Pastorale Orientierungen zum Menschenhandel

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Pastorale Orientierungen

Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen – Abteilung für Migranten und Flüchtlinge
im Pontifikat von Papst
Franziskus
zum Menschenhandel
17. Januar 2019

(Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 219, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


„Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen?“ {{#ifeq: Jesaja | Pastorale Orientierungen zum Menschenhandel |{{#if: Jes|Jes|Jesaja}}|{{#if: Jes |Jes|Jesaja}}}} 58{{#if:6|,6}} EU

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Vorwort

Papst Franziskus misst der Notlage von Millionen von Männern, Frauen und Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind und versklavt werden, größte Bedeutung bei. Sie gehören zu den am meisten ihrer Menschenwürde beraubten und fallengelassenen Menschen in der modernen Welt. Menschenhandel, sagt er, ist eine „schreckliche Geißel“,<ref> Papst Franziskus, Grußwort an die OSZE-Konferenz (3. April 2017). Inoffizielle Übersetzung.</ref> ein „verabscheuungswürdiges Übel“<ref> Papst Franziskus, Angelus (30. Juli 2017).</ref> und eine „offene Wunde am Körper der heutigen Gesellschaft.“<ref> Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels (10. April 2014). Inoffizielle Übersetzung.</ref> Anfang 2015 widmete Papst Franziskus seine jährliche Botschaft zum Weltfriedenstag dem Menschenhandel.<ref> Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).</ref> „Wir müssen zugeben, dass wir vor einem weltweiten Phänomen stehen, das über die Zuständigkeiten einer einzelnen Gemeinschaft oder Nation hinausgeht“, und deshalb „bedarf es einer Mobilisierung von vergleichbaren Ausmaßen wie denen des Phänomens selbst.“

Im September 2015 sagte der Heilige Vater vor den Vereinten Nationen, dass man Übeln wie „Menschenhandel, Handel mit menschlichen Organen und Geweben, sexuelle Ausbeutung von Knaben und Mädchen, Sklavenarbeit einschließlich Prostitution“ nicht allein durch „feierlich übernommene Verpflichtungen“ entgegentreten kann. „Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Institutionen“ – und zugleich alle unsere Bemühungen – „wirklich effektiv sind im Kampf gegen all diese Plagen.“<ref> Papst Franziskus, Ansprache an die Mitglieder der Generalversammlung der Vereinten Nationen, New York (25. September 2015).</ref>

Ziel dieser Pastoralen Orientierungen zum Menschenhandel ist es, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen und ein Bewusstsein zu schaffen, das den dringend erforderlichen langfristigen Kampf gegen den Menschenhandel motiviert und unterstützt.

Die Abteilung für Migranten und Flüchtlinge hat am 1. Januar 2017 ihre Arbeit aufgenommen. Sie wurde von Papst Franziskus gegründet und steht bis auf Weiteres unter seiner direkten Leitung. Aufgabe der Abteilung ist es, sich mit der Bekämpfung des Menschenhandels sowie mit Migranten- und Flüchtlingsfragen zu befassen; ihre Mission ist, in diesem Kampf die Bischöfe der katholischen Kirche und alle, die diesen gefährdeten Gruppen dienen, zu unterstützen.

Um die Themen Menschenhandel und Versklavung von Menschen anzugehen, führte die Abteilung für Migranten und Flüchtlinge im Jahr 2018 zwei Konsultationen mit kirchlichen Verantwortungsträgern, Wissenschaftlern sowie erfahrenen Praktikern und Partnerorganisationen, die in diesem Bereich tätig sind, durch. Die Teilnehmer tauschten Erfahrungen und Meinungen aus und diskutierten über wichtige Aspekte des Phänomens. Eine umfassende Antwort der Kirche wurde in Bezug auf Stärken, Schwächen, pastorale und politische Chancen sowie für eine verbesserte weltweite Koordination überlegt.

Dieser sechsmonatige Prozess führte zu den vorliegenden Pastoralen Orientierungen zum Menschenhandel, denen der Heilige Vater zustimmte und die die Arbeit der Abteilung für Migranten und Flüchtlinge und deren Partner unterstützen sollen. Diese Orientierungen sind für die Verwendung durch katholische Diözesen, Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften, Schulen und Universitäten, katholische und andere Organisationen der Zivilgesellschaft sowie alle Gruppen, die zu handeln bereit sind, bestimmt. Diese Orientierungen sollen sowohl der Umsetzung in lokalen Programmen als auch der Zusammenarbeit aus der Ferne dienen, aber auch grundlegende Gesichtspunkte für Predigten, Bildungs- und Medienarbeit bieten.

Diese Pastoralen Orientierungen sind unter https://migrants- refugees.va/trafficking-slavery in verschiedenen Sprachen und Formaten verfügbar.

Die Abteilung für Migranten und Flüchtlinge lädt alle ein, sich durch Bildung, Kommunikation und konkretes Handeln für die Verhinderung und Überwindung von Menschenhandel einzusetzen, unterstützt von den Gedanken, Gebeten und Lehren von Papst Franziskus.

Vatikan, Januar 2019

Fabio Baggio C. S. und Michael Czerny S. J.

Untersekretäre

Einführung

1. Bei einer päpstlichen Audienz Anfang 2018 fragte eine junge Frau, die selber Opfer von Menschenhandel geworden war: „Aber ich denke an mein Land, an viele Jugendliche, die mit falschen Versprechen betrogen, getäuscht, versklavt und zur Prostitution gezwungen werden. Wie können wir diesen jungen Menschen helfen, nicht in die Falle der Täuschung und in die Hände der Menschenhändler zu geraten?“<ref> Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).</ref>

2. Papst Franziskus nahm sich ihre Frage sehr zu Herzen. „Wie du gesagt hast, muss man darauf hinwirken, dass die jungen Menschen nicht den Menschenhändlern ‚in die Hände fallen‘. Wie schrecklich ist es doch, sich bewusst zu werden, dass viele der jungen Opfer zuerst von ihren Familien im Stich gelassen worden sind, dass sie von ihrer Gesellschaft als Abfall betrachtet wurden! Viele wurden dann von ihren eigenen Verwandten und den sogenannten ‚Freunden‘ dazu verleitet. Das ist auch in der Bibel geschehen: Denkt daran, dass die älteren Brüder den jungen Josef als Sklave verkauft haben, und so ist er als Sklave nach Ägypten gebracht worden!“<ref> Ebd.</ref> Diese Frage und die Antwort fassen die Motivation und den Geist zusammen, die hinter diesen Pastoralen Orientierungen zum Menschenhandel stehen.

3. „Menschenhandel ist eine offene Wunde am Leib der heutigen Gesellschaft, eine Geißel gegen den Leib Christi.“<ref> Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels (10. April 2014).</ref> Diese entschiedene Verurteilung durch Papst Franziskus im April 2014 warnt vor einem der dunkelsten Aspekte der Zeitgeschichte, einem Phänomen, das auf beschämende und tragische Weise bis heute andauert. Menschenhandel macht Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zu Opfern und stellt heute eine weit verbreitete, dunkle Realität in verschiedenen Tätigkeitsfeldern dar, insbesondere in der Haus- und Fabrikarbeit, im Gastgewerbe und in der Landwirtschaft. Menschenhandel hat viele Gesichter und tritt in vielen verschiedenen Formen auf: sexuelle Ausbeutung, Zwangsheirat, Sklavenarbeit, Knechtschaft, Zwangsbettelei, Organentnahme, reproduktive Ausbeutung und andere Formen von Missbrauch und Ausbeutung. Er kommt im privaten sowie kommerziellen Bereich und sogar in öffentlichen und staatlichen Unternehmen vor. Menschenhandel ist eine Realität, deren „Opfer die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft sind: Frauen und Mädchen, Kinder, Behinderte, die Ärmsten der Armen, Menschen, die aus zerrütteten familiären oder gesellschaftlichen Situationen stammen“.<ref> Papst Franziskus, Ansprache an eine Gruppe neuer Botschafter am Heiligen Stuhl anlässlich der Präsentation der Glaubensbriefe (12. Dezember 2013).</ref>

Menschenhandel ist ein schrecklicher Verstoß gegen die Würde und die Menschenrechte von Männern und Frauen, Mädchen und Jungen.

4. Die Vielfalt seiner Formen, die Heterogenität seiner Opfer und die vielen Arten von Tätern machen Menschenhandel zu einem sehr komplexen Problem. Wer wirksam dagegen vorgehen will, sieht sich direkt großen Herausforderungen gegenüber. Eine solche Komplexität erfordert einen multidisziplinären Ansatz, um das Phänomen und seine Ursachen zu verstehen, die Prozesse und die daran beteiligten Personen – Opfer, Täter und (wissende oder unwissende) Verbraucher – zu identifizieren, bevor geeignete Maßnahmen getroffen werden können.

