Johannes Bonaventura: Lignum vitae

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Lignum vitae - Der Lebensbaum
heißt das Betrachtungsbuch des Kirchenlehrers Johannes Bonaventura, verfasst vielleicht um das Jahr 1260

Quelle: Der Lebensbaum, aus dem Lateinischen des heiligen Kirchenlehrers und Cardinal Bonaventura vom Orden der Minderbrüder, Herder'sche Verlagsbuchhandlung Freiburg im Breisgau 1886 (64 Seiten, mit erzbischöflicher Approbation). Die biblischen Anmerkungen wurden bei der Digitalisierung in Klammer nach der Einheitsübersetzung, anstelle der Vulgata wiedergegeben.

Der Lebensbaum
Der Verfasser: Kirchenlehrer Bonaventura

Inhaltsverzeichnis

Einordnung und Überblick

Lignum vitae (lat.; dt.: Baum des Lebens) nennt sich ein kleines lateinisch verfasstes Betrachtungsbuch des Kirchenlehrers Bonaventura das vielleicht um das Jahr 1260 von Bonaventura geschrieben wurde. Es beinhaltet 48 Betrachtungen und ist in vierzeilige Strophen gegliedert und zu einer Art Litanei zusammengestellt. Bonaventuras Meditationen münden ins Gebet (oratio), die Anrede des Betrachteten in Lob und Freude, in Reue und Bitte.<ref>Bonaventura: Baum des Lebens Geistliche Betrachtungen, herausgegeben (deutsch), übersetzt und kommentiert von Marianne Schlosser, EOS Verlag St. Ottilien 2012, Hinführung S. 7-12.</ref>

Zusammen mit dem Itinerarium mentis in Deum und De triplici via gehört es zu den bekanntesten seiner mystisch-geistlichen Werke, ja man kann vielleicht sagen, es sei das populärste. Wie weit verbreitet der lateinische Text war, zeigen die nahezu zweihundert Handschriften, welche die Editoren der Bonaventura-Ausgabe (Opera omnia VIII, Prolegomena: XLI-XLIX, Text: 68-87) aufgelistet haben. Das Lignum Vitae wurde schon bald in Volkssprachen übersetzt.<ref>ebd., Hinführung S. 7.</ref>

Die 48 Betrachtungen der "Heilsgeheimnisse" gliedern sich in drei große Teile: die Geburt und das Leben Jesu betreffend, sein Leiden und Sterben, seine Auferstehung und verherrlichtes Leben als Haupt der Kirche. Der Vergleich mit dem dreifachen Rosenkranz, dessen Betrachtungspunkte wir auch heute noch als "Rosenkranz-Geheimnisse" bezeichnen, liegt nahe. Ebenso erinnert der Mittelteil an die Stationen des Kreuzwegs, die ja zu Bonaventuras Zeit noch nicht auf die heutigen 14 Stationen festgelegt waren, wie auch der Rosenkranz noch keine feste Form hatte.<ref>ebd., Hinführung S. 8.</ref>

Vorwort

Unter den kleineren asketischen Schriften des heiligen Kirchenlehrers und Kardinals Bonaventura, aus dem Orden der Minderbrüder, nimmt der Lebensbaum, Lignum vitae, eine hervorragende Stelle ein. Nicht die Ausdehnung - es sind ja nur wenige Blätter -, sondern der überaus reiche Inhalt, die Fülle der Gedanken, die erst bei wiederholtem Lesen und Erwägen sich entfalten, verleihen dieser Schrift hohen, dauernden Wert. Der heilige Verfasser wollte ohne Zweifel die Herzen aller mit Liebe zu dem Gekreuzigten entflammen und auf die Quelle hinweisen, aus der er selbst seine herrlichen Lehren schöpfte. Es ist ja bekannt, wie er seinem Freund, dem heiligen Thomas von Aquin, auf die Frage, welche Bücher er benütze, zur Antwort gab, das Kruzifix sei seine Bibliothek. In dem vorliegenden Schriftchen hat sich der Heilige das Kreuz als Baum des Lebens nach Offb 22, 2 und Genes. 2, 9 gedacht. In der Einleitung, die den Betrachtungen voraufgeht, entwickelt er seinen Gedanken. Somit erübrigt sich bloß, ein Wort über das beigegebene Bild zu sagen.

In den alten Handschriften und in den verschiedenen Druckausgaben der Werke des heiligen Bonaventura ist dem Lignum vitae eine schlichte Abbildung beigegeben, deren Skizze ohne Zweifel vom heiligen Verfasser selbst entworfen wurde. Im Refektorium des Franziskanerklosters Santa Croce zu Florenz aber befindet sich eine reiche Komposition, die in herrlicher, künstlicher Durchführung das Bild des Lebensbaumes darstellt. Wer der Meister ist, ob Francesoco de Volterra ca. 1350 oder Nicolo di Pietro Gerini ca. 1380, lässt sich bis jetzt nicht mit Bestimmtheit feststellen. Das Bild ist aber in engen Anschluss an Bonaventuras Schrift gemalt, und somit glaubten wir, eine Abbildung dieses herrlichen Werkes unserer wortgetreuen Übersetzung - wir haben die Ausgabe von Peltier bei Vivès, Paris 1868 benützt- voranstellen zu sollen. Wir verdanken den überaus freundlichen Bemühungen der Herren Heinrich Wallau in Mainz und Commendatore A. Kraus Sohn, Konsul in Florenz, dass es unter vielen Schwierigkeiten gelungen ist, an Ort und Stelle eine neue fotografische Aufnahme des Originals für die Herstellung unseres Lichdruckes zu veranstalten. Wir sprechen hiermit für dieses gütige Entgegenkommen den aufrichtigen Dank aus.

Das Bild zeigt mitten am Stamm des Lebensbaumes, dem Kreuz, Christus, die lebensspendende Frucht. Vom Baum breiten sich links und rechts je sechs Äste aus, die mit je vier sich aufeinander reimenden Versen, wie mit vier Blättern, versehen sind und zugleich eine diesen vier Blättern entsprechende Frucht tragen. Der ganze Baum hat demnach zwölf Äste und 48 Verse oder Blätter, welche den Überschriften der 48 Betrachtungen entsprechen, aus denen das Schriftchen besteht. Aus je vier Versen oder Betrachtungen ergibt sich eine besondere Frucht. So trägt der Baum zwölf Früchte. Das unterste Doppelpaar der Äste mit sechzehn Betrachtungen und vier Früchten umfasst den Ursprung und das Leben Jesu, das mittlere Doppelpaar mit Betrachtungen und Früchten in derselben Zahl bezieht sich auf das Leiden, das oberste mit gleicher Zahl der Betrachtungen und Früchte stellt die Verherrlichung des Herrn dar. Jeder Ast umschlingt ferner das Bild eines alttestamtlichen Propheten, welcher das betreffende Geheimnis vorher verkündet hat. Anfang und Schluss der Doppelreihe der Propheten geben die Bilder der vier Evangelisten, aus deren Schriften das Myrrhenbüschlein gesammelt ist. Am Fuß des Kreuzes, welches der heilige Franziskus umfasst, sitzt der heilige Bonavenlura und schreibt auf eine Schriftrolle den im Texte angeführten ersten Vers: O crux frutex salvificus usw. Rückwärts von ihm stehen die Helligen Antonius von Padua, Dominikus und Ludwig, Bischof von Toulouse. Auf der entgegengesetzten Seite steht die Mutter Jesu mit dem drei heiligen Marieen und dem heiligen Johannes. Im Vordergrund kniet die Stifterin des Bildes.

Da eine Zusammenstellung der 48 Verse den Einblick in den Plan, den der heilige Verfasser sich für das Lignum vitae entworfen, wesentlich erleichtert, geben wir vor dem Text eine solche (Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters, Band 1, 152), die einer Pergament-Handschrift vom Jahre 1450 entnommen ist. Wir ergänzen nach dem Bild die in den Handschriften fehlenden letzten 15 Verse und fügen in Klammern die richtigen Aufschriften der drei Teile bei.

Theologie, Askese und heiliger Kunst verbinden sich in dieser Darstellung des Lebensbaumes zu einem erhabenen geistlichen Dreiklang, von dem wir wünschen, dass er in mancher christlichen Seele Wiederhall finden möge.

Fasciculus myrrhae.

O crux, frutex salvificus,
vivo fonte rigatus,
cuius flos aromaticus,
fructus desideratus.

1. Mysterium nativitatis (Origo et vita)

Jesus ex Deo genitus,
Jesus praefiguratus,
Jesus emissus coelitus,
Jesus Maria natus.

Jesus conformis patribus,
Jesus Magis monstratus,
Jesus submissus legibus,
Jesus regno fugatus.

Jesus baptista coelicus,
Jesus hoste temptatus,
Jesus signis mirificus,
Jesus transfiguratus.

Jesus pastor sollicitus,
Jesus fletu rigatus,
Jesus rex orbis agnitus,
Jesus panis sacratus.

II. De mysterio passionis (Passio)

Jesus dolo venundatus,
Jesus orans prostratus,
Jesus turba circumdatus,
Jesus vinclis ligatus.

Jesus notis incognitus,
Jesus vultu velatus,
Jesus Pilato traditus,
Jesus morte damnatus.

Jesus spretus ab omnibus,
Jesus cruci clavatus,
Jesus vinctus latronibus
Jesus felle potatus.

.Iesus sol morte pallidus,
Jesus translanceatus,
Jesus cruore macliclus,
Jesus intumulatus.

III. Mysterium resurrectionis (Glorificatio)

Jesus triumphans mortuus,<ref>Von da ab nicht mehr bei Mone.</ref>
Jesus surgens beatus,
Jesus decor praecipuus,
Jesus orbi praelatus.

Jesus ductor exercitus,
Jesus coelo levatus,
Jesus largitor Spiritus,
Jesus laxans reatus.

Jesus testis veridicus,
Jesus iudex iratus,
Jesus victor magnificus,
Jesus sponsus ornatus.

Jesus rex regis filius,
Jesus liber signatus,
Jesus fontalis radius,

Jesus finis optatus.

Einleitung: Ich bin mit Christus an das Kreuz geheftet (Gal 2, 19)

Ein wahrer Gottesverehrer und Schüler Christi, der seinem gekreuzigten Erlöser vollkommen gleichgestaltet zu werden verlangt, muss mit ganzer Seelenkraft dahin streben, auf seinem Lebenswege das Kreuz Jesu Christi sowohl im Geiste als im Fleische beständig zu tragen und das oben angeführte Wort des Apostels an sich selbst wahr zu machen. Nun wird aber nur derjenige die Gnade verdienen, solches Verlangen und solches Mitleiden lebhaft in sich zu empfinden, welcher in Dankbarkeit der Leiden des Herrn gedenkt und Mühsal, Schmerz und Liebe des Gekreuzigten mit dem Gedächtnis in so lebhafter Erinnerung trägt, mit dem Verstand so aufmerksam ergründet, mit dem Willen so liebeentflammt umfasst, dass er in Wahrheit jene Worte der Braut sprechen kann: Mein Geliebter ist mir ein Myrrhenbüschlein, das zwischen meinen Brüsten ruht (Hld 1, 12).

