesu ... wird hier wie auf vielen Gemälden der Zeit Maria unter dem Kreuz dargestellt, wie sie in Ohnmacht gesunken ist.) Und doch: als ich zu mir kam, erhob ich die heißere Stimme und sprach klagend zu meinem Kind unter anderem diese Worte: ",O mein Kind, weh, mein Kind, weh, meines Herzens freudenreicher Spiegel, in dem ich mich oft mit Lust betrachtet habe, wie sehe ich dich jetzt vor mir im Jammer! O, du Hort über dieser Welt, meine Mutter, mein Vater, alles, was mein Herz aussinnen kann - nimm mich mit dir! Oder: wem willst du deine arme Mutter hinterlassen! O weh, mein Kind, wer gewährt mir, dass ich statt deiner sterbe, dass ich diesen bitteren Tod für dich erdulde! O, Not und Jammer einer Mutter, die ihr Lieb verloren! Wie bin ich bar aller Freude, der Liebe und des Trostes! O, du gieriger Tod, warum verschonst du mich? Nimm mich, nimm zu meinem Kind die arme Mutter, der zu leben bitterer ist als der Tod. Ich sehe ja den sterben, den meine Seele minnt. O weh, mein Kind, mein liebes Kind!"

Und sieh, als ich mich so armselig fühlte, da tröstete mich mein Kind sehr gütig und sprach unter anderem: Das Menschengeschlecht könne anders nicht erlöst werden, er wolle am dritten Tage auferstehen und mir und den Jüngern erscheinen. Er sprach: "Frau, lass dein Weinen sein, weine nicht, schöne Mutter! Ich will dich nicht auf ewig verlassen."

Als mich mein Kind so gütig tröstete und mich dem Jünger anbefahl, den er liebte, der auch dastand in Herzeleid - die Worte stachen mir so schmerzlich und eindringlich ins Herz, sie durchstießen mir Herz und Seele, wie ein spitzes Schwert -, da erfasste auch die harten Herzen das Erbarmen über mich. Ich erhob Hände und Arme und hätte im Jammer meines Herzens gern mein Lieb umfangen, doch das konnte nicht geschehen. Und vor des Herzeleides Übergewalt sank ich nieder unter dem Kreuz, wer weiß wie oft, und verlor die Sprache. Und als ich wieder zu mir kam und mir nichts anderes zu tun verblieb, küsste ich das Blut, das von seinen Wunden niederrann, so dass meine blassen Wangen und der Mund blutige Farbe trugen.

Der Diener: O weh, grundlose Güte, eine abgründige Marter und Qual ist diese Not! Wohin soll ich mich kehren, zu wem meinen Blick erheben? Schaue ich die schöne Weisheit an, weh, ich sehe eine Not, dass mein Herz versinken sollte: man schreit ihn an von außen, Todesangst ringt mit ihm inwendig, alle seine Adern sind aufgeschwollen, all sein Blut fließt dahin. Ist ein Ach und Weh, ein liebloses Sterben ohne alles Genesen!

Wende ich dann meinen Blick zu der reinen Mutter, ach, da sehe ich das zarte Herz durchstoßen, als stäken tausend Messer darin. So sehe ich die reine Seele zermartert. Die Gebärde ihres Sehnens - nie ward eine gleiche gesehen, die Klage der Mutter -, nie ward dergleichen gehört. Ihr schwacher Leib ist vor Leid gebeugt, ihr schönes Antlitz bestrichen mit dem Blut des Sterbenden. O weh, Jammer und Not hier über aller Not!

Seines Herzens Marter ist das Leid der traurigen Mutter, der traurigen Mutter Marter ist des lieben Kindes unschuldiges Sterben. Es bringt ihr mehr Pein als der eigene Tod. Er sieht sie an und tröstet sie gütig, sie hingegen reicht ihm klagend die Hände entgegen und wollte gern in Jammer für ihn sterben. Ach, wer hat es hier schlimmer? Wen bedrückt die größere Not? Beiderseits ein Abgrund, nie kam ihr eine gleich.

Ach, des Herzens der Mutter, des zarten fraulichen Gemütes! Wie vermochte dein Mutterherz dies unermessliche Leid je zu ertragen? Gesegnet das zarte Herz, gegen dessen Leid jedes Wort und jedes Buch über Herzeleid wie ein Traum ist vor der Wirklichkeit. Gesegnet über allen Geschöpfen, du aufklingendes Morgenrot, gesegnet der blumige, rosenfarbige Anger deines schönen Antlitzes, geziert vom rubinroten Blut der Ewigen Weisheit!

O, du holdes Antlitz der schönen Weisheit, wie erstirbst du! O, schöner Leib, wie bist du gehenkt! O weh, weh, reines Blut, wie rinnst du heiß herab auf die Mutter, die dich gebar! O, ihr Mütter, leiht euer Ohr diesem Leid! Alle reinen Herzen, lasst euch zu Herzen gehen das rosafarbene, reine Blut, das auf die reine Mutter herab tropfte. Alle Herzen, die je Herzeleid bekümmerte, schaut her und seht: diesem Herzeleid kommt keines gleich! Kein Wunder, dass unsere Herzen hier von Jammer und Erbarmen erschüttert werden! Die Not war so groß, dass sie harte Steine zerspaltete, dass die Erde bebte, die Sonne erlosch. Sie litten mit ihrem Schöpfer mit.

XVIII. Wie es zur Stunde um ihn stand nach dem inneren Menschen

Der Diener: Ewige Weisheit, je mehr man deinem unermesslichen Leiden nachgeht, um so unergründlicher ist es. Deine Not war groß unter dem Kreuz, doch größer noch am Kreuz. Denn deine äußeren Kräfte empfanden in dieser Stunde die Schmerzen des bitteren Todes. Ach, mein guter Herr, wie stand es aber um den inneren Menschen, um die edle Seele? Genoss sie zu dieser Zeit nicht einen Trost oder eine Süße wie andere Martyrer? Wäre denn so dein grimmes Leiden nicht viel sanfter gewesen? Oder: Wann nahm es ein Ende?

Antwort der Ewigen Weisheit: Da höre die Not über aller Not, die du bisher hörtest. Meine Seele nach ihren oberen Kräften stand in der Schau und im Genuss der lauteren Gottheit, ebenso edel, wie sie jetzt ist, doch sieh, die niederen Kräfte des inneren und des äußeren Menschen waren sich selbst überlassen bis auf das letzte Pünktlein abgründiger Bitterkeit in ganzem, trostlosem Erleiden. Solcher Marter kam nie eine gleich. (* Vgl. dazu zum Beispiel die Lehre der Scholastik, Thomas, S. Th. 3 q, 46 a, 6 u. a. oder auch die Aussagen Ekkeharts.)

Höre: Als ich so ganz hilflos und verlassen dastand mit triefenden Wunden, mit tränenden Augen, mit verrenktem Armen und verzogenen Adern aller meiner Glieder - in des Sterbens Not, da erhob ich die Stimme zur Klage und rief jämmerlich zu meinem Vater und sprach: "Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen!" (Mt 27,46). Und doch war mein Wille mit seinem Willen in ewiger Ordnung vereint.

Sieh: Als mein Blut ganz vergossen und alle meine Kraft zerronnen war, da litt ich in der Todesnot so bitteren Durst - aber mich dürstete mehr noch nach dem Heil aller Menschen - da, in dem brennenden Durst wurde meinem dürren Mund Galle und Essig dargeboten.

Und als ich so aller Menschen Heil gewirkt hatte, da sprach ich: "Consummatum est - Es ist vollbrachtl" (Joh 19,30). Ich leistete meinem Vater vollkommenen Gehorsam bis in den Tod (Phil 2, 8), ich befahl meinen Geist in seine Hände und sprach: "In manus tuas - in deine Händel" (Lk 23,46). Da schied meine edle Seele von meinem göttlichen Leib, und beide blieben ungeschieden von der Gottheit. Danach wurde ein scharfer Speer durch meine rechte Seite gestochen. Da rann heraus der Quell des kostbaren Blutes und damit ein Brunnen des lebendigen Wassers.

Sieh, mein Kind, mit solchem Jammer und Not habe ich dich und die Auserkorenen erkauft und mit dem Lebensopfer meines unschuldigen Blutes erlöst vom ewigen Tod.

Der Diener: Ach, guter, liebenswerter Herr und Bruder, wie hast du mich so elend sauer erkauft! Wie hast du mich so lieb geliebt und so freundlich erlöstl O, meine schöne Weisheit, wie soll ich dir für deine Liebe und dein schweres Leiden danken? Sieh, Herr, besäße ich Samsons Stärke und Absoloms Schönheit, Salomons Weisheit und aller Könige Reichtum und Würde, ich wollte sie in deinem Dienste dir zur Ehre verzehren. Herr, nun bin ich nichts, so vermag ich nichts, so kann ich nichts. O Herr, wie soll ich dir danken?

Antwort der Ewigen Weisheit: Hättest du aller Engel Zungen, aller Menschen gute Werke und aller Kreaturen Kraft, du vermöchtest mir nicht für das mindeste Leiden zu danken, das ich deinetwillen aus Liebe erlitt.

Der Diener: Guter Herr, bitte, lehre mich, dir durch deine Gnade liebewert zu sein, wo doch keiner deine Liebeserweise von sich aus aufwiegen kann.

Antwort der Ewigen Weisheit: Du sollst dir meine Trostlosigkeit am Kreuz oft vor Augen halten, du sollst dir meine bittere Marter zu Herzen nehmen und all dein Leiden danach gestalten. Wenn ich dich in trostlosem Leid versinken, in Härte darben und dorren lasse ohne alle Süße, wie mein himmlischer Vater es mir zuließ, so sollst du dich nicht nach fremdem Trost sehnen. Dein armer Ruf soll zum himmlischen Vater aufsteigen unter Verleugnung deiner selbst, in der Freude an seinem väterlichen Willen. Sieh, je bitterer dann dein Leiden auswendig ist, je gelassener du inwendig dich verhältst, desto mehr gleichst du mir, und dem Himmlischen Vater bist du um so liebewerter. Wenn dein Begehren heiß danach dürstet, Freude und Lust an etwas zu nähren, was dir vergnüglich wäre, so sollst du aus Liebe davon lassen, dann wird mit dir dein durstiger Mund voll Bitterkeit getränkt. Dich soll nach aller Menschen Heil dürsten. Du sollst deine guten Werke auf ein vollkommenes Leben ausrichten und sie bis an das Ende vollbringen. Du sollst einen fügsamen Willen haben in schnellem Gehorsam zu den (geistlichen) Meistern, dein Herz soll all sein Eigenstes anheim geben der Hand des Himmlischen Vaters, dein Geist soll sich verabschieden aus der Zeit in die Ewigkeit, du sollst darin deinen letzten Auszug nachformen.

Sieh, so ist dein Kreuz nach meinem armen Kreuz geformt, es wird in ihm adelig vollbracht. - Du sollst dich in meine geöffnete Seite zu dem liebewunden Herzen liebevoll einschließen und dir dort Wohnung und Bleibe suchen. Dann will ich dich mit dem Wasser des Lebens reinigen und mit meinem rosigen Blut rosafarben zieren. Ich will mich mit dir verbinden und dich mit mir auf ewig vereinen.

Der Diener: Herr, kein Magnet war je so stark, das harte Eisen anzuziehen, wie dein vorbildliches, liebereiches Leiden alle Herzen mit sich zu einen vermag. Du liebenswerter Herr, ziehe mich durch Lieb und durch Leid von aller dieser Welt zu dir an dein Kreuz, vollbringe in mir die allernächste Angleichung an dein Kreuz, dass meine Seele sich deiner erfreue in deiner allerhöchsten Klarheit!

XIX. Von der Ablösung vom Kreuz

Der Diener: Du reine Mutter und zarte Herrin, wann nahm dein großes, bitteres Herzeleid, das du um dein liebes Kind littest, ein Ende?

Antwort: Das höre mit Klagen und Erbarmen. Als mein zartes Kind verschieden war und tot vor mir hing und meinem Herzen und Sinnen alle Kraft gebrochen war, da sandte ich, wo ich doch nichts anderes vermochte, manchen elenden Blickt hinauf zu meinem toten Kind. Als sie kamen, um ihn vom Kreuze abzulösen, da war mir, als würde ich zum Leben erweckt. Ach wie mütterlich ich da seine toten Arme an mich nahm, mit welcher Treue ich sie an meine blutfarbenen Wangen drückte! Als er zu mir herunterkam, wie umfing ich ihn, den Toten, grundlieb mit meinen Armen, drückte das einzige auserkorene, zarte Lieb an mein mütterliches Herz, küsste innig seine blutigen, frischen Wunden und sein totes Antlitz, das doch, wie auch sein ganzer Leib, sich in wonnige Schönheit gewandelt hatte - das könnte kein Herz begreifen! Ich nahm mein zartes Kind auf meinem Schoß und sah ihn an - er war tot. Ich blickte ihn wieder und wieder an - war weder Sinn noch Stimme (in ihm). Sieh, da erstarb mein Herz wiederum, es wollte von den Todeswunden, die es empfing, in tausend Stücke zersprungen sein. Da gab es manchen innigen Seufzer von sich, die Augen vergossen manche elende, bittere Träne, ich bot das Bild einer sehr traurigen Person. Sooft mir ein Wort der Klage auf die Zunge kam, wurde es vom Weh erstickt, es kam nicht zur Vollendung. Ich sprach: "Weh, weh! Wo würde je auf Erden ein Mensch so misshandelt wie das unschuldige, liebe Kind? Weh; mein Kind, mein Trost, meine einzige Freude, wie hast du mich verlassen! Warum bist du mir so sehr verkehrt in Bitterkeit? Wo ist die Freude, die ich hatte von deiner Geburt, wo die Lust, die ich hatte von deiner lieben Kindheit, wo die Ehre und die Würde, die ich hatte von deiner Gegenwart? Wohin ist das alles verzogen, was je das Herz erfreuen mochte? O weh, Angst und Not und Bitterkeit und Herzeleid. Es ist nun alles verkehrt in ein so abgrundtiefes Herzeleid, in einen tödlichen Schmerz. O, mein Kind, weh, mein Kind, wie bin ich nun ohne Liebe! Wie ist mein Herz des Trostes bar geworden!" - Solcherlei und manches Wort der Klage sprach ich über meinem toten Kind.

Der Diener: Ach, reine und schöne Mutter, gestatte mir: Lass noch einmal mein Herz an diesem Anblick mit deinem Lieb und meinem Herrn, mit der liebenswerten Weisheit sich laben, bevor es ans Scheiden geht, ehe es uns zu Grabe getragen wird.

Reine Mutter, wie grundlos dein Herzeleid auch war, wio recht innig es auch jedes Herz bewegen mag, es dünkt mich doch, du empfandest noch etwas Freude beim liebevollen Umfangen deines Kindes. O reine, zarte Herrin, ich bitte nun: du mögest mir dein zartes Kind angesichts seines Todes auf den Schoß meiner Seele legen. So soll mir nach meinem Vermögen geistlich und in der Betrachtung zuteil werden, was dir leiblich gegeben war.

