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Version vom 25. Februar 2009, 08:32 Uhr
Mit dem Schlagwort Neo-Modernismus wird von konfessionellen Randgruppen das theologische Bemühen bezeichnet, einige Teilaspekte des Modernismus als brauchbare Ansätze für eine Reform von Theologie und Kirche aufzugreifen.
Inhaltsverzeichnis
Modernitätsproblem
Hans Urs von Balthasar mahnte bereits 1966 (in "Cordula", S. 130 f.), es sei alles einzusetzen, um eine Emigration der Progressisten aus der Kirche zu verhindern, aber auch eine Sezession der von ihm so genannten Neokatholiken.
Meist wird der Begriff Neo-Modernismus von aggressiven Vertretern letzterer in massiv kritischer Absicht verwendet, um die Nähe der Anstrengungen des "Progressismus" oder auch nur der Reform zum 1907 päpstlicherseits verurteilten Modernismus (alle Nachfolger bestätigten diese Verurteilung) aufzuzeigen. Die Meinung, ein Neo-Modernismus beherrsche heute den Katholizismus im europäisch geprägten Milieu, richtet sich insbesondere auf drei Konfiktfelder, "vorkonziliar", im jüngsten Konzil und "nachkonziliar". Wie das Aufkommen des Modernismus um 1900 vom damaligen wissenschaftlichen Weltbild abhängig war, so bleibt auch die Zukunft ähnlicher, zeitbedingter Auffassungen aber vom Erkenntnisstand der Wissenschaft und bestimmten philosophischen Aspekten beeinflusst.
Nouvelle Théologie
Vereinzelte katholische Theologen sehen eine Kontinuität vom Modernismus, den Papst Pius X. 1907-1909 erfolgreich bekämpfte, zur so gen. "Schule von Lyon" und der Nouvelle Théologie, als deren Mittelpunkt der Jesuit und Konzilstheologe Henri de Lubac und der Dominikaner Yves M.-J. Congar gelten, die beide von Papst Johannes Paul II. später zu Kardinälen ernannt wurden.
Vor einigen Ansichten dieser neueren Richtung, insbesondere vor einer übereilten Übernahme moderner philosophischer Positionen, warnte zwar bereits Papst Pius XII. in seiner Enzyklika Humani Generis (1950). Auch Papst Paul VI. billigte dem Thomismus, anstatt moderner Philosophie, weiterhin eine Sonderstellung in der Priesterbildung als ratio recta zu (vgl. Apostolisches Schreiben Summi Dei Verbum vom 4. November 1963). Aber eine Alleinstellung für eine bestimmte Lesart der Scholastik hat kein neuerer Papst je ausgesprochen.
Nach eigener Auffassung wandten sich die Urheber der neuen Theologie auch nicht gegen den Hl. Thomas von Aquin und sein Werk, das zuletzt Papst Leo XIII. wieder stark gefördert hatte (so gen. Neuscholastik), wohl aber gegen eine als zu eng empfundene Schultheologie, die sich auf die Neoscholastik berief. Die existenzielle Umdeutung des Depositum fidei durch manche moderne Theologen wird übrigens mitunter auch von Atheisten als Flucht vor der Wahrheitsfrage empfunden.
In der weiteren Ausweitung der neuen Ansätze (insb. wider das päpstliche Credo des Gottesvolkes von 1968) wurde dann aber eine anthropozentrische Vereinfachung der katholischen Lehre populär, wie sie z.B. im so gen. Holländischen Katechismus von 1966 (dt. 1968) ihren Ausdruck fand. Dagegen ist zwar eine besondere Kardinalskommission eingeschritten, doch konnten deren Bemühungen die neue Lehre nicht mehr aufhalten. Diese ist heute, jedenfalls in Europa, in etliche religionspädagogische Materialien eingeflossen, ohne bisher neue Akzeptanz für die Theologie als Wissenschaft erzielt zu haben.
Von deutschen Sympathisanten eines gemäßigten "Neo-Modernismus" wie Werner Löser S.J., Peter Hünermann oder Peter Neuner wird die historisch-wissenschaftliche Relativierung des Dogmas jedoch, besonders unter ökumenischen Aspekt, nach wie vor für unausweichlich erachtet.
"Konzilstheologie"
Aus der Sicht einiger Kritiker dieser neuen Ansätze sollte sogar die Erweiterung der vorkonziliaren Theologie um ältere theologische Ansichten (bestimmter Kirchenväter und Theologen des ersten christlichen Jahrtausends) im Ergebnis nur die Klarheit der Dogmatik schwächen. Motiv dieser Rückbesinnung auf ältere Traditionen sei ein unfruchtbarer Archäologismus, der die Kirche für moderne, subjektive Wahrheitskriterien öffnen soll. Die theologischen Arbeiten des I. Jahrtausends würden nur "unter dem Vorwand ihres hohen Alters" wieder ans Licht geholt, um mit solchen Zitaten den Neo-Modernismus zu verhüllen.