5. Aus christlich-anthropologischer Sicht bilden die Heiligkeit des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod und die unveräußerliche Würde eines jeden einzelnen Menschen den Ausgangs- und Mittelpunkt jeder Initiative. „Die Bibel lehrt, dass jeder Mensch aus Liebe erschaffen wurde, als Abbild Gottes und ihm ähnlich (vgl. Gen 1,26). Diese Aussage macht uns die unermessliche Würde jedes Menschen deutlich; ,er ist nicht bloß etwas, sondern jemand. Er ist imstande, sich zu erkennen, über sich Herr zu sein, sich in Freiheit hinzugeben und in Gemeinschaft mit anderen Personen zu treten.ʻ“<ref> Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si' über die Sorge für das gemeinsame Haus (24. Mai 2015), 65: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg,): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 202, (4., korr. Auflage – Bonn 2018), S. 49; Katechismus der Katholischen Kirche, 357.</ref> Wie der hl. Johannes Paul II. 1988 feststellte: „Immer dann, wenn er in seiner Würde als lebendiges Abbild Gottes (vgl. Gen 1,26) nicht anerkannt und geliebt wird, ist der Mensch den demütigendsten und absurdesten Formen des Missbrauchs, die ihn erbarmungslos zum Sklaven des Stärkeren machen, ausgeliefert.“<ref> Papst Johannes Paul II., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Christifideles laici über die Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt (30. Dezember 1988), 5: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 87 (4., korr. Aufl. – Bonn 1991), S. 12.</ref>

6. Die Pastoralen Orientierungen sind verwurzelt in der Reflexion und Lehre der Kirche und ihrer langjährigen praktischen Erfahrung, um auf die Bedürfnisse von Männern, Frauen, Jungen und Mädchen, die von Menschenhandel und Sklaverei betroffen waren und sind, einzugehen. Im Zweiten Vatikanischen Konzil bekräftigte die katholische Kirche ihre historische Besorgnis in Bezug auf Zwangsarbeit und erklärte, „Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen Menschen als bloßes Erwerbsmittel zum Profit und nicht als freie und verantwortliche Personen behandelt werden: all diese und andere ähnliche Taten sind [...] eine Schande“ (Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, 27). Jetzt „will die katholische Kirche in allen Phasen des Menschenhandels intervenieren“, sagt Papst Franziskus; „Sie möchte die Menschen vor Täuschung und Verlockung bewahren; sie möchte sie finden und befreien, wenn sie weggebracht und versklavt werden; sie möchte ihnen helfen, wenn sie befreit sind.“<ref> Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).</ref>

7. Die beharrliche Unterweisung von Papst Franziskus zum Thema Menschenhandel bildet die Grundlage für die vorliegenden Pastoralen Orientierungen, die auch aus der langjährigen praktischen Erfahrung vieler internationaler katholischer NGOs, die auf diesem Gebiet tätig sind, und aus den Beobachtungen von Vertretern der Bischofskonferenzen schöpfen. Obwohl sie vom Heiligen Vater gebilligt wurden, erheben die Orientierungen nicht den Anspruch, die Lehre der Kirche über den Menschenhandel vollständig wiederzugeben, sondern bieten einige Kerngedanken, die für Katholiken und andere in ihrem jeweiligen pastoralen Dienst für die Planung und praktische Umsetzung ihres Engagements, d. h. für ihren Einsatz und ihre Fürsprache, nützlich sein können.

8. Nach Betrachtung der international anerkannten rechtlichen Definition des Menschenhandels werden in den folgenden zehn Kapiteln der Orientierungen die grausamen Fakten und Herausforderungen der verschiedenen Facetten des Phänomens analysiert. Danach werden diverse Antworten vorgeschlagen, die unter anderem darauf abzielen, die Kultur der Begegnung zu fördern, die Papst Franziskus als notwendigen Schritt zu einem neuen Leben in allen Bereichen, in denen Menschen Ungerechtigkeit und Leid erfahren, sieht. Definition

9. Das Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, in Ergänzung zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (Palermo-Protokoll)<ref> Zum 12. Dezember 2018 wurde das Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels von 173 Mitgliedstaaten ratifiziert. Der Heilige Stuhl ist diesem Protokoll noch nicht beigetreten.</ref> bietet die geltende international vereinbarte rechtliche Definition von Menschenhandel. Artikel 3 Absatz (a) definiert Menschenhandel mit Personen als „Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen“.<ref> Vgl. Artikel 3 (a).</ref>

10. Das Palermo-Protokoll definiert den Handel mit Kindern (unter 18 Jahren) etwas anders. In solchen Fällen ist es nicht notwendig nachzuweisen, dass Gewalt, Täuschung oder eine andere Form von Zwang oder Machtmissbrauch oder Ausnutzung von Hilflosigkeit angewendet wurden. Es muss lediglich nachgewiesen werden, dass eine Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme eines Kindes zum spezifischen Zweck der Ausbeutung stattgefunden hat.<ref> Vgl. Artikel 3 (c).</ref>

11. Die Elemente dieser international vereinbarten Definitionen liefern die Parameter, innerhalb derer das Verbrechen des Menschenhandels verfolgt werden kann. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sich das Palermo-Protokoll, da es das Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität ergänzt, nur auf Straftaten bezieht, die grenzüberschreitender Art sind und organisierte kriminelle Gruppen betreffen. Dennoch bietet die Definition ein nützliches Minimum bzw. einen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen und Maßnahmen gegen dieses Übel.

12. In jüngster Zeit wurde der Ausdruck „moderne Sklaverei“ oft als Synonym für Menschenhandel verwendet. Obwohl Opfer von Menschenhandel häufig versklavt werden, ist Menschenhandel subtiler und es existieren weitaus mehr Formen als die reine Sklaverei (vgl. § 9, oben). Darüber hinaus kann das Hinzufügen des Adjektivs „modern“ zum Begriff Sklaverei irreführend sein, da es suggerieren könnte, dass dieses Phänomen heute anders als in der Vergangenheit sei. Sklaverei ist entmenschlichend und abscheulich, zu welcher Zeit und in welcher Form auch immer, auch wenn sie über die Jahrhunderte hinweg als Normalität akzeptiert zu werden schien.

13. Da rein innerstaatliche Straftaten ausschließlich in die Zuständigkeit des jeweiligen Staates fallen, konzentriert sich die Palermo-Konvention auf Fälle von Menschenhandel, bei denen es um grenzüberschreitende Vorgänge geht und um das Agieren von organisierten kriminellen Gruppen. Aber Aktivitäten von ebenso verabscheuungswürdiger Natur und mit den gleichen schrecklichen Folgen für die Opfer können innerhalb eines einzigen Landes stattfinden und von Personen (z. B. einem Verwandten, einem Bekannten, einem sogenannten Freund) begangen werden, die nicht an organisierter Kriminalität beteiligt sind. Größtenteils akzeptieren die vorliegenden Pastoralen Orientierungen die im Palermo-Protokoll festgelegten Definitionen, während sie die grundlegende Überzeugung vertreten, dass Menschenhandel sowohl kriminell als auch schwerwiegend sündhaft ist, weil es sich um Zwang oder Missbrauch handelt, der zu Ausbeutung führt, die die Menschenwürde verletzt.

14. Menschenhandel und Schleusung von Migranten sind zu unterscheidende Phänomene. Die Schleusung von Migranten besteht in der „Herbeiführung der unerlaubten Einreise einer Person in einen Vertragsstaat, dessen Staatsangehörige sie nicht ist oder in welchem sie keinen ständigen Aufenthalt hat, mit dem Ziel, sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen“.<ref> Vereinte Nationen, Protokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg (2000), Art. 3.</ref>

15. Bei der Übernahme der Definition des Palermo-Protokolls ergänzen oder unterstreichen viele Organisationen, die gegen Menschenhandel kämpfen, bestimmte Schlüsselelemente wegen ihres kommunikativen oder pädagogischen Wertes und machen so die Bedeutung, Auswirkung und die Folgen von Menschenhandel für viele deutlicher.<ref> Vgl. unter anderem www.caritas.org; www.coatnet.org; www.osce.org/ secretariat/trafficking.</ref> Das Verständnis von Menschenhandel ist noch im Wandel.

Realität und Reaktionen

16. Es folgen zehn Kapitel über den Menschenhandel in der heutigen Zeit. Sie analysieren die grausamen Fakten des Menschenhandels und die durch ihn entstehenden Herausforderungen und schlagen Antworten vor, die alle Personen und Institutionen guten Willens dringend berücksichtigen sollten. Quellen sind das aktuelle Denken und Handeln der katholischen Kirche zur Abschaffung des Menschenhandels, das sich in vielen Aussagen von Papst Franziskus und seinen Vorgängern zu diesem Thema widerspiegelt. Die Kapitel sind in vier Einheiten untergliedert. Sie beginnen damit, festzustellen, warum Menschenhandel stattfindet und warum das Laster der Sklaverei im 21. Jahrhundert andauert. Dann gehen sie darauf ein, weshalb Menschenhandel derart verborgen bleibt. Drittens beleuchten sie, wie Menschenhandel funktioniert. Schließlich erörtern sie, was man tun und wie man es besser tun kann.

Eine der schmerzlichsten dieser offenen Wunden ist der Menschenhandel, eine moderne Form der Sklaverei, die in vielen unserer Brüder und Schwestern die von Gott gegebene Würde verletzt [...]. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Zweiten Europäischen Versammlung des Netzwerkes R.E.N.A.T.E. (Religious in Europe networking against trafficking and exploitation) (7. November 2016).

Menschenhandel verstehen: die Ursachen

1. Der Mensch als Ware und seine Ausbeutung

17. Menschenhandel übernimmt die Kontrolle über seine Opfer und bringt sie an Orte und in Situationen, wo sie als Gebrauchsgegenstände behandelt, gekauft und verkauft und als Arbeiter oder sogar als „Rohstoffe“ auf vielfältige und unvorstellbare Weise ausgebeutet werden.

In vielen Teilen der Welt scheint die schwere Verletzung der elementaren Menschenrechte – vor allem des Rechts auf Leben und des Rechts auf Religionsfreiheit – ununterbrochen weiterzugehen. Die tragische Erscheinung des Menschenhandels [...] ist ein beunruhigendes Beispiel dafür. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2014 (8. Dezember 2013).

Bis vor kurzem wurde ein solcher Umgang mit Menschen mit Kolonialismus und Sklavenhandel assoziiert. Trotz dessen formeller Abschaffung ist die Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen nicht beendet, sondern findet nun in erheblichem Umfang in schrecklichen neuen Ausprägungen statt. Sie sind Manifestationen unmoralischer sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Systeme und Praktiken, die konsumistische Einstellungen fördern und Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Regionen verstärken. Gleichzeitig erleben wir in der heutigen Zeit, wie Individualismus und Egozentrik zunehmen, Einstellungen, die darauf hinauslaufen, andere aus einem Blickwinkel kalter Nützlichkeit zu betrachten und sie nach Kriterien des eigenen Gutdünkens und des persönlichen Vorteils zu bewerten.

Der Narzissmus macht die Menschen unfähig, über sich selbst, über ihre Wünsche und Bedürfnisse hinauszusehen. - Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia über die Liebe in der Familie (19. März 2016), 39: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 204 (Bonn 2016), S. 32.

Die Ausbeutung anderer ist perverserweise, aber ohne Bedenken akzeptiert worden, um eigenes Vergnügen und eigenen Gewinn zu erzielen. Die dabei verwandte Sprache verweist verschleiernd auf die „Gesetze des Marktes“: Unerbittlicher Wettbewerb, um – mit allen Mitteln – die Kosten für jedes Gut und jede Dienstleistung zu senken. Menschenhandel beraubt viele Menschen ihrer Identität und Würde und nutzt sie aus zum Vorteil einiger weniger.