Herr, ich kehre mein Auge dir zu in der leudrtendsten Freude, in der herzlichsten Liebe, wie je ein einziges Lieb von seinem Geliebten angesehen wurde. Herr, mein Herz öffnet sich, dich zu empfangen wie die zarte Rose vor der hellen Sonne Glanz. - Herr, meine Seele breitet weit die Arme ihres grundtiefen Begehrens aus dir: O, liebenswerter Herr, in inbrünstigem Begehren umfange ich dich heute mit Dank und Lob, ich drücke dich in das Innerste meines Herzens und meiner Seele, ich erinnere dich an die liebe Stunde, dass du diese nimmer verloren sein lassest an mir, ich wünsche mir, dass weder Leben noch Tod, weder Lieb noch Leid dich je von mir scheide (vgl. Röm 6, 38 f).

Herr, meine Augen blicken tief in dein totes Antlitz, meine Seele küsst innig alle deine frischen, blutigen Wunden, alle meine Sinne werden gespeist von dieser süßen Frucht unter diesem Lebensbaum des Kreuzes. Und das ist billig so. - Herr, der eine tröstet sich mit seinem unschuldigen Leben, der andere mit großen Übungen und strenger Lebensweise, einer so, ein anderer anders, aber mein Trost und alle meine Zuversicht liegt allein in deinem Leiden, in deiner Genugtuung und in deinen Verdiensten. Und darum will ich es (dein Leiden) allezeit im Grunde meines Herzens frohgemut tragen und dieses (dein) Bild in Wort und Werk nach außen hin mit allem meinem Vermögen aufzeigen.

O Glanz und Wonne des ewigen Lichtes, wie bist du nun meinetwegen so ganz erloschen ! Lösche in mir das brennende Begehren aller Untugenden! O, du lauterer, klarer Spiegel der göttlichen Majestät, wie bist du nun durch mich unrein geworden! Lösche die großen Makel meiner Missetat! O schönes Bild der Güte des Vaters, wie bist du nun so unsauber, so ganz entstellt! Stelle es wieder her, das entstellte, abgeblasste Bild meiner Seele! - Du unschuldiges Lamm, wie bist du jämmerlich misshandelt. Büße und sühne für Schuld und Sünde meines Lebens! - Du König der Könige, Herr aller Herren, wie sieht dich meine Seele so jämmerlich und totenstarr hier liegen! Gewähre mir dies: so wie meine Seele dich nun in deiner Verworfenheit mit Klage und Mitleid umfängt, so lass sie von dir umfangen werden mit Freuden in deiner ewigen Klarheit!

XX. Der leidvolle Abschied vom Grabe

Der Diener: Nun, zarte Herrin, mach ein Ende des Leidens und der traurigen Worte und sage mir, wie der Abschied war von deinem Geliebten.

Antwort: Ein Jammer, es zu hören und zu sehen! Ach, es war alles noch zu ertragen, als ich mein Kind noch bei mir hatte. Als sie aber meinen toten Sohn von meinem erstorbenen Herzen, aus meinen umfangenden Armen, von meinem Antlitz, das ich ihm andrückte, wegbrachten und ihn begruben - wie erbarmenswert ich mich in dieser Stunde fühlte, das kann man kaum glauben. Und als es zum Abschied ging, was gewahrte man da Jammer und Not an mir! Als sie mich von meinem Leib im Grabe trennten, dieses Scheiden rang mit meinem Herzen wie der bittere Tod. Ich machte unter den Händen derer, die mich fortgeleiteten, armselige Schritte, denn ich war allen Trostes bar. Mein Herz sehnte sich in seinem Jammer hin zu meinem Geliebten. Meine Zuversicht auf ihn (ergänze: "und seine Auferstehung") war vollkommen, ich wahrte ihm allein unter allen Menschen die volle Treue und wahre Freundschaft bis ans Grab.

Der Diener: Liebenswerte, zarte Frau, dafür grüßen dich alle Herzen und loben dich alle Zungen: denn all das Gut, das uns das Herz des Vaters geben wollte, ist durch deine Hände geflossen. Du bist der Anfang und die Mitte, du sollst auch das Ende sein (*vgl. St. Bernhard: " ... So war es sein Wille: er wollte, dass wir alles haben durch Maria!" - Predigt auf Mariä Geburt). Du reine, zarte Mutter, sei heute an das jammervolle Scheiden gemahnt, gedenke des bitteren Abschiedes, den du von deinem zarten Kind nahmst, und hilf mir, dass ich weder von dir noch von seinem frohen Anblick je geschieden werde. - Ei, du reine Mutter, wie nun meine Seele in Erbarmen und Mitleid zu dir steht, wie sie dich mit Innigkeit empfängt und in der Betrachtung mit herzlichem Begehren, mit Lob und Dank vom Grabe weg durch das Tor zu Jerusalem wieder in das Haus geleitet, so erbitte ich mir, lass meine Seele bei ihrer letzten Fahrt von dir, du reine, zarte Mutter, du Ziel alles meines Trostes, zurück in ihr Vaterland geführt werden und in der ewigen Seligkeit Anker finden. Amen.

Der andere (zweite) Teil

XXI. Wie man sterben soll, wie ein unbereiter Tod beschaffen ist

(*Dieses Hauptstück wurde, etwas gekürzt, häufig für sich gedruckt, es hat als "Sterbebüchlein" weite Verbreitung gefunden [ältester Druck 1483 laut Bihlmeyer]. Die "Ars bene moriendi" - die "Kunst des guten Sterbens" - war ein vielbehandeltes Thema der Zeit.)

Der Diener: Ewige Weisheit, gäbe mir einer alle Erde zu eigen, das wäre mir nicht so lieb als die Wahrheit und der Nutzen, den ich in deiner süßen Lehre gefunden habe. Darum begehre ich von Herzens Grund, dass du, Ewige Weisheit, mich noch tiefer unterweisest. Herr, was kommt einem Diener der Ewigen Weisheit eigentlich zu, der dir allein angehören will? Ich hörte gern von der Vereinigung der bloßen Vernunft mit der Heiligen Dreifaltigkeit, wenn sie in dem hohen Widerglanz der Eingeburt des Wortes (in sie) und in der Wiedergeburt des eigenen Geistes ihrer selbst enthoben und von jedem Hindernis entblößt wird.

Antwort der Ewigen Weisheit: Der soll nicht nach dem Höchsten in der Lehre fragen, der noch beim Niedersten steht im Leben. Ich will dich lehren, was dir von Nutzen ist.

Der Diener: Herr, was willst du mich lehren?

Antwort der Ewigen Weisheit:

1. Ich will dich lehren zu sterben;

2. Ich will dich lehren zu leben;

3. Ich will dich lehren, mich inniglich zu empfangen;

4. Ich will dich lehren, mich innig zu loben. Sieh, das kommt dir eigentlich zu.

Der Diener: Herr, hätte ich Wunsches Gewalt, ich wüsste nicht, dass ich in der Zeit etwas anderes an Lehre wünschen sollte, als dass ich mir und allen Dingen könnte sterben und dir allein leben, dich von ganzem Herzen lieben, dich lieb empfangen und würdig loben. O Gott, wie ist der Mensch so selig, der dies wohl vermag und sein ganzes Leben hierin verzehrt! - Herr, meinst du ein geistliches Sterben (worüber mich dein elender Tod so liebevoll unterwiesen hat) oder ein leibliches Sterben?

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich meine sie beide.

Der Diener: Herr, was bedarf ich der Lehre über den leiblichen Tod? Er lehrt sich wohl selber, wenn er einmal kommt.

Antwort der Ewigen Weisheit: Wer die Belehrung bis dahin aufspart, der hat sich dann versäumt.

Der Diener: O Herr, jetzt ist es mir doch etwas bitter, vom Tod zu hören.

Antwort der Ewigen Weisheit: Schau, darum häufen sich jetzt die unbereiten, erschreckenden Todesfälle, deren die Städte und Klöster voll sind. Sieh, derselbe (der Tod) hatte auch dich oft insgeheim an die Hand genommen und wollte dich von hinnen führen, wie er es unzählige Male tut, wovon ich dir jetzt einen Fall zeigen will. - Nun tu deine inneren Sinne auf, sieh und höre, gewahre die Gestalt des grimmen Todes an deinem Nächsten, gib genau acht auf die klagende Stimme, die du hörst.

Der Diener hörte in seinem Geiste, wie die grimme Gestalt des unbereit sterbenden Menschen schrie, und sie sprach also mit klagenden Worten:

"Circumdederunt me genitus mortis etc. - Es umgaben mich die Schmerzen des Todes" (Ps 17,5). O weh, Gott vom HimmeIreich, dass ich je in diese Welt geboren wurde ! Steht da am Anfang meines Lebens Schreien und Weinen, so vollzieht sich auch mein Ausgang in bitterlichem Schreien und Weinen. Ach, die Seufzer des Todes haben mich umgeben, die Schmerzen der Hölle haben mich umschlossen. O weh, Tod, o weh, du grimmer Tod, wie bist du ein so leidiger Gast für mein junges, fröhliches Herz! Wie hatte ich mich um dich noch so wenig besorgt! Nun hast du mich rücklings angefallen, du hast mich eingeholt. O weh, du führst mich in deinen Ketten, wie man einen Verurteilten gebunden führt zu der Stätte, wo man ihn töten will. Nun schlage ich meine Hände über meinem Haupt zusammen, ich ringe sie vor Schmerz ineinander, denn ich entflöhe ihm gerne. Ich blicke um mich in alle Enden dieser Welt, ob mir einer raten oder helfen möge, und es kann nicht sein. Ich höre doch den Tod tödlich in mir sprechen: "Kein Freund, kein Gut, weder Wissen noch Witz hilft hier dawider, es muss rechtens so sein." O weh, und muss es sein? Ach Gott, und ich muss doch von hinnen? Geht es jetzt an ein Scheiden? Dass ich je geboren wurde! Ach Tod, o weh, Tod, was willst du an mir begehen?

Der Diener sprach: Lieber, wie gebärdest du dich so gar übel! Das ist ein gemeinsames Gericht für Arme und Reiche, für jung und alt. Es sind ihrer viel mehr, die vor ihrer Zeit tot sind, als in ihrer Zeit. Oder wähntest du allein dem Tod zu entrinnen? Das war ein großer Unverstand!

Antwort des unbereit sterbenden Menschen: O weh, Gott, welch bitterer Trost ist das! Ich bin nicht unverständig. Unverständig sind jene, die nicht entsprechend gelebt haben und über den Tod nicht erschrecken. Sie sind blind, sie sterben wie das Vieh, sie wissen nicht, was sie vor sich haben. Ich klage nicht, dass ich sterben muss. O weh, ich klage, dass ich unbereit sterben muss. Ich sterbe und bin nicht bereit zu sterben. Im weine nicht allein über das Ende meines Lebens, ich schreie und weine ob der Wonne der Tage, die so ganz verloren sind, dahingegangen ohne allen Nutzen. Ich bin doch wie eine unreife, verworfene Geburt, wie ein Blütenzweig im Maien. Meine Tage sind schneller verflogen als der Pfeil vom Bogen (Weish 5, 12). Meiner ist vergessen, als ob ich nie war; wie des Weges, den der Vogel durch die Luft schnitt. Er schließt sich hinter ihm wieder zu und ist keinem Menschen bekannt (Weish 5,11). Darum sind meine Worte voll Bitterkeit und meine Rede voll Schmerzen (Job 23, 2; 6, 3). O weh, wer gewährt mir armen Menschen zu sein, wie ich vorher war, dass ich die wonnigliche Zeit noch vor mir hätte und wüsste, was ich jetzt weiß ! O weh, als ich in der Zeit stand, da schätzte ich sie nicht recht, ich ließ sie leichtfertig und töricht verstreichen. Nun ist sie mir entzogen, ich kann sie nicht wieder herbringen, ich vermag sie nicht mehr einzuholen. Es war keine Stunde zu kurz, ich hätte sie kostbarer halten sollen und dankbarer als ein armer Mensch, dem man ein Königreich übereignet. Sieh, darum rinnen meine Augen von hellen Tränen, weil sie das (Vergangene) nicht wiederbringen können.

O weh, Gott vom Himmelreich, dass ich so manchen Tag leichtfertig vertan habe, dass es mir jetzt so wenig hilft! O weh, warum lernte ich nicht die ganze Zeit her zu sterben? Ihr blühenden Rosen (ihr Jungen), die ihr euere Tage noch vor euch habt, schaut mich an und lernt Einsicht: Kehrt eure Jugend Gott zu, vertreibt die Zeit allein mit ihm, dass es euch nicht ebenso ergehe! O weh, Jugend, wie habe ich dich vergeudet! Herr vom Himmelreich, lass es dir für immer geklagt sein! Im wollte niemandem glauben, mein wildes Gemüt mochte auf niemand horchen, ach Gott, jetzt bin ich in die Falle des bitteren Todes geraten. Die Zeit ist dahin, die Jugend vorbei. Besser wäre mir gewesen, meiner Mutter Leib wäre mir ein Grab geworden, als dass ich all die gute Zeit so nutzlos vertan habe.

Der Diener: Kehre dich Gott zu, erwecke Reue über deine Sünden. Ende gut, alles gutl

Antwort des unbereit sterbenden Menschen: O weh, was für eine Rede ist das! Soll ich jetzt bereuen, soll ich mich bekehren? Siehst du nicht; ich bin zu sehr erschrocken, mein Kummer ist viel zu groß. Mir ist zu Mute wie einem geschlagenen Vöglein, das unter den Fängen eines Raubvogels liegt und aus Sterbensnot die Sinne verloren hat. Ich bin ohnmächtig, ich möchte entkommen und vermag doch nicht zu entrinnen. Auf mir lastet der Tod und das bittere Scheiden. - O weh! Reue und freie Umkehr des noch seiner mächtigen Menschen, wie bist du ein so sicher Ding! Wer mit dir säumt, der mag versäumt werden. O weh des langen Aufschubs meiner Besserung! Wie bist du mir zu lang geworden! Der gute Wille ohne Werke, die guten Versprechen ohne Leistung haben mich ins Verderben gebracht. Ich habe Gott von Tag zu Tag vertröstet (,vertagt'), so bin ich in die Nacht des Todes gefallen.

O weh, allmächtiger Gott, ist das nicht ein Jammer über allem Jammer? Soll mir das nicht weh tun, dass ich mein ganzes Leben, meine dreißig Jahre so verloren habe? Ich weiß doch nicht, ob ich auch nur einen Tag ganz nach Gottes Willen verbrachte, wie ich es billigerweise sollte; ob ich Gott je einen ihm genehmen Dienst vollbrachte. O weh, das schneidet mir ins Herzl Ach Gott, wie werde ich so ohne Ehre stehen vor dir und dem ganzen himmlischen Heere!

