Donum veritatis (Wortlaut)

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Instruktion
Donum veritatis

der Kongregation für die Glaubenslehre
unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
über die kirchliche Berufung des Theologen.
24. Mai 1990
(Offizieller lateinischer Text: AAS 82 [1990] 1550-1570)

(Quelle: Die deutsche Fassung auf der Vatikanseite
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


EINFÜHRUNG

1. Die Wahrheit, die frei macht, ist ein Geschenk Jesu Christi (vgl. Joh 8,32). Das Erforschen der Wahrheit wird von der Natur des Menschen gefordert, während Unwissenheit ihn in Knechtschaft hält. Der Mensch kann in der Tat nicht wahrhaft frei sein, wenn er über die wesentlichen Fragen seiner Existenz keine Klarheit erhält und zumal wenn er nicht weiß, woher er kommt und wohin er geht. Er wird frei, wenn Gott sich ihm nach dem Wort des Herrn als Freund anvertraut: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe“ (Joh 15,15). Befreit von der Entfremdung durch Sünde und Tod aber wird der Mensch, wenn Christus, der die Wahrheit ist, für ihn zum „Weg“ wird (vgl. Joh 14,6).

Im christlichen Glauben sind Erkenntnis und Leben, Wahrheit und Existenz innerlich verbunden. Gewiß übersteigt die in der Offenbarung Gottes geschenkte Wahrheit die Fassungskraft der Erkenntnis des Menschen, doch steht sie zur Vernunft des Menschen nicht im Gegensatz. Sie durchdringt und erhebt diese vielmehr und appelliert an die Verantwortung eines jeden Menschen (vgl. 1 Petr 3,15). So war die „Lehr-Regel“ (Röm 6,17) vom Anfang der Kirche an mit der Taufe an den Eintritt in das Geheimnis Christi gebunden. Der Dienst an der Lehre, zu dem das gläubige Bemühen um Glaubensverständnis, nämlich die Theologie, gehört, ist daher eine Forderung, auf die die Kirche nicht verzichten kann.

Zu allen Zeiten ist die Theologie wichtig, damit die Kirche auf den Plan Gottes antworten kann, der will, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Doch in Zeiten großer geistiger und kultureller Umbrüche wird sie noch wichtiger, auch wenn sie dann besonderen Gefahren ausgesetzt ist, denn sie muss sich bemühen, in der Wahrheit „zu bleiben“ (vgl. Joh 8,31) und zugleich die neuen Probleme, die sich dem menschlichen Geist stellen, berücksichtigen. In unserem Jahrhundert und zumal bei der Vorbereitung und Durchführung des II. Vatikanischen Konzils hat die Theologie viel zu einem tieferen „Verständnis der überlieferten Dinge und Worte“<ref> Dogm. Konst. Dei verbum 8. </ref> beigetragen, freilich auch Momente der Krise und Spannung erlebt, und sie erlebt sie weiter.

Daher hält es die Kongregation für die Glaubenslehre für angebracht, den Bischöfen der katholischen Kirche und über sie den Theologen diese Instruktion vorzulegen, welche die Sendung der Theologie in der Kirche erhellen möchte. Die Instruktion behandelt zunächst (I) die Wahrheit als Geschenk Gottes für sein Volk, beschreibt dann (II) die Aufgabe der Theologen, geht auf den besonderen Auftrag der Hirten ein (III) und bietet schließlich (IV) einige Hinweise zum richtigen Verhältnis beider zueinander. Sie möchte damit dem Wachstum in der Erkenntnis der Wahrheit dienen (vgl. Kol 1,10), die uns in jene Freiheit einführt, für die Christus gestorben und auferstanden ist (vgl. Gal 5,1).

I. DIE WAHRHEIT, EIN GESCHENK GOTTES FÜR SEIN VOLK

2. Von grenzenloser Liebe bewogen, hat Gott dem Menschen auf der Suche nach der eigenen Identität nahe sein und sein Weggefährte werden wollen (vgl. Lk 24,15). Er wollte ihn ferner von den Fallstricken des „Vaters der Lüge“ (vgl. Joh 8,44) befreien und ihm Zugang zu einem innigen Verhältnis zu Gott schenken, damit er dort die volle Wahrheit und die wahre Freiheit in Überfülle finde. Dieser Liebesplan, der vom „Vater der Lichter“ (Jak 1,17; vgl. 1 Petr 2,9; 1 Joh 1,5) stammt und durch den dem Tod entrissenen Sohn (vgl. Joh 8,36) verwirklicht wurde, erhält durch den Geist, der „in die ganze Wahrheit führt“ (Joh 16,13), dauerhafte Gestalt.

3. Die Wahrheit besitzt aus sich selbst eine einigende Kraft: Sie befreit die Menschen aus der Isolierung und den Gegensätzen, in denen sie die Unkenntnis der Wahrheit gefangenhält, öffnet ihnen den Weg zu Gott und vereinigt untereinander. Christus hat die Trennmauer zerstört, die sie der Verheißung Gottes und der Gemeinschaft des Bundes gegenüber zu Fremden machte (vgl. Eph 2,12-14). Er sendet in die Herzen der Glaubenden seinen Geist, durch den alle in Ihm nur noch „einer“ sind (vgl. Röm 5,5; Gal 3,28). So werden wir dank der Wiedergeburt und der Salbung des Heiligen Geistes (vgl. Joh 3,5; 1 Joh 2,20.27) zum einen und neuen Volk Gottes, das durch die verschiedenen Berufungen und Charismen beauftragt ist, das Geschenk der Wahrheit zu bewahren und weiterzugeben. Die ganze Kirche muss in der Tat als „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ (vgl. Mt 5,13 f.) von der Wahrheit Christi, die frei macht, Zeugnis geben.

4. Das Volk Gottes antwortet auf diesen Aufruf „vor allem durch ein Leben in Glauben und Liebe, in der Darbringung des Lobopfers an Gott“. Was näherhin das „Leben im Glauben“ betrifft, so führt das II. Vatikanische Konzil weiter aus: „Die Gesamtheit der Gläubigen, welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie „’von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien’ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert“.<ref>Dogm. Konst. Lumen gentium 12. </ref>

5. Um seine prophetische Funktion in der Welt auszuüben, muss das Volk Gottes sein Glaubensleben (vgl. 2 Tim 1,6) ständig in sich selber erwecken oder „neu beleben“, zumal durch eine immer tiefere Reflexion, die sich unter der Führung des Heiligen Geistes mit dem Inhalt des Glaubens selber auseinandersetzt und durch das Bemühen, den Glauben in den Augen jener zu rechtfertigen, die für ihn Gründe fordern (vgl. 1 Petr 3,15). Im Hinblick auf diese Sendung verteilt der Geist der Wahrheit unter den Glaubenden aller Stände besondere Gaben, die verliehen werden, „damit sie anderen nützen“ (1 Kor 12,7-11).

II. DIE BERUFUNG DES THEOLOGEN

6. Unter den durch den Geist in der Kirche entfachten Berufungen zeichnet sich die des Theologen aus, dessen Aufgabe darin besteht, in Gemeinschaft mit dem Lehramt ein immer tieferes Verständnis des Wortes Gottes, wie es in der inspirierten und von der lebendigen Tradition der Kirche getragenen Schrift enthalten ist, zu gewinnen.

