Sanctissimus dominus noster (Wortlaut)

Aus kathPedia
Zur Navigation springenZur Suche springen
Instruktion
Sanctissimus dominus noster

der Bibelkommission
im Pontifikat von Papst
Pius XII.
an die Hochwürdigsten Ordinarien und Generaloberen der religiösen Orden, die Seminaroberen und die Professoren der Heiligen Schrift
über die rechte Weise, die Heilige Schrift in den Klerikalseminarien und Ordenskollegien gut zu lehren

13. Mai 1950
(Offizieller lateinischer Text: AAS 42 [1950] 495-505)

(Quelle: Herder-Korrespondenz Herder Verlag Freiburg im Breisgau, 5. Jahrgang, Heft 2, November 1950, S. 70-74.

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Einleitend

Unser glorreich regierender Heiliger Vater Papst Pius XII. erließ aus dem Wunsche, das 50jährige Gedächtnis der Veröffentlichung der Enzyklika »Providentissimus deus" würdig zu feiern, am 30. September 1943 die Enzyklika »Divino afflante spiritu". Der oberste Hirte der Kirche erinnerte in beredten Worten an den während dieser 50 Jahre von seinen Vorgängern entfalteten Eifer für die biblischen Studien und erinnerte die Bischöfe und Gläubigen nachdrücklich daran, welche Bedeutung diese Studien in der Kirche haben und warum dafür zu sorgen ist, dass sie sich kräftig entfalten und zur Ausbreitung des Reiches Gottes unter den Menschen wirksam beitragen. Er fügte weise Entscheidungen und Vorschriften über die zu gebrauchenden Mittel und Methoden zu ihrer steten Pflege und ihrer Vervollkommnung hinzu. In dem Wunsche, diese Empfehlungen und Vorschriften des obersten Lehrers der Kirche mit größter Sorgfalt und Treue zur Auswirkung zu bringen, hat die Päpstliche Kommission für die biblischen Studien es für nützlich erachtet, sie in besonderer Weise auf den Bibelunterricht in den Seminarien und Ordenskollegien anzuwenden, wo man ihn nicht in derselben Breite wie an den theologischen Fakultäten und besonderen Instituten erteilen kann. In diesen nämlich werden die Lehrer ausgebildet, deren Aufgabe es sein wird, die zukünftigen Priester in die heiligen Wissenschaften einzuführen und das Studium dieser Wissenschaften selber zu vertiefen, eine Ausbildung, die nur einer kleinen Zahl vorbehalten ist. In den Seminarien und Scholastikaten dagegen werden die zukünftigen Priester und Hirten der Herde des Herrn ausgebildet, die das katholische Volk in den Glaubenswahrheiten zu unterrichten und die göttliche Offenbarung gegen die Angriffe der Ungläubigen zu verteidigen haben werden.

Oft haben die obersten Hirten der Kirche im Laufe dieser 50 Jahre den Bischöfen und Ordensoberen mit beredten Worten eingeprägt, dass sie mit allem Eifer durch Wort und Tat darauf hinwirken müssen, dass das Studium der Heiligen Schrift, wie Leo XIII. unsterblichen Angedenkens schrieb, in den Seminarien und Ordensschulen »gebührend in Ehren stehen und blühen müsse" und dass die Heilige Schrift dort »auf eine Weise gelehrt werden müsse, die der Bedeutung dieser Wissenschaft und den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht". Noch kürzlich hat unser glorreich regierender Heiliger Vater Papst Pius XII. die Mahnungen seiner Vorgänger zusammengefasst und sie mit seiner Autorität bestätigt, indem er den mit der Seelsorge betrauten Priestern ins Gedächtnis rief, dass sie die heiligen Bücher nicht richtig und fruchtbar erklären können, »wenn sie sich nicht selber während ihrer Seminarzeit mit tätiger und dauerhafter Liebe zur Heiligen Schrift erfüllt haben. Deswegen müssen die Bischöfe, die die väterliche Verantwortung für diese Seminarien tragen, eifrig darüber wachen, dass auch auf diesem Gebiete nichts versäumt wird, was diesem Ziel dienen kann".