Ich fahre nun von hinnen ... nun freute mich in dieser Stunde ein einziges "Ave Maria", mit Andacht gesprochen, mehr - O weh -, als wenn mir jemand tausend Goldmark auf die Hand legte. Was habe ich so versäumt, wie habe ich mir selbst so übel getan ! Dass ich das außer acht ließ, dieweil ich es vermochte ! Was ist mir an Stunden verlorengegagen, wie ließ ich mich so kleiner Dinge wegen über so große Seligkeit hinwegtäuschen! Lieber wäre mir nun, ich hätte aus Liebe verzichtet auf das Vergnügen, meinem Freund nachzuschauen. Denn es geschah wider Gottes Willen. Es brächte mir auch mehr des ewigen Lohnes, als wenn ein Mensch dreißig Jahre lang kniend bei Gott Lohn für mich forderte.

Höret, höret, alle Menschen, das klägliche Begebnis: ich lief um und um, weil es mir an Zeit gebrach, und ich habe gebettelt um kleine Almosen aus den Verdiensten guter Menschen zum Ersatz für mich - und sie wurden mir ausgeschlagen, denn sie fürchten, es ginge ihnen selbst das Öl in den Lampen aus. Ach Gott vom Himmelreich, das rühre dein Erbarmen, dass ich so großen Lohn und Reichtum hätte ernten können so manchen Tag, da ich gesunden Leibes müßig ging, indes mir nun das kleine Almosen, nur zum Ersatz, nicht zum Lohne, dankenswert erschiene, aber niemand es mir gibt. Ach, lasst euch das zu Herzen gehen, jung und alt, solange ihr könnt ! Sammelt in der guten Zeit, damit ihr nicht in dieser Stunde zu Bettlern werdet, die man abweist wie mich!

Der Diener: Ach, lieber Freund, deine Not greift mir ans Herz. Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott: gib mir guten Rat, dass ich nicht in diese Not komme.

Antwort des unbereit sterbenden Menschen: Der beste Rat, die größte Weisheit und Vorsorge, die es auf Erden gibt, ist dies: sich bereithalten, und zwar durch eine gewissenhafte Beichte und in allen Dingen, denen du dich verhaftet weißt. Du musst dich allezeit so verhalten, als ob du diesen Tag von hinnen scheiden müsstest oder (zum längsten) in dieser Woche. Stelle deinem Herzen dieses Bild vor: deine Seele säße im Fegfeuer und solle ihrer Untaten wegen zehn Jahre daselbst bleiben, und dir allein sei dieses eine Jahr gewährt, ihr zu helfen. Schau sie also oft an, wie sie kläglich zu dir ruft und spricht: "O weh, mein allerliebster Freund, biete mir die Hand, erbarm dich über mich, hilf mir, dass ich bald aus diesem grimmen Feuer komme! Denn ich bin so im Elend, niemand hilft mir in Treuen als du allein. Ich bin vergessen von aller Welt, jeder Mensch sorgt nur für sich."

Der Diener: Das wäre eine ausgezeichnete Lehre, wer sie so im Herzen trüge wie du und sie stets gegenwärtig empfände. Aber wie durchschneidend auch deine Worte sind, die Menschen sitzen da und achten kaum darauf. Sie haben Ohren und hören nicht, sie haben Augen und sehen nicht. Es will niemand sterben, ehe ihm die Seele hinausgeht.

Antwort des unbereit sterbenden Menschen: Darum, obwohl sie dem bitteren Tod an der Angel hängen und vor Weh ausrufen, werden sie nicht erhört. Sieh, unter hundert Menschen im geistlichen Gewand (ich will von anderen schweigen), achtet nicht einer meiner Worte zur Bekehrung und Besserung des Lebens. So ist es nun dahin gekommen, dass unter hundert nicht einer ist, der nicht unbereit dem Strick des Todes verfällt, so wie ich. Wohl geschieht denen, die nicht unvorhergesehen und nicht ohne klaren Verstand sterben.

Eitle Ehre, leibliche Bequemlichkeit, vergängliche Liebe und das geizige Suchen ihrer Notdurft blendet die Menge. Willst du aber in der kleinen Zahl (der Sorge) eines elenden, unbereiten Todes ledig werden, so folge meiner Lehre. Sieh, der häufige Anblick des Todes, die getreue Hilfe deiner armen Seele, die dich so elend anruft, bringen dich bald dazu, dass du nicht ohne Furcht dastehst, vielmehr, dass du seiner auch wartest mit dem ganzen Begehren deines Herzens. Denke nur oft an mich jeden Tag von Herzensgrund, schreibe meine Worte in dein Herz. Schau auf meine bittere Not, sie kommt alsbald über dich. Sieh, was ist das eine Nacht!

Gesegnet jeder, der geboren und wohlbereitet in diese Stunde tritt, er fährt wohl, wie bitter auch sein Tod sei. Denn die lichten Engel behüten ihn, die Heiligen geleiten ihn, der himmlische Hof empfängt ihn, sein letzter Gang ist der Einzug in das ewige Vaterland. - O weh, Gott, wo soll aber meine Seele heute Nacht noch Herberge finden in dem fremden, unbekannten Land? Wie ist meine Seele ganz verlassen, o Gott, wie ist sie so elend unter all den elenden Seelen? Wer - wer hilft ihr mit ganzer Treue?

Nun, ich höre jetzt auf zu jammern und zu klagen. Die Stunde ist da, o weh, ich sehe, es kann anders nicht sein. Die Hände beginnen zu erkalten, das Antlitz verblasst, die Augen ersterben. Ach, des grimmen Todes Schläge ringen mit dem armen Herzen! Ich beginne den Atem tiefer zu ziehen, das Licht dieser Welt fängt an zu erblinden, ich stehe davor, in jene Welt zu sehen. O weh, Gott, welch ein Anblick ! Gräuliche Gestalten schwarzer Mohren rotten sich zusammen, die höllischen Tiere umringen mich, sie lauern der armen Seele auf, ob sie ihnen zufällt!

O weh, gerechter Richter des strengen Gerichts! Wie wägst du die minderen Dinge, deren Kleinheit niemand achtet, so gewichtig! Vor Angst dringt mir der kalte Todesschweiß durch den Leib. O weh, des zornigen Anblicks des strengen Richters, geschliffen scharf sind seine Urteile.

Nun kehre ich mich im Geiste jener Welt zu, wohin ich alsbald geführt werde: in das Fegfeuer.

(*Das Fegfeuer ist hier als Ort, weniger als Zustand gedacht. Dass der Mensch, der vor Gott tritt, einer Reinigung bedarf, ist offensichtlich, wie aber diese Reinigung wirklich geschieht, weiß selbst der Dogmatiker nicht näher zu beschreiben. Das Mittelalter, insbesondere Dante, hat sich das sehr bildhaft vorgestellt. Dass es sich dabei um eine Reinigung im Geiste handelt, kommt bei dieser Übertragung des an sich richtigen Gedankens in das Bild weniger zum Ausdruck.)

Da sehe ich Angst und Not in dem Marterland. O weh, Gott, ich sehe die wilden, heißen Flammen ihnen hoch über dem Haupt zusammenschlagen, sie fahren in der finsteren Flamme auf und nieder wie die Funken in der Esse, sie rufen: "Weh und Ach! Groß ist unser Ungemach! Kein Herz kann die Vielfalt und Bitternis unserer Not ausloten." - Man hört arme Rufe die Menge:

"Hilfe, Hilfe ! O weh, wo ist alle Hilfe unserer Freunde, wo alle treuen Versprechen unserer falschen Freunde? Wie haben sie uns verlassen! Wie haben sie unser so ganz vergessen! O weh, erbarmet euch, erbarmt euch über uns, ihr wenigstens, unsere allerliebsten Freunde (Job 19,21)! Wie haben wir euch gedient, wie haben wir euch geliebt - und wie wird es uns gelohnt! O, wie lasst ihr uns jetzt in dem heißen Kalkofen brennen ! O weh, dass wir dies uns nicht selbst ersparten, wir hätten es doch mit so kleinen Dingen tun können! Die geringste Qual hier ist mehr, als je ein Martyrer auf Erden gelitten. O weh, eine Stunde im Fegfeuer ist wie hundert Jahre! O weh, jetzt sieden wir, wir braten, wir schreien um Hilfe. Vor allem aber schmerzt es, dass wir den Anblick der Freude (= der Schau Gottes) so lange missen müssen. Das schwächt Herz, Sinn und Gemüt." Und also verscheide ich.

Der Diener: Ach, Ewige Weisheit, hast du mich verlassen? O Gott, wie ist mir der Tod so gegenwärtig geworden! Ach, meine Seele, bist du noch in dem Leibe? Herr vom Himmelreich, lebe ich noch? Ach Herr, ich lobe dich, ich gelobe dir Besserung bis in den Tod. Wie bin ich so sehr erschrocken! Ich wusste doch nie, dass mir der Tod so nahe war. Wahrlich, Herr, dieser Anblick soll mir immer gut tun. Herr, ich will jeden Tag dem Tod auflauern, dass er mich nicht rücklings anfalle. Ich will sterben lernen, ich will mich nach jener Welt ausrichten. Herr, ich sehe, hier ist nicht unseres Bleibens (Hebr 13,14). Herr, ich will wahrhaftig meine Reue und Buße nicht bis zum Tod aufschieben. ... Ich bin erschrocken von diesem Anblick, es wundert mich, dass meine Seele noch beim Leibe ist. Nimm mir, nimm hinweg Wohlruhen, Langschlafen, Gutessen und Trinken, vergängliche Ehre, Weichheit und Wollust! Mir tut hier ein kleines Leiden so weh, ach, wie sollte ich dann das maßlose Leid für immer aushalten? Weh mir, Gott, wäre ich also tot, stürbe ich jetzt, wie sollte es mir ergehen? Wie liegt mir noch so vieles auf! Herr, im will heute meine arme Seele für hilfsbedürftig erachten und ihr selber Gutes tun, nachdem die Freunde sie im Stich gelassen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Sieh, das sollst du fleißig bedenken, dieweil du noch in deiner Jugend lebst, noch stark und gesund bist und es auch noch besser machen kannst. Wenn aber dich diese Stunde wirklich antritt und du nichts mehr gutmachen kannst, so sollst du auf Erden nichts ansehen als meinen Tod und meine grundlose Barmherzigkeit. Darauf ruht deine volle Zuversicht.

Der Diener: O weh, Herr, ich falle dir zu Füßen unter bitteren Tränen und bitte dich: strafe mich hier, wie du willst, spare mir nichts auf für dort! O weh, Herr, das Fegfeuer der unergründlichen Pein ! Wie lebte ich bisher ohne Einsicht, ich wog dies alles so gering, wie fürchte ich es jetzt mit Schrecken!

Antwort der Ewigen Weisheit: Wohlan, diese Furcht ist ein Anfang aller Weisheit, ein Weg in alle Seligkeit (Sir 1, 16). Hast du vergessen, wie die ganze Schrift ausruft? Welch hohe Weisheit liegt in der Furcht und im fleißigen Betrachten des Todes (Sir 7, 40).

Du sollst Gott stets Lob bringen, denn unter tausend Menschen ist es keinem gegeben zu erkennen wie dir. Höre den Jammer: Sie hören davon reden, sie wissen es voraus und lassen es hingehen, sie lassen es fahren, sie beachten es nicht, o weh, bis sie davon verschlungen werden. Dann schreien sie, dann heulen und weinen sie - es ist zu spät. - Tu die Augen auf, zähle an den Fingern ab, wieviel gerade zu deiner Zeit neben dir tot sind. Halte in deinem Herzen ein kleines Zwiegespräch mit ihnen, setze deinen alten Menschen zu ihnen wie einen Toten, frage sie miteinander, sieh, wie sie mit tiefem Seufzen und bitteren Tränen sprechen: "Wer dem guten Rat folgt und aus fremden Schaden klug wird glückselig, wer so geboren ward!" Versetze dich recht in den Hinübergang, denn, wahrlich, du sitzt wie ein Vogel auf dem Zweig, wie ein Mensch am Rande des Wassers ... er steht und sieht das Schiff geschwind daherziehen, darin er sitzen und in das fremde Land abfahren soll, aus dem er nicht wiederkehrt. - So richte dein ganzes Leben danach aus: wenn er (der Tod) kommt, musst du bereit sein und fröhlich von hinnen fahren.

XXII. Wie man innerlich leben soll

Der Diener: Herr, der Übungen sind tausend, der Weisen leben abertausend, eine so, eine anders, der Arten sind viele und mancherlei. Herr, die Schriften sind unergründbar, die Lehren nicht zu zählen. Ewige Weisheit, lehre mich mit kurzen Worten aus dem Grund aller dieser Dinge, woran ich mich vor allem halten soll auf dem Weg des wahren Lebens.

Antwort der Ewigen Weisheit: Die wahrste, die nützlichste, die behendeste Lehre (zum Vorwärtskommen), die dir in jeder Schrift gegeben werden kann, in der du mit kurzen Worten in aller Wahrheit überschwänglich eingewiesen wirst in die höchste Vollkommenheit eines lauteren Lebens, ist diese Lehre:

1. Halte dich abgeschieden von allen Menschen;

2. Halte dich frei von allen (durch die Sinne) eingegebenen Bildern;

3. Löse dich von allem, was Wandel, Verhaften (an etwas) und Leid einbringt;

4. Richte dein Gemüt allezeit empor in das verborgene, göttliche Schauen, und zwar so: Trage mich zu aller Zeit vor deinem Auge wie ein ständiges Gegenüber, von dem dein Auge nimmermehr wegsieht.

Was die anderen Übungen betrifft, wie Armsein, Fasten, Wachen und alle anderen Kasteiungen, diese richte aus auf das Letztere als ihr Ziel. Du kannst ihrer so viele haben, als sie dich hierin zu fördern vermögen. Sieh, so gewinnst du den Gipfel der Vollkommenheit. Unter tausend Menschen begreift das nicht einer, weil sie mit ihren Zielen auf anderen Übungen beharren und darum lange Jahre irregehen.

Der Diener: Herr, wer vermag jederzeit in dem unverwandten Anblick deines göttlichen Gegenübers zu stehen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Niemand, der heute lebt in der Zeit. Es wird dir allein darum gesagt, dass du weißt, wo du Anker legen, wonach du trachten und dein Herz und Gemüt ausrichten sollst. Und wird dir der Anblick entzogen, so soll dir sein, als wäre dir die ewige Seligkeit genommen. Du sollst geschwind wieder dahin zurückkehren, dass es dir wieder innewerde, du sollst auch auf dich achthaben. Denn wenn es dir entgeht, bist du wie ein Bootsmann, dem im starken Strudel die Ruder entfallen sind, der nicht mehr weiß, wohin er steuern soll. Kannst du aber hierin noch nicht ausharren, so soll dich das stete Einwärtskehren (= Sammeln der Sinne nach innen) und die eilige Flucht dahin zur Stetigkeit bringen, soweit das möglich ist.