Der Glaube strebt von seiner Natur her nach Erkenntnis, denn er enthüllt dem Menschen die Wahrheit über seine Bestimmung und den Weg, sie zu erreichen. Obwohl diese geoffenbarte Wahrheit all unser Reden überschreitet und unsere Begriffe angesichts seiner letzten Endes unergründlichen Erhabenheit (vgl. Eph 3,19) unvollkommen bleiben, so fordert er doch unsere Vernunft, dieses Geschenk Gottes zum Erfassen der Wahrheit, auf, in ihr Licht einzutreten und so fähig zu werden, das Geglaubte in einem gewissen Maß auch zu verstehen. Theologische Wissenschaft, die sich um das Verständnis des Glaubens in Antwort auf die Stimme der sie ansprechenden Wahrheit bemüht, hilft dem Volk Gottes, gemäß dem Auftrag des Apostels (vgl. 1 Petr 3,15) dem, der nach seiner Hoffnung fragt, Rede und Antwort zu stehen.

7. Die Arbeit des Theologen entspricht daher einer Dynamik, die dem Glauben selber innewohnt: Die Wahrheit will sich ihrer Natur nach mitteilen, denn der Mensch ist für die Erkenntnis der Wahrheit geschaffen und verlangt in seinem tiefsten Inneren nach ihrer Kenntnis, um sich in ihr wiederzufinden und darin sein Heil zu erlangen (vgl. 1 Tim 2,4). Deswegen hat der Herr seine Apostel ausgesandt, alle Nationen zu seinen „Jüngern“ zu machen und sie zu lehren (vgl. Mt 28,19 f.). Die Theologie, die nach dem „Grund des Glaubens“ forscht und ihn den Suchenden als eine Antwort anbietet, bildet einen integralen Teil des Gehorsams gegenüber diesem Gebot; denn die Menschen können nicht zu Jüngern werden, wenn ihnen die im Wort des Glaubens enthaltene Wahrheit nicht dargelegt wird (vgl. Röm 10,14 f.).

Die Theologie leistet ihren Beitrag dazu, dass der Glaube mittelbar wird und der Verstand jener Menschen, die Christus noch nicht kennen, den Glauben suchen und finden kann. Wenn die Theologie damit dem Antrieb der Wahrheit, die sich mitteilen möchte, entspricht, so wird sie zugleich aus der Liebe und ihrer Dynamik geboren: Im Glaubensakt erkennt der Mensch die Güte Gottes und beginnt, ihn zu lieben. Liebe aber will den Geliebten immer noch besser kennenlernen.<ref>Vgl. Hl. Bonaventura, Proem. In I. Sent. q.2., a.6: “quando fides non assentit propter rationem, sed propter amorem eius cui assentit, desiderat habere rationes”. </ref> Aus diesem doppelten Ursprung der Theologie im inneren Leben des Volkes Gottes und seiner missionarischen Berufung ergibt sich die Weise, wie sie auszuarbeiten ist, um den Ansprüchen ihrer eigenen Natur gerecht zu werden.

8. Da das Objekt der Theologie die Wahrheit, nämlich der lebendige Gott und sein in Jesus Christus geoffenbarter Heilsplan ist, muss der Theologe sein Glaubensleben vertiefen sowie wissenschaftliches Forschen und Gebet immer vereinen.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Ansprache bei der Verleihung des “Internationalen Preises Pauls VI.” an Hans Urs von Balthasar, 23. Juni 1984: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VII, 1 (1984) 1911-1917. </ref> Er wird auf diese Weise für den „übernatürlichen Glaubenssinn“ aufgeschlossener, von dem er abhängt und der ihm als sichere Regel gelten wird, die seine Reflexion leitet und die Richtigkeit seiner Ergebnisse messen läßt.

9. Im Verlauf der Jahrhunderte ist die Theologie nach und nach zu einem wirklich wissenschaftlichen Wissen geworden. Der Theologe muss daher notwendig auf die erkenntnismäßigen Erfordernisse seines Faches und die der kritischen Strenge, mit anderen Worten auf die rationale Kontrolle eines jeden Schrittes seiner Forschung achten. Doch kritische Strenge ist etwas anderes als der Geist der Kritik, der eher auf affektive Gründe oder Vorurteile zurückgeht. Der Theologe muss daher bei sich selber Ursprung und Motive seiner kritischen Haltung prüfen und seinen Blick durch den Glauben reinigen lassen, denn Theologie treiben erfordert ein geistliches Bemühen um Redlichkeit und Heiligung.

10. Obwohl die geoffenbarte Wahrheit die menschliche Vernunft übersteigt, so steht sie mit ihr doch in tiefer Übereinstimmung und setzt voraus, dass die Vernunft ihrer Natur nach auf die Wahrheit hingeordnet ist, so dass sie, vom Glauben erleuchtet, den Sinn der Offenbarung erfassen kann. Trotz der Behauptungen vieler philosophischer Strömungen, aber in Übereinstimmung mit einer gesunden, von der Schrift bekräftigten Denkweise, ist die Wahrheitsfähigkeit der menschlichen Vernunft anzuerkennen sowie auch ihre metaphysische Fähigkeit, Gott von der Schöpfung her zu erfassen.<ref>Vgl. Vatic. I, Dogm. Konst. De fide catholica, De revelatione, can. 1: DS 3026. </ref>

Daher erfordert die der Theologie eigene Aufgabe, den Sinn der Offenbarung zu verstehen, die Verwendung philosophischer Errungenschaften, die „ein gründliches und zusammenhängendes Wissen über Mensch, Welt und Gott“<ref>Dekret Optatam totius15. </ref> liefern und deren Aussagen bei der Reflexion über die geoffenbarte Lehre aufgenommen werden können. Notwendig für die Studien des Theologen sind ebenfalls die historischen Wissenschaften, an erster Stelle wegen des historischen Charakters der Offenbarung, die uns innerhalb einer „Heilsgeschichte“ übermittelt worden ist. Endlich soll er auch auf die Humanwissenschaften zurückgreifen, um die geoffenbarte Wahrheit über den Menschen und die moralischen Normen seines Tuns durch Einbringen der gültigen Ergebnisse dieser Wissenschaften besser zu erfassen.

In dieser Hinsicht gehört es zur Aufgabe des Theologen, in seiner eigenen Kultur Elemente zu finden, mit denen er den einen oder anderen Aspekt der Geheimnisse des Glaubens erhellen kann. Eine solche Aufgabe ist gewiß schwer und nicht ohne Gefahren, doch bleibt sie in sich selber berechtigt und soll ermuntert werden.

Hier ist zu betonen: Wenn die Theologie begriffliche Elemente und Methoden, die von der Philosophie oder anderen Wissenschaften herstammen, verwendet, muss sie zu unterscheiden wissen, wobei sie das letzte normgebende Prinzip in der geoffenbarten Lehre findet. Diese muss ihr die Kriterien für die Beurteilung dieser begrifflichen Elemente und Methoden an die Hand geben und nicht umgekehrt.

11. Da er nie vergessen wird, dass auch er ein Glied des Volkes Gottes ist, muss der Theologe dies achten und sich bemühen, ihm eine Lehre vorzutragen, die in keiner Weise der Glaubenslehre Schaden zufügt.

Die der theologischen Forschung eigene Freiheit gilt innerhalb des Glaubens der Kirche. Daher kann die Kühnheit, die sich dem Bewußtsein des Theologen oft nahelegt, keine Früchte bringen und „erbauen“, wenn sie nicht von der Geduld des Reifenlassens begleitet ist. Die neuen Vorschläge zum Verständnis des Glaubens „sind nur ein Angebot für die ganze Kirche. Vieles muss im brüderlichen Gespräch korrigiert und erweitert werden, bis die ganze Kirche es annehmen kann. Theologie ist zutiefst ein sehr selbstloser Dienst an der Gemeinschaft der Gläubigen. Darum gehören die sachliche Disputation, das brüderliche Gespräch, Offenheit und Bereitschaft zur Veränderung der eigenen Meinungen wesentlich zu ihr“.<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Theologen in Altötting, 18. November 1980: AAS 73 (1981) 104; vgl. ferner Paul VI., Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission, 11. Oktober 1972: AAS 64 (1972) 682-683; Johannes Paul II., Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission, 26. Oktober 1979: AAS 71 (1979) 1428-1433. </ref>

12. Die Freiheit der Forschung, an der die Gemeinschaft der Wissenschaftler mit Recht als einem ihrer kostbarsten Güter festhält, bedeutet die Bereitschaft, die Wahrheit so anzunehmen, wie sie sich am Ende einer Forschungsarbeit darbietet, bei der kein Element Einfluss gewinnt, das den Erfordernissen einer dem studierten Objekt entsprechenden Methode fremd ist.

