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Version vom 17. November 2012, 12:35 Uhr
Contra doctrinam |
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Kongregation des Heiligen Offiziums
Pius XII.
über die Situationsethik
(Quelle: Herder-Korrespondenz, Zehnter Jahrgang 1955/56; Neuntes Heft, Juni 1956, S. 401-402)
(Offizieller lateinischer Text AAS XLVIII [1956] 144-145; abgedruckt am 14. März 1956).
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist |
Entgegen der überkommenen Sittenlehre der Katholischen Kirche und ihrer Anwendung gewinnt in vielen Gegenden auch unter den Katholiken ein Moralystem an Boden, das man gemeinhin als "Situationsethik" bezeichnet. Es erklärt sich unabhängig von den Grundsätzen der objektiven Moral (deren letzte Grundlage das Sein ist) und erhebt den Anspruch, dieser nicht nur gleichwertig, sondern überlegen zu sein.
Die Autoren, die diesem System anhängen, sagen, die entscheidende und höchste Norm des Handelns liege nicht in der objektiven Ordnung, die im Naturgesetz zum Ausdruck kommt und in ihm mit Sicherheit erkannt wird, sondern in einem individuellen Urteil und einer geistigen Erleuchtung, die zu erkennen geben, was man in der gegebenen Situation zu tun habe. Folgerichtig ergibt sich nach dieser Ansicht die letzte Entscheidung nicht aus der Anwendung des objektiven Gesetzes auf den besonderen Fall, wie die objektive Moral durch die Stimmen hervorragender Autoren lehrt, die übrigens den besonderen Verhältnissen der "Situation" nach den Regeln der Klugheit sehr wohl Rechnung trägt und sie würdigt, sondern sie ergibt sich direkt aus der inneren Erleuchtung und dem darauf gestützten Urteil. Dieses Urteil kann und darf, wenigstens in zahlreichen Fällen, hinsichtlich seiner objektiven Richtigkeit und Wahrheit letztlich an keiner objektiven Norm gemessen werden, die außerhalb des Menschen und unabhängig von seiner persönlichen Überzeugung existiert, sondern es ist sich selbst genug.
Nach diesen Autoren genügt der überkommene Begriff von der "menschlichen Natur" nicht. Man muss zu einem Begriff der "existierenden" menschlichen Natur kommen, der in der Mehrzahl der Fälle keine absolute objektive Gültigkeit, sondern nur einen relativen Wert besitzt, der deshalb auch wandelbar ist, wenn man von den wenigen Elementen und Grundsätzen absieht, die sich aus der absoluten und unveränderlichen metaphysischen Natur des Menschen ergeben.
Derselbe nur relative Wert ist dem überlieferten Begriff des Naturgesetzes zuzuerkennen. Alles, was heute als absolute Forderung des Naturgesetzes ausgegeben wird, beruht nach dieser Ansicht und Lehre tatsächlich auf dem erwähnten Begriff von der existierenden Natur, kann infolgedessen nur eine relative und wandelbare Gültigkeit beanspruchen und muss immerfort der Situation angepasst werden.
Unter Voraussetzung und in Anwendung dieser Grundsätze sagen und lehren diese Autoren, dass die Menschen, wenn sie nach ihrer persönlichen Intuition und jeder nach seinem Gewissen darüber urteilen, was sie in der gegebenen Situation zu tun haben, und zwar nicht hauptsächlich im Blick auf die objektiven Gesetze, sondern gestützt auf diese individuelle innere Erleuchtung, vor zahlreichen sittlichen Konflikten bewahrt bleiben oder doch leicht von ihnen frei werden, Konflikten, die andernfalls unlöslich wären.
Vieles, was in diesem System der "Situationsethik" der objektiven Wahrheit und gesunden Vernunft widerspricht, erscheint als Auswirkung des Relativismus und Modernismus und entfernt sich weit von der katholischen Lehre, die durch die Jahrhunderte überliefert ist. In zahlreichen Behauptungen besteht eine Verwandtschaft mit verschiedenen nichtkatholischen Systemen der Moral. Um der Gefahr einer "neuen Moral" zu begegnen, von der der Heilige Vater, Papst Pius XII., in seinen Ansprachen vom 23. März und 18. April 1952 gesprochen hat, und die Reinheit und Sicherheit der katholischen Lehre zu wahren, untersagt und verbietet die oberste Kongregation des Heiligen Offiziums nach sorgfältiger Prüfung, diese Doktrin der "Situationsethik", unter welchem Namen auch immer, zu lehren oder zu billigen und an Universitäten, Kollegien, Seminaren oder Ordenshochschulen vorzutragen und sie in Büchern, Abhandlungen, Kursen, Vorträgen oder auf sonstige Weise zu verbreiten oder zu verteidigen.
Das Dekret ist am 2. Februar 1956 erlassen worden und trägt die Unterschrift des Kardinals Pizzardo, des Sekretärs der Kongregation.