Ecclesia in Europa (Wortlaut)

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Nachsynodales Apostolisches Schreiben
Ecclesia in Europa

von Papst
Johannes Paul II.
an die Bischöfe und Priester, an die Personen gottgeweihten Lebens und an alle Gläubigen zum Thema
Jesus Christus, der in seiner Kirche lebt – Quelle der Hoffnung für Europa"
(Die II. Sonderversammlung der Weltbischofssynode für Europa fand vom 1. bis 23. Oktober 1999 statt.)
28. Juni 2003
(Offizieller italienischer Text: AAS [2003/10] 649-719)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite; auch in: VAS 161)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

Botschaft der Freude für Europa

1. Die Kirche in Europa hat ihre zum zweiten Mal zu einer Synode versammelten Bischöfe mit innerer Teilnahme begleitet, als diese über das Thema »Jesus Christus, der in seiner Kirche lebt – Quelle der Hoffnung für Europa« nachdachten.

Jenes Leitwort möchte auch ich allen Christen Europas am Beginn des dritten Jahrtausends zurufen, indem ich zusammen mit meinen Brüdern im Bischofsamt die Worte aus dem Ersten Brief des heiligen Petrus aufgreife: »Fürchtet euch nicht, [...] laßt euch nicht erschrecken, sondern haltet in eurem Herzen Christus, den Herrn heilig! Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt« (3, 14-15).<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 1: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Diese Botschaft erklang immer wieder während des Großen Jubiläums des Jahres 2000, mit dem die unmittelbar zuvor stattfindende Synode gleichsam als dessen offene Tür in engem Zusammenhang stand.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 90-91: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 17-18.</ref> Das Jubiläum war »ein einziger, ununterbrochener Lobgesang auf die Dreifaltigkeit« , ein authentischer »Weg der Versöhnung« und ein »Zeichen echter Hoffnung für alle, die auf Christus und seine Kirche blicken«.<ref> Johannes Paul II., Bulle Incarnationis mysterium (29. November 1998), 3-4: AAS 91 (1999), 132.133.</ref> Als Erbe hat es uns die Freude über die lebendig machende Begegnung mit Christus hinterlassen – »derselbe gestern, heute und in Ewigkeit« (Hebr 13, 8) – und uns damit den Herrn Jesus wieder als einziges, unvergängliches Fundament der wahren Hoffnung vor Augen gestellt.

Eine zweite Synode für Europa

2. Die Vertiefung des Themas Hoffnung stellte von Anfang an den Hauptzweck der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa dar. Als letzte in der Reihe der in Vorbereitung auf das Große Jubiläum des Jahres 2000 abgehaltenen Synoden mit kontinentalem Charakter<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Tertio millennio adveniente (10. November 1994), 38: AAS 87 (1995), 30.</ref> hatte sie zum Ziel, die Situation der Kirche in Europa zu analysieren und Hinweise zur Förderung einer neuen Verkündigung des Evangeliums zu geben, wie ich bei der von mir am 23. Juni 1996 am Ende der Eucharistiefeier im Berliner Olympiastadion bekanntgemachten Einberufung der Synode betonte.<ref> Vgl. Ansprache beim Angelus, 2: Insegnamenti XIX/1 (1996), 1599-1600.</ref>

Die Synodenversammlung konnte nicht umhin, das wiederaufzunehmen, zu überprüfen und weiterzuentwickeln, was bei der vorhergehenden Europasynode behandelt worden war, die 1991, unmittelbar nach dem Fall der Mauern, zum Thema »Seien wir Zeugen Christi, der uns befreit hat« stattgefunden hatte. Auf dieser Ersten Sonderversammlung hatte sich die Dringlichkeit und Notwendigkeit der »Neuevangelisierung« klar abgezeichnet, in dem Bewusstsein, dass »Europa heute nicht schlechthin auf sein vorgegebenes christliches Erbe hinweisen kann: Es muss vielmehr in die Lage versetzt werden, erneut über die Zukunft Europas zu entscheiden, in der Begegnung mit der Person und Botschaft Jesu Christi«.<ref> Erste Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa; Schlusserklärung (13. Dezember 1991), 2: Ench. Vat. 13, Nr. 619.</ref>

Im Abstand von neun Jahren ist die Überzeugung, dass »es die dringende Aufgabe der Kirche ist, den Männern und Frauen Europas die befreiende Botschaft des Evangeliums neu anzubieten«,<ref> Ebd., 3, a.a.O., Nr. 621.</ref> mit ihrer stimulierenden Kraft wieder deutlich zutage getreten. Das für die neuerliche Synodenversammlung gewählte Thema griff aus dem Blickwinkel der Hoffnung dieselbe Herausforderung wieder auf. Es ging also darum, diese Botschaft der Hoffnung einem Europa zu verkünden, das sie verloren zu haben schien.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 3: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 3.</ref>

Die Erfahrung der Synode

3. Die Synodenversammlung vom 1. bis 23. Oktober 1999 hat sich als eine außergewöhnliche Gelegenheit der Begegnung, des Zuhörens und des Austausches erwiesen. Das gegenseitige Kennenlernen von Bischöfen aus verschiedenen Teilen Europas und die Verbundenheit dieser mit dem Nachfolger Petri wurden vertieft, und wir konnten uns alle zusammen gegenseitig aufbauen, vor allem dank der Zeugnisse derer, die unter den vergangenen totalitären Regimen wegen ihres Glaubens harte und langdauernde Verfolgungen ertragen haben.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 1: AAS 92 (2000), 177.</ref> Beseelt vom Wunsch, einen brüderlichen »Austausch von Gaben« zu vollziehen, und gegenseitig bereichert durch die Vielfalt der Erfahrungen jedes einzelnen, haben wir wieder einmal Augenblicke der Gemeinschaft im Glauben und in der Liebe erlebt.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 2: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Daraus ist der Wille erwachsen, den Ruf anzunehmen, den der Heilige Geist an die Kirchen in Europa richtet, um sie angesichts der neuen Herausforderungen in die Pflicht zu nehmen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 4: AAS 92 (2000), 179.</ref> Die Teilnehmer an dem synodalen Treffen haben sich – wenngleich mit liebevollem Blick – nicht gescheut, die aktuelle Situation des Kontinents zu betrachten und deren Licht- und Schattenseiten aufzudecken. Einhellig ergab sich das Bewusstsein, dass die Situation von schwerwiegenden Ungewissheiten auf kultureller, anthropologischer, ethischer und geistlich-religiöser Ebene gekennzeichnet ist. Ebenso klar war ein wachsender Wille festzustellen, sich mit dieser Situation auseinanderzusetzen und sie zu interpretieren, um zu sehen, welche Aufgaben die Kirche erwarten: Daraus sind »brauchbare Orientierungen« hervorgegangen, »um durch eine markantere, durch ein konsequentes Lebenszeugnis gestärkte Verkündigung das Antlitz Christi immer mehr sichtbar zu machen«.<ref> Ebd.</ref>

4. Die mit einem am Evangelium orientierten Unterscheidungsvermögen gelebte synodale Erfahrung ließ das Bewusstsein der Einheit reifen, die die verschiedenen Teile Europas verbindet, ohne die aus den historischen Begebenheiten herrührenden Unterschiede zu leugnen. Es ist eine Einheit, die aufgrund ihrer Verwurzelung in der gemeinsamen christlichen Inspiration die unterschiedlichen kulturellen Traditionen zusammenzuführen vermag und die auf gesellschaftlich-sozialer wie auf kirchlicher Ebene einen fortgesetzten Weg gegenseitigen Kennenlernens verlangt, das sich einem größeren Austausch der Werte der einzelnen öffnet.

Im Laufe der Synode wurde nach und nach ein starkes Streben nach Hoffnung offenkundig. Auch wenn die Synodenväter die Analysen der für den Kontinent charakteristischen Komplexität durchaus ernst nahmen, haben sie erfasst, dass die vielleicht größte Dringlichkeit, die im Osten wie im Westen den Kontinent durchzieht, in einem wachsenden Bedürfnis nach Hoffnung besteht, um dem Leben und der Geschichte einen Sinn geben und gemeinsam weitergehen zu können. Alle Überlegungen der Synode waren darauf ausgerichtet, auf dieses Bedürfnis vom Geheimnis Christi und vom trinitarischen Geheimnis her eine Antwort zu geben. Die Synode wollte die Gestalt des in seiner Kirche lebenden Jesus neu vor Augen führen: Er offenbart den Gott der Liebe, der die Gemeinschaft der drei göttlichen Personen ist.

Das Bild der Geheimen Offenbarung

5. Ich freue mich, durch das vorliegende nachsynodale Schreiben die Früchte dieser Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa mit der Kirche in Europa teilen zu können. Auf diese Weise möchte ich dem Wunsch nachkommen, der zum Abschluss der synodalen Versammlung zum Ausdruck kam, als die Bischöfe mir die Texte ihrer Überlegungen mit der Bitte überreichten, der pilgernden Kirche in Europa ein Dokument über eben dieses Thema der Synode zu schenken.<ref> Vgl. Propositio 1.</ref>

»Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt« (Offb 2, 7). Bei der Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung an Europa werde ich mich von der Apokalypse oder Geheimen Offenbarung leiten lassen, der »prophetischen Offenbarung« , die der gläubigen Gemeinde den verborgenen, tiefen Sinn dessen, was geschehen muss (vgl. Offb 1, 1), erschließt. Die Geheime Offenbarung konfrontiert uns mit einem Wort, das an die christlichen Gemeinden gerichtet ist, damit sie ihre Einbindung in die Geschichte, mit ihren Fragen und ihren Leiden, im Lichte des endgültigen Sieges des geopferten und auferstandenen Lammes zu deuten und zu leben verstehen. Zugleich stehen wir einem Wort gegenüber, das uns verpflichtet, in unserem Leben der immer wiederkehrenden Versuchung zu entsagen, die Stadt der Menschen ohne Gott oder gegen ihn aufzubauen. Wenn nämlich das einträte, würde gerade das menschliche Zusammenleben früher oder später eine nicht wiedergutzumachende Niederlage erleiden.

Die Geheime Offenbarung enthält eine Ermutigung an die Gläubigen: Jenseits allen äußeren Anscheins und auch wenn die Wirkungen noch nicht zu sehen sind, ist der Sieg Christi bereits eingetreten und endgültig. Daraus ergibt sich die Grundeinstellung, den menschlichen Wechselfällen mit einer Haltung tiefer Zuversicht zu begegnen, die aus dem Glauben an den in der Geschichte gegenwärtigen und wirkenden Auferstandenen entspringt.

I. KAPITEL: JESUS CHRISTUS IST UNSERE HOFFNUNG

»Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige« (Offb 1, 17-18)

Der Auferstandene ist immer bei uns

6. In einer Zeit der Verfolgung, der Bedrängnis und der Erschütterung für die Kirche, wie sie der Verfasser der Geheimen Offenbarung erlebte (vgl. 1, 9), ist das Wort, das er in der Vision vernimmt, ein Wort der Hoffnung: »Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt« (Offb 1, 17-18). Wir werden also mit dem Evangelium, mit der »frohen Botschaft« konfrontiert, die Jesus Christus selbst ist. Er ist der Erste und der Letzte: In ihm findet die ganze Geschichte Anfang, Sinn, Richtung und Vollendung; in ihm und mit ihm, in seinem Tod und seiner Auferstehung, ist bereits alles gesagt worden. Er ist der Lebendige: Er war tot, doch nun lebt er in alle Ewigkeit. Er ist das Lamm, das aufrecht vor dem Thron Gottes steht (vgl. Offb 5, 6): Es ist geschlachtet, weil es sein Blut für uns am Holz des Kreuzes vergossen hat; es steht aufrecht, weil es für immer in das Leben zurückgekehrt ist und uns so die grenzenlose Allmacht der Liebe des Vaters hat erkennen lassen. Er hält in seiner Rechten die sieben Sterne (vgl. Offb 1, 16), das heißt, die verfolgte Kirche Gottes im Kampf gegen das Böse und gegen die Sünde, die aber ebenso das Recht hat, froh und siegreich zu sein, weil sie in der Hand dessen ist, der das Böse schon besiegt hat. Er geht mitten unter den sieben goldenen Leuchtern einher (vgl. Offb 2, 1): Er ist in seiner betenden Kirche gegenwärtig und am Wirken. Er ist auch »der, der kommt » (Offb 1, 4) durch die Sendung und das Wirken der Kirche die ganze Menschheitsgeschichte hindurch; er kommt als eschatologischer Schnitter am Ende der Zeiten, um alles zur Vollendung zu führen (vgl. Offb 14, 15-16; 22, 20).

I. Herausforderungen und Zeichen der Hoffnung für die Kirche in Europa

Die Trübung der Hoffnung

7. Dieses Wort richtet sich heute auch an die Kirchen in Europa, die oft durch eine Trübung der Hoffnung auf die Probe gestellt sind. Die Zeit, in der wir leben, vermittelt mit den ihr eigenen Herausforderungen in der Tat den Anschein des Verlorenseins. Viele Männer und Frauen scheinen desorientiert, unsicher und ohne Hoffnung zu sein, und nicht wenige Christen teilen diesen Gemütszustand. Zahlreiche besorgniserregende Zeichen zeigen sich zu Beginn des dritten Jahrtausends bedrohlich am Horizont des europäischen Kontinents, der »zwar sehr reich ist an außerordentlichen Glaubenszeugnissen und sich im Rahmen eines zweifellos freieren und einmütigeren Zusammenlebens befindet, trotzdem aber die ganze Zerrüttung spürt, die die ältere und jüngere Geschichte im tiefsten Inneren seiner Völker verursacht hat, was oft zu Enttäuschungen führt«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 2: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 2-3.</ref>

Unter den vielen, auch anläßlich der Synode ausführlich erwähnten Aspekten<ref> Vgl. ebd., Nr. 12-13.16-19; a.a.O., S. 4-6; Idem, Relatio ante disceptationem, I: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 6-7; Idem, Relatio post disceptationem, II, A: L'Osservatore Romano, 11./12. Oktober 1999, S. 10.</ref> möchte ich den Verlust des christlichen Gedächtnisses und Erbes anführen, der begleitet ist von einer Art praktischem Agnostizismus und religiöser Gleichgültigkeit, weshalb viele Europäer den Eindruck erwecken, als lebten sie ohne geistigen Hintergrund und wie Erben, welche die ihnen von der Geschichte übergebene Erbschaft verschleudert haben. Daher ist es nicht allzu verwunderlich, wenn versucht wird, Europa ein Gesicht zu geben, indem man unter Ausschluss seines religiösen Erbes und besonders seiner tief christlichen Seele das Fundament legt für die Rechte der Völker, die Europa bilden, ohne sie auf den Stamm aufzupfropfen, der vom Lebenssaft des Christentums durchströmt wird.

Auf dem europäischen Kontinent fehlt es gewiss nicht an namhaften Symbolen für die Präsenz des Christentums, doch mit der langsam voranschreitenden Überhandnahme des Säkularismus laufen sie Gefahr, zu einem bloßen Relikt der Vergangenheit zu werden. Vielen gelingt es nicht mehr, die Botschaft des Evangeliums in die Alltagserfahrung einzubeziehen. In einem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld, wo dem christlichen Lebensentwurf ständig Trotz und Bedrohung begegnen, wird es immer schwieriger, seinen Glauben an Jesus zu leben. In vielen öffentlichen Bereichen ist es einfacher, sich als Agnostiker denn als Gläubigen zu bezeichnen; man hat den Eindruck, dass sich Nichtglauben von selbst versteht, während Glauben einer gesellschaftlichen Legitimation bedarf, die weder selbstverständlich ist, noch vorausgesetzt wird.

8. Mit diesem Verlust des christlichen Gedächtnisses geht eine Art Zukunftsangst einher. Das gemeinhin verbreitete Bild von der Zukunft stellt sich oft als blaß und ungewiss heraus. Man hat eher Angst vor der Zukunft, als dass man sie herbeiwünschte. Besorgniserregende Anzeichen dafür sind unter anderem die innere Leere, die viele Menschen peinigt, und der Verlust des Lebenssinnes. Zu den Zeichen und Auswirkungen dieser Existenzangst sind insbesondere der dramatische Geburtenrückgang und die Abnahme der Priester- und Ordensberufe zu zählen sowie die Schwierigkeit, wenn nicht sogar die Weigerung, endgültige Lebensentscheidungen auch bezüglich der Ehe zu treffen.

Wir erleben eine verbreitete Zersplitterung des Daseins; es überwiegt ein Gefühl der Vereinsamung; Spaltungen und Gegensätze nehmen zu. Unter anderen Symptomen dieses Zustandes erfährt das heutige Europa das ernste Phänomen einer Krise der Familie und des Schwindens einer Konzeption von Familie überhaupt, die Fortdauer oder das Wiederaufflammen ethnischer Konflikte, das Wiederaufleben gewisser rassistischer Verhaltensweisen, die interreligiösen Spannungen, die Egozentrik, die Einzelne und Gruppen in sich verschließt, die Zunahme einer allgemeinen sittlichen Gleichgültigkeit und einer krampfhaften Sorge um die eigenen Interessen und Privilegien. In den Augen vieler läuft die zunehmende Globalisierung Gefahr, statt zu einer größeren Einheit der Menschheit zu führen, einer Logik zu folgen, die die Schwächsten ausgrenzt und die Zahl der Armen auf der Erde vermehrt.

Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Individualismus ist eine zunehmende Schwächung der Solidarität zwischen den Menschen festzustellen: Während die Hilfseinrichtungen lobenswerte Arbeit leisten, beobachtet man ein Abnehmen des Solidaritätsgefühls, so dass sich viele Menschen, auch wenn es ihnen nicht am materiell Notwendigen fehlt, immer einsamer und sich selbst überlassen fühlen, ohne das Netz einer gefühlsmäßigen Unterstützung.

9. Der Verlust der Hoffnung hat seinen Grund in dem Versuch, eine Anthropologie ohne Gott und ohne Christus durchzusetzen. Diese Denkart hat dazu geführt, den Menschen »als absoluten Mittelpunkt allen Seins zu betrachten, indem man ihn fälschlicherweise den Platz Gottes einnehmen ließ und dabei vergaß, dass nicht der Mensch Gott erschafft, sondern Gott den Menschen erschafft.

Das Vergessen Gottes hat zum Niedergang des Menschen geführt. [...] Es wundert daher nicht, dass in diesem Kontext ein großer Freiraum für die Entwicklung des Nihilismus im philosophischen Bereich, des Relativismus im erkenntnistheoretischen und moralischen Bereich, des Pragmatismus und sogar des zynischen Hedonismus in der Gestaltung des Alltagslebens entstanden ist«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, I, 1.2: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 6.</ref> Die europäische Kultur erweckt den Eindruck einer »schweigenden Apostasie » seitens des satten Menschen, der lebt, als ob es Gott nicht gäbe.

Vor diesem Horizont nehmen die auch in letzter Zeit wieder auftauchenden Versuche Gestalt an, die europäische Kultur losgekoppelt vom Beitrag des Christentums zu präsentieren, das ihre historische Entwicklung und ihre universale Verbreitung geprägt hat. Wir sehen uns dem Erscheinen einer neuen, großenteils von den Massenmedien beeinflußten Kultur gegenüber, deren Merkmale und Inhalte oft im Gegensatz zum Evangelium und zur Würde der menschlichen Person stehen. Zu dieser Kultur gehört auch ein immer weiter verbreiteter religiöser Agnostizismus, verbunden mit einem tieferen moralischen und rechtlichen Relativismus, der seine Wurzeln im Verlust der Wahrheit vom Menschen als Fundament der unveräußerlichen Rechte eines jeden hat. Die Zeichen eines Schwindens der Hoffnung äußern sich mitunter durch erschreckende Formen dessen, was man als eine »Kultur des Todes« bezeichnen kann.<ref> Vgl. Propositio 5a.</ref>

Die ununterdrückbare Sehnsucht nach Hoffnung

10. Aber – so haben die Synodenväter unterstrichen – »der Mensch kann nicht ohne Hoffnung leben: sein Leben wäre der Bedeutungslosigkeit verschrieben und würde unerträglich«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 1: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref> Im Bedürfnis nach Hoffnung meinen viele, in kurzlebigen und brüchigen Realitäten Frieden finden zu können. Und so wird die auf einen der Transzendenz verschlossenen innerweltlichen Raum eingeengte Hoffnung zum Beispiel mit dem von Wissenschaft und Technik versprochenen Paradies identifiziert oder mit verschiedenen Formen des Messianismus, mit dem vom Konsumismus vermittelten Glück hedonistischer Natur oder mit jenem imaginären, von Drogen künstlich ausgelösten Glücksgefühl, mit manchen Formen des Chiliasmus, mit der Faszination orientalischer Philosophien, mit der Suche nach Formen esoterischer Spiritualität und mit den verschiedenen Strömungen von New Age.<ref> Vgl. Propositio 5a; Pontificial Council for Culture and Pontificial Council for Interreligious Dialogue, Jesus Christ – the bearer of the water of life. A Christian reflection on the New Age. Vatican City 2003.</ref>

Das alles erweist sich freilich als zutiefst illusorisch und ungeeignet, jenen Durst nach Glückseligkeit zu stillen, den das Herz des Menschen in seinem Inneren weiterhin verspürt. Und so bleiben und verschärfen sich die besorgniserregenden Zeichen des Schwindens der Hoffnung, die sich manchmal auch in Formen von Aggressivität und Gewalt äußern.<ref> Vgl. Propositio 5a.</ref>

Zeichen der Hoffnung

11. Kein Mensch kann ohne Zukunftsperspektiven leben. Schon gar nicht die Kirche, die von der Erwartung des Reiches lebt, das kommt und das bereits in dieser Welt gegenwärtig ist. Es wäre ungerecht, die Zeichen für den Einfluß des Evangeliums Christi auf das Leben der Gesellschaft nicht wahrzunehmen. Die Synodenväter haben sie aufgespürt und hervorgehoben.

Unter diesen Zeichen müssen genannt werden: die Wiedererlangung der Freiheit der Kirche im Osten Europas mit den neuen Möglichkeiten für das pastorale Wirken, die sich ihr erschlossen haben; der Umstand, dass sich die Kirche auf ihre geistliche Sendung konzentriert und sich bemüht, den Vorrang der Evangelisierung auch in den Beziehungen zur realen sozialen und politischen Welt zu leben; die gewachsene Bewußtwerdung der besonderen Sendung aller Getauften in der Vielfältigkeit und Komplementarität der Gaben und Aufgaben; die erhöhte Präsenz der Frau in den Strukturen und Aufgabenbereichen der christlichen Gemeinschaft.

Eine Völkergemeinschaft

12. Blicken wir auf Europa als bürgerliches Gemeinwesen, so fehlt es nicht an Zeichen, die Anlaß geben zur Hoffnung: In ihnen können wir, wenngleich in den Widersprüchlichkeiten der Geschichte, mit dem Blick des Glaubens die Gegenwart des Geistes Gottes erfassen, der das Gesicht der Erde erneuert. Die Synodenväter haben zum Abschluss ihrer Arbeiten diese Zeichen so beschrieben: »Mit Freude stellen wir die zunehmende Öffnung der Völker aufeinander hin fest, die Versöhnung zwischen Nationen, die lange Zeit verfeindet waren, die fortschreitende Ausdehnung des Einigungsprozesses auf die Länder Osteuropas. Es wachsen Anerkennung, Zusammenarbeit und Austausch aller Art, so dass nach und nach eine europäische Kultur, ja ein europäisches Bewusstsein entsteht, das hoffentlich, besonders bei den Jugendlichen, das Gefühl der Brüderlichkeit und den Willen zum Teilen wachsen lässt. Als positiv vermerken wir, dass dieser ganze Prozess sich nach demokratischen Spielregeln auf friedliche Weise und in einem Geist der Freiheit vollzieht, der die berechtigte Vielfalt achtet und zur Geltung bringt und so den Prozess der Einigung Europas vorantreibt und unterstützt. Wir begrüßen mit Genugtuung alles, was getan wurde, um die Bedingungen und Modalitäten zur Achtung der Menschenrechte präzise darzulegen. Im Zusammenhang mit der legitimen wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas erkennen wir schließlich einerseits die Zeichen der Hoffnung, die aus der Bedeutung erwachsen, die dem Recht und der Lebensqualität zuerkannt wird; auf der anderen Seite aber wünschen wir uns lebhaft, dass in einer schöpferischen Treue zur humanistischen und christlichen Tradition unseres Kontinents der Vorrang der ethischen und geistlichen Werte garantiert werde«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 6: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Märtyrer und Glaubenszeugen

13. Aber ich möchte die Aufmerksamkeit besonders auf einige Zeichen lenken, die im eigentlich kirchlichen Leben sichtbar geworden sind. Vor allem will ich mit den Synodenvätern jenes großartige Hoffnungszeichen, das von so vielen Zeugen des christlichen Glaubens im letzten Jahrhundert in Ost und West gesetzt worden ist, allen wieder vor Augen stellen, auf dass es niemals in Vergessenheit gerate. Sie haben es in Situationen der Feindseligkeit und Verfolgung vermocht, sich das Evangelium zu eigen zu machen, oft bis zum Blutvergießen als äußerster Bewährung.