Höre, höre, mein Kind, die getreue Lehre deines getreuen Vaters, nimm sie wohl wahr, schließe sie in den Grund deines Herzens ! Bedenke: wer ist es, der dich dies lehrt! Und wie von Grund auf gut meint er es (mit dir) ! Willst du nimmer lau werden, so halte es dir vor Augen. Wo du sitzest, gehst und stehst, da sei dir, als mahnte ich dich gegenwärtig und spräche: "Mein Kind, halte dich innerlich, lauter, frei und erhaben!" Schau, so wirst du bald meiner Worte inne, es wird dir auch das Gut bekannt, das dir noch verborgen ist.

Der Diener: Ach, Ewige Weisheit, sei ewiglich gelobt! Mein Herr und mein treuester Freund, wollte ich es ohne dieses nicht tun, so zwingst du mich mit deinen süßen Worten und mit deiner zarten, liebevollen Lehre dazu. Herr, ich soll und will meinen ganzen Eifer darauf verlegen.

XXIII. Wie man Gott lieb empfangen soll

Der Diener: Ewige Weisheit, könnte meine Seele jetzt den heimlichen Schrein deiner göttlichen Geheimnisse öffnen, so wollte ich noch fragen über das Lieben. Meine Frage heißt: Herr, du hast den Abgrund deiner unergründlichen Liebe so ganz ausgegossen in deinem liebevollen Leiden, dass mich wundernimmt, ob du noch mehr Zeichen der Liebe zu leisten vermagst.

Antwort der Ewigen Weisheit: Ja. Wie die Sterne am Himmel nicht zu zählen sind, so bleiben die Liebezeichen meiner unergründlichen Liebe ungezählt.

Der Diener: O, süße Liebe mein, am zarter, liebenswerter, erkorener Herr, sieh, wie meine Seele nach dir glüht! Wende dein liebenswertes Antlitz mir zu, einem verworfenen Geschöpf, sieh, wie alle Dinge in mir schwinden und erlöschen bis auf den einzigen Hort deiner inbrünstigen Liebe, erzähle mir etwas mehr von dem edlen, geheimen Hort. Herr, du weißt, es ist der Liebe Recht, von ihrem Geliebten nie genug zu haben. Je mehr sie hat, um so mehr begehrt sie, wie unwürdig sie sich auch darin bekennt. Das wirkt die Übermacht der Liebe. O, schöne Weisheit, nun sage mir: Was ist das größte und das lieblichste Liebezeichen, das du je gabst in deiner angenommenen Menschheit, außer dem unergründlichen Liebezeichen deines bitteren Todes?

Antwort der Ewigen Weisheit: Antworte mir auf eine Frage: Was ist das, was ist unter allen geliebten Dingen einem liebenden Herzen das Allerliebste von seinem Geliebten?

Der Diener: Herr, nach meinem Verstand gibt es nichts lieberes für ein liebendes Herz als den Geliebten selber und seine liebreiche Gegenwart.

Antwort der Ewigen Weisheit: So ist es. Sieh, darum, dass meinen Geliebten nichts abgehe, was zu rechter Liebe gehört, da zwang mich meine grundlose Liebe dazu, als ich von dieser Welt im bitteren Tod scheiden wollte zu meinem Vater - denn ich wusste im voraus von dem Jammer, den manches liebende Herz nach mir hätte -, da gab ich mich selber und meine liebreiche Gegenwart auf dem Tisch des letzten Abendmahles meinen lieben Jüngern, und noch alle Tage gebe ich mich meinen Auserwählten.

Der Diener: O, liebenswerter Herr, und du bist da selber höchsteigen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Du hast mich in dem Sakrament vor dir und bei dir so wahrhaft und eigentlich als Gott und Mensch, nach Leib und Seele, mit Fleisch und Blut, so wahrhaftig mich meine reine Mutter auf ihrem Arm trug, so wirklich ich im Himmel bin in meiner vollkommenen Klarheit.

Der Diener: Du zarter Herr, es ist etwas in meinem Herzen, darf ich das mit Verlaub dir vortragen? Herr, es stammt nicht aus Unglauben. Ich glaube: was du willst, das vermagst du auch. Aber, mein guter Herr, mich nimmt wunder, darf ich es aussprechen: wie kann sich der schöne, wonniglich verherrlichte Leib meines liebenswerten Herrn in all seiner Größe und Ganzheit so geheimnisvoll verbergen unter der kleinen Gestalt des Brötchens, das deinem Maß so unangemessen ist? Guter Herr, zürne deshalb nicht ! Da du meine erkorene liebe Weisheit bist, so wollte ich gerne von deiner Huld etwas darüber aus deinem Munde hören.

Antwort der Ewigen Weisheit: Wie mein schöner Leib und meine Seele nach ganzer Wahrheit in dem Sakrament sind, das kann keine Zunge aussprechen, das vermag kein Verstand zu fassen, es ist ein Werk meiner Allmacht. Darum sollst du es glauben in Einfalt, du sollst ihm nicht viel nachspüren. Und doch muss ich dir ein klein wenig davon sagen. Ich will dieses Wunder nicht mit einem anderen Wunder vergleichen und belegen. Sage mir, wie kann das sein in der Natur: ein großes Haus bildet sich ab in einem kleinen Spiegel und auch in jedem seiner Bruchstücke? Oder wie kann das sein: der große Himmel drückt sich enggefügt in das kleine Auge, wo doch beide an Größe so ungleich sind?

Der Diener: Wahrhaftig, Herr, das kann ich nicht herausfinden. Ein wunderlich Ding! Denn das Auge ist wie ein Punkt vor dem Himmel.

Antwort der Ewigen Weisheit: Sieh, wie weder dieser noch ein anderer Vorgang in der Natur dem gleicht wo die Natur das zu tun vermag, warum vermöchte ich dann, der Herr der Natur, nicht noch viel mehr übernatürliche Dinge zu tun? Nun sage mir weiter: ist es nicht ein ebenso großes Wunder, Himmel und Erde und alle Kreatur aus dem Nichts zu schaffen, wie das Brot unsichtbar in mich zu verwandeln? (*Gemeint ist die Wesensverwandlung - Transsubstantiation)

Der Diener: Nach meinem Verstand ist es von dir aus möglich, etwas in etwas anderes zu verwandeln, wie auch ein Etwas aus dem Nichts zu erschaffen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Ja, wundert dich denn dieses, das andere nicht? So sage mir: du glaubst, ich speiste fünftausend Menschen mit fünf Broten, wo war die verborgene Materie, die meinen Worten da diente?

Der Diener: Ich weiß nicht, Herr.

Antwort der Ewigen Weisheit: Oder glaubst du, du hast eine Seele?

Der Diener: Herr, das glaube im nicht, das weiß ich. Denn anders lebte ich nicht.

Antwort der Ewigen Weisheit: Nun vermagst du doch die Seele nicht mit dem Auge des Leibes zu sehen. Glaubst du denn, es gäbe keine anderen Wesen, als die man sehen und hören kann?

Der Diener: Ich weiß, Herr, jener Wesen, die leiblichen Augen unsichtbar bleiben, sind viel mehr als derer, die man sehen kann.

Antwort der Ewigen Weisheit: Nun schau, mancher Mensch ist von so grober Art, dass er dennoch kaum glauben will, es gibt etwas außerhalb des Vermögens seiner Sinne. Dabei erbringen die Gelehrten den Beweis, dass dem nicht so ist. In gleicher Weise ist es hier mit dem menschlichen Verständnis gegenüber dem göttlichen Wissen. Hätte ich dich nun gefragt: wie sind die Pforten des Abgrundes beschaffen oder wie sind die Wasser über die Himmel gesetzt? Du sprachest vielleicht so: es ist mir zu tief, ich forsche nicht nach, ich stieg weder in den Abgrund hinab noch zum Himmel empor! Nun habe ich dich nach Dingen der Erde, die du siehst und hörst, gefragt, und du begreifst sie nicht. Wie wolltest du denn das erfassen, was alle Erde und den Himmel und alle Sinne übertrifft? (Vgl. Joh 3,12). Oder wie willst du dem nachfragen?

Sieh, solches Verwundern und zweifelnde Gedanken stammen allein von der Grobheit der Sinne, sie beurteilen göttliche und übernatürliche Dinge aus dem Vergleich mit irdischen und natürlichen Dingen, aber so stimmt es nicht. Würde eine Frau ein Kind gebären in einem Turm, würde es darin aufgezogen und die Mutter erzählte ihm von der Sonne und den Sternen, das Kind nähme es arg wunder, es schiene ihm unmöglich und unglaublich, was der Mutter wohl bekannt ist.

Der Diener: Wahrlich, Herr, ich kann so recht nichts mehr sprechen. Denn du hast mir meinen Glauben erleuchtet, so überkommt mich kein Verwundern mehr in meinem Herzen. Oder wie will ich dem Höchsten nachgehen, wo ich das Niedrigste nicht begreifen kann? Du bist die Wahrheit, die nicht lügen kann. Du bist die höchste Weisheit, die alle Dinge kennt. Du bist der Allmächtige, der alle Dinge vermag. O, liebenswerter, guter Herr, nun habe ich oft von Herzen begehrt, mit dem gerechten Simeon im Tempel dich dem Leibe nach in meinen Armen zu empfangen. "O liebreicher Herr, ich möchte dich mit meinen Armen in meine Seele und in mein Herz drücken, so möchte mir der geistliche Kuss deiner wahren Gegenwart zuteil werden - so wirklich wie ihm.- Herr, nun sehe ich, dass ich dich so wirklich empfange wie er (Simeon), ja um so edler, als dein zarter Leib jetzt verherrlicht ist und ohne Leiden, wo er damals leidensfähig war. Ach, liebenswerter Herr, darum: Hätte mein Herz aller Herzen Liebe, mein Gewissen aller Engel Klarheit und meine Seele aller Seelen Schönheit, dass ich es von deiner Gnade würdig wäre, Herr, so wollte ich dich heute so lieb empfangen und in den Grund meines Herzens und meiner Seele versenken, dass mich weder Leben noch Tod von dir jemals schieden.

Und, du guter, liebenswerter Herr, hättest du, mein auserkorenes Lieb, mir nur deinen Boten gesandt, ich wüsste in aller Welt nicht, wie ich es ihm hätte genug danken können. Wie soll ich mich denn verhalten gegen den, ja gegen ihn, den meine Seele liebt? Du bist doch das einzige Eine, in dem alles beschlossen ist, was mein Herz in Zeit und Ewigkeit begehren mag. Oder ist es noch etwas, was meine Seele begehrt neben dir, etwas, was du nicht bist? - Ich will schweigen von dem, was wider dich, was ohne dich ist, das wäre mir nur Unlust. Du bist den Augen das Allerschönste, dem Munde der Allersüßeste, dem Empfinden der Allerzarteste, dem Herzen der Liebenswerteste. Herr, meine Seele sieht nicht noch hört noch empfindet sie etwas in all dem, was ist, sie findet ein jedes tausendmal lieblicher in dir, meinem Auserkorenen. Ach, liebenswerter Herr, wie soll ich mich vor dir verhalten vor Staunen und vor Freuden? Deine Gegenwart entzündet mich, aber deine Größe schreckt mich, mein Verstand will seinen Herrn ehren, aber mein Herz will sein einziges Lieb lieben und in Liebe umfangen. Bist du mein Herr und mein Gott, so doch auch mein Bruder und - darf ich es wagen, es auszusprechen? - du bist mein geliebter Gemahl. O, was an Liebe, was an Wonne und Freude, was an Würde habe ich an dir allein!

Ach, guter Herr, mich dünkt dies: Wäre mir allein die Gnade widerfahren, aus meines Geliebten offenen Wunden ein einziges Blutströpflein von seinem Herzen empfangen zu haben in meinem Mund, mich dünkt, ich hätte alle Wünsche erfüllt gehabt. Ach, herrliches, ungreifbares Wunder, nun habe ich es nicht allein von seinem Herzen oder Händen oder Füßen und allen seinen zarten Wunden empfangen und nicht nur eines oder zwei Tröpfchen, nein, ich habe doch all sein rosenfarbenes, heißes Blut durch meinen Mund in mein Herz und meine Seele aufgenommen. Ist das nicht etwas Großes? Soll ich das nicht hochanschlagen, was allen hohen Engeln versagt bleibt? Ist das nicht eine Gabe der Liebe! Herr, ich wollte, alle meine Glieder, alles, was ich bin und vermag, würde verwandelt in eine unergründliche Liebe um dieses liebreichen Zeichens deiner Liebe. Herr, was in dieser Welt könnte mein Herz erfreuen, was könnte es begehren, wo du dich mir so liebevoll zum Genuss und zur Liebe hingibst? Es heißt mit Recht das Sakrament der Liebe. Wo wurde je lieberes gehört oder gesehen als die Liebe selbstselber werden aus Gnaden? Herr, ich sehe keinen Unterschied: Simeon empfing dich sichtbar, ich empfange dich unsichtbar. Aber so wenig nun mein leibliches Auge deine wahre Menschheit sehen kann, ebenso wenig konnte sein leibliches Auge da deine Gottheit sehen außer im Glauben, wie auch ich hier.

Herr, welche Kraft läge für mich in diesem leiblichen Sehen! Wem die Augen des Geistes aufgetan sind, der hält nicht viel auf leibliches Sehen. Denn die Augen des Geistes sehen eigentlicher und wahrer. Herr, wenn ich nur weiß in dem Glauben (so gut man es wissen mag), dass ich dich da habe - was will ich dann mehr? Ich habe alles, was mein Herz begehrt. Herr, tausendmal nützlicher ist es mir, dass ich dich nicht sehen kann. Wie könnte ich sonst je in meinem Herzen den Mut finden, dich also sichtbar zu genießen? Auf diese Weise aber bleibt, was lieb ist, es entfällt, was daran unmenschlich ist (*nämlich: Fleisch und Blut zu sich zu nehmen). Herr, wenn ich überdenke, wie unergründlich wohl, wie liebreich, wie gut du alle Dinge geordnet hast, so ruft mein Herz laut aus: O hoher Reichtum des Abgrundes der göttlichen Weisheit, was bist du in dir selber, wenn du schon so groß bist in deinen schönen Ausflüssen (Geschöpfen)!

Liebenswerter Herr, schaue nun auf das Begehren meines Herzens! Herr, kein König und kein Kaiser wurde je so würdevoll empfangen, kein fremder Gast so liebevoll aufgenommen, kein Gemahl so gut und zärtlich ins Haus geführt und so ehrenvoll behandelt, wie meine Seele begehrt, dich, meinen allerwertesten Kaiser, meines Herzens allersüßesten Gast, meiner Seele allerliebenswertesten Gemahl heute zu empfangen und einzuführen in das Innerste, das Beste, was mein Herz und meine Seele zu bieten vermag. Sie will es dir so würdig anbieten, wie es dir je von einem Geschöpf geboten wurde. Herr, darum lehre mich, wie ich mich vor dir verhalten soll, wie ich dich genügend gut und liebevoll empfangen soll!