Aber während der Zeit, als so viele Völker von der Last des Unglücks und der Zerstörungen erdrückt waren, haben auch die Ordinarien und Seminaroberen unter dem Druck der täglichen Sorge um Leben und Sicherheit vielleicht nicht immer die Möglichkeit gehabt, dieser Pflicht die ganze Aufmerksamkeit zu schenken, die eine so wichtige und notwendige Sache verdient. Nun aber, da die Kriege beendet sind, scheint die Zeit gekommen, diese Mahnungen und Verfügungen des obersten Hirten ins Gedächtnis zurückzurufen und aufs neue einzuprägen, so dass dank der klugen Sorge der Seminaroberen und dem Eifer der Professoren die Ausbildung der zukünftigen Priester in der Heiligen Schrift wieder aufgenommen und eifrig gefördert und die Gläubigen so umso wirksamer zu den reinsten Quellen des christlichen Lebens zurückgeführt und die so hart geprüfte Welt von neuem mit der Lehre Christi getränkt und erfüllt werden, jener einzigen Quelle der Freiheit, der Liebe und des Friedens.

I. Über den Lehrer der biblischen Wissenschaften

Um die biblischen Studien in den Seminarien und Ordensschulen in der richtigen Weise zu erneuern und zu fördern, braucht es zu allererst Lehrer, die für diesen Unterricht, der an Heiligkeit und Erhabenheit über allen anderen steht, in jeder Hinsicht geeignet sind.

1. Es ist kaum notwendig zu erwähnen, dass der Lehrer der Heiligen Schrift unter den anderen durch sein Leben und seine priesterlichen Tugenden hervorragen, ja sie noch übertreffen muss, da er sich ja eines täglichen Umganges mit dem Worte Gottes erfreut.

2. Er muss zudem mit dem biblischen Stoff gebührend vertraut sein, ein Wissen, das er sich durch ernsthafte Studien erworben hat und durch unablässige Mühe bewahren und erweitern muss.

a) Um sicherer urteilen zu können über Umfang und Art des vorschriftsmäßig erworbenen Wissens, bleiben die weisen Regeln, die Pius XI. seligen Angedenkens aufgestellt hat, auch heute noch in Kraft, nämlich dass niemand Lehrer der Heiligen Schrift in den Seminarien werden kann, »wenn er nicht den besonderen Lehrgang für diese Disziplin abgeschlossen und die akademischen Grade vor der Bibelkommission oder dem Bibelinstitut erworben hat".

b) Aber da diese Wissenschaft so viele Dinge umfasst, dass man im Zeitraum weniger Jahre nur einen allgemeinen Überblick über den Gegenstand, eine Lehr- und Studienmethode, die Kenntnis einiger weniger Fragen erwerben kann, das übrige aber einem späteren Studium und dem Fleiße des Lehrers selber überlassen muss, so bedarf es noch weiterer eifriger persönlicher Bemühungen, um die bisher erworbenen Kenntnisse zu vermehren, zu vervollkommnen und zu festigen, um die neuauftauchenden Fragen wissenschaftlich zu prüfen und zu erörtern, um die verschiedenen Teile der Disziplin, die den Klerikern weitergegeben werden muss, gründlicher und tiefer zu erforschen. Um dies zu erreichen, müssen die Neuerscheinungen über biblische Fragen und die periodischen Kommentare aufmerksam verfolgt, die Bibliotheken benutzt, die Tagungen zur Förderung der biblischen Wissenschaften besucht und wenn es die Umstände erlauben, gelegentlich selbst eine Reise in das Heilige Land unternommen werden, um die Stätten und Länder der heiligen Geschichte mit eigenen Augen zu sehen und zu durchwandern. Das Gebiet der biblischen Wissenschaften ist so groß, in der Erklärung der heiligen Bücher werden so zahlreiche und so große Fortschritte gemacht, die heranzuziehenden Hilfswissenschaften (Sprachstudien, Geschichte, Geographie, Archäologie und andere) sind so zahlreich, dass der Lehrer, der sich nicht täglich sorgfältigen Studien widmet, bald seinem schwierigen Amt nicht mehr gewachsen ist und nicht mehr das bieten kann, was die Priester, die sich dem Dienst an den Seelen widmen, und selbst die Gläubigen mit Recht von ihm erwarten dürfen.

c) Daher ist es ohne weiteres klar, wie notwendig es ist, dass sich der Lehrer der Heiligen Schrift seinem Auftrage ausschließlich widmen kann, so dass er das "glücklich übernommene Amt, wenn er so täglich seine Kräfte erneuert, mit allem Eifer und aller Sorgfalt weiter verfolgen kann". Deswegen darf er nicht dazu gezwungen werden, neben der Heiligen Schrift auch noch andere wichtige Gegenstände im Seminar zu unterrichten. Ja, es ist im Codex iuris canonici mit ausdrücklichen Worten vorgeschrieben, dass darüber zu wachen sei, »dass mindestens für die Heilige Schrift, die dogmatische Theologie, die Moraltheologie und die Kirchengeschichte besondere Lehrkräfte vorhanden sein sollen".