Diese Zeugen, besonders jene unter ihnen, die das Martyrium auf sich genommen haben, sind ein beredtes, großartiges Zeugnis, das verlangt, von uns betrachtet und nachgeahmt zu werden. Sie beweisen uns die Lebenskraft der Kirche; sie erscheinen wie ein Licht für die Kirche und für die Menschheit, weil sie in der Finsternis das Licht Christi zum Leuchten gebracht haben; als Angehörige verschiedener christlicher Konfessionen sind sie auch ein leuchtendes Hoffnungszeichen für den ökumenischen Weg, da wir gewiss sein dürfen, dass ihr Blut »auch Lebenssaft der Einheit für die Kirche ist«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache beim Angelus (25. August 1996), 2: Insegnamenti XX/2 (1997), 237; vgl. Propositio 9. </ref>

Noch radikaler sagen sie uns, dass das Martyrium die höchste Inkarnation des Evangeliums der Hoffnung ist: »Die Märtyrer verkünden nämlich dieses Evangelium und legen dafür Zeugnis ab durch die Hingabe ihres Lebens bis zum Blutvergießen, denn sie sind sicher, dass sie ohne Christus nicht leben können, und bereit, für ihn zu sterben in der Überzeugung, dass Jesus der Herr und der Erlöser des Menschen ist und dass folglich der Mensch nur in ihm die wahre Fülle des Lebens findet. Auf diese Weise sind sie bereit, der Mahnung des Apostels Petrus entsprechend, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3, 15). Darüber hinaus ,,zelebrieren die Märtyrer das ,,Evangelium der Hoffnung, denn die Hingabe ihres Lebens ist die radikalste und erhabenste Manifestation jenes lebendigen und heiligen Opfers, das Gott gefällt und das der wahre Gottesdienst ist (vgl. Röm 12, 1) – Ursprung, Seele und Höhepunkt jeder christlichen Gottesdienstfeier. Und schließlich dienen sie dem ,,Evangelium der Hoffnung, weil sie durch ihr Martyrium in höchstem Grad die Liebe und den Dienst am Menschen ausdrücken, insofern sie zeigen, dass der Gehorsam gegenüber dem Gesetz des Evangeliums ein moralisches Leben und ein soziales Zusammenleben bewirkt, das die Würde und die Freiheit jeder Person hochschätzt und fördert«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 88: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 17.</ref>

Die Heiligkeit vieler

14. Frucht der vom Evangelium bewirkten Umkehr ist die Heiligkeit vieler Männer und Frauen unserer Zeit. Das gilt nicht nur für diejenigen, die von der Kirche offiziell zu Heiligen erklärt worden sind, sondern auch für jene, die mit Bescheidenheit im Alltag ihres Daseins von ihrer Treue zu Christus Zeugnis gegeben haben. Wie sollte man nicht an die unzähligen Söhne und Töchter der Kirche denken, die im Laufe der Geschichte des europäischen Kontinents in der Verborgenheit des Familien- und Berufslebens eine hochherzige und glaubwürdige Heiligkeit gelebt haben? »Sie alle haben, als ,,lebendige Steine mit Christus, dem ,,Eckstein, verbunden, Europa als geistiges und moralisches Bauwerk errichtet und den Nachkommen das kostbarste Erbe hinterlassen. Jesus, der Herr, hatte es versprochen: ,,Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater (Joh 14, 12). Die Heiligen sind der lebendige Beweis dafür, dass dieses Versprechen in Erfüllung geht, und sie machen Mut zu glauben, dass das auch in den schwierigsten Stunden der Geschichte möglich ist«.<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 4: AAS 92 (2000), 179.</ref>

Die Pfarrei und die kirchlichen Bewegungen

15. Das Evangelium bringt weiter seine Früchte in den Pfarrgemeinden, unter den Personen des geweihten Lebens, in den Laienverbänden, in den Gebets- und Apostolatsgruppen, in verschiedenen Jugendgemeinschaften sowie auch durch das Auftreten und die Verbreitung neuer Bewegungen und kirchlicher Körperschaften. In jedem von ihnen vermag nämlich der Heilige Geist eine neue Hingabe an das Evangelium, großzügige Dienstbereitschaft und ein christliches Leben hervorzurufen, das von evangelischer Radikalität und von missionarischem Schwung gekennzeichnet ist.

In Europa, und zwar in den postkommunistischen Ländern ebenso wie im Westen, kommt der Pfarrei, obschon sie ständiger Erneuerung bedarf,<ref> Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 26: AAS 81 (1989), 439.</ref> weiterhin eine eigene unverzichtbare Aufgabe zu, die sie immer noch wahrnimmt und die im pastoralen und kirchlichen Bereich von grosser Aktualität ist. Sie ist nach wie vor in der Lage, den Gläubigen den Raum für eine wirklich christliche Lebensführung zu bieten, und – sowohl in der für die modernen Großstädte spezifischen Atmosphäre der Zersplitterung und Anonymität als auch in den dünnbesiedelten ländlichen Gebieten – ein Ort echter Humanisierung und Sozialisation zu sein.<ref> Vgl. Propositio 21.</ref>

16. Während ich meine große Wertschätzung für die Präsenz und das Wirken der verschiedenen apostolischen Vereinigungen und Organisationen und im besonderen der Katholischen Aktion zum Ausdruck bringe, möchte ich gemeinsam mit den Synodenvätern gleichzeitig den besonderen Beitrag hervorheben, den – zusammen mit den anderen kirchlichen Vereinigungen und niemals abgesondert von ihnen – die neuen kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften leisten können. Letztere helfen nämlich »den Christen, radikaler nach dem Evangelium zu leben; sie sind eine Wiege verschiedener Berufungen und bringen neue Formen gottgeweihten Lebens hervor. Sie fördern vor allem die Berufung der Laien und führen dazu, dass sie in den verschiedenen Lebensbereichen zum Ausdruck kommt. Sie begünstigen die Heiligkeit des Volkes; sie können Botschaft und Aufforderung für diejenigen sein, die sonst der Kirche nicht begegnen. Häufig unterstützen sie den ökumenischen Weg und eröffnen Möglichkeiten für den interreligiösen Dialog; sie sind ein Gegenmittel gegen die Ausbreitung der Sekten; sie sind sehr behilflich dabei, in der Kirche Lebendigkeit und Freude zu verbreiten«.<ref> Ebd.</ref>

Der ökumenische Weg

17. Wir danken dem Herrn für das große und tröstliche Zeichen der Hoffnung, das in den Fortschritten zutage tritt, die auf dem ökumenischen Weg im Hinblick auf die Wahrheit, die Liebe und die Versöhnung erreicht werden konnten. Es handelt sich um eine der großen Gaben des Heiligen Geistes für einen Kontinent wie den europäischen, von dem die schweren Spaltungen zwischen den Christen im zweiten Jahrtausend ausgegangen sind und der noch immer sehr unter deren Folgen leidet.

Tief bewegt erinnere ich mich an einige Momente großer Eindringlichkeit während der Arbeiten der Synode und an die auch von den als Delegierte anwesenden Brüdern aus anderen Konfessionen zum Ausdruck gebrachte, einmütige Überzeugung, dass dieser Weg – trotz der noch andauernden und der neu entstehenden Probleme – nicht unterbrochen werden dürfe, sondern mit erneuertem Eifer, mit äußerster Entschlossenheit und mit der demütigen Bereitschaft aller zur gegenseitigen Vergebung weitergehen müsse. Gerne mache ich mir die Worte der Synodenväter zu eigen, da »der Fortschritt im ökumenischen Dialog, der sein tiefstes Fundament im Wort Gottes selbst hat, ein Zeichen großer Hoffnung für die heutige Kirche darstellt: Die wachsende Einheit zwischen den Christen stellt in der Tat eine gegenseitige Bereicherung für alle dar«.<ref> Propositio 9.</ref> Es gilt, »mit Freude auf die Fortschritte zu blicken, die im Dialog sowohl mit den Brüdern der orthodoxen Kirchen als auch mit den Mitgliedern der aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften bis jetzt erreicht worden sind, und in ihnen ein Zeichen für das Wirken des Geistes zu erkennen, für das wir den Herrn loben und ihm danken wollen«.<ref> Ebd.</ref>

II. Zurückkehren zu Christus, der Quelle aller Hoffnung

Unseren Glauben bekennen

18. Aus der Synodenversammlung hat sich die eindeutige und begeisterte Gewissheit ergeben, dass die Kirche Europa das kostbarste Gut anzubieten hat, das ihm niemand anderer zu geben vermag: den Glauben an Jesus Christus, Quelle der Hoffnung, die nicht enttäuscht,<ref> Vgl. Propositio 4, 1.</ref> eine Gabe, die der geistigen und kulturellen Einheit der europäischen Völker zugrundeliegt und die noch heute und in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Entwicklung und Integration darstellen kann. Ja, nach zweitausend Jahren stellt sich die Kirche am Beginn des dritten Jahrtausends mit der immer gleichen Botschaft vor, die ihren einzigen Schatz bildet: Jesus Christus ist der Herr; in ihm und in keinem anderen ist das Heil (vgl. Apg 4, 12). Die Quelle der Hoffnung für Europa und für die ganze Welt ist Christus, »und die Kirche ist der Kanal, durch den die Gnadenflut aus dem durchbohrten Herzen des Erlösers strömt und sich ausbreitet«.<ref> Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 2: AAS 92 (2000), 178.</ref>

Aufgrund dieses Glaubensbekenntnisses entspringt in unserem Herzen und sprudelt von unseren Lippen »ein freudiges Bekenntnis unserer Hoffnung: Du, Herr, auferstanden und lebendig, bist die immer neue Hoffnung der Kirche und der Menschheit; du bist die einzige wahre Hoffnung des Menschen und der Geschichte; du bist unter uns ,,die Hoffnung auf Herrlichkeit (Kol 1, 27) schon in diesem unserem Leben und über den Tod hinaus. In dir und mit dir können wir die Wahrheit finden, erhält unser Dasein einen Sinn, wird Gemeinschaft möglich, kann die Vielfalt zum Reichtum werden, ist die Macht des Reiches Gottes in der Geschichte am Werk und hilft beim Aufbau der Stadt des Menschen, verleiht die Liebe den Anstrengungen der Menschen bleibenden Wert, kann der Schmerz heilsam werden, wird das Leben den Tod besiegen und die Schöpfung teilhaben an der Herrlichkeit der Kinder Gottes«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 2: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Jesus Christus unsere Hoffnung

19. Jesus Christus ist unsere Hoffnung, weil er, das ewige Wort Gottes, das von Ewigkeit her am Herzen des Vaters ruht (vgl. Joh 1, 18), uns so geliebt hat, dass er in allem, mit Ausnahme der Sünde, unsere menschliche Natur angenommen hat und unseres Lebens teilhaftig wurde, um uns zu retten. Das Bekenntnis dieser Wahrheit bildet den Kern unseres Glaubens. Der Verlust der Wahrheit über Jesus Christus oder ihr Unverständnis verhindern das Eindringen in das eigentliche Geheimnis der Liebe Gottes und der trinitarischen Gemeinschaft.<ref> Vgl. Propositio 4, 2.</ref>

Jesus Christus ist unsere Hoffnung, weil er das Geheimnis der Dreifaltigkeit offenbart. Dieses ist die Mitte des christlichen Glaubens, der noch immer, so wie er es bisher getan hat, einen bedeutenden Beitrag zum Aufbau von Strukturen leisten kann, die dadurch, dass sie sich an den großen Werten des Evangeliums inspirieren bzw. sich mit ihnen auseinandersetzen, das Leben, die Geschichte und die Kultur der verschiedenen Völker des Kontinents fördern sollen. Vielfältige ideelle Wurzeln haben mit ihrer Vitalität zur Anerkennung des Wertes der Person und ihrer unveräußerlichen Würde, des unantastbaren Charakters des menschlichen Lebens und der zentralen Rolle der Familie, der Bedeutung der Bildung und der Meinungsfreiheit, der Redefreiheit und der Religionsfreiheit ebenso beigetragen wie zum Rechtsschutz der Einzelnen und der Gruppen, zur Förderung der Solidarität und des Gemeinwohls und zur Anerkennung der Würde der Arbeit. Diese Wurzeln haben die Unterordnung der politischen Macht unter das Gesetz und unter die Achtung der Rechte der Person und der Völker begünstigt. Hier gilt es, an den Geist des antiken Griechenland und der römischen Welt, an die Beiträge der keltischen, germanischen, slawischen, finnisch-ugrischen Völker, der jüdischen Kultur und der islamischen Welt zu erinnern. Man muss allerdings erkennen, dass diese Inspirationen historisch in der jüdisch- christlichen Tradition eine Kraft gefunden haben, die fähig war, sie untereinander in Einklang zu bringen, sie zu konsolidieren und zu fördern. Es handelt sich um eine Tatsache, die nicht ignoriert werden kann; im Gegenteil, in dem Prozess zur Errichtung des »gemeinsamen Hauses Europa« muss anerkannt werden, dass sich dieses Gebäude auch auf Werte stützen muss, die in der christlichen Tradition voll in Erscheinung treten. Das zur Kenntnis zu nehmen, gereicht allen zum Vorteil.

Der Kirche »steht es nicht zu, sich zugunsten der einen oder anderen institutionellen oder verfassungsmäßigen Lösung für Europa zu äußern« , und sie ist daher gewillt, die berechtigte Autonomie der demokratischen Ordnung zu achten.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 47: AAS 83 (1991), 852.</ref> Dennoch hat sie die Aufgabe, in den Christen Europas den Glauben an die Dreifaltigkeit zu stärken, da sie sehr wohl weiß, dass dieser Glaube von einer echten Hoffnung für den Kontinent kündet. Viele der oben angedeuteten großen Paradigmen, die der europäischen Kultur zugrunde liegen, haben ihre tiefsten Wurzeln im trinitarischen Glauben. Dieser enthält ein außerordentliches spirituelles, kulturelles und ethisches Potential, das unter anderem in der Lage ist, einige der großen Fragen zu erhellen, die heute in Europa anstehen, wie die soziale Auflösung und der Verlust eines Bezugs, der dem Leben und der Geschichte Sinn gäbe. Daraus folgt die Notwendigkeit einer erneuten theologischen, spirituellen und pastoralen Vertiefung des Geheimnisses der Dreifaltigkeit.<ref> Vgl. Propositio 4, 1.</ref>

20. Die Teilkirchen in Europa sind nicht einfache Körperschaften oder Privatorganisationen. Tatsächlich wirken sie in einem spezifischen institutionellen Rahmen, der bei voller Achtung der legitimen Zivilordnung rechtliche Anerkennung finden sollte. Beim Nachdenken über sich selbst müssen die christlichen Gemeinschaften sich wiederentdecken als Gabe, mit der Gott die auf dem Kontinent lebenden Völker bereichert. Das ist die freudige Botschaft, die sie jedem Menschen zu bringen gerufen sind. Bei der Vertiefung ihrer missionarischen Dimension müssen sie ständig bezeugen, dass Jesus Christus »der einzige und eingesetzte Mittler des Heils für die gesamte Menschheit ist. Nur in ihm finden die Menschheit, die Geschichte und der Kosmos ihre endgültig positive Sinngebung und volle Verwirklichung. Er birgt in seinem Ereignis und in seiner Person die Gründe der Heilsendgültigkeit; er ist nicht nur ein Mittler des Heils, sondern die Heilsquelle selbst«.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 30: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 8.</ref>

Im Zusammenhang mit dem derzeitigen ethischen und religiösen Pluralismus, der Europa immer mehr kennzeichnet, ist es daher notwendig, die Wahrheit über Christus als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen und einzigen Erlöser der Welt zu bekennen und neu vorzustellen. Daher lade ich – wie ich es schon zum Abschluss der Synodenversammlung getan habe – zusammen mit der ganzen Kirche meine Brüder und Schwestern im Glauben ein, sich ständig vertrauensvoll Christus zu öffnen und sich von ihm erneuern zu lassen. In der Kraft des Friedens und der Liebe verkünde ich allen Menschen guten Willens: Wer dem Herrn begegnet, erkennt die Wahrheit, entdeckt das Leben, findet den Weg, der zum Leben führt (vgl. Joh 14, 6; Ps 16[15], 11). An der Lebensführung und am Zeugnis des Wortes der Christen sollen die Bewohner Europas entdecken können, dass Christus die Zukunft des Menschen ist. Denn nach dem Glauben der Kirche »ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen« (Apg 4, 12).<ref> Vgl. Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 3: AAS 92 (2000), 178; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus (6. August 2000), 13: AAS 92 (2000), 754.</ref>

21. Für die Gläubigen ist Jesus Christus die Hoffnung jedes Menschen, weil er das ewige Leben schenkt. Er ist »das Wort des Lebens« (1 Joh 1, 1), das in die Welt gekommen ist, damit die Menschen »das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10, 10). Er zeigt uns so, dass der wahre Sinn des menschlichen Lebens nicht im weltlichen Horizont eingeschlossen bleibt, sondern sich auf die Ewigkeit hin öffnet. Die Mission jeder Teilkirche in Europa ist es, dem Durst eines jeden Menschen nach Wahrheit und dem Verlangen nach echten Werten, welche die auf dem Kontinent lebenden Völker beseelen sollen, Rechnung zu tragen. Mit frischen Kräften muss sie das Neue, das sie belebt, wieder zu Bewusstsein bringen. Es geht darum, eine klar gegliederte Kultur- und Missionstätigkeit in Gang zu setzen, indem man mit überzeugenden Aktionen und Argumentationen zeigt, dass das neue Europa notwendigerweise zu seinen letzten Wurzeln zurückfinden muss. In diesem Zusammenhang haben alle, die sich an den Werten des Evangeliums inspirieren, eine wesentliche Funktion zu erfüllen, die zu dem festen Fundament gehört, auf dem ein menschlicheres und friedlicheres, weil alle und jeden einzelnen respektierendes Zusammenleben aufzubauen ist. Es ist notwendig, dass es die Teilkirchen in Europa verstehen, der Hoffnung ihre ursprüngliche eschatologische Komponente zurückzugeben.<ref> Vgl. Propositio 5.</ref> Die wahre christliche Hoffnung ist nämlich göttlich und endzeitlich; sie ist gegründet auf den Auferstandenen, der wiederkommen wird als Erlöser und Richter und der uns zur Auferstehung und zum ewigen Lohn ruft.

Jesus Christus lebt in der Kirche

22. Wenn die europäischen Völker zu Christus zurückkehren, werden sie jene Hoffnung wiederfinden können, die allein dem Leben Sinnfülle zu geben vermag. Auch heute können sie ihm begegnen, denn Jesus ist in seiner Kirche gegenwärtig, er lebt und wirkt in ihr: Er ist in der Kirche und die Kirche ist in ihm (vgl. Joh 15, 1ff.; Gal 3, 28; Eph 4, 15-16; Apg 9, 5). In ihr vollbringt er kraft der Gabe des Heiligen Geistes weiter unaufhörlich sein Heilswerk.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et vivificantem (18. Mai 1986), 7: AAS 78 (1986), 816; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus (6. August 2000), 16: AAS 92 (2000), 756-757.</ref> Mit den Augen des Glaubens können wir die geheimnisvolle Gegenwart Jesu in den verschiedenen Zeichen, die er uns hinterlassen hat, wahrnehmen. Er ist vor allem gegenwärtig in der Heiligen Schrift, die in allen Teilen von ihm spricht (vgl. Lk 24, 27.44-47). In wirklich einzigartiger Weise ist er jedoch unter den eucharistischen Gestalten gegenwärtig. Diese »Präsenz wird nicht ausschlussweise ,,real genannt, als ob die anderen nicht ,,real wären, sondern im eigentlichen Wortsinn, weil sie substantiell ist; in ihr wird nämlich der ganze Christus – Gott und Mensch – gegenwärtig«.<ref> Paul VI., Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), 762-763. Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 9: AAS 59 (1967), 547; Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1374.</ref> Tatsächlich ist in der Eucharistie »der Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus, mit seiner Seele und seiner Gottheit – und damit der ganze vollständige Christus – wahrhaft, wirklich und substanzhaft enthalten«.<ref> Konzil von Trent, Decr. De ss. Eucharistia, can. 1: DH, 1651; vgl. Kap. 3: DH, 1641.</ref> »Wahrhaftig ist die Eucharistie mysterium fidei, ein Geheimnis, das unser Denken übersteigt, und das nur im Glauben erfasst werden kann«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 15 : L'Osservatore Romano, 18. April 2003, S. 2.</ref> Ebenso wirklich ist die Gegenwart Jesu bei den anderen liturgischen Handlungen der Kirche, die sie in seinem Namen feiert. Dazu zählen die Sakramente – Handlungen Christi, die er unter Zuhilfenahme der Menschen vollbringt.<ref> Vgl. Augustinus, In Ioannis Evangelium, Tractatus VI, cap. I, n. 7: PL 35, 1428; Johannes Chrysostomos, Der Verrat des Judas, 1, 6: PG 49, 380C.</ref>

Jesus ist in der Welt auch auf andere Weise wahrhaft gegenwärtig, besonders in seinen Jüngern, die getreu dem zweifachen Auftrag der Liebe Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten (vgl. Joh 4, 24) und mit dem Leben die brüderliche Liebe bezeugen, die sie als Jünger des Herrn auszeichnet (vgl. Mt 25, 31-46; Joh 13, 35; 15, 1-17).<ref> Vgl.II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 7; Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 50; Paul VI. Enzyklika Mysterium fidei (3. September 1965): AAS 57 (1965), 762-763. Vgl. Kongregation für die Riten, Instruktion Eucharisticum mysterium (25. Mai 1967), 9: AAS 59 (1967), 547; Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1373-1374.</ref>

II. KAPITEL: DAS EVANGELIUM DER HOFFNUNG DER KIRCHE DES NEUEN JAHRTAUSENDS ANVERTRAUT

»Werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag« (Offb 3, 2)

I. Der Herr ruft zur Umkehr

Jesus wendet sich heute an unsere Kirchen

23. »So spricht Er, der die sieben Sterne in seiner Rechten hält und mitten unter den sieben goldenen Leuchtern einhergeht [...], der Erste und der Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde [...], der Sohn Gottes« (Offb 2, 1.8.18). Es ist Jesus selbst, der zu seiner Kirche spricht. Seine Botschaft ist an alle einzelnen Teilkirchen gerichtet und betrifft ihr inneres Leben, das manchmal gekennzeichnet ist durch das Vorhandensein von Auffassungen und Gesinnungen, die mit der Überlieferung des Evangeliums unvereinbar sind, oft von verschiedenen Formen der Verfolgung heimgesucht wird und – was noch gefährlicher ist – durch besorgniserregende Symptome der Verweltlichung, des Verlustes des ursprünglichen Glaubens und des Kompromisses mit dem Denken der Welt gefährdet ist. Nicht selten haben die Gemeinden nicht mehr die frühere Liebe (vgl. Offb 2, 4).

Es ist zu beobachten, wie sich unsere kirchlichen Gemeinschaften mit Schwächen, Mühseligkeiten und Widersprüchen herumschlagen. Auch sie haben es nötig, die Stimme des Bräutigams wiederzuhören, der sie zur Umkehr einlädt, sie anspornt, Neues zu wagen, und sie aufruft, sich für das große Werk der »Neuevangelisierung« einzusetzen. Die Kirche muss sich ständig dem Urteil des Wortes Christi unterordnen und ihre menschliche Dimension in einem Zustand der Läuterung leben, um immer mehr und immer besser die Braut ohne Flecken und Falten zu sein, gekleidet in strahlend reines Leinen (vgl. Eph 5, 27; Offb 19, 7-8). Auf diese Weise ruft Jesus Christus unsere Kirchen in Europa zur Umkehr, und mit ihrem Herrn und durch seine Gegenwart werden sie zu Boten der Hoffnung für die Menschheit.

Die Wirkung des Evangeliums im Lauf der Geschichte

24. Europa ist weitläufig und tiefgreifend vom Christentum durchdrungen worden. »In der Gesamtgeschichte Europas stellt das Christentum zweifellos ein zentrales und charakteristisches Element dar, gefestigt auf dem starken Fundament des klassischen Erbes und der vielfältigen Beiträge, die von den im Laufe der Jahrhunderte aufeinanderfolgenden unterschiedlichen ethnisch-kulturellen Strömungen eingebracht wurden. Der christliche Glaube hat die Kultur des Kontinents geformt und sich mit seiner Geschichte so unlösbar verflochten, dass diese gar nicht verständlich wäre, würde man nicht auf die Ereignisse verweisen, die zunächst die große Zeit der Evangelisierung und dann die langen Jahrhunderte geprägt haben, in denen sich das Christentum – wenn auch in der schmerzlichen Spaltung zwischen Ost und West – als die Religion der Europäer durchgesetzt hat. Auch in Neuzeit und Gegenwart, wo die religiöse Einheit sowohl infolge weiterer Spaltungen unter den Christen als auch wegen der Loslösungsprozesse der Kultur vom Horizont des Glaubens mehr und mehr zerbröckelt ist, kommt der Rolle des Glaubens immer noch eine wichtige Bedeutung zu«.<ref> Johannes Paul II., Motu proprio Spes aedificandi (1. Oktober 1999), 1: AAS 92 (2000), 220.</ref>

25. Das Interesse, das die Kirche für Europa hegt, erwächst aus ihrer eigenen Natur und Sendung. Jahrhunderte lang hatte die Kirche nämlich sehr enge Bindungen zu unserem Kontinent, so dass das geistige Antlitz Europas dank der Mühen großer Missionare, durch das Zeugnis der Heiligen und der Märtyrer und durch das beharrliche Wirken von Mönchen, Ordensleuten und Seelsorgern geformt worden ist. Aus der biblischen Auffassung vom Menschen hat Europa das Beste seiner humanistischen Kultur entnommen, Inspirationen für seine geistigen und künstlerischen Schöpfungen gewonnen, Rechtsnormen erarbeitet und nicht zuletzt die Würde der Person als Quelle unveräußerlicher Rechte gefördert.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache vor dem Polnischen Parlament in Warschau (11. Juni 1999), 6: Insegnamenti, XXII/1 (1999), 1276.</ref> Auf diese Weise hat die Kirche als Hüterin des Evangeliums zur Verbreitung und Konsolidierung jener Werte beigetragen, die die europäische Kultur zu einer Weltkultur gemacht haben.

All dessen eingedenk, verspürt die Kirche heute mit neuer Verantwortung die Dringlichkeit, dieses kostbare Erbe nicht zu vergeuden und Europa durch die Wiederbelebung der christlichen Wurzeln, in denen es seinen Ursprung hat, bei seinem Aufbau zu helfen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Abschiedszeremonie auf dem Flugplatz von Krakau (10. Juni 1997), 4: Insegnamenti XX/1 (1997), 1496-1497.</ref>

Ein wahres Gesicht der Kirche verwirklichen

26. Möge die gesamte Kirche in Europa spüren, dass das Gebot und die Einladung des Herrn: Gehe in dich, bekehre dich, »werde wach und stärke, was noch übrig ist, was schon im Sterben lag!« (Offb 3, 2), an sie gerichtet ist. Diese Erfordernis ergibt sich auch aus der Betrachtung der heutigen Zeit: »Die ernste Situation der religiösen Gleichgültigkeit so vieler Europäer; die Anwesenheit so vieler Menschen auch auf unserem Kontinent, die Jesus Christus und seine Kirche noch nicht kennen und die noch nicht getauft sind; die Säkularisierung, die breite Schichten von Christen ansteckt, die so denken, entscheiden und leben, ,,als ob Christus nicht existierte: Das alles löscht unsere Hoffnung nicht aus, sondern macht sie demütiger und befähigt sie besser, allein auf Gott zu vertrauen. Von seinem Erbarmen empfangen wir die Gnade und die Bereitschaft zur Umkehr«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 4: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

27. Obwohl es, wie in der im Evangelium erzählten Episode vom Sturm auf dem See (vgl. Mk 4, 35-41; Lk 8, 22-25), manchmal den Anschein haben mag, dass Christus schlafe und sein Boot der Gewalt der Wellen preisgebe, ist die Kirche in Europa aufgerufen, die innere Gewissheit zu pflegen, dass der Herr durch die Gabe seines Geistes immer in ihr und in der Geschichte der Menschheit gegenwärtig und wirksam ist. Er setzt seine Sendung in die Zeit hinein fort, indem er die Kirche zu einem Strom neuen Lebens macht, der im Leben der Menschheit als Hoffnungszeichen für alle fließt.