Antwort der Ewigen Weisheit: Du sollst mich würdig empfangen, du sollst mich demütig genießen und mich ernstlich bei dir halten, du magst mich in bräutlicher Liebe umschließen und in göttlicher Würde vor Augen haben. Geistlicher Hunger und gegenwärtige (lebendige) Andacht sollen dich zu mir führen, mehr als die Gewohnheit. Die Seele, die mich in der heimlichen Klause eines abgeschiedenen Lebens innerlich finden und liebevoll genießen will, die muss vorher von Untugenden gescheuert sein, mit Tugend geziert, mit Leidensmut bekränzt, mit roten Rosen inniger Liebe besteckt, mit schönen Veilchen demütiger Unterwerfung und weißen Lilien rechter Reinheit besetzt sein. Sie soll mich betten im Frieden des Herzens, denn der Friede ist mein Ort (Ps 75, 2). Sie soll mich in ihre Arme einschließen unter Ausschluss jeder fremden Liebe, denn ich scheue sie und fliehe sie, wie der wilde Vogel den Käfig. Sie soll mir singen den Sang von Sion, das ist ein inbrünstiges Lieben mit einem unergründlichen Lob, dann will ich sie umfangen, und sie soll sich an mein Herz schmiegen. Da wird ihr zuteil ein stilles Ruhen, ein unverdecktes Schauen, ein ungewohntes Genießen, ein Vorgeschmack ewiger Süße, ein Empfinden ewiger Seligkeit. Das habe sie für sich, bewahre sie für sich selber, denn der Fremde (der Nichteingeweihte) empfindet nicht so. Sprich also mit einem tiefen Seufzer: Wahrlich, du bist der verborgene Gott, du bist das geheimnisvolle Gut, das keiner kennt, der es nicht empfunden hat.

Der Diener: O, meine große Blindheit, in der ich bisher gestanden bin! Ich brach die roten Rosen und roch nicht an ihrem Duft. Ich schritt unter schönen Blumen und beachtete sie nicht. Ich war wie ein dürrer Zweig im süßen Tau des Maien. O, ich kann es nimmer genug bereuen, dass du mir so manchen Tag so nahe gewesen, und ich war dir so fern. O weh, du süßer Gast der reinen Seele, wie habe ich dir bisher Gastfreundschaft geboten, wie oft habe ich sie dir ausgeschlagen! Wie wenig Verlangen nach der süßen Speise der Engel habe ich in mir genährt! Ich hielt den edlen Balsam auf der Zunge und schmeckte ihn nicht. Du freudenreiche Augenweide aller Engel, ich freute mich deiner nie richtig! Sollte ein lieblicher Freund am Morgen zu mir kommen, ich hätte mich die ganze Nacht darauf gefreut. Aber auf dich werten Gast, den Himmel und Erde verehren, habe ich mich nie bereitet, wie ich billigerweise sollte.

Ach, wie kehrte ich mich so geschwind von dir ab, wie verjagte ich dich so früh aus deinem Eigentum! O weh, lieber Gott, du bist selbst hier gegenwärtig, auch der Engel Schar ist hier, und ich habe mich so lau verhalten! Herr, ich will von dir schweigen, aber wahrlich, Herr, ich weiß keinen Ort über viele Meilen: wenn mir dort der heiligen Engel Gegenwart bekannt gewesen wäre, dieser hohen Geister, die dich schauen zu allen Zeiten - wahrlich, mit Freuden wäre ich dahin gepilgert. Und hätte ich sie auch nicht sehen können, so hätte doch das Herz in meinem Leibe an ihnen seine Freude gehabt. - O weh, guter Herr, dass du aber selber, du aller Engel Herr, hier gegenwärtig warst und mit dir viele Engelscharen, dass ich diesen Ort nicht besser beachtete, das muss mir immer leid tun. Ich hätte mich doch vor diesem Ort verneigen sollen, wo ich dich gegenwärtig wusste, wenn mir schon nichts anderes möglich wäre.

O Gott, wie bin ich oft an der Stätte, da du vor mir und bei mir warst in dem Sakrament, so ungesammelt und unandächtig gestanden ! Der Leib stand da, aber das Herz war anderswo. Wie habe ich so manchen Gang daran vorbei getan, lieber Herr, so ganz unbedacht, dass mein Herz dir nicht einen innigen Gruß darbot unter andächtigem Verneigen ! Herr, mein zarter Herr, meine Augen hätten dich ansehen sollen mit heller Freude, mein Herz hätte an dich denken sollen mit ganzem Begehren, mein Mund hätte dich loben sollen mit innigem, herzlichem Jubel, alle meine Kräfte hätten zerfließen sollen in deinem frohen Dienst. Was tat dein Knecht David, der vor der Bundeslade, darin nur leibliches Himmelsbrot und leibliche Dinge lagen, so fröhlich aus allen seinen Kräften tanzte (2 Sam 6, 14)?

Herr, nun stehe ich hier vor dir und vor deinen heiligen Engeln und falle dir zu Füßen mit innigen Tränen meines Herzens. Gedenke, guter Herr, gedenke, du bist hier vor mir, mein Fleisch und mein Bruder, vergiss und vergib mir heute alle die Unehre, die ich dir antat. Denn es ist mir leid und muss mir immer leid sein.

Das Licht der Weisheit beginnt mir erst zu leuchten. Und die Stätte, wo du bist, nicht allein nach deiner Gottheit, sondern auch nach deiner schönen, liebenswerten Menschheit, die soll fortan vor mir immer geehrt werden. - Ach liebenswertes Gut, würdiger Herr, süßer Gast, meine Seele stellte gerne eine Frage: guter Herr, sage mir, was bringst du deiner Geliebten mit deiner wahren Gegenwart im Sakrament, wenn sie dich lieb und verlangend empfängt?

Antwort der Ewigen Weisheit: Ist das für einen Liebenden eine geziemende Frage? - Was habe ich Besseres als mich selber? Wer sein Lieb höchsteigen hat, wonach hat der noch zu fragen? Wer sich selber gibt, was hat der versagt? Ich gebe mich dir und nehme dich dir und vereine dich mit mir.

(* Vgl. das Gebet des Klaus von Flüe, gest. 1487:

"O Herr, nimm von mir, was mich wendt von dir.

O Herr, gib auch mir, was mich kehrt zu dir.

O Herr, nimm mich mir und gib mich eigen dir. ")

Du verlierst dich und wirst in mich gewandelt. Was bringt die Sonne in ihrem allerschönsten, glänzenden Widerleuchten der wolkenreinen Luft? Was bringt der aufbrechende, lichte Morgenstern der finsteren Nacht? Oder was bringt die schöne Sommerwonne voll herrlicher Pracht nach der kalten, traurigen Winterszeit?

Der Diener: O Herr, sie bringen Gaben der Fülle.

Antwort der Ewigen Weisheit: Sie erscheinen dir reichlich, weil sie dir sichtbar sind. Schau, die geringste Gnade, die in dem Sakrament aus mir ausfließt, ist in Ewigkeit widerstrahlender als ein Strahl der sichtbaren Sonne. Sie leuchtet heller als ein Morgenstern, sie ziert in ewiger Schönheit mit mehr Wonne, als sommerliche Pracht das Erdreich je zierte. Oder ist meine lichte Gottheit nicht glänzender als irgendeine Sonne? Meine edle Seele nicht leuchtender als ein Stern? Mein verklärter Leib nicht wonniger als Sommerspracht? - Und sie hast du heute wahrhaftig empfangen.

Der Diener: O Herr, warum sind sie denn nicht besser zu empfinden? Herr, ich trete oft hinzu in solcher Härte, dass mir alles Licht, Gnade und Süße nach meinem Verstehen so fern ist wie einem Menschen, der blind geboren ist und nie das Licht sah. - Darf ich es aussprechen, Herr, so gönnte ich deiner wahren Gegenwart wohl, du hättest von dir selbst mehr Zeugnis gegeben.

Antwort der Ewigen Weisheit: Je weniger Beweise, desto lauterer der Glaube, um so größer der Lohn! Der Herr der Natur wirkt geheimnisvoll in manchem schönen Baum ein wonniges Wachsen, und doch kann kein Auge und kein Verstand die Weile empfinden, bis es vollbracht ist. Ich bin da kein Licht, das nach außen leuchtet, ich bin kein Gut, das nach außen wirkt, ich bin ein Gut, das nach innen wirkt, und zwar um so edler, je geistiger es ist.

Der Diener: O weh, Gott, wie wenig Menschen erwägen das gründlich, was sie da empfangen! Sie treten ganz gewöhnlich hinzu wie die anderen in schlechter, unbedachter Art, und weil sie leer hintreten, gehen sie ohne Gnade fort. Sie kauen die Speise nicht, das heißt, sie wägen nicht, was sie empfangen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Ich bin den Wohlbereiteten das lebendige Brot, den Schlechtbereiteten ein trockenes Brot und den Nichtbereiteten ein zeitlicher Schlag, ein tödlicher Fall und ewiger Fluch.

Der Diener: O Herr, das ist zum Erschrecken! Du guter Herr, wen nennst du wohlbereitet, wen nichtbereitet?

Antwort der Ewigen Weisheit: Die Wohlbereiten sind die Geläuterten, die Schlechtbereiten sind die (durch Irdisches) Gehinderten, die Unbereiten sind die Sündigen, die mit Willen oder mit Werken in der Todsünde stehen.

Der Diener: Du guter Herr, wenn dann zu der Stunde (des Empfangs) dem Menschen seine Sünden von Herzen leid tun und er nach seinem Können mittut, dass er ihrer ledig werde nach der Satzung der Christenheit?

Antwort der Ewigen Weisheit: Dann steht der Mensch nicht mehr in Sünde.

Der Diener: Nach meinem Verstand, Herr, ist es (das heiligste Sakrament) der größten Dinge eines, das alle Zeit zu schaffen vermag. Herr, wer lebt in der Zeit, der sich würdig genug auf dich vorbereiten könnte?

Antwort der Ewigen Weisheit: Ein solcher Mensch ward nie geboren. Hätte ein Mensch aller Engel natürliche Lauterkeit, aller Heiligen Reinheit und aller Menschen gute Werke - er wäre dennoch nicht würdig.

Der Diener: O weh, liebenswerter Herr, mit welchem Zittern sollen denn wir unnützen Menschen ohne Gnade zu dir gehen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Der Mensch handle nach seinem Vermögen, mehr wird von ihm nicht gefordert. Denn Gott vollendet das Unvollendete. Ein kranker Mensch soll alle Schüchternheit ablegen und den Arzt aufsuchen, seine Gegenwart bedeutet ihm Genesung.

Der Diener: Liebenswerter Herr, was ist besser: dich oft oder nur selten empfangen in dem würdigsten Sakrament?

Antwort der Ewigen Weisheit: Wem Gnade und Andacht davon fühlbar anwächst, der tut gut daran, eifrig zu gehen.

Der Diener: Herr, wenn aber ein Mensch nach seinem Urteil gleich bleibt? Oder: wenn er sich oft in großer Härte (Dürre) befindet?

Antwort der Ewigen Weisheit: Der Mensch soll sich wegen der Härte dem nicht merklich entziehen, wenn er nur das Seine tut. Denn das Heil der Seele, die ja durch Zulassung Gottes in Härte steht, wird oft allein im Licht des lauteren Glaubens ebenso edel vollbracht wie in großer Süße. Ich bin ein Gut, das wächst im Gebrauchen, das schwindet im Sparen (Nichtgebrauchen). Besser in Liebe hinzutreten, als aus Furcht fernbleiben! Besser jede Woche einmal zu gehen in tiefgründiger, rechter Demut, als einmal im Jahre mit Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit!

Der Diener: Zu welcher Zeit, Herr, vollzieht sich die Wirkung der Gnade von dem Sakrament?

Antwort der Ewigen Weisheit: Im Augenblick des gegenwärtigen Genießens.

Der Diener: Guter Herr, wenn nun ein Mensch in abgrundtiefem Jammer nach deiner lieblichen Gegenwart des Sakramentes verlangt und doch deiner entbehren muss?

Antwort der Ewigen Weisheit: Mancher Mensch wird nüchtern (ohne Sakrament) meiner voll, und mancher leidet Mangel bei mir am Tisch (trotz Empfang). Die Letzteren essen ("kauen") mich nur leiblich, jene aber genießen mich geistlich.

Der Diener: Guter Herr, hat der Mensch, der dich leiblich und geistlich empfängt, Vorteile vor dem, der dich nur geistlich genießt?

Antwort der Ewigen Weisheit: Der mich und meine Gnade hat oder der meine Gnade allein hat - wer hätte da mehr?

Der Diener: Wie lange, Herr, verweilst du in leiblicher Gegenwart bei dem, der dich empfängt?

Antwort der Ewigen Weisheit: Alldieweilen das Bild und Gleichnis des Sakramentes verbleibt.

So sollst du sprechen beim Empfang (des heiligen Sakramentes): Du lebendige Frucht, du süße Knospe, du wonniger Paradiesapfel des glühenden Vaterherzens, du süße Traube aus Cypern im Weingarten Engaddi (Hld 1, 13), wer hilft mir, dich heute so würdig zu empfangen, dass dich selbst verlangt, zu mir zu kommen, bei mir zu bleiben und nicht mehr von mir fortzugehen? Du unergründliches Gut, das Himmel und Erde erfüllt, in Gnaden neige dich heute zu mir und verschmähe nicht dein armes Geschöpf! Bin ich deiner nicht würdig, Herr, so doch deiner sehr bedürftig. Ach, guter Herr, bist du nicht jener, der Himmel und Erde mit einem einzigen Wort erschaffen hat? Herr, mit einem einzigen Wort kannst du meine kranke Seele gesund machen (Mt 8, 9). Du guter Herr, verfahre mit mir nach deiner Gnade, deinem grundlosen Erbarmen gemäß und nicht nach meinem Verdienst! Du bist doch das Lamm ohne Schuld, das heute für aller Menschen Sünde geopfert wird. Du süßes, wohlschmeckendes Himmelsbrot, das allen süßen Geschmack in sich birgt (Weish 16,20) nach jeden Herzens Begehren, gib dem dürren Mund meiner Seele das Verlangen nach dir ein, speise und tränke, stärke und schmücke (mich), vereinige dich liebevoll mit mir! Ach, Ewige Weisheit, nun komm heute mit Kraft in meine Seele! So werden alle meine Feinde ausgetrieben, alle meine Gebrechen ausgeglichen, alle meine Sünden vergeben. Erleuchte meinen Verstand mit dem Licht deines wahren Glaubens, entzünde meinen Willen mit deiner süßen Liebe, verkläre mein Gedächtnis mit deiner fröhlichen Gegenwart und gib allen meinen Kräften Tugend und Vollkommenheit! Beschütze mich bei meinem Tod, dass ich dich offenbar genießen werde in ewiger Seligkeit! Amen.