Jedes Jahr werden Tausende von Männern, Frauen und Kindern zu unschuldigen Opfern der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft sowie der sexuellen Ausbeutung und des Organhandels, und es hat den Anschein, dass wir uns daran derart gewöhnt haben, dass wir den Menschenhandel für etwas Normales halten. Das ist schlimm, das ist grausam, das ist kriminell! Ich möchte erneut zum Einsatz aller aufrufen, damit diesem verabscheuungswürdigen Übel, einer modernen Form der Sklaverei, angemessen entgegengetreten wird. - Papst Franziskus, Angelus (30. Juli 2017).

Wenn die Menschheitsfamilie den Menschenhandel ausrotten will, muss sich die Gesellschaft selbst verändern. Um den Menschenhandel zu beenden, werden alle Menschen ihre Ansprüche verringern, ihre Gewohnheiten kontrollieren und ihre Begierden zügeln müssen. „Einfachheit, Mäßigung und Disziplin sowie Opferbereitschaft müssen Teil des Alltags werden, damit nicht alle unter den negativen Konsequenzen der achtlosen Gewohnheiten einiger weniger leiden“, und dies impliziert, „die Dynamik der Herrschaft und der bloßen Anhäufung von Vergnügungen zu meiden“.<ref> Papst Johannes Paul II., Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 1990 (8. Dezember 1989), 13, und Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si' über die Sorge für das gemeinsame Haus (24. Mai 2015), 222: a. a. O., S. 154.</ref>

18. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Phänomene, welche die modernen Gesellschaften prägen, müssen einer gründlichen ethischen Beurteilung unterzogen werden.<ref> Diesbezüglich widmen sich die Päpstliche Akademie der Wissenschaften und die Päpstliche Akademie der Sozialwissenschaften zusammen mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren sowie internationalen und nationalen Institutionen seit Langem der Erforschung des Phänomens und organisieren Treffen und Arbeitsgruppen zur Bekämpfung dieses abscheulichen Verbrechens.</ref> Es ist unerlässlich, die Würde der menschlichen Person zu schützen, insbesondere, indem man allen wirklich die Möglichkeit zur ganzheitlichen menschlichen Entwicklung bietet und eine familienfreundliche Wirtschaftspolitik betreibt. Papst Benedikt XVI. lehrte, dass die Soziallehre der Kirche einen besonderen Beitrag zu leisten vermag, „der sich auf die Erschaffung des Menschen ‚als Abbild Gottes‘ (Gen 1,27) gründet, eine Tatsache, von der sich die unverletzliche Würde der menschlichen Person ebenso herleitet wie der transzendente Wert der natürlichen moralischen Normen. Eine Wirtschaftsethik, die von diesen beiden Säulen absähe, würde unvermeidlich Gefahr laufen, ihre moralische Qualität zu verlieren und sich instrumentalisieren zu lassen; genauer gesagt, sie würde riskieren, zu einer Funktion für die bestehenden Wirtschafts- und Finanzsysteme zu werden, statt zum Korrektiv ihrer Missstände“.<ref> Papst Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit (29. Juni 2009), 45: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg,): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 186 (Bonn 2009), S. 73–74.</ref> Die Integrität einer jeden menschlichen Person sollte immer gesucht und gefördert werden. Wie in der katholischen Lehre klar gesagt, müssen politische Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels auf die ganzheitliche menschliche Entwicklung aller Personen abzielen und auf einem menschenzentrierten und ganzheitlichen Ansatz beruhen. „Allen, besonders den Regierenden, die damit beschäftigt sind, den Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen der Welt ein erneuertes Profil zu geben, möchte ich in Erinnerung rufen, dass das erste zu schützende und zu nutzende Kapital der Mensch ist, die Person in ihrer Ganzheit – ‚ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft‘.“<ref> Ebd., 25: a. a. O., 36.</ref> Keine wirtschaftliche und politische Tätigkeit darf die zentrale Rolle der menschlichen Person, deren Würde und Grundrechte das oberste Ziel aller Politiken und Ökonomien sein müssen, missachten.

Dies ist wirklich möglich unter der Bedingung, dass die bloße Proklamation wirtschaftlicher Freiheit nicht die Oberhand gewinnt über konkrete Freiheit des Menschen und seine Rechte und dass der Markt nicht etwas Absolutes ist, sondern die Forderungen der Gerechtigkeit und letztendlich der Menschenwürde respektiert. - Papst Franziskus, Wort an die Mitglieder des Industriellenverbands Confindustria (27. Februar 2016).

19. Überall auf der Welt ist die Kirche entschlossen, die eigennützige Ausbeutung der Menschen anzuprangern, die sich aus der „Wegwerfkultur“ ergibt, die der Heilige Vater immer wieder verurteilt und mit dem Götzen Geld in Verbindung bringt.

[…] das passiert, wenn im Zentrum eines Wirtschaftssystems der Götze Geld steht und nicht der Mensch, die menschliche Person, Ebenbild Gottes, geschaffen, um Herr des Universums zu sein. Wenn die Person beiseitegeschoben wird und der Götze Geld ins Spiel kommt, dann werden die Werte über den Haufen geworfen. - Papst Franziskus, Wort an die Teilnehmer des Internationalen Treffens der Volksbewegungen (28. Oktober 2014).

Katholische Gemeinschaften sollten diese falsche Gottheit anprangern; sie sollten darüber hinaus „Sauerteig“ in der Gesellschaft sein, indem sie bedeutende Veränderungen auf lokaler Ebene anstreben, um die ganzheitliche menschliche Entwicklung aller zu fördern. Wirtschaftliche Akteure können dies auch tun, indem sie eine Wirtschaft in Gemeinschaft aufbauen. 2.

Aber ihr könnt den Profit noch mehr teilen, um den Götzendienst zu bekämpfen. Ihr könnt die Strukturen verändern, um Opfer und Ausgegrenzte zu vermeiden. Ihr könnt noch mehr euren Sauerteig verschenken, um das Brot vieler aufgehen zu lassen. Das „Nein“ zu einer Wirtschaft, die tötet, soll ein „Ja“ werden zu einer Wirtschaft, die Leben schenkt, weil sie teilt, die Armen einschließt, und den Profit einsetzt, um Gemeinschaft zu stiften. - Papst Franziskus, Wort an die Teilnehmer der Begegnung „Wirtschaft in Gemeinschaft“, organisiert von der Fokolar-Bewegung (4. Februar 2017).

2. Der Nachfrageaspekt

'20. Im öffentlichen Diskurs wird den Menschenhändlern als „Warenlieferanten“ viel Aufmerksamkeit geschenkt; es werden jedoch nur wenige verhaftet und noch weit weniger verurteilt. Über die Verbraucher, die die Nachfrage bilden, welche die Menschenhändler weiterhin bedienen, wird wenig gesagt. In Anbetracht der verschiedenen Bereiche, in denen die Opfer von Menschenhandel arbeiten oder tätig sind (Landwirtschaft, Hausarbeit, Prostitution usw.), stellen die Verbraucher eine riesige Masse dar, die sich der Ausbeutung dieser Menschen weithin nicht bewusst zu sein scheint, aber dennoch die Vorteile und Dienstleistungen genießt, die diese bieten. Wenn Männer, Frauen und Kinder gehandelt werden, liegt das letztlich daran, dass es eine große Nachfrage gibt, die deren Ausbeutung profitabel macht.

Wenn es viele Mädchen gibt, die als Opfer des Menschenhandels auf den Straßen unserer Städte landen, dann liegt das daran, dass viele Männer hier – junge, mittleren Alters, ältere – diese Dienste verlangen und bereit sind, für ihr Vergnügen zu bezahlen. Dann frage ich mich: Sind wirklich die Menschenhändler die Hauptursache für den Menschenhandel? Ich denke, dass die Hauptursache der skrupellose Egoismus vieler scheinheiliger Menschen unsrer Welt ist. Sicherlich ist die Festnahme der Händler eine Pflicht der Gerechtigkeit. Aber die wahre Lösung ist die Bekehrung der Herzen, die Beseitigung der Nachfrage, um den Markt auszutrocknen. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).

Menschen, die die Nachfrage erzeugen, tragen tatsächlich Verantwortung für die zerstörerischen Folgen, die ihr Verhalten für andere Menschen mit sich bringt, und für die Verletzung moralischer Werte.

21. Um die Nachfrage im Menschenhandel zu reduzieren, sind Rechenschaftspflicht, Verfolgung und Bestrafung in allen Bereichen der Ausbeutungskette erforderlich, und zwar von den Anwerbern und den Menschenhändlern bis hin zu den Verbrauchern.

Wir dürfen uns nicht ablenken lassen: Wir sind alle aufgerufen, jede Form von Heuchelei hinter uns zu lassen, angesichts der Tatsache, dass wir Teil des Problems sind. Das Problem liegt nicht auf der anderen Seite: Es betrifft uns. Wir dürfen nicht woanders suchen und unsere Unwissenheit oder unsere Unschuld beteuern. - Papst Franziskus, Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Forums über moderne Sklaverei (7. Mai 2018). Inoffizielle Übersetzung.

Die Bestrafung von in die Fänge von Menschenhändlern geratenen und ausgebeuteten Menschen scheint keine geeignete Lösung zu sein; sie läuft vielmehr nur darauf hinaus, den Opfern die Schuld zu geben und sie zu bestrafen. Stattdessen muss der riesige Markt für solche Dienstleistungen offen- und trockengelegt werden. Der Kauf von sogenannten sexuellen Dienstleistungen in allen Formen einschließlich Pornografie, internetbasiertem Cybersex, Striptease-Clubs und Tanzlokalen mit erotischem Ambiente ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Menschenwürde und die menschliche Integrität und ein Affront gegen die menschliche Sexualität. Die Staaten sollten darauf abzielen, diejenigen zu kriminalisieren, die aus Prostitution oder anderen Formen sexueller Ausbeutung der Opfer von Menschenhandel Vorteile ziehen. Zur Rechenschaft sind entlang der Kette der Ausbeutung auch alle zu ziehen, die durch Menschenhandel Zwangsverheiratung, Leibeigenschaft, Zwangsbettelei, Organentnahme und reproduktive Ausbeutung ermöglichen. Es sollten sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene unter Mitwirkung aller betroffenen Parteien Kampagnen gefördert werden, die die Mitverantwortung und Mitschuld auf der Nachfrageseite von Menschenhandel deutlich machen.