Auch außerhalb des Seminars darf er nicht mit anderen wichtigen Funktionen oder Ämtern belastet werden, damit er durch diese, wie heilig und löblich sie auch sein mögen, nicht in dem Amt behindert wird, zu dessen gewissenhafter Erfüllung er Zeit, geistige Kraft und inneren Frieden braucht.

ll. Über die Methode des Bibelunterrichtes

Was die Methoden der biblischen Unterweisung in den Priesterseminarien und Ordensschulen angeht, muss man sich vor allem folgender Grundsätze erinnern:

1. Es ist die Pflicht des Lehrers der Heiligen Schrift, in seinen Schülern zugleich mit der notwendigen Kenntnis der heiligen Bücher »eine tätige und dauerhafte Liebe zur Heiligen Schrift" zu wecken und zu nähren. Durch diesen Unterricht soll nämlich in den zukünftigen Priestern eine Verehrung des göttlichen Wortes genährt und täglich gesteigert werden, die bewirkt, dass sie in ihm ihr ganzes Leben lang den vornehmlichsten Gegenstand der Betrachtung, die wichtigste Beschäftigung ihres Verstandes und die größte Tröstung und Freude ihres Herzens finden.

a) Diesem Ziel dient auch heute noch in erster Linie die tägliche Lesung der Heiligen Schrift, die früher für alle Priester, sowohl für die Welt- wie für die Ordensgeistlichen eine ebenso heilige Übung wie die Betrachtung war, ja diese Lektüre selber war für sie eine Betrachtung. Der Lehrer soll also seine Schüler anleiten, diese Lesung der Heiligen Schriften aufs höchste zu schätzen und sie in demütigem Glauben und echter Frömmigkeit vorzunehmen. Er soll ihnen anraten, diese so nützliche Übung während der ganzen Zeit ihres Studiums mit Ausdauer fortzusetzen, und zwar so, dass sie die ganze Schrift zu wiederholten Malen rasch durchlesen, entweder in der Fassung der Vulgata oder in irgendeiner neueren, von den kirchlichen Stellen approbierten Übersetzung aus dem Urtext in die Volkssprache, wenn ihnen der Urtext selber nicht noch bessere Dienste tut. Diese Lesung der Heiligen Schrift wird um so fruchtbarer sein, wenn die Schüler schon vom Beginn ihrer Studien an dazu angeleitet werden, die Heiligen Schriften richtig zu lesen, auch unter Vorausschickung einer kurzen Zusammenfassung oder einer Analyse der einzelnen Bücher, wie das gewöhnlich in den »besonderen Einführungen" geschieht.

Diese tägliche methodische und aufmerksame Lesung ist für die Priesteramtskandidaten eine ausgezeichnete Vorbereitung zum richtigen Verständnis und zur würdigen Feier der heiligen Liturgie und ebenso zum fruchtbaren Studium der heiligen Theologie. Diese tägliche Lesung der Heiligen Schrift soll selbst in den Ferien nicht unterbrochen werden, sei es, dass sie von allen gemeinsam vorgenommen wird, sei es, dass sie jeder für sich zu Hause vornimmt. Ja in diesen Tagen größerer Muße sollte man sich ihr sogar noch intensiver widmen. In der Treue, mit der sie sich bemühen, die Heilige Schrift immer inniger kennen und höher schätzen zu lernen, wird sich deutlich offenbaren, wie groß die Aufrichtigkeit ihrer Liebe zum Worte Gottes und ihr Eifer, den Verpflichtungen ihres priesterlichen Berufes zu genügen, ist.