In der Theologie ist diese Freiheit der Forschung innerhalb eines rationalen Wissens anzusetzen, dessen Gegenstand von der Offenbarung gegeben wird, wie sie in der Kirche unter der Autorität des Lehramtes übermittelt, ausgelegt und vom Glauben angenommen wird. Diese Elemente, die den Rang von Grundsätzen haben, beiseite zu lassen, würde bedeuten, dass man aufhört, Theologie zu treiben. Um die Art dieses Verhältnisses zum Lehramt klarzustellen, soll nun von dessen Aufgabe in der Kirche die Rede sein.

III. DAS LERHAMT DER HIRTEN

13. „Was Gott zum Heil aller Völker geoffenbart hatte, das sollte – so hat er in Güte verfügt – für alle Zeiten unversehrt erhalten bleiben und allen Geschlechtern weitergegeben werden“.<ref>Dogm. Konst. Dei verbum 7. </ref> Er hat seiner Kirche durch die Gabe des Heiligen Geistes Anteil an seiner eigenen Unfehlbarkeit gegeben.<ref>Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erkl. Mysterium ecclesiae 2: AAS 65 (1973) 398 f. </ref> Durch den „übernatürlichen Glaubenssinn“ aber erfreut sich auch das Volk Gottes dieses Vorzugs, unter der Leitung des lebendigen Lehramtes der Kirche, das kraft der im Namen Christi ausgeübten Autorität die einzige authentische Instanz für die Auslegung des geschriebenen oder überlieferten Wortes Gottes ist.<ref>Dogm. Konst. Dei verbum 10. </ref>

14. Als Nachfolger der Apostel empfangen die Hirten der Kirche „vom Herrn ... die Sendung, alle Völker zu lehren und das Evangelium jedwedem Geschöpf zu verkünden. So sollen alle Menschen ... das Heil erlangen“.<ref>Dogm. Konst. Lumen gentium 24. </ref> Ihnen ist damit die Aufgabe anvertraut, das Wort Gottes zu bewahren, darzulegen und zu verbreiten, dessen Diener sie sind.<ref>Vgl. Dogm. Konst. Dei verbum 10. </ref>

Die Sendung des Lehramtes besteht darin, in einer mit dem „eschatologischen“ Charakter des Christusgeheimnisses übereinstimmenden Form den endgültigen Charakter des Bundes zu verkünden, den Gott in Christus mit seinem Volke geschlossen hat; es muss dieses vor Abweichungen und Verirrungen schützen und ihm die objektive Möglichkeit garantieren, den echten Glauben jederzeit und in den verschiedenen Situationen irrtumsfrei zu bekennen. Daraus folgt, dass die Bedeutung des Lehramtes und sein Wert nur im Verhältnis zur Wahrheit der christlichen Lehre und zur Predigt des Wortes der Wahrheit zu verstehen ist. Seine Funktion ist daher nicht etwas der christlichen Wahrheit Äußerliches, und es ist ebensowenig dem Glauben übergeordnet; es leitet sich vielmehr unmittelbar von der Ökonomie des Glaubens selber her, weil das Lehramt in seinem Dienst am Wort Gottes eine positiv von Christus als konstitutives Element der Kirche gewollte Institution ist. Der Dienst, den das Lehramt der christlichen Wahrheit leistet, hilft daher dem ganzen Volk Gottes, das aufgerufen ist, in jene Freiheit der Wahrheit einzutreten, die Gott in Christus geoffenbart hat.

15. Damit sie die ihnen übertragene Aufgabe, das Evangelium zu verkünden und die Offenbarung authentisch auszulegen, in vollem Umfang erfüllen können, hat Jesus Christus den Hirten der Kirche den Beistand des Heiligen Geistes verheißen. Er hat sie im besonderen in Sachen des Glaubens und der Sitten mit dem Charisma der Unfehlbarkeit ausgestattet. Die Ausübung dieses Charismas kann in verschiedener Weise erfolgen. Es wird insbesondere ausgeübt, wenn die Bischöfe mit ihrem sichtbaren Haupt vereint in einem kollegialen Akt, wie es bei ökumenischen Konzilien der Fall ist, eine Lehre verkünden, oder wenn der Römische Papst in Erfüllung seiner Sendung als oberster Hirte und Lehrer aller Christen eine Lehre „ex cathedra“ vorlegt.<ref>Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium 25; Kongregation für die Glaubenslehre, Erkl. Mysterium ecclesiae 3: AAS 65 (1973) 400 f. </ref>

16. Die Aufgabe des Lehramtes ist es, das Glaubensgut der göttlichen Offenbarung gewissenhaft zu hüten und treulich zu erklären. Diese Aufgabe schließt ihrer Natur nach ein, dass das Lehramt Aussagen „definitiv“<ref>Vgl. Professio fidei et Iusiurandum fidelitatis: AAS 81 (1989) 104 f.: „omnia et singula quae circa doctrinam de fide vel moribus ab eadem definitive proponuntur“. </ref> vorlegen kann, auch wenn sie nicht in den Glaubenswahrheiten enthalten, wohl aber mit ihnen innerlich so verknüpft sind, dass ihr definitiver Charakter letztlich sich von der Offenbarung selber herleitet.<ref>Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium 25; Kongregation für die Glaubenslehre, Erkl. Mysterium ecclesiae 3-5: AAS 65 (1973) 400-404; Professio fidei et Iusiurandum fidelitatis: AAS 81 (1989) 104 f. </ref>

Die Moral kann Gegenstand des authentischen Lehramtes sein, weil das Evangelium als Wort des Lebens den ganzen Bereich des menschlichen Handelns anregt und bestimmt. Das Lehramt hat daher die Aufgabe, durch für das Gewissen der Gläubigen normgebende Urteile jene Akte zu bezeichnen, die in sich selber mit den Forderungen des Glaubens übereinstimmen und seine Anwendung im Leben fördern, aber auch jene Akte, die aufgrund ihres inneren Schlechtseins mit diesen Forderungen unvereinbar sind. Aufgrund des Bandes, das zwischen der Schöpfungs- und Erlösungsordnung besteht und wegen der Notwendigkeit, das ganze Moralgesetz um des Heiles willen zu kennen und zu befolgen, erstreckt sich die Zuständigkeit des Lehramtes auch auf den Bereich des Naturgesetzes.<ref>Vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae 4: AAS 60 (1968) 483. </ref>

Andererseits enthält die Offenbarung selber moralische Lehren, die an sich von der natürlichen Vernunft erkannt werden könnten, die aber aufgrund der sündigen Verfaßtheit des Menschen schwer zugänglich sind. Es ist Glaubenslehre, dass diese moralischen Normen vom Lehramt unfehlbar gelehrt werden können.<ref>Vgl. Vatic. I, Dogm. Konst. Dei filius, Kap. 2: DS 3005. </ref>

17. Der göttliche Beistand ist ferner den Nachfolgern der Apostel gegeben, wenn sie in Gemeinschaft mit dem Nachfolger des Petrus lehren, und in besonderer Weise dem Römischen Papst als dem Hirten der ganzen Kirche, wenn sie, ohne eine unfehlbare Definition abzugeben und ohne sich „definitiv“ auszusprechen, in der Ausübung ihres ordentlichen Lehramtes eine Lehre vortragen, die zu einem besseren Verständnis der Offenbarung in Sachen des Glaubens und der Sitten führt, oder moralische Weisungen erlassen, die sich aus dieser Lehre ergeben.