Damit nun in uns solches Verlangen geweckt, solche Erkenntnis gebildet und solche Erinnerung eingeprägt werde, habe ich versucht, aus dem reichhaltigen Garten des heiligen Evangeliums, in welchem von dem Leben, dem Leiden und der Verherrlichung Jesu Christi ausführlich gehandelt wird, dieses Myrrhenbüschlein zu sammeln. Um dem Gedächtnis die Erinnerung zu erleichtern, habe ich dasselbe nur aus wenigen, der Zeitfolge nach geordneten und sich aufeinander reimenden Worten zusammengefügt und auch deshalb einfache, gewöhnliche, kunstlose Worte gewählt, um sündhaften Vorwitz abzuschneiden, wahre Frömmigkeit zu nähren und gläubige Erbauung zu fördern. Da ferner die Einbildungskraft die Stütze der Erkenntniskraft ist, habe ich aus Vielem nur Weniges gesammelt und mit Hilfe eines bildlich vorgestellten Baumes so geordnet und eingeteilt, dass auf dem ersten und untersten Doppelpaare der Äste der Ursprung und das Leben des Erlösers, auf dem mittleren Doppelpaare sein Leiden und auf dem obersten seine Verherrlichung dargestellt wird. Auf das erste Doppelpaar, so wie auf das zweite und dritte, sollen nach beiden Seiten hin Verse gesetzt werden. An jedem der Äste aber hängt nach Art einer Frucht ein einziger Schössling. So werden gleichsam zwölf Äste gebildet, die zwölf Früchte (Offb 22, 2) tragen und so das Geheimnis des Lebensbaumes ausdrücken (Gen 2, 9),

Stelle Dir demnach im Geiste diesen Baum vor. Seine Wurzel wird bewässert von einer immerwährenden sprudelnden Quelle, welche zu einem großen, lebenspendenden Strom heranwächst und in vier Ausflüssen das Paradies der ganzen Kirche bewässert (Gen 2, 10). Sodann denke Dir, wie aus dem Stamme dieses Baumes zwölf Äste sprossen, mit Laub, Blüte und Frucht geschmückt. Das Laub diene als wirksamstes Heilmittel gegen jede Gattung von Krankheit, sowohl ihr vorbeugend, als sie heilend, gemäß dem Ausspruch: Das Wort vom Kreuze ist Kraft Gottes, zum Heil für jeden, der glaubt (Röm 1, 16). Seine Blüte sei geschmückt mit aller Farbenpracht und duftend mit jedem süßen Wohlgeruch, so dass sie die bekümmerten Herzen derer, die nach ihr sich sehnen, erquickt und durch ihre Schönheit fesselt. Die Frucht endlich sei zwölffach und habe in sich jegliche Lieblichkeit und jeglichen süßen Wohlgeschmack. Sie wird den Hausgenossen Gottes als Speise vorgesetzt und zwar so, dass die Essenden immer gesättigt und dennoch niemals derselben überdrüssig werden.

Es ist nämlich jene Frucht, welche aus dem Schoß der Jungfrau entsprossen, am Holz des Kreuzes durch die Mittagsglut der ewigen Sonne, d. i. durch Christi Liebe, zur süßen Reife gelangt ist und im Garten des himmlischen Paradieses, d. i. in der Kirche Gottes, allen, die ihrer begehren, zum Genuss geboten wird. Dieses wird angedeutet in dem ersten Vers, welcher heisst:

O crux frutex salvificus, Kreuz, heilbringender Baum,
vivo fonte rigatus, von lebendiger Quelle bewässert,
cuius flos aromaticus, Lieblich ist uns deine Blüte,
fructus desideratus. und heiß ist ersehnt Deine Frucht.

Obgleich nun diese Frucht nur Eine und unzerteilbar ist, so begreift sie doch in sich mannigfache Zustände des Lebens, Ämter, Tugenden und Werke, und so nährt sie andächtige Seelen mit mannigfachen Tröstungen, welche auf die Zahl zwölf zurückgeführt werden. Darum wird diese Frucht des Lebensbaumes gleichsam mit zwölf Arten von Wohlgeschmack, entsprechend den zwölf Ästen, in folgender Weise zu kosten geboten. Bei dem ersten Ast koste die Christus ergebene Seele die lieblichste Süßigkeit, indem sie den hohen Ursprung und die gnadenreichste Geburt ihres Erlösers betrachtet: Praeclarltas Originis bei dem zweiten Ast aber, betrachtend seine huldreiche Herablassung in der Menschwerdung und seinen demütigen Wanclel auf Erden: Humilitas conversationis. Bei dem dritten die Erhabenheit seiner vollkommenen Tugend: Celsitudo virtutis. Bei dem vierten die Fülle seiner Überreichen und unermesslichen Milde und Barmherzigkeit: Plenitudo pietatis. Bei dem fünften die mutige Zuversicht, mit welcher er dem Leiden entgegenging: Confidentia in periculis. Bei dem sechsten die Geduld, die er bei den ihm zugefügten Beleidigungen und großen Schmähungen zeigte: Patientia in iniuriis illatis. Bei dem siebenten die Beharrlichkeit, mit der er die herben Schmerzen der Kreuzigung duldete: Constantia in conflicta mortis. Bei dem achten den Sieg, den er im Todeskampf und Tod errang: Victoria in confllictu. Bei dem neunten die mit wunderbaren Ausstattungen des Körpers verherrlichte Erneuerung in seiner Auferstehung: Resurrectionis novitas. Bei dem zehnten die eine Fülle von Gnadenquellen ergießende Erhöhung seiner Himmelfahrt: Ascensionis sublimitas. Bei dem elften die Gerechtigkeit des künftigen Gerichts: Aequitas iudiciii. Bei dem zwölften die Ewigkeit des göttlichen Reichs: Aeternitas regni.

Ich nenne diese Wirkungen Früchte, weil sie die Seele mit höchster Süßigkeit erquicken und sie mit ihrer Kraft stärken, sobald die Seele in Betrachtung und fleissiger Erwägung aller Umstände bei ihnen verweilt, vorausgesetzt, dass sie zugleich sich hüte, dem bösen Beispiele des sündigen Adams zu folgen, der den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen dem Baum des Lebens vorzog. Doch wird sie sich davor nicht hüten können, wenn sie nicht den Glauben der Vernunft, die Andacht dem grübelnden Forschen, die Einfalt der Neugierde und endlich das heilige Kreuz Christi jeder fleischlichen Gesinnung oder Klugheit des Fleisches vorzieht. Denn durch das Kreuz wird die Liebe des heiligen Geistes in den frommen Herzen genährt und seine siebenfache Gabe ausgegossen, wie dies die Verse der beiden obersten und letzten Äste erbitten.

I. Das Geheimnis der Geburt (Ursprung und Leben)

Jesus ex Deo genitus,
Jesus praefiguratus,
Jesus emissus coelitus,
Jesus Maria natus.

Jesus aus Gott geboren

Auf also, o gottergebene Seele, erhebe Dich und erwäge mit Sorgfalt alles, was von Deinem Jesus ausgesagt wird! Betrachte aufmerksam und erforsche eingehend die Worte: Jesus aus Gott geboren. Hüte Dich, irgend welche sinnliche und unwürdige Vorstellung den Augen Deines Geistes vorzuführen. Glaube vielmehr mit der Einfalt der Taube und schaue mit dem scharfen Blick des Adlers, wie aus jenem ewigen Licht, welches zugleich unermesslich und doch unendlich einfach, überaus leuchtend, und doch höchst geheimnisvoll ist, hervorgeht ein Abglanz, gleich ewig, gleich vollkommen, gleich- und mitwesentlich. Dieser Abglanz ist die Kraft und Weisheit des erzeugenden Vaters. In ihm hat der Vater Alles angeordnet von Ewigkeit. Durch ihn hat er die Welt und Ihren Verlauf geschaffen (Hebr 1, 2) und regiert alles Geschaffene und ordnet es zu seiner Ehre, teils mittels der Kräfte der Natur, teils mit denen der Gnade, teils mit Gerechtigkeit, teils mit Barmherzigkeit, auf dass nichts ungeordnet bleibe in dieser Welt.

Jesus in Vorbildern gezeigt

Als unsere Voreltern, welche gleich mit dem Beginn der Erschaffung der menschlichen Natur ins Paradies gesetzt worden waren, wegen des Genusses der verbotenen Frucht kraft der strengen Gerechtigkeit des göttlichen Beschlusses aus demselben vertrieben wurden, da hat auch sofort die allerhöchste Barmherzigkeit nicht gezögert, den verirrten Menschen auf den Weg der Buße zu führen und ihm Hoffnung auf Verzeihung durch Verheißung eines Erlösers zu geben. Damit nun eine so große, göttliche Huld nicht etwa für unser Heil unwirksam bliebe und durch Unwissenheit und Undankbarkeit vereitelt würde, hörte Gott in den fünf ersten Zeitaltern nicht auf, durch die Patriarchen, die Richter, die Priester, die Könige, die Propheten, von dem gerechten Abel an bis zu Johannes dem Täufer, die Ankunft seines Sohnes vorher zu verkündigen, zu verheißen und in Vorbildern darzustellen. Indem er so durch viele Zeitalter und Tausende von Jahren in erhabener, wunderbarer und mannigfacher Weise geheimnissvolle Vorherverkündigungen wirkte, sollte unser Geist zum höchsten Ziel emporgerichtet und unser Herz in lebendiger Sehnsucht entflammt werden.

Jesus vom Himmel gesandt

Wie die Kraft und Weisheit der göttlichen Hand den Menschen am sechsten Tage der Schöpfung aus Erde bildete, so wurde, als die Fülle der Zeit gekommen (Gal 4, 4), im Anfang des sechsten Weltalters, der Erzengel Gabriel zu der Jungfrau gesandt. Als diese der Botschaft Gottes in Gehorsam sich neigte, kam der Heilige Geist über sie, entflammte ihre Seele mit göttlichem Feuer und heiligte ihren Leib durch die vollkommenste Reinheit. Auch überschattete sie die Kraft des Allerhöchsten, damit sie befähigt wurde, die so große Glut zu ertragen. Diese Kraft bewirkte, dass in einem Augenblick ein Leib gebildet, eine Seele geschaffen, und beide zugleich in der Person des Sohnes mit der Gottheit vereint wurden, so dass Gott und Mensch einer und derselbe war, unbeschadet der Eigentümlichkeit beider Naturen.

O vermöchtest Du nur in etwa zu empfinden, wie wunderbar und unermesslich jene Glut war, die vom Himmel gesandt, die Seele durchdrang, wie erquickend die Kühlung, wie tiefinnerlich die Tröstung, wie erhaben die Erhöhung der jungfräulichen Mutter, wie hoch der dem Menschengeschlecht mitgeteilte Adel, wie tief die Herablassung der göttlichen Majestät!

O könntest Du den Jubelgesang der Jungfrau hören, mit ihr, Deiner lieben Frau, auf das Gebirge steigen, die süße Umarmung der Jungfrau und der so lange Unfruchtbaren und die holde Begrüssung sehen, bei welcher der Knecht den Herrn, der Herold den Richter, die Stimme das ewige Wort erkannte. Ich meine, Du würdest alsdann mit der allerseligsten Jungfrau einstimmen in die süße Melodie jenes heiligen Gesanges: Hoch preist meine Seele den Herrn (Lk 1, 46) und zugleich mit dem frohlockenden und jubelnden prophetischen Kind den in der Jungfrau wunderbar Empfangenen anbeten.