Die Welt braucht konkrete Zeichen der Solidarität, vor allem gegenüber der Versuchung der Gleichgültigkeit. - Papst Franziskus, Katechese für die Haupt- und Ehrenamtlichen im Dienst der Barmherzigkeit (3. September 2016).

22. Sexuelle Dienstleistungen von einer Prostituierten zu kaufen hat nichts mit Liebe zu tun, sondern ist ein schweres Vergehen gegen die Menschenwürde.

[Prostitution] foltert eine Frau. Lasst uns die Begriffe nicht verwechseln. Das ist eine kriminelle, kranke Mentalität. Und ich möchte Sie und die Gesellschaft um Vergebung für alle Katholiken bitten, die diese kriminelle Handlung ausführen.<ref> Das Zitat wurde Domande dei giovani e risposte del Santo Padre entnommen. Inoffizielle Übersetzung.</ref> - Papst Franziskus, Vorsynodales Treffen mit jungen Menschen (19. März 2018).

Wie Papst Franziskus gegenüber einer jungen Überlebenden des Menschenhandels aus Nigeria bekräftigte, ist auch in den christlichen Gemeinschaften Bekehrung erforderlich; sie sind aufgerufen, alle Anstrengungen zu unterstützen, um die Nachfrage zu beseitigen, die die gesamte Kette des Menschenhandels aufrechterhält. „Könnte jemand Auge in Auge mit Menschen, die tatsächlich unter Gewalt und sexueller Ausbeutung leiden, ‚erklären‘, dass diese Tragödien, wenn sie in virtueller Form wiedergegeben werden, lediglich als ‚Unterhaltung‘ zu betrachten sind?“ Diese Frage von Papst Benedikt XVI.<ref> Papst Benedikt XVI., Ansprache bei der Begrüßungsfeier der Jugendlichen in Barangaroo (17. Juli 2008).</ref> stellt einen Appell an alle Katholiken dar, dazu beizutragen, dass man sich auf der Verbraucherseite zunehmend der moralischen und eben auch zivilen Verantwortung bewusst wird.

Menschenhandel nicht länger verleugnen und ihn ans Licht bringen

3. Weigerung, die schreckliche Realität des Menschenhandels anzuerkennen

23.' Trotz des öffentlichen Engagements von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren sowie zahlreicher Sensibilisierungskampagnen besteht nach wie vor eine weit verbreitete Unkenntnis über das Wesen und die Verbreitung des Menschenhandels.

Sicherlich gibt es in Bezug auf das Thema des Menschenhandels viel Unwissenheit. Aber zuweilen scheint mir auch ein wenig der Wille zu fehlen, die Reichweite dieses Problems zu verstehen. Warum? Weil es unserem Gewissen nahegeht, weil es heikel ist, weil wir uns dafür schämen. Dann sind da auch diejenigen, die das Problem kennen, aber nicht darüber sprechen wollen, weil sie sich am Ende der „Konsumkette“ befinden, und zwar als Nutznießer jener „Dienste“, die auf der Straße oder im Internet angeboten werden. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).

Personen, die Opfer von Menschenhandel werden, bleiben in der Regel versteckt, und Menschenhandel selbst wird im eigenen gesellschaftlichen Umfeld kaum wahrgenommen und nicht leicht entdeckt. Viele neigen dazu, andernorts stattfindenden Menschenhandel zu beklagen, ohne zu merken, dass er auch in ihrer Nachbarschaft und im Internet stattfindet.

Besondere Sorge muss Migrantenkindern und ihren Familien gelten, denen, die Opfer von Menschenhändlerringen sind, und solchen, die aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen und Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten. Sie alle hoffen, dass wir den Mut haben, die Mauer jener „bequemen und stillen Komplizenschaft“ niederzureißen, die ihre Hilflosigkeit verschlimmert. Sie warten darauf, dass wir ihnen Aufmerksamkeit, Mitgefühl und Zuwendung zeigen. - Papst Franziskus, Botschaft aus Anlass der Zweiten Mexiko-Konferenz des Heiligen Stuhls zum Thema Internationale Migration (14. Juni 2018). Inoffizielle Übersetzung.

Leider werden Menschen, die Opfer von Menschenhandel sind, oft manipuliert, psychologisch so unter Druck gesetzt und in Strukturen gefangen gehalten, die es ihnen unmöglich machen, zu entkommen, um Hilfe zu bitten oder auch nur ein klares Bewusstsein davon zu haben, Opfer von kriminellen Aktivitäten geworden zu sein – oder schlimmer noch –, immer noch zu sein.

Man darf die Gefahren nicht unterschätzen, die in einigen dieser virtuellen Räume enthalten sind: Im Netz werden viele junge Menschen angelockt und in eine Sklaverei gezwungen, aus der sie sich mit eigener Kraft nicht mehr befreien können. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).

Des Weiteren sind viele, die möglicherweise an vorderster Front stehen wie Strafverfolgungsbeamte, Staatsanwälte, Justizbehörden sowie Angehörige der Sozial- und Gesundheitsberufe oftmals nicht ausreichend geschult, um Opfer von Menschenhandel zu erkennen und um mit aller dafür erforderlichen Kompetenz, Diskretion und Sensibilität mit ihnen umzugehen.

24. Wenn Menschenhandel über die Grenzen eines Landes hinaus stattfindet, sollten die Behörden der Herkunfts-, Transitund Bestimmungsländer die notwendigen Informationen über Prävention, Identifizierung und Verfolgung von Menschenhandel, die Risiken, Modalitäten und Folgen von Menschenhandel sowie die anwendbaren internationalen und nationalen Gesetze erhalten. Auf Gemeinschaftsebene sollten spezifische Fortbildungsprogramme zur Stärkung der Kapazitäten für Prävention, Schutz, Strafverfolgung und Partnerschaft angeboten werden.

In den letzten Jahren hat der Heilige Stuhl [...] seine Appelle an die internationale Gemeinschaft vervielfacht, damit die verschiedenen Akteure ihre Bemühungen miteinander verknüpfen und zusammenarbeiten, um diesem Übel ein Ende zu setzen. Außerdem wurden einige Treffen organisiert mit dem Ziel, das Phänomen des Menschenhandels ins Rampenlicht zu rücken [...]. Ich hoffe, dass dieser Einsatz in den kommenden Jahren fortgesetzt und verstärkt wird. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).

Solche Programme sollten auch die angemessene Beteiligung von Personen vorsehen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind.

All jene, die selbst Opfer des Menschenhandels waren, sind eine unerschöpfliche Quelle der Unterstützung für die neuen Opfer und sehr wichtige Informationsquellen, um viele andere Jugendliche zu retten. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).

Darüber hinaus sollte die Jugend dazu erzogen werden, ein verantwortungsbewusstes Sexualleben im Rahmen einer lebenslang treuen Ehe zu führen, Menschen anderer Ethnien Respekt zu erweisen, das Internet umsichtig und kritisch zu nutzen und sich über die Herkunft und Produktion der von ihnen erworbenen Waren zu informieren.

Die Initiativen zur Bekämpfung des Menschenhandels müssen bei ihrem konkreten Ziel der Beseitigung von kriminellen Netzwerken immer mehr die damit zusammenhängenden weiteren Umfelder berücksichtigen, wie zum Beispiel die verantwortungsvolle Nutzung der Kommunikationstechnik und -mittel und nicht zu vergessen die Prüfung der ethischen Implikationen von wirtschaftlichen Wachstumsmodellen, die den Profit vor den Menschen an die erste Stelle setzen. - Papst Franziskus, Ansprache an die Mitglieder der „Santa Marta Group“ (9. Februar 2018).

25. Katholiken sollten sich persönlich und innerhalb der Familie engagieren:

Die Arbeit der Sensibilisierung muss zu Hause anfangen, bei uns selbst, denn nur so werden wir anschließend in der Lage sein, in unseren Gemeinschaften die Gewissen wachzurütteln, indem wir sie anregen, sich zu engagieren, damit niemand mehr Opfer des Menschenhandels wird. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).

Sie sollten sich auch auf Gemeinschaftsebene engagieren, um das Bewusstsein zu schärfen und die Jugend zu schulen, Menschenhandel effektiv zu verhindern und zu bekämpfen.

Eine erste Aufgabe [...] besteht darin, eine Strategie umzusetzen, um ein stärkeres Bewusstsein für das Thema zu erreichen, indem man den Schleier der Gleichgültigkeit zerreißt, der das Schicksal dieses Teils der Menschheit, der fortgesetzt leidet, zu bedecken scheint. - Papst Franziskus, Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Forums über moderne Sklaverei (7. Mai 2018). Inoffizielle Übersetzung.

4. Menschenhandel identifizieren und anzeigen

26. Mehrere Faktoren behindern die Identifizierung und das Anzeigen von kriminellem Menschenhandel: Polizeiliche Ermittlungen sind schwierig und dauern lange. Zu den Hindernissen für die Beweiserhebung für diese kriminelle Aktivität gehören auch weit verbreitete Korruption und mangelnde Zusammenarbeit der Behörden in Drittländern.

Auch die Korruption derer, die zu allem bereit sind, um sich zu bereichern, ist zu den Ursachen der Sklaverei zu zählen. Tatsächlich verlangen die Verknechtung und der Handel von Menschen eine Komplizenschaft, die oft ihren Weg über die Korruption der Mittelsmänner nimmt – einige Mitglieder der Ordnungskräfte oder anderer staatlicher Akteure oder verschiedener ziviler und militärischer Einrichtungen. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).