Man muss daher den eigenen Charakter einer jeden Äußerung des Lehramtes beachten, dazu das Maß, in dem es seine Autorität geltend macht, und auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sich alle aus der gleichen Quelle herleiten, nämlich von Christus, der will, dass sein Volk in der ganzen Wahrheit wandelt. Aus dem gleichen Grund fehlt auch den lehramtlichen Entscheidungen in Sachen der Disziplin nicht der göttliche Beistand, selbst wenn sie nicht durch das Charisma der Unfehlbarkeit garantiert sind, und sie beanspruchen daher die Zustimmung der Gläubigen.

18. Der Römische Papst bedient sich bei seiner universalen Sendung der Hilfe der Organe der Römischen Kurie, insbesondere der Kongregation für die Glaubenslehre bei Lehren über den Glauben und die Moral. Daraus folgt, dass die ausdrücklich vom Papst approbierten Dokumente dieser Kongregation am ordentlichen Lehramt des Nachfolgers Petri teilhaben.<ref>Vgl. CIC can. 360-361; Paul VI., Apost. Konst. Regimini Ecclesiae Universae, 15. August 1967, 29-40: AAS 59 (1967) 897-899; Johannes Paul II., Apost. Konst. Pastor bonus, 28. Juni 1988, 48-55: AAS 80 (1988) 873-874. </ref>

19. In den Einzelkirchen kommt es dem Bischof zu, das Wort Gottes zu hüten und auszulegen und mit Autorität zu entscheiden, was ihm entspricht oder nicht. Die Lehrtätigkeit jedes einzelnen Bischofs für sich betrachtet erfolgt in Gemeinschaft mit der des Römischen Papstes, dem Hirten der universalen Kirche, und der der übrigen in der ganzen Welt verteilten oder zu einem ökumenischen Konzil versammelten Bischöfe. Diese Gemeinschaft ist Bedingung für ihre Authentizität.

Als Mitglied des Bischofskollegiums aufgrund seiner sakramentalen Weihe und der hierarchischen Gemeinschaft vertritt der Bischof seine Kirche wie alle Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Papst als dem Vertreter der Gesamtkirche im Band des Friedens, der Liebe, der Einheit und der Wahrheit. Indem sie mit ihrem eigenen Erbe in der Einheit zusammenstehen, tun die Ortskirchen die Katholizität der Kirche kund. Die Bischofskonferenzen tragen ihrerseits zur konkreten Verwirklichung des kollegialen Geistes („affectus“) bei.<ref>Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium 22-23. Bekanntlich hat Papst Johannes Paul II. im Anschluß an die II. Außerordentliche Vollversammlung der Bischofssynode der Kongregation für die Bischöfe die Aufgabe übertragen, den „theologisch-juridischen Status der Bischofskonferenzen“ zu vertiefen. </ref>

20. Mit dem Auftrag, darüber zu wachen, dass das Volk Gottes in der Wahrheit, die frei macht, verbleibt, ist die pastorale Aufgabe des Lehramtes eine komplexe und unterschiedliche Wirklichkeit. Will der Theologe, der auch seinerseits der Wahrheit dient, seiner Aufgabe treu bleiben, muss er die dem Lehramt eigene Sendung beachten und mit ihm zusammenarbeiten. Wie ist nun diese Zusammenarbeit zu verstehen? Wie verwirklicht sie sich konkret, und welche Hindernisse können dabei auftreten? Darauf soll im folgenden näher eingegangen werden.

IV. LEHRAMT UND THEOLOGIE

A. Gegenseitige Zusammenarbeit

21. Das lebendige Lehramt der Kirche und die Theologie haben zwar unterschiedliche Gaben und Aufgaben, aber am Ende das gleiche Ziel: das Volk Gottes in der Wahrheit, die frei macht, zu bewahren und es damit zum „Licht der Völker“ zu machen. Dieser Dienst an der Gemeinschaft der Kirche bringt Theologen und Lehramt in gegenseitige Beziehung. Das letztere legt authentisch die Lehre der Apostel vor und weist, indem es aus der theologischen Arbeit Vorteil zieht, die Einwürfe gegen den Glauben und dessen Verfälschungen zurück. Es legt ferner mit der von Jesus Christus empfangenen Autorität neue Vertiefungen, Verdeutlichungen und Anwendungen der geoffenbarten Lehre vor. Die Theologie gewinnt dagegen auf eine reflexive Weise ein immer tieferes Verständnis des in der Schrift enthaltenen und von der lebendigen Tradition der Kirche unter Führung des Lehramtes getreu überlieferten Wortes Gottes, sucht die Lehre der Offenbarung gegenüber den Ansprüchen der Vernunft zu klären und schenkt ihr schließlich eine organische und systematische Form.<ref>Vgl. Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Kongresses über die Theologie des II. Vatikanischen Konzils, 1. Oktober 1966: AAS 58 (1966) 892 f. </ref>

22. Die Zusammenarbeit zwischen dem Theologen und dem Lehramt erfolgt auf besondere Weise, wenn der Theologe die „missio canonica“ oder den Lehrauftrag erhält. Sie wird dann in einem gewissen Sinn zur Teilhabe am Auftrag des Lehramtes, mit dem ihn nun ein juridisches Band verbindet. Die das Verhalten bestimmenden Regeln, die sich von selber und evident aus dem Dienst am Wort Gottes ergeben, werden durch die Verpflichtung bekräftigt, die der Theologe mit seinem Auftrag übernommen hat, ferner durch das Ablegen des Glaubensbekenntnisses und des Treueeids.<ref>Vgl. CIC can. 833; Professio fidei et Iusiurandum fidelitatis: AAS 81 (1989) 104 f. </ref> Von diesem Zeitpunkt an wird er amtlich mit der Aufgabe betraut, mit aller Genauigkeit und unverkürzt die Lehre des Glaubens vorzulegen und zu erklären.

23. Wenn das Lehramt der Kirche unfehlbar und feierlich ausspricht, eine Lehre sei in der Offenbarung enthalten, ist die Zustimmung mit theologalem Glauben gefordert. Diese Zustimmung erstreckt sich auch auf die Unterweisung des ordentlichen und universalen Lehramtes, wenn es eine Glaubenslehre als von Gott geoffenbart zu glauben vorlegt.

Wenn es „definitiv“ Wahrheiten über Glauben und Sitten vorlegt, die wenn auch nicht von Gott geoffenbart, jedoch eng und zuinnerst mit der Offenbarung verbunden sind, müssen diese fest angenommen und beibehalten werden.<ref>Der Text des neuen Glaubensbekenntnisses (vgl. Anm. 15) formuliert die Zustimmung zu diesen Lehren wie folgt: „Firmiter etiam amplector et retineo“. </ref> Wenn das Lehramt – auch ohne die Absicht, einen „definitiven“ Akt zu setzen – eine Lehre vorlegt, sei es, um zu einem tieferen Verständnis der Offenbarung beizutragen oder ihren Inhalt zu verdeutlichen, sei es, um die Übereinstimmung einer Lehre mit den Glaubenswahrheiten zu betonen, sei es andererseits, um vor mit diesen Wahrheiten unvereinbaren Auffassungen zu warnen, ist eine religiöse Zustimmung des Willens und des Verstandes gefordert.<ref>Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium 25; CIC can. 752. </ref> Diese darf nicht rein äußerlich und disziplinär bleiben, sondern muss sich in die Logik des Glaubensgehorsams einfügen und von ihm bestimmen lassen.