Jesus aus Maria geboren

Da nach langem Kriegsgetümmel unter der Regierung des Kaisers Augustus allgemeiner Friede mit stillem Schweigen (Weish 18, 14) den Erdkreis beruhigt hatte, so dass Augustus ein Edikt erlassen konnte, die Verzeichnung der Bewohner des Weltreiches vorzunehmen, da geschah es durch Fügung der göttlichen Vorsehung, dass Joseph seine jungfräuliche, gesegnete Gemahlin, die aus königlichem Geschlecht hervorgegangen war, nach Bethlehem in die Stadt ihres Stammes führte. Dort trat der König des Friedens (1 Chr 22, 9) aus dem jungfräulichen Schoß, wie der Bräutigam aus dem Schlafgemach (Ps 19, 6). Frei von jeder Verderbnis trat er ans Licht, so rein, wie er empfangen war. Und Er, der Große und Reiche, wollte für uns klein werden und arm, wollte aus freier Wahl nicht im Hause, sondern in fremder Hütte geboren, wollte in Windeln gewickelt, mit jungfräulicher Milch genährt und zwischen Ochs und Esel in die Krippe gelegt werden. Da ging für uns der Tag der der neuen Erlösung auf, der Tag der Sühnung der alten Schuld, der Tag der ewigen Seligkeit. Da träufelten die Himmel Honigauf die ganze Welt (Responsorium aus dem Weihnachtsofficium).

Beschaue denn nun, o Seele, im Geiste jene göttliche Krippe. Drücke Deine Lippen auf die Füße des Knäbleins und bedecke sie wiederholt mit Deinen Küssen. Dann erwäge die nächtliche Wache der Hirten. Staune über die Scharen der herbeieilenden Engel, stimme ein in die himmlische Melodie, indem Du mit Herz und Mund singst: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind (Lk 2, 14).

Jesus den Vätern ähnlich geworden

Jesus conformis patribus,
Jesus Magis monstratus,
Jesus submissus legibus,
Jesus regno fugatus.

Der göttliche Knabe ward am achten Tage beschnitten und Jesus genannt. So wollte er ohne Verzug sein Blut als Lösegeld für Dich, o Seele, vergießen, wollte sich offen als Dein wahrer Erlöser zeigen, als derjenige, der den Vätern durch Wort und Zeichen verheißen, als derjenige, der ihnen in allem ähnlich geworden, außer in Unwissenheit und Sünde. Deshalb wollte er auch das Siegel der Beschneidung empfangen, so wie er bei seiner Ankunft auf Erden in der Gestalt des sündigen Fleisches erschienen war, um wegen der Sünde die Sünde zu verurteilen (Röm 8, 3), und um uns zum Heile und zu ewiger Gerechtigkeit zu werden, indem er mit einem Akte der Demut, dieser Wurzel und Hüterin aller Tugenden, den Anfang machte.

Was denn erhebst du dich Erd' und Asche? (Sir 10, 9) Das unschuldige Lamm, das die Sünden der Welt hinweg nimmt, scheut sich nicht, das Brandmal der Beschneidung zu tragen, und Du, der Du, in Wahrheit ein Sünder, doch für gerecht Dich hältst, Du fliehst das Mittel zum ewigen Heile, zu dem Du nimmermehr gelangen wirst, wenn Du nicht dem demütigen Erlöser nachfolgst.

Jesus den drei Weisen gezeigt

Bei der Geburt des Herrn in Bethlehem in Juda (Mt 2, 1) erschien den drei Weisen im Morgenland ein Stern und führte sie, vor ihnen herleuchtend, bis zur Hütte des demütigen Königs.

Auch Du, meine Seele, wende Dich nicht ab von dem Glanze jenes aufsteigenden und Dir vorangehenden Sternes. Geselle Dich vielmehr als Begleiter zu den drei heiligen Königen, stimme dem Zeugnisse bei, das die jüdischen Schriften von Christus geben, aber weiche aus vor der Bosheit des betrügerischen Königs Herodes. Gold, Weihrauch und Myrrhe opfernd, verehre Christus als wahren Gott und wahren Mensch und im Vereine mit den Erstlingen der später zum Glauben zu berufenden Heiden, bekenne, lobe, bete an den in der Krippe liegenden demütigen Gott. Dann wirst auch Du im Schlafe gemahnt werden, nicht dem Stolze des Herodes zu folgen, sondern in den Fußstapfen des demütigen Christus heimzukehren in Dein Vaterland.

Jesus den Gesetzen unterworfen

Der Lehrmeister der vollkommenen Demut wollte, obwohl er dem Vater in allem gleich war, sich nicht bloß der demütigsten Jungfrau Maria, sondern auch dem Gesetze unterwerfen, um zu erlösen, die unter dem Gesetze waren, sie zu befreien von der Knechtschaft des Verderbnisses und sie zu führen in die Freiheit der Glorie der Kinder Gottes (Gal 4, 4+5; Röm 8, 21). Er wollte deshalb , dass auch seine allerreinste Mutter das Gesetz der Reinigung erfülle, und dass er, der Erlöser aller Menschen als Erstgeborner erlöst, d. h. losgekauft, im Tempel Gott aufgeopfert und für ihn ein Opfer dargebracht werde in Gegenwart der frohlockenden Gerechten.

Frohlocke denn auch Du mit jenem glücklichen Greise Simeon und der hochbetagten Anna. Gehe der Mutter und dem Kinde entgegen. Die Liebe möge die Scheu besiegen, und das Herz die Furcht austreiben. Nimm auch Du das Kind Jesus in Deine Arme und sprich mit der Braut im Hohenlied: "Ich halte ihn und lasse ihn nicht" (Hld 3, 4). Juble mit dem ehrwürdigen Greise Simeon und stimme ein in den Lobgesang: "Nun entlässest Du, o Herr, nach Deinem Worte, Deinen Diener in Frieden" (Lk 2, 29).

Jesus aus dem Reiche vertrieben

Die vollkommene Demut soll, um würdig aufzutreten, hauptsächlich von drei Tugenden begleitet sein, nämlich von der Armut, die den Reichthm als Zunder der Hoffart flieht, von der Geduld, welche Verachtung mit Gleichmut trägt, von dem Gehorsam, der sich den Befehlen Anderer unterwirft. Daher geschah es durch göttliche Fügung und auf ausdrückliche himmlische Mahnung, dass der neugeborene König, als der gottlose Herodes mit höherer Zulassung ihn zu töten suchte, nach Ägypten gebracht wurde als ein Fremdling und Armer. Ferner, dass er, als seine kleinen Altersgenossen seinetwegen getötet wurden, zugleich selbst in ihnen getötet, ja gleichsam in jedem Einzelnen hingeschlachtet wurde. Nach dem Tode des Herodes wurde Jesus auf göttlichen Befehl in das Land Judäa zurückgeführt. Dort wuchs er heran an Alter und Gnade und war seinen Eltern so sehr untertan (Lk 2, 40+51+52), dass er sich niemals, auch nur auf kurze Frist, von ihnen entfernte, bis er im zwölften Jahre im Tempel zu Jerusalem zurückblieb, wo dann seine Mutter ihn mit großem Schmerz suchte und mit massloser Freude wiederfand.

Lasse auch Du, o Seele, die mit dem Kinde nach Ägypten fliehende Mutter nicht ohne Deine Begleitung ziehen. Lasse auch Du, wie die liebende Braut, nicht ab vom Suchen, bis Du den Geliebten gefunden hast (Hld 3, 1+2). O wie viele Tränen würden Deinen Augen entströmen, wenn Du mit andächtigem Blick die so ehrwürdige Herrin und holdselige Jungfrau mit dem zarten, schönen Knäblein auf der Wanderung schautest. Wenn Du ferner hörtest die süße Klage der liebevollen Gottesmutter: "Sohn, warum hast Du uns das getan ?" (Lk 2, 48) als wollte sie sagen: Ersehntester Sohn, wie konntest Du Deiner von Dir so geliebten und Dich liebenden Mutter solchen Schmerz bereiten!

Jesus getauft

Jesus baptista coelicus,
Jesus hoste temptatus,
Jesus signis mirificus,
Jesus transfiguratus.

Als der Erlöser das dreissigste Jahr erreicht hatte, fing er an, um das Heil unserer Seelen zu wirken, zuvor das selbst zu üben, was er lehrte (Apg 1, 1). So machte er denn den Anfang mit der Taufe, gleichsam der Pforte der Sakramente und dem Fundamente der Tugenden, indem er von Johannes wollte getauft werden. Damit wollte er zugleich uns ein Beispiel vollkommener Gerechtigkeit geben und auch dem Wasser, durch die Berührung mit seinem allerreinsten Leib, die wiedergebärende Kraft mittheilen.

Begleite auch Du gläubig Deinen Heiland, damit Du in ihm wiedergeboren werdest. Betrachte auch Du die Geheimnisse dieser Taufe, auf dass Du dort am Ufer des Jordan in der Stimme, die erschallt, den Vater erkennst, in dem sichtbaren Fleisch den Sohn und in der Taubengestalt den Heiligen Geist (Lk 3, 22).

Jesus vom bösen Feinde versucht

Jesus ward vom Geiste in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden (Mt 4, 1), auf dass er durch demütiges Ertragen des feindlichen Angriffs uns zur Demut und durch den Sieg über die Versuchung zur Standhaftigkeit anleite. Zugleich übte er ein Leben der Strenge und Einsamkeit, um die Herzen der Gläubigen zum Streben nach Vollkommenheit emporzurichten und im Ertragen schwerer Bürden zu stärken.

Eia, o Schüler Christi, erforsche an der Seite Deines guten Meisters die Geheimnisse der Wüste. Sei sein Gefährte in der Einsamkeit, der Wohnstätte wilder Tiere. Ihn nachahmend, nimm Teil an dem geheimnisvollen Schweigen, am frommen Gebete, am anhaltenden Fasten, am dreifachen Kampfe mit dem listigen Feinde. Lerne in jeder Gefahr der Versuchung Deine Zuflucht zu Jesus nehmen, haben wir ja doch keinen Hohenpriester, der mit unserer Schwachheit nicht Mitleid haben könnte, sondern einen, der in allen Stücken, ähnlich wie wir, versucht worden ist, doch ohne Sünde war (Hebr 4, 15).

Jesus wunderbare Zeichen wirkend

Jesus ist es, der allein große Wunder tut (Ps 136, 4), indem er die Elemente verwandelt, das Brot vermehrt, die Wogen beruhigt, auf dem Meere wandelt, die Teufel bezähmt und austreibt, die Aussätzigen reinigt und heilt, die Toten auferweckt. Er ist es, der den Blinden das Gesicht, den Tauben das Gehör, den Stummen die Sprache, den Lahmen das Gehen, den gichtbrüchigen und den erstorbenen Gliedern Gefühl und Bewegung wiedergibt.