XXIV. Wie man Gott unergründlich zu jeder Stunde loben soll

Lobe, meine Seele, den Herrn: ich will den Herrn loben in meinem Leben (Ps 145,1). O Gott, wer gewährt meinem vollen Herzen, vor meinem Tod sein Verlangen zu erfüllen in deinem Lob? Wer gibt mir, in meinen Tagen den geminnten Herrn, den meine Seele liebt, würdig zu loben? Ach, guter Herr, dränge doch soviel schöne Musik aus meinem Herzen, soviel seltenes, süßes Saitenspiel je entstand, soviel Laub und Gras dich lobt, und wären alle Töne hingerichtet auf dich zum himmlischen Hof, dass aus meinem Herzen aufstiege ein so unerhörtes Lob der Wonne, dass es den Augen deines Herzens gefalle und dem gesamten himmlischen Heer zur Freude sei! Liebenswerter Herr, bin ich auch nicht würdig, dich zu loben, so begehrt doch meine Seele, der Himmel möge dich loben, wenn er in seiner Schönheit und Wonne mit der Sonne Glanz und der Unzahl lichter Gestirne aufleuchtet in seiner hohen Klarheit, und auch die herrliche Heide, wenn sie in der Wonne des Sommers, in vielfältiger Blumenpracht aufglänzt nach ihrem natürlichen Adel in Lust und Schönheit, und (loben sollen dich) all die süßen Gedanken und das inbrünstige Begehren, das ein reines liebendes Herz je erfüllte nach dir, wenn es in heiterer Sommerwonne umgeben war von deinem einleuchtenden Geist.

Herr, im Gedenken an dein hohes Lob möchte mir das Herz in meinem Leibe zerfließen, die Gedanken entschwinden mir, es gebricht mir an Worten, in jeder Weise fühle ich Mangel. Es leuchtet etwas im Herzen, das man nicht in Worte fassen kann, wenn ich dir, dem weiselosen Gut, lobsingen will. Trete ich nämlich vor die allerschönsten Geschöpfe, vor die höchsten Geister, die lautersten Wesen, das alles übersteigst du unsagbar. Begebe ich mich in den tiefen Abrund deines eigenen Gutes (Wesens), Herr, so verbietet sich alles Loben wegen seiner Geringfügigkeit.

Herr, schaue ich holdselige Geschöpfe an, herrliche Gebilde des Lebens, so sprechen sie zu meinem Herzen: "Sieh doch, wie recht holdselig der ist, aus dem wir ausgeflossen sind, von dem alle Schönheit gekommen ist!" Ich übersehe Himmel und Erde, die Welt und den Abgrund, Wald und Heide, Berg und Tal; sie rufen allesamt in mein Ohr die reiche Melodie deines unergründlichen Lobes. Wenn ich dann sehe, wie unergründlich schön und regelmäßig du alle Dinge, die üblen wie die guten, ordnest, dann fehlen mir die Worte. Wenn ich aber daran denke, Herr: du, das lobwerte Gut, bist der, den meine Seele auserwählt, den sie sich selber allein auserkoren hat zu ihrem einzigen geminnten Lieb, o weh, Herr, da möchte mein Herz vor Lob in sich selbst zerspringen.

O guter Herr, sieh auf das innige Begehren meines Herzens und meiner Seele und lehre mich dich loben, lehre mich, wie ich dich würdig lobe, ehe ich von hier scheide. Denn danach dürstet meine Seele in meinem Leibe.

Antwort der Ewigen Weisheit: Lobsingst du mir gerne?

Der Diener: O weh, Herr, warum reizt du mich? Du kennst doch jedes Herz, du weißt doch: mein Herz in meinem Leibe möchte sich verzehren im rechten Verlangen darnach. Ich trug es in mir schon seit Kindestagen.

Antwort der Ewigen Weisheit: Den Gerechten ziemt es, mich zu loben (Ps 32, 1).

Der Diener: O Herr, meine ganze Gerechtigkeit stammt aus deiner unergründlichen Barmherzigkeit. Liebenswerter Herr, nun loben dich doch die Frösche im Graben, und können sie nicht singen, so quaken sie doch. O weh, guter Herr, ich weiß und erkenne wohl, wer ich bin. Herr, ich erkenne wohl, billiger wäre es für mich, dich anzuflehen wegen meiner Sünde, als dir zu lobsingen. Doch, du grundloses Gut, verschmähe nicht von mir, einem verächtlichen Wurm, mein Begehren, dich zu loben. Herr, die Seraphim und Cherubim und die große Zahl der hohen Geister loben dich alle nach ihrem allergrößten Vermögen - was können sie denn mehr tun angesichts deiner loblosen (dem Lob nicht erreichbaren), unermesslichen Würde, was mehr als das kleinste Geschöpf? Herr, du stehst über aller Kreatur, du bedarfst ihrer nicht (Ps 15, 2), aber deine unergründliche Güte erkennt man um so mehr, je unverdienter du dich schenkst.

Antwort der Ewigen Weisheit: Wer mich würdig und voll zu loben wähnt, der tut wie einer, der hinter dem Winde herjagt und den Schatten greifen will - Und doch ist dir und allen Geschöpfen gestattet, mich zu loben nach allen Kräften. Denn es gab nie irgendein Geschöpf, ob klein ob groß, ob gut ob bös, noch wird es je eines geben, es lobe mich denn oder erweise mich lobwürdig. Je mehr es mit mir eins ist, um so lobwürdiger ist es mir. Und es gleicht jenem um so mehr, je mehr es aller sinnlichen Bilder der Geschöpfe entledigt und mit mir in rechter Andacht vereint ist. Meinem Ohr erklingt das innerliche Betrachten angenehmer als ein Lob aus lauten Worten, ein herzlicher Seufzer hat besseren Klang als ein stolzes Rufen.

Das demütige Verwerfen seiner selbst in rechter Unterordnung unter Gott und alle Menschen, in dem Bewusstsein, ein Nichts zu sein, übertönt bei mir alle (anderen) schönen Klänge. Ich erschien auf Erden vor meinem Vater nie so lobwürdig, als da ich todeswund am Kreuze hing. - Einige loben mich nur mit schönen Worten, ihr Herz aber ist fern von mir (Is 29,13). Auf solches Lob lege ich wenig Wert. So loben mich auch einige, solange es ihnen nach Wunsch geht, wenn es ihnen aber später schlecht ergeht, dann hört das Lob auf. Dieses Lob ist mir nicht genehm. Doch das ist wertes Lob in meinen göttlichen Augen, mich mit Herzen, Worten und Werken innig zu loben so im Leiden wie in Liebe, in aller Widerwärtigkeit ebenso wie in den besten Zeiten, denn dann meinst du mich und nicht dich.

Der Diener: Herr, ich begehre von dir nicht Leiden, ich will selbst auch keinen Grund dazu legen, aber ich überlasse mich selbst ganz und gar dem Begehren meines Herzens auf dein ewiges Lob, denn ich selber konnte mich von mir aus nie recht lassen. Verhängtest du, Herr, über mich, dass ich der verachtetste Mensch würde, den diese Erde aufbringen kann, Herr, ich wollte es aus Liebe dir zum Lobe leiden. Herr, ich ergebe mich heute deiner Gnade, und ziehe man mich des größten Mordes, den je ein Mensch begangen, wer mich ansähe, spiee mir ins Antlitz: Herr, das wollte ich dir zum Lobe gerne leiden, wenn ich nur vor deinen Augen unschuldig dastünde. Wäre ich aber schuldig, auch dann wollte ich es leiden deiner würdigen Gerechtigkeit zum Lobe. Ihre Ehre ist mir tausendmal lieber als meine eigene Ehre. Ich wollte mit dem Schächer am Kreuz sprechen: "Herr, ich leide zu Recht, was aber hast du getan? Herr, gedenke meiner in deinem Reiche!" (Lk 23, 41 f). Und wolltest du mich zur Stunde von hinnen nehmen und es wäre zu deinem Lobe, ich wollte nicht zurückblicken und um Aufschub bitten, aber darum bäte ich: sollte ich so alt sein wie Methusalem, so sollte jedes Jahr des langen Lebens, jede Woche der langen Jahre, jeder Tag in jeder Woche, jede Stunde in jedem Tag, jeder Augenblick in jeder Stunde dir lobsingen in solcher Wonne des Lobes, als je ein Heiliger dich lobte im wahren Widerschein der Heiligen (vgl. Ps 109,3), so unzählig oft, als Staub im Sonnenschein flimmert. Sie sollten mein gutes Verlangen darbringen, als hätte ich selbst alles so in der Zeit vollbracht.

Herr, deshalb nimm mich zu dir über kurz oder lang, denn danach steht meines Herzens Verlangen. Herr, ich spreche noch mehr: sollte ich zur Stund von hinnen scheiden und es wäre zu deinem Lobe, dass ich fünfzig Jahre im Fegfeuer brennen sollte, Herr, ich beugte mich zur Stund, dich lobend, unter deinen Fuß und nähme es gerne an, dir zum Lobe. Gesegnet das Fegfeuer, in dem dein Lob an mir vollendet wird! Herr, du, nicht ich, du bist das reine Ich ("selbselber"), das ich da meine, das ich da liebe, das ich da suche, und nicht ich. Herr, du weißt alle Dinge, du kennst jedes Herz, du weißt, dass ich es fest im Sinne habe.

Und wüsste ich gar, ich sollte im Abgrund der Hölle für immer sein (vgl. Horologium dazu: ... "quod absit = was ferne sei"), wie weh täte meinem armen Herzen der Entzug deiner wonnigen Anschauung, so wollte ich dir (deinem Lobe) keinen Abbruch tun. Ja, könnte ich aller Menschen verlorene Zeit wieder herholen, ihre Untaten büßen und alle Unehre, die dir je widerfuhr, vollendet mit Lob und Ehre ersetzen, das wollte ich mit Freuden tun. Und wäre es dann noch möglich, so müsste aus dem tiefsten Grunde der Hölle ein hohes Lob aufsteigen von mir, das sollte Hölle, Erde, Luft und alle Himmel durchdringen, bis es auf dein göttliches Antlitz träfe. Aber, weil das unmöglich ist, sieh, so möchte ich dich hier um so mehr loben, dass ich mich deiner hier um so tiefer erfreue.

Herr, verfahre mit mir, deinem armen Geschöpf, was deines Lobes ist. Es gehe, wie es wolle, dein Lob will ich singen, solang ein Odem aus meinem Munde tritt. Und falls mir die Stimme versagte (in der Todesstunde), so will ich, dass das Ausstrecken meines Fingers die Bestätigung und das Ende all des Lobes bedeute, das ich dir je gezollt habe. Und dann noch, wenn mein Leib zu Staub wird, so will ich: von jedem Staubkorn soll ein unergründliches Lob aufsteigen durch den harten Stein, durch alle Himmel hin vor dein göttliches Antlitz bis an den Jüngsten Tag, wenn Leib und Seele sich wiederfinden in deinem Lobe.

Antwort der Ewigen Weisheit: In diesem Begehren verbleibe bis in den Tod, das ist ein liebliches Lob.

Der Diener: Du liebenswerter Herr, da du mir armen, sündigen Menschen dein Lob zugestehst, so begehre ich: unterweise mich in dieser Sache: Herr, ist das äußere Lob, das man in Worten und Liedern darbringt, ist es förderlich?

Antwort der Ewigen Weisheit: Es ist wohl förderlich, insbesondere, soweit es den inneren Menschen anreizen kann. Er wird oft sehr davon gereizt, vor allem ein anfangender Mensch.

Der Diener: Guter Herr, so trage ich auch immerzu das Verlangen in mir, stets im Lob zu verharren und es niemals einen Augenblick zu unterbrechen. Man muss ja mit Freuden in der Zeit beginnen, was man in der Ewigkeit einmal fortführen soll.

Herr, ich habe oft gesprochen im selben Verlangen: "O, Himmel, was hast du es eilig? (Gemeint ist hier das Firmament und der Umlauf der Gestirne.) Was läufst du so geschwind? Ich verlange: Steh still an diesem Punkt, bis ich meinem auserkorenen, zarten Herrn nach meines Herzens Begehren das Lob dargebracht habe!" - Herr, wenn ich dann und wann ein wenig versäumte, mich augenblicks in dein Lob einzustimmen, so sprach ich, als ich wieder zu mir selber kam: "O weh, Herr, tausend Jahre habe ich nicht an meinen Geliebten gedacht!" Deshalb, liebenswerter Herr, lehre mich zur Stunde, soviel als möglich ein stetes, unwandelbares Loben zu erwerben, solange der Leib noch bei der Seele weilt.

Antwort der Ewigen Weisheit: Wer in allen Dingen sein Auge auf mich richtet, sich vor Sünden hütet und sich des Guten befleißigt, der lobt mich zu allen Zeiten. Doch wo du dem höchsten Lob zustrebst, so höre Näheres: Die Seele gleicht einer leichten Flaumfeder. Wenn sie keine Bindung hat, so wird sie bei ihrer leichten Beweglichkeit sehr leicht in die Höhe himmelwärts entführt. Wenn sie aber irgendwie beladen ist, so sinkt sie nieder. In gleicher Weise wird ein geläutertes Gemüt, von sündhafter Schwere frei, durch den Adel seiner Natur mit Hilfe geistlicher Betrachtung leicht zu himmlischen Dingen erhoben. Darum, wenn es geschieht, dass ein Gemüt sich aller leiblichen Begier entledigt und in die Stille kommt, so dass all sein Sinnen dem unwandelbaren Gut jederzeit untrennbar anhängt - so einer vollbringt mein Lob zu jeder Zeit. Denn in der Lauterkeit, soweit es überhaupt Worte fassen, wird der Sinn des Menschen ertränkt, er wird umgebildet aus dem Irdischen in eine geistliche und engelähnliche Gleichheit. Was der Mensch von außen empfängt, was er tut, was er schafft (er esse, er trinke, er schlafe, er wache), das ist nichts anderes als das lauterste Lob.

Der Diener: Du mein guter Herr, das ist aber eine recht süße Lehre! Liebenswerte Weisheit, ich möchte noch gerne in vier Dingen von dir unterwiesen werden. Das Erste ist: Worin, Herr, finde ich am meisten Grund, dich zu loben?

Antwort der Ewigen Weisheit: Im ersten Ursprung allen Gutes (Gott selbst) und dann in den ausfließenden Quellen. (* Gemeint sind die Geschöpfe. Alle sind in der Schöpfung aus Gott ausgeflossen in die Verwirklichung.)

Der Diener: Herr, der Ursprung ist mir zu hoch und zu unbekannt. Da sollen dir lobsingen die hohen Zedern auf dem Libanon, als da sind die himmlischen Geister und die engelgleichen Herzen. Und doch will auch ich, eine raue Distel, hervortreten mit Lob. Darum nämlich: sie sollen beim Anblick des Unvermögens, mein Begehren zu vollenden, ermahnt werden an ihre Würde, sie sollen in ihrer lauteren Klarheit angespornt werden, dich innig zu loben, so wie der Kuckuck der Nachtigall den Anreiz gibt zu einem herrlichen Gesang.