24. Das Lehramt kann endlich, um dem Volk Gottes möglichst gut zu dienen, wenn es dieses nämlich vor gefährlichen Auffassungen, die zum Irrtum führen können, warnt, bei diskutierten Fragen eingreifen, bei denen neben den sicheren Prinzipien auch Vermutungen und zufällige Dinge im Spiele sind. Oft wird es erst nach einiger Zeit möglich, zwischen dem Notwendigen und dem Zufälligen klar zu unterscheiden.

Der Wille, einem Spruch des Lehramts bei an sich nicht irreformablen Dingen loyal zuzustimmen, muss die Regel sein. Es kann freilich vorkommen, dass der Theologe sich Fragen stellt, die je nach dem Fall die Angebrachtheit, die Form oder auch den Inhalt einer Äußerung betreffen. Er wird das freilich nicht tun, bevor er sorgfältig ihre Autorität, wie sie sich aus ihrem Charakter, aus dem Nachdruck, mit der sie als Lehre vorgetragen wird, und aus der Ausdrucksweise selber ergibt, geprüft hat.<ref>Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium 25 § 1. </ref>

In diesem Bereich von Äußerungen der Klugheit ist es vorgekommen, dass Lehrdokumente nicht frei von Mängeln waren. Die Hirten haben nicht immer gleich alle Aspekte oder die ganze Kompliziertheit einer Frage erfaßt. Aber man würde in Gegensatz zur Wahrheit geraten, wollte man aus einigen bestimmten Fällen schließen, das Lehramt der Kirche könne sich bei seinen Klugheitsurteilen gewöhnlich täuschen, oder es würde sich nicht des göttlichen Beistands erfreuen, der der unverkürzten Ausübung seiner Sendung verheißen ist. Da der Theologe in der Tat sein Fach nicht ohne bestimmte Kenntnisse der Geschichte gut vertreten kann, so ist er sich der Abklärung von Fragen im Lauf der Zeit bewußt. Dies darf nicht im Sinn einer Relativierung der Glaubensaussagen verstanden werden. Er weiß vielmehr, dass gewisse Urteile des Lehramtes in der Zeit, in der sie ausgesprochen wurden, gerechtfertigt sein konnten, weil diese Aussagen wahre Feststellungen mit anderen, die nicht sicher waren, unentwirrbar vermischt haben. Erst die Zeit hat eine Unterscheidung gestattet, und als Ergebnis vertiefter Studien kam ein wirklicher Fortschritt in der Lehre zustande.

25. Selbst dort, wo die Zusammenarbeit unter besten Bedingungen erfolgt, ist nicht ausgeschlossen, dass zwischen dem Theologen und dem Lehramt Spannungen entstehen. Es ist nicht gleichgültig, welche Bedeutung man ihnen beimißt und in welchem Geist man sie aufgreift: Entstehen die Spannungen nicht aus einer Haltung der Feindschaft und des Widerspruchs, können sie als dynamisches Element und als Anregung gelten, die Lehramt und Theologen zur Wahrnehmung ihrer jeweiligen Aufgaben in gegenseitigem Dialog bestimmen.

26. Für den Dialog aber müssen zwei Regeln gelten: Dort, wo die Gemeinschaft im Glauben auf dem Spiele steht, gilt der Grundsatz der „unitas veritatis“ (Einheit der Wahrheit); wo Gegensätze bleiben, die diese Gemeinschaft nicht in Frage stellen, wird man die „unitas caritatis“ (Einheit der Liebe) wahren müssen.

27. Auch wenn die Glaubenslehre nicht gefährdet ist, wird der Theologe seine abweichenden Meinungen oder Hypothesen nicht so vortragen, als ob es um undiskutable Schlussfolgerungen ginge. Diese Rücksicht wird von dem Respekt vor der Wahrheit ebenso gefordert wie von der Hochachtung vor dem Volk Gottes (vgl. Röm 14,1-15; 1 Kor 8; 10,23-33). Aus den gleichen Gründen wird er ihre vorzeitige Veröffentlichung vermeiden.

28. Das Voraufgehende kommt zu seiner besonderen Anwendung im Fall eines Theologen, der sich aus ihm fundiert erscheinenden Gründen mit einer reformablen Äußerung des Lehramts in ernsthaften Schwierigkeiten befindet oder an ihrem irreformablen Charakter Zweifel hat.

Eine solche Uneinigkeit könnte nicht gerechtfertigt sein, wenn sie sich allein auf die Tatsache gründete, die Gültigkeit der Lehre sei nicht offenkundig oder auf die Meinung, die gegenteilige Position sei wahrscheinlicher. Ebensowenig ist das Urteil des eigenen subjektiven Gewissens des Theologen ausreichend, weil dieses keine autonome und exklusive Instanz ist, um über die Wahrheit einer Lehre zu urteilen.

29. Auf keinen Fall darf dabei die Grundhaltung einer Bereitschaft leiden, die Lehre des Lehramtes loyal anzunehmen, denn dazu ist jeder Gläubige aufgrund seines Glaubensgehorsams verpflichtet. Daher wird sich der Theologe bemühen, diese Lehre nach ihrem Inhalt, ihren Gründen und Motiven zu verstehen, und er wird darauf seine tiefere und geduldige Reflexion richten in der Bereitschaft, seine eigenen Ansichten zu überdenken und die Einwände zu prüfen, die ihm etwa von seinen Kollegen vorgetragen werden.

30. Bleiben die Schwierigkeiten trotz loyaler Bemühungen bestehen, ist der Theologe verpflichtet, den Lehrautoritäten die Probleme vorzutragen, die eine Lehre in sich selber, in den Begründungen, die dafür vorgebracht werden, oder auch in der Art, wie sie vorgelegt wird, enthält. Er wird das im Geist des Evangeliums tun und in dem tiefen Verlangen, die Schwierigkeiten zu überwinden. Dann können seine Einwände zu einem wirklichen Fortschritt beitragen, indem sie das Lehramt anregen, die Lehre der Kirche gründlicher und besser begründet vorzulegen.

Der Theologe wird in diesen Fällen nicht auf die Massenmedien zurückgreifen, sondern vielmehr die verantwortliche Autorität ansprechen, denn durch das Ausüben von Druck auf die öffentliche Meinung kann man nicht zur Klärung von lehrhaften Problemen beitragen und der Wahrheit dienen.

31. Es kann ferner vorkommen, dass die Schwierigkeit nach Abschluß einer ernsthaften Prüfung in der Bereitschaft, ohne inneren Widerstand gegen den Spruch des Lehramtes zu hören, bestehen bleibt, weil dem Theologen die Gegengründe zu überwiegen scheinen. Er muss dann angesichts einer Zustimmung, die er nicht geben kann, bereit bleiben, die Frage gründlicher zu studieren.

Für eine loyale Einstellung, hinter der die Liebe zur Kirche steht, kann eine solche Situation gewiß eine schwere Prüfung bedeuten. Sie kann ein Aufruf zu schweigendem und betendem Leiden in der Gewißheit sein, dass, wenn es wirklich um die Wahrheit geht, diese sich notwendig am Ende durchsetzt.



B. Das Problem des Dissenses

32. Schon wiederholt hat das Lehramt die Aufmerksamkeit auf die schweren Schäden gelenkt, die für die Gemeinschaft der Kirche aus jenen Haltungen systematischer Opposition entstehen, die sogar zur Bildung von organisierten Gruppen führen.<ref>Vgl. Paul VI., Paterna cum benevolentia, 8. Dezember 1974: AAS 67 (1975) 5-23. Vgl. auch Kongregation für die Glaubenslehre, Erkl. Mysterium ecclesiae: AAS 65 (1973) 396-408. </ref> Papst Paul VI. hat in seinem Apostolischen Schreiben Paterna cum benevolentia eine Diagnose vorgelegt, die ihre volle Gültigkeit behält. Hier soll vor allem von jener öffentlichen Oppositionshaltung gegen das Lehramt der Kirche die Rede sein. Sie wird auch „Dissens“ genannt und muss gut von einer Situation persönlicher Schwierigkeiten unterschieden werden, von denen weiter oben die Rede war. Der Dissens kann verschiedene Formen annehmen, und seine entfernten und näheren Ursachen sind zahlreich.