Zu ihm also soll das sündige Gewissen aufschreien, bald nach der Weise des Aussätzigen: Herr, wenn Du willst kannst Du mich reinigen (Lk 5, 12), bald wie der Hauptmann: Herr, mein Knecht liegt zu Hause gichtbrüchig und leidet große Qual (Mt 8, 6), bald wie die chananäische Frau: Erbarme Dich meiner, Sohn Davids (Mt 15, 22), bald wie die Frau, die am Blutfluß litt: Wenn ich nur sein Kleid berühre, werde ich gesund (Mt 9, 21), bald wie Maria und Martha: Herr, siehe, der, den Du liebst, ist krank (Joh11, 3).

Jesus verklärt

Um das arme Menschenherz durch die Hoffnung auf eine ewige Vergeltung zu stärken, nahm Jesus den Petrus, Jakobus und Johannes mit sich auf den Berg und ward vor ihnen verklärt (Mt 17, 1+2). Er offenbarte ihnen das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit, sagte ihnen die Schmach seines Leidens vorher und zeigte ihnen in seiner Verklärung die Herrlichkeit seiner künftigen Auferstehung. Zugleich wurde ihm in der Erscheinung des Moses und Elias Zeugnis gegeben durch das Gesetz und die Propheten. Auch der Vater und der Heilige Geist legten Zeugniss für ihn ab durch die Stirnme und die Wolke.

So soll denn die Christus ergebene, schon in der Wahrheit befestigte und zum Gipfel der Tugend gelangte Seele gläubig und getrost mit Petrus sprechen: Herr, hier ist gut sein (Mt 17, 4), d. h. in dem ungetrübten Genuss Deiner Anschauung, und, wenn dann himmlischer Schlummer des Gebetes der Ruhe und Entzückung über sie kommt, möge sie geheime Worte hören, die einem Menschen auszusprechen nicht gezIemt (2 Kor 12, 4).

Jesus der sorgsame Hirte

Jesus pastor sollicitus,
Jesus fletu rigatus,
Jesus rex orbis agnitus,
Jesus panis sacratus.

Wie groß die Milde, die zärtliche Sorgfalt des guten Hirten für die verlorenen Schafe ist, zeigt uns Jesus, der gute Hirte selbst, in der Parabel von dem Hirten, der von hundert Schafen eines verliert, demselben sorgsamst nachgeht, bis er es findet, und, wenn er es gefunden hat, es mit Freude auf seine Schultern legt und zurückbringt (Lk 15, 4-6). Was dieses rührende Bild andeutet, erklärt Jesus noch mit ausdrücklichen Worten, indem er sagt: Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe (Joh 10, 11). In ihm ist jener prophetische Ausspruch vollkommen erfüllt worden: Wie ein Hirte wird er seine Herde weiden (Is 40, 11). Denn, um seine Herde zu weiden, ertrug Jesus Mühen und Arbeiten, Sorgen und Hunger, und, umringt von den Nachstellungen der Pharisäer und vielen Gefahren, durchwanderte er Städte und Flecken, das Reich Gottes verkündend und brachte die Nächte wachend im Gebete zu. Ungeachtet des Murrens der Pharisäer, verkehrte er liebevoll mit Zöllnern und Sündern und versicherte, er sei für die Sünder in die Welt gekommen. Die Reuigen empfing er mit väterlicher Milde und zeigte, wie ihnen der Schoß der göttlichen Barmherzigkeit zugänglich sei. Als Zeugen dafür nenne ich und stelle vor: Matthäus, Zachäus, jene Sünderin, die sich zu seinen Füßen niederwarf und jene ehebrecherische Frau.

O Seele, folge wie Matthäus Deinem liebreichsten Hirten auf's vollkommenste nach. Nimm ihn wie Zachäus in Dein Haus auf. Salbe wie Magdalena seine Füße, benetze sie mit Deinen Tränen, trockne sie mit Deinen Haaren, berühre sie mit Deinen Küssen, damit am Ende auch Du, wie jens Frau, das ihm vorgeführt wurde, damit er es richte, das Wort der Lossprechung zu hören verdienst: Hat dich niemand verdammt, so will auch ich dich nicht verdammen. Gehe hin und sündige nicht mehr (Joh 8, 10+11).

Jesus von Tränen überströmt

Um uns die Süßigkeit seiner höchsten Liebe zu erschließen, weinte der gute Jesus, der Urquell aller Barmherzigkeit, nicht bloß einmal, sondern mehrmal für uns elende Menschen. Zuerst weinte er über Lazarus, dann über Jerusalem, und zuletzt flossen am Kreuz Tränenströme aus seinen mildesten Augen zur Sühnung für unsere Sünden. Und zwar weinte der Erlöser so reichlich, beklagend bald das Elend unserer menschlichen Schwäche, bald die Finsternis verblendeter Herzen, bald die Verworfenheit verhärteter Bosheit.

O hartes, törichtes und ruchloses Herz, das, weil dem wahren Leben erstorben, schmerzlich zu beweinen ist, warum lachst Du nach Art eines Toren und freust Dich in Deinem Elend, während die Weisheit des Vaters über Dich weint? Sieh' an Deinen in Tränen zerfließenden Arzt, trage Leid wie um einen einzigen Sohn und klage bitterlich (Jer 6, 26) Lass wie einen Strom Tränen fließen Tag und Nacht, gönne Dir keine Ruhe und Dein Augapfel lasse nicht ab (Klg 2, 18).

Jesus als König der Welt anerkannt

Nachdem Lazarus von den Toten auferweckt war, und Magdalena die kostbare Salbe über das Haupt Jesu ausgegossen hatte, verbreitete sich der Ruhm Jesu immer mehr unter dem Volke. Und da Jesus wohl wusste, dass die Menge ihm entgegenkommen werde, bestieg er eine Eselin und gab so das Beispiel einer wunderbaren Demut mitten unter dem Jubel des herbeigeeilten Volkes, das Zweige von den Bäumen brach und, seine Kleider auf den Weg breitete. Während aber die Scharen Loblieder sangen, regte sich das mitleidige Erbarmen des Herrn, und er fing an, die Zerstörung der Stadt zu beklagen.

Erhebe Dich nun, o Magd des Herrn, auf dass Du, wie eine der Töchter Jerusalems, den König Salomon (Hld 3, 11) schaust in der Ehre, die ihm seine Mutter, die Synagoge, geheimnisvoll die neuentstehende Kirche andeutend, erweist. Begleite den Herrn Himmels und der Erde, der auf dem Rücken einer Eselin sitzt, mit Zweigen des Ölbaums und der Palmen, d. i. mit Werken der Barmherzigkeit und den Siegespalmen der Tugenden.

Jesus das eucharistische Brot

Unter allen Denkwürdigkeiten im Leben des Herrn verdient offenbar am meisten jenes hochheilige letzte Abendmahl unser frommes Andenken. In ihm wird ja nicht allein das Osterlamm vorgesetzt, sondern auch das unbefleckte Lamm, das die Sünden der Welt hinweg nimmt (Joh 1, 29), unter der Gestalt des Brotes als Speise dargereicht, die alle Annehmlichkeit und jeglichen Geschmackes Süßigkeit in sich hat (Weish 16, 20). Welch' wunderbare, überströmende Güte offenbarte sich in diesem Gastmahl, da Jesus mit den armen Jüngern und dem Verräter Judas an derselben Tafel und aus derselben Schüssel aß. Welch' wunderbares Beispiel der Demut erglänzte hier, da er, der König der Glorie mit einem Tuch umgürtet, die Füße der Fischer und auch die seines Verräters wusch. Welch' wunderbare Freigebigkeit offenbarte sich, da er den Aposteln, als den ersten Priestern und in ihnen der ganzen Kirche und dem ganzen Erdkreis, seinen allerheiligsten Leib und sein allerheiligstes Blut als wahre Speise und wahren Trank gab, damit das Gott wohlgefällige, in kurzem folgende Opfer, dieser unschätzbare Preis unserer Erlösung, uns zur Wegzehrung und Stärke würde. Endlich welch' wunderbares Übermaß der Liebe zeigte Jesus, da er, die Seinen bis ans Ende liebend, sie mit süßer Ermahnung im Guten bestärkte namentlich Petrus zur Festigkeit im Glauben ermahnte und Johannes an seiner Brust, dieser seligen, heiligen Stätte, ruhen ließ.

O wie wunderbar und wie lieblich ist all diese, aber nur für jene Seele, die, eingeladen zum feierlichen Mahle, mit soviel Glut des Geistes hineilt, dass sie mit dem Propheten rufen kann: Gleichwie eoín Hirsch verlangt nach Wasserquellen, also verlangt meine Seele nach Dir, o Gott (Ps 42, 2).

II. Über das Geheimnis der Passion

Jesus dolo venundatus,
Jesus orans prostratus,
Jesus turba circumdatus,
Jesus vinclis ligatus.

Jesus mit Arglist verkauft

Wer das Leiden des süßesten Herrn Jesu Christi andächtig betrachten will, dem tritt zuerst die Treulosigkeit des Verräters entgegen. Dieser war so voll giftiger Hinterlist, dass er an seinem Herrn und Meister Verrat übte. In ihm brannte die Flamme der bösen Habsucht so stark, dass er seinen gütigsten Gott um Geld verkaufte und das kostbare Blut Christi dem Preis eines schnöden Lohnes gleichstellte. In ihm war die Undankbarkeit so groß, dass er jenen, der ihm alles anvertraute und ihn zur ehrenvollen und erhabenen Würde der apostolischen Gewalt erhoben hatte, bis zum Tod verfolgte. In ihm war die Härte des Herzens so groß, dass ihn weder die beim Abendmahl erwiesene Vertraulichkeit, noch der Liebesdienst bei der Fußwaschung, noch die Lieblichkeit der Unterredung des Herrn von seinem verbrecherischen Vorsatz abbringen konnte. O wunderbare Milde des Meisters gegen den verstockten Schüler, des gütigen Herrn gegen den nichtswürdigen Knecht. Gewiss, besser wäre es Ihm, wenn derselbe Mensch nicht geboren 'wäre (Mt 26, 24).

Doch, wie unbegreiflich groß auch die Gottlosigkeit des Verräters war, die süße Sanftmut des Lammes Gottes übertraf sie unendlich weit, den Menschen zum Beispiel, damit die schwache Menschheit, wenn sie von einem Freund zur Erbitterung gereizt wird, nicht etwa sage: Wenn mein Freund mir geflucht hätte, so würde ich's wohl ertragen haben. Und wenn der, so mich hasst, groß wider mich gesprochen hätte, so würde ich mich vielleicht vor ihm verborgen haben. Aber, beachte wohl: hier ist ein Gleichgesinnter, der ein Führer schien und Bekannter, der das Brot Christi aß und bei jenem heiligen Male mit ihm süße Speisen kostete (Ps 55, 13 ff). Dieser trieb große Hinterlist wider ihn (Ps 41, 10). Und doch weigerte sich das sanftmütigste Lamm, in dessen Mund kein Trug gefunden ward, nicht, den Mund, der von Bosheit überfloss, in der Stunde des Verrats mit süßem Kuss zu berühren, um alles aufzubieten, was die Hartnäckigkeit des verkehrten Herzens hätte erweichen können.

