Natürliches Sittengesetz
Sittengesetz meint in der Kathpedia meistens Natürliches Sittengesetz - siehe Einteilungen im Artikel: Sittliches Gesetz
Das Natürliche Sittengesetz (lat.: lex moralis naturalis; moralisches Naturgesetz, Sittenordnung) ist die Summe derjenigen sittlichen Normen, die unabhängig von der übernatürlichen Offenbarung (der Bibel[2]) bei der Erschaffung[3] der Schöpfungsordnung gegeben sind und mit dem Verstand abgelesen oder der Vernunft abgeleitet werden können. Sie kommen dem Menschen durch die Stimme des Gewissens zum Bewusstsein und ist dadurch die für jeden gültige, nähere objektive Sittennorm.[4] Das Natürliche Sittengesetz ist Ausfluss des ewigen Gesetzes[5] und die Grundlage der Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens, welche religiösen Überzeugungen sie auch haben mögen[6], auch den glaubend Meinenden, ohne Gott auszukommen.[7]
„Das Gesetz der Natur ist nichts anderes, als das von Gott in uns hineingelegte Licht der Vernunft. Durch das natürliche Sittengesetz erkennen wir, was zu tun und was zu meiden ist.“[8] Es ermöglicht, zwischen Gut und Böse,[9] Wahrheit und Lüge, (KKK 1954) Erlaubtheit und Unerlaubtheit[10] zu unterscheiden. Die Sittennorm ist der Wertmaßstab für die Güte oder Schlechtigkeit des Menschen schlechthin; sie betrifft die sittliche Beschaffenheit.[11]
Inhalt → Altes- oder Mosaisches Gesetz
Der Weg des Menschen, das sittlich natürliche Endziel zu erreichen
„Die Kenntnis des göttlichen und natürlichen Sittengesetzes“ (GS 89,1) zeigt dem Menschen den Weg, an den er sich halten muß, um das Gute zu tun und sein Ziel zu erreichen. Das natürliche Sittengesetz drückt die ersten, wesentlichen Gebote aus, die das sittliche Leben regeln. Angelpunkt des Sittengesetzes ist das Verlangen nach Gott und die Unterordnung unter ihn, den Quell und Richter alles Guten, sowie der Sinn für den Mitmenschen als ein ebenbürtiges Wesen. In seinen Hauptgeboten wird es im Dekalog vorgelegt. Dieses Gesetz wird nicht in Bezug auf die Natur der vernunftlosen Wesen natürlich genannt, sondern weil die Vernunft, die es verkündet, zur menschlichen Natur gehört (KKK 1955).
"Das natürliche Sittengesetz drückt die Ziele, Rechte und Pflichten aus, die sich auf die leibliche und geistige Natur der menschlichen Person gründen, und schreibt sie so zugleich vor. Deshalb muss es als vernunftgemäße Ordnung definiert werden, der entsprechend der Mensch vom Schöpfer gerufen ist, sein Leben und seine Handlungen zu leiten und zu regeln." (VS, Nr. 50).[12] Das natürliche Sittengesetz ist eine Teilhabe des nach dem Bilde seines Schöpfers geschaffenen Menschen an der Weisheit und Güte Gottes. Es bringt die Würde der menschlichen Person zum Ausdruck und bildet die Grundlage ihrer Grundrechte und -pflichten (KKK 1978).
Wie in allen anderen Geschöpfen ist die dem Menschen auferlegte sittliche Ordnung nichts anderes als Ausdruck und Forderung seines eigenen Wesens. Inhaltlich fordert das sittliche Naturgesetz nicht mehr, als dass der Mensch in jeder Situation seinem Sein entsprechend handle; also sein Sein im Handeln fortsetze und nicht tätig verleugne; jede Verfehlung gegen das natürliche Sittengesetz kann man als eine Tatlüge bezeichnen.[13]
Das sittliche Endziel des Menschen zu erreichen, verlangt neben den zehn Geboten, die vier Kardinaltugenden und die Werke der Barmherzigkeit (vgl. Mt 25,31-46 EU): "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen" (Mt 7,12 EU).
Das natürliche Sittengesetz ist ins Herz geschrieben und unveränderlich
Dem Menschen ist das Natürliche Sittengesetz von Gott in sein Herz geschrieben, dem zu gehorchen seine Würde ist und gemäß dem er gerichtet werden wird (GS, Nr. 16; [14]). Er ist der allmächtige Schöpfer und Vater aller, ihr höchster und unabhängiger Gesetzgeber, der allwissende und gerechte Vergelter der menschlichen Handlungen. Es ist jene Stimme, die Verantwortung für die eigenen Taten vor einem höchsten Richter predigt (SP, Nr. 28). Was nicht der Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf Dasein, Propaganda und Aktion (Pius XII.).