Zu den Faktoren, die entfernt oder indirekt ihren Einfluss ausüben, muss man die Ideologie des philosophischen Liberalismus rechnen, die auch die Mentalität unserer Zeit prägt. Von ihr her kommt die Tendenz zu meinen, ein Urteil sei umso authentischer, je mehr es vom Individuum und dessen eigenen Kräften ausgeht. So stellt man die Freiheit des Denkens der Autorität und der Tradition als Ursache der Knechtschaft gegenüber. Eine überlieferte und allgemein angenommene Lehre wird von vornherein verdächtigt und ihr Wahrheitswert bestritten. Am Ende gilt die so verstandene Freiheit des Urteils mehr als die Wahrheit selber. Es geht also um etwas ganz anderes als um die berechtigte Forderung nach Freiheit im Sinn des Fehlens von Zwang als Vorbedingung für ein loyales Suchen nach der Wahrheit. Wegen dieser Notwendigkeit hat die Kirche immer daran festgehalten, dass „niemand gegen seinen Willen zur Annahme des Glaubens gezwungen werden darf“.<ref>Erkl. Dignitatis humanae 10. </ref>

Das Gewicht einer künstlich gesteuerten öffentlichen Meinung übt mit dem Druck, sich konform zu verhalten, ebenfalls seinen Einfluss aus. Oft drohen die von den Massenmedien verbreiteten sozialen Modelle zu einem normgebenden Wert zu werden, und es verbreitet sich die Meinung, die Kirche dürfte sich nur zu Problemen äußern, die die öffentliche Meinung für wichtig hält, und dann in einer Weise, die dieser gefällt. Das Lehramt könne sich z.B. mit wirtschaftlichen und sozialen Fragen befassen, solle aber alles, was Ehe- und Familienmoral betrifft, dem Urteil des einzelnen überlassen.

Schließlich kann die Vielfalt der Kulturen und Sprachen, die an sich einen Reichtum bedeutet, indirekt zu Mißverständnissen führen und die Ursache fortschreitender Unstimmigkeiten bilden.

In diesem Zusammenhang sind vom Theologen ein kritisches und umsichtiges Unterscheidungsvermögen sowie eine wirkliche Beherrschung der Problematik gefordert, wenn er seine kirchliche Sendung erfüllen will. Er darf sich nicht dieser Welt angleichen (vgl. Röm 12,2; Eph 4,23) und die Unabhängigkeit des Urteils, wie sie Jüngern Christi zukommt, verlieren.

33. Der Dissens kann verschiedene Formen annehmen. In seiner radikalsten Ausprägung möchte er die Kirche umwandeln und dabei einem Modell des Protestes folgen, wie es in der politischen Gesellschaft verwendet wird. Häufiger wird die Meinung vertreten, der Theologe sei nur dem unfehlbaren Lehramt zu folgen gehalten, während nach Art eines gewissen theologischen Positivismus die ohne Inanspruchnahme des Charismas der Unfehlbarkeit vorgelegten Lehren keinerlei verpflichtenden Charakter hätten, wobei dem einzelnen volle Freiheit gelassen würde, ihnen anzuhängen oder nicht. So sei der Theologe völlig frei, nicht unfehlbare Lehren des Magisteriums, zumal bei Einzelnormen der Moral in Zweifel zu ziehen oder abzulehnen, und durch eine derartige kritische Opposition könne er sogar zum Fortschritt der Lehre beitragen.

34. Zur Rechtfertigung des Dissenses greift man gewöhnlich auf verschiedene Argumente zurück, von denen zwei grundlegendere Bedeutung haben. Das erste ist hermeneutischer Art: Die Dokumente des Lehramtes, so sagt man, seien nichts anderes als der Reflex einer Theologie, über die man diskutieren könne. Das zweite beruft sich auf den theologischen Pluralismus, der zuweilen bis zum Relativismus, der die Integrität des Glaubens bedroht, vorangetrieben wird: Die Äußerungen des Lehramtes entstammten einer Theologie unter mehreren anderen, und keine einzelne Theologie kann den Anspruch universaler Gültigkeit erheben. Im Gegensatz zum authentischen Lehramt und in Konkurrenz zu ihm entsteht damit eine Art „paralleles Lehramt“ der Theologen.<ref>Der Gedanke eines „parallelen Lehramtes“ der Theologen in Gegensatz und Konkurrenz zum Lehramt der Hirten bedient sich zuweilen gewisser Texte, wo der heilige Thomas von Aquin zwischen „magisterium cathedrae pastoralis“ und „magisterium cathedrae magisterialis“ unterscheidet (Contra impugnantes, c.2; Quodl. III, q.4, a.1 [9]; In IV Sent. 19.2.2, q.3 sol. 2 ad 4). In Wirklichkeit bieten diese Texte keinerlei Fundament für diese Position, weil der heilige Thomas absolut darin sicher ist, dass das Entscheidungsrecht in Sachen der Lehre einzig dem “officium praelationis” zukommt. </ref>

Gewiß ist es eine der Aufgaben des Theologen, die Texte des Lehramtes korrekt zu interpretieren, und es stehen ihm dafür hermeneutische Regeln zur Verfügung. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Unterweisung des Lehramtes – dank des göttlichen Beistands – auch abgesehen von der Argumentation gilt, die zuweilen von einer besonderen Theologie übernommen ist, deren sie sich bedient. Der theologische Pluralismus ist nur in dem Maße berechtigt, wie er die Einheit des Glaubens in seiner objektiven Bedeutung wahrt.<ref>Vgl. Paul VI., Apost. Schreiben Paterna cum benevolentia 4: AAS 67 (1975) 14-15. </ref> Tatsächlich bestehen wesentliche gegenseitige Bande zwischen den verschiedenen Ebenen der Einheit des Glaubens, der Einheit und Pluralität der Ausdrucksformen des Glaubens und der Pluralität der Theologien. Dabei besteht der letzte Grund für die Pluralität im unergründlichen Geheimnis Christi, das jede objektive Systematisierung übersteigt. Das kann aber nicht bedeuten, es seien ihm entgegengesetzte Schlussfolgerungen annehmbar, und es mindert in keiner Weise die Wahrheit von Aussagen, in denen das Lehramt sich ausgesprochen hat.<ref>Vgl. Paul VI., Ansprache an die Mitglieder der Internationalen Theologenkommission, 11. Oktober 1973: AAS 65 (1973) 555-559. </ref> Das „parallele Lehramt“ kann großen geistlichen Schaden stiften, wenn es sich dem Lehramt der Hirten widersetzt. Gelingt es dem Dissens nämlich, seinen Einfluss bis in die öffentliche Meinung hinein auszudehnen, um zur Regel für das Handeln zu werden, kann das dem Volk Gottes nur schweren Schaden zufügen und zur Mißachtung der wirklichen Autorität führen.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Enzykl. Redemptor hominis: AAS 71 (1979) 308; Ansprache an die Gläubigen in Managua, 4. März 1983, 7: AAS 75 (1983) 723; Ansprache an die Ordensleute in Guatemala, 8. März 1983, 3: AAS 75 (1983) 746; Ansprache an die Bischöfe in Lima, 2. Februar 1985, 5: AAS 77 (1985) 874; Ansprache an die Konferenz der belgischen Bischöfe in Mechelen, 18. Mai 1985, 5: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VIII, 1 (1985) 1481; Ansprache an einige amerikanische Bischöfe bei ihrem Besuch ad limina, 15. Oktober 1988, 6: L’Osservatore Romano, 16. Oktober 1988, S.4. </ref>

35. Der Dissens zieht ferner zuweilen eine soziologische Argumentation heran, nach der die Meinung einer großen Zahl von Christen direkter und angemessener Ausdruck des „übernatürlichen Glaubenssinns“ wäre.