Jesus betend zur Erde gebeugt

Da Jesus alles wusste, was nach dem verborgenen, allerhöchsten Ratschluss über ihn kommen sollte, begab er sich, nachdem er den Lobgesang gesprochen hatte, hinaus auf den Ölberg (Mt 26, 30), um nach gewohnter Weise zum Vater zu beten. Zu der Stunde besonders, da der Todeskampf und die Zerstreuung und Verwirrung der Schäflein, welche der gute Hirt mit zarter Liebe umfasste, so nahe bevorstand, ergriff ihn nach seiner menschlichen Natur eine so schauervolle Vorstellung des Todes, dass er sprach:

Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber (Mt 26, 39). Wie groß die aus mannigfachen Ursachen entstandene Seelenangst des Erlösers war, bezeugen die blutigen Schweisstropfen, die aus seinem ganzen Leib auf die Erde rannen (Lk 22, 44).

O Herr Jesus, o Herrscher Himmels und der Erde, woher kommt in Deine Seele so gewaltige Angst und so klägliche Bitte zum Vater? Hast Du Dich dem Vater nicht vollständig und freiwillig zum Opfer gebracht? Ach, Deine Absicht hierbei war, dass wir, die wir an Deine wahre menschliche Natur glauben, noch mehr im Glauben befestigt, unter ähnlichem Druck von Drangsalen emporgerichtet würden zur Hoffnung und noch kräftigeren Antrieb hätten zur Liebe gegen Dich. Darum wolltest Du durch solche augenfällige Zeichen die Schwachheit der menschlichen Natur an Dir hervortreten lassen, damit wir belehrt würden, dass Du wahrhaft ucsere Schmerzen auf Dich geladen (Is 53, 4) und die Bitterkeit des Leidens nicht ohne Empfindung gekostet hast.

Jesus von der Rotte umringt

Wie bereit zu leiden Jesus im Geist war, erhellt deutlich daraus, dass er dem Verräter und den mit ihm nahenden Blutmenschen, die des Nachts mit Fackeln, Laternen und Waffen kamen, um ihn zu suchen, freiwillig entgegenging, sich selbst zu erkennen gab und auslieferte. Damit aber die Anmassung der Menschen wisse, dass sie nichts gegen ihn vermöge, als nur so weit er selbst es zulasse, warf er mit dem Worte seiner allmächtigen Kraft den gottlosen Haufen zu Boden. Doch auch damals hielt er seine Barmherzigkeit nicht zurück in seinem Zorn (Ps 77, 10), und jene mystische Honigwabe (Rich 14, 8; Hld 4, 11 ) liess nicht ab ihre milde Süßigkeit zu träufeln, denn er heilte durch die Berührung seiner Hand das dem frechen Knechte von seinem Jünger verstümmelte Ohr und verhinderte seinen eifrigen Verteidiger an weiterer Verletzung der Gegner. Verflucht sei ihre Wut, weil so hartnäckig (Gen 49, 7), dass sie weder durch das Wunder der allmächtigen Majestät, noch durch die Wohltat seiner erbarmenden Milde gezügelt werden konnte.

Jesus mit Fesseln gebunden

Wer vermag ohne Klagen zu hören, wie zu jener Stunde die rauen Kriegsknechte ihre mörderischen Hände an den König der Glorie legten, die unschuldigen Hände des sanften Jesus mit Banden fesselten und dieses milde, schweigende Lamm, gleich einem Missetäter, schimpflich zur Schlachtbank schleppten? Welch schneidender Schmerz durchdrang damals die Herzen der Jünger, als sie ihren geliebten Herrn und Meister von seinem Schüler verraten, mit rücklings gebundenen Händen, gleich einem Missetäter, zum Tod geführt sahen. Als ferner jener gottlose Judas, späterhin von Reue ergriffen und von bitterem Schmerze gequält, lieber sterben als leben wollte. Wehe jenem Menschen, der auch so sich nicht in Hoffnung auf Verzeihung zur Quelle der Barmherzigkeit wandte, sondern verzweifelte, erdrückt von der entsetzlichen Ruchlosigkeit seines Verbrechens.

Jesus vom Freunde verleugnet

Jesus notis incognitus,
Jesus vultu velatus,
Jesus Pilato traditus,
Jesus morte damnatus.

Als der Hirt gefangen ward, wurden die Schafe zerstreut (Mt 14, 27). Als der Meister ergriffen ward flohen die Schüler. Petrus jedoch, treuer als alle Übrigen, folgte von weitem bis zum Vorhof des Hohenpriesters, wo er auf die Frage einer Magd, ob er Christus nicht kenne, mit einem Schwur beteuerte und dreimal wiederholte, dass er nichts von ihm wisse. Da krähte der Hahn. Der gütige Herr schaute den bevorzugten Jünger mit einem Blick gnadenvoller Erbarmung an, und Petrus, so nachdrücklich gemahnt, ging hinaus und weinte bitterlich (Mt 26, 75).

O wer Du auch immer seist, der Du auf die Stimme der hilflos schwachen Magd, nämlich der Sinnlichkeit, gehört und Christus, der für Dich gelitten, entweder im Willen oder in der Tat frech verleugnet hast, erinnere Dich des Leidens Deines süßesten Meisters. Gehe hinaus mit Petrus, um bitterlich über Dich zu weinen, auf dass etwa jener Dich anblicke, der den weinenden Petrus angeblickt hat. Durchtränke Dich mit dem Wermut doppelter Bitterkeit, nämlich der Zerknirschung über Dich und des Mitleids mit Christus, auf dass auch Du, wenn Du mit Petrus Deine Schuld gebüsst, mit ihm vom Geiste der Heiligkeit erfüllt werdest.

Jesus mit verhülltem Angesicht

Nach dem Beschluss der missgünstigen Hohenpriester wurde Jesus Christus, unser Hohepriester, da er die Wahrheit bekannt hatte, dass er der Sohn Gottes sei, als Gotteslästerer zum Tode verurteilt und mit masslosen Schmähungen überhäuft. Sein den Menschen verehrungswürdiges und den Engeln ersehntes Antlitz, das auch alle Himmel mit Freude erfüllt, wurde mit dem Auswurf aus schmutzigem Munde befleckt, von gottlosen, gottesräuberischen Händen geschlagen, mit einem Tuch zum Spott verhüllt, und der Herr aller Geschöpfe erhielt, gleich einem verächtlichen SKlaven, Backenstreiche. Er aber wies mit sanfter Miene und gelassener Rede einen der Knechte des Hohenpriesters, der ihn ins Angesicht schlug, zurecht: Habe ich unrecht geredet, so beweise es, habe ich aber recht geredet, warum schlägst Du mich (Joh 18, 23) ?

O wahr redender, süßer, liebreicher Jesus, wo ist eine Dir ergebene Seele, die solche Unbild sieht und hört und doch sich der Tränen enthalten und den Schmerz des innersten Mitleids verbergen könnte?

Jesus an Pilatus überliefert

Die geradezu ungeheuerliche Gottlosigkeit der Juden ward durch so viele Misshandlung noch nicht gesättigt. Vielmehr, schnaubend von tötlichem Hass, überlieferte sie die Seele des Gerechten dem ungerechten Richter, auf dass er sie gleichsam verschlinge (Spr 1, 12), wie ein reissendes Tier seine Beute. Die Hohenpriester führten Jesus gebunden vor Pilatus und verlangten, dass er am Kreuz sterbe, er, der durchaus von keiner Sünde wusste (2 Kor 5, 21). Sanftmütig und schweigend stand er vor dem Richter, wie ein Lamm vor dem, der es scheert (Is 53, 7), während die falschen, gottlosen Ankläger ihm eine Menge schwerer Verbrechen fälschlich vorwarfen und mit aufrührerischem Geschrei für ihn, den Urheber des Lebens, den Tod forderten, dagegen einem Mörder und Aufrührer das Leben erhalten wollten. So zogen sie, ebenso betört als gottlos, den Wolf dem Lamm vor, den Tod dem Leben, die Finsternis dem Licht.

O süßer Jesus, wessen Herz ist so hart, dass er das schreckliche Geschrei: Hinweg, hinweg Init ihm, kreuzige ihn (Joh 19, 6), ohne im Geist zu seufzen und zu wehklagen, wirklich anhören oder sich nur vorstellen könnte?

Jesus zum Tode verurteilt

Obwohl Pilatus wusste, dass das jüdische Volk Jesus aus Ungerechtigkeit und Neid überliefert hatte, obwohl er offen bekannte, dass er an ihm nicht die geringste Todesschuld finde, erfüllte er, von Menschenfurcht besiegt, sein Herz mit bitterer Verstockung und liess den mildesten König vor das Gericht des grausamen Tyrannen Herodes führen, der ihn nach schmählicher Verspottung zu Pilatus zurückschickte. Nun gab dieser den grausamen Befehl, Jesus im Angesicht der spottenden Menge zu entkleiden und mit schrecklichen Geißelhieben das jungfräuliche und allerreinste Fleisch zu zerreissen, so dass sich Striemen auf Striemen, Wunden auf Wunden häuften. Da floss das kostbarste Blut von den heiligen Seiten des unschuldigen, liebreichen Menschensohnes, und keine Schuld war an ihm gefunden worden.

Und Du, schuldbeladener Mensch, Du, die Ursache dieser ganzen Schmach und dieses Elendes, warum brichst Du nicht in Tränen aus? Siehe, das unschuldigste Lamm lässt sich ungerecht zum Tod verurteilen, um Dich dem Urteilsspruch der gerechten Verdammung zu entreissen. Siehe, was er nicht geraubt, das hat er für Dich bezahlt (Ps 69, 5), und Du, meine Seele, so unwürdig, so sündhaft, Du bietest ihm dafür nicht einmal einige Danksagung, auch nicht herzliches Mitleiden.

Jesus von allen verachtet

Jesus spretus ab omnibus,
Jesus cruci clavatus,
Jesus vinctus latronibus
Jesus felle potatus.

Als Pilatus durch das Todesurteil das Verlangen der gottlosen Juden erfüllt hatte, genügte es jenen gottesräuberischen Soldaten nicht, den Erlöser zu kreuzigen. Sie wollten ihn auch zuvor noch verspotten. Nachdem die ganze Rotte im Vorhof versammelt war, zogen sie Jesus die Kleider aus, legten ihm ein scharlachrotes Gewand und einen Purpurmantel an, drückten eine Dornenkrone auf sein Haupt, steckten ein Rohr in seine rechte Hand, beugten spottweise die Knie, gaben ihm Backenstreiche, spieen ihn ins Angesicht und schlugen sein heiliges Haupt mit dem Rohr.

O stolzes Menschenherz, das so sehr die Verachtung flieht und nach Ehren trachtet, beachte wohl, wer derjenige ist, der dort einhergeht, wie mit den Abzeichen königlicher Würde und nichts desto weniger mit Schmach überhäuft ist, wie ein verachteter Knecht. Er ist Dein König, Dein Gott, der wie ein Aussätziger und der mindeste der Menschen (Is 53, 3+4) geachtet wird, um Dich von ewiger Schmach zu befreien und zu heilen von der Pest des Hochmuts. Wehe und abermals wehe jenen, die trotz dieses leuchtenden Spiegels der Demut, sich in Stolz hoch erheben. Die aufs neue den Sohn Gottes zur Schau stellen (Hebr 6, 6), ihn, der jeder Ehrenbezeugung von Seite der Menschen offenbar um so würdiger ist, je mehr Entehrendes er der Menschen wegen gelitten hat.