In einem Kontext, in dem es auch auf pastoraler Ebene leicht zur Versuchung des Aktivismus kommen kann, sind die Christen in Europa aufgefordert, weiterhin durch ein Leben in inniger Gemeinschaft mit dem Auferstandenen eine wahre Transparenz seiner Gegenwart zu sein. Es muss Gemeinschaften geben, die in der Betrachtung und Nachahmung der Jungfrau Maria als Gestalt und Vorbild der Kirche im Glauben und in der Heiligkeit<ref> Vgl. Propositio 15, 1; Katechismus der Katholischen Kirche; Nr. 773; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988), 27: AAS 80 (1988), 1718.</ref> den Sinngehalt des liturgischen Lebens und der Spiritualität bewahren. Sie sollen vor allem den Herrn loben, zu ihm beten, ihn anbeten und sein Wort hören. Nur so können sie sein Geheimnis in sich aufnehmen, indem sie als Glieder seiner treuen Braut völlig auf ihn bezogen leben.

28. Angesichts der immer wiederkehrenden Anlässe zu Spaltung und Gegensätzen müssen die verschiedenen Teilkirchen in Europa, gestärkt auch durch ihre Bindung an den Nachfolger Petri, sich bemühen, wirklich Ort und Werkzeug der Gemeinschaft des ganzen Gottesvolkes im Glauben und in der Liebe zu sein.<ref> Vgl. Propositio 15, 1.</ref> Sie sollen daher ein Klima brüderlicher Hingabe pflegen, die mit der Radikalität des Evangeliums im Namen Jesu und in seiner Liebe gelebt wird, und so ein Zusammenspiel freundschaftlicher Beziehungen entwickeln in Kommunikation, Mitverantwortung, Anteilnahme, missionarischem Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Dienst. Gegenseitige Achtung und Annahme und die Bereitschaft zur Korrektur soll allem Verhalten zugrunde liegen (vgl. Röm 12, 10; 15, 7-14). Außerdem sollen sie einander dienen und unterstützen (vgl. Gal 5, 13; 6, 2), einander vergeben (vgl. Kol 3, 13) und sich gegenseitig aufrichten (vgl. 1 Thess 5, 11). Die Teilkirchen sollen sich um die Verwirklichung einer Pastoral bemühen, die unter fruchtbringender Berücksichtigung aller berechtigten Verschiedenheiten auch eine herzliche Zusammenarbeit zwischen allen Gläubigen und ihren Zusammenschlüssen fördert; die Mitwirkungs- Gremien sollen sie als wertvolle gemeinschaftsbildende Instrumente für eine einvernehmliche missionarische Tätigkeit wieder einführen und für entsprechend vorbereitete und qualifizierte pastorale Mitarbeiter sorgen. In dieser Weise werden die Kirchen – beseelt von der Gemeinschaft, die Ausdruck der Liebe Gottes sowie Fundament und Grund der Hoffnung ist, die nicht enttäuscht (vgl. Röm 5, 5) – selbst der strahlendste Widerschein der Dreifaltigkeit sein und ein Zeichen, das zum Glauben drängt und einlädt (vgl. Joh 17, 21).

29. Damit die Gemeinschaft in der Kirche vollkommener gelebt werden kann, gilt es, die Vielfalt der Charismen und Berufungen zur Geltung zu bringen, die immer mehr auf die Einheit zustreben und sie bereichern können (vgl. 1 Kor 12). Aus dieser Sicht ist es auch notwendig, dass die neuen Bewegungen und neuen kirchlichen Gemeinschaften, »indem sie jede Versuchung, Erstgeburtsrechte geltend zu machen, und jedes gegenseitige Unverständnis überwinden« , auf dem Weg einer glaubwürdigeren Gemeinschaft untereinander und mit den anderen kirchlichen Bereichen fortschreiten und »mit Liebe in vollem Gehorsam gegenüber den Bischöfen leben« . Andererseits ist es ebenso notwendig, dass die Bischöfe, »indem sie ihnen die den Hirten eigene Väterlichkeit und Liebe zeigen«,<ref> Vgl. Propositio 21.</ref> ihre Charismen und ihre Präsenz zum Aufbau der einen Kirche zu erkennen, auszuwerten und zu koordinieren wissen.

Dank einer wachsenden Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen kirchlichen Vereinigungen unter der liebevollen Leitung der Bischöfe wird in der Tat die ganze Kirche allen ein schöneres und glaubwürdigeres Gesicht bieten, ein klarerer Widerschein des Antlitzes des Herrn sein und so dazu beitragen können, wieder Hoffnung und Trost sowohl denen zu geben, die sie suchen, als auch denen, die sie zwar nicht suchen, sie aber doch nötig haben.

Um dem Aufruf des Evangeliums zur Umkehr nachkommen zu können, »ist es notwendig, dass wir alle zusammen demütig und mutig unser Gewissen erforschen, um unsere Ängste und Irrtümer zu erkennen und aufrichtig unsere Schwerfälligkeit, unsere Unterlassungen, unsere Untreue und Schuld zu bekennen«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 4: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref> Weit davon entfernt, entmutigende Verzichtshaltungen zu begünstigen, wird die Anerkennung der eigenen Schuld im Sinne des Evangeliums mit Sicherheit in der Gemeinde dieselbe Erfahrung hervorrufen, die auch der einzelne Getaufte macht: die Freude einer tiefgreifenden Befreiung und die Gnade eines Neuanfangs, die es ermöglicht, mit noch größerer Kraft den Weg der Evangelisierung fortzusetzen.

Voranschreiten in Richtung auf die Einheit der Christen

30. Das Evangelium der Hoffnung ist nicht zuletzt Kraft und Aufruf zur Umkehr auch im ökumenischen Bereich. Die Einheit der Christen entspricht dem Gebot des Herrn, »dass alle eins seien« (vgl. Joh 17, 11), und erweist sich heute als notwendig für eine größere Glaubwürdigkeit bei der Evangelisierung und als Beitrag zur Einheit Europas: Aus dieser Gewissheit heraus ist es notwendig, allen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften »zu helfen und sie einzuladen, den ökumenischen Weg zu verstehen als ein ,,gemeinsames Zugehen auf Christus«<ref> Propositio 9.</ref> und auf die von ihm gewollte sichtbare Einheit, so dass die Einheit in der Verschiedenheit als Gabe des Heiligen Geistes, des Stifters von Gemeinschaft, in der Kirche erstrahlt.

Um das zu verwirklichen, braucht es von seiten aller einen geduldigen, stetigen Einsatz, der von echter Hoffnung und zugleich von einem nüchternen Realismus beseelt ist und der auf »die Hervorhebung dessen, was uns bereits eint, die aufrichtige gegenseitige Wertschätzung, die Beseitigung der Vorurteile, das wechselseitige Kennenlernen und die gegenseitige Liebe«<ref> Ebd.</ref> ausgerichtet ist. Auf dieser Linie muss das Bemühen um die Einheit, wenn es sich denn auf solide Grundlagen stützen will, unbedingt die leidenschaftliche Suche nach der Wahrheit einschließen, und zwar durch einen Dialog und eine Gegenüberstellung, die, während sie die bisher erreichten Ergebnisse anerkennen, diese auszuwerten wissen als Ansporn für einen weiteren Weg in der Überwindung der Unstimmigkeiten, welche die Christenheit noch spalten.

31. Der Dialog muss mit Entschlossenheit weitergeführt werden, ohne vor Schwierigkeiten und Mühen zu kapitulieren: Er soll »unter verschiedenen (sowohl doktrinellen als auch spirituellen und praktischen) Gesichtspunkten« geführt werden, »indem man der Logik vom Austausch der Gaben, die der Geist in jeder Kirche hervorbringt, folgt und die Gemeinden und die einzelnen Gläubigen, vor allem die Jugend, dazu erzieht, Gelegenheiten der Begegnung wahrzunehmen und den richtig verstandenen Ökumenismus zu einer normalen Dimension des kirchlichen Lebens und Wirkens zu machen«.<ref> Ebd.</ref>

Dieser Dialog stellt eine der Hauptsorgen der Kirche dar, vor allem in diesem Europa, das im vergangenen Jahrtausend zu viele Spaltungen unter den Christen hat entstehen sehen und das sich heute auf dem Weg zu seiner größeren Einheit befindet. Wir können auf diesem Weg nicht stehenbleiben und wir können auch nicht mehr zurück! Wir müssen ihn fortsetzen und vertrauensvoll durchhalten, denn es ist unmöglich, dass die gegenseitige Wertschätzung, die Suche nach der Wahrheit, die Zusammenarbeit in der Liebe und vor allem der Ökumenismus der Heiligkeit mit Gottes Hilfe nicht auch ihre Früchte bringen.

32. Trotz der unvermeidlichen Schwierigkeiten lade ich alle ein, in Liebe und Brüderlichkeit den Beitrag anzuerkennen und zur Geltung zu bringen, den die katholischen Ostkirchen durch ihr Dasein selbst, durch den Reichtum ihrer Überlieferung, durch das Zeugnis ihrer »Einheit in der Verschiedenheit« , durch die von ihnen bei der Verkündigung des Evangeliums umgesetzte Inkulturation und durch die Vielfalt ihrer Riten für einen realeren Aufbau der Einheit leisten können.<ref> Vgl. Propositio 22.</ref> Gleichzeitig möchte ich die Bischöfe und die Brüder und Schwestern der orthodoxen Kirchen erneut dessen versichern, dass – unter Beibehaltung der Pflicht zur Achtung der Wahrheit, der Freiheit und der Würde jedes Menschen – die Neuevangelisierung in keiner Weise mit Proselytismus zu verwechseln ist.

II. Die ganze Kirche wird in die Mission entsandt

33. Dem Evangelium der Hoffnung durch eine evangelisierende Liebe zu dienen, ist verpflichtende Aufgabe und Verantwortung aller. Denn welches Charisma und Amt ein jeder auch haben mag, die Liebe ist der Hauptweg, der allen angezeigt ist und den alle gehen können: Die ganze kirchliche Gemeinschaft ist aufgerufen, diesen Weg auf den Spuren ihres Meisters zurückzulegen.

Die Aufgabe der Geistlichen

34. Die Priester sind kraft ihres Amtes berufen, das Evangelium der Hoffnung zu feiern, zu lehren und ihm auf eine besondere Weise zu dienen. Aufgrund des Weihesakramentes, das sie Christus, dem Haupt und Hirten, gleichgestaltet, müssen die Bischöfe und die Priester ihr ganzes Leben und Tun Jesus angleichen. Durch die Verkündigung des Wortes, die Feier der Sakramente und die Leitung der christlichen Gemeinde vergegenwärtigen sie das Mysterium Christi und haben die Aufgabe, durch die Ausübung ihres Amtes »die Gegenwart Christi, des einen Hohenpriesters, dadurch fortzusetzen, dass sie seinen Lebensstil nachleben und inmitten der ihnen anvertrauten Herde gleichsam an sich selbst transparent werden lassen«.<ref> Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Pastores dabo vobis (25. März 1992), 15: AAS 84 (1992), 679-680.</ref>

Da sie ,,in der Welt, aber nicht ,,von der Welt sind (vgl. Joh 15-16), sind sie in der aktuellen kulturellen und geistigen Situation des europäischen Kontinents aufgerufen, Zeichen des Widerspruchs und der Hoffnung für eine Gesellschaft zu sein, die an einer einseitig horizontalen Sichtweise krankt und es nötig hat, sich dem Transzendenten zu öffnen.

35. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der priesterliche Zölibat Bedeutung, als Zeichen einer vollkommen auf den Herrn gesetzten Hoffnung. Er ist nicht eine von der Autorität auferlegte reine kirchliche Disziplin; im Gegenteil, er ist vor allem Gnade, unschätzbare Gabe Gottes an die Kirche, von prophetischem Wert für die heutige Welt, Quelle intensiven geistlichen Lebens und pastoraler Fruchtbarkeit, Zeugnis für das eschatologische Reich, Zeichen der Liebe Gottes für diese Welt sowie der ungeteilten Liebe des Priesters zu Gott und zu seinem Volk.<ref> Vgl. ebd., 29, a.a.O., 703-705; Propositio 18.</ref> Wenn der Zölibat als Antwort auf die Gabe Gottes und als Überwinden der Versuchungen einer hedonistischen Gesellschaft gelebt wird, fördert er nicht nur die menschliche Verwirklichung desjenigen, der dazu berufen ist, sondern erweist sich als ein Faktor der Reifung auch für die anderen.

Der Zölibat, der in der ganzen Kirche als die dem Priestertum angemessene Lebensform geschätzt ist,<ref> Vgl. Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 373.</ref> von der lateinischen Kirche verpflichtend vorgeschrieben wird<ref> Vgl. Kodex des kanonischen Rechtes, can. 277, 1.</ref> und bei den Ostkirchen hochangesehen ist,<ref> Vgl. Paul VI., Enzyklika Sacerdotalis coelibatus (24. Juni 1967), 40: AAS 59 (1967), 673.</ref> erscheint im Kontext der jetzigen Kultur wie ein aussagekräftiges Zeichen, das als kostbares Gut für die Kirche bewahrt werden muss. Eine diesbezügliche Revision der derzeitigen Disziplin würde keine Lösung der in vielen Teilen Europas herrschenden Krise der Priesterberufungen herbeiführen.<ref> Vgl. Propositio 18.</ref> Eine Verpflichtung zum Dienst am Evangelium der Hoffnung verlangt auch, dass in der Kirche der Zölibat in seinem vollen biblischen, theologischen und spirituellen Reichtum vorgestellt werden muss.

36. Wir können nicht übersehen, dass heute die Ausübung des geistlichen Amtes auf nicht wenige Schwierigkeiten stößt, die sowohl durch die herrschende Kultur als auch durch die zahlenmässige Verringerung der Priester mit einer gesteigerten pastoralen Belastung und einer damit verbundenen Ermüdung bedingt sind. Daher verdienen die Priester, die mit bewundernswerter Hingabe und Treue den Dienst leben, der ihnen anvertraut worden ist, Hochschätzung, Dankbarkeit und Nähe.<ref> Vgl. ebd.</ref>

Ihnen möchte auch ich, indem ich die von den Synodenvätern geschriebenen Worte aufnehme, mit Vertrauen und Dankbarkeit meine Ermutigung aussprechen: »Verliert nicht den Mut und laßt euch nicht von Müdigkeit überwältigen; setzt eure kostbare und unverzichtbare Arbeit fort in voller Gemeinschaft mit uns Bischöfen, in freudiger brüderlicher Verbundenheit mit den anderen Priestern, in herzlicher Mitverantwortlichkeit mit denen, die ein gottgeweihtes Leben führen, und mit allen Laien!«.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, Nr. 4: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5.</ref>

Zusammen mit den Priestern möchte ich auch die Diakone erwähnen, die, wenn auch in anderem Grad, an demselben Weihesakrament teilhaben. Entsandt zum Dienst an der Kirchengemeinde, erfüllen sie unter der Leitung des Bischofs und gemeinsam mit seinem Presbyterium die ,,Diakonia der Liturgie, des Wortes und der Nächstenliebe.<ref> Vgl.II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 29.</ref> Auf diese ihnen eigene Weise stehen sie im Dienst am Evangelium der Hoffnung.

Das Zeugnis der Personen gottgeweihten Lebens

37. Von besonderer Aussagekraft ist das Zeugnis der Personen gottgeweihten Lebens. In diesem Zusammenhang muss vor allem die fundamentale Rolle anerkannt werden, die das Mönchtum und das gottgeweihte Leben bei der Evangelisierung Europas und beim Aufbau seiner christlichen Identität gespielt hat.<ref> Vgl. Propositio 19.</ref> Diese Rolle darf heute nicht vernachlässigt werden, in einer Zeit, in der eine »Neuevangelisierung« des Kontinents dringend notwendig ist und der Aufbau komplexerer Strukturen und Bindungen ihn an einen heiklen Wendepunkt stellen. Europa braucht immer die Heiligkeit, die Prophetie, die Evangelisierungstätigkeit und den Dienst der Ordensleute. Hervorgehoben werden muss auch der spezifische Beitrag, den die Säkularinstitute und die Gesellschaften apostolischen Lebens anbieten durch ihr Bestreben, die Welt durch die Kraft der Seligpreisungen von innen heraus umzugestalten.

38. Der spezifische Beitrag, den die Personen gottgeweihten Lebens für das Evangelium der Hoffnung leisten können, geht von einigen Aspekten aus, die das derzeitige kulturelle und gesellschaftliche Gesicht Europas kennzeichnen.<ref> Vgl. ebd.</ref> So soll die Frage nach neuen Formen der Spiritualität, die heute aus der Gesellschaft emporsteigt, eine Antwort finden in der Anerkennung des absoluten Vorranges Gottes, wie er von den gottgeweihten Personen durch die vollkommene Selbsthingabe und durch die ständige Umkehr einer als wahrer Gottesdienst dargebotenen Existenz gelebt wird. In einem vom Säkularismus verseuchten und dem Konsumismus unterjochten Umfeld wird das gottgeweihte Leben – Geschenk des Geistes an die Kirche und für die Kirche – zunehmend zum Zeichen der Hoffnung, und zwar in dem Maße, in dem es die transzendente Dimension des Daseins bezeugt. Auf der anderen Seite wird in der heutigen multikulturellen und multireligiösen Situation nach dem Zeugnis evangeliumsgemäßer Brüderlichkeit verlangt, die das gottgeweihte Leben kennzeichnet und es durch die Überwindung der Gegensätze zu einem Ansporn zur Läuterung und zur Einbeziehung unterschiedlicher Werte macht. Das Auftreten neuer Formen von Armut und Ausgrenzung muss bei der Sorge um die Bedürftigsten die Kreativität wecken, die so viele Gründer von Ordensinstituten ausgezeichnet hat. Schließlich verlangt der Trend des Sich-Zurückziehens auf sich selbst nach einem Gegenmittel: Es besteht in der Verfügbarkeit der gottgeweihten Personen, trotz der zahlenmäßigen Verringerung in manchen Instituten das Werk der Evangelisierung in anderen Kontinenten fortzusetzen.

Die Pflege der Berufungen

39. Angesichts der Tatsache, dass dem Einsatz der Priester und Ordensleute entscheidende Bedeutung zukommt, kann man den beunruhigenden Mangel an Seminaristen und Anwärtern auf das Ordensleben vor allem in Westeuropa nicht verschweigen. Diese Situation erfordert den Einsatz aller für eine angemessene Pastoral der Berufungen. Nur »wenn man den jungen Menschen die Person Jesu Christi in ihrer ganzen Fülle vorstellt, wird in ihnen eine Hoffnung entzündet, die sie dazu antreibt, alles zu verlassen und ihm zu folgen, um auf seinen Ruf zu antworten und vor ihren Altersgenossen von ihm Zeugnis zu geben«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, III, 3: L'Osservatore Romano, 11./12. Oktober 1999, S. 9.</ref> Die Pflege der Berufungen ist also eine für die Zukunft des christlichen Glaubens in Europa und, indirekt, für den geistigen Fortschritt der europäischen Völker lebenswichtige Frage; sie ist der einzig mögliche Weg für eine Kirche, die das Evangelium der Hoffnung verkünden, feiern und ihm dienen will.<ref> Vgl. Propositio 17.</ref>

40. Um eine notwendige Berufungspastoral zu entwickeln, ist es angebracht, den Gläubigen den Glauben der Kirche bezüglich Wesen und Würde des Amtspriestertums zu erklären, die Familien zu einem Leben als echte »Hauskirchen« zu ermutigen, damit in ihnen die verschiedenen Berufungen wahrgenommen, angenommen und begleitet werden können, und eine Pastoraltätigkeit zu entfalten, die vor allem den jungen Menschen hilft, Entscheidungen für ein Leben zu treffen, das in Christus verwurzelt und vollständig der Kirche gewidmet ist.<ref> Vgl. ebd.</ref>

In der Gewissheit, dass der Heilige Geist auch heute am Werk ist und dass es an Zeichen für diese Gegenwart nicht fehlt, geht es vor allem darum, die Berufungsverkündigung auf die Bahn der ordentlichen Pastoral zu bringen. Es ist deshalb notwendig, »vor allem in den jungen Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Gott anzufachen und auf diese Weise ein günstiges Umfeld zu schaffen für die Entstehung großherziger Antworten auf Berufungen« . Es ist dringlich, dass eine große Gebetsbewegung die Kirchengemeinden des europäischen Kontinents durchzieht, weil »die veränderten historischen und kulturellen Bedingungen es erfordern, dass die Berufungspastoral als eines der Hauptziele der ganzen christlichen Gemeinschaft angesehen wird«.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer am Kongress über das Thema »Neue Berufungen für ein neues Europa« (9. Mai 1997), 1-3: Insegnamenti XX/1 (1997), 917-918.</ref> Und es ist unerläßlich, dass die Priester selbst völlig kohärent zu ihrer wahren sakramentalen Identität leben und arbeiten. Wenn sie nämlich von sich selbst ein mattes und glanzloses Bild abgeben, wie könnten sie dann die jungen Menschen dazu bringen, sie nachzuahmen?

Die Sendung der Laien

41. Unverzichtbar ist der Beitrag der gläubigen Laien zum kirchlichen Leben: Ihr Platz in der Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung und ihr Dienst an ihm ist in der Tat unersetzlich, denn »durch sie wird die Kirche Christi in den verschiedensten Bereichen der Welt als Zeichen und Quelle der Hoffnung und der Liebe präsent«.<ref>Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 7: AAS 81 (1989), 404.</ref> Da sie an der Sendung der Kirche in der Welt vollkommen teilhaben, sind sie aufgerufen zu bezeugen, wie der christliche Glaube die einzige vollständige Antwort auf die Fragen darstellt, die das Leben jedem Menschen und jeder Gesellschaft stellt. Sie können die Werte des Reiches Gottes, die Verheißung und Gewähr einer Hoffnung sind, die nicht enttäuscht, in die Welt einbringen. Europa hat heute wie gestern bedeutsame Erscheinungen und leuchtende Beispiele solcher Laiengestalten vorzuweisen. Wie die Synodenväter betont haben, muss unter anderen jener Männer und Frauen mit Dankbarkeit gedacht werden, die Christus und sein Evangelium durch ihren Dienst am öffentlichen Leben und an den Verantwortlichkeiten, die es mit sich bringt, bezeugt haben. Es ist von grundlegender Bedeutung, »spezifische Berufungen zu wecken und zu fördern, die dem Gemeinwohl dienen: Menschen, die nach dem Beispiel und dem Stil der sogenannten ,,Väter Europas fähig sind, Baumeister der europäischen Gesellschaft von morgen zu sein, und sie auf die soliden Fundamente des Geistes gründen«.<ref>Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 82: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 16.</ref>

Die gleiche Wertschätzung gilt der Arbeit, die von christlichen Laien, Männern und Frauen, oft in der Verborgenheit des gewöhnlichen Lebens durch demütige Dienste geleistet wird, die geeignet sind, den in Armut Lebenden die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden. Wir müssen ihnen dankbar sein für ihr kühnes Zeugnis der Liebe und Vergebung: Werte, welche die weiten Bereiche der Politik, der gesellschaftlichen Wirklichkeit, der Wirtschaft, der Kultur, der Ökologie, des internationalen Lebens, der Familie, der Erziehung, der Berufswelt, der Arbeit und des Leidens evangelisieren.<ref>Vgl. Propositio 29.</ref> Dazu dienen Ausbildungsgänge, die gläubige Laien befähigen, ihren Glauben an den weltlichen Gegebenheiten tauglich zu machen. Solche Kurse, die sich auf eine ernsthafte praktische Ausbildung im kirchlichen Leben, besonders auf das Studium der Soziallehre, stützen, müssen imstande sein, ihnen nicht nur Lehre und Anregungen zu liefern, sondern auch entsprechende spirituelle Leitlinien, die den gelebten Einsatz als authentischen Weg der Heiligkeit beseelen.

Die Rolle der Frau

42. Die Kirche ist sich des spezifischen Beitrags der Frau im Dienst am Evangelium der Hoffnung bewusst. Die Geschichte der christlichen Gemeinschaft belegt, wie die Frauen in der Bezeugung des Evangeliums immer einen bedeutenden Platz gehabt haben. Es muss daran erinnert werden, wieviel sie oft stillschweigend und im Verborgenen mit dem Empfang und der Übermittlung der Gabe Gottes geleistet haben, sei es durch die leibliche und geistige Mutterschaft, die Erziehungsarbeit, die Katechese, die Verwirklichung großer Werke der Nächstenliebe, sei es durch ein Leben des Gebetes und der Kontemplation sowie durch mystische Erfahrungen und durch die Abfassung von Schriften, die reich sind an evangelischer Weisheit.<ref> Vgl. Propositio 30.</ref>

Im Licht der überreichen Zeugnisse aus der Vergangenheit drückt die Kirche ihre Zuversicht im Hinblick auf all das aus, was die Frauen heute auf allen Ebenen für das Wachsen der Hoffnung tun können. Es gibt Aspekte der heutigen europäischen Gesellschaft, die eine Herausforderung sind für die Fähigkeit der Frauen zu liebevollem, beharrlichem und unbedingtem Annehmen, Teilen und Gestalten. Man denke zum Beispiel an die verbreitete wissenschaftlich-technische Geisteshaltung, welche die emotionale Dimension und die Funktion der Gefühle in den Schatten stellt, an den Mangel an Großherzigkeit, an die verbreitete Furcht davor, neuen Geschöpfen das Leben zu schenken und an die Schwierigkeit, sich mit dem anderen auf Gegenseitigkeit zu stellen und jemanden anzunehmen, der von einem selbst verschieden ist. In diesem Zusammenhang erwartet sich die Kirche von den Frauen den belebenden Beitrag einer neuen Welle der Hoffnung.