Die Ressourcen sind unzureichend, um die Kriminalität durch Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zu bekämpfen; oft ist die Zuständigkeit ungeklärt und der Instanzenweg ist lang. Neben dem traditionellen Ansatz müssen Strafverfolgungsbehörden auch andere Formen in Betracht ziehen, beispielsweise Ermittlungen im Finanzbereich. Der komplexe bereichsübergreifende Charakter des Menschenhandels stellt die Ermittler vor große Herausforderungen. Kulturelle Zwänge erschweren es manchmal, Menschenhandel klar zu erkennen. Überlebende melden die Straftat aus zwingenden Gründen häufig nicht. Betroffene Menschen haben oft mit Recht Angst davor, die Täter anzuzeigen und gegen sie auszusagen. Angesichts realer Drohungen fürchten sie um ihr eigenes Leben oder um das Wohlergehen ihrer Familien. Fehlen ihnen die erforderlichen Unterlagen für den Aufenthalt in einem Land oder die Arbeitserlaubnis, haben sie Angst, dass auch sie strafrechtlich verfolgt werden. Außerdem schämen sie sich häufig, sind völlig allein und unfähig, jemandem zu vertrauen. Durch ihr Trauma sind sie oft nicht gewillt oder in der Lage, ihre Geschichten zu erzählen; sie sträuben sich dagegen, sich das schreckliche Missbrauchtwerden und ihre Leiden erneut zu vergegenwärtigen. Drohungen, Gewalt und Verzweiflung lähmen sie genauso wie damals, als sie von den Menschenhändlern in die Falle gelockt worden waren.

Es ist eine soziologische Tatsache: Organisierte Kriminalität und illegaler Menschenhandel wählen ihre Opfer unter Menschen aus, die heute kaum über Existenzgrundlagen verfügen und noch weniger Hoffnung für die Zukunft haben. Um noch deutlicher zu sein: unter den Ärmsten, unter den am meisten Vernachlässigten, den am meisten Zurückgewiesenen. - Papst Franziskus, Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Forums über moderne Sklaverei (7. Mai 2018). Inoffizielle Übersetzung.

27. Um die Aufdeckung und das Anzeigen von Menschenhandel zu fördern, sollten Strafverfolgungsbeamte, Staatsanwälte, Justizbehörden sowie Sozial- und Gesundheitsexperten in den geltenden internationalen und nationalen Gesetzen gut ausgebildet und in der Identifizierung und Verfolgung von Menschenhandel unterwiesen sein. Korruption und stillschweigende Duldung durch staatliche Akteure sollten konsequent angezeigt und strafrechtlich verfolgt werden. Kompetente Lobbyarbeit aller, die es angeht, einschließlich der Überlebenden des Menschenhandels, sollte sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene gefördert werden. Diese Lobbyarbeit sollte darauf abzielen, sämtliche internationalen Abkommen, Regeln und Normen, die die Rechte von Migranten betreffen, zu erfüllen und im Einklang mit den Lehren der Kirche die ganzheitliche Entwicklung der menschlichen Person zu fördern. Überlebende des Menschenhandels sollten ermutigt, aber nicht dazu gezwungen werden, sich an der Verfolgung ihrer Ausbeuter zu beteiligen. Diejenigen, die sich für eine Zusammenarbeit entscheiden, sollten dies in Sicherheit tun zu können. Jede zusätzliche Angst und Belastung für sie sollte vermieden werden. Ihnen sollte sicherer Schutz einschließlich des Schutzes ihrer Privatsphäre, sichere Unterkunft sowie psychologische und soziale Unterstützung gewährt werden. Für Minderjährige, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, sollte besonderer Schutz vorgesehen werden, und jede Maßnahme sollte sich vorrangig am Wohl des Kindes orientieren unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der Eltern des Kindes, der Erziehungsberechtigten oder anderer rechtlich für sie verantwortlichen Personen.<ref> Vgl. Konvention über die Rechte des Kindes, Artikel 3.</ref>

„Schützen“ erinnert an die Pflicht, die unantastbare Würde all jener, die vor einer realen Gefahr fliehen und Asyl und Sicherheit suchen, anzuerkennen und zu wahren und ihre Ausbeutung zu verhindern. Ich denke dabei besonders an die Frauen und Kinder, die sich in Situationen befinden, in denen sie Gefahren und Missbrauch bis hin zur Sklaverei ausgesetzt sind. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2018 (13. November 2017).

Es ist angebracht, dass es Rechtsanwälten, zivilgesellschaftlichen Gruppen und religiösen Organisationen gestattet wird, bei Ermittlungen und Gerichtsverfahren als Bevollmächtigte von Überlebenden zu handeln. Die Beweislast sollte nicht allein bei den Überlebenden des Menschenhandels liegen. Solange das Verbrechen des Menschenhandels weitgehend unentdeckt bleibt, werden Menschenhändler nahezu ungestraft weitermachen.

28. Die feste Entschlossenheit, gegen das Übel des Menschenhandels vorzugehen, bestimmt weiterhin die Arbeit katholisch orientierter Organisationen. Kirchen, christliche Gemeinschaften und andere religiöse Organisationen, die das Vertrauen derjenigen genießen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, sollten aufgefordert werden, bei polizeilichen Ermittlungen und Gerichtsverfahren mitzuwirken. „Die Realität ist, dass viele Überlebende des Menschenhandels sich schwer tun, Strafverfolgungsbehörden zu vertrauen, wodurch ihre Befreiung und die Verfolgung der Menschenhändler erheblich erschwert werden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es für sie viel einfacher ist, Ordensschwestern und anderen kirchlichen Mitarbeitern allmählich zu vertrauen, die ihnen dabei helfen, Vertrauen in das Gerichtsverfahren zu setzen, und ihnen einen sicheren Hafen und andere Formen der Unterstützung bieten.“<ref> PAUL R. GALLAGHER, Intervention zum Schutz der Opfer und zur Hilfe für sie (28. September 2017).</ref>

Die Dynamik des Menschenhandels: ein schmutziges Geschäft

5. Verbindung zur Wirtschaft

29. Das moderne Finanzwesen sowie die modernen Handels-, Transport- und Kommunikationswege bieten Skrupellosen die Gelegenheit, bei der Gefangennahme und Ausbeutung von Menschen mitzumischen. Durch das Zusammenwirken vieler unterschiedlicher Täter hat sich der Menschenhandel auf Branchen wie die Landwirtschaft, Fischerei, das Bauwesen und den Bergbau ausgeweitet, wodurch das Phänomen komplexer und die Bewertung seiner Ursachen und Auswirkungen schwieriger geworden ist. Das Verbrechen lässt sich leicht unter aktuellen Geschäftsmodellen verbergen. Empörung, obwohl völlig angemessen, neigt dazu, zu verschleiern, dass die kalte Logik des Profit-Machens, die selbst in angesehenen Unternehmen etabliert ist, auch für den Menschenhandel gilt. Wenn gut gemeinte Bemühungen unternommen werden, den Menschenhandel zu blockieren, ändern skrupellose Unternehmer einfach ihre Taktik, um Gegenmaßnahmen zu entgehen.

30.' Es besteht dringender Bedarf an einer ethischen Bewertung aktueller Geschäftsmodelle, um die von bestimmten Unternehmen eingesetzten Mechanismen der hinterhältigen Anwerbung und Ausbeutung aufzudecken. Die Kirche fordert beide Seiten, d. h. die Unternehmer, die die Produkte anbieten, und die Endverbraucher, die sie konsumieren, auf, sich an dieser ethischen Reflexion zu beteiligen und die erforderlichen Veränderungen vorzunehmen.

Ökonomische Modelle müssen daher auch eine Ethik der nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung einhalten, die auf Werten basiert, welche die menschliche Person und ihre Rechte in den Mittelpunkt stellen. - Papst Franziskus, Botschaft zum Jahrestreffen des „World Economic Forum“ in Davos (12. Januar 2018). Inoffizielle Übersetzung.

31. Die Kirche ist bestrebt, Werte und Geschäftsmodelle zu fördern, die die Menschen und Völker wirklich befähigen, den Plan Gottes für die Menschheit zu erfüllen, und die allen die Teilnahme an der Wirtschaft ermöglichen.

Das Unternehmen und der Unternehmensvorstand können zu Orten der Heiligung werden durch das Bemühen eines jeden, brüderliche Beziehungen zwischen Unternehmern, Vorstand und Mitarbeitern aufzubauen und Mitverantwortung und Zusammenarbeit im gemeinsamen Interesse zu fördern. - Papst Franziskus, Ansprache an die Union Christlicher Unternehmer (31. Oktober 2015).

Alle Katholiken sollten sich proaktiv dafür einsetzen, Gesellschaften gerechter, respektvoller und inklusiver zu gestalten und alle Formen der Ausbeutung zu beseitigen, vor allem die rücksichtslosesten.

Während Einzelne und Gruppen schändlich mit Sklaverei spekulieren, sind wir Christen alle gemeinsam aufgerufen, mehr und mehr Zusammenarbeit zu entwickeln, alle Arten von Ungleichheit, alle Arten von Diskriminierung zu überwinden, die genau das sind, was den einen ermöglicht, andere zu ihren Sklaven zu machen. Eine gemeinsame Verpflichtung, sich dieser Herausforderung zu stellen, wird eine wertvolle Hilfe für den Aufbau einer erneuerten, auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden ausgerichteten Gesellschaft sein. - Papst Franziskus, Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Forums über moderne Sklaverei (7. Mai 2018). Inoffizielle Übersetzung.

6. Arbeitsbedingungen und Lieferketten

32. Menschenhandel ist oft in einem Labyrinth von Lieferketten versteckt. Zunehmend wettbewerbsorientierte Märkte zwingen Unternehmen, die Arbeitskosten zu senken und Rohstoffe zu niedrigstmöglichen Preisen zu beziehen.

Noch mehr tragen Tag für Tag die Last eines Wirtschaftssystems, das den Menschen ausbeutet, ihm ein unerträgliches „Joch“ aufbürdet, das die wenigen Privilegierten nicht tragen wollen. - Papst Franziskus, Angelus (6. Juli 2014).

Häufig haben die Arbeitnehmer keine andere Wahl, als Verträge mit ausbeuterischen Bedingungen zu unterzeichnen. Eine sorgfältige ethische Begutachtung der menschlichen Dimension von Beschaffung, Produktion, Vertrieb und Recycling findet selten statt. Die Aufmerksamkeit, die jetzt den Lieferketten zukommt, trägt zwar zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht bei; dies sollte jedoch niemanden davon abhalten, eine ehrliche und sorgfältige Begutachtung der tatsächlichen Verantwortung der Verbraucher und der Länder, in denen sie leben, vorzunehmen.

Die Staaten müssten darüber wachen, dass ihre nationale Gesetzgebung zur Migration, zur Arbeit, zu Adoptionen, zur Standortverlagerung der Unternehmen und zur Vermarktung von Produkten, die durch die Ausbeutung der Arbeit hergestellt werden, wirklich die Würde der Person achtet. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).