Jesus an das Kreuz genagelt

Nachdem die gottlosen Juden sich an den Misshandlungen des Friedensfürsten ersättigt hatten, wurde unser König wieder mit seiner Gewandung bekleidet, die ihm später nochmals wird genommen werden. Nachdem er sein Kreuz auf den Kalvarienberg getragen hatte, wurde er dort seiner Kleider gänzlich beraubt und konnte nur mit einem Schweißtuch seine Lenden umgürten. Grausam auf das Kreuz geworfen, wurde sein heiliger Leib zerdehnt, gestreckt und gleichsam auseinander gezogen, seine heiligen Hände und Füße von scharfen Nägeln durchbohrt, an das Kreuz geheftet und unbarmherzig zerrissen. Seine Kleider wurden als Beute verteilt. Sein ungenähter Rock fiel durch das Los einem Einzelnen zu.

Siehe, meine Seele, wie jener über alles gebenedeite Gott, von der Fußsohle bis zum Scheitel (Job 2, 7), ganz in das Wasser der Leiden versenkt ist. Erwäge dabei, dass darum die Leidenswasser bis an seine Seele gedrungen sind (Ps 69, 2), um Dich ganz von jenen Leidenschaften zu befreien. Mit Dornen gekrönt, musste er den Rücken unter der Last des Kreuzes beugen und seine eigene Schmach tragen. Zur Gerichtsstätte geführt, beraubt man ihn der Kleider, wodurch all' die Wunden der Geißelung am Rücken und an den Seiten aufs neue aufgerissen wurden, und er einem Aussätzigen gleich ward, Er wurde mit Nägeln durchbohrt, auf dass Dein Geliebter, um Dich zu heilen, Dir erscheine, bedeckt mit Wunden über Wunden. Wer macht, dass meine Bitte erfüllt werde, und dass mir Gott gebe, was ich erwarte (Job 6, 8), damit ich an Leib und Seele durchbohrt, mit dem Geliebten am Kreuzespfahl hange.

Jesus den Mördern beigesellt

Zur Vermehrung von Beschämung, Schmach, Schande und Schmerz wurde das unschuldige Lamm außerhalb der Stadt, auf der Richtstätte der Verbrecher, am Vorabend des hohen Festes um die Mittagsstunde, zwischen zwei Mördern am Kreuz erhöht, gleichsam zum Schauspiel der Menge vor den Augen der weinenden Freunde und der höhnenden Feinde. Denn, die vorübergingen, schüttelten ihre Häupter und die da standen, schmähten ihn, sprechend: Andern hat er geholfen, nun mag er sich selbst helfen (Mt 27, 39-42). Auch der eine der beiden Schächer wollte sich nicht des Spottes enthalten, obwohl das sanftmütigste Lamm, für jene, die ihn kreuzigten und für jene, die ihn verhöhnten, mit süßem Mitleid zum Vater flehte und dem reumütig bittenden Schächer mit freigiebigster Liebe das Paradies versprach. O Wort lauterer Milde und Nachsicht : Vater verzeihe ihnen ! (Lk 23, 34).

O Wort lauterer Liebe und Gnade: Heute wirst Du mit mir im Paradies sein (Lk 23, 43).

O Seele, welch' große Sünderin Du auch sein magst, schöpfe nun Mut in Hoffnung auf Verzeihung, wenn anders Du entschlossen bist, den Fußstapfen Deines geduldigen Herrn und Gottes zu folgen, der in allen Bedrängnissen seinen Mund nicht ein einziges Mal auftat, weder zu einem leisen Worte der Klage, noch der Entschuldigung, noch der Bedrohung oder Verwünschung gegen jene des Fluches würdigen Henker, der vielmehr ein neues, noch nie gehörtes Wort des Segens über seine Feinde aussprach. Rufe daher mit großem Vertrauen: Erbarme Dich meiner, o Gott, erbarme Dich meiner, denn auf Dich vertraut meine Seele (Ps 57, 2), auf dass auch Du mögest würdig werden im Augenblick des Todes, wie der reumütige Schächer, das Wort zu hören: Heute wirst Du mit mir im Paradiese sein.

Jesus mit Galle und Essig getränkt

Da Jesus wusste, dass alles vollbracht sei sprach er, um die Schrift zu erfüllen: Mich dürstet. Und nachdem die Soldaten ihm einen mit Essig und Galle getränkten Schwamm dargereicht hatten, sprach er gleich darauf, wie Johannes, der bei ihm stand, bezeugt: Es ist vollbracht (Joh 19, 28-30), als wollte er sagen, die Vollendung seines ganzen allerbittersten Leidens bestände im Kosten des Essigs und der Galle. Denn weil unser ganzes Verderben in dem Sündenfall Adams durch den Genuss der süßen, verbotenen Frucht war verursacht worden, so war es angemessen und geziemend, dass auf entgegengesetztem Wege das Mittel zu unserm Heil gefunden würde. Ferner, da alle Glieder des Herrn von einer Menge der brennendsten Schmerzen, gleich stechenden Pfeilen, gequält wurden, so dass ihr Grimm seinen Geist erschöpfte (Job 6, 4), sollte auch die Zunge, als das Werkzeug für Essen und Sprechen, nicht frei bleiben, auf dass sich an unserm Arzt das Wort des Propheten bewährte: Er sättigte mich mit Bitterkeit, berauschte mich mit Wermut (Klgl 3, 15). Auch sollten an der süßesten, liebreichsten Mutter Jesu, der glorreichen Jungfrau, die Worte erfüllt werden: Er nahm mir allen Trost und zehrte mich auf durch Trauer den ganzen Tag (Klgl 1, 13). Welche Zunge vermag auszusprechen, und welcher Verstand vermag zu fassen das Übermaß deiner Seelennot, o seligste Jungfrau? Du hast Deinen Sohn auf seinem ganzen Leidensweg begleitet und an seiner Seite vollständig an seinen Schmerzen Anteil gehabt. Du hast mit Deinen leiblichen Augen gesehen, wie jener gebenedeite, heilige Leib, den du so keusch empfangen, so liebreich gepflegt, mit Deiner Milch ernährt, so oft in Deinen Schoß gelegt und mit Deinen Lippen geküsst hast, von Geißelhieben zerrissen, bald mit scharfen Dornen durchstochen, bald mit dem Rohr verwundet, bald mit Fäusten geschlagen, bald mit Nägeln durchbohrt und an den Stamm des Kreuzes geheftet und daran hängend, furchtbar zerfleischt, bald mit jeglicher Art von Verspottung überhäuft und mit Galle und Essig getränkt wurde. Aber auch seine vergöttlichte Seele hast Du, mit dem Auge des Geistes sie schauend, gesehen, ganz erfüllt von der Galle jeglicher Bitterkeit, wie sie nämlich bald im Geiste erschauderte, bald zagte, bald mit Widerwillen, bald mit Todesnot, bald mit Angst und Qual, bald mit einem Übermaß von Traurigkeit und Schmerz erfüllt war, teils wegen der heftigen Empfindung der körperlichen Schmerzen, teils wegen des glühenden Eifers für die Wiederherstellung der Gott durch die Sünde entzogenen Ehre, teils wegen der tief gefühlten Teilnahme an dem Elend von uns armseligen Menschen, teils wegen des Mitleids, das er mit dir, o süßeste Mutter, empfand, und das sein Innerstes durchdrang, als er mit liebendem Auge Dich vor sich stehen sah und mit den süßen Worten zarter Liebe Dich anredete: Frau, siehe Deinen Sohn (Joh 19, 26). Er wollte Dich in den Nöten Deiner Seele tröten, da er wusste, dass sie durch den Anblick seiner Leiden, wie mit einem Schwerte, noch mehr durchbohrt wurde, als wenn Du selbst leiblicher Weise gelitten hättest.

Jesus die Sonne im Tode verblasst

.Iesus sol morte pallidus,
Jesus translanceatus,
Jesus cruore macliclus,
Jesus intumulatus.

Als nun das unschuldige Lamm, die wahre Sonne der Gerechtigkeit, drei Stunden lang am Kreuze gehangen hatte, als zugleich die sichtbare Sonne die Strahlen ihres Lichtes, aus Trauer um ihren Schöpfer, verborgen hatte, und als nun alles vollbracht war, versiegte um die neunte Stunde die Quelle des Lebens, indem Jesus, Gott und Mensch, zum Beweise seiner Gottesmacht und seiner Erbarmung, mit lauter Stimme und unter Tränen (Hebr 5, 7) seinen Geist in die Hände des Vaters empfahl und verschied (Lk 23, 46). Und siehe, der Vorhang des Tempels zerriss von oben bis unten in zwei Stücke, die Erde bebte, die Felsen sprangen entzwei, und die Gräber öffneten sich (Mt 27, 51+52). Da erkannte selbst der Hauptmann, dass Jesus der wahre Gott sei. Da gingen jene, die zusammengekommen waren, um ihn zu lästern, in sich und schlugen an ihre Brust. Da erschien der Schönste unter den Menschenkindern (Ps 45, 3) mit gebrochenen Augen, erblassten Wangen, der Menschenkinder wegen ganz entstellt, aber als ein Opfer des lieblichsten Wohlgeruchs vor dem Angesicht des Vaters der Glorie, um dessen Zorn von uns abzuwenden. Blicke denn hernieder, Herr, heiliger Vater, von Deinem Heiligtum und Deinem hohen Himmelsthron, ich flehe Dich an, blicke hernieder auf das Angesicht Deines Gesalbten (Ps 84, 10). Blicke auf diese allerhöchste Opfergabe, die Dir unser Hoherpriester für unsere Sünden darbringt und habe Nachsicht mit der Bosheit Deines Volkes (Ex 32, 12).

Aber auch Du, o erlöster Mensch, bedenke, wer und von welcher Heiligkeit und Majestät jener ist, der für Dich am Kreuz hängt, dessen Tod den Toten Leben bringt, und über dessen Hingang der Himmel trauert, und die Erde und die harten Felsen aus natürlichem Mitleid sich spalten. O Menschenherz, Du bist härter als die Härte der Felsen, wenn du bei der Erinnerung an ein solches Sühnopfer nicht von Furcht erschüttert, von Mitleid ergriffen, von Reue zerknirscht, von zärtlicher Liebe erweicht wirst!