43. Damit das verwirklicht werden kann, ist es jedoch notwendig, dass vor allem in der Kirche die Würde der Frau gefördert wird, da die Würde von Frau und Mann identisch ist, beide nach Gottes Abbild und Gleichnis geschaffen (vgl. Gen 1, 27) und reichlich mit je eigenen, spezifischen Gaben ausgestattet sind.

Um die volle Teilnahme der Frau am Leben und an der Sendung der Kirche zu fördern, ist zu wünschen – wie bei der Synode unterstrichen wurde –, dass ihre Gaben auch durch die Übernahme der kirchlichen Funktionen, die nach dem Recht den Laien vorbehalten sind, stärker zur Geltung gebracht werden. Entsprechend aufgewertet werden muss auch die Sendung der Frau als Gattin und Mutter und ihre Hingabe an das Familienleben.<ref> Vgl. ebd.</ref> Die Kirche versäumt nicht, ihre Stimme zu erheben und die gegen die Frauen verübten Ungerechtigkeiten und Gewalttätigkeiten anzuklagen, wo und unter welchen Umständen auch immer sie geschehen. Sie fordert, dass die Gesetze zum Schutz der Frau tatsächlich zur Anwendung kommen und dass gegen die erniedrigende Verwendung von Frauendarstellungen in der kommerziellen Werbung und gegen die Geißel der Prostitution wirksame Maßnahmen ergriffen werden; sie wünscht, dass der von der Mutter, ebenso wie der vom Vater im häuslichen Leben geleistete Dienst auch in Form einer finanziellen Anerkennung als Beitrag zum Gemeinwohl angesehen wird.

III. KAPITEL: DAS EVANGELIUM DER HOFFNUNG VERKÜNDIGEN

»Nimm das [...] aufgeschlagene Buch [...] und iss es« (Offb 10, 8.9)

I. Das Geheimnis Christi verkündigen

Die Offenbarung verleiht der Geschichte Sinn

44. Die Vision der Geheimen Offenbarung spricht von »einer Buchrolle, die innen und außen beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt war« , die sich »in der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß« befand (Offb 5, 1). Dieser Text enthält den Schöpfungs- und Heilsplan Gottes, seinen detaillierten Entwurf für die ganze Wirklichkeit, für die Menschen, für die Dinge, für die Ereignisse. Kein geschaffenes Wesen, weder im Himmel noch auf der Erde, ist imstande, »das Buch zu öffnen und es zu lesen« (Offb 5, 3), das heißt seinen Inhalt zu verstehen. In der Verworrenheit der menschlichen Wechselfälle vermag niemand die Richtung und den letzten Sinn der Dinge zu benennen.

Allein Jesus Christus gelangt in den Besitz des versiegelten Buches (vgl. Offb 5, 6-7); allein er ist »würdig, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen« (Offb 5, 9). Denn allein Jesus vermag den darin enthaltenen Plan Gottes zu enthüllen und zu verwirklichen. Der sich selbst überlassene Mensch, mag er sich noch so anstrengen, ist nicht imstande, der Geschichte und ihren Ereignissen einen Sinn zu geben: Das Leben bleibt ohne Hoffnung. Allein der Sohn Gottes ist in der Lage, die Finsternis zu vertreiben und den Weg zu zeigen.

Das geöffnete Buch wird Johannes übergeben und durch ihn der ganzen Kirche. Johannes wird aufgefordert, das Buch zu nehmen und es zu essen: »Geh, nimm das Buch, das der Engel, der auf dem Meer und auf dem Land steht, aufgeschlagen in der Hand hält [...]. Nimm und iß es!« (Offb 10, 8-9). Erst nachdem er es tief in sich aufgenommen hat, wird er es in angemessener Weise den anderen mitteilen können, zu denen er mit der Weisung gesandt wird, »noch einmal zu weissagen über viele Völker und Nationen mit ihren Sprachen und Königen« (Offb 10, 11).

Notwendigkeit und Dringlichkeit der Verkündigung

45. Das der Kirche anvertraute und von ihr aufgenommene Evangelium der Hoffnung verlangt, jeden Tag verkündet und bezeugt zu werden. Das ist die der Kirche eigene Berufung zu allen Zeiten und an allen Orten. Das ist auch die Sendung der Kirche im heutigen Europa. »Evangelisieren ist in der Tat die Gnade und eigentliche Berufung der Kirche, ihre tiefste Identität. Sie ist da, um zu evangelisieren, das heißt zu predigen und zu unterweisen, Mittlerin des Geschenkes der Gnade zu sein, die Sünder mit Gott zu versöhnen, das Opfer Christi in der heiligen Messe immer gegenwärtig zu setzen, die die Gedächtnisfeier seines Todes und seiner glorreichen Auferstehung ist«.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 14: AAS 68 (1976), 13.</ref>

Kirche in Europa, die »Neuevangelisierung« ist die Aufgabe, die auf dich wartet! Sieh zu, die Begeisterung für die Verkündigung wiederzuentdecken! Fühle dich jetzt zu Beginn des dritten Jahrtausends durch die flehentliche Bitte angesprochen, die bereits in den Anfängen des ersten Jahrtausends erklungen ist, als dem Paulus in einer Vision ein Mazedonier erschien und ihn bat: »Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!« (Apg 16, 9). Wenn auch unausgesprochen oder sogar unterdrückt, so ist dieser Hilferuf doch der tiefste und wahrhaftigste, der aus dem Herzen der heutigen Europäer kommt, die nach einer Hoffnung dürsten, die nicht enttäuscht. Dir ist diese Hoffnung geschenkt worden, damit du sie zu jeder Zeit und an jedem Ort voll Freude weitergibst. Die Verkündigung Jesu, die das Evangelium der Hoffnung ist, möge also dein Ruhm und deine Daseinsberechtigung sein. Fahre fort mit neuem Eifer in demselben missionarischen Geist, der – angefangen mit der Verkündigung der Apostel Petrus und Paulus – in diesen zweitausend Jahren seither so viele heilige Männer und Frauen, authentische Verkünder des Evangeliums auf dem europäischen Kontinent, beseelt hat!

Erstverkündigung und erneute Verkündigung

46. In verschiedenen Teilen Europas bedarf es einer Erstverkündigung des Evangeliums; die Zahl der Nichtgetauften nimmt zu, sei es aufgrund der beträchtlichen Anwesenheit von Einwanderern, die anderen Religionen angehören, sei es deshalb, weil auch Kinder aus traditionell christlichen Familien entweder wegen der kommunistischen Herrschaft oder wegen einer weitverbreiteten religiösen Gleichgültigkeit die Taufe nicht empfangen haben.<ref>Vgl. Propositio 3b.</ref> Tatsächlich ist Europa inzwischen zu jenen traditionell christlichen Gebieten zu rechnen, in denen außer einer Neuevangelisierung in bestimmten Fällen eine Erstevangelisierung nötig erscheint.

Die Kirche kann sich der Pflicht einer mutigen Diagnose nicht entziehen, welche die Einleitung geeigneter Therapien gestattet. Auch im »alten » Kontinent gibt es breite soziale und kulturelle Schichten, in denen eine regelrechte Mission ad gentes notwendig wird.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 37: AAS 83 (1991), 282-286.</ref>

47. Überall aber ist – auch für die bereits Getauften – eine erneute Verkündigung nötig. Viele europäische Zeitgenossen meinen zu wissen, was das Christentum ist, kennen es jedoch nicht wirklich. Häufig sind sogar die wesentlichen Elemente und Grundbegriffe des Glaubens nicht mehr bekannt. Viele Getaufte leben so, als ob Christus nicht existierte: Man wiederholt, insbesondere durch die kirchlichen Bräuche, die Gesten und Zeichen des Glaubens, aber es entspricht ihnen keine tatsächliche Annahme des Glaubensinhalts und kein Festhalten an der Person Jesu. An die Stelle der großen Gewissheiten des Glaubens ist bei vielen ein vages und wenig verbindliches religiöses Gefühl getreten. Es verbreiten sich verschiedene Formen von Agnostizismus und praktischem Atheismus, die zur Verschärfung der Kluft zwischen Glaube und Leben beitragen. Viele haben sich vom Geist eines innerweltlichen Humanismus anstecken lassen, der ihren Glauben geschwächt und sie leider oft dazu geführt hat, ihn ganz aufzugeben. Wir erleben eine Art säkularistischer Auslegung des christlichen Glaubens, die ihn aushöhlt und mit der eine tiefe Krise des Gewissens und der christlichen Moralpraxis einhergeht.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem I, 2: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 7.</ref> Die großen Werte, die die europäische Kultur weitreichend inspiriert haben, sind vom Evangelium abgetrennt worden und haben so ihr tiefstes Wesen verloren und Raum gelassen für nicht wenige Verirrungen.

»Wird jedoch der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?« (Lk 18, 8). Wird er ihn auf dieser Erde unseres Europas alter christlicher Tradition noch finden? Das ist eine offene Frage, die mit aller Klarheit auf die Tiefgründigkeit und Dramatik einer der ernstesten Herausforderungen hinweist, mit denen sich unsere Kirchen auseinandersetzen müssen. Man kann sagen – wie es bei der Synode unterstrichen wurde –, dass diese Herausforderung oft nicht so sehr darin besteht, die Neubekehrten zu taufen, sondern die Getauften dahin zu bringen, sich zu Christus und seinem Evangelium zu bekehren:<ref> Vgl. Propositio 3a.</ref> In unseren Gemeinden muss man sich ernsthaft darum bemühen, das Evangelium der Hoffnung allen zu bringen, die dem Glauben fernstehen oder sich von der christlichen Praxis entfernt haben.

Treue zu der einzigen Botschaft

48. Um das Evangelium der Hoffnung verkündigen zu können, ist eine feste Treue zum Evangelium selbst notwendig. Die Verkündigung der Kirche in allen ihren Formen muss daher immer mehr die Person Jesu in den Mittelpunkt stellen und sie muss immer mehr auf ihn hinlenken. Es gilt darüber zu wachen, dass er in seiner Ganzheit vorgestellt wird: nicht nur als sittliches Vorbild, sondern vor allem als der Sohn Gottes, der einzige und notwendige Retter aller, der in seiner Kirche lebt und wirkt. Damit die Hoffnung wahr und unzerstörbar sei, sollte in der Pastoraltätigkeit in den kommenden Jahren »die unverkürzte, klare und erneuerte Verkündigung des auferstandenen Jesus Christus, der Auferstehung und des ewigen Lebens«<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, III, 1: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 8.</ref> an erster Stelle stehen.

Auch wenn das zu verkündende Evangelium zu allen Zeiten dasselbe ist, so gibt es doch verschiedene Formen der Verkündigung. Jeder ist demnach eingeladen, Jesus und den Glauben an ihn bei allen Gelegenheiten zu ,,verkünden, anderen den Glauben ,,anziehend erscheinen zu lassen durch die Art persönlichen, familiären, beruflichen und gemeinschaftlichen Lebens, die das Evangelium widerspiegelt; um sich herum Freude, Liebe und Hoffnung ,,auszustrahlen, damit viele, wenn sie unsere guten Werke sehen, den Vater im Himmel preisen (vgl. Mt 5, 16), so dass sie ,,angesteckt und gewonnen werden; ,,Sauerteig zu werden, der von innen her jede kulturelle Ausdrucksform umwandelt und belebt.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 53: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 12.</ref>

Durch das Zeugnis des Lebens

49. Europa bedarf glaubwürdiger Glaubensboten, in deren Leben in Gemeinschaft mit dem Kreuz und der Auferstehung Christi die Schönheit des Evangeliums erstrahlt.<ref> Vgl. Propositio 4, 1.</ref> Solche Glaubensboten müssen entsprechend ausgebildet werden.<ref> Vgl. Propositio 26, 1.</ref> Notwendiger denn je ist heute ein missionarisches Bewusstsein in jedem Christen, angefangen bei den Bischöfen, Priestern, Diakonen, gottgeweihten Personen, Katecheten und Religionslehrern: »Jeder Getaufte muss sich als Zeuge Christi die seinem Stand entsprechende Bildung aneignen, nicht nur um zu vermeiden, dass der Glaube in einem feindlichen weltlichen Umfeld aus Mangel an Pflege verdorrt, sondern auch um das Zeugnis der Evangelisierung zu stützen und anzuregen«.<ref> Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, III, 1: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 9.</ref>

Der heutige Mensch »hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind«.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), 41: AAS 68 (1976), 31.</ref> Entscheidend sind daher das Vorhandensein und die Zeichen von Heiligkeit: Sie ist die wesentliche Vorbedingung für eine authentische Evangelisierung, die wieder Hoffnung zu geben vermag. Es muss starke, persönliche und gemeinschaftliche Zeugnisse für ein neues Leben in Christus geben. Es genügt nämlich nicht, dass die Wahrheit und die Gnade durch die Verkündigung des Wortes und die Feier der Sakramente angeboten werden; sie müssen angenommen und in jeder konkreten Situation, in der Verhaltensweise der Christen und der kirchlichen Gemeinschaften gelebt werden. Das ist eines der größten Unterfangen, welche die Kirche in Europa am Anfang des neuen Jahrtausends erwarten.

Heranbilden zu einem reifen Glauben

50. »Die heutige kulturelle und religiöse Situation Europas erfordert die Präsenz im Glauben gereifter Katholiken und missionarischer christlicher Gemeinschaften, die allen Menschen Zeugnis geben von der Liebe Gottes«.<ref> Propositio 8, 1.</ref> Die Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung macht es daher notwendig, den Übergang von einem durch gesellschaftliche Gewohnheit gestützten, freilich auch schätzenswerten Glauben zu einem persönlicheren und reiferen, reflektierten und überzeugten Glauben zu fördern.

Die Christen sind also aufgerufen, einen Glauben zu kultivieren, der ihnen erlaubt, sich kritisch mit der gegenwärtigen Kultur auseinanderzusetzen und ihren Verführungen zu widerstehen; die Bereiche von Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik wirksam zu beeinflussen; deutlich zu machen, dass die Gemeinschaft der Mitglieder der katholischen Kirche untereinander und mit den anderen Christen stärker ist als jedes ethnische Band; den Glauben voll Freude an die jungen Generationen weiterzugeben; eine christliche Kultur aufzubauen, die in der Lage ist, die vielschichtige Kultur, in der wir leben, zu evangelisieren.<ref> Vgl. Propositio 8, 2.</ref>

51. Die christlichen Gemeinden müssen sich nicht nur darum bemühen, dass der Dienst am Wort Gottes, die Feier der Liturgie und die Übung der Nächstenliebe auf den Aufbau und die Stützung eines reifen, persönlichen Glaubens ausgerichtet sind, sondern sich auch für das Angebot einer Katechese einsetzen, die den unterschiedlichen geistlichen Wegen der Gläubigen in den verschiedenen Altersstufen und Lebenssituationen angepaßt ist. Dabei sollen sie auch geeignete Formen geistlicher Begleitung und der Wiederentdeckung der eigenen Taufe in Betracht ziehen.<ref> Vgl. Propositiones 8, 1a-b; 6.</ref> Grundlegender Anhaltspunkt für dieses Unterfangen sollte natürlich der Katechismus der katholischen Kirche sein.

Wenn man dem Dienst der Katechese in der Pastoraltätigkeit eine unleugbare Priorität zuerkennt, ist es besonders notwendig, diesen Dienst als Erziehung und Entwicklung des Glaubens jedes Menschen zu pflegen und – gegebenenfalls – wieder einzuführen, auf dass der vom Heiligen Geist gelegte und durch die Taufe übertragene Same wachse und zur Reife gelange. In ständigem Bezug zum Wort Gottes, das in der Heiligen Schrift bewahrt, in der Liturgie verkündet und von der Überlieferung der Kirche ausgelegt wird, stellt eine organische und systematische Katechese ganz zweifellos ein wesentliches und vorrangiges Instrument dar, um die Christen zu einem reifen Glauben heranzubilden.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Catechesi tradendae (16. Oktober 1979), 21: AAS 71 (1979), 1294-1295.</ref>

52. Unterstrichen werden muss in diesem Zusammenhang auch die bedeutende Aufgabe der Theologie. Zwischen der Evangelisierung und der theologischen Reflexion besteht nämlich eine innere und untrennbare Verbindung, da letztere als Wissenschaft mit einem eigenen Statut und einer eigenen Methodologie vom Glauben der Kirche lebt und im Dienst an ihrer Sendung steht.<ref> Vgl. Propositio 24.</ref> Sie geht aus dem Glauben hervor und ist dazu berufen, ihn zu interpretieren, wobei sie zugleich ihre unverzichtbare Bindung an die christliche Gemeinschaft in allen ihren Ausprägungen zu wahren hat. Im Dienst am geistlichen Wachstum aller Gläubigen<ref> Vgl. Propositio 8, 1c.</ref> führt sie diese in ein vertieftes Verständnis der Botschaft Christi ein.

Bei der Durchführung des Verkündigungsauftrages des Evangeliums der Hoffnung weiß die Kirche in Europa die Berufung der Theologen dankbar zu schätzen, bringt ihre Arbeit zur Geltung und fördert sie.<ref> Vgl. Propositio 24.</ref> An die Theologen richte ich voll Achtung und Liebe den Aufruf, in dem Dienst, den sie leisten, fortzufahren und dabei immer die wissenschaftliche Forschung mit dem Gebet zu verbinden, sich auf einen aufmerksamen Dialog mit der zeitgenössischen Kultur einzulassen, treu zum Lehramt zu stehen und mit ihm im Geist der Gemeinschaft in der Wahrheit und in der Liebe zusammenzuarbeiten, sich am sensus fidei des Gottesvolkes zu inspirieren und ihn durch ihren Beitrag zu nähren.

II. Zeugnis geben in der Einheit und im Dialog

Die Gemeinschaft zwischen den Teilkirchen

53. Die Kraft der Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung wird am wirksamsten sein, wenn sie mit dem Zeugnis einer tiefen Einheit und Gemeinschaft in der Kirche verbunden ist. Die einzelnen Teilkirchen können sich nicht jede für sich allein mit den Herausforderungen, die sie erwarten, auseinandersetzen. Es bedarf einer echten Zusammenarbeit zwischen allen Teilkirchen des Kontinents, die Ausdruck ihrer wesentlichen Gemeinschaft sein soll – einer Zusammenarbeit, die auch von der neuen europäischen Wirklichkeit gefordert wird.<ref> Vgl. Propositio 22.</ref> In diesen Rahmen gehört der Beitrag der kirchlichen Organe auf dem Kontinent, angefangen beim Rat der Europäischen Bischofskonferenzen, der ein wirksames Werkzeug bei der gemeinsamen Suche nach geeigneten Wegen zur Evangelisierung Europas ist.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) (16. April 1993), 1: AAS 86 (1994), 227.</ref> Durch den »Austausch der Gaben« zwischen den verschiedenen Teilkirchen werden die Erfahrungen und Überlegungen West- und Osteuropas, Nord- und Südeuropas allgemein verfügbar gemacht und in gemeinsamen pastoralen Richtlinien genutzt. Somit stellt dieser Austausch immer mehr einen bedeutenden Ausdruck des Kollegialitätsgefühls zwischen den Bischöfen des Kontinents dar, um miteinander mutig und treu den Namen Jesu Christi als einzige Quelle der Hoffnung für alle Menschen in Europa zu verkünden.

Zusammen mit allen Christen

54. Zugleich erscheint die Verpflichtung zu einer brüderlichen und überzeugten ökumenischen Zusammenarbeit als ein unverzichtbares Gebot. Das Schicksal der Evangelisierung ist eng mit dem Zeugnis der Einheit verbunden, das alle Jünger Christi geben sollen: »Alle Christen sind aufgerufen, sich entsprechend ihrer Berufung dieser Aufgabe zu stellen. Der Auftrag der Evangelisierung schließt das Zueinandergehen und das Miteinandergehen der Christen von innen her mit ein; Evangelisierung und Einheit, Evangelisierung und Ökumene sind unlösbar aufeinander bezogen«.<ref>Johannes Paul II., Ansprache beim ökumenischen Wortgottesdienst im Dom von Paderborn (22. Juni 1996), 5: Insegnamenti XIX/1 (1996), 1571.</ref> Ich mache mir deshalb neuerlich die Worte zu eigen, die Paul VI. an den Ökumenischen Patriarchen Athenagoras I. geschrieben hat: »Möge uns der Heilige Geist auf dem Weg der Versöhnung leiten, damit die Einheit unserer Kirchen zu einem immer leuchtenderen Zeichen der Hoffnung und des Trostes für die ganze Menschheit werde«.<ref> Paul VI., Brief vom 13. Januar 1970: Tomos agapis, Rom-Istanbul 1971, S. 610-611; vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Ut unum sint (25. Mai 1995), 99: AAS 87 (1995), 980.</ref>

Im Dialog mit den anderen Religionen

55. Wie für die gesamte Aufgabe der »Neuevangelisierung« , so ist es auch im Hinblick auf die Verkündigung des Evangeliums der Hoffnung notwendig, einen vertieften und intelligenten interreligiösen Dialog, insbesondere mit dem Judentum und mit dem Islam, zu eröffnen. »Wenn er als Methode und Mittel zur wechselseitigen Kenntnis und Bereicherung verstanden wird, steht er nicht in Gegensatz zur Mission ad gentes, sondern hat vielmehr eine besondere Bindung zu ihr und ist sogar Ausdruck davon«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris missio (7. Dezember 1990), 55: AAS 83 (1991), 302.</ref> Beim Sich- Einüben in diesen Dialog geht es nicht darum, sich von einer »Denkweise der Gleichgültigkeit« einfangen zu lassen, »die leider auch unter Christen weit verbreitet ist und die ihre Wurzeln oft in theologisch nicht richtigen Vorstellungen hat und von einem religiösen Relativismus geprägt ist, der zur Annahme führt, dass ,,eine Religion gleich viel gilt wie die andere».<ref> Ebd., 36, a.a.O., 281.</ref>

56. Es geht vielmehr darum, sich der Beziehung, die die Kirche mit dem jüdischen Volk verbindet, und der einzigartigen Rolle Israels in der Heilsgeschichte klarer bewusst zu werden. Wie bereits bei der Ersten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa deutlich geworden war und auch bei der letzten Synode bekräftigt wurde, gilt es, die gemeinsamen Wurzeln anzuerkennen, die zwischen dem Christentum und dem jüdischen Volk bestehen, das von Gott zu einem Bund berufen wurde, der nicht widerrufen werden kann (vgl. Röm 11, 29),<ref> Vgl. Erste Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlusserklärung (13. Dezember 1991), 8: Enchiridion Vaticanum, 13, Nr. 653-655; Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, 62: L'Osservatore Romano, 6. August 1999 - Suppl., S. 13; Propositio 10.</ref> nachdem er in Christus die endgültige Erfüllung erlangt hat.

Der Dialog mit dem Judentum muss deshalb im Wissen um seine fundamentale Bedeutung für das christliche Selbstbewusstsein und für die Überwindung der Spaltungen zwischen den Kirchen gefördert und so vorangetrieben werden, dass ein neuer Frühling in den wechselseitigen Beziehungen erblüht. Das schließt ein, dass sich jede kirchliche Gemeinschaft, soweit es die Umstände erlauben, in den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Gläubigen der jüdischen Religion einüben muss. Dieses Sich-Einüben in den Dialog führt unter anderem dazu, dass »man sich daran erinnert, welchen Anteil die Söhne der Kirche an der Entstehung und Verbreitung einer antisemitischen Haltung in der Geschichte haben mochten, und dafür Gott um Vergebung bittet und auf jede Weise Begegnungen der Versöhnung und Freundschaft mit den Söhnen und Töchtern Israels fördert«.<ref> Propositio 10; vgl. Kommission für die Religiösen Beziehungen zu den Juden, »Wir erinnern: eine Reflexion über die Schoah« , 16. März 1998, Ench. Vat. 17, 520-550.</ref> Allerdings erscheint es in diesem Zusammenhang geboten, auch der nicht wenigen Christen zu gedenken, die vor allem in Zeiten der Verfolgung diesen ihren »älteren Brüdern » – oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens – geholfen und sie gerettet haben.

57. Ebenso geht es darum, sich zu einer besseren Kenntnis der anderen Religionen anregen zu lassen, um ein brüderliches Gespräch mit den Menschen aufnehmen zu können, die diesen Religionen angehören und im heutigen Europa leben. Besonders wichtig ist eine korrekte Beziehung zum Islam. Dieser Dialog muss, wie es in den letzten Jahren im Bewusstsein der europäischen Bischöfe wiederholt zutage trat, »auf kluge Weise geführt werden, mit klaren Vorstellungen im Blick auf seine Möglichkeiten und Grenzen sowie mit Vertrauen in den Heilsratschluss Gottes für alle seine Kinder«.<ref> Erste Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlusserklärung (13. Dezember 1991), 9: Enchiridion Vaticanum, 13, Nr. 656.</ref> Unter anderem muss man sich des beträchtlichen Unterschiedes zwischen der europäischen Kultur, mit ihren tiefen christlichen Wurzeln, und dem muslimischen Denken bewusst sein.<ref> Vgl. Propositio 11.</ref>

In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die Christen, die in täglichem Kontakt mit den Muslimen leben, entsprechend darauf vorzubereiten, den Islam auf objektive Weise kennenzulernen und sich mit ihm auseinandersetzen zu können. Eine solche Vorbereitung soll im besonderen die Seminaristen, die Priester und alle pastoralen Mitarbeiter betreffen. Im übrigen ist es verständlich, dass die Kirche, während sie von den europäischen Institutionen die Förderung der Religionsfreiheit in Europa verlangt, auch darauf dringen kann, dass die Gegenseitigkeit bei der Zusicherung der Religionsfreiheit ebenso in Ländern anderer religiöser Tradition, wo die Christen in der Minderheit sind, eingehalten werde.<ref> Vgl. Ebd.</ref>

In diesem Zusammenhang »versteht man das Befremden und das Gefühl der Frustration bei Christen, die zum Beispiel in Europa Gläubige anderer Religionen aufnehmen und ihnen die Möglichkeit zur Ausübung ihres Kultes geben und denen ihrerseits jede Ausübung ihrer christlichen Religion in den Ländern untersagt wird, in denen diese Gläubigen die Mehrheit besitzen und ihren Glauben zur Staatsreligion erklärt haben«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache an das beim Hl. Stuhl akkreditierte Diplomatische Korps (12. Januar 1985), 3: AAS 77 (1985), 650.</ref> Die menschliche Person hat das Recht auf religiöse Freiheit, und alle Menschen, in jedem Teil der Welt, »müssen frei sein von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner, wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlichen Gewalt«.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae, 2.</ref>

III. Das gesellschaftliche Leben evangelisieren

Evangelisierung der Kultur und Inkulturation des Evangeliums

58. Die Verkündigung Jesu Christi muss auch die gegenwärtige europäische Kultur erreichen. Die Evangelisierung der Kultur muss zeigen, dass es auch heute in diesem Europa möglich ist, das Evangelium in seiner Fülle als Wegweisung zu leben, die dem Dasein Sinn verleiht. Zu diesem Zweck muss die Pastoral die Aufgabe übernehmen, eine christliche Geisteshaltung im alltäglichen Leben zu formen: in der Familie, in der Schule, in der sozialen Kommunikation, in der Welt der Kultur, der Arbeit und der Wirtschaft, in der Politik, in der Freizeit, in Gesundheit und in Krankheit. Es ist eine ruhige kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen kulturellen Situation Europas nötig, welche die auftretenden Tendenzen und die bedeutendsten Ereignisse und Situationen unserer Zeit im Lichte der zentralen Stellung Christi und der christlichen Anthropologie bewertet.