Tatsächlich können die Meinungen der Gläubigen nicht schlicht und einfach mit dem „sensus fidei“ gleichgesetzt werden.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apost. Schreiben Familiaris consortio 5: AAS 74 (1982) 85-86. </ref> Dieser ist nämlich eine Eigenart des theologalen Glaubens, der als Gabe Gottes, die das persönliche Ja zur Wahrheit schenkt, nicht irren kann. Dieser persönliche Glaube ist zugleich Glaube der Kirche, denn Gott hat der Kirche die Hut des Wortes anvertraut, und was deswegen der Gläubige glaubt, ist das, was die Kirche glaubt. Daher schließt der „sensus fidei“ seiner Natur nach die tiefe Übereinstimmung von Geist und Herz mit der Kirche, das „sentire cum Ecclesia“, ein.

Wenn sich daher der theologale Glaube als solcher nicht irren kann, so kann doch der Gläubige irrige Meinungen haben, weil nicht alle seine Gedanken vom Glauben herkommen.<ref>Vgl. die Formel des Konzils von Trient, VI. Sitzung, Kap. 9: fides „cui non potest subesse falsum“: DS 1534; vgl. Hl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q.1, a.3: „Possibile est enim hominem fidelem ex coniectura humana falsum aliquid aestimare. Sed quod ex fide falsum aestimet, hoc est impossibile“. </ref> Die im Volk Gottes umlaufenden Ideen stimmen nicht alle mit dem Glauben überein, zumal sie leicht von einer öffentlichen Meinung beeinflußt werden können, die durch die modernen Kommunikationsmedien gesteuert wird. Nicht ohne Grund betont das II. Vatikanische Konzil die unauflösliche Beziehung zwischen dem „sensus fidei“ und der Anleitung des Volkes Gottes durch das Lehramt der Hirten: Beide Wirklichkeiten lassen sich nicht voneinander trennen.<ref>Dogm. Konst. Lumen gentium 12. </ref> Die Äußerungen des Lehramtes wollen die Einheit der Kirche in der Wahrheit des Herrn sicherstellen. Sie helfen zum „Bleiben in der Wahrheit“ angesichts des Willkürcharakters von wandeltbaren Meinungen und sind Ausdruck des Gehorsams gegenüber dem Wort Gottes.<ref>Dogm. Konst. Dei verbum 10. </ref> Auch wenn es den Anschein haben kann, dass sie die Freiheit der Theologen beeinträchtigten, so richten sie durch die Treue zum überlieferten Glauben eine tiefer reichende Freiheit auf, die nur von der Einheit in der Wahrheit herkommen kann.

36. Die Freiheit des Glaubensaktes kann das Recht auf Dissens ebensowenig rechtfertigen. Tatsächlich meint sie ja keineswegs die Freiheit gegenüber der Wahrheit, vielmehr die freie Selbstbestimmung der Person im Sinn ihrer moralischen Verpflichtung auf Annahme der Wahrheit. Der Glaubensakt ist ein Akt des Willens, denn der durch Christus den Erlöser losgekaufte und zur Annahme an Kindes statt berufene Mensch (vgl. Röm 8,15; Gal 4,5; Eph 1,5; Joh 1,12) kann Gott nur zustimmen, wenn er, gewiß „vom Vater gezogen“ (Joh 6,44), Gott das vernunftgemäße Geschenk seines Glaubens macht (vgl. Röm 12,1). Wie die Erklärung Dignitatis humanae<ref>Vgl. Erkl. Dignitatis humanae 9-10. </ref> in Erinnerung gerufen hat, besitzt keine menschliche Autorität das Recht, hier durch Zwang oder Druck einzugreifen, denn diese Entscheidung überschreitet die Grenzen ihrer Zuständigkeit, und die Achtung vor dem Recht auf Religionsfreiheit bildet die Grundlage für die Achtung sämtlicher Menschenrechte.

Man kann sich darum nicht auf diese Rechte des Menschen berufen, um sich den Äußerungen des Lehramtes zu widersetzen. Ein solches Verhalten verkennt Natur und Sendung der Kirche, die von ihrem Herrn den Auftrag erhalten hat, allen Menschen die Heilswahrheit zu verkünden, und sie tut das, indem sie in den Fußstapfen Christi wandelt und weiß, dass „die Wahrheit nicht anders Anspruch erhebt als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und zugleich stark den Geist durchdringt.“<ref>Ebd. 1. </ref>

37. Kraft des göttlichen Auftrags, der ihm in der Kirche gegeben ist, besteht die Sendung des Lehramtes in der Unterweisung des Evangeliums, im Wachen über seine Integrität und dadurch im Schutz des Glaubens des Volkes Gottes. Es kann sich zuweilen veranlaßt sehen, dies durch Ergreifen beschwerlicher Maßnahmen zu tun, wenn es z.B. einem Theologen, der sich von der Lehre des Glaubens entfernt, die ihm anvertraute „missio canonica“ oder den Lehrauftrag entzieht, oder auch von Schriften erklärt, sie stünden mit dieser Lehre nicht in Übereinstimmung. Wenn es so vorgeht, handelt es in Treue zu seiner Sendung, denn es schützt die Rechte des Volkes Gottes auf den Empfang der Botschaft der Kirche in ihrer Reinheit und Unverkürztheit, damit es also nicht von einer gefährlichen Sondermeinung verwirrt wird.

Das unter diesen Umständen vom Lehramt am Ende einer gründlichen, durch bestimmte Vorgehensweisen festgelegte Prüfung, bei der der Betreffende vorher die möglichen Mißverständnisse seines Denkens hat zerstreuen können, gefällte Urteil betrifft nicht die Person des Theologen, sondern nur seine öffentlich geäußerten intellektuellen Ansichten. Daß diese Vorgehensweisen verbessert werden können, bedeutet nicht, sie stünden im Gegensatz zu Recht und Gerechtigkeit. Hier von der Verletzung von Menschenrechten zu reden, ist fehl am Platz, denn man verkennt dabei die genaue Hierarchie dieser Rechte und ebenso die Natur der Gemeinschaft der Kirche sowie ihr Gemeinwohl. Überdies begibt sich der Theologe, der mit dem „sentire cum Ecclesia“ nicht übereinstimmt, in einen Widerspruch zu seiner freiwillig und bewußt übernommenen Aufgabe, im Namen der Kirche zu lehren.<ref>Vgl. Apost. Konst. Sapientia christiana, 15. April 1979, 27, 1: AAS 71 (1978) 483; CIC can. 812. </ref>

38. Endlich kann auch der Hinweis, man müsse seinem Gewissen folgen, den Dissens nicht rechtfertigen, denn diese Pflicht wird ausgeübt, wenn das Gewissen das praktische Urteil im Hinblick auf eine zu treffende Entscheidung klärt, während es sich hier um die Wahrheit einer Lehraussage handelt. Wenn ferner der Theologe wie jeder Gläubige seinem Gewissen folgen muss, so ist er auch gehalten, es zu bilden. Das Gewissen ist keine unabhängige und unfehlbare Instanz, sondern vielmehr ein Akt des moralischen Urteils über eine verantwortliche Entscheidung. Das richtige Gewissen aber ist ein Gewissen, das durch den Glauben und das objektive Moralgesetz erhellt ist und damit auch den aufrichtigen Willen zum Erstreben des wahrhaft Guten voraussetzt.

