Jean Guitton
Jean Guitton (*18. August 1901 in St. Etienne †21. März 1999 in Paris) ist französische Philosoph und Schriftsteller.
Biographie
Von Jugend auf arbeitete er an der Wiedergewinnung der katholischen Identität im Horizont des modernen Bewusstsein. Seine frühen Hauptwerke wurden von ihm demnach unter dem Leitmotiv La pensée moderne et le catholicisme zusammengefasst (7 Bde. 1934-1950). Er knüpft darin an den Begriff der Entwicklung an, wie John Henry Newman ihn vertritt, interpretiert Henri Bergson als ersten Metaphysiker seit Leibniz und wagt so zugleich eine Neuinterpretation des Thomismus.
Nach dem 1920 begonnenen Studium an der École normale superieure (1923 agregé in Philosophie) promovierte Guitton 1933 mit einer Arbeit über Plotin und Augustinus. Zunächst Lehrer an verschiedenen Lycée, wurde Guitton 1937 zum Philosophieprofessor in Montpellier berufen.
Von 1940 bis 1945 geriet Guitton in deutsche Kriegsgefangenschaft. Wegen des erhobenen Vorwurfs, dem Regime von Vichy (1940-1944) zu sehr nahegestanden zu haben, das unter Marschall Philippe Pétain mit der deutschen Besatzung zusammenarbeitete, wurde Guitton zunächst zum Gymnasialprofessor zurückgestuft. In Dijon lehrte er seit 1948 wieder an der Universität. Trotz allseits anerkannter Leistungen benötigte Guitton noch etliche Jahre, bis er 1955 als Professor an die Sorbonne gelangen konnte. Er lehrte bis 1968 dort Philosophie und Philosophiegeschichte.
Im Jahr 1961 wurde Guitton zum Mitglied der Academie Francaise gewählt, als solches ernannte ihn Papst Johannes XXIII. zu einem der ersten Laien-Auditoren des Konzils. Auf Einladung des mit ihm seit 1950 befreundeten Papstes Paul VI. durfte Guitton am 3. Dezember 1963 (neben Vittorino Veronese) das Wort an das Konzil richten. Aus Anlass der 400-jährigen Wiederkehr des Schlusses des Konzils von Trient sprach Guitton über sein Lebensthema, die Ökumene (Zitat unten). Für diese Fragen wusste er bereits den Nuntius Roncalli in Paris zu interessieren, der ihm den Kontakt zu G.B. Montini nahelegte, zu dem es am 8. September 1950 kam.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Guitton hauptsächlich durch sein Buch "Dialog mit Paul VI." bekannt, das 1967 für Aufsehen sorgte. Erstmals in der Kirchengeschichte wurden gleichsam private Äußerungen eines Papstes publiziert. Die Beziehung zwischen Philosoph und Papst währte bis zum Ableben Paul VI.
Die eigentliche Erforschung des von Guitton vertretenen Ansatzes steht im deutschsprachigen Raum noch aus, da er sowohl Kant (wie jedweder Existenzialphilosophie) als auch jeder Ausprägung des deutschen Idealismus oder des Materialismus heftig widerspricht. Wegen dieser Grundhaltung wird Guitton aber auch in Frankreich von weiten Kreisen als (ein vermeintlich nur konfessionell bedeutender) "christlicher Denker" wahrgenommen. Guitton hingegen behauptet, gerade die moderne Kritik fortgesetzt und so, also vorurteilsfrei, die bleibende Berechtigung realistischer Philosophie wieder begründet zu haben. In dieser Absicht sind Parallelen zum Werk des deutschen Denkers Dietrich von Hildebrand offenkundig.
Biographie bei der Academie francaise
Guitton zur Ökumene
Aus der Rede vom 3. Dezember 1963:
"Daher muss man ohne Unterlass an die beiden komplementären Wahrheiten erinnern, welche die Seele des katholischen Ökumenismus sind: Die erste ist, dass die katholische Kirche das Amt hat, der Welt zu verkündigen, dass sie die einzige vom göttlichen Stifter gewollte Kirche ist, die Kirche ohne Nähte [l'église sans coutures], in der sich alles sichtbar versammeln muss. Wenn wir dieses Erfordernis verschweigen, so betrügen wir unsere Brüder; wir würden aufhören zu sein, was wir sind. Aber katholisch sein, das bedeutet auch auszurufen, dass die Verwirklichung der Einheit nicht vollendet sein wird, ehe die legitimen Formen christlicher und menschlicher Vielfalt ihren Ort und ihre gerechte Freiheit im Schoße der Kirche finden können. Katholisch sein, das ist also: zwei Beunruhigungen haben, die ich gewissermaßen voneinander abhängig nennen würde und die sich in unserem Herzens überkreuzen: die erste Unruhe, die der Einheit, der einen Herde, des einen Hirten; die zweite Unruhe, die der Verschiedenheit, die will, dass jedes Schäfchen von jedem anderen verschieden sein mag, dass alle berechtigten Unterschiede versammelt sein mögen in der Kirche, damit die Kirche ein reichlicheres Leben habe" (cfr.: Un siècle, une vie, S. 387).
Werke
- 1936 La pensée de M. Loisy
- 1937 La Critique de la critique
- 1938 Renan et Newman
- La philosophie de Newman
- Vers l'unité dans l'Amour
- 1941 Portrait de M. Pouget
- 1946 Nouvel art de penser
- 1948 L'Amour humain
- 1949 L'Existence temporelle
- 1949 (1954) La Vierge Marie
- 1950 Le Problème de Jésus
- 1951 Le Travail intellectuel
- 1955 Le Temps et l'Éternité chez Plotin et Saint Augustin
- 1959 L'Église et l'Évangile
- 1960 La vocation de Bergson
- 1961 Une mère dans sa vallée
- 1962 Dialogue avec les précurseurs
- 1962 Léon Bérard
- 1967 Dialogues avec Paul VI.
- 1969 La dernière Heure
- 1969 La Pensée et la Guerre
- 1971 L'Amour divin
- 1976 Journal de ma vie (1912-1971)
- 1977 Nouvel éloge de la Philosophie
- 1978 Monadologie
- 1978 Philosophie de la Résurrection
- 1978 Phénoménologie mystique
- 1979 Paul VI secret
- 1979 Problème et Mystère de Jeanne d'Arc
- 1981 Le Christ écartelé
- 1984 L'Absurde et le Mystère
- 1985 Portrait de Marthe Robin
- 1986 Silence sur l'essentiel
- 1988 Un siècle, une vie ISBN 978-2221049976
- 1989 Terra Sancta
- 1989 Discours sur Alquié
- 1989 Portraits et circonstances
- 1991 L'Impur
- 1991 Dieu et la science
- 1992 Portrait du Père Lagrange
- 1993 Les pouvoirs mystérieux de la foi
- 1994 Celui qui croyait au ciel et celui qui n’y croyait pas
- 1996 À la recherche de Dieu (avec Francesca Pini)
- 1996 Chaque jour que Dieu fait
- 1997 Le siècle qui s'annonce
- 1998 Ultima Verba (Entretiens avec Gérard Prevost)
- 1998 Le Livre de la sagesse et des vertus retrouvées (avec J.J. Antier)