2. In den Vorlesungen selber muss der Lehrer der Heiligen Schrift eifrig besorgt sein, seinen Schülern all das zu vermitteln, was sie in ihrer künftigen priesterlichen Arbeit sowohl zur persönlichen Heiligung wie zur Gewinnung der Seelen für Gott brauchen.

a) Deswegen muss die Heilige Schrift in den Priesterseminarien und Scholastikaten so methodisch, gründlich und vollständig vermittelt werden, dass die Schüler sie in ihrer Gesamtheit und in allen ihren Teilen kennen, dass sie wissen, welches die wichtigsten Fragen sind, die heute in bezug auf die einzelnen Bücher gestellt werden, welches die Einwände und Schwierigkeiten sind, die man gewöhnlich der biblischen Geschichte und Lehre entgegensetzt, und dass sie sich schließlich für die Stellen der Heiligen Schriften, die sie dem Volke erklären müssen, auf solide wissenschaftliche Gründe stützen können.

b) Da die für den Unterricht in der Heiligen Schrift bestimmte Zeit meistens zu kurz ist, als dass das ungeheure Stoffgebiet der biblischen Wissenschaft vollständig vermittelt werden könnte, soll der Lehrer Sorge tragen, die wichtigsten Probleme klug aus den übrigen auszuwählen, und zwar nicht im Hinblick auf seine eigenen Studien oder Vorlieben, sondern allein in kluger Sorge um den Nutzen seiner Schüler, die die künftigen Künder des göttlichen Wortes sind. Diesem Nutzen wird der Lehrer ebenso weit wirklich dienen, wie er klar und durchsichtig darlegen kann, welches die hauptsächlichen im Neuen wie im Alten Testamente vom Heiligen Geiste offenbarten Wahrheiten sind, wie man das Fortschreiten der Offenbarung von den Ursprüngen bis zu unserem Herrn Jesus Christus und den Aposteln feststellen kann, welche Beziehung und Bindung zwischen dem Alten und dem Neuen Testamente besteht. Auch darf er nicht versäumen aufzuzeigen, welche religiöse Bedeutung auch in unserer Zeit noch das Alte Testament hat. Er soll also suchen, diese Dinge jedes Mal, wo er dazu Gelegenheit hat, ins rechte Licht zu setzen, sei es in der allgemeinen oder besonderen Einführung, sei es in der Exegese. Mit Nutzen wird er auch an geeigneten Beispielen aus der heiligen und der Profangeschichte aufzeigen, wie viel Gott getan hat, um die Menschen zu retten und sie zur Erkenntnis der Wahrheit zu führen, und wie seine väterliche Vorsehung alles mit Weisheit geordnet und gelenkt hat, damit es "zum Wohle derer, die nach seiner Absicht zur Heiligkeit berufen sind", beitragen könne.

Kein Zweifel, dass die angemessene Darlegung dieser übernatürlichen und frommen Gedanken in den Seelen der Schüler eine tiefere Liebe und größere Wertschätzung der heiligen Bücher hervorrufen wird. Auch die trockensten Studien, wie die der hebräischen und griechischen Sprache, die ja in den Seminaren und Scholastikaten nicht völlig unterlassen werden können ohne die Gefahr, dass die Priester dann aus Unkenntnis der Sprache die inspirierten Texte nicht im Urtext lesen und auch die modernen Übersetzungen nicht richtig verstehen und wissenschaftlich beurteilen können, werden ihnen dann leichter und angenehmer erscheinen. Dieses Sprachstudium und selbst das Studium der Bibelkritik, das sich in den Seminarien und Kollegien ja auf die wichtigsten Argumente beschränken muss, werden in der Helle dieses überirdischen Lichtes fruchtbarer und erfreulicher, sie Werden täglich reichere Frucht für das Verständnis des Sinnes der heiligen Bücher hervorbringen.

In der allgemeinen Einführung soll man vor allem, ohne indessen die anderen Fragen völlig auszuschalten, die Lehre von der Inspiration und der Wahrheit der Heiligen Schriften und die Regeln der Interpretation (Hermeneutik) behandeln.