Jesus mit der Lanze durchstochen

Damit nun aus der Seite des schlafenden Christus die Kirche gebildet werde, und die Schrift sich erfülle, welche sagt: Sie werden sehen, wen sie durchbohrt haben (Joh 19, 37), geschah es durch göttliche Fügung, dass einer der Soldaten die heilige Seite mit einer Lanze durchstach. Durch das ausströmende Wasser und Blut sollte sich der Preis unserer Erlösung aus der verschlossenen Quelle des göttlichen Herzens ergießen, um den Sakramenten der Kirche die Kraft zu geben, das Leben der Gnade mitzuteilen und den Gläubigen ein Trank aus der lebendigen Quelle zu werden, die ins ewige Leben hinaufsteigt (Joh 4, 14). Siehe, wie die Lanze Sauls, d. i. die Treulosigkeit des verworfenen jüdischen Volkes, nachdem damals durch göttliche Erbarmung mit zweckloser Wunde die Mauer getroffen (1 Kön 19, 10) war, jetzt endlich eine Öffnung in den Felsen machte und eine Höhle in die Mauer, nämlich zur Wohnung der Taube (Hld 2, 14).

Erhebe Dich daher, o Freundin Christi. Sei wie eine Taube, die am Eingang der Höhle nistet (Jer 48, 28). Dort finde Deine Wohnung, wie der Sperling und lass nicht ab zu wachen. Verberge dort, gleich der Turteltaube, die zarten Küchlein (Ps 84, 4) der keuschen Liebe. Lege dort Deinen Mund an, um Wasser zu schöpfen aus den Quellen des Heilandes (Is 12, 3). Denn dort ist die Quelle, die hervorsprudelt aus der Mitte des Paradieses und sich in vier Hauptströme teilt (Gen 2, 10; Offb 22, 1), und die, ausgegossen in die frommen Herzen, die ganze Erde befruchtet und bewässert.

Jesus mit Blut überronnen

Christus der Herr wurde mit seinem eigenen Blut übergossen, zuerst beim blutigen Schweiß der Todesangst, dann bei der Geisselung, ferner bei der Dornenkränung, bei der Annagelung am Kreuz und zuletzt bei der Durchbohrung seines heiligsten Herzens und zwar so reichlich, auf dass bei Gott überflüssige Erlösung (Ps 130, 7) für uns sei. So trug er das hohepriesterliche Kleid ganz gerötet, und wirklich rot erschien sein Gewand und seine Kleider, wie die eines Keltertreters (Is 63, 2). So wurde, nachdem der wahre Joseph in die Zisterne war geworfen worden, sein Rock in das Blut eines Bockes getaucht, zur Ähnlichkeit mit dem Leib der Sünde, und dann zum Vater geschickt (Gen 37, 22 f), damit dieser den Rock seines Sohnes anerkenne.

Erkenne daher, o gütigster Vater, das Kleid deines geliebtesten Sohnes Joseph, den seine neidischen Brüder dem Fleische nach, nämlich die Menschen, einem wilden Tiere gleich, zerrissen und sein Kleid in Wut mit Füßen getreten, mit Blut verunziert, ja auch noch mit fünf argen Malen bleibend bezeichnet haben. Dieses, o Herr, ist das Kleid, das Dein unschuldiger Sohn in der Hand der ägyptischen Buhlerin, nämlich der Synagoge, freiwillig zurückließ, indem er lieber von der Hülle des Fleisches entkleidet in den Kerker des Todes niedersteigen, als dem Begehren des ehebrecherischen Volkes, zeitliche Herrlichkeit zu suchen, beipflichten wollte. Denn, statt der ihm vorgelegten Freude erduldete er das Kreuz und achtete die Schmach nicht (Hebr 12, 2).

Blicke auch Du, o barmherzigste Frau, auf das allerheiligste Kleid Deines geliebten Sohnes, das der heilige Geist aus Deinem keuschesten Leibe kunstvoll gebildet. Vereint mit Deinem Sohne erbitte uns, die wir unsere Zuflucht zu Dir nehmen, Gnade und Verzeihung, damit wir würdig werden, dem kommenden Zorn zu entfliehen.

Jesus im Grab

Ein edler Ratsherr, Joseph von Arimathäa, nahm mit Einwilligung von Pilatus den Leichnam Christi mit Nikodemus vom Kreuz herab, salbte ihn mit Spezereien, wickelte ihn in Leinwand und legte ihn mit aller Ehrerbietung in ein neues Grab, das er für sich im nahen Garten in einem Felsen hatte aushauen lassen. Als nun der Herr begraben war, und Soldaten als Wache am Grabe standen, wollten die frommen, heiligen Frauen, die dem Herrn im Leben gefolgt waren, ihm auch im Tod mit geschäftigem Eifer Liebesdienste leisten und kauften Spezereien zur Einbalsamierung des allerheiligsten Leibes Christi. Unter ihnen tat sich besonders Maria Magdalena hervor. Sie wurde von so viel Glut des Herzens getrieben, von so innigem, süßem Mitleid erfüllt und so mächtig von den Banden der Liebe gezogen, dass sie sich, der weiblichen Schwachheit vergessend, weder durch das Dunkel der Nacht, noch durch die Unmenschlichkeit der Feinde des Herrn vom Besuch des Grabes zurückhalten ließ. Sie blieb vor demselben stehen, benetzte den Stein mit ihren Tränen und kehrte nicht mit den Jüngern zurück, weil die Liebe sie fesselte. Verwundet und verzehrt in immer zunehmender Sehnsucht und liebender Ungeduld, fand sie in nichts Trost als in reichlichen Tränen und konnte in Wahrheit mit dem Propheten sprechen: Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, da man täglich zu mir sagt: Wo ist Dein Gott? (Ps 42, 4).

Guter Jesus, mein Gott, verleihe mir, ungeachtet meiner gänzlichen Unwürdigkeit, die Gnade, mit gläubigem Herzen all' dieses zu betrachten, da ich leiblich dabei gegenwärtig zu sein nicht verdiente. Lass mich jenes herzinnige Mitleid mit dir o mein Gott, der du für mich gekreuzigt und gestorben bist, empfinden, das deine schuldlose Mutter und die büssende Magdalena in dieser Stunde Deines Leidens empfunden haben.

III. Über Geheimnis der Auferstehung (Verherrlichung)

Jesus triumphans mortuus, Jesus surgens beatus,
Jesus decor praecipuus,
Jesus orbi praelatus.

Jesus im Tod triumphierend

Nachdem das Leiden Jesu vollbracht war, und jener blutdürstige Drache und grimmige Löwe das getötete Lamm (Offb 12,3-7; 11, 7; 5, 12) besiegt zu haben glaubte, begann in der Seele Jesu, die zur Vorhölle hinabstieg, die Macht der Gottheit sich glänzend zu offenbaren. Denn unser allmächtiger Löwe aus dem Stamm Juda erhob sich gegen den stark Bewaffneten (Lk 11, 21), raubte ihm seine Beute, zerbrach die Tore der Hölle, fesselte die alte Schlange (Offb 20, 2), entwaffnete die Oberherrschaften und die Gewalten, führte sie mutvoll einher, und triumphierte über sie öffentlich durch sich selbst (Kol 2, 15). Da wurde Leviathan mit der Angst herausgezogen und ihm durch Christus die Kinnlade durchbohrt (Job 40, 20+21), da er nämlich kein Recht hatte auf das Haupt, das er angriff, so sollte er auch das Recht verlieren, welches er auf die Glieder zu haben wähnte. Da vernichtete der wahre Samson sterbend das feindliche Heer. Da führte das unbefleckte Lamm im Blut seines Bundes, die Gefangenen aus der wasserlosen Grube (Sach 9, 11). Da ist den Bewohnern der Landschaft des Todesschtattens ein Licht aufgegangen (Is 9, 2), und erglänzte die schon lang ersehnte Klarheit eines neuen Lichtes.

Jesus der glorreich Auferstandene

Als der dritte Tag der heiligen Ruhe des Herrn im Grab angebrochen war, der im Umlauf der Tage der achte und erste ist, besiegte Christus, die Kraft und Weisheit Gottes (1 Kor 1, 24), nachdem er den Urheber des Todes vernichtet hatte, auch den Tod selbst und öffnete uns den Zugang zur Ewigkeit, indem er sich selbst in göttlicher Macht von den Toten erweckte, um uns den Weg des Lebens kundzutun (Ps 16, 11). Es geschah ein großes Erdbeben, und ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab. Sein Anblick war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie Schnee (Mt 28, 2+3), den Guten mild, den Gottlosen streng erscheinend. So versetzte er die dreisten Soldaten in Schrecken, ermutigte aber die furchtsamen Frauen, die durch ihre fromme Liebe verdienten, dass der auferstandene Herr ihnen zuerst erschien. Darauf zeigte er sich dem Petrus, dann den Jüngern, die nach Emmaus gingen, hierauf den Aposteln sämtlich, bis auf Thomas, dann reichte er Thomas seine heiligen Wunden, so dass dieser gläubig ausrief: Mein Herr und mein Gott (Joh 20, 28).

Indem Jesus nun vierzig Tage hindurch seinen Jüngern vielfach erschien und mit ihnen aß und trank (Apg 1, 3+4), erleuchtete er einerseits durch diese hellen Beweise uns zum Glauben, andererseits richtete er uns durch seine Verheißungen auf zur Hoffnung, auf dass er endlich durch seine himmlischen Gaben uns auch entflammte zur Liebe.

Jesus die unvergleichliche Schönheit

Jene schönste Blume der Wurzel Jesse (Is 11, 1), die in der Menschwerdung erblühte und im Leiden verblühte, wollte in der Auferstehung in solcher Weise wieder aufblühen, dass sie ein Bild unserer Verherrlichung würde. Denn jener glorreichste, alles durchdringende, bewegliche und unsterbliche Leib Jesu ist mit der Herrlichkeit so großer Klarheit bekleidet, dass er leuchtender ist, als die Sonne und ein Vorbild der einst wieder auferstehenden Leiber. Von diesen sagt der Herr, dass die Gerechten leuchten werden, wie die Sonne im Reiche ihres Vaters (Mt 13, 43), nämlich in der ewigen Seligkeit. Wenn nun ein Gerechter wie die Sonne leuchtet, wie groß, meinst Du, wird der Glanz der Sonne der Gerechtigkeit selbst sein? Er ist weit größer, sage ich, und weit schöner als die irdische Sonne und steht weit über allen Sterngebilden. Er wird mit dem Licht verglichen (Weish 7, 29) und nicht mit Unrecht die unvergleichliche Herrlichkeit genannt.

Glücklich jene Augen, die diesen Glanz gesehen haben! Aber auch du wirst wahrhaft selig sein, wenn überbleiben wird von deinem Samen, um nach außen und im innern jene ersehnte Klarheit zu schauen (Tob 13, 20).

Jesus der Herr des Erdkreises

Als der Herr seinen Jüngern in Galiläa erschien, erklärte er, dass ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden vom Vater sei übertragen worden. Er sandte sie deshalb in die ganze Welt, um allen Menschen das Evangelium zu predigen, das Heil den Gläubigen zu versprechen, die Verdammnis den Ungläubigen anzudrohen. Durch Mitwirkung Gottes sollten ihre Worte mit großen Zeichen und Wundern bekräftigt werden. Im Namen Jesu Christi sollten sie allen Kreaturen und Krankheiten gebieten und so der ganzen Welt beweisen, dass Jesus Christus, der Sohn Gottes des Vaters, als ein anderer Joseph und als der wahre Erlöser lebe und herrsche, nicht allein im Lande Ägypten, sondern auch an allen Orten der Herrschaft des ewigen Königs. Denn er ist aus dem Kerker des Todes und der Unterwelt in das himmlische Reich Gottes geführt worden und hat, alles Vergängliche abwerfend, das Gewand der Sterblichkeit mit der Herrlichkeit der Unsterblichkeit vertauscht. Erfüllend, was in Moses vorgebildet war, ist er aus den Wassern des sterblichen Lebens gezogen worden, hat das Reich Pharaos entkräftet und ist zu so hoher Ehre erhoben worden, dass in seinem Namen sich alle Knie beugen, derer, die im Himmel, auf Erden und unter der Erde sind (Phil 2, 10).

