Religionsfreiheit
Umfang und Grenzen von Religionsfreiheit müssen unter zweierlei Aspekt betrachtet werden. Zu unterscheiden ist die sittliche, moralische Religionsfreiheit des Einzelnen einerseits von der äußeren, im Staat verwirklichten Religionsfreiheit der Bürger andererseits.
Inhaltsverzeichnis
negative Religionsfreiheit
Im alltäglichen Sprachgebrauch wird Religionsfreiheit auch oft gleichgesetzt mit bewusster weltanschaulicher Neutralität, deren weitreichendste Position ist, dass Religion immer nur "Privatsache" sein dürfe. Diese Position beschränkt die Ausübung von Religion auf persönliche, individuelle Überzeugungen, die allenfalls als Frömmigkeit praktiziert werden sollen. Jeder öffentliche Anspruch der Religion, insbesondere der Kirche, wird von dieser, aggressiv auf religiöse "Freiheit" drängenden Argumentation, vollständig abgelehnt.
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts war noch nicht allgemein erkennbar, in welchem Umfang die Vertreter der Forderung nach religiöser Freiheit den öffentlichen Anspruch der Religion akzeptieren würden. Der Katholizismus bezog daher zunächst eine defensive Position (vgl. Intransigenz). Nach einigen Zwischenschritten der genaueren Klärung, billigte das kirchliche Lehramt mit dem II. Vatikanum 1965 die bürgerliche Religionsfreiheit im Staat.
positive Religionsfreiheit
Dass es keinen Zwang im Glauben geben dürfe, ist eine alte, vom Christentum immer verteidigte Überzeugung gewesen, deren Wert ("ohne Freiheit auch kein Verdienst") jedoch, insbesondere in den Religionskämpfen der frühen Neuzeit, mitunter zu gering geachtet wurde. Im Mittelpunkt der päpstlichen Auseinandersetzung mit den Staaten stand seit Gregor VII. explizit die Freiheit der Kirche, allerdings durchaus in der Absicht, für die Getauften die volle Religionspraxis zu gewährleisten.
Die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts führten katholischerseits zu der Einsicht, dass diese Freiheit der Kirche nicht mehr nach dem Konzept der "wahren Kirche im katholischen Staat" erreichbar sein kann, sondern nur noch auf Grundlage der Anerkennung allgemeiner, bürgerlich-rechtlicher Religionsfreiheit in Staaten modernen Typs möglich ist.
Diese Einsicht ist zugleich Frucht eines größeren Vertrauens auf die Wahrheit des Evangeliums, nicht aber Verzicht auf das sittliche Recht auf Wahrheit. Da jede menschliche Persönlichkeit, jede unsterbliche Seele einen Anspruch darauf hat, in der wahren Religion zu leben, kann die Kirche auf den Absolutheitsanspruch Christi nicht verzichten. Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass der Schaden für die Verbreitung des Evangeliums größer ist als der Nutzen, wenn die Kirche die Sache der Religion zu eng mit bestimmten politischen Modellen oder Staatsformen verknüpft. Nicht zuletzt hat der Widerstand der Kirche gegen den totalen Anspruch des modernen Staates (vgl. Syllabus von 1864) dazu geführt, die Idee der Menschen- und Bürgerrechte, aber als Ausgangspunkt für eine für die Allgemeinheit plausible, rechtsgültige Beschränkung staatlicher Gewaltherrschaft, positiv zu unterstützen.
Der Gedanke der Religionsfreiheit wurde von der Kirche mithin als ursprünglich christliche Botschaft wiedererkannt, ohne dass alle Probleme, die diese Selbstkorrektur aufwirft, bereits gelöst sind.
Zitat
Katechismus (KKK), Nr. 2109: Das Recht auf Religionsfreiheit darf an sich weder unbeschränkt noch bloß durch eine positivistisch oder naturalistisch verstandene "öffentliche Ordnung" beschränkt sein. Die diesem Recht innewohnenden gerechten Grenzen sind für jede Gesellschaftssituation den Forderungen des Gemeinwohl entsprechend durch die politische Klugheit zu bestimmen und durch die staatliche Autorität "nach rechtlichen Normen, die der objektiven sittlichen Ordnung entsprechen", zu bestätigen (vgl. Dignitatis humanae, 7).
Literatur
John Courtney Murray S.J., On religious freedom, in: America, 30. Nov. 1963 (auszugsweise wieder publiziert in: America, 23. Jun. 2008)
Weblink
- Erklärung über die Religionsfreiheit "Dignitatis humanae" (2. Vatikanisches Konzil)