Daher setzt das richtige Gewissen des katholischen Theologen den Glauben an das Wort Gottes voraus, dessen Reichtümer er ja ergründen soll, aber auch die Liebe zur Kirche, von der er seine Sendung erhält, und die Achtung vor dem mit göttlichem Beistand ausgezeichnetem Lehramt. Dem Lehramt der Kirche ein oberstes Lehramt des Gewissens entgegenstellen heißt, den Grundsatz der freien Prüfung vertreten, was aber mit der Entfaltung der Offenbarung und ihrer Weitergabe in der Kirche sowie auch mit einer korrekten Auffassung der Theologie und der Funktion des Theologen unvereinbar ist. Die Glaubensaussagen sind nämlich nicht das Ergebnis einer rein individuellen Forschung und freien Kritik des Wortes Gottes, sie bilden vielmehr ein kirchliches Erbe. Wenn man sich von den Hirten trennt, die die apostolische Überlieferung lebendig halten, setzt man die Verbindung mit Christus unwiderruflich aufs Spiel.<ref>Vgl. Paul VI., Apost. Schreiben Paterna cum benevolentia 4: AAS 67 (1975) 15. </ref>

39. Da sie ihren Ursprung in der Einheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes hat,<ref>Vgl. Dogm. Konst. Lumen gentium 4. </ref> ist die Kirche ein Geheimnis der Gemeinschaft. Als solche ist sie nach dem Willen ihres Stifters mit einer Hierarchie ausgestattet, die zum Dienst am Evangelium und an dem daraus lebenden Volk Gottes bestellt ist. Nach dem Vorbild der Mitglieder der ersten Gemeinschaft müssen alle Getauften mit den ihnen eigenen Charismen aus aufrichtigem Herzen nach harmonischer Einheit in Lehre, Leben und Gottesdienst streben (vgl. Apg 2,42). Hier liegt eine Regel vor, die sich aus dem eigentlichen Sein der Kirche ergibt. Deshalb darf man auf sie auch nicht schlicht und einfach Verhältnismaßstäbe anwenden, die ihren Seinsgrund in der Natur der bürgerlichen Gesellschaft oder in den Regeln haben, nach denen eine Demokratie funktioniert. Noch weniger darf man die Beziehungen im Inneren der Kirche nach der Mentalität der Welt, die sie umgibt, beurteilen (vgl. Röm 12,2). Von der mehrheitlichen Meinung das, was man zu denken und zu tun hat, ableiten wollen, gegen das Lehramt den Druck der öffentlichen Meinung einsetzen, den „Konsens“ der Theologen zum Hauptmaßstab machen oder den Anspruch erheben, der Theologe sei der prophetische Wortführer einer „Basis“ oder autonomen Gemeinschaft, die damit die einzige Quelle der Wahrheit wäre, all das zeigt einen schwerwiegenden Verlust des Sinns für die Wahrheit und des Sinns für die Kirche.

40. Die Kirche ist „gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“.<ref>Ebd. 1. </ref> Nach Eintracht und Gemeinschaft streben bedeutet daher, die Kraft ihres Zeugnisses und ihre Glaubwürdigkeit vermehren; umgekehrt der Versuchung zum Dissens verfallen, bedeutet zulassen, dass sich „Triebkräfte der Untreue gegen den Heiligen Geist“ entfalten.<ref>Vgl. Paul VI., Apost. Schreiben Paterna cum benevolentia 2-3: AAS 67 (1975) 10-11. </ref>

Wenn Theologie und Lehramt auch verschiedener Art sind und unterschiedliche Aufgaben haben, die man nicht verwechseln darf, so geht es dennoch um zwei in der Kirche lebenswichtige Aufgaben, die sich gegenseitig durchdringen und für den Dienst am Volk Gottes einander bereichern müssen.

Kraft einer Autorität, die sie von Christus selbst bekommen haben, kommt es den Hirten zu, über diese Einheit zu wachen und zu verhindern, dass die mit dem Leben gegebenen Spannungen nicht zu Spaltungen ausarten. Indem sie die Einzelpositionen oder die Gegensätze übersteigt, muss ihre Autorität sie alle in der Integrität des Evangeliums vereinen, das das „Wort der Versöhnung“ ist (2 Kor 5,18-20).

Den Theologen aber kommt es kraft ihres eigenen Charismas zu, auch ihrerseits an der Erbauung des Leibes Christi in Einheit und Wahrheit mitzuwirken, und ihr Beitrag ist für eine Evangelisierung der Welt, die die Kräfte des ganzen Gottesvolkes erfordert, mehr denn je notwendig.<ref>Vgl. Johannes Paul II., Apost. Schreiben Christifideles laici, 32-35 : AAS 81 (1989) 451-459. </ref> Stoßen sie auf Schwierigkeiten, die aus dem Charakter ihrer Forschung entstehen können, dann müssen sie die Lösung in einem vertrauensvollen Dialog mit den Hirten suchen, im Geist der Wahrheit und der Liebe, wie er die Gemeinschaft der Kirche kennzeichnet.

41. Alle sollen sich daran erinnern, dass Christus das endgültige Wort des Vaters ist (vgl. Hebr 1,2), in dem, wie der heilige Johannes vom Kreuz bemerkt, „Gott uns alles zusammen und ein für allemal gesagt hat“.<ref>Hl. Johannes vom Kreuz, Der Aufstieg zum Berge Karmel, II 22, 3. </ref> Christus ist als solcher die Wahrheit, die frei macht (vgl. Joh 8,36; 14,6). Akte der Anhänglichkeit und Zustimmung zum Wort, das der Kirche unter der Leitung des Lehramtes anvertraut ist, gelten Ihm und führen in den Raum wahrer Freiheit ein.

ABSCHLUSS

42. Die Jungfrau Maria wurde als Mutter und vollkommenes Urbild der Kirche seit Beginn des Neuen Testamentes seliggepriesen, weil sie unmittelbar und ohne Fehl dem Wort Gottes zustimmte (vgl. Lk 1,38.45), und sie hörte nicht auf, es zu bewahren und in ihrem Herzen zu betrachten (vgl. Lk 2,19.51). Sie ist so für das ganze ihrer mütterlichen Sorge anvertraute Volk Gottes Vorbild und Stütze geworden. Sie zeigt ihm den Weg, wie man das Wort aufnehmen und ihm dienen muss, wobei zugleich das letzte Ziel nie aus dem Blick gerät: allen Menschen das Heil zu verkünden, das der Welt durch ihren Sohn Jesus Christus gebracht und verwirklicht wurde.

Zum Schluss dieser Instruktion lädt die Kongregation für die Glaubenslehre die Bischöfe inständig ein, vertrauensvolle Beziehungen mit den Theologen zu halten und zu entfalten, gemeinsam den Geist der Annahme des Wortes und des Dienstes an ihm zu pflegen und eine Gemeinschaft der Liebe, wo gewisse mit dem Menschsein hier auf Erden verbundene Hindernisse leichter überwunden werden können. So werden alle immer mehr zu Dienern des Wortes und zu Dienern des Volkes Gottes, damit dieses in der von Anfang an vernommenen Lehre der Wahrheit und Freiheit verharrt und damit es auch im Sohn und im Vater verbleibt und das ewige Leben als Fülle der Verheißung gewinnt (vgl. 1 Joh 2,24-25).

Papst Johannes Paul II. hat in der dem unterzeichneten Kardinalpräfekten gewährten Audienz die vorliegende Instruktion, die in der Vollversammlung dieser Kongregation beschlossen worden war, gutgeheißen und zu veröffentlichen angeordnet.

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, den 24. Mai 1990,

am Hochfest Christi Himmelfahrt.

Joseph Kardinal Ratzinger
Präfekt

Alberto Bovone
Tit.-Erzbischof von Cäsarea in Numidien

Sekretär

Anmerkungen

<references />