Die (fast 100%) Konzilsmehrheit der Befürworter der (vom Konzil eindeutig gewollten) Öffnung (siehe: Aggiornamento), hin zu einer größeren Bandbreite theologischer Erörterung, hält eine legitime Pluralität theologischer Konzepte jedoch für eine Bereicherung, die vielen Menschen überhaupt erst einen Zugang zur Religion ermöglicht habe. Die Kritik an den (wenigen) "Antimodernisten" wirft diesen wiederum vor, mit ihrem Weltbild ihrerseits nur ein antiquiertes religiöses Bewusstsein widerzuspiegeln, anstatt den eigentlich verbindlichen Leitaussagen der Kirche zu folgen.
Der Verzicht des Konzils auf Lehrverurteilungen markiert nicht die Absicht, ihm einen niedrigeren, nur "pastoralen" Rang zuzuweisen. Vielmehr wirkt diese Methode darauf hin, über die bloß formelhafte Abhandlung von Lehrsätzen (der so gen. Schultheologie) zu einer Gesamtschau des Glaubensguts zu gelangen. Dies ist kein Neo-Modernismus, sondern, im Gegenteil, die eigentliche Antwort an die Moderne und so der mühsame, aber unumgängliche Weg zur Überwindung der Krise des Humanismus. Konzilspapst Johannes XXIII. war bereits selbst kein Vertreter moderner theologischer Konzeptionen, sah jedoch die Notwendigkeit ein, das traditionelle Dogma in einer Sprache zu erläutern, die im heutigen Verstehenshorizont einleuchtet.
Interreligiöser Dialog
Als Beweis für einen fortschreitenden Neo-Modernismus in der katholischen Kirche sieht die konzilskritische Richtung allerdings auch den interreligiösen Dialog an, dessen sinnfälliger Ausdruck die Gebetstreffen für den Frieden in Assisi 1986 und 2002 waren. Hier zeige sich, dass auch das päpstliche Lehramt den Paradigmenwechsel hin zum Subjektivismus und Naturalismus mitvollzogen habe. Die gemeinsame Aktion verschiedener Religionen sei dazu geeignet, die Wahrheit (und auch die Wahrnehmung von Wahrheit in der Öffentlichkeit) zu relativieren.
Papst Benedikt XVI. hingegen hat in einer Grußadresse zum 20. Jahrestag von Assisi im September 2006 sorgfältig unterschieden zwischen der Notwendigkeit eines authentischen Dialogs und den abirrenden Tendenzen, ohne damit eine Vermischung der Kulte zu billigen. Auch in Neapel hat sich der Papst am 21. Oktober 2007 für die Fortsetzung interreligiöser Bemühungen ausgesprochen.
Gott und die Wissenschaft
Die Vertreter einer modernen Theologie wenden gegen die Kritik seitens des Traditionalismus ein, dass, wer die jüngeren Anstrengungen von Theologie und Kirche um ein vertieftes Verständnis des modernen Menschen, und insbesondere des atheistischen Humanismus, nur in den Kategorien des Modernismusstreits von 1907 (!) zu deuten verstehe, seinerseits die tiefgreifende Veränderung des modernen Weltbildes (auch in Folge der humanitären Katastrophen des 20. Jh.) kaum zur Kenntnis genommen habe. Nicht selten bekenne sich als wertkonservativ, wer eigentlich doch nur in persönlicher Nostalgie oder sogar Ideologie verharre.
Wegen der heute allgemein anzutreffenden "Wissenschaftsfrömmigkeit" wird mit einer Wirkung der neuesten wissenschaftlichen Selbstbeschränkung auf das Verhalten breiterer Kreise in Europa jedoch nicht so bald zu rechnen sein. Für die mittlere Sicht halten manche, etwa Jean Guitton, es aber für sicher, dass sich die kirchliche Selbstbesinnung im Zweiten Vatikanum als unerwartet erfolgreich erweisen wird. Manche erwarten sogar neue Anerkennung für den Thomismus, jedenfalls für seine eigentlichen Anliegen.
Einem etwaigen Neo-Modernismus bietet die neueste Wissenschaft (!) jedoch keine Perspektive mehr. Eine im wissenschaftsgläubigen Sinne modernistische Theologie scheitert also heute an der Weigerung der Wissenschaften, ihre Prämissen zu stützen. Bildlich gesprochen, dreht sich heute, da die moderne Physik den Beobachter voraussetzt, also die Sonne wieder um die Erde. Mit der Erledigung des Modernismus als '"Sammelbecken aller Irrtümer" (omnium haeresion collectum) wird spätestens auch der ideologische Anti-Modernismus sich erübrigen (vgl. Benedikt XV., Antrittsenzyklika 1914: non nova, sed noviter) und einer vernünftigen Modernität inmitten der Kirche dann Platz machen. Auch der bisweilen noch vertretene Führungsanspruch wissenschaftlicher Theologie gegenüber dem kirchlichen Amt wäre dann allerdings obsolet.
Literatur
- Peter Neuner, 100 Jahre nach der Modernismusenzyklika, in: Stimmen der Zeit Heft 9/2007, S. 579-592.
- Peter Hünermann, Dogmatische Prinzipenlehre, Münster 2003.
- Manfred Lütz, Gott. Eine kleine Geschichte des Größten, München 2007.
- David Berger (Hg.), Die Enzyklika Humani generis Papst Pius XII., Köln 2000.
- Jean Guitton, Dieu et la science, Paris 1991.