33. Der Nachfrage nach billigen Gütern auf der Grundlage billiger Arbeitskräfte muss rasch und angemessen entgegengetreten werden, sowohl durch die Sensibilisierung der Öffentlichkeit als auch durch die Gesetzgebung. Um zu einem fairen wirtschaftlichen Modell zu ermutigen, das die ganzheitliche menschliche Entwicklung fördert, sollte die Gesetzgebung alle Unternehmen, insbesondere diejenigen, die transnational tätig sind und Outsourcing nach Entwicklungsländern betreiben, verpflichten, in die Transparenz und Rechenschaftspflicht ihrer Lieferketten zu investieren.

Die Unternehmen haben nämlich die Pflicht, ihren Angestellten würdige Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne zu garantieren, aber auch darüber zu wachen, dass in den Verteilerketten keine Formen von Verknechtung oder Menschenhandel vorkommen. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).<ref> Vgl. auch: Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si' über die Sorge für das gemeinsame Haus (24. Mai 2015), 123: a. a. O., S. 89–90.</ref>

Es sollten Regulierungen in Kraft gesetzt werden, dass Arbeitsverträge ordnungsgemäß abgeschlossen werden, frei von missbräuchlichen Klauseln sind und ordnungsgemäß eingehalten werden. Kampagnen sollten die Endverbraucher darauf aufmerksam machen, wenn Opfer von Menschenhandel an einem Produktionsprozess beteiligt sind.

Vor allem müssen wir uns dieses neue Übel, das in der globalen Welt verborgen werden soll, weil es skandalös und „politisch inkorrekt“ ist, stärker zu Bewusstsein führen. Niemand mag zugeben, dass es in der eigenen Stadt, sogar im eigenen Viertel, in der eigenen Region oder Nation neue Formen der Sklaverei gibt, während wir wissen, dass diese Plage fast alle Länder betrifft. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften (18. April 2015).

„Es ist gut, dass sich die Menschen bewusst werden, dass das Kaufen nicht nur ein wirtschaftlicher Akt, sondern immer auch eine moralische Handlung ist. Die Konsumenten haben daher eine klare soziale Verantwortung, die mit der sozialen Verantwortung des Unternehmens einhergeht.“<ref> Papst Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit (29. Juni 2009), 66: a. a. O., S. 104.</ref>

34. Katholische Unternehmer sollten die Lehren der Kirche in die Praxis umsetzen, indem sie menschenwürdige Arbeitsbedingungen und angemessene Bezahlung für den Unterhalt der Familien bieten: „Die Anerkennung der subjektiven Dimension der Arbeit ist zugleich die ihrer Würde und Bedeutung. Sie hilft uns zu sehen, dass die Arbeit um des Menschen willen und nicht der Mensch um der Arbeit willen da ist. Arbeitnehmer sind also nicht bloß ‚Humanressourcen‘ oder ‚Humankapital‘.“<ref> Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, Zum Unternehmer berufen! Eine Ermutigung für Führungskräfte in der Wirtschaft (Rom 2018), 49.</ref> Alle kirchlichen Behörden, Ordensgemeinschaften und katholischen Organisationen sollten auch für die nötigen Ausbildungressourcen und das Fachwissen sorgen, um ihre Beschaffungspolitik und Arbeitsverträge ordnungsgemäß zu überwachen und sicherzustellen, dass diese die grundlegenden Menschenrechte und die Menschenwürde respektieren.

„Geeint in der Verteidigung der Hoffnung“: dies verlangt eine größere Kultur der Transparenz bei öffentlichen Einrichtungen, im privaten Bereich und in der Zivilgesellschaft, ich schließe die kirchlichen Organisationen hier nicht aus. Niemand kann unbeteiligt sein an diesem Prozess; die Korruption ist vermeidbar und es braucht den Einsatz aller. - Papst Franziskus, Ansprache an Vertreter der Regierung und des öffentlichen Lebens sowie des Diplomatischen Korps, Ehrenhof des Regierungspalastes, Lima (19. Januar 2018).

7. Menschenhandel und die Schleusung von Migranten

35. In der Realität verschwimmt die Grenze zwischen Schleusung von Migranten und Menschenhandel immer mehr. Die Schleusung von Migranten kann sich leicht in Menschenhandel verwandeln. In den letzten Jahren gab es starke gemischte Wanderungsbewegungen von Migranten und Flüchtlingen; aufgrund des Mangels an zugänglichen und legalen Alternativen und der zunehmend restriktiven Migrationspolitik haben viele verzweifelte Menschen die Dienste von Schleusern in Anspruch genommen und wurden letztlich Opfer von Menschenhändlern. Wenn staatliche und nichtstaatliche humanitäre Programme nicht ausreichen, um der Zahl der Menschen, die Schutz oder eine neue Heimat suchen, gerecht zu werden und wenn die internationale humanitäre Hilfe und die Entwicklungshilfe reduziert werden, erweisen sich Schleuser von Migranten und dann Menschenhändler als Experten darin, diese Unzulänglichkeiten zu nutzen.

Menschenhändler sind oft skrupellos, ohne Moral oder Ethik. Sie leben vom Unglück anderer, indem sie die menschlichen Gefühle und die Verzweiflung der Menschen ausnützen, um sie ihrem Willen zu unterwerfen, sie zu versklaven und hörig zu machen. Es reicht, daran zu denken, wie viele sehr junge afrikanische Frauen unsere Küsten erreichen in der Hoffnung, ein besseres Leben zu beginnen. Sie denken, sich ehrlich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch sie werden versklavt und zur Prostitution gezwungen. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Tag des Gebets und der Reflexion gegen den Menschenhandel (12. Februar 2018).

36. Um zu verhindern, dass Menschen auf die Dienste von Schleusern zurückgreifen und in die Fänge von Menschenhändlern geraten, sollte man zunächst sicherstellen, dass sie sich nicht gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Die radikalste Form der Prävention besteht also darin, das Recht auf Verbleib im Herkunftsland und am Herkunftsort zu gewährleisten und sicherzustellen, dass sie dort Zugang zu grundlegenden Gütern und somit die Möglichkeit zur ganzheitlichen menschlichen Entwicklung haben. Die Erfüllung der Grundbedürfnisse wird umso dringlicher bei bewaffneten Konflikten oder in von Gewalt geprägten Situationen, welche die Menschen oft ohne ein Minimum an Vorbereitung oder Schutz zur Flucht zwingen. Haben sie, aus welchen Gründen auch immer, beschlossen zu gehen oder werden sie gezwungen, das Land zu verlassen, können Schleusung und Menschenhandel verhindert werden, wenn besser zugängliche legale Wege für eine sichere und geordnete Migration zur Verfügung stehen.

Wenn wir das gegenwärtige Szenario betrachten, so bedeutet aufnehmen vor allem, den Migranten und Flüchtlingen breitere Möglichkeiten für eine sichere und legale Einreise in die Zielländer anzubieten. In diesem Sinn ist ein konkretes Bemühen wünschenswert, damit die Gewährung von Visa zu humanitären Zwecken und zur Wiedervereinigung von Familien vermehrt und vereinfacht wird. - Papst Franziskus, Botschaft zum 104. Welttag des Migranten und Flüchtlings 2018 (14. Januar 2018).

Zuverlässige Informationen zu Migration und Asyl müssen übermittelt und verbreitet werden.

Die ethische Qualität der Kommunikation ist letztendlich die Frucht eines aufmerksamen und nicht oberflächlichen Gewissens, das immer respektvoll ist gegenüber den Menschen, sowohl den Personen gegenüber, die Gegenstand der Information sind, als auch den Empfängern der Informationen gegenüber. Jeder ist in seiner jeweiligen Rolle und der ihm zustehenden Verantwortlichkeit aufgerufen, darüber zu wachen, das ethische Niveau der Kommunikation hoch zu halten [...]. - Papst Franziskus, Ansprache an die Exekutivdirektoren und Mitarbeiter des Italienischen Hörfunk- und Fernsehanstalt (Rai) (18. Januar 2014).

Dieser Schutz beginnt in der Heimat und besteht im Angebot von sicheren und bescheinigten Informationen vor der Abreise und in der Bewahrung vor Praktiken illegaler Anwerbung. - Papst Franziskus, Botschaft zum 104. Welttag des Migranten und Flüchtlings 2018 (14. Januar 2018).

Es bedarf besonderer und intensiver Verfolgung der organisierten Kriminalität, die auf nationaler und transnationaler Ebene die Schleusung von Migranten und Menschenhandel betreibt, und die Duldung dieser Taten sollte von lokalen und nationalen Behörden ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden.

Korruption ist Betrug an der Demokratie und öffnet anderen schrecklichen Übeln die Tore, wie Drogenhandel, Prostitution und Menschenhandel, Sklaverei, Organhandel, Waffenhandel und so weiter. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Internationalen Konferenz des Bundes Katholischer Unternehmer (UNIAPAC) (17. November 2016).

37. Die katholische Kirche setzt sich für den Schutz der Opfer von Menschenhandel ein.

Diese Brüder und Schwestern zu schützen ist ein moralischer Imperativ, der umgesetzt werden muss [...] durch die Umsetzung von rechtzeitigen und humanisierenden Programmen im Kampf gegen die „Menschenfleischhändler“, die Geschäfte machen mit dem Unglück anderer; [...]. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Forum „Migration und Frieden“ (21. Februar 2017).

Dies beginnt damit, Eltern und Familienmitglieder an ihre Rolle als erste Beschützer gegen Menschenhändler zu erinnern. Jeder sollte ermutigt werden, illegale Anwerbepraktiken zu entlarven und anzuzeigen, sich an verschiedenen Initiativen in seinem Umfeld zu beteiligen und sich für Fairness und die Verbesserung legaler Zugangsmöglichkeiten für Migranten und Asylbewerber einzusetzen.

Auf den Menschenhandel reagieren: Verbesserungsmöglichkeiten

8. Zusammenarbeit stärken

38. Die Umsetzung des Palermo-Protokolls wurde allgemein in Form von drei „Ps“ vorgestellt: Prävention, Protektion, Prosekution (Strafverfolgung). Manche nationale und internationale Institutionen haben ihre Politik und Programme in diesem Sinne entwickelt. Darüber hinaus gibt es ein viertes „P“, nämlich Partnerschaft, die nicht weniger wichtig ist, aber doch bisweilen schwächer bleibt. Mangelnde Kooperation – oder gar Konkurrenz – zwischen verschiedenen staatlichen Akteuren führt oft dazu, dass gut gemeinte politische Maßnahmen und Programme wirkungslos werden.