Wenn man an die kulturelle Fruchtbarkeit des Christentums in der Geschichte Europas denkt, muss man auch heute auf den – theoretischen und praktischen – Zugang des Evangeliums zur Wirklichkeit und zum Menschen hinweisen. Bedenkt man darüber hinaus die große Bedeutung der Wissenschaften und der technologischen Umsetzungen in der Kultur und der Gesellschaft Europas, so ist die Kirche aufgerufen, sich mittels ihrer Strukturen zu theoretischer Vertiefung und zu praktischer Initiative auf konstruktive Weise mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihren Anwendungen auseinanderzusetzen. Dabei muss sie auf die Unzulänglichkeit und Unangemessenheit einer vom Szientismus inspirierten Auffassung hinweisen, die einzig und allein dem experimentellen Wissen objektive Gültigkeit zuerkennen will, und zudem die sittlichen Kriterien anbieten, die der Mensch als in seine Natur eingeschrieben besitzt.<ref> Vgl. Propositio 23.</ref>

59. In den Evangelisierungsprozess der Kultur fügt sich der wichtige Dienst ein, der von den katholischen Schulen geleistet wird. Man wird auf die Anerkennung einer tatsächlichen Erziehungsfreiheit und der Gleichberechtigung zwischen den staatlichen und den nichtstaatlichen Schulen hinwirken müssen. Letztere sind manchmal das einzige Mittel, um die christliche Tradition denen, die ihr fernstehen, anbieten zu können. Ich ermahne die im Bereich der Schule beschäftigten Gläubigen, beharrlich ihrem Auftrag gerecht zu werden und das Licht Christi, des Retters, in ihre spezifischen erzieherischen, wissenschaftlichen und akademischen Aktivitäten zu tragen.<ref> Vgl. Propositiones 25; 26, 2.</ref> Besonders herausgestellt werden muss der Beitrag der Christen, die führend in der Forschung sind und an den Universitäten lehren: Durch ihren »Dienst des Denkens« geben sie die Werte eines durch zweitausend Jahre humanistischer und christlicher Erfahrung bereicherten kulturellen Erbes an die jungen Generationen weiter. Da ich von der Wichtigkeit der akademischen Einrichtungen überzeugt bin, bitte ich auch darum, in den verschiedenen Teilkirchen eine angemessene Hochschulpastoral zu fördern und auf diese Weise das voranzubringen, was den aktuellen kulturellen Bedürfnissen entspricht.<ref> Vgl. Propositio 26, 3.</ref>

60. Es darf auch der positive Beitrag nicht vergessen werden, der durch die Erschließung der Kulturgüter der Kirche geleistet wird. Sie können nämlich einen besonderen Faktor in dem Bemühen darstellen, einen Humanismus christlicher Inspiration neu zu wecken. Dank ihrer angemessenen Erhaltung und klugen Nutzung können sie als lebendiges Zeugnis des jahrhundertelang verkündeten Glaubens ein gültiges Instrument für die Neuevangelisierung und die Katechese bilden und dazu einladen, den Sinn für das Mysterium wiederzuentdecken.

Gleichzeitig müssen durch einen andauernden Dialog mit der Welt der Kunst neue Ausdrucksformen des Glaubens gefördert werden.<ref> Vgl. Propositio 27.</ref> Die Kirche braucht nämlich die Kunst, die Literatur, die Musik, die Malerei, die Bildhauerei und die Architektur, weil »sie die Welt des Geistes, des Unsichtbaren, die Welt Gottes wahrnehmbar, ja, so weit als möglich, faszinierend machen soll«<ref> Johannes Paul II., Brief an die Künstler (4. April 1999), 12: AAS 91 (1999), 1168.</ref> und weil die künstlerische Schönheit, gleichsam als Widerschein des Geistes Gottes, Schlüssel zum Mysterium ist, Einladung, das in Jesus von Nazaret sichtbar gewordene Angesicht Gottes zu ergründen.

Die Erziehung der jungen Menschen zum Glauben

61. Sodann ermutige ich die Kirche in Europa, der Erziehung der jungen Menschen zum Glauben vermehrte Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn wir den Blick in die Zukunft richten, können wir gar nicht anders, als ihnen unsere Gedanken zuzuwenden: Wir müssen ihrem Geist, ihrem Herzen und ihrem Charakter entgegenkommen, um den jungen Menschen eine solide menschliche und christliche Bildung bieten zu können.

Bei allen Anlässen, wo es eine hohe Beteiligung junger Menschen gibt, ist unschwer das Auftreten ganz unterschiedlicher Haltungen bei ihnen zu bemerken. Da stellt man den Wunsch fest, zusammenzuleben, um der Isolierung zu entgehen, den mehr oder weniger stark empfundenen Durst nach Absolutem; da erkennt man bei ihnen einen heimlichen Glauben, der danach verlangt, sich zu läutern und dem Herrn nachzufolgen; da nimmt man die Entscheidung wahr, den bereits eingeschlagenen Weg fortzusetzen, und das Bedürfnis, den Glauben mit anderen zu teilen.

62. Zu diesem Zweck ist es notwendig, die Jugendpastoral – nach Altersstufen gegliedert und den ganz unterschiedlichen Lebensumständen und Erfordernissen von Kindern, Heranwachsenden und Jugendlichen angepaßt – zu erneuern. Außerdem muss man ihr größere Einheitlichkeit und mehr Kohärenz verleihen, in geduldigem Hinhören auf die Fragen der Jugendlichen, um aus ihnen Protagonisten der Evangelisierung und des Aufbaus der Gesellschaft zu machen.

Auf diesem Weg gilt es, Gelegenheiten für Begegnungen zwischen den jungen Leuten zu fördern, um auf diese Weise ein Klima des gegenseitigen Zuhörens und des Gebets zu begünstigen. Man braucht sich nicht zu scheuen, im Hinblick auf ihr geistliches Wachstum ihnen gegenüber anspruchsvoll zu sein. Ihnen muss der Weg der Heiligkeit aufgezeigt werden, indem man sie dazu anspornt, – gestärkt durch ein beständiges Leben aus den Sakramenten – verpflichtende Entscheidungen in der Nachfolge Jesu zu treffen. Auf diese Weise werden sie den Verführungen einer Kultur widerstehen können, die oft nur vergängliche oder im Gegensatz zum Evangelium stehende Werte bietet, und selber fähig werden, in allen Lebensbereichen, auch bei Vergnügen und Unterhaltung, eine christliche Mentalität erkennen zu lassen.<ref> Vgl. Propositio 7b-c.</ref>

Ich habe noch lebhaft die fröhlichen Gesichter unzähliger Jugendlicher vor Augen – eine echte Hoffnung der Kirche und der Welt, ein beredtes Zeichen des Heiligen Geistes, der nicht müde wird, neue Kräfte zu wecken. Ihnen bin ich sowohl auf meinen Pilgerreisen in vielen Ländern als auch bei den unvergeßlichen Weltjugendtagen begegnet.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Gebetsvigil in Tor Vergata beim XV. Weltjugendtag (19. August 2000), 6: Insegnamenti XXIII/2 (2000), 212.</ref>

Aufmerksamkeit für die Massenmedien

63. Angesichts der Bedeutung der sozialen Kommunikationsmittel muss die Kirche in Europa der vielgestaltigen Welt der Massenmedien besondere Aufmerksamkeit widmen. Dazu gehört unter anderem die angemessene Ausbildung der in den Medien tätigen Christen und der Nutzer dieser Instrumente im Hinblick auf eine gute Beherrschung der neuen Ausdrucksformen. Besondere Sorgfalt lasse man bei der Wahl ausgebildeter Personen für die Verkündigung der Botschaft durch die Medien walten. Sehr nützlich wird auch der Austausch von Informationen und Strategien zwischen den Kirchen über die verschiedenen Aspekte und Initiativen der Kommunikation sein. Ebenso wenig darf die Schaffung lokaler Kommunikationsmittel, auch auf der Ebene der Pfarrei, vernachlässigt werden.

Gleichzeitig geht es darum, sich in die Prozesse der sozialen Kommunikation einzuschalten, um sie zu größerer Respektierung der Wahrhaftigkeit in der Berichterstattung und der Würde der menschlichen Person anzuhalten. In diesem Zusammenhang lade ich die Katholiken ein, sich an der Erarbeitung eines Pflichtkodex zu beteiligen, der für alle im Medienbereich tätigen Personen gelten soll; dabei sollen sie sich von den Kriterien leiten lassen, welche die zuständigen Organe des Heiligen Stuhls kürzlich angegeben<ref> Vgl. Päpstlicher Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel, Ethik in der Sozialen Kommunikation, Vatikanstadt, 4. Juni 2000.</ref> und die Bischöfe bei der Synode, wie folgt, aufgeführt haben: »Achtung vor der Würde der menschlichen Person und vor ihren Rechten, einschließlich des Rechts auf Schutz der Privatsphäre; Dienst an der Wahrheit, an der Gerechtigkeit und an den menschlichen, kulturellen und geistigen Werten; Achtung der verschiedenen Kulturen, wobei verhindert werden muss, dass sie sich in der Masse verlieren; Schutz der Minderheitengruppen und der Schwächsten; Suche nach dem Gemeinwohl über die Sonderinter- essen bzw. das Überwiegen rein wirtschaftlicher Kriterien hinaus«.<ref> Propositio 13.</ref>

Die Mission ad gentes

64. Eine Verkündigung Jesu Christi und seines Evangeliums, die sich allein auf den europäischen Raum beschränkte, würde Symptome eines besorgniserregenden Mangels an Hoffnung erkennen lassen. Das Werk der Evangelisierung ist dann von wahrer christlicher Hoffnung beseelt, wenn es sich den universalen Horizonten öffnet, die dazu anregen, allen unentgeltlich zu geben, was man selbst als Geschenk empfangen hat. Auf diese Weise wird die Mission ad gentes zum Ausdruck einer vom Evangelium der Hoffnung geprägten Kirche, die sich ständig erneuert und verjüngt. Das war jahrhundertelang das Bewusstsein der Kirche in Europa: Unzählige Scharen von Missionaren und Missionarinnen gingen auf andere Völker und andere Kulturen zu und verkündeten den Völkern der ganzen Welt das Evangelium Jesu Christi.

Derselbe missionarische Eifer muss die Kirche im heutigen Europa beseelen. Der Rückgang an Priestern und Ordensleuten in bestimmten Ländern darf keine Teilkirche daran hindern, sich der Erfordernisse der Weltkirche anzunehmen. Eine jede soll die Vorbereitung auf die Mission ad gentes so zu fördern wissen, dass sie den noch immer vorgelegten Bitten vieler Völker und Nationen, die begierig darauf sind, das Evangelium kennenzulernen, großzügig entsprechen kann. Die Kirchen anderer Kontinente, besonders die Asiens und Afrikas, blicken nach wie vor auf die Kirchen in Europa und erwarten, dass sie ihre missionarische Berufung weiterhin erfüllen. Die Christen in Europa dürfen nicht mit ihrer Geschichte brechen.<ref> Vgl. Propositio 12.</ref>

Das Evangelium: Buch für Europa heute und immer

65. Beim Durchschreiten der Heiligen Pforte zu Beginn des Großen Jubiläums des Jahres 2000 habe ich vor der Kirche und der Welt das Buch des Evangeliums in die Höhe gehoben. Diese Geste, die von jedem Bischof in den verschiedenen Kathedralen der Welt vorgenommen wurde, soll auf die Verpflichtung hinweisen, welche die Kirche auf unserem Kontinent heute und immer erwartet.

Kirche in Europa, tritt mit dem Buch des Evangeliums in das neue Jahrtausend ein! Möge von jedem Gläubigen die Mahnung des Konzils angenommen werden, »sich durch häufige Lesung der Heiligen Schrift die ,,alles übertreffende Erkenntnis Jesu Christi (Phil 3, 8) anzueignen. ,,Die Schrift nicht kennen heißt Christus nicht kennen«.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung Dei verbum, 25.</ref> Möge die Bibel weiterhin ein Schatz für die Kirche und für jeden Christen sein: Im sorgfältigen Studium des Wortes Gottes werden wir Nahrung und Kraft finden, um jeden Tag unsere Sendung zu erfüllen.

Nehmen wir dieses Buch in unsere Hände! Nehmen wir es an vom Herrn, der es uns durch seine Kirche beständig hinhält (vgl. Offb 10, 8). Essen wir es (vgl. Offb 10, 9), damit es zum Leben unseres Lebens werde. Kosten wir es aus bis zum Letzten: Es wird uns Mühen bereiten, doch es wird uns Freude schenken, weil es süß wie Honig ist (vgl. Offb 10, 9-10). Wir werden von Hoffnung überquellen und fähig sein, sie jedem mitzuteilen, dem wir auf unserem Weg begegnen.

IV. KAPITEL: DAS EVANGELIUM DER HOFFNUNG FEIERN

»Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit« (Offb 5, 13)

Eine betende Gemeinde

66. Das Evangelium der Hoffnung, die Botschaft der Wahrheit, die frei macht (vgl. Joh 8, 32), muss gefeiert werden. Vor dem Lamm der Apokalypse beginnt eine feierliche Liturgie des Lobes und der Anbetung: »Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit« (Offb 5, 13). Diese Vision, die Gott und den Sinn der Geschichte offenbar macht, erfolgt »am Tag des Herrn« (Offb 1, 10), dem Tag der Auferstehung, der in der sonntäglichen Versammlung immer wieder vergegenwärtigt wird. Die Kirche, die diese Offenbarung empfängt, ist eine Gemeinde, die betet. Während sie betet, hört sie ihren Herrn und das, was der Geist ihr sagt: Sie betet an, lobt, dankt und fleht schließlich um das Kommen des Herrn: »Komm, Herr Jesus!« (Offb 22, 16-20) und bekräftigt damit, dass sie von ihm allein Rettung und Heil erwartet.

Auch von dir, Kirche Gottes in Europa, wird verlangt, dass du eine betende Gemeinde bist und deinen Herrn mit den Sakramenten, der Liturgie und der ganzen Existenz feierst. Im Gebet wirst du die lebendigmachende Gegenwart des Herrn entdecken. So wirst du, wenn du dein ganzes Tun in ihm verwurzelst, den Europäern wieder die Begegnung mit ihm selbst nahebringen können – eine echte Hoffnung, die allein das Verlangen nach Gott voll zu befriedigen vermag, welches sich in den verschiedenen, im heutigen Europa wieder auftauchenden Formen religiöser Suche verbirgt.

I. Die Liturgie wiederentdecken

Das religiöse Empfinden im heutigen Europa

67. Trotz weiter Bereiche der Entchristianisierung im europäischen Kontinent gibt es Zeichen, die dazu beitragen, das Gesicht einer Kirche zu umreißen, die als Glaubende ihren Herrn verkündet, feiert und ihm dient. Es fehlt nämlich nicht an Beispielen authentischer Christen, die Zeiten kontemplativen Schweigens durchleben, treu an geistlichen Initiativen teilnehmen, in ihrem Alltag das Evangelium leben und es in ihren verschiedenen Aufgabenbereichen bezeugen. Außerdem lassen sich Äußerungen einer »Heiligkeit des Volkes« ausmachen, die belegen, dass es auch im heutigen Europa nicht unmöglich ist, das Evangelium im persönlichen Bereich und in einer echten Gemeinschaftserfahrung zu leben.

68. Neben vielen Beispielen unverfälschten Glaubens gibt es in Europa auch eine unbestimmte und mitunter abwegige Religiosität. Ihre Anzeichen sind bei den Menschen selbst, die sie ausstrahlen, häufig vage und oberflächlich, wenn nicht sogar in sich widersprüchlich. Es handelt sich ganz offensichtlich um Phänomene einer Flucht in den Spiritualismus, eines religiösen und esoterischen Synkretismus, einer Suche nach außergewöhnlichen Ereignissen um jeden Preis bis hin zu absonderlichen Entscheidungen wie dem Beitritt zu gefährlichen Sekten oder dem Festhalten an pseudoreligiösen Erfahrungen.

Das verbreitete Verlangen nach geistlicher Nahrung muss mit Verständnis aufgenommen und geläutert werden. Für den Menschen, der sich, wenn auch nur unklar, bewusst wird, nicht von Brot allein leben zu können, ist es notwendig, dass die Kirche auf überzeugende Weise die Antwort, die Jesus dem Versucher gegeben hat, bezeugen kann: »Der Mensch lebt nicht nur von Brot, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt« (Mt 4, 4).

Eine feiernde Kirche

69. Im Kontext der heutigen Gesellschaft, die – allzu oft für die Transzendenz verschlossen und von konsumistischem Verhalten erstickt – zur leichten Beute alter und neuer Formen von Götzendienerei wird und zugleich nach etwas dürstet, das über das unmittelbar Gegebene hinausgeht, ist die Aufgabe, welche die Kirche in Europa erwartet, zugleich anspruchsvoll und erhebend. Sie besteht darin, den Sinn für das »Mysterium« wiederzuentdecken, die liturgischen Feiern zu erneuern, damit sie ausdrucksstärkere Zeichen für die Gegenwart Christi, des Herrn, sind, außerdem der Stille, dem Gebet und der Kontemplation neuen Raum zu geben und zurückzukehren zu den Sakramenten – besonders der Eucharistie und der Buße – als Quellen der Freiheit und neuer Hoffnung.

Darum richte ich an dich, Kirche in Europa, eine dringende Aufforderung: Sei eine Kirche, die betet, Gott lobt, seinen absoluten Vorrang anerkennt, ihn mit frohem Glauben preist. Entdecke wieder den Sinn für das Mysterium: Lebe es mit demütiger Dankbarkeit, bezeuge es mit zutiefst empfundener Freude, die ansteckend wirkt. Feiere das Heil Christi. Nimm es als Geschenk an, das dich zu seinem »Sakrament » macht: Mache dein Leben zu einem wahren Gottesdienst, der Gott gefällt (vgl. Röm 12, 1)!

Das Gespür für das Mysterium

70. Gewisse Symptome lassen ein Schwinden des Sinnes für das Mysterium sogar in den liturgischen Feiern erkennen, die doch gerade in das Mysterium einführen sollten. Es ist daher dringend nötig, dass in der Kirche wieder ein echtes Gespür für die Liturgie erwacht. Die Liturgie ist, wie von den Synodenvätern in Erinnerung gerufen,<ref> Vgl. Propositio 14.</ref> ein Hilfsmittel zur Heiligung; sie ist Feier des Glaubens der Kirche und Medium zur Weitergabe des Glaubens. Zusammen mit der Heiligen Schrift und den Lehren der Kirchenväter ist sie die lebendige Quelle echter, solider Spiritualität. Durch sie treten die Gläubigen – wie dies auch die Tradition der ehrwürdigen Ostkirchen deutlich hervorhebt – in Gemeinschaft mit der Heiligsten Dreifaltigkeit, und erfahren ihre Teilhabe an der göttlichen Natur als Gnadengabe. Die Liturgie wird so zur Vorwegnahme der endzeitlichen Seligkeit und zur Teilhabe an der himmlischen Herrlichkeit.

71. In den liturgischen Feiern müssen wir Jesus wieder in den Mittelpunkt stellen, um uns von ihm erleuchten und leiten zu lassen. Hier können wir eine der stärksten Antworten finden, die unsere Gemeinden auf eine vage und inhaltslose Religiosität zu geben berufen sind. Der Zweck der Liturgie der Kirche liegt nicht in der Befriedigung der Wünsche und der Besänftigung der Ängste des Menschen, sondern im Hören und Empfangen Jesu, des Lebendigen, der den Vater ehrt und preist, um so mit Jesus den Vater zu lobpreisen und zu ehren. Die kirchlichen Gottesdienste verkünden, dass unsere Hoffnung von Gott her zu uns kommt, und zwar durch unseren Herrn Jesus.

Es geht darum, die Liturgie als Werk der Dreifaltigkeit zu leben. Der Vater handelt für uns in den gefeierten Geheimnissen; er ist es, der zu uns spricht, uns vergibt, uns anhört, uns seinen Geist schenkt. An ihn wenden wir uns, auf ihn hören wir, ihn preisen wir und ihn rufen wir an. Jesus setzt sich für unsere Heiligung ein, indem er uns an seinem Mysterium teilhaben lässt. Der Heilige Geist wirkt mit seiner Gnade und macht uns zum Leib Christi, zur Kirche. Die Liturgie muss als Ankündigung und Vorwegnahme der künftigen Herrlichkeit, als End- und Zielpunkt unserer Hoffnung, gelebt werden. Denn wie das Konzil lehrt, »nehmen wir in der irdischen Liturgie vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind [...], bis Christus erscheint als unser Leben und wir mit ihm erscheinen in Herrlichkeit«.<ref> Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 8.</ref>

Liturgische Ausbildung

72. Obwohl nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil bereits ein beachtliches Stück Wegs zurückgelegt wurde, um zu einem Erleben des eigentlichen Sinnes der Liturgie zu gelangen, bleibt doch noch viel zu tun. Es bedarf dazu einer laufenden Erneuerung und einer beständigen Aus- und Weiterbildung aller: der Priester, der Personen gottgeweihten Lebens und der Laien.

Die wahre Erneuerung, die sich keineswegs irgendwelcher Willkürhandlungen bedient, besteht darin, das Bewusstsein für die Bedeutung des Mysteriums immer besser zu entwickeln, um so die Gottesdienste zu Augenblicken der Gemeinschaft mit dem großen und heiligen Geheimnis der Dreifaltigkeit zu machen. Wenn die Kirche in Europa die heiligen Handlungen als Beziehung zu Gott und Empfang seiner Gaben – als Ausdruck also eines echten geistlichen Lebens – feiert, dann kann sie wirklich ihre Hoffnung nähren und sie denen schenken, die sie verloren haben.

73. Zu diesem Zweck ist ein großer Einsatz auf dem Gebiet der Ausbildung nötig. Da es ihr Ziel ist, das Verständnis der wahren Bedeutung der Feiern der Kirche zu fördern, erfordert sie außer einer angemessenen Unterweisung in den Riten eine echte Spiritualität und die Erziehung dazu, sie in Fülle zu leben.<ref> Vgl. Propositio 14; Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, III, 2: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 9.</ref> Es muss daher eine regelrechte »liturgische Mystagogie« stärker gefördert werden, wobei alle Gläubigen, jeder seinem besonderen Beitrag entsprechend, aktiv an den heiligen Handlungen, insbesondere an der Eucharistie, teilnehmen sollen.

II. Die Sakramente feiern

74. Ein besonders wichtiger Platz muss der Feier der Sakramente vorbehalten bleiben, als Handlungen Christi und der Kirche, die auf die Verehrung Gottes, die Heiligung der Menschen und den Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft ausgerichtet sind. Im Bewusstsein, dass in ihnen Christus selbst durch den Heiligen Geist handelt, müssen die Sakramente mit größter Sorgfalt und unter Schaffung angemessener Bedingungen gefeiert werden. Den Teilkirchen des Kontinents soll es ein Herzensanliegen sein, ihre Sakramentenpastoral zu verstärken, um die tiefe Wahrheit der Sakramente erkennbar werden zu lassen. Die Synodenväter haben diese Forderung herausgestellt, um zwei Gefahren entgegenzutreten: Auf der einen Seite scheinen gewisse kirchliche Kreise das richtige Sakraments-Verständnis verloren zu haben, und sie könnten die gefeierten Geheimnisse möglicherweise banalisieren; auf der anderen Seite empfangen viele Getaufte, Gepflogenheiten und Traditionen folgend, in bedeutsamen Augenblicken ihres Lebens die Sakramente, ohne jedoch den Weisungen der Kirche entsprechend zu leben.<ref> Vgl. Propositio 15, 2a.</ref>

Die Eucharistie

75. Die Eucharistie, höchste Gabe Christi an die Kirche, macht im Mysterium das Opfer Christi für unser Heil gegenwärtig: »Die Heiligste Eucharistie enthält das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle, Christus selbst, unser Osterlamm«.<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dekret über Dienst und Leben der Priester Presbyterorum ordinis, 5.</ref> Aus ihr, »Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens«,<ref>II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 11.</ref> schöpft die Kirche auf ihrer Pilgerschaft und findet darin die Quelle jeder Hoffnung. Denn die Eucharistie gibt »unserem Weg durch die Geschichte einen Impuls, indem sie in die tägliche Hingabe eines jeden an die Erfüllung der eigenen Pflichten den Samen lebendiger Hoffnung hineinlegt«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de eucharistia (17. April 2003), 20: L'Osservatore Romano, 18. April 2003, S. 3.</ref>

Wir sind alle eingeladen, den Glauben an die Eucharistie – »Unterpfand der künftigen Herrlichkeit« – in der Gewissheit zu bekennen, dass die Gemeinschaft mit Christus, die wir jetzt als Pilger in unserer sterblichen Existenz erleben, die letzte Begegnung jenes Tages vorwegnimmt, »an dem wir ihm ähnlich sein werden, denn wir werden ihn sehen wie er ist« (1 Joh 3, 2). Die Eucharistie ist eine Art »Vorgeschmack auf die Ewigkeit in der Zeit« , sie ist göttliche Gegenwart und Gemeinschaft mit ihr; als Erinnerung an das Pascha Christi ist sie ihrer Natur nach die Überbringerin der Gnade in die Menschheitsgeschichte. Sie macht offen für die Zukunft Gottes; da sie Gemeinschaft mit Christus, mit seinem Leib und seinem Blut ist, ist sie Teilhabe am ewigen Leben Gottes.<ref> Vgl. Johannes Paul II. Ansprache bei der Generalaudienz (25. Oktober 2000), 2: Insegnamenti XXIII/2 (2000), 697.</ref>

Die Versöhnung

76. Zusammen mit der Eucharistie muss bei der Wiedergewinnung der Hoffnung auch das Sakrament der Versöhnung eine grundlegende Rolle spielen: »Die persönliche Erfahrung der Vergebung Gottes ist nämlich für jeden von uns ein wesentliches Fundament jeglicher Hoffnung für unsere Zukunft«.<ref> Propositio 16.</ref> Eine der Wurzeln der Resignation, die heute viele befällt, ist in der Unfähigkeit zu suchen, sich als Sünder zu bekennen und sich vergeben zu lassen. Diese Unfähigkeit beruht oft auf der Einsamkeit dessen, der lebt, als gäbe es Gott nicht, und niemanden hat, den er um Vergebung bitten kann. Wer sich hingegen als Sünder bekennt und sich der Barmherzigkeit des himmlischen Vaters anvertraut, erfährt die Freude einer wahren Befreiung und kann weiterleben, ohne sich in sein Elend zurückzuziehen.<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Relatio ante disceptationem, III, 2: L'Osservatore Romano, 3. Oktober 1999, S. 9.</ref> Er empfängt somit die Gnade eines Neubeginns und findet wieder Anlaß zum Hoffen.