In der besonderen Einführung, und zwar sowohl beim Alten wie vor allem beim Neuen Testament, soll der Lehrer insbesondere von den heiligen Büchern sprechen und den Aufbau, den Zweck, den Verfasser und die Abfassungszeit klar aufzeigen. Dabei soll er jedes eitle Prahlen mit gelehrtem Wissen über die Meinungen der Kritiker vermeiden, da dies die Geister der Schüler eher verwirrt als bereichert. Vielmehr soll er die Dinge zur Sprache bringen, und nachdrücklich demonstrieren, deren religiöse Bedeutung auch die Menschen unserer Zeit begreifen und die ihnen zur Lösung ihrer Fragen und Schwierigkeiten helfen können. Um in der Lage zu sein, alle heiligen Bücher in ausreichender Weise zu behandeln, muss der Lehrer die Zeit, die ihm zur Verfügung steht, geschickt ausnutzen, ohne sich bei unnützen oder weniger wichtigen Fragen aufzuhalten.

Bei den exegetischen Ausführungen darf der Lehrer nie vergessen, dass Gott der Kirche die Heiligen Schriften nicht nur zur Bewahrung, sondern auch zur Auslegung anvertraut hat, und dass sie nur im Namen und im Geiste der Kirche als der "Säule und Grundfeste der Wahrheit" verstanden werden können. Darum "soll er es als eine heilige Pflicht betrachten, niemals auch nur im mindesten von der gemeinsamen Lehre und Tradition der Kirche abzuweichen: er wird sich die wahren Fortschritte dieser Wissenschaft, die wir dem Eifer unserer Zeitgenossen verdanken, aneignen, aber die kühnen Auslegungen der Neuerer übergehen."

Bei der Auswahl jener Teile, deren genauere Interpretation er behandeln will, darf er seine Wahl nicht aus Gründen bloßer Gelehrsamkeit treffen, sondern er soll das darlegen, was die Lehre beider Testamente erklärt und definiert, ,damit er nicht, wie der heilige Gregor sagt, die Rinde benagt und das Mark nicht erreicht.

Vom Alten Testament soll er in erster Linie die Lehre vom Ursprung des Menschengeschlechtes, die messianischen Prophezeiungen und die Psalmen erläutern. Bei der Interpretation des Neuen Testamentes soll er einen geordneten Überblick über das gesamte Leben Christi geben und zumindest die Teile der Evangelien und der Briefe im einzelnen kommentieren, die an Sonn- und Feiertagen öffentlich in der Kirche verlesen werden. Außerdem soll er die Leidensgeschichte und die Auferstehung des Herrn behandeln und wenigstens einen der wichtigsten Briefe des heiligen Paulus gründlich erklären, wobei er auch von den andern Briefen die Stellen behandeln soll, die eine doktrinäre Bedeutung haben.

Bei der Aufgabe der Deutung soll der Lehrer so vorgehen, dass er zuerst den sogenannten wörtlichen Sinn des Textes darlegt, indem er, wo es notwendig ist, auf den Urtext zurückgreift. Bei der Bestimmung des Wortsinns des Textes aber soll er nicht so vorgehen, wie es heute leider nur zu viele Exegeten tun, dass er nämlich nur die Worte selbst und den nächsten Kontext berücksichtigt, sondern er soll sich stets die alten Regeln vor Augen halten, dieser glorreich regierender oberster Hirte Pius XII. in seiner Enzyklika »Divino afflante Spiritu" neuerlich ins Gedächtnis zurückgerufen hat, nämlich dass der Exeget sorgsam untersuchen soll, was die Heilige Schrift an andern ähnlichen Stellen lehrt, welche Deutung die Kirchenväter und die katholische Tradition von diesem Texte geben, was die Analogia fidei fordert, und was endlich gegebenenfalls das Lehramt der Kirche zu diesem Text gesagt hat.

Um dies alles in der rechten Weise leisten zu können, muss er auch in der heiligen Theologie durchaus bewandert und von großer und aufrichtiger Liebe zur heiligen Lehre durchdrungen sein, und nie darf er dadurch, dass er sich allein auf kritische und literarische Prinzipien stützt, seine exegetische Tätigkeit von dem ganzen Gebäude der Theologie trennen.

Auch den übertragenen Sinn soll er in der rechten Weise erklären, wo immer es gemäß den sehr weisen, von den obersten Hirten aufgestellten Regeln feststeht, dass ein solcher von Gott gemeint ist.

Diesen von den Kirchenvätern und großen Exegeten mit so großer Sorgfalt und Liebe dargelegten übertragenen Sinn wird der Lehrer um so leichter begreifen und den Schülern um so frommer unterbreiten können, je mehr ihn Reinheit des Herzens, Adel der Gesinnung, Demut des Geistes und Ehrfurcht und Liebe zum Gott der Offenbarung ziert.