Doch dem Ausfluss deiner Güte lobzusingen, ist mir heilsam. Wenn ich recht überdenke, Herr, wer ich war, wovor du mich bewahrt hast und wie oft, welcher Gefahren, welcher Banden, welcher Stricken du mich entledigt hast, ach, wie lange hast du auf mich gewartet, wie freundlich hast du mich empfangen, wie zart bist du mir oft heimlich zuvorgekommen, hast du mich innerlich gemahnt! Wie undankbar ich hierin auch je war, so hast du doch nicht davon abgelassen, bis du mich ganz an dich gezogen hast. Soll ich dich dafür nicht loben? Ja, wahrlich, Herr! Mein guter Herr, ich wünsche: reich dringe das Lob hinauf vor dein Angesicht, gleich dem großen, freudenreichen Lobe, das die Engel darbrachten im ersten Augenblick, da sie ihrer Bewährung in der Prüfung gewahr wurden und die Verwerfung der anderen sahen ... in der Freude, wie die armen Seelen sie haben, wenn sie aus dem Kerker des grimmen Fegfeuers vor dich hintreten und dein freundliches, liebevolles Antlitz zum ersten Mal erblicken ... gleich dem unergründlichen Lob, das in den himmlischen Straßen ausbricht, nach dem Jüngsten Gericht, wenn die Auserwählten von den Bösen in immerwährender Sicherheit geschieden werden. - Herr, eines begehre ich noch zu wissen über dein Lob, nämlich: wie wird all mein natürliches Gut (Fähigkeiten) in dein ewiges Lob einbezogen?

Antwort der Ewigen Weisheit: Da niemand in der Zeit nach kundigem Wissen einen eigentlichen Unterschied zwischen Natur und Gnade benennen kann, darum nimm, sei es von Natur, sei es von Gnade, sei es anmutig, fröhlich oder erfreulich - wenn so etwas in deinem Gemüt oder deinem Leibe fühlbar wird, dann nimm eine schnelle Einkehr zu Gott mit Darbringung (Selbsthingabe), dass es mir zum Lobe gereiche! Denn ich bin der Herr der Natur und der Gnade. So wird dir zur Stund Natur zur Übernatur.

Der Diener: Herr, wie ziehe ich auch der bösen Geister Einflüsterungen in dein ewiges Lob hinein?

Antwort der Ewigen Weisheit: Sprich da bei des bösen Geistes Einflüsterung so: "Herr, sooft mir dieser böse Geist oder ein anderer solche hässlichen Gedanken einflößt wider meinen Willen, sooft sei dir mit überlegtem Willen das allerschönste Lob an seiner Statt von mir zugesandt in die immerwährende Ewigkeit - dorthin, wo dich derselbe böse Geist in immerwährender Ewigkeit gelobt hätte, wenn er (seine Prüfung) bestanden hätte. Ich will für seine Verwerfung die Stellvertretung übernehmen in deinem Lob. Sooft er mir das unsinnige Zeug (Geraun) einflüstert, sooft sei dir das gute (Sinnen, Lob) hinaufgeschickt.

Der Diener: Herr, ich sehe nun, den Guten gereichen alle Dinge zum Guten (Röm 8, 28), das AIlerschlimmste des bösen Geistes kann sich so für sie zum Guten wenden.

Nun sage mir noch eines: ach, liebenswerter Herr, wie nehme ich alles, was ich sehe oder höre, in dein Lob hinein?

Antwort der Ewigen Weisheit: So oft du eine große Zahl siehst, so oft du etwas besonders Schönes oder Reiches erblickst, so oft sprich aus Herzensgrund: "Herr, soviel Mal und so herrlich müssen dich heute die tausend mal tausend Geister der Engel, die dir dienen, statt meiner grüßen, und die zehntausend mal hunderttausend Geister, die vor dir stehen, sollen dich heute statt meiner loben. Alles heilige Begehren aller Heiligen soll für mich (stehen und) begehren, aller Kreaturen Wonne und Schönheit soll dich statt meiner ehren."

Der Diener: Waffen, liebenswerter Gott, wie hast du mein Gemüt erfrischt, es begrüßt mit deinem Lob!

Herr, aber dieses zeitliche Lob hat mein Herz gemahnt, es hat meine Seele in Sehnsucht versetzt nach dem ewigen, immerwährenden Lob. O, meine auserkorene Weisheit, wann soll der lichte Tag anbrechen, wann soll die fröhliche Stunde kommen, die Stunde des vollkommen bereiten Hinscheidens aus diesem Elend hin zu meinem Geliebten? (vgl. Röm 7,24 und Phi! 1, 23). O, dass ich dann dich lieblich schaue und lobe! Herr, wahrhaftig, die Sehnsucht beginnt mich zu quälen, das innige Verlangen nach meines Herzens einziger Wonne steigert sich in mir. O weh, wann werde ich je dahin kommen? Wie zieht es sich hin, wie wird es spät, dass ich meines Herzens Augenweide von Angesicht zu Angesicht erblicke und dich genieße nach aller Lust meines Herzens! (vgl. Ps 119, 5). O, Fremde, wie bist du so fremd dem Menschen, der sich in Wahrheit für fremd hält!

Herr, es gibt kaum einen Menschen auf Erden, der nicht jemand hat, den er sucht, der nicht ein Heim hat, wo seine Füße sich eine Weile ausruhen können. O, mein einziges Ein, das meine Seele sucht und ersehnt, du weißt es: Ich bin der Eine, der sich dir allein erlassen hat. Herr, was ich sehe und höre, und ich finde dich nicht darin, das wird mir zur Marter. Aller Menschen Gegenwart, außer um deinetwillen, ist mir Bitternis. Herr, was soll mich ermutigen oder was soll mich hochhalten?

Antwort der Ewigen Weisheit: Du sollst dich oft ergehen in diesem schönen, wonnigen Baumgarten meines farbenfrohen Lobes. Es gibt in der Zeit kein treffenderes Vorspiel der himmlischen Wohnung als jene, die Gott in wohlgemuter Freude loben. Es gibt nichts, was das Gemüt eines Menschen so erbaut und sein Leiden erleichtert, was die bösen Geister vertreibt, die Schwermut überwindet, als das frohe Loben! Gott ist ihnen nahebei, die Engel sind ihre Freunde, sie sind sich selber förderlich. Es bessert den Nachbar und bringt den Seelen Freude, das ganze Heer des Himmels empfängt Ehre von dem wohlgemuten Lobe.

Der Diener: Liebenswerter Herr, meine zarte; ewige Weisheit, ich wünsche mir: wenn ich am Morgen die Augen aufschlage, dann soll auch mein Herz aufwachen, und es soll aus ihm aufleuchten eine auflohende, feurige Liebesflamme deines Lobes mit der lieblichsten Liebe des höchstliebenden Herzens, das in der Zeit lebt. Es soll dich loben gleich der glühendsten Liebe des höchsten Geistes der Seraphim in Ewigkeit, gleich der unergründlichen Liebe, mit der du, Himmlischer Vater, deinen geliebten Sohn liebst in der ausströmenden Liebe eurer beiden Geister (vgl. Horol. 209: ... " in qua [caritate] tu, o pater coelestis, ferventissime diligis tuum unigenitum in Spiritu Sancto = in der Liebe, mit der du, Himmlischer Vater, deinen Eingeborenen unvergleichlich innig liebst im Heiligen Geiste ... "). Das Lob soll so süß erklingen in deinem Vaterherzen, wie in der Zeit dergleichen noch keine Melodie eines lieben Saitenspieles in einem freien Gemüt je ertönte. Und: von der Liebesflamme soll hinaufdringen solch ein süßer Duft des Lobes, wie er fein geräuchert wäre aus allen edlen Kräutern und Gewürzen und allen Würzläden aller guten Arten (Tugenden) insgesamt in ihrer höchsten Lauterkeit. Und: dein Anblick in Gnade sei so schön und blumenbunt, wie nie ein Mai in seiner Pracht und Wonne so voller Blüten war. Und: es soll deinem göttlichen Auge und dem ganzen Himmelsheer eine Lust sein, ihn anzusehen. Und ich wünsche mir: die Liebesflamme soll zu allen Zeiten inbrünstig empordringen in jedem meiner Gebete, aus dem Munde, im Singen, im Denken, in Wort und Werk, sie soll alle meine Feinde verjagen, alle meine Untaten auslöschen, sie soll mir Gnade erbitten und ein heiliges Ende erflehen. So soll das Ende dieses Lobes in der Zeit der Anfang werden des immerwährenden Lobes der Ewigkeit! - Amen.

Der dritte Teil

Er enthält in kurzen Sätzen die hundert Betrachtungen und Anmutungen, wie man sie alle Tage mit Andacht sprechen soll.

Wer begehrt, kurz, wesentlich und heilsam zu betrachten nach dem lieben Leiden unseres Herrn Jesus Christus, in dem unser ganzes Heil liegt, wer seinem vielfachen Leiden dankbar zu sein wünscht, der soll diese hundert Betrachtungen auswendig lernen. Sie stehen hier ausgewählt, besonders nach den Gedanken, die in kurzen Worten umgriffen sind. Er soll sie andächtig, zugleich mit hundert Venien (Niederwerfen des Körpers) oder wie es ihm am besten liegt, jeden Tag überdenken und zu jeder Venie ein "Vaterunser" sprechen oder ein "Gegrüßet seist du, Königin" oder ein "Gegrüßet seist du, Maria", wenn sie sich auf unsere Herrin beziehen. Denn sie wurden einem von Gott eingegeben zu einer Zeit, da er nach der (Mitternachts-) Mette vor einem Kruzifix stand und Gott innig klagte, dass er nicht nach seinem Leiden betrachten könne, dass es ihm überhaupt so bitter sei zu betrachten. Denn damit hatte er bislang große Schwierigkeiten gehabt, die wurden ebenda behoben. Die Anmutungen legte er danach von sich aus dar in Kurzform, denn jeder Mensch sollte in sich selbst den Grund finden, sie so vorzutragen, wie es ihm eben zumute ist.

1. O Ewige Weisheit, mein Herz erinnert sich daran, wie du nach dem letzten Abendmahl auf dem Berg (Ölberg) in den Ängsten deines zarten Herzens von blutigem Schweiße bedeckt wurdest.

2. Wie du von den Feinden gefangen, streng gebunden und elend abgeführt wurdest.

3. Wie du in der Nacht mit harten Streichen, unter Anspeien und Zubinden deiner schönen Augen lästerlich misshandelt wurdest,

4. in der Frühe vor Kaiphas verurteilt und des Todes für schuldig befunden,

5. von deiner zarten Mutter mit unergründlichem Herzeleid angesehen wurdest.

6. Du wurdest in Schande Pilatus vorgeführt, fälschlich angeklagt, zum Tode verdammt.

7. Du, ewige Weisheit, wurdest vor Herodes im weißen Mantel als ein Tor verspottet.

8. Dein schöner Leib wurde, o schmerzlich, von den wilden Geißelhieben aufgerissen und zerfetzt.

9. Dein zartes Haupt mit spitzen Dornen zerstochen, wovon dein liebes Antlitz mit Blut überströmt wurde.

10. Du wurdest, also gerichtet, in Elend und Unehre mit einem Kreuze hinaus in den Tod geführt.

Ach, meine einzige Zuversicht, sei daran erinnert, damit du mir in allen meinen Nöten väterlich zu Hilfe eilest! Löse mich von meinen schweren Sündenbanden, bewahre mich vor heimlichen Sünden und offenbarem Laster. Nimm mich in Schutz vor falschem Rat des Feindes und vor dem Anlass zum Sündigen. Lass mich dein und deiner zarten Mutter Leid herzlich nachempfinden. Herr, vollziehe bei meinem letzten Hingang ein barmherziges Urteil an mir, lehre mich weltliches Ansehen verachten und dir in Klugheit dienen. Alle meine Nöte sollen in deinen Wunden geheilt, mein Verstand im Schmerz deines Hauptes vor aller Anfechtung gestärkt und ausgezeichnet werden, all dein Leiden soll von mir nach meinem Vermögen vollendet werden.

1. Liebenswerter Herr, wie am hohen Ast des Kreuzes deine klaren Augen erloschen und sich verdrehten,

2. deine göttlichen Ohren mit Spott und Lästerung erfüllt,

3. dein edler Geruch mit Gestank belästigt und

4. dein süßer Mund mit bitterem Trank,

5. dein zartes Gefühl mit harten Schlägen gepeinigt

wurden, also begehre ich: du mögest meine Augen heute behüten vor ausgelassenen Blicken, meine Ohren vor eitlem Zuhören. Herr, verleite mir den Geschmack an leiblichen Genüssen, vergälle mir die Lust an zeitlichen Dingen, lass mich meinen Leib nicht verzärteln - nimm das alles von mir!

1. Guter Herr, wie dein göttliches Haupt vor Schmerz und Qual geneigt war,

2. deine liebliche Kehle gar frech berührt,

3. dein reines Antlitz mit Spucke und Blut überronnen,

4. deine lautere Farbe erblichen,

5. deine ganze schöne Gestalt erstorben,

also gib mir, mein Herr, Ungemach des Leibes zu lieben und alle meine Ruhe in dir zu suchen, fremdes Übel gerne zu leiden, Verachtetsein mir zu wünschen, meinem Begehren abzusterben und alle meine Gelüste abzutöten.

1. Liebenswerter Herr, wie deine rechte Hand mit dem Nagel durchbohrt,

2. deine linke Hand durchschlagen,

3. dein rechter Arm verzogen,

4. dein linker qualvoll zerdehnt,

5. dein rechter Fuß durchstoßen,

6. und dein linker Fuß grausam durchhauen,

7. wie du hingest ohnmächtig

8. und dein göttliches Gebein ganz ermüdet,

9. wie alle deine zarten Glieder unbeweglich angeheftet wurden an den engen Galgen des Kreuzes,

10. dein Leib vom warmen Blut an mancher Stelle überronnen war: ach, liebenswerter Herr, also begehre ich, in Lieb und in Leid unbeweglich an dich geheftet zu sein. Alle meine Kräfte des Leibes und der Seele sollen auf dein Kreuz gespannt, meine Vernunft und mein Begehren an dich gefesselt sein. Mach es mir unmöglich, lieblichen Freuden nachzugehen, gewähre mir aber, mit Eile dein Lob und deine Ehre zu suchen. Ich begehre: jedes Glied an meinem Leibe soll in besonderer Weise deinen Tod mittragen und die Gleichheit mit deinem Leiden liebevoll aufzeigen.

1. Guter Herr, dein glühender Leib erlitt am Kreuz ein Darben und Dorren (Ausdörren),

2. dein müder, zarter Rücken fand an dem rauen Kreuz eine harte Lehne,

3. dein schwerer Leib musste niedersinken,

4. dein ganzer Leib war über und über verwundet und versehrt ...

5. Herr, und das alles trug dein Herz in Liebe.

Herr, dein Darben sei mir ein ewiges Wiederergrünen, dem hartes Anlehnen ein geistliches Ausruhen, dein Niedersinken ein kräftiges Aufrechthalten. Alle deine Qual soll mir meine Not erträglich machen, dein liebereiches Herz soll das meine inbrünstig entflammen.