Darum ist es notwendig, dass in der Kirche in Europa das Sakrament der Versöhnung eine Wiederbelebung erfährt. Es muss jedoch unterstrichen werden, dass die Form des Sakraments das persönliche Sündenbekenntnis ist, gefolgt von der Einzelabsolution. Diese Begegnung zwischen dem Beichtenden und dem Priester muss in jeder vom Ritus des Sakramentes vorgesehenen Form gefördert werden. Angesichts eines verbreiteten Verlustes des Sündenbewusstseins und des Sich-Durchsetzens einer im moralischen Bereich von Relativismus und Subjektivismus geprägten Mentalität ist es dringend geboten, in jeder Kirchengemeinde für eine ernsthafte Gewissensbildung zu sorgen.<ref> Vgl. Propositio 16.</ref> Die Synodenväter haben darauf bestanden, dass klar und deutlich die Wahrheit über die persönliche Sünde und die Notwendigkeit der persönlichen Vergebung Gottes durch den Dienst des Priesters anerkannt werde. Generalabsolutionen sind für die Spendung des Sakramentes der Versöhnung keine Alternative.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Motu proprio Misericordia Dei (7. April 2002), 4: AAS 94 (2002), 456-457.</ref>

77. Ich wende mich an die Priester und ermahne sie, großherzig ihre Verfügbarkeit im Beichthören einzusetzen und selber durch den regelmäßigen Empfang des Bußsakramentes ein Beispiel zu geben. Ich empfehle ihnen, sich um ihre eigene Fortbildung auf dem Gebiet der Moraltheologie zu kümmern, um die Problemstellungen, die in jüngster Zeit im Bereich der Moral des Einzelnen und der Gesellschaft aufgetreten sind, mit Kompetenz aufgreifen zu können. Darüber hinaus sollen sie den konkreten Lebenssituationen, in denen sich die Gläubigen befinden, besondere Aufmerksamkeit widmen. Sie sollen die Gläubigen geduldig dahin bringen, die Forderungen des christlichen Sittengesetzes anzuerkennen, und ihnen helfen, das Sakrament als eine freudige Begegnung mit dem Erbarmen des himmlischen Vaters zu leben.<ref> Vgl. Propositio 16; Johannes Paul II., Brief an die Priester zum Gründonnerstag 2002 (17. März 2002), 4: AAS 94 (2002), 435-436.</ref>

Gebet und Leben

78. Neben der Feier der Eucharistie gilt es auch die anderen Formen des gemeinschaftlichen Gebetes zu fördern<ref> Vgl. Propositio 14c.</ref> und dabei mitzuhelfen, die zwischen diesen Formen und dem liturgischen Gebet bestehende Verbindung wiederzuentdecken. Im besonderen sollen in lebendiger Fortführung der Tradition der lateinischen Kirche die verschiedenen Ausdrucksformen der eucharistischen Verehrung außerhalb der Messe gefördert werden: persönliche Anbetung, Aussetzung und Prozession, die als Äußerung des Glaubens an das Fortbestehen der Realpräsenz des Herrn im Sakrament des Altars zu verstehen sind.<ref> Vgl. ebd.</ref> Bei der persönlichen oder gemeinsamen Verrichtung des Stundengebetes, an dessen einzigartigen Wert auch für die gläubigen Laien das Zweite Vatikanische Konzil erinnert hat,<ref> Vgl. Konstitution über die heilige Liturgie Sacrosanctum concilium, 100.</ref> möge man dazu anleiten, ebenfalls den Zusammenhang mit dem eucharistischen Geheimnis zu sehen. Die Familien sollen dazu angehalten werden, dem gemeinsamen Gebet Raum zu geben, um so das ganze Ehe- und Familienleben im Lichte des Evangeliums einsichtig zu machen. Auf diese Weise wird sich von daher und im Hören auf das Wort Gottes jene Hausliturgie herausbilden, die sämtlichen Vorgängen des Familienlebens ihren Rhythmus gibt.<ref> Vgl. Propositiones 14c; 20.</ref>

Jede Form des gemeinsamen Gebetes setzt das persönliche Gebet voraus. Zwischen der Person und Gott entsteht jenes wahrhaftige Gespräch, das im Lobpreis, im Dank und in der Bitte zum Ausdruck kommt, die durch Jesus Christus und im Heiligen Geist an den Vater gerichtet werden. Das persönliche Gebet, gleichsam der Atem des Christen, darf niemals vernachlässigt werden. Die Verbindung zwischen diesem und dem liturgischen Gebet soll ebenfalls wiederentdeckt werden.

79. Besondere Aufmerksamkeit muss auch der Volksfrömmigkeit eingeräumt werden.<ref> Vgl. Propositio 20.</ref> Sie ist in den verschiedenen Regionen Europas durch die Bruderschaften, durch Wallfahrten und Prozessionen zu zahlreichen Heiligtümern weitverbreitet und bereichert so den Lauf des Kirchenjahres und inspiriert Bräuche und Gepflogenheiten in Familie und Gesellschaft. Alle diese Formen müssen aufmerksam beobachtet werden durch eine Pastoral zur Förderung und Erneuerung, die ihnen hilft, alles zu entfalten, was echter Ausdruck der Weisheit des Volkes Gottes ist. Dies gilt sicherlich für den Rosenkranz. In diesem ihm gewidmeten Jahr liegt es mir am Herzen, dieses Gebet nochmals zu empfehlen; denn »der Rosenkranz, in seiner ganzen Bedeutung wieder neu entdeckt, führt ins Herz des christlichen Lebens selbst hinein. Er bietet eine gewohnheitsmäßige und ebenso fruchtbare geistige wie pädagogische Möglichkeit der persönlichen Betrachtung, der geistlichen Bildung des Volkes Gottes und der Neuevangelisierung«.<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Rosarium virginis mariae (16. Oktober 2002), 3: AAS 95 (2003), 7.</ref>

Im Bereich der Volksfrömmigkeit ist eine ständige Überwachung zweideutiger Aspekte mancher Erscheinungen dringend geboten, indem man sie vor einem Abdriften in den Säkularismus, vor unbedachtem Konsumismus oder auch vor Gefahren des Aberglaubens bewahrt, um sie innerhalb reifer und authentischer Formen zu halten. Hier gilt es, Erziehungsarbeit zu leisten, indem man erklärt, wie die Volksfrömmigkeit immer im Einklang mit der Liturgie der Kirche und in Verbindung mit den Sakramenten gelebt werden muss.

80. Es darf nicht vergessen werden, dass der »Gottesdienst, der Gott gefällt« (vgl. Röm 12, 1), vor allem im täglichen Leben vollzogen wird, das – auch in Augenblicken scheinbarer Ohnmacht – durch die freie, großherzige Selbsthingabe in der Liebe gelebt wird. So wird das Leben von unerschütterlicher Hoffnung beseelt, weil es allein der Gewissheit der Macht Gottes und des Sieges Christi überlassen ist: ein Leben, erfüllt vom Trost Gottes, mit dem wir unsererseits alle trösten sollen, denen wir auf unserem Weg begegnen (vgl. 2 Kor 1, 4).

Der Tag des Herrn

81. Ein beispielhafter und sehr gedächtnisträchtiger Moment in bezug auf die Feier des Evangeliums der Hoffnung ist der Tag des Herrn.

Im gegenwärtigen Kontext beschränken die äußeren Umstände die Möglichkeiten der Christen, den Sonntag als Tag der Begegnung mit dem Herrn in seiner Fülle zu leben. Nicht selten geschieht es, dass der Sonntag auf ein »Wochenende« , auf eine bloße Flucht aus dem Alltag reduziert wird. Es bedarf daher einer gut gegliederten pastoralen Aktion auf erzieherischer, geistlicher und gesellschaftlich-sozialer Ebene, die hilft, die wahre Bedeutung des Sonntags zu leben.

82. Ich erneuere daher die Einladung, die tiefste Bedeutung des Tages des Herrn zurückzugewinnen:<ref> Vgl. Propositio 14.</ref> Er soll geheiligt werden durch die Teilnahme an der Eucharistie und durch eine Ruhe, die reich an christlicher Freude und Brüderlichkeit ist. Er soll als Zentrum der ganzen Gottesverehrung gefeiert werden, als unaufhörliche Vorankündigung des ewigen Lebens, die die Hoffnung wiederbelebt und uns ermutigt auf unserem Weg. Man scheue sich daher nicht, den Sonntag gegen jeden Angriff zu verteidigen und sich in der Arbeitsplanung für seine Sicherstellung einzusetzen, so dass er zum Vorteil der ganzen Gesellschaft ein Tag für den Menschen sein kann. Wenn nämlich der Sonntag seiner ursprünglichen Bedeutung beraubt würde und es an ihm nicht mehr möglich wäre, dem Gebet, der Erholung, der Gemeinschaft und der Freude den angemessenen Raum zu geben, könnte es geschehen, »dass der Mensch nicht mehr den ,,Himmel sehen kann, weil er in einem so engen Horizont eingesperrt ist. So ist er unfähig, zu feiern, auch wenn er eine Festtagsgewandung trägt«.<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Dies Domini (31. Mai 1998), 4: AAS 90 (1998), 716.</ref> Und ohne die Dimension des Feierns würde die Hoffnung kein Haus mehr finden, um darin zu wohnen.

V. KAPITEL: DEM EVANGELIUM DER HOFFNUNG DIENEN

»Ich kenne deine Werke, deine Liebe und deinen Glauben, dein Dienen und Ausharren« (Offb 2, 19)

Der Weg der Liebe

83. Das Wort, das der Geist den Kirchen sagt, enthält ein Urteil über ihr Leben. Es betrifft Taten und Haltungen: »Ich kenne deine Werke« lautet die Einleitung, die gleichsam wie ein Kehrreim, mit wenigen Varianten, in den an die sieben Kirchen geschriebenen Briefen erklingt. Wenn sich die Werke als positiv herausstellen, sind sie Frucht der Mühe, des Ausharrens, des Ertragens von Prüfungen, Kummer und Armut, der Treue in den Verfolgungen, der Liebe, des Glaubens, des Dienstes. In diesem Sinne können sie als Beschreibung einer Kirche gelesen werden, die das Heil, das ihr vom Herrn zukommt, nicht nur verkündet und feiert, sondern es konkret ,,lebt.

Um dem Evangelium der Hoffnung zu dienen, wird auch von der Kirche in Europa verlangt, dass sie dem Weg der Liebe folgt – ein Weg, der über die evangelisierende Nächstenliebe führt, über das vielfältige Engagement im Dienen und über die Entscheidung für eine unermüdliche und unbegrenzte Hochherzigkeit.

I. Der Dienst der Liebe In Gemeinschaft und Solidarität

84. Die empfangene und weitergeschenkte Liebe ist für jeden Menschen die Urerfahrung, in der die Hoffnung entsteht. »Der Mensch kann nicht ohne Liebe leben. Er bleibt für sich selbst ein unbegreifliches Wesen; sein Leben ist ohne Sinn, wenn ihm nicht die Liebe geoffenbart wird, wenn er der Liebe nicht begegnet, wenn er sie nicht erfährt und sich zu eigen macht, wenn er nicht lebendigen Anteil an ihr erhält«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), 10: AAS 71 (1979), 274.</ref>

Die Herausforderung für die Kirche im heutigen Europa besteht also darin, dem Menschen unserer Zeit durch das Zeugnis der Liebe, das eine ihm innewohnende evangelisierende Kraft besitzt, zu helfen, dass er die Liebe Gottes des Vaters und die Liebe Christi im Heiligen Geist erfährt.

Darin besteht schließlich das »Evangelium« , die frohe Botschaft für jeden Menschen: Gott hat uns zuerst geliebt (vgl. 1 Joh 4, 10.19); Jesus hat uns bis zur Vollendung geliebt (vgl. Joh 13, 1). Dank der Gabe des Heiligen Geistes wird den Glaubenden die Liebe Gottes angeboten, durch die sie seiner Liebesfähigkeit teilhaftig werden: sie drängt im Herzen jedes Jüngers und der ganzen Kirche (vgl. 2 Kor 5, 14). Eben weil von Gott geschenkt, wird die Liebe für den Menschen zum Gebot (vgl. Joh 13, 34).

Leben in der Liebe wird also dadurch zur frohen Botschaft an jeden Menschen, dass es die Liebe Gottes, die niemanden fallen lässt, sichtbar macht. Das bedeutet schließlich, dem verlorenen Menschen echte Gründe zum Weiterhoffen zu geben.

85. Es ist die Berufung der Kirche als »glaubwürdiges, wenn auch immer unzureichendes Zeichen der gelebten Liebe, die Menschen mit der Liebe Gottes und Christi, der sie sucht, in Berührung zu bringen«.<ref>Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, 72: L'Osservatore Romano, 6. August 1999, Suppl., S. 15. </ref> Das beweist die Kirche, »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit«,<ref>II. Vatikanisches Konzil, Konstitution über die Kirche Lumen gentium, 1.</ref> wenn Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften das Evangelium der Liebe intensiv leben. Mit anderen Worten, unsere Kirchengemeinden sind aufgerufen, wahre Übungsplätze für gemeinschaftliches Miteinander zu sein.

Das Zeugnis der Liebe muss seinem Wesen entsprechend über die Grenzen der Kirchengemeinde hinausgehen, um jeden Menschen zu erreichen, so dass die Liebe zu allen Menschen für das gesamte soziale Leben zum Anreiz echter Solidarität wird. Wenn die Kirche der Liebe dient, lässt sie zugleich die »Kultur der Solidarität« wachsen und trägt auf diese Weise dazu bei, die allgemeinen Werte des menschlichen Zusammenlebens wieder fruchtbar zu machen.

Aus dieser Sicht gilt es, den authentischen Sinn des christlichen Freiwilligendienstes wiederzuentdecken.

Während er aus dem Glauben entsteht und ständig von ihm genährt wird, muss er berufliche Fähigkeit und echte Liebe zu verbinden wissen, indem er alle, die ihn ausüben, dazu anspornt, »die Gefühle einfacher Menschenliebe auf die Höhe der Christusliebe emporzuheben; jeden Tag inmitten von Ermüdung und Überdruß das Bewusstsein von der Würde jedes Menschen zurückzugewinnen; die Bedürfnisse der Menschen ausfindig zu machen und dabei, wenn nötig, dort neue Wege einzuschlagen, wo die Not am dringendsten ist und Beachtung und Hilfe am schwächsten sind«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), 90: AAS 87 (1995), 503. </ref>

II. Dem Menschen in der Gesellschaft dienen

Den Armen wieder Hoffnung geben

86. Die ganze Kirche ist gefordert, den Armen wieder Hoffnung zu geben. Sie aufzunehmen und ihnen zu dienen, bedeutet für die Kirche, Christus aufzunehmen und ihm zu dienen (vgl. Mt 25, 40). Die vorrangige Liebe zu den Armen ist eine notwendige Dimension des Christseins und des Dienstes am Evangelium. Sie zu lieben und ihnen zu bezeugen, dass sie von Gott besonders geliebt werden, heißt anzuerkennen, dass Menschen unabhängig davon, in welchen ökonomischen, kulturellen und sozialen Verhältnissen sie sich befinden, um ihrer selbst willen wertvoll sind, und ihnen so zu helfen, ihre Leistungsfähigkeiten zur Geltung zu bringen.

87. Nicht unberührt lassen kann uns sodann das Phänomen der Arbeitslosigkeit, die in vielen Nationen Europas eine ernste soziale Geißel darstellt. Dazu kommen die Probleme im Zusammenhang mit den wachsenden Migrantenströmen. Die Kirche muss daran erinnern, dass die Arbeit ein Gut darstellt, um das sich die ganze Gesellschaft kümmern muss. Während die Kirche erneut die sittlichen Kriterien ins Bewusstsein ruft, von denen sich Markt und Wirtschaft in gewissenhafter Achtung vor der zentralen Stellung des Menschen leiten lassen müssen, wird sie es nicht unterlassen, den Dialog mit den auf politischer, gewerkschaftlicher und unternehmerischer Ebene engagierten Personen zu suchen.<ref> Vgl. Propositio 33.</ref> Ein solcher Dialog muss als Ziel den Aufbau eines Europas als Gemeinschaft von Völkern und Menschen anstreben, als Gemeinschaft, die – solidarisch in der Hoffnung – nicht ausschließlich den Gesetzen des Marktes unterworfen ist, sondern sich entschieden um die Wahrung der Würde des Menschen auch in den wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen bemüht.

88. Auch der Krankenpastoral muss eine angemessene Bedeutung verliehen werden. In Anbetracht dessen, dass die Krankheit eine Situation darstellt, die grundsätzliche Fragen über den Sinn des Lebens aufwirft, muss »in einer Wohlstands- und Leistungsgesellschaft, in einer Kultur, die von der Vergötzung des Körpers, von der Verdrängung des Leidens und des Schmerzes und vom Mythos ewiger Jugendlichkeit gekennzeichnet ist«.<ref> Propositio 35.</ref> die Sorge für die Kranken als eine der Prioritäten angesehen werden. Zu diesem Zweck muss einerseits eine angemessene pastorale Präsenz an den Stätten des Leidens – zum Beispiel durch den Einsatz von Krankenhausseelsorgern, Mitgliedern von Freiwilligenverbänden, kirchlichen Gesundheitseinrichtungen – und andererseits eine Unterstützung für die Familien der Kranken gefördert werden. Außerdem wird es notwendig sein, den Ärzten und dem Pflegepersonal mit geeigneten pastoralen Mitteln zur Seite zu stehen, um sie in ihrer anspruchsvollen Berufung im Dienst an den Kranken zu unterstützen. Denn die im Gesundheitswesen tätigen Personen leisten mit ihrer Arbeit Tag für Tag einen edlen Dienst am Leben. Von ihnen wird verlangt, den Patienten auch jenen besonderen seelischen Beistand zu bieten, der die Wärme eines echten menschlichen Kontaktes voraussetzt.

89. Und schließlich soll nicht übersehen werden, dass von den Gütern der Erde nicht selten auf ungebührliche Weise Gebrauch gemacht wird. Da der Mensch nämlich den Auftrag, die Erde mit Weisheit und Liebe zu bebauen und zu hüten (vgl. Gen 2, 15), nicht erfüllte, hat er in vielen Regionen Wälder und Landflächen zerstört, die Gewässer verseucht, die Luft zum Atmen unerträglich gemacht, die hydro-geologischen und atmosphärischen Systeme durcheinandergebracht und riesige Landstriche der fortschreitenden Wüstenbildung ausgesetzt.

Auch in diesem Fall heißt Dienst am Evangelium der Hoffnung, sich auf neue Weise für einen richtigen Gebrauch der Güter der Erde einzusetzen,<ref> Vgl. Propositio 36.</ref> indem man zu jener aufmerksamen Sorgfalt anregt, die nicht nur die natürlichen Lebensräume schützt, sondern vor allem die Lebensqualität der Menschen dadurch verteidigt, dass sie den künftigen Generationen eine Umwelt vorbereitet, die mit dem Plan des Schöpfers besser übereinstimmt.

Die Wahrheit über die Ehe und die Familie

90. Die Kirche in Europa muss auf allen Ebenen wieder die Wahrheit über die Ehe und die Familie zuverlässig herausstellen.<ref> Vgl. Propositio 31.</ref> Das ist eine Dringlichkeit, die sie in sich brennen spürt, weil sie weiß, dass ihr kraft des ihr von ihrem Bräutigam und Herrn übertragenen Evangelisierungsauftrags diese Aufgabe obliegt, die sich heute mit zwingender Notwendigkeit neu stellt. Nicht wenige kulturelle, soziale und politische Faktoren tragen nämlich zu einer immer stärker hervortretenden Krise der Familie bei. Sie gefährden in verschiedenem Ausmaß die Wahrheit und die Würde der menschlichen Person und stellen durch Verzerrung selbst die Idee der Familie in Frage. Der Wert der Unauflöslichkeit der Ehe wird immer weniger anerkannt; es wird die gesetzliche Anerkennung von Formen faktischen Zusammenlebens und deren Gleichstellung mit den rechtmäßig geschlossenen Ehen verlangt; es fehlt nicht an Versuchen, Modelle von Partnerschaften zu akzeptieren, in denen der Unterschied im Geschlecht nicht mehr wesentlich ist.

In diesem Kontext ist die Kirche gefordert, mit neuer Kraft zu verkünden, was das Evangelium über die Ehe und die Familie sagt, um deren Bedeutung und Wert im Heilsplan Gottes zu erfassen. Insbesondere ist es nötig, die Institution von Ehe und Familie als aus dem Willen Gottes entstammende Realitäten erneut zu bekräftigen. Die Wahrheit über die Familie als innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe,<ref>Vgl.II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 48.</ref> die offen ist für die Zeugung neuer Menschen, muss ebenso wiederentdeckt werden wie ihre Würde als ,,Hauskirche und ihre Teilnahme an der Sendung der Kirche und am Leben der Gesellschaft.

91. Nach Ansicht der Synodenväter ist es notwendig, anzuerkennen, dass viele Familien im Alltag ihres in Liebe gelebten Daseins sichtbare Zeugen der Gegenwart Jesu sind, der sie begleitet und durch die Gabe seines Geistes aufrechterhält. Um einen solchen Weg zu unterstützen, muss man die Theologie und die Spiritualität von Ehe und Familie vertiefen, die Wahrheit und Schönheit der Familie, die auf die als dauerhafte und fruchtbare Vereinigung eines Mannes und einer Frau verstandene Ehe gegründet ist, uneingeschränkt und mit Festigkeit verkündigen und durch wirksame Beispiele auf sie hinweisen und in jeder Kirchengemeinde eine angemessene Familienpastoral fördern. Gleichzeitig wird es nötig sein, mit mütterlicher Sorge seitens der Kirche denjenigen, die sich in schwierigen Situationen befinden, wie z. B. ledigen jungen Müttern, getrennt lebenden oder geschiedenen Personen, verstoßenen Kindern, eine Hilfe anzubieten. In jedem Fall sollte man den berechtigten Protagonismus einzelner oder in Zusammenschlüssen organisierter Familien in der Kirche und in der Gesellschaft anregen, begleiten und unterstützen und sich um die Förderung einer wirklich angemessenen Familienpolitik von seiten der einzelnen Staaten und der Europäischen Union bemühen«.<ref> Vgl. Propositio 31.</ref>

92. Besondere Beachtung verdient die Erziehung der jungen Menschen und der Verlobten zur Liebe: Speziell zur Vorbereitung auf das Sakrament der Ehe bestimmte Kurse sollen ihnen helfen, bis zu diesem Augenblick in Keuschheit zu leben. Als besonders aufmerksam wird sich die Kirche in ihrer Erziehungsarbeit erweisen, wenn sie die Neuvermählten auch nach der Hochzeit weiter begleitet.