Das natürliche Sittengesetz ist unveränderlich (Vgl. GS 10) und überdauert die geschichtlichen Veränderungen. In der Flut der Vorstellungen und der Sitten bleibt es bestehen und unterstützt ihren Fortschritt. Die Regeln, die es wiedergeben, bleiben dem Wesen nach gültig. Selbst wenn man es einschließlich seiner Grundsätze bestreitet, kann man es weder zerstören noch aus dem Herzen des Menschen reißen. Es taucht im Leben der einzelnen Menschen und der Gesellschaften immer wieder auf (KKK 1958).
Die Anwendung des natürlichen Sittengesetzes ist vielfältig; sie kann ein Nachdenken erfordern, das die je nach Ort, Zeit und Umständen vielfach verschiedenen Lebensbedingungen berücksichtigt. Dennoch bleibt in der Mannigfaltigkeit der Kulturen das natürliche Gesetz eine Regel, welche die Menschen untereinander verbindet und ihnen über die unvermeidlichen Unterschiede hinaus gemeinsame Grundsätze auferlegt (KKK 1957).
Das Gewissen der Menschen und die Überlieferungen der Völker bezeugen das natürliche Sittengesetz. Zwar ist beim Menschen infolge der Erbsünde der Blick durch Leidenschaft und schlechte Neigungen und Gewohnheiten vielfach gefesselt, so dass nicht alle Menschen in allen Fragen das natürlichen Sittengesetz richtig erkennen; aber es bleibt bemerkenswert, dass wenigstens in den Kernpunkten bei allen Völkern und zu allen Zeiten eine einheitliche sittliche Auffassung besteht. Es gibt z. B. kein Volk. das Wahrhaftigkeit und Unwahrhaftigkeit einfachhin für sittlich gleichwertig erachtet.[15] Der Mensch ist jedoch durch die Erbsünde nicht imstande, das natürliche Sittengesetz in seiner Ganzheit ohne Mithilfe der Gnade zu erfüllen, wenn er auch einzelne gute Werke tun kann,[16]
Das natürliche Sittengesetz - Boden für das staatliche Gesetz
Das Natürliche Sittengesetz ist allgemeingültig, d.h. für das Leben jedes Einzelnen und das Leben der Gesellschaft, wie für die Beziehungen der Staaten untereinander (SP, Nr. 28; IM, 6). Jedes Grundrecht des Menschen leitet seine Gültigkeit aus dem Naturgesetz her (PT Nr. 30).
Das natürliche Sittengesetz liefert als sehr gutes Werk des Schöpfers das feste Fundament, auf dem der Mensch das Gebäude der moralischen Regeln aufbauen kann, die seine Entscheidungen leiten sollen. Es ist auch die unerläßliche sittliche Grundlage für den Aufbau der menschlichen Gemeinschaft (Grundlage der Zivilisation[17]). Es bietet schließlich den notwendigen Boden für das staatliche Gesetz, das an es gebunden bleibt, sei es durch Schlussfolgerungen aus seinen Grundsätzen, sei es durch Zusätze positiv-rechtlicher Art (KKK 1959).
Auslegerin des Natürlichen Sittengesetzes
Das natürliche Sittengesetz bringt den Willen Gottes zum Ausdruck, dessen treue Befolgung allen Menschen zum ewigen Heil notwendig ist.[18] Die Auslegung des natürlichen Sittengesetzes gehört zur Aufgabe des kirchlichen Lehramtes.[19] Die Kirche, welche das natürliche und übernatürliche Sittengesetz hütet, "ist (aber) nicht Urheberin dieser beiden Gesetze. Deshalb kann sie darüber nicht nach eigenem Ermessen entscheiden, sondern nur Wächterin und Auslegerin sein. Sie darf niemals etwas für erlaubt erklären, was in Wirklichkeit unerlaubt ist, weil das seiner Natur nach dem wahren Wohl des Menschen widerspricht."[20] Das christliche Sittengesetz des Glaubens stützt das natürliche Sittengesetz.