Die Schwierigkeiten und Dunkelheiten, die bei der Interpretation der Bücher der Heiligen Schrift nicht selten begegnen, soll der Lehrer weder abschwächen noch verbergen; er soll das Problem ehrlich und gewissenhaft dar, legen und es nach besten Kräften mit Hilfe der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu lösen versuchen. Doch darf er auch nicht vergessen, dass "Gott den heiligen Büchern, die er selber inspiriert hat, mit Absicht gewisse Schwierigkeiten mitgegeben hat, um uns anzueifern, sie mit größerer Aufmerksamkeit zu lesen und zu dürchforschen und uns zu einer wahrhaften Demut des Geistes zu erziehen, indem er uns zu unserem größeren Heile die Grenzen unseres Geistes erkennen lässt".

All dies soll der Lehrer nach Möglichkeit nach der sogenannten synthetischen Methode darlegen, indem er sich vor allem an die wichtigsten Dinge hält und den andern den Raum und Platz einräumt, der ihnen zukommt. Dieser Kunst der Darlegung soll er sich von Anfang an befleißigen, und er soll sich täglich bemühen, in ihr Fortschritte zu machen, indem er sich klar macht, dass die Fruchtbarkeit und Wirksamkeit seines Unterrichts zum größten Teil von ihr abhängt.

3. Was das Ziel und welches der Ton dieses Unterrichts in der Heiligen Schrift für die Studenten der Seminarien und Kollegien ist, wird dadurch bestimmt, dass er nicht sogenannte "Spezialisten", sondern zukünftige Priester und Apostel heranbilden soll. Die Ausbildung der Priester hängt zwar stark von den gesamten Lebensbedingungen und Regeln des Seminars oder Kollegs ab, wird aber zweifellos durch das Studium und die Kenntnis der Bibel besonders gefördert. Diese Studien vor allem bewirken, dass die zukünftigen Priester begreifen und sich überzeugen, dass die Heilige Schrift an erster Stelle steht, wenn es sich darum handelt, das eigene priesterliche Leben zu fördern und das Amt des Priesters fruchtbringend auszuüben. Darum darf sich der Lehrer nicht damit zufrieden geben, den Schülern die nützlichen und notwendigen Begriffe und Kenntnisse des Bibelstudiums zu vermitteln, sondern er soll ihnen bei gegebener Gelegenheit auch mit Eifer zeigen, wie die solide Kenntnis, beständige Lesung und fromme Betrachtung der Heiligen Schrift ihnen dabei helfen kann, die Heiligkeit des eigenen Priesterlebens zu nähren, zu befestigen und zu entfalten und ihr apostolisches Amt, besonders Predigt und Religionsunterricht, fruchtbar zu machen.

III. Ratschläge und Regeln

Jeder wird also zugeben, dass die biblischen Studien, die für die priesterliche Frömmigkeit und die apostolische Tätigkeit so wertvoll sind, mit größtem Eifer durchgeführt und gefördert werden müssen. Daher ist es außerordentlich beklagenswert, dass ihnen nicht immer der Ehrenplatz eingeräumt wird, den sie verdienen, dass man sie oft ungerechtfertigterweise zugunsten anderer Fächer zurückstellt, ja zuweilen sogar ganz ungebührlich übergeht. Daher hat es die Päpstliche Bibelkommission auf das Drängen von Nachrichten und Wünschen aus den verschiedensten Teilen der Welt für richtig gehalten, den Ordinarien und Ordensoberen sowie den Rektoren der Seminarien und den Lehrern der Heiligen Schrift folgendes dringend zu empfehlen:

1. In der biblischen Bibliothek der Seminarien und Kollegien sollen außer den Kirchenvätern und den Kommentaren der großen katholischen Exegeten auch die besten Werke der biblischen Theologie, der Archäologie und der heiligen Geschichte vorhanden sein, ebenso die biblischen Enzyklopädien und Wörterbücher und die biblischen wissenschaftlichen Zeitschriften, alle Werke, die die Professoren sich aus verschiedenen Gründen zu ihrem und ihrer Schüler großem Nachteile selber nicht leicht beschaffen können.