93. Schließlich ist die Kirche aufgerufen, mit mütterlicher Güte auch Ehesituationen entgegenzukommen, in denen leicht die Hoffnung schwindet. »Angesichts so vieler zerstörter Familien fühlt sich die Kirche veranlaßt, kein strenges und distanziertes Urteil zu fällen, sondern vielmehr in die Wunden so vieler menschlicher Tragödien hinein das Licht des Wortes Gottes zu tragen, das vom Zeugnis seines Erbarmens begleitet ist. Aus diesem Geiste heraus versucht die Familienpastoral, sich auch jener Situationen anzunehmen, in denen geschiedene Gläubige eine weitere Ehe eingegangen sind. Sie sind nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen: Sie sind ganz im Gegenteil dazu eingeladen, am Leben der Gemeinde teilzunehmen und einen Weg des geistlichen Wachstums im Geiste des Evangeliums einzuschlagen. Die Kirche verschweigt ihnen gegenüber jedoch nicht, dass sie sich objektiv in einem moralisch ungeordneten Zustand befinden, und ebenso wenig, dass hieraus Konsequenzen für den Sakramentenempfang entstehen. Dennoch möchte die Kirche ihnen ihre ganze mütterliche Nähe bekunden«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache zum Dritten Welttreffen der Familien anläßlich der Heiligjahrfeier der Familien (14. Oktober 2000), 6: Insegnamenti XXIII/2 (2000), 603.</ref>

94. Wenn es für den Dienst am Evangelium der Hoffnung unbedingt einer entsprechenden, vorrangigen Aufmerksamkeit für die Familie bedarf, so steht es ebenso außer Zweifel, dass die Familien selbst in bezug auf eben dieses Evangelium der Hoffnung eine unersetzliche Aufgabe zu erfüllen haben. Deshalb richte ich voll Vertrauen und Liebe an alle christlichen Familien, die in diesem Europa leben, erneut die Aufforderung: »Familien, werdet, was ihr seid!« . Ihr seid das lebende Abbild der Liebe Gottes: Ihr habt nämlich den »Auftrag, die Liebe zu hüten, zu offenbaren und mitzuteilen als lebendigen Widerschein und wirkliche Teilhabe an der Liebe Gottes zu den Menschen und an der Liebe Christi, unseres Herrn, zu seiner Braut, der Kirche«.<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), 17: AAS 74 (1982), 99-100.</ref>

Ihr seid das »Heiligtum des Lebens [...]: der Ort, an dem das Leben, Gabe Gottes, in angemessener Weise angenommen und gegen die vielfältigen Angriffe, denen es ausgesetzt ist, geschützt wird und wo es sich entsprechend den Forderungen eines echten menschlichen Wachstums entfalten kann«.<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 39: AAS 83 (1991), 842.</ref>

Ihr seid das Fundament der Gesellschaft, da ihr der erste Ort der »Humanisierung« der Person und des bürgerlichen Lebens seid,<ref>Vgl. Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici (30. Dezember 1988), 40: AAS 81 (1989), 469.</ref> ein Vorbild für die Errichtung in Liebe und Solidarität gelebter sozialer Beziehungen.

Seid also selber glaubwürdige Zeugen des Evangeliums der Hoffnung! Denn ihr seid »gaudium et spes«,<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache zum Ersten Welttreffen der Familien (8. Oktober 1994), 7: AAS 87 (1995), 587.</ref> Freude und Hoffnung.

Dem Evangelium des Lebens dienen

95. Die Überalterung und die zahlenmäßige Abnahme der Bevölkerung, die in verschiedenen Ländern Europas zu beobachten sind, müssen Anlaß zur Sorge geben; denn der Geburtenrückgang ist Symptom eines gestörten Verhältnisses zur eigenen Zukunft; er ist der deutliche Ausdruck eines Mangels an Hoffnung, Zeichen jener »Kultur des Todes« , die die heutige Gesellschaft durchzieht.<ref> Vgl. Propositio 32.</ref>

Zusammen mit dem Geburtenrückgang müssen noch andere Anzeichen erwähnt werden, die dazu beitragen, den Wert des Lebens zu verdunkeln und eine Art Verschwörung gegen das Leben zu entfesseln. Darunter ist betrüblicherweise vor allem die Verbreitung der Abtreibung zu zählen, auch unter Anwendung chemisch-pharmakologischer Präparate, die sie ohne Zutun eines Arztes möglich machen und so jeder Form sozialer Verantwortlichkeit entziehen. Begünstigt wird das durch die in der Rechtsordnung vieler Staaten des Kontinents vorhandene Gesetzgebung, welche eine Handlung zulässt, die ein »verabscheuungswürdiges Verbrechen«<ref>II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 51.</ref> ist und eine schwere sittliche Störung darstellt. Nicht vergessen werden dürfen auch die gegen das Leben verübten Anschläge durch »Eingriffe auf menschliche Embryonen, die unweigerlich mit der Tötung des Embryos verbunden sind, auch wenn sie Zwecken dienen, die an sich erlaubt sind« , oder durch eine unkorrekte Anwendung der Verfahren vorgeburtlicher Diagnose, die nicht eine mitunter mögliche frühzeitige Therapie zum Ziel haben, sondern »in den Dienst einer Eugenetik-Mentalität gestellt werden, die die selektive Abtreibung in Kauf nimmt«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), 63: AAS 87 (1995), 473.</ref>

Des weiteren muss eine Tendenz erwähnt werden, die in einigen Teilen Europas festzustellen ist, nämlich die Annahme, es könne erlaubt sein, dem eigenen Leben oder dem eines anderen Menschen bewusst ein Ende zu setzen: Das führt zur Verbreitung der versteckten oder offen praktizierten Euthanasie, deren Legalisierung wiederholt gefordert und in einigen traurigen Fällen bereits vollzogen wurde.

96. Unter diesen Umständen ist es notwendig, »dem Evangelium des Lebens« auch durch »eine allgemeine Mobilisierung der Gewissen und eine gemeinsame sittliche Anstrengung« zu dienen, »um eine große Strategie zugunsten des Lebens in die Tat umzusetzen. Wir müssen alle zusammen eine neue Kultur des Lebens aufbauen«.<ref> Ebd., 95, a.a.O., 509.</ref> Das ist eine große Herausforderung, der man mit Verantwortung und mit der Gewissheit begegnen muss, dass »die Zukunft der europäischen Kultur großenteils von der entschiedenen Verteidigung und Förderung der Werte des Lebens, dem Kern ihres Kulturerbes, abhängt«.<ref> Johannes Paul II., Ansprache an den neuen Botschafter Norwegens beim Hl. Stuhl (25. März 1995): Insegnamenti XVIII/1 (1995), 857. </ref> Es geht in der Tat darum, Europa seine wahre Würde zurückzugeben, nämlich ein Ort zu sein, wo jede Person in ihrer unvergleichlichen Würde bestätigt wird.

Ich mache mir gern die folgenden Worte der Synodenväter zu eigen: »Die Synode der europäischen Bischöfe regt die christlichen Gemeinden dazu an, sich zu Glaubensboten des Lebens zu machen. Sie ermutigt die christlichen Ehepaare und Familien, sich gegenseitig zu unterstützen in der Treue zu ihrer Sendung als Mitarbeiter Gottes bei der Zeugung und Erziehung neuer Geschöpfe. Sie schätzt jeden großherzigen Versuch, auf den von falschen Sicherheits- und Glücksmodellen genährten Egoismus im Bereich der Weitergabe des Lebens zu reagieren. Sie ersucht die Staaten Europas und die Europäische Union, weitblickende politische Maßnahmen zur Förderung der konkreten Wohn- und Arbeitsbedingungen und der sozialen Dienste zu ergreifen, die geeignet sind, die Gründung der Familie und die Antwort auf die Berufung zur Elternschaft zu begünstigen, und darüber hinaus dem heutigen Europa die kostbarste Ressource sicherstellen: die Europäer von morgen«.<ref> Propositio 32.</ref>

Eine menschenwürdige Stadt erbauen

97. Die tätige Liebe verpflichtet uns, das Kommen des Reiches Gottes zu beschleunigen. Deshalb arbeitet sie an der Förderung der echten Werte mit, die einer menschenwürdigen Kultur zugrunde liegen. Denn wie das Zweite Vatikanische Konzil ausführt, »müssen die Christen auf der Pilgerschaft zur himmlischen Vaterstadt suchen und sinnen, was oben ist; dadurch wird jedoch die Bedeutung ihrer Aufgabe, zusammen mit allen Menschen am Aufbau einer menschlicheren Welt mitzuarbeiten, nicht vermindert, sondern gemehrt«.<ref>Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 57.</ref> Weit davon entfernt, von der Geschichte zu entfremden, steigert die Erwartung des neuen Himmels und der neuen Erde die Sorge um die gegenwärtige Wirklichkeit, wo schon jetzt das Neue heranwächst, das Keim und Gestalt der Welt ist, die kommen wird.

Von diesen Glaubensgewissheiten beseelt, wollen wir uns um den Aufbau einer menschenwürdigen Stadt bemühen. Auch wenn es nicht möglich ist, in der Geschichte eine vollkommene Gesellschafts- und Sozialordnung aufzubauen, wissen wir doch, dass jede ehrliche Anstrengung für die Errichtung einer besseren Welt vom Segen Gottes begleitet ist und dass jeder Same von Gerechtigkeit und Liebe, der in der Zeit ausgesät wurde, in alle Ewigkeit erblüht.

98. Beim Aufbau der menschenwürdigen Stadt muss der Soziallehre der Kirche eine inspirierende Rolle zuerkannt werden. Durch sie nämlich stellt die Kirche dem europäischen Kontinent die Frage nach der moralischen Qualität seiner Kultur. Sie hat ihren Ursprung in der Begegnung zwischen der biblischen Botschaft mit der Vernunft auf der einen und den das Leben des Menschen und der Gesellschaft betreffenden Problemen und Situationen auf der anderen Seite. Durch die Gesamtheit der von ihr gebotenen Prinzipien trägt diese Lehre dazu bei, solide Grundlagen für ein menschengerechtes Zusammenleben in Gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit und Solidarität zu legen. Ausgerichtet auf die Verteidigung und Förderung der Würde der menschlichen Person – Grundlage nicht nur des wirtschaftlichen und politischen Lebens, sondern auch der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens – erweist sich die Soziallehre als fähig, die tragenden Säulen der Zukunft des Kontinents abzustützen.<ref> Vgl. Propositio 28; Erste Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlusserklärung (13. Oktober 1991), 10: Ench. Vat. 13, Nr. 659-669.</ref> In dieser Lehre finden sich die Anhaltspunkte, um die moralische Struktur der Freiheit verteidigen zu können und so die europäische Kultur und Gesellschaft sowohl vor der totalitären Utopie der »Gerechtigkeit ohne Freiheit« als auch vor der Utopie der »Freiheit ohne Wahrheit« , die mit einem falschen »Toleranz« -Begriff einhergeht, zu bewahren; beide Utopien sind Vorboten von Irrtum und Schrecken für die Menschheit, wie die jüngste Geschichte Europas selbst leider beweist.<ref> Vgl. Propositio 23.</ref>

99. Die Soziallehre der Kirche ist durch ihre innere Verbindung mit der Würde der Person so beschaffen, dass sie auch von denen verstanden wird, die nicht der Gemeinschaft der Gläubigen angehören. Es ist also dringend notwendig, die Kenntnis von ihr und ihr Studium zu verbreiten und so die auch unter den Christen herrschende Unwissenheit über sie zu überwinden. Das verlangt das im Aufbau befindliche neue Europa, das nach diesen Werten erzogene Menschen braucht, die bereit sind, sich für die Verwirklichung des Gemeinwohls einzusetzen. Dazu ist die Präsenz christlicher Laien erforderlich, die in den verschiedenen Verantwortungsbereichen des zivilen Lebens, der Wirtschaft, der Kultur, des Gesundheitswesens, der Erziehung und der Politik so wirken sollen, dass sie dort die Werte des Reiches Gottes einfließen lassen können.<ref> Vgl. Propositio 28.</ref>

Für eine Kultur der Aufnahme

100. Zu den Herausforderungen, die sich heute dem Dienst am Evangelium der Hoffnung stellen, zählt auch das wachsende Phänomen der Zuwanderungen, das von der Kirche die Fähigkeit verlangt, jede Person, welchem Volk oder welcher Nation sie auch angehört, aufzunehmen. Es spornt auch die gesamte europäische Gesellschaft und ihre Institutionen zur Suche nach einer gerechten Ordnung und nach Weisen des Zusammenlebens an, die alle respektieren, sowie nach der Legalität in einem Prozess möglicher Integration.

In Anbetracht des Zustandes von Elend, Unterentwicklung oder auch unzureichender Freiheit, der leider noch immer in verschiedenen Ländern herrscht und viele zum Verlassen ihres Landes treibt, bedarf es eines mutigen Einsatzes von seiten aller für die Verwirklichung einer gerechteren internationalen Wirtschaftsordnung, die in der Lage ist, die wirkliche Entwicklung aller Völker und aller Länder zu fördern.

101. Angesichts des Migrationsphänomens steht für Europa die Fähigkeit auf dem Spiel, Formen einer intelligenten Aufnahme und Gastfreundschaft Raum zu geben. Die »universalistische« Sicht des Gemeinwohls fordert das: Man muss den Blick weiten, um die Bedürfnisse der ganzen Menschheitsfamilie im Auge zu haben. Das Phänomen der Globalisierung fordert Öffnung und Teilen, wenn es nicht Wurzel von Ausschließung und Ausgrenzung sein soll, sondern vielmehr von solidarischer Teilnahme aller an der Produktion und am Austausch der Güter.

Jeder muss sich um das Wachstum einer reifen Kultur der Aufnahme bemühen, die der gleichen Würde aller Menschen und der pflichtgemäßen Solidarität gegenüber den Schwächsten Rechnung trägt und deshalb erfordert, dass jedem Einwanderer die Grundrechte zuerkannt werden. In der Verantwortung der öffentlichen Behörden liegt es, die Kontrolle der Zuwanderungsströme unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls durchzuführen. Die Aufnahme muss immer unter Einhaltung der Gesetze erfolgen und daher, wenn nötig, mit der Ausschaltung von Mißbräuchen einhergehen.

102. Es ist ebenfalls notwendig, sich für die Erarbeitung möglicher Formen einer echten Integration der gesetzlich aufgenommenen Zuwanderer in das Gesellschafts- und Kulturgefüge der verschiedenen europäischen Nationen einzusetzen. Die Integration erfordert, dass man nicht der Gleichgültigkeit gegenüber den universalen menschlichen Werten verfallen darf und dass das besondere kulturelle Erbe jeder Nation bewahrt werden muss. Ein friedliches Zusammenleben und ein Austausch der jeweiligen inneren Reichtümer wird den Aufbau eines Europa möglich machen, das gemeinsames Haus zu sein versteht, in das jeder aufgenommen werden kann, in dem keiner diskriminiert wird und alle als Mitglieder einer einzigen großen Familie behandelt werden und verantwortungsvoll leben.

103. Die Kirche ihrerseits ist aufgerufen, »ihren Einsatz zur Schaffung und weiteren Verbesserung ihrer Aufnahme- und pastoralen Betreuungsdienste für die Zuwanderer und Flüchtlinge fortzusetzen«,<ref> Propositio 34.</ref> um zu erreichen, dass ihre Würde und Freiheit respektiert und ihre Integration gefördert wird.

Eine besondere pastorale Sorge muss der Integration der katholischen Zuwanderer gelten, wobei ihrer Kultur und der Ursprünglichkeit ihrer religiösen Tradition entsprechende Achtung entgegengebracht werden soll. Zu diesem Zweck sind Kontakte zwischen den Herkunftskirchen der Zuwanderer und den Kirchen der Aufnahmeländer zu fördern, um Hilfsmaßnahmen zu erarbeiten, die unter den Zuwanderern auch die Anwesenheit von aus ihren Ländern stammenden Priestern, Ordensleuten und entsprechend ausgebildeten Seelsorghelfern vorsehen.

Der Dienst am Evangelium verlangt außerdem, dass die Kirche zur Verteidigung der Anliegen der Unterdrückten und Ausgeschlossenen die politischen Autoritäten der verschiedenen Staaten und die Verantwortlichen der europäischen Institutionen auffordert, den Flüchtlingsstatus für alle anzuerkennen, die aufgrund der Gefahr für ihr Leben aus ihrem Herkunftsland geflohen sind, wie auch ihre Rückkehr in ihre Länder zu unterstützen und außerdem Bedingungen zu schaffen, damit die Würde aller Zuwanderer geachtet und ihre Grundrechte verteidigt werden.<ref> Vgl. Kongregation für die Bischöfe, Instruktion Nemo est (22. August 1969), 16: AAS 61 (1969), 621-622; Kodex des kanonischen Rechtes, can. 294 und 518; Gesetzbuch der katholischen Ostkirchen, can. 280 § 1. </ref>

III. Entschließen wir uns zur Liebe!

104. Der von den Synodenvätern an alle Christen des europäischen Kontinents gerichtete Aufruf, die tätige Liebe zu leben,<ref> Vgl. Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, 5: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 6.</ref> stellt die gelungene Synthese eines wirklichen Dienstes am Evangelium der Hoffnung dar. Jetzt lege ich ihn dir, Kirche Christi in Europa, wieder vor. Die Freuden und Hoffnungen, die Betrübnisse und die Ängste der heutigen Europäer, vor allem der Armen und der Leidenden, seien auch deine Freuden und Hoffnungen, deine Betrübnisse und Ängste, und alles, was wirklich menschlich ist, finde Widerhall in deinem Herzen. Blicke auf Europa und auf seinen Weg mit der Sympathie dessen, der jedes positive Element schätzt, aber zugleich die Augen nicht vor dem verschließt, was mit dem Evangelium unvereinbar ist, und es nachdrücklich anklagt.

105. Kirche in Europa, empfange jeden Tag mit neuer Frische die Gabe der Liebe, die dein Herr dir anbietet und zu der er dich befähigt. Lerne von ihm die Inhalte und das Ausmaß der Liebe. Und sei Kirche der Seligpreisungen, die ständig Christus gleichgestaltet wird (vgl. Mt 5, 1-12).

Frei von Hindernissen und Abhängigkeiten, sei arm und Freundin der Armen, aufnahmebereit gegenüber jedem Menschen und achte auf jede alte oder neue Form von Armut. Ständig gereinigt durch die Güte des Vaters, erkenne in der Haltung Jesu, der stets die Wahrheit verteidigt hat, sich aber gleichzeitig den Sündern gegenüber barmherzig erwies, die höchste Norm deines Handelns.

In Jesus, bei dessen Geburt der Friede verkündet wurde (vgl. Lk 2, 14), in ihm, der durch seinen Tod jede Feindschaft niedergerissen (vgl. Eph 2, 14) und den wahren Frieden gegeben hat (vgl. Joh 14, 27), sei Friedensstifter, indem du deine Söhne und Töchter aufforderst, ihr Herz von jeder Feindseligkeit, jedem Egoismus und jeder Parteilichkeit reinigen zu lassen, und indem du unter allen Umständen den Dialog und die gegenseitige Achtung förderst.

Werde in Jesus, der Gerechtigkeit Gottes, nie müde, jegliche Form von Ungerechtigkeit anzuklagen. Während du in der Welt mit den Werten des kommenden Reiches lebst, sollst du Kirche der Liebe sein, sollst du deinen unentbehrlichen Beitrag leisten, um in Europa eine immer menschenwürdigere Gesellschaft aufzubauen.

VI. KAPITEL: DAS EVANGELIUM DER HOFFNUNG FÜR EIN NEUES EUROPA

»Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen« (Offb 21, 2)

Die Neuheit Gottes in der Geschichte

106. Das Evangelium der Hoffnung, das in der Geheimen Offenbarung nachklingt, öffnet das Herz der kontemplativen Betrachtung der von Gott vollbrachten Neuheit: »Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind untergegangen, auch das Meer ist nicht mehr« (Offb 21, 1). Gott selbst verkündet dies mit einem Wort, das die eben beschriebene Vision zu erklären vermag: »Seht, ich mache alles neu!« (Offb 21, 5).

Die Neuheit Gottes – voll begreiflich vor dem Hintergrund der alten, aus Tränen, Trauer, Klage, Mühsal und Tod bereiteten Dinge (vgl. Offb 21, 4) – besteht im Heraustreten aus dem Zustand der Sünde und ihren Konsequenzen, in dem sich die Menschheit befindet; sie ist der neue Himmel und die neue Erde, das neue Jerusalem, im Gegensatz zu einem alten Himmel und einer alten Erde, zu einer veralteten Ordnung der Dinge und zu einem uralten, von Rivalitäten geplagten Jerusalem.

Für die Errichtung der Stadt des Menschen ist das Bild vom neuen Jerusalem, das »vom Himmel, von Gott her herabkommt, bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat« (Offb 21, 2), und das sich direkt auf das Geheimnis der Kirche bezieht, nicht gleichgültig. Es ist ein Bild, das von einer eschatologischen Wirklichkeit spricht: Es geht über all das hinaus, was der Mensch zu tun vermag; es ist ein Geschenk Gottes, das sich in der Endzeit erfüllen wird. Aber es ist keine Utopie: Es ist schon gegenwärtige Wirklichkeit. Das zeigt das von Gott im Präsens gebrauchte Verb an – »Seht, ich mache alles neu« (Offb 21, 5) –, mit einer weiteren Präzisierung: »Sie [nämlich diese Worte] sind in Erfüllung gegangen!« (Offb 21, 6). Denn Gott ist bereits dabei, die Welt zu erneuern; das Pascha Jesu ist bereits die Neuheit Gottes. Sie lässt die Kirche entstehen, beseelt deren Existenz, erneuert und gestaltet die Geschichte um.

107. Diese Neuheit beginnt vor allem in der christlichen Gemeinde Gestalt anzunehmen, die schon jetzt »Wohnung Gottes unter den Menschen ist« (vgl. Offb 21, 3), in deren Schoß Gott schon am Werk ist und das Leben derer erneuert, die sich dem Wehen des Geistes unterwerfen. Die Kirche ist für die Welt Zeichen und Werkzeug des Reiches, das sich vor allem in den Herzen verwirklicht. Ein Widerschein dieser Neuheit zeigt sich auch in jeder Form menschlichen Zusammenlebens, die vom Evangelium beseelt ist. Es handelt sich um eine Neuheit, welche die Gesellschaft in jedem Augenblick der Geschichte und an jedem Ort der Erde anfragt, besonders die europäische Gesellschaft, die seit so vielen Jahrhunderten das Evangelium von dem von Jesus eröffneten Reich hört.

I. Die geistliche Berufung Europas

Europa, Vorreiter zur Förderung der universalen Werte

108. Die Geschichte des europäischen Kontinents ist vom belebenden Einfluß des Evangeliums geprägt. »Wenn wir den Blick auf die vergangenen Jahrhunderte richten, können wir nicht umhin, dem Herrn dafür zu danken, dass das Christentum auf unserem Kontinent ein erstrangiger Faktor der Einheit unter den Völkern und den Kulturen und der integralen Förderung des Menschen und seiner Rechte gewesen ist«.<ref>Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zum Abschluss der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (23. Oktober 1999), 5: AAS 92 (2000), 179.</ref>

Gewiß steht außer Zweifel, dass der christliche Glaube tiefgreifend und maßgebend zu den Fundamenten der europäischen Kultur gehört. Das Christentum hat in der Tat Europa dadurch Gestalt gegeben, dass es ihm einige grundlegende Werte einprägte. Selbst die europäische Moderne, die der Welt das demokratische Ideal und die Menschenrechte gegeben hat, schöpft die eigenen Werte aus seinem christlichen Erbe. Eher denn als ein geographischer Raum lässt sich Europa als »ein vorwiegend kultureller und historischer Begriff« bestimmen, »der eine Realität kennzeichnet, die als Kontinent auch dank der einigenden Kraft des Christentums entstanden ist, das es verstanden hat, unterschiedliche Völker und Kulturen in gegenseitiger Ergänzung zusammenzuführen, und das eng mit der gesamten europäischen Kultur verbunden ist«.<ref>Propositio 39.</ref>

Das heutige Europa scheint allerdings gerade zu dem Zeitpunkt, an dem es seine wirtschaftliche und politische Union festigt und erweitert, unter einer tiefen Wertekrise zu leiden. Obwohl es über erhöhte Mittel verfügt, macht es den Eindruck, als fehle es ihm an Schwung, um ein gemeinsames Projekt zu nähren und seinen Bürgern wieder Anlaß zur Hoffnung zu geben.

Das neue Gesicht Europas

109. Im Prozess seiner derzeitigen Neugestaltung ist Europa vor allem aufgerufen, seine wahre Identität wiederzuerlangen. Es muss nämlich, auch wenn es inzwischen eine sehr vielgestaltige Wirklichkeit darstellt, ein neues Modell der Einheit in der Vielfalt aufbauen, eine für die anderen Kontinente offene und in den aktuellen Globalisierungsprozess einbezogene Gemeinschaft versöhnter Nationen.

Um der eigenen Geschichte neuen Schwung zu verleihen, muss es »mit schöpferischer Treue jene grundlegenden Werte anerkennen und zurückgewinnen, zu deren Aneignung das Christentum einen entscheidenden Beitrag geleistet hat und die sich in der Bejahung der transzendenten Würde der menschlichen Person, des Wertes der Vernunft, der Freiheit, der Demokratie, des Rechtsstaates und der Unterscheidung zwischen Politik und Religion zusammenfassen lassen«.<ref>Ebd.</ref>

110. Die Europäische Union setzt ihre Erweiterung fort. Daran über kurz oder lang teilzunehmen, sind alle Völker berufen, die dasselbe grundlegende Erbe teilen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Ausweitung in einer allen gegenüber respektvollen Weise erfolgt: nicht nur durch eine ausgereiftere Durchführung des Subsidiaritäts- und des Solidaritätsprinzips, sondern auch durch die Erschließung und Aufwertung der historischen und kulturellen Eigenarten, der nationalen Identitäten und des Reichtums der Beiträge, die von den neuen Mitgliedern kommen können.<ref> Vgl. ebd.; Propositio 28.</ref> Im Integrationsprozess des Kontinents ist es von grundlegender Bedeutung zu berücksichtigen, dass die Union keinen festen Bestand haben wird, wenn sie nur auf geographische und ökonomische Dimensionen beschränkt bliebe; vielmehr muss sie vor allem in einer Übereinstimmung der Werte bestehen, die im Recht und im Leben ihren Ausdruck finden.