Wiederherstellung des Sittengesetzes
Die Buße (Sühne) ist ihrer Natur nach eine Anerkennung und Wiederherstellung der sittlichen Weltordnung, die auf dem ewigen Gesetz, das heißt auf Gott selbst, beruht. Wer Gott für die Sünde Genugtuung leistet, anerkennt damit ohne weiteres die Heiligkeit der höchsten Sittengesetze, ihre innere verpflichtende Macht und die Notwendigkeit einer Genugtuung gegenüber ihrer Verletzung.[21]
Die "Neue Moral" der Situationsethik (heute)
Zusammenhänge
Offenbarung Gottes: | wo ? | Sittenordnung | Licht menschlicher Erkenntnis | Universal- wissenschaften |
Tugenden |
---|---|---|---|---|---|
natürliche | im "Buch" der Schöpfung[22] |
Natürliches Sittengesetz | |
Philosophie | erworbene Kardinaltugenden |
übernatürliche (gnadenhafte) | in der Bibel: in Christus und den Sakramenten | Christliches Sittengesetz | (Glaubensgut: Tradition+Bibel) |
Theologie | geschenkte, eingegossene oder theologale |
← Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende (Offb 21, 6).
→ Beziehung zwischen Natur + Gnade
Zusammenhänge
Sittengesetz | Gotteben- bildlichkeit |
Mensch (1 Kor 15, 21f.45.47) | aufgrund: | Sein und Tun | Wo? | herrschen / walten |
---|---|---|---|---|---|---|
Natürliches- Sittengesetz |
Erste (Gen 1, 26,27) |
Erster Adam von der Erde (irdisches Lebewesen) | Ursünde durch Ungehorsam (Gen 3, 1-24): Fluch | verdunkelter Verstand - geschwächter Wille - gutes und böses Tun | Paradies | Kosmos (Gen 1, 26,) |
übernatürliches Christliches- Sittengesetz |
Zweite (Röm 8, 29) |
Zweiter Adam vom Himmel (lebendig machender Geist) | Sühnetod aus Gehorsam: Segen durch Liebe bis zum Kreuz (Phil 2, 8) | erhellter Verstand - gestärkter Wille - durch das Evangelium (Gleichnisse) | Himmlisches Jerusalem | Christus und seine Glieder herrschen über die gesamte Schöpfung in alle Ewigkeit (Offb 22, 5) |
Päpstliche Schreiben
- Denzinger-Hünermann L1c – Das Vernunftgebot als Naturgesetz und d - Die Gründung des Naturgesetzes in Gott
- 8. Dezember 1864 Syllabus errorum, wesentliche Zeitirrtümer des 19. Jahrhunderts Nr. 56
- 20. Juni 1888 Enzyklika Libertas praestantissimum, über die Freiheit und den Irrtum des Liberalismus.
- 15. Mai 1891 Enzyklika Rerum novarum über die Arbeiterfrage.
- 1. November 1900 Enzyklika Tametsi futura über den göttlichen Erlöser.
- 20. Oktober 1939 Antrittsenzyklika Summi pontificatus über die Not und Irrtümer unserer Zeit und deren Überwindung in Christus, Nr. 28.
- 25. September 1949 Ansprache De grand coeur an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für humanistische Studien über das Naturgesetz als Grundnorm.
- 18. April 1952 Ansprache Soyez les bienvenues an den Kongress des Weltbundes der katholischen weiblichen Jugend über Situationsethik und christliche Sittenlehre (AAS XLIV [1952] 413-419).
- 11. April 1963 Enzyklika Pacem in terris über den Frieden unter allen Völkern in Wahrheit, Gerechtigkeit.
- 25. Juli 1968 Enzyklika Humanae vitae über die Rechte Ordnung der Weitergabe menschlichen Lebens.
- 10. April 1986 Ansprache Niemals ein Kompromiss mit dem Irrtum an die Teilnehmer des Internationalen Kongresses für Moraltheologie.
- 1992 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 1954-1960.
- 6. August 1993 Enzyklika Veritatis splendor über einige grundlegende Fragen der kirchlichen Morallehre, Nr. 40–53.
- 24. Mai 1995 Enzyklika Evangelium vitae über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, Nr. 68-74.
- 29. Juni 2009 Enzyklika Caritas in veritate über die ganzheitliche Entwicklung des Menschen in der Liebe und in der Wahrheit.
- 13. Februar 2010 Ansprache Bioethik und Natürliches Sittengesetz an die Teilnehmerinnen der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben.
siehe: Altes Gesetz, Goldene Regel
Weblinks
- Natürliches sittliches Gesetz im Lexikon der christlichen Moral von Karl Hörmann
- Ein falscher Apostel, wenn er das natürliche Sittengesetz relativiert Kath.net am 26. Januar 2021 von Gerhard Müller
Anmerkungen
- ↑ Eine Bestätigung wurde dadurch nötig, das durch den Sündenfall Adams der Verstand verdunkelt wurde (vgl. Johannes Paul II.: Nachsynodales Apostolisches Schreiben Reconciliatio et paenitentia, vom 2. Dezember 1984, Nr. 16).