1. Liebenswerter Herr, in der Todesnot hat man dich verspottet mit hämischen Worten,

2. mit spöttischen Gebärden,

3. du wurdest in ihren Herzen für ein Nichts erachtet,

4. du standest hier fest in dir,

5. und batest deinen lieben Vater in Liebe für sie.

6. Du Lamm ohne Schuld wurdest den Schuldigen gleichgesetzt,

7. vom linken Schächer verworfen,

8. vom rechten angefleht.

9. Du vergabst ihm alle Sünden

10. und tatest ihm auf das himmlische Paradies.

Nun lehre, geliebter Herr, deinen Diener, alle hämischen Worte, spöttischen Gebärden und alle Nichtachtung um deinetwillen in Treue zu erleiden und alle meine Widersacher in Liebe vor dir zu entschuldigen. Du unergründliche Milde, ich bringe heute deinen unscbuldilgen Tod den Augen des himmlischen Vaters dar für mein sündiges Leben. Herr, ich rufe zu dir mit dem Schächer: "Gedenke, gedenke meiner in deinem Reich!" Verwirf mich nicht wegen meiner Missetat, vergib mir alle meine Sünden, schließe mir auf dein himmlisches Paradies!

1. Guter Herr, um meinetwillen wurdest du damals von allen Menschen verlassen,

2. deine Freunde hatten sich von dir zurückgezogen,

3. du standest nackt da, aller Ehre und aller Kleider bar,

4. deine Kraft erschien ohne Sieg,

5. sie behandelten dich unbarmherzig, und du ertrugest alles still und sanften Mutes.

6. Ach, dein mildes Herz - du allein kanntest deiner zarten Mutter Herzeleid von Grund auf,

7. du sahest ihre sehnsüchtige Gebärde,

8. du hörtest die Worte ihrer Klage,

9. du befahlst sie im Hinscheiden deinem Jünger an in mütterlicher Treue

10. und ihr den Jünger in kindlicher Treue ...

Du zartes Vorbild aller Tugend, entferne mir aller Menschen Liebe, die schadet, aller Freunde Treue, die nicht geordnet ist. Töte in mir alle Ungeduld, mache mich standhaft gegen alle bösen Geister und sanftmütig gegen alle ungestümen Menschen. Guter Herr, lege mir deinen bitteren Tod in den Grund meines Herzens, in mein Beten, lass ihn in meinen Werken aufscheinen. Du zarter, liebenswerter Herr, ich empfehle mich heute in die stete Treue und den Schutz deiner zarten, reinen Mutter und deines lieben Jüngers deiner Liebe. - "Salve Regina" oder "Ave Maria".

1. Du reine, zarte Mutter, ich erinnere dich heute an das unergründliche Herzeleid, das du erlittest beim ersten Anblick, als du dein liebes Kind so aufgehängt sahest in der Todesnot.

2. Du vermochtest ihm gar nicht zu Hilfe zu kommen,

3. du hattest den qualvollen Anblick der Mörder deines Sohnes,

4. du beklagtest ihn gar jämmerlich,

5. er tröstete dich gar gütiglich.

6. Seine gütigen Worte verwundeten dein Herz zuinnerst,

7. deine jammervolle Gebärde machte die harten Herzen sanft,

8. deine mütterlichen Hände und Arme hobst du leidend empor,

9. aber dein schwacher Leib sank kraftlos nieder,

10. dein zarter Mund küsste in Liebe sein herabsickemdes Blut ...

Du Mutter aller Gnaden, behüte mich mütterlich in meinem ganzen Leben, bewahre mich gnädig in meinem Tode. O weh, zarte Frau, schau, das ist die Stunde, deretwegen ich wünsche, zeitlebens dein Diener zu sein, das ist die Stunde des Grauens, vor der Herz und Seele erschrickt. Denn Bitten und Flehen ist dann vorbei, ich weiß dann nicht, an wen ich armer Mensch mich wenden soll. Darum, du unergründlicher Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit, falle ich dir heute zu Füßen mit innigem Flehen meines Herzens, dass ich dann deiner fröhlichen Gegenwart gewürdigt werde. Wie kann der verzagen, was kann dem schaden, den du, reine Mutter, behüten willst?

Du einziger Trost, beschirme mich dann vor dem gräulichen Anblick der bösen Geister, stehe mir zur Seite und bewahre mich vor dem Zugriff der Feinde. Mein Jammer und Elend werde von dir getröstet, meine Ohnmacht im Tode von den Augen deines Erbarmens in Güte angesehen, deine milden Hände mögen sich mir dann darbieten, meine arme Seele möge von dir empfangen und mit deinem rosafarbenen Antlitz vor den hohen Richter geführt werden und in der ewigen Seligkeit ihre Stätte finden.

1. O, du geliebtes Wohlgefallen des Himmlischen Vaters, wie warst du in der Stunde am Kreuz zu allen äußeren Schmerzen des bitteren Sterbens auch innerlich gänzlich verlassen von allem Trost und aller Süße!

2. Du riefst in der Not zu deinem Vater,

3. du gabst deinen Willen ganz in den seinen.

4. Herr, dich dürstete vor Dürre leiblich,

5. dich dürstete vor großer Liebe geistlich,

6. du wurdest bitterlich getränkt

7. und da alles vollbracht war, sprachst du: "Consummatum est = es ist vollbracht."

8. Du warst deinem Himmlischen Vater gehorsam bis in den Tod,

9. du befahlst deinen Geist in die Hände des Vaters,

10. und da schied deine edle Seele von deinem göttlichen Leibe.

Du liebreicher Herr, in dieser Liebe (deines Leidens) begehre ich: stehe mir in allem Leid voll Güte bei, lass deine väterlichen Ohren meinem Rufen allezeit offen stehen und gib mir einen Willen, der in allen Dingen mit dir einig geht. Herr, ertöte in mir allen Durst nach leiblichen Dingen, mache mich durstig nach geistigen Dingen. Guter Herr, dein bitterer Trank muss alle meine Widerwärtigkeit in Milde verkehren. Verleihe mir, dass ich in rechter Gesinnung und in guten Werken ständig bis zum Tode verharre und mich deinem Gehorsam nie mehr entziehe.

Ewige Weisheit, mein Geist sei heute in deine Hände übergeben, dass er bei seinem letzten Hingang von dir freudig empfangen werde. - Herr, gib mir ein dir wohlgefälliges Leben, einen wohlbereiteten Tod, ein von dir gesichertes Ende. - Herr, dein bitterer Tod befruchte meine kleinen Werke, dass in jener Stunde Schuld und Buße gänzlich abgetan seien.

1. Ach, Herr, gedenke, wie der scharfe Speer deine göttliche Seite durchstieß,

2. wie das rosenfarbene kostbare Blut daraus hervordrang,

3. wie das Wasser des Lebens herausrann,

4. wie sauer, o Herr, du mich erkauft hast,

5. wie bereitwillig du mich erlöst hast ...

Liebenswerter Herr, deine tiefe Wunde behüte mich vor allen meinen Feinden, dein lebendiges Wasser reinige mich von allen meinen Sünden, dein rosenfarbenes Blut ziere mich mit allen Gnaden und Tugenden. Guter Herr, dein saueres Erwerben (meiner) binde dich an mich, deine freiwillige Erlösung mache mich dir ewig eins.

1. Du, auserkorener Trost aller Sünder, süße Königin, sei heute daran gemahnt, wie du unter dem Kreuze standest und dein Sohn verschieden war und so tot vor dir hing: wie musstest du da so manchmal jammervoll (zu ihm) hinaufsehen!

2. Wie mütterlich hast du seine Arme gehalten,

3. mit wieviel Treue sie an dein blutfarbenes Antlitz gedrückt,

4. wie seine frischen Wunden, sein Todesantlitz ganz geküsst.

5. Wie manche Todeswunde empfing da dein Herz.

6. Wie manchen innigen, unergründlichen Seufzer tat da dein Herz.

7. Wie manche bittere Träne hast du da vergossen.

8. Deine jammerreichen Worte klangen da so kläglich.

9. Deine holde Gestalt war gar so traurig,

10. aber dein geplagtes Herz war von keinem Menschen zu trösten.

Du reine Frau, lass dich heute gemahnen: sei meinem ganzen Leben stete Patronin und getreue Geleiterin. Wende dein Auge, dein mildes Auge allezeit mir zu in Erbarmen, empfange mich in allem meinem Suchen mütterlich, behüte mich vor allen meinen Feinden in Treuen unter deinen zarten Armen. Dein zärtliches Küssen der Wunden sei mir vor ihm eine liebliche Sühne, deine tödlichen Wunden mögen mich zu herzlicher Reue bewegen, dein inniges Seufzen erwecke in mir das stete (gute) Begehren, und deine bitteren Tränen müssen mein hartes Herz erweichen. - Deine jammerreichen Worte mögen mich zum Ablegen aller eitlen Reden bringen, deine trauervolle Gebärde zum Niederwerfen, dein trostloses Herz zum Verachten jeder vergänglichen Liebe.

1. O Glanz und Wonne des ewigen Lichtes, wie bist du nun erloschen in diesem Anblick, als dich meine Seele selber unter dem Kreuze auf dem Schoß deiner traurigen Mutter also tot mit Klage und Dank umfängt. - Erlösche in mir die brennenden Begierden aller Laster.

2. Du lauterer, klarer Spiegel der göttlichen Majestät, wie bist du aus Liebe zu mir beschmutzt worden. - Entferne die große Makel meiner Missetat.

3. Du schönes, lichtes Bild der Güte des Vaters, wie bist du nun so unklar. - Erneuere das entstellte Bild meiner Seele.

4. Du Lamm ohne Schuld, wie bist du so jämmerlich misshandelt. - Büße und sühne für mich mein Leben in Schuld und Sünde.

5. Du König der Könige, Herr aller Herren, gewähre mir: wie dich meine Seele jetzt mit Klage und Jammer umfängt in deiner Bedrückung, so sei sie von dir umfangen mit Freuden in deiner ewigen Klarheit.

1. Liebenswerte, reine Mutter, sei heute gemahnt an das jammervolle Befinden, das du hattest, als sie dir dein totes Kind von deinem Herzen rissen,

2. sei erinnert an das jammervolle Abschiednehmen,

3. die wehen Schritte.

4. an das sehnsuchtkranke Herz, das ihm so sehr nachhing,

5. und an die Treue und Verlässlichkeit, die du ihm allein in aller seiner Not bis zum Grabe geleistet hast.

Erwirke mir von deinem zarten Kind, dass ich in deinem und seinem Leid aII meinen Kummer und mein Erleiden überwinde ... , dass ich mich zu ihm in sein Grab einschließe vor allem Kummer der Zeit ... , dass mir alle diese Welt einbringe (das Empfinden) der Fremde ... , dass ich nach ihm allein trage eine unergründliche Sehnsucht. . . und dass ich in seinem Dienst treu verharre bis in das Grab. Amen.

Als dies alles fertig und zu Papier gebracht war, da stand ihm noch aus, an einem Stück, das sich auf Unsere Liebe Frau bezog, letzte Hand anzulegen. Er hatte dafür Platz gelassen, bis es ihm von Gott zukomme. Denn er hatte gar manchen Monat in Entzug des Trostes gestanden, so dass es ihm nicht zufließen konnte. Also wandte er sich dessentwegen an Unsere Liebe Frau, dass sie es vollbringe. Da geschah es an Sankt Dominik Vorabend zur Nacht, als man die Mette (des Heiligen) gesungen hatte -, da war ihm im Schlaf, als befinde er sich in einer Kammer. Wie er so dasaß, kam ein schöner Jüngling hereingegangen mit einer kostbaren Harfe, und mit ihm vier andere Jünglinge mit Schalmeien. Da setzte sich der Jüngling mit der Harfe zu dem Bruder, er fing an die Harfe zu rühren und schön aufzuspielen. Das war für den Bruder eine Lust, es zu hören, und er sprach zu ihm: "O, kämest du doch in mein Haus, wo ich wohne, damit du mir zuweilen guten Mut erwirktest!" Da fragte der Jüngling den Bruder, ob er noch irgendeine Übung (zu vollenden) hätte, die schon lange anstünde. Er sagte: "Ja". Da antwortete er und sprach: "Das ist ein hartes Spiel." Dann wandte sich der Jüngling an die vier mit den Schalmeien und sagte ihnen, sie sollten etwas blasen. Da, gegen Morgen hin, wurde das Werke zu Ende geführt.

Schluss: Inhalt des Büchleins

Dieses Büchlein, das da heißt: "Büchlein der Ewigen Weisheit", hat den Sinn, die göttliche Liebe, die in jüngster Zeit in manchen Herzen zu erlöschen beginnt, bei manchem wieder zu entzünden. Sein Inhalt ist: Vom Anfang bis ans Ende unseres Herrn Jesus Christus liebereiches Leiden, und: wie ein frommer Mensch diesem Vorbild nachfolgen muss nach seinem Vermögen, und: das würdige Lob und unsägliches Leid der reinen Königin des Himmelreiches. Und dahinein sind in vorborgener Art vermischt zehn Punkte, die ausnehmend edel und nützlich sind:

1. Wie manche Menschen, ohne zu wissen, von Gott angezogen werden.

2. Von herzlicher Reue und milder Vergebung.

3. Wie lieb Gott ist und wie trügerisch die Liebe der Welt. Eine Auslegung dreier Dinge, die dem, der liebt, am meisten widerstreben möchten:

4. Das erste ist: wie er so zornig erscheinen kann und doch so lieb ist.

5. Das andere: warum er sich denen, die ihn lieben, nach Herzenslust entzieht und woran man seine wahre Gegenwart erkennt.

6. Das dritte: warum Gott es seinen Freunden oft recht übel in der Zeit ergehen lässt. Und darin ist enthalten:

7. Vom immerwährenden Weh der Hölle,

8. von der unermesslichen Freude des Himmelreiches,

9. vom unermesslichen Adel zeitlicher Leiden,

10. von der unsäglichen Güte der Betrachtung des göttlichen Leidens.

Der andere Teil dieses Büchleins:

1. Wie man Sterben lernen soll,

2. wie man innerlich leben soll,

3. wie man Gott lieb empfangen soll,

4. wie man Gott allezeit unergründlich loben soll.

Der dritte Teil enthält mit kurzen Worten die hundert Betrachtungen, wie man sie alle Tage mit Andacht sprechen soll.

Wer dieses Büchlein, das mit Fleiß geschrieben und eingerichtet ist, abschreiben will, der soll es alles zusammen ehrlich nach Wort und Sinn hinschreiben, wie es hier steht, und nichts dazutun noch davon wegnehmen, noch die Worte auswechseln. Er soll es dann hiermit ein- oder zweimal ganz getreu vergleichen, er soll nichts getrennt daraus abschreiben, ausgenommen die hundert Betrachtungen am Ende. Die kann daraus abschreiben, wer will. Wer mit ihm anders verfährt, der soll Gottes Rache fürchten, denn er beraubt Gott des würdigen Lobes, die Menschen der Besserung und den, der sich daran abgemüht hat, seiner Arbeit. Darum: wer es hierbei nicht belassen will, der muss seine Strafe erwarten von der Ewigen Weisheit.