2. Mit gleicher Sorgfalt und gleichem Eifer sollen die Oberen der Seminarien und Kollegien dafür sorgen, dass ihren Klerikern außer der Bibel und dem Handbuch der Heiligen Schrift, mit denen alle versehen sein werden, in ihren eigenen Bibliotheken die Werke zur Verfügung stehen, die ihnen am besten und wirksamsten dazu verhelfen, die in den Unterrichtsstunden gehörten Vorlesungen nachzuarbeiten und zu vervollständigen.

3. Der Lehrer der biblischen Wissenschaften soll, um sein Amt gebührend erfüllen zu können, ausschließlich seiner Aufgabe überlassen bleiben und nicht mit anderen wichtigen Verantwortlichkeiten belastet werden. Seine Oberen sollen ihn so sorgsam auch durch pekuniäre Hilfe und durch jede andere Unterstützung fördern, dass er gern auch sein ganzes Leben lang in seiner Lehrerstellung bleibt.

Denn die erste Voraussetzung für den Fortschritt der biblischen Studien in den Seminarien und Kollegien ist die, dass dem Lehrer alle die Bücher und geldlichen Unterstützungen beschafft werden, durch die er selber in der Wissenschaft fortschreiten und sich den Fortschritt der Wissenschaft aneignen, an Studientagungen teilnehmen, gegebenenfalls das Heilige Land besuchen und die Früchte seiner Studien veröffentlichen kann.

Es ist auch ratsam, dort, wo die Zahl der Schüler größer ist (und auch anderswo, um rechtzeitig für zukünftige Bedürfnisse vorzusorgen), zwei Professoren zu ernennen, einen für Altes, den andern für Neues Testament.

4. Es wird dem Lehrer der Heiligen Schrift, der um den Fortschritt seiner Schüler besorgt ist, dringend empfohlen, einer begabteren Gruppe von Schülern einen freien Spezialkurs zu geben, entweder in den biblischen Sprachen oder anderen Fächern, die für das Studium der Heiligen Schrift notwendig oder nützlich sind, oder auch in biblischer Theologie, Geschichte, Archäologie oder irgendeiner anderen Hilfswissenschaft. In diesem Kurs wird er auch die Spezialfragen behandeln können, die bei den einzelnen biblischen Büchern augenblicklich im Vordergrunde stehen und die er bei seinen eigenen Studien oder bei der Behandlung der Kommentare besonders untersucht hat.

5. Ferner wird dem Lehrer der biblischen Studien angeraten, mit Klugheit und Zurückhaltung und mit Zustimmung der Oberen die begabtesten Schüler, die eine besondere Liebe zu den Heiligen Schriften verraten, für Spezialstudien vorzubereiten, jedoch ohne dass sie darum die anderen Studien vernachlässigen. Er soll ihnen Gelegenheit geben, Sprachen, und zwar auch moderne, zu lernen, die für diese Studien besonders wichtig sind, und soll sie anleiten, Werke über "die Geschichte der beiden Testamente, über das Leben Christi und der Apostel, über Reisen und Pilgerfahrten in Palästina" kennenzulernen und zu lesen.

Er darf dabei nicht vergessen, dass diese Schüler ernsten Schaden nehmen, wenn sie ohne genügende Vorbereitung, vor allem literarischer Art, an Spezialstudien gesetzt werden und dass eine seiner hauptsächlichsten Pflichten darin besteht. auf Grund seiner eigenen Erfahrung für sein Seminar die hervorragendsten zukünftigen Lehrer heranzubilden, durch deren Werk die Bibelwissenschaften mehr und mehr gepflegt und zur Blüte gebracht werden sollen.

6. Da in der geringen Zeit, die in den Schulen meist für die Heilige Schrift zur Verfügung steht, kaum sämtliche Fragen, die zur theologischen und aszetischen Ausbildung der Kleriker und zum Unterricht in der rechten Benutzung der Heiligen Schrift in Liturgie und Predigt gehören, in entsprechender Weise behandelt werden können, so wird gelobt und dringend empfohlen, den in manchen Ordensschulen schon so fruchtbar angewandten Brauch aufzunehmen, irgendeine zusammenfassende Einführung zu behandeln, durch die die fortlaufende Lektüre der gesamten Heiligen Schrift, die die Schüler während ihrer ganzen Studienzeit verfolgen sollen, angefeuert und gelenkt wird. Wenn das in der richtigen Weise geschieht, wird der Lehrer im Laufe des vieriährigen Theologielehrganges länger bei der Erklärung der biblischen Lehre verweilen können.