In einigen Fällen bedeutet die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Staaten, dass viele Menschen außerhalb der Reichweite des Gesetzes bleiben und keine Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen, was sie zwangsläufig in eine Situation bringt, entweder von anderen ausgenutzt zu werden oder gar zu resignieren und Opfer von Missbrauch zu werden. - Papst Franziskus, Botschaft an den Präsidenten von Panama zum Anlass des Siebten gesamtamerikanischen Gipfels (10. April 2015). Inoffizielle Übersetzung.

Dies gilt auf internationaler, nationaler und lokaler Ebene. Ähnliche Schwierigkeiten mindern die Wirksamkeit der von zivilgesellschaftlichen Organisationen durchgeführten Maßnahmen.

Die zwischenstaatlichen Organisationen sind gemäß dem Prinzip der Subsidiarität berufen, aufeinander abgestimmte Initiativen durchzuführen, um die nationenübergreifenden Netze der organisierten Kriminalität zu bekämpfen, welche den Menschenhandel und den illegalen Transport der Migranten betreiben. Es ist eine Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen notwendig, und zwar so, dass sie die nationalen und internationalen Institutionen ebenso einschließt wie die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Welt des Unternehmertums. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).

Das Engagement von Wirtschaft und Medien in koordinierten Aktionen, die gemeinsam mit anderen relevanten Akteuren durchgeführt werden, ist noch sehr schwach.

39. Zusammenarbeit und Koordination zwischen nationalen und internationalen Institutionen sind von entscheidender und grundlegender Bedeutung, um die Maßnahmen aller zur Ausrottung von Menschenhandel in Herkunfts-, Transit- oder Bestimmungsorten zu beschleunigen und effizienter zu machen.

Während bereits viel getan wurde, um die Schwere und Verbreitung des Phänomens zu erkennen, bleibt noch sehr viel mehr zu tun, um in der öffentlichen Meinung das Bewusstsein davon zu verstärken und um eine bessere Koordinierung der Bemühungen vonseiten der Regierungen, der Justizbehörden, der Rechtsprechung und der Sozialarbeit zu erreichen. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Zweiten Europäischen Versammlung des Netzwerkes R.E.N.A.T.E. (7. November 2016).

Staaten sollten sachdienliche Informationen über Menschenhandel mit anderen Staaten austauschen und gemeinsame Maßnahmen für Prävention, Schutz und Strafverfolgung entwickeln. Es bedarf einer verstärkten Zusammenarbeit sowie der Bereitstellung von technischer und anderer Hilfe für alle Länder entlang der Menschenhandelsrouten. Um effektiv zu sein, müssen Kooperation und Koordination auch die Zivilgesellschaft, religiöse Organisationen und Religionsführer sowie den Wirtschaftssektor und die Medien einbeziehen.

Die Zusammenarbeit zwischen Bischöfen und zivilen Behörden, jeder seiner Aufgabe und seinem Wesen entsprechend, um in der Praxis die besten Wege zur Erfüllung dieser schwierigen Aufgabe zu finden, ist ein entscheidender Schritt, damit sichergestellt werden kann, dass die Absicht der Regierungen direkt und unmittelbar, beständig, wirksam und konkret die Opfer erreicht. - Papst Franziskus, Grußwort an die Teilnehmer der von der „Santa Marta Group“ organisierten Konferenz über Menschenhandel (28. Oktober 2015).

40. Obwohl die katholische Kirche bereits einige wichtige Schritte in Richtung einer effektiven Koordinierung ihrer eigenen Institutionen unternommen hat, besteht Verbesserungsbedarf. Innerhalb der Kirche würde eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Bischofskonferenzen, einzelnen Diözesen, Ordensgemeinschaften und katholischen Organisationen bestehende Programme gegen Menschenhandel effektiver machen und neue schaffen. Hilfreich wäre auch, mit anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften zu kooperieren und mit den Anhängern anderer Religionen zusammenzuarbeiten.

Der auf vertrauensvolle Achtung gegründete Dialog kann Samen des Guten in sich tragen, die wiederum zu Keimen der Freundschaft und der Zusammenarbeit auf vielen Gebieten werden, vor allem im Dienst an den Armen, den Geringsten, den alten Menschen, in der Aufnahme von Migranten, in der Aufmerksamkeit für die Ausgegrenzten. Wir können gemeinsam vorangehen, indem wir Sorge füreinander und für die Schöpfung tragen. - Papst Franziskus, Interreligiöse Generalaudienz anlässlich des 50. Jahrestages der Verkündung der Konzilserklärung „Nostra Aetate“ (28. Oktober 2015).

Darüber hinaus könnte die Zusammenarbeit zwischen den Kirchen an den Herkunfts- und Rückkehrorten von Überlebenden des Menschenhandels zur Verbesserung von Wiedereingliederungsprogrammen beitragen.

9. Überlebende des Menschenhandels unterstützen

41. Die Wiedereingliederung von Überlebenden des Menschenhandels in die Gesellschaft ist angesichts der erlittenen Traumata keine leichte Aufgabe.

Aufgabe von humanitären Helfern und Sozialarbeitern [...] ist es, Opfern ein Willkommen zu bereiten, ihnen menschliche Wärme zu schenken und ihnen zu ermöglichen, ein neues Leben aufzubauen. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels (10. April 2014). Inoffizielle Übersetzung.

Zu ihren vielen Bedürfnissen zählen zuerst die leiblichen, seelischen und spirituellen; sie müssen von Traumata, Stigmatisierung und gesellschaftlicher Isolation befreit werden.

Es handelt sich, das möchte ich betonen, um menschliche Personen, die an Solidarität und Hilfe appellieren, die dringend notwendige Maßnahmen brauchen, aber auch und vor allem Verständnis und Güte. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer des Plenums des Päpstlichen Rats für die Seelsorge von Migranten und Menschen unterwegs (24. Mai 2013).

Gesundheitsdienstleister müssen häufig besonders geschult werden, um die Symptome zu identifizieren und die speziellen und oft mehrdimensionalen Folgen von Menschenhandel zu behandeln. Auch die praktischen Herausforderungen sind vielfältig. Die Opfer benötigen Hilfe, um Schulden zu begleichen, eine Unterkunft zu finden, neue Fähigkeiten zu erwerben und eine angemessene Beschäftigung zu finden und zu behalten. Doch laufen Überlebende von Menschenhandel in Gefahr, übersehen, abgelehnt, bestraft oder sogar zum Sündenbock gemacht zu werden, als ob die erniedrigenden Dinge, zu denen man sie gezwungen hatte, tatsächlich ihre eigene Schuld gewesen wären.

42. Staaten sollten Programme und Mechanismen zum Schutz, zur Rehabilitation und zur Wiedereingliederung der Opfer aufstellen oder verbessern und ihnen die von den Menschenhändlern beschlagnahmten wirtschaftlichen Ressourcen zurückgeben.

Die Opfer bedürfen zuerst der Rehabilitierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft. - Vgl. PAPST FRANZISKUS, Ansprache beim Gipfeltreffen der Richter und Staatsanwälte gegen den Menschenhandel und organisierte Kriminalität (3. Juni 2016).

Die ganze Gesellschaft ist aufgerufen, in diesem Bewusstsein zu wachsen, besonders in Bezug auf die nationale und internationale Gesetzgebung, um die Menschenhändler der Justiz zu überstellen und ihre unrechten Einnahmen zur Rehabilitierung der Opfer einzusetzen. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften (18. April 2015).

Angemessene Unterkunft und menschenwürdige Arbeit sind wichtige Prioritäten, ebenso wie der Zugang zu den Diensten von Sozialarbeitern, Psychologen, Therapeuten, Rechtsanwälten, Ärzten, Notfallaufnahmen, Krankenhauspersonal und anderen Fachleuten. Sie alle bedürfen der Schulung, um die komplexen Bedürfnisse von Menschen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, zu erkennen und darauf zu reagieren. Wenn Überlebende es vorziehen, im Zielland zu bleiben, benötigen sie Zugang zu qualifizierter Bildung und Programmen, die auf ihre soziale und berufliche Integration abzielen.

Die grundlegende Antwort liegt darin, Möglichkeiten für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung zu schaffen, beginnend mit einer qualitativ hochwertigen Bildung: Dies ist der springende Punkt, eine qualitativ hochwertige Bildung von frühester Kindheit an, um weiterhin neue Wachstumsmöglichkeiten durch Bildung und Beschäftigung zu schaffen. - Papst Franziskus, Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Forums über moderne Sklaverei (7. Mai 2018). Inoffizielle Übersetzung.

Wege zur Familienzusammenführung müssen zugänglich sein.

[…] der familiäre Aspekt des Integrationsprozesses [darf] keinesfalls vernachlässigt werden. - Papst Franziskus, Ansprache an die Teilnehmer am Internationalen Forum „Migration und Frieden“ (21. Februar 2017).

Überlebende, die langfristige Störungen der emotionalen oder psychischen Gesundheit aufweisen oder von Suchtmitteln abhängig geworden sind, bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. Vor allem aber sind diese Überlebenden, unabhängig von den zu ergreifenden praktischen Maßnahmen, Menschen und sollten immer das Gefühl haben, dass sie mit dem größten Respekt behandelt werden.

43. Die Ortskirchen, Ordensgemeinschaften und katholisch inspirierten Organisationen, die Pionierarbeit für Unterstützungsprogramme für Überlebende des Menschenhandels geleistet haben, werden von Papst Franziskus ermutigt, ihre Bemühungen zu verstärken und zu professionalisieren, sie besser zu koordinieren und gleichzeitig andere an ihre Verantwortung zu erinnern.