- ↑ Das Neue Testament offenbart Christus: das Christliche Sittengesetz
- ↑ Johannes Paul II. Enzyklika Veritatis splendor 1993, Nr. 40.
- ↑ Bernhard Brinkmann: Katholisches Handlexikon, Butzon & Bercker Verlag Kevelaer 1960, Naturgesetz , S. 182, (2. Auflage; Imprimatur N. 4-18/60 Monasterii, die 2. Februarii 1960, Böggering Vicarius Eppi Generalis); Bernard Kälin: Lehrbuch der Philosophie II, Ethik, umgearbeitet von Raphael Fäh OSB, Selbstverlag Benediktinerkolleg Sarnen 1954, Nr. 85 (2. Auflage; Imprimatur Curiae, die 8, Juni 1954 † Christianus Caminada Episcopus); SP, Nr. 28.
- ↑ participatio legis aeternae in rationali creatura: Thomas von Aquin: ‚Summa theologiae I, 2, q. 91 ad 2.
- ↑ Internationale Theologische Kommission: Auf der Suche nach einer universalen Ethik: ein neuer Blick auf das natürliche Sittengesetz 2009, Nr. 9.
- ↑ vgl. Johannes Paul II. Enzyklika Veritatis splendor 1993, Nr. 39.
- ↑ Veritatis splendor 1993, Nr. 40: Thomas von Aquin, dec. præc. prol.: KKK 1955); Die menschliche Vernunft ist es selbst, die recht zu handeln befiehlt und zu sündigen verbietet (LP, Nr. 8).
- ↑ (Catechismus Romanus, III Teil, Nr. 3).
- ↑ "Es ist jene Stimme, die auch den Ungebildeten und selbst noch den unzivilisierten Wilden lehrt, was gut und was böse ist, erlaubt und unerlaubt. :SP, Nr. 28).
- ↑ Bernard Kälin: Lehrbuch der Philosophie II, Ethik, Nr. 85.
- ↑ Kongregation für die Glaubenslehre: Instruktion Donum vitae vom 22. Februar 1987, Nr. 3.
- ↑ Erzbischof Wendelin Rauch (Hg.): Lexikon des katholischen Lebens, Herder Verlag Freiburg im Breisgau 1952, Sp. 1099 - Sittengesetz‚ (1352 Spalten).
- ↑ Röm 2,14–15 EU; Motu proprio Spes aedificandi mundum zur Ausrufung der heiligen Birgitta von Schweden, der heiligen Katharina von Siena und der heiligen Teresia Benedicta a Cruce zu Mitpatroninnen Europas vom 1. Oktober 1999, Nr. 10
- ↑ Lexikon des katholischen Lebens, S. 1099.
- ↑ Kommentar zu St I, q. 62 a. 2 in: Die deutsche Thomas-Ausgabe, Band 4, S. 620.
- ↑ Reconciliatio et paenitentia, Nr. 26.
- ↑ Vgl. Mt 7,21 EU; HV, Nr. 18.
- ↑ HV, Nr. 4; Vgl. Pius IX., Enz. Qui pluribus, 9. Nov. 1846: Pii IX. P. M. Acta, Bd. 1, S. 9-10; Pius X., Enz. Singulari quadam, 24. Sept. 1912: AAS 4 (1912), S. 658; Pius XI., Enz. Casti connubii, 31. Dezember 1930: AAS 22 (1930), S. 579-581; Pius XII., Anspr. Magnificate Dominum, an den katholischen Weltepiskopat, 2. Nov. 1954: AAS 46 (1954), S. 671-672; Johannes XXIII., Enz. Mater et magistra, 15. Mai 1961: AAS 53 (1961), S. 457.
- ↑ HV, Nr. 18.
- ↑ Pius XI.: Enzyklika Caritate Christi compulsi vom 3. Mai 1932, Nr. 24.
- ↑ Im Unschuldstand nun, als das Ebenbild noch nicht verunstaltet, vielmehr dank der Gnade ganz gottförmig war, genügte das Buch der Natur für den Menschen, sich in der Betrachtung des Lichtes der göttlichen Weisheit zu üben. : Johannes Bonaventura, Breviloquium#12. Kapitel: Die Vollständigkeit und Wohlgeordnetheit der ganzen fertigen Welt.