7. Die Theologiestudenten sollten ein- oder zweimal im Laufe des Jahres eine Homilie über eine Stelle der Heiligen Schrift verfassen und der Lehrer soll diese Arbeit selber leiten und sorgfältig korrigieren. Dadurch werden die Studenten von Anfang ihrer Theologiestudien an lernen, ihre Sonn- und Festtagspredigten mit der nötigen Hingabe und frommer Betrachtung vorzubereiten und sorgfältig niederzuschreiben und dem christlichen Volk von der Kanzel aus den wahren und genauen Sinn des Wortes, Gottes richtig, treffend und ehrfürchtig darzulegen und zu erklären.

8. Endlich sollen, damit auch nach dem Abschluss der theologischen Studien das Studium der Heiligen Schriften nach der rechten Methode gepflegt und vervollkommnet und nunmehr das ganze Leben hindurch fortgesetzt wird, bei den Examina, die die Weltpriester mindestens während drei Jahren, die Ordensleute mindestens während fünf Jahren nach Beendigung ihrer Studien gemäß den Vorschriften des kanonischen Rechtes in den verschiedenen Fächern der heiligen Wissenschaften ablegen müssen, jedes Jahr auch mehrere wichtige Fragen der allgemeinen und besonderen Einführung und der Exegese zur Vorbereitung vorgelegt werden.

Weiter wird vorgeschlagen, dass bei den Zusammenkünften oder Tagungen, die sowohl der Welt- wie der Ordensklerus nach der Vorschrift des kanonischen Rechtes regelmäßig über Fragen der Moral und der Liturgie abhalten soll, auch eine Bibelstelle aus dem Neuen oder Alten Testament - wie es mancherorts schon löblicherweise üblich ist - zur Interpretation vorgelegt wird. Diese Bibelstelle soll von dem Bibellehrer des Seminars sorgfältig ausgewählt und später von ihm, wenn möglich im Amtsblatt seiner Diözese oder sonst anderswo, veröffentlicht und nach den Methoden der Bibelwissenschaft dargelegt werden.

Wir bitten die hochwürdigsten Ordinarien und Ordensoberen inständig, mit der Liebe und Sorge für das Allgemeinwohl, das sie beseelt, das, was wir hier dargelegt haben, aufzunehmen und zur Ausführung zu bringen, damit die Erziehung unserer zukünftigen Priester täglich vollkommener wird und damit sie sich mit jener zuverlässigen heiligen Wissenschaft erfüllen, deren sie sich schon im Laufe ihrer Studien und dann während ihres ganzen Lebens bedienen müssen, und zwar nicht leichthin und kühn und nach eigenem Urteil und Gefühl, sondern nach den Normen der heiligen Wissenschaften, den Gesetzen und Vorschriften der Kirche, nach den Regeln der ursprünglichen katholischen Überlieferung, damit die Heiligen Schriften ihnen zur Nahrung und Entfaltung des geistigen Lebens gleichsam tägliches Brot, Licht und Kraft seien, bei der Ausübung ihres apostolischen Amtes aber eine wirksame Hilfe, durch die sie möglichst viele zur Wahrheit. zur Furcht und Liebe Gottes, zur Tugend und zur Heiligkeit führen. Wir verkennen sicherlich nicht die zahlreichen und großen Schwierigkeiten, die sich einer schnellen und vollkommenen Verwirklichung unserer Empfehlung entgegenstellen. Aber wir haben die Gewissheit, dass die Hirten der Diözesen und die Ordensoberen, ohne sich entmutigen zu lassen, alles tun werden, was in ihren Kräften steht, damit das Studium der Heiligen Schriften und die Liebe zu ihnen mit neuer Kraft unter den Studenten und Priestern aufblüht und ihren Seelen und ihrer Tätigkeit reichste Früchte des Lebens und der Gnade einträgt.

Unser Heiliger Vater Papst Pius XII. hat in einer Audienz, die am 13. Mai 1950 gewährt wurde, diese Instruktion gebilligt und ihre Veröffentlichung befohlen.

Rom, den 13. Mai 1950

Athanasius Miller OSB

Sekretär der Bibelkommission