[…] möchte ich doch an die enorme Arbeit erinnern, die viele – besonders weibliche – Ordensgemeinschaften seit vielen Jahren im Stillen für die Opfer vollbringen. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).
Ich bin zuversichtlich, dass Ihre Diskussion in diesen Tagen auch dazu beitragen wird, das Bewusstsein dafür zu stärken, dass es immer dringender notwendig ist, den Opfern dieser Verbrechen zu helfen, indem man sie auf dem Weg der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und der Wiederherstellung ihrer Menschenwürde begleitet. Die Kirche ist dankbar für jegliche Anstrengung, die unternommen wird, um den Balsam der göttlichen Barmherzigkeit zu den Leidenden zu bringen, denn dies ist auch ein wesentlicher Schritt für den Wiederaufbau und die Erneuerung der Gesellschaft als Ganzer. - Papst Franziskus, Ansprache an die Mitglieder der „Santa Marta Group“ (9. Februar 2018).

Seelsorger und Seelsorgerinnen, die Überlebenden des Menschenhandels dienen, sollten sich stets bewusst sein, wie wichtig es ist, auf deren spirituelle Bedürfnisse einzugehen und auf die heilende Kraft des Glaubens zu vertrauen, die insbesondere Katholiken in der Eucharistie und im Sakrament der Versöhnung zuteilwird.

Sie [die Kirche] hat die Aufgabe, allen den Weg zur Umkehr zu zeigen, die dazu anregt, den Nächsten mit anderen Augen zu sehen, im anderen, wer immer er sei, einen Bruder und eine Schwester im Menschsein zu erkennen und ihm seine innere Würde in der Wahrheit und in der Freiheit zuzugestehen. - Papst Franziskus, Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2015 (8. Dezember 2014).

Durch das Zeugnis der barmherzigen Liebe Gottes mögen die Gläubigen auch zur Bekehrung und Rehabilitierung von Tätern, die Menschenhandel betrieben haben, beitragen.

Wir Christen glauben und wissen, dass die Auferstehung Christi die wahre Hoffnung der Welt ist, jene Hoffnung, die nicht trügt. Es ist die Kraft des Weizenkorns, die Kraft jener Liebe, die sich erniedrigt und hingibt bis zur Vollendung. Diese Kraft erneuert wirklich die Welt. Diese Kraft bringt auch heute Frucht in den Ackerfurchen unserer Geschichte, die von so viel Ungerechtigkeit und Gewalt gezeichnet ist. Sie trägt Früchte von Hoffnung und Würde, wo Elend und Ausgrenzung sind, wo es Hunger gibt und Mangel an Arbeitsplätzen, bei den Flüchtlingen und Vertriebenen – die von der gegenwärtigen Wegwerfkultur oft abgelehnt werden –, bei den Opfern des Drogenhandels, des Menschenhandels und der Sklaverei unserer Zeit. - Papst Franziskus, Botschaft Urbi et Orbi, Ostern (1. April 2018).

10. Wiedereingliederung fördern

44. Nach der Befreiung und Rückführung der Opfer des Menschenhandels an ihren Herkunftsort muss ihre Wiedereingliederung erfolgen, aber derartige nationale und internationale Programme sind recht selten. Die wenigen, die es gibt, führen oft zu einer raschen und zwangsweisen Rückkehr, ohne Berücksichtigung der Hindernisse oder sogar Gefahren einer Rückführung. Zielländer des Menschenhandels sollten ihrer Verantwortung gerecht werden, Überlebenden von Menschenhandel eine Aufenthaltserlaubnis, spezialisierte psychologische Hilfe und alternative Existenzgrundlagen vor ihrer eventuellen Rückkehr ins Heimatland zu gewähren.

45. Die Rückkehr von Überlebenden des Menschenhandels – ob aus dem Ausland zurückgeführt oder innerhalb ihres Heimatlandes umgesiedelt – sollte niemals unter Zwang erfolgen. Umgekehrt sollte den Überlebenden des Menschenhandels, die sich für eine Rückkehr nach Hause entscheiden, volle Unterstützung angeboten werden. „In ähnlicher Weise müssen die unterentwickelten Länder, aus denen die Mehrheit der Opfer kommt, unbedingt wirksamere Mechanismen zur Verhinderung von Menschenhandel und zur Wiedereingliederung der Opfer entwickeln.“<ref> Papst Johannes Paul II., Schreiben an Erzbischof Jean-Louis Tauran anlässlich der Internationalen Konferenz „Sklaverei im 21. Jahrhundert – Die Dimension der Menschenrechte im Hinblick auf den Menschenhandel“ (15. Mai 2002).</ref> Ihnen sollten eine sichere Rückkehr, geeignete Hilfe an ihrem Herkunftsort und ein wirksamer Schutz vor erneutem Menschenhandel sowie vor Vergeltung oder Belästigung durch die Menschenhändler gewährleistet werden. Berufsausbildung und Zugang zur Beschäftigung sind sehr wichtig.

Für diejenigen, die entscheiden, in die Heimat zurückzukehren, halte ich es für angemessen, Reintegrationsprojekte in die Arbeitswelt und die Gesellschaft zu entwickeln. - Papst Franziskus, Botschaft zum 104. Welttag des Migranten und Flüchtlings 2018 (14. Januar 2018).

Ohne vollständige Integration werden die schrecklichen Strukturen des Menschenhandels nicht zerschlagen, Stigmatisierung und Leiden werden nicht überwunden, und die Überlebenden des Menschenhandels werden sich nicht ganzheitlich entwickeln können oder die Chance erhalten, ein Leben zu führen, das ihren Menschenrechten und ihrer Würde entspricht.

46. Wiedereingliederungsprogramme, die sich an Überlebende des Menschenhandels richten, sollten stets die spirituelle Dimension als wesentliches Element der ganzheitlichen Entwicklung, die ihr oberstes Ziel ist, einbeziehen. Diese spirituelle Dimension sollte vollständig in das Handeln aller katholisch – und überhaupt aller vom Glauben – inspirierten Organisationen einbezogen werden, die den Opfern des Menschenhandels selbstlos dienen.

Schluss

47. „Immer hat mich die Situation derer mit Schmerz erfüllt, die Opfer der verschiedenen Formen von Menschenhandel sind. Ich würde mir wünschen, dass man den Ruf Gottes hörte, der uns alle fragt: ‚Wo ist dein Bruder?‘ (Gen 4,9). Wo ist dein Bruder, der Sklave? [...] Tun wir nicht, als sei alles in Ordnung! Es gibt viele Arten von Mittäterschaft. Die Frage geht alle an!“<ref> Papst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute (24. November 2013), 211: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.): Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr. 194 (Bonn 2013), S. 149.</ref>

Der Heilige Vater betet, dass „Gott all jene befreien möge, die durch Menschenhandel und Menschenschmuggel bedroht, verletzt oder misshandelt wurden, und dass er diejenigen tröstet, die solche Unmenschlichkeit überlebt haben“. Er appelliert an jeden Einzelnen von uns, „die Augen zu öffnen, das Elend derer zu sehen, die ihrer Würde und ihrer Freiheit völlig beraubt sind, und ihren Hilferuf zu hören“.<ref> Papst Franziskus, Botschaft an die Katholische Bischofskonferenz von England und Wales zum Tag für das Leben (17. Juni 2018). Inoffizielle Übersetzung.</ref>

In Übereinstimmung mit den wiederholten Ermahnungen und Ermutigungen von Papst Franziskus mögen diese Pastoralen Orientierungen als Rahmen für die Planung, Festlegung, Durchführung und Evaluation der gesamten Palette von Aktionen dienen, die auf das wichtige und dringende Ziel der Abschaffung des Menschenhandels gerichtet sind. Während das unmittelbare Ziel die Befreiung und Rehabilitation aller ist, die vom Menschenhandel betroffen sind, besteht das letzte Ziel darin, dieses äußerst schmutzige und sündhafte Geschäft der Täuschung, Freiheitsberaubung, Versklavung und Ausbeutung ein für allemal zu überwinden. „Diese gewaltige Aufgabe, die Mut, Geduld und Ausdauer braucht, erfordert ein gemeinsames und globales Engagement der verschiedenen Akteure, die die Gesellschaft ausmachen. Dabei müssen auch die Kirchen beteiligt sein.“<ref> Papst Franziskus, Videobotschaft an die Teilnehmer des Internationalen Forums über moderne Sklaverei (7. Mai 2018). Inoffizielle Übersetzung.</ref>

Gebet von Papst Franziskus

Himmlischer Vater, wir danken dir für das inspirierende Beispiel der heiligen Josephine Bakhita.

Heilige Josephine Bakhita, du wurdest als Kind versklavt; du wurdest gekauft und wieder verkauft; du wurdest brutal behandelt. Wir erbitten deine Fürsprache für all jene, die sich in den Fängen von Menschen- und Sklavenhändlern befinden.

Mögen diese sie freilassen, und möge dieses Übel für immer vom Erdboden verschwinden.

Heilige Josephine Bakhita, als du deine Freiheit wiedererlangt hast, hast du nicht zugelassen, dass deine Leiden dein Leben bestimmen.

Du hast einen Weg der Freundlichkeit und Großzügigkeit gewählt. Hilf denjenigen, die von Gier und Lust geblendet sind und die Menschenrechte und Würde ihrer Brüder und Schwestern mit Füßen treten. Hilf ihnen, sich von den Ketten des Hasses zu befreien, um wieder ganz Mensch zu werden, und sich deine Freundlichkeit und Großzügigkeit zum Vorbild zu nehmen. Liebe heilige Josephine Bakhita, deine Befreiung hat dich zu Christus und seiner Kirche geführt.

Dann hat Gott dich zum Ordensleben als Canossianerin berufen. Du hast deine Berufung erfüllt von großer Nächstenliebe, Barmherzigkeit und Güte gelebt.

Hilf uns, stets wie du zu sein, besonders wenn wir in Versuchung geraten, wegzuschauen und nicht zu helfen, andere abzulehnen oder gar zu missbrauchen.

Bitte für uns, damit Christus unsere Herzen mit Freude erfüllt, so wie er stets deines erfüllt hat.

Liebender Gott, bringe dein barmherziges Licht in unsere aufgewühlte Welt. Lass es die dunkelsten Schatten durchdringen. Rette die Unschuldigen, die unter der Sünde des Missbrauchs leiden.

Bekehre die verlorenen Seelen, die sie gefangen halten und ausbeuten.

Schenke uns allen die Kraft, in der wahren Freiheit der Liebe zu dir und der Liebe füreinander und für unser gemeinsames Zuhause zu wachsen.

Amen.

(Gebet von Papst Franziskus vom 12. Februar 2018)

Anmerkungen

<references />