 ====Solidarität und Frieden in der Welt fördern====

111. Wenn man ,,Europa sagt, soll das ,,Öffnung heißen. Trotz gegenteiliger Erfahrungen und Anzeichen, an denen es wahrlich nicht gefehlt hat, ist es die Geschichte Europas selbst, die dies einfordert: »Europa ist in Wirklichkeit kein geschlossenes oder isoliertes Territorium; es hat sich dadurch aufgebaut, dass es über die Meere hinweg auf andere Völker, andere Kulturen, andere Zivilisationen zugegangen ist«.<ref> Johannes Paul II., Brief an Kardinal Miloslav Vlk, Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (16. Oktober 2000), 7: Insegnamenti XXIII/2 (2000), 628.</ref> Daher muss es ein offener und gastfreundlicher Kontinent sein, der in der aktuellen Globalisierung weiterhin Formen nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch sozialer und kultureller Zusammenarbeit umsetzt. Es gibt eine Forderung, auf die der Kontinent positiv antworten muss, damit sein Gesicht tatsächlich neu ist: »Europa kann sich nicht auf sich selbst zurückziehen. Es kann und darf nicht völliges Desinteresse für den Rest der Welt zeigen, es muss sich im Gegenteil der Tatsache voll bewusst sein, dass sich andere Länder oder andere Kontinente von ihm mutige Initiativen erwarten, um den ärmsten Völkern die Mittel für ihre Entwicklung und ihre soziale Organisation anzubieten und eine gerechtere und brüderlichere Welt aufzubauen«.<ref>Ebd.</ref> Die angemessene Ausführung dieses Auftrags verlangt »ein Überdenken der internationalen Zusammenarbeit im Sinne einer neuen Kultur der Solidarität. Als Same des Friedens verstanden, darf sich die Zusammenarbeit nicht auf Hilfe und Beistand beschränken und dabei gar noch auf Vorteile abzielen, die auf die zur Verfügung gestellten Finanzmittel zurückfließen. Statt dessen muss sie ein konkretes und greifbares Bemühen um Solidarität zum Ausdruck bringen, das die Armen zu Vorkämpfern ihrer eigenen Entwicklung macht und es möglichst vielen Personen erlaubt, in den konkreten wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen, in denen sie leben, die Kreativität zu entfalten, die ein typisches Merkmal der menschlichen Person ist und von der auch der Reichtum der Nationen abhängt«.<ref> Johannes Paul II., Botschaft zum Weltfriedenstag 2000 (8. Dezember 1999), 17: AAS 92 (2000), 367-368.</ref>

112. Überdies muss Europa bei der Förderung und Verwirklichung einer Globalisierung ,,in der Solidarität eine aktive Rolle spielen. Mit dieser muss, als ihre Voraussetzung, eine Art Globalisierung ,,der Solidarität und der mit ihr zusammenhängenden Werte der Unparteilichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit einhergehen, in der festen Überzeugung, dass der Markt verlangt, »dass er von den sozialen Kräften und vom Staat in angemessener Weise kontrolliert werde, um die Befriedigung der Grundbedürfnisse der gesamten Gesellschaft zu gewährleisten«.<ref>Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 35: AAS 83 (1991), 837.</ref>

Das Europa, das uns von der Geschichte übergeben wurde, hat – vor allem im letzten Jahrhundert – erlebt, dass sich totalitäre Ideologien und übersteigerte Nationalismen durchsetzten, die, während sie die Hoffnung der Menschen und Völker des Kontinents verdunkelten, Konflikte im Innern der Nationen und zwischen den Nationen selbst schürten, bis hin zu der ungeheuren Tragödie zweier Weltkriege.<ref>Vgl. Propositio 39.</ref> Auch die ethnischen Kämpfe der jüngsten Zeit, die den europäischen Kontinent aufs neue mit Blut befleckten, haben allen deutlich gemacht, wie zerbrechlich der Friede ist, wie sehr er des tätigen Einsatzes aller bedarf und dass er nur durch das Erschließen neuer Perspektiven des Austausches, der Vergebung und der Versöhnung zwischen den Personen, den Völkern und den Nationen gewährleistet werden kann.

Angesichts dieses Standes der Dinge muss sich Europa mit allen seinen Bewohnern unermüdlich dafür einsetzen, innerhalb seiner Grenzen und in der ganzen Welt Frieden herzustellen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, »dass einerseits die nationalen Unterschiede als Fundament der europäischen Solidarität beibehalten und gepflegt werden müssen und andererseits die nationale Identität selbst nur durch die Öffnung zu anderen Völkern und durch die Solidarität mit ihnen verwirklicht werden kann«.<ref>Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Instrumentum laboris, Nr. 85: L'Osservatore Romano, 6. August 1999, Suppl., S. 17. Vgl. Propositio 39.</ref>

II. Der Aufbau Europas

Die Rolle der europäischen Institutionen

113. Auf dem Weg, das neue Gesicht Europas zu zeichnen, ist in vielerlei Hinsicht die Rolle der internationalen Institutionen, die an die europäische Region gebunden und hauptsächlich in ihr tätig sind, von maßgebender Bedeutung. Sie haben dazu beigetragen, den geschichtlichen Lauf der Ereignisse zu prägen, ohne sich in militärische Operationen verwickeln zu lassen. Diesbezüglich möchte ich vor allem die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erwähnen, die – auch durch den Schutz und die Förderung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten – für die Erhaltung des Friedens und der Stabilität sowie auch für eine Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft und Umweltschutz arbeitet.

Sodann existiert der Europarat, dem die Staaten angehören, die die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 und die Europäische Sozialcharta von 1961 unterzeichnet haben. Ihm angeschlossen ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Angestrebtes Ziel dieser beiden Institutionen ist es, durch die politische, soziale, rechtliche und kulturelle Zusammenarbeit sowie auch durch die Förderung der Menschenrechte und der Demokratie ein Europa der Freiheit und der Solidarität zu verwirklichen. Schließlich stellt die Europäische Union mit ihrem Parlament, dem Ministerrat und der Kommission ein Integrationsmodell auf, das durch die Aussicht, eines Tages ein gemeinsames Grundgesetz zu verabschieden, an Vollkommenheit gewinnt. Diese Institution hat die Verwirklichung einer größeren politischen, wirtschaftlichen und Währungseinheit zum Ziel, sowohl unter den derzeitigen Mitgliedsstaaten als auch mit jenen, die in Kürze beitreten sollen. In ihrer Verschiedenheit und unter der Voraussetzung ihrer jeweils spezifischen Identität fördern die genannten Institutionen die Einheit des Kontinents und stehen, in noch tieferem Sinne, im Dienst des Menschen.<ref> Vgl. Johannes Paul II., Ansprache an das Präsidium des Europaparlamentes (5. April 1979): Insegnamenti, II/1 (1979), 796-799.</ref>

114. Zusammen mit den Synodenvätern<ref> Vgl. Propositio 37.</ref> bitte ich diese europäischen Institutionen und die einzelnen Staaten Europas anzuerkennen, dass eine gute Gesellschaftsordnung in authentischen sittlichen und bürgerlichen Werten verwurzelt sein muss, die soweit wie möglich von den Bürgern geteilt werden. Dabei ist zu beachten, dass diese Werte an erster Stelle Bestand der verschiedenen gesellschaftlichen Körperschaften sind. Wichtig ist, dass die Institutionen und die einzelnen Staaten anerkennen, dass zu diesen gesellschaftlichen Körperschaften auch die Kirchen und die kirchlichen Gemeinschaften sowie die anderen religiösen Organisationen gehören. Wenn diese bereits vor der Gründung der europäischen Nationen bestehen, lassen sie sich mit um so größerem Recht nicht auf reine Privateinrichtungen reduzieren; sie wirken vielmehr mit einer besonderen institutionellen Substanz, die ernstgenommen zu werden verdient. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben müssen die verschiedenen staatlichen und europäischen Institutionen in dem Bewusstsein handeln, dass ihre Rechtsordnungen die Demokratie dann voll respektieren werden, wenn sie Formen eines »gesunden Zusammenwirkens«<ref> Vgl.II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 76.</ref> mit den Kirchen und den religiösen Organisationen vorsehen.

Im Lichte dessen, was ich eben unterstrichen habe, möchte ich mich noch einmal an die Begründer der künftigen europäischen Verfassung wenden, auf dass darin ein Bezug auf das religiöse und insbesondere auf das christliche Erbe Europas deutlich werde. In völliger Respektierung der Unabhängigkeit der staatlichen Institutionen von der Kirche wünsche ich mir vor allem, dass drei ergänzende Elemente Anerkennung finden: das Recht der Kirchen und der religiösen Gemeinschaften, sich frei und entsprechend ihrer eigenen Statuten und Überzeugungen zu organisieren; die Berücksichtigung der spezifischen Identität der Glaubensgemeinschaften und Maßnahmen zur Einrichtung eines strukturierten Dialogs zwischen der Europäischen Union und eben diesen Glaubensgemeinschaften; die Achtung des rechtlichen Status, den die Kirchen und religiösen Institutionen schon jetzt in den Mitgliedsstaaten genießen.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache beim Neujahrsempfang des Diplomatischen Korps (13. Januar 2003), 5: L'Osservatore Romano, 13./14. Januar 2003, S. 6.</ref>

115. Erklärtes Ziel der europäischen Institutionen ist der Schutz der Rechte der menschlichen Person. In dieser Aufgabe tragen sie zum Aufbau eines Europas der Werte und des Rechtes bei. Die Synodenväter haben sich mit folgenden Worten an die europäischen Verantwortlichen gewandt: »Erhebt eure Stimme, wenn die Menschenrechte Einzelner, von Minderheiten und von Völkern verletzt werden, nicht zuletzt auch das Recht auf Religionsfreiheit; schenkt allen Fragen, die das menschliche Leben betreffen, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, und der Familie, die in der Ehe begründet liegt, größte Aufmerksamkeit: Das sind die Fundamente, auf denen das gemeinsame europäische Haus ruht; [...] befasst euch nach Maßgabe von Gerechtigkeit und Unparteilichkeit und im Geiste einer großen Solidarität mit dem wachsenden Phänomen der Migration, damit sie eine neue Quelle für die europäische Zukunft werde; unternehmt jede nötige Anstrengung, damit den jungen Menschen durch die Arbeit, die Kultur und durch die Erziehung zu den moralischen und geistlichen Werten eine wirklich menschenwürdige Zukunft gesichert wird«.<ref>Zweite Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlussbotschaft, 6: L'Osservatore Romano, 23. Oktober 1999, S. 5. </ref>

Die Kirche für das neue Europa

116. Europa braucht eine religiöse Dimension. Um "neu zu sein, muss es sich analog zu dem, was für die "neue Stadt in der Geheimen Offenbarung gesagt wird (vgl. 21, 2), vom Handeln Gottes erreichen lassen. Die Hoffnung, eine gerechtere und menschenwürdigere Welt zu bauen, kann nämlich nicht von der Erkenntnis absehen, dass die menschlichen Anstrengungen vergebens wären, wenn sie nicht von der göttlichen Hilfe begleitet würden, denn »wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut« (Ps 127, 1). Damit Europa auf soliden Grundlagen erbaut werden kann, ist es notwendig, sich auf die echten Werte zu stützen, die ihr Fundament in dem allgemeinen Sittengesetz haben, das in das Herz jedes Menschen eingeschrieben ist. »Die Christen können sich nicht nur mit allen Menschen guten Willens zusammenschließen, um für die Errichtung dieses großen Bauwerkes zu arbeiten, sondern sie sind eingeladen, gewissermaßen dessen Seele zu sein, indem sie auf die wahre Bedeutung der Organisation der irdischen Stadt hinweisen«.<ref> Johannes Paul II., Brief an Kardinal Miloslav Vlk, Präsident des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (16. Oktober 2000), 4: Insegnamenti XXIII/2 (2000), 626.</ref>

Die katholische Kirche kann als die eine und allgemeine – wenngleich in der Vielfalt ihrer Teilkirchen gegenwärtige – Kirche einen einzigartigen Beitrag zum Aufbau eines der Welt gegenüber offenen Europa leisten. Von der Katholischen Kirche stammt nämlich ein Modell wesenhafter Einheit in der Verschiedenheit der kulturellen Ausdrucksformen, das Bewusstsein der Zugehörigkeit zu einer weltweiten Gemeinschaft, die in den Ortsgemeinden wurzelt, ohne sich jedoch in ihnen zu erschöpfen, also der Sinn für das Einende, das über das Unterscheidende hinausgeht.<ref> Vgl. Erste Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, Schlusserklärung (13. Oktober 1991), 10: Ench. Vat. 13, Nr. 669.</ref>

117. In den Beziehungen zu den Staaten fordert die Kirche keine Rückkehr zu Formen eines Bekenntnisstaates. Gleichzeitig bedauert sie jede Art von ideologischem Laizismus oder feindseliger Trennung zwischen den staatlichen Institutionen und den Glaubensgemeinschaften.

In der Logik der gesunden Zusammenarbeit zwischen kirchlicher Gemeinschaft und politischer Gesellschaft ist die Katholische Kirche ihrerseits davon überzeugt, ein einzigartiges Element zur Perspektive der Einigung beisteuern zu können, wenn sie in Kontinuität mit ihrer Tradition und in Übereinstimmung mit den Weisungen ihrer Soziallehre den europäischen Institutionen den Beitrag gläubiger Gemeinden anbietet, die versuchen, die Verpflichtung zur Humanisierung der Gesellschaft von dem im Zeichen der Hoffnung gelebten Evangelium her zu realisieren. Aus dieser Sicht ist eine Präsenz entsprechend ausgebildeter und kompetenter Christen in den verschiedenen europäischen Instanzen und Institutionen notwendig, um unter Respektierung der korrekten demokratischen Dynamismen und durch den Vergleich der Vorschläge ein europäisches Zusammenleben zu umreißen, das jeden Mann und jede Frau immer mehr respektiert und somit dem Gemeinwohl entspricht.

118. Europa, das dabei ist, sich als ,,Union aufzubauen, drängt auch die Christen zur Einheit, damit sie wahre Zeugen der Hoffnung seien. In diesem Rahmen muss jener Austausch der Gaben, der im letzten Jahrzehnt bedeutende Ausdrucksformen gefunden hat, fortgesetzt und weiter entwickelt werden. Der zwischen Gemeinden mit verschiedener Geschichte und verschiedenen Traditionen verwirklichte Austausch führt zur Knüpfung dauerhafterer Bande zwischen den Kirchen in den verschiedenen Ländern und zu ihrer gegenseitigen Bereicherung durch Begegnungen, vergleichende Gegenüberstellungen und wechselseitige Hilfe. Im besonderen muss der Beitrag geschätzt werden, den die katholischen Ostkirchen aus ihrer kulturellen und spirituellen Tradition heraus anzubieten haben.<ref> Vgl. Propositio 22.</ref>

Eine wichtige Rolle für das Wachstum dieser Einheit können auch kontinentale kirchliche Verbände und Zusammenschlüsse spielen, die auf stärkere Förderung warten.<ref>Vgl. ebd.</ref> Unter ihnen gebührt ein bedeutender Platz dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen, der auf der Ebene des ganzen Kontinentes die Aufgabe hat, »eine immer intensivere Gemeinschaft zwischen den Diözesen und den nationalen Bischofskonferenzen aufzubauen, ferner die ökumenische Zusammenarbeit unter den Christen und die Überwindung der Hindernisse zu fördern, die die Zukunft des Friedens und des Fortschritts der Völker bedrohen, schließlich die affektive und effektive Kollegialität und die hierarchische ,,communio zu verstärken«.<ref>Johannes Paul II., Ansprache an den Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) (16. April 1993), 5: AAS 86 (1994), 229.</ref> Mit ihm muss auch der Dienst der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft anerkennend genannt werden, die den Konsolidierungs- und Erweiterungsprozess der Europäischen Union verfolgt, den Informationsaustausch fördert und die pastoralen Initiativen der beteiligten europäischen Kirchen koordiniert.

119. Die Stärkung der Union im Schoße des europäischen Kontinents spornt die Christen dazu an, beim Integrations- und Versöhnungsprozess durch einen theologischen, spirituellen, ethischen und sozialen Dialog mitzuwirken.<ref>Vgl. Propositio 39d.</ref> In der Tat, »können wir es etwa zulassen, dass in dem Europa, das sich auf dem Weg zur politischen Einheit befindet, gerade die Kirche Christi ein Faktor der Entzweiung und Uneinigkeit ist? Wäre das nicht einer der größten Skandale unserer Zeit?«.<ref>Johannes Paul II., Predigt beim ökumenischen Wortgottesdienst anläßlich der Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (7. Dezember 1991), 6: Insegnamenti XIV/2 (1991), 1330.</ref>

Vom Evangelium neuer Schwung für Europa

120. Europa benötigt bei der Bewußtwerdung seines geistigen Erbes einen qualitativen Sprung. Dieser Impuls kann ihm nur von einem erneuerten Hören auf das Evangelium Christi zukommen. Es ist Sache aller Christen, sich für die Befriedigung dieses Hungers und Durstes nach Leben zu engagieren.

Darum »fühlt sich die Kirche verpflichtet, die ihr von Gott anvertraute Botschaft der Hoffnung mit Nachdruck zu erneuern« , und richtet an Europa abermals die Worte: »,,Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, ein Held, der Rettung bringt! (Zef 3, 17). Ihr Aufruf zur Hoffnung basiert nicht auf einer utopischen Ideologie; im Gegenteil, er ist die von Christus verkündete unvergängliche Heilsbotschaft (vgl. Mk 1, 15). Mit der Vollmacht, die sie von ihrem Herrn erhält, wiederholt die Kirche vor dem Europa von heute: Europa des dritten Jahrtausends, ,,laß die Hände nicht sinken! (Zef 3, 16); verliere nicht den Mut, passe dich nicht Denk- und Lebensweisen an, die keine Zukunft haben, da sie sich nicht auf die unerschütterliche Gewissheit des Wortes Gottes stützen!«.<ref>Johannes Paul II., Predigt bei der Eucharistiefeier zur Eröffnung der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa (1. Oktober 1999), 3: AAS 92 (2000), 174-175.</ref>

Indem ich diesen Aufruf zur Hoffnung aufgreife, wiederhole ich noch einmal an dich, Europa, das du am Beginn des dritten Jahrtausends stehst: »Kehre du selbst um! Sei du selbst! Entdecke wieder deine Ursprünge. Belebe deine Wurzeln!«.<ref>Ansprache an die europäischen Autoritäten und an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen Europas (9. November 1982), 4: AAS 75 (1983), 330.</ref> Du hast im Laufe der Jahrhunderte den Schatz des christlichen Glaubens empfangen. Dieser begründet dein soziales Leben auf den Prinzipien des Evangeliums, und seine Spuren sind in den Künsten, in der Literatur, im Denken und in der Kultur deiner Nationen wahrnehmbar. Doch dieses Erbe gehört nicht nur der Vergangenheit an; es ist ein Zukunftsplan zum Weitergeben an die künftigen Generationen, weil es der Ursprung des Lebens der Menschen und Völker ist, die miteinander den europäischen Kontinent geschmiedet haben.

121. Fürchte dich nicht! Das Evangelium ist nicht gegen dich, sondern es ist auf deiner Seite. Dies bestätigt die Feststellung, dass die christliche Offenbarung den politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zusammenschluss in eine Form des Zusammenlebens verwandeln kann, in der sich alle Europäer zu Hause fühlen und eine Familie von Nationen bilden, von der sich andere Regionen der Welt fruchtbar inspirieren lassen können.

Hab Vertrauen! Im Evangelium, das Jesus ist, wirst du die feste und dauerhafte Hoffnung finden, nach der du dich sehnst. Es ist eine Hoffnung, die auf den Sieg Christi über die Sünde und den Tod gegründet ist. Er hat gewollt, dass dieser Sieg dir gehört, zu deinem Heil und deiner Freude.

Sei gewiss: Das Evangelium der Hoffnung bereitet keine Enttäuschung! In den Wechselfällen deiner Geschichte von gestern und heute ist es das Licht, das leuchtet und dir den Weg weist; es ist die Kraft, die dich in Prüfungen aufrechterhält; es ist die Prophezeiung einer neuen Welt; es ist der Hinweis auf einen Neuanfang; es ist die Einladung an alle – Glaubende und Nichtglaubende –, neue Wege einzuschlagen, die in das »Europa des Geistes« einmünden, um aus ihm ein wirkliches »gemeinsames Haus« zu machen, in dem Lebensfreude herrscht.

SCHLUSS

Vertrauensvolle Übergabe an Maria

»Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet« (Offb 12, 1)

Die Frau, der Drache und das Kind

122. Die wechselvolle Geschichte der Kirche ist von ,,Zeichen begleitet, die zwar vor aller Augen sind, aber gedeutet werden müssen. Unter diese setzt die Geheime Offenbarung das ,,große Zeichen, das am Himmel erschienen ist und vom Kampf zwischen der Frau und dem Drachen spricht.

Die Frau, mit der Sonne bekleidet, die sich in Geburtswehen windet (vgl. Offb 12, 1-2), kann als das Israel der Propheten gesehen werden, das den Messias hervorbringt, »der über alle Völker mit eisernem Zepter herrschen wird« (Offb 12, 5; vgl. Ps 2, 9). Aber sie symbolisiert auch die Kirche, das Volk des Neuen Bundes, das der Verfolgung ausgeliefert und dennoch von Gott behütet ist. Der Drache ist »die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt« (Offb 12, 9). Es ist ein ungleicher Kampf: Der Drache scheint im Vorteil zu sein, so groß ist seine Überheblichkeit gegenüber der wehrlosen, leidenden Frau. Der wirkliche Sieger aber wird das von der Frau geborene Kind sein. In diesem Kampf steht eines sicher fest: Der große Drache ist bereits besiegt: »Er wurde auf die Erde gestürzt, und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen« (Offb 12, 9). Ihn haben Christus, der menschgewordene Gott, durch seinen Tod und seine Auferstehung, und die Märtyrer »durch das Blut des Lammes und durch ihr Wort und Zeugnis bis hinein in den Tod besiegt« (Offb 12, 11). Und auch wenn der Drache seinen Widerstand fortsetzt, braucht man sich nicht zu fürchten, denn seine Niederlage hat schon stattgefunden.

123. Diese Gewissheit beseelt die Kirche auf ihrem Weg, während sie in der Frau und im Drachen ihre immer gleiche Geschichte erblickt. Die Frau, die den Sohn zur Welt bringt, erinnert uns auch an die Jungfrau Maria, vor allem in der Stunde, als sie, vom Leid durchdrungen, unter dem Kreuz den Sohn noch einmal hervorbringt – als Überwinder des Fürsten dieser Welt. Sie wird dem Johannes anvertraut, der seinerseits ihr anvertraut wird (vgl. Joh 19, 26-27), und sie wird so zur Mutter der Kirche. Dank dieses Bandes, das Maria mit der Kirche und die Kirche mit Maria verbindet, erklärt sich besser das Geheimnis der Frau: »Maria ist nämlich in der Kirche gegenwärtig als die Mutter des Erlösers, nimmt mütterlich teil an jenem ,,harten Kampf gegen die Mächte der Finsternis, der die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht. Durch diese ihre kirchliche Identifizierung mit der ,,Frau, mit der Sonne bekleidet (Offb 12, 1), kann man sagen, dass ,,die Kirche in der seligen Jungfrau schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzeln ist«.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris Mater (25. März 1987), 47: AAS 79 (1987), 426.</ref>

124. Die ganze Kirche blickt deshalb auf Maria. Dank der vielen, über alle Nationen verstreuten Marienwallfahrtsstätten ist die Verehrung Marias unter den europäischen Völkern sehr lebendig und verbreitet.

Kirche in Europa, richte deshalb deinen betrachtenden Blick weiterhin auf Maria und erkenne, dass sie »mütterlich und teilnahmsvoll anwesend [ist] bei den vielfältigen und schwierigen Problemen, die heute das Leben der einzelnen, der Familien und der Völker begleiten« , und dass sie die »Helferin des christlichen Volkes in dem unaufhörlichen Kampf zwischen Gut und Böse [ist], damit es nicht ,,falle oder, wenn gefallen, wieder ,,aufstehe«.<ref>Ebd., 52: aaO., 432; vgl. Propositio 40.</ref>

Bitte an Maria, Mutter der Hoffnung

125. In dieser von echter Liebe beseelten Betrachtung erscheint uns Maria als Gestalt der Kirche, die, von der Hoffnung genährt, das heilbringende und barmherzige Handeln Gottes erkennt, in dessen Licht sie ihren eigenen Weg und die gesamte Geschichte versteht. Sie hilft uns, auch die Geschehnisse, die wir heute erleben, in Bezug auf ihren Sohn Jesus zu deuten. Als neue, vom Heiligen Geist geformte Schöpfung lässt Maria in uns die Tugend der Hoffnung wachsen.

An sie, die Mutter der Hoffnung und des Trostes, richten wir voll Zuversicht unsere Bitte:

Vertrauen wir ihr die Zukunft der Kirche in Europa und die Zukunft aller Frauen und Männer dieses Kontinentes an:

Maria, Mutter der Hoffnung,

gehe mit uns!

Lehre uns, den lebendigen Gott

zu verkünden;

hilf uns, Jesus, den einzigen Retter,

zu bezeugen;

mach uns hilfsbereit

gegenüber dem Nächsten,

gastfreundlich gegenüber den Bedürftigen,

laß uns Gerechtigkeit üben,

mach uns zu leidenschaftlichen Baumeistern

einer gerechteren Welt;

lege Fürbitte für uns ein, die wir in der Geschichte

leben und handeln,

in der Gewissheit, dass sich der Plan des Vaters

erfüllen wird.

Morgenröte einer neuen Welt,

erweise dich als Mutter der Hoffnung

und wache über uns!

Wache über die Kirche in Europa:

in ihr scheine das Evangelium durch;

sie sei ein wirklicher Ort der Gemeinschaft;

sie lebe ihre Sendung,

das Evangelium der Hoffnung

zu verkündigen, zu feiern und ihm zu dienen

für den Frieden und zur Freude aller.
Königin des Friedens,

beschütze die Menschheit des Dritten Jahrtausends.

Wache über alle Christen:

Sie mögen zuversichtlich auf dem Weg

der Einheit voranschreiten,

als Sauerteig für die Eintracht des Kontinents.

Wache über die jungen Menschen,

die Hoffnung für die Zukunft:

Sie mögen hochherzig

auf den Ruf Jesu antworten.

Wache über die Verantwortlichen der Nationen:

Sie mögen sich zum Aufbau eines

gemeinsamen Hauses verpflichten,

in dem die Würde und die Rechte eines

jeden Menschen geachtet werden.
Maria, schenke uns Jesus!

Mache, dass wir ihm folgen und ihn lieben!

Er ist die Hoffnung der Kirche,

Europas und der Menschheit.

Er lebt bei uns, mitten unter uns,

in seiner Kirche.

Mit Dir sprechen wir »Komm, Herr Jesus!« 

(Offb 22, 20):

Möge die Hoffnung auf die Herrlichkeit,

von Ihm in unsere Herzen ausgegossen,

Früchte der Gerechtigkeit

und des Friedens tragen!

Gegeben zu Rom, bei Sankt Peter, am 28. Juni,
der Vigil des Hochfestes der heiligen Apostel Petrus und Paulus, im Jahre 2003,
dem fünfundzwanzigsten des Pontifikates.

JOHANNES PAUL II.

Anmerkungen

<references />

Deutschsprachige Textausgabe

Weblinks