Jesus der Heerführer

Jesus ductor exercitus,
Jesus coelo levatus,
Jesus largitor Spiritus,
Jesus laxans reatus.

Nachdem seit der Auferstehung des Herrn vierzig Tage verflossen waren, was nicht ohne geheimnissvolle Bedeutung ist, begab sich der gütige Meister am vierzigsten Tage, als er mit seinen Jüngern gegessen hatte, mit denselben auf den Ölberg. Dort stieg er vor ihren Augen, mit erhobenen Händen, in den Himmel auf. Eine Wolke nahm ihn auf, verhüllte ihn und entzog ihn den Augen der Menschen. So ist er aufgefahren in die Höhe, hat gefangen geführt die Gefangenschaft (Eph 4, 8), hat das Tor des Himmels geöffnet, den Weg für die ihm Nachfolgenden gebahnt, die Verbannten in sein Reich eingeführt und sie zu Mitbürgern der Engel und Hausgenossen Gottes gemacht. Auf diese Weise hat er die durch den Sündenfall entstandenen Lücken in den Reihen der Engel wieder ausgefüllt, die Ehre des ewigen Vaters reichlichst ersetzt und selbst sich als Herrn der Heerscharen erprobt.

Jesus in den Himmel erhoben

Unter Lobgesang der Engel und Frohlocken der Heiligen ist Jesus, der Gott und Herr aller Engel und Menschen, über die Himmel der Himmel hinaufgefahren (Eph 4, 10). Auf den Schwingen der Winde ist er durch die wunderbare Schnelligkeit seiner Kraft emporgestiegen und hat sich zur Rechten des Vaters gesetzt. Er ist um so viel besser, als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er von ihnen vererbt hat (Hebr 1, 4), und dort steht er vor dem Angesicht des allergütigsten Vaters, um für uns zu bitten. Denn es geziemte sich, dass wir einen solchen Hohenpiester hätten, der da wäre heilig, schuldlos, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als die Himmel (Hebr 7, 26), der, zur Rechten der Majestät sitzend, dem Angesicht des Vaters der Glorie die Wundmale vorhalte, die er für uns empfangen hat.

Dir, Herr, himmlischer Vater, sage jede Zunge Dank wegen des unaussprechlichen Geschenkes Deiner überfließenden Liebe, weil du den einzigen Sohn Deines Herzens nicht geschont, sondern ihn für uns alle in den Tod hingegeben hast (Röm 8, 32), damit wir bei Dir im Himmel einen so erhabenen und so getreuen Vermittler hätten.

Jesus der Spender des Heiligen Geistes

Sieben Wochen waren seit der Auferstehung des Herrn verflossen. Da entstand am fünfzigsten Tage, als die Jünger mit den Frauen und der Mutter Jesu versammelt waren, plötzlich vom Himmel her ein Brausen, gleich dem eines daher fahrenden gewaltigen Windes. Der Heilige Geist ließ sich über die einhundertzwanzig Versammelten herab und erschien in feurigen Zungen über ihnen (Apg 2, 1-3), um anzudeuten, dass ihrem Munde das Wort, ihrem Verstande das Licht und ihrem Herzen die Liebesglut mitgeteilt werde. Und alle wurden mit dem Heiligen Geiste erfüllt und fingen an, in verschiedenen Sprachen zu reden, wie der Heilige Geist es ihnen eingab (Apg 2, 4). Er lehrte sie alle Wahrheit, entflammte sie zur Übung aller Liebe und machte sie stark in jeglicher Tugend. So haben denn diese wenigen und einfachen Männer, unterstützt durch seine Gnade, erleuchtet durch seine Lehre, gestärkt durch seine Kraft die heilige Kirche in der ganzen Welt verbreitet, teils durch das Feuer ihrer Worte, teils durch die Vollkommenheit ihres Wandels, teils durch die wunderbaren Zeichen, die ihnen folgten. Die Kirche aber, durch die Kraft desselben Heiligen Geistes gereinigt, erleuchtet und in Liebe vervollkommnet, wurde eine liebe Braut für ihren Bräutigam und dessen Brautführer, überaus strahlend in Schönheit und wunderreichem Tugendschmuck (Ps 45, 9-15), dem Satan aber und seinen Engeln furchtbar wie ein geordnetes Kriegsheer (Hld 6, 3).

Jesus die Sünden nachlassend

In dieser heiligen, durch die ganze WeIt verbreiteten Kirche, die unter Mitwirkung des Heiligen Geistes vielgestaltig und doch einheitlich verbunden ist, regiert Christus, unser Hohepriester, als höchstes priesterliches Oberhaupt und verteilt, wie in der himmlischen Stadt, die Ehrenämter und Dienste hach wunderbarer Ordnung und spendet zugleich die verschiedenen Gnadengaben. Denn einige hat er zu Apostel", einige zu Propheten, einige zu Evangelisten, einige aber zu Hirten und Lehrer verwendet für die Vervollkommnung der Heiligen und für die Erbauung des Leibes Christi (Eph 4, 11+12). Auch hat er, entsprechend den sieben Gaben des heiligen Geistes, sieben Sakramente eingesetzt, gleichsam als sieben Heilmittel für unsere Gebrechlichkeit, bei deren Ausspendung er sowohl die Heiligmachende Gnade austeilt, als auch die Sünden nachlässt, für welche ja einzig und allein im Glauben und in Einheit mit derselben Mutter der heiligen Kirche kann Vergebung gefunden werden. Und da das Feuer der Trübsal von Sünden reinigt, so hat es Gott gefügt, dass wie das Haupt der Kirche, Christus, den Fluten der Leiden ausgesetzt war, so auch sein Leib, nämlich seine Kirche, bis zum Ende der Zeiten zur Prüfung und Läuterung bedrängt werde. Also sind die Patriarchen, Propheten, Apostel, Martyrer, Bekenner, Jungfrauen und alle, die Gott gefällig waren, durch viele Trübsale gegangen und sind treu geblieben (Jdt 8, 23). Und so werden alle auserwählten Glieder Christi, bis zum Tage des Gerichtes, denselben Weg ziehen.

Jesus der wahrhaftige Zeuge

Jesus testis veridicus,
Jesus iudex iratus,
Jesus victor magnificus,
Jesus sponsus ornatus.

An jenem Tage, da Gott das Verborgene der Herzen richtet, wird Feuer vor seinem Angesicht hergehen (Ps 97, 3), und die von ihm gesandten Engel werden mit Posaunen die Auserwählten von den vier Himmelsgegenden versammeln. Alle, die in den Gräbern sind, werden durch die Kraft des göttlichen Befehles auferstehen, und alle werden dann vor dem Richterstuhl erscheinen. Alsdann wird auch das im Finstern Verborgene an das Licht gebracht, und die Absichten der Herzen werden offenbar werden (1 Kor 4, 5). Die Bücher der Gewissen werden geöffnet, und auch das Buch, das genannt wird das Buch des Lebens (Offb 13, 8), wird aufgeschlagen. Dann werden zugleich und in einem Augenblick alle Geheimnisse aller Menschen für alle offenbar werden, mit solcher Gewissheit und Klarheit, dass kein Leugnen, keine Verteidigung, keine Entschuldigung, kein Verdecken mehr möglich ist, gegenüber dem Zeugnis der Wahrheit, das in Christus spricht und gegenüber dem Gewissen eines jeden, das zustimmendes Zeugnis ablegt. Ein jeder empfängt alsdann nach seinen Werken. Wie sehr drängt sich uns die Notwendigkeit auf, gerecht zu leben, da alles, was wir tun, vor den Augen des allsehenden Richters geschieht.

Jesus der erzürnte Richter

Wenn das Zeichen des Sohnes des allmächtigen Gottes in den Wolken erscheint, und die Kräfte des Himmels erschüttert werden, wenn zugleich die Feuer aller Welten vereint den Erdkreis in Flammen setzen, wenn alle Guten zur Rechten, die Gottlosen aber zur Linken gestellt werden, dann wird der Richter der Welt den Verworfenen in solchem Zorn erscheinen, dass sie zu den Bergen und Felsen sprechen werden: Fallt über uns und bedecket uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt und vor dem Zorn des Lammes (Offb 6, 16). Er wird nämlich die Gerechtigkeit als Harnisch anlegen und gerechtes Gericht als Helm aufsetzen. Er wird die Billigkeit als unüberwindlichen Schirm nehmen, seinen unerbittlichen Zorn zum Spieß zuspitzen, und der Erdkreis wird mit ihrn streiten wider die Unsinnigen (Weish 5, 19-21). So werden jene, welche gegen den Urheber aller Dinge frech im Streite lagen, nach dem gerechten Gerichte Gottes von allen Kreaturen im Kampfe bezwungen werden.

O Sünder, dann werden sich zeigen in der Höhe der erzürnte Richter, in der Tiefe der grausenerregende Abgrund der Hölle, zur Rechten die gegen Dich klagenden Sünden, zur Linken unzählige Teufel, die Dich zur Hölle ziehen und in Deinem Innern das nagende Gewissen. Wohin willst Du nun fliehen, da du allenthalben gefangen bist? Unmöglich wird es sein, Dich zu verbergen, unerträglich Dich zu zeigen. Und wenn der Gerechte kaum selig wird, wie wird der Gottlose und Sünder bestehen können (1 Petr 4, 18)! Gehe nicht in' s Gericht mit deinem Knecht, o Herr! (Ps 143, 2)!

Jesus der großmächtige Sieger

Nachdem das Urteil der Verdammung über die Gottlosen gesprochen, dass sie in den ewigen Flammen brennen sollen, und die Feinde Jesu Christi, wie Bündel Unkraut gesammelt sind, übergibt die allmächtige Kraft Gottes sie mit Leib und Seele den gierigen Flammen, so zwar, dass sie niemals verzehrt werden und doch brennen und es fühlen, und dass der Rauch ihrer Qualen aufsteigt von Ewigkeit zu Ewigkeit (Offb 19, 3). Dann werden das Tier und die falschen Propheten und die, welche sein Abbild an sich tragen, in den Feuer- und Schwefelpfuhl geworfen (Offb 19, 20; 20, 9+10 ), welcher dem Teufel und seinen Engeln bereitet worden ist (Mt 25, 41). Dann werden die Auserwählten hinausschreiten, um die Leichname zu schauen (Is 66, 24), die nicht den Tod der Natur, sondern den Tod der Strafe gestorben sind. Dann werden die Gerechten ihre Hände waschen im Blute der Sünder (Ps 58, 11); das siegreiche Lamm wird seine Feinde zum Schemel seiner Füße legen (Ps 110, 1), da die Gottlosen hinunterfahren in die Tiefen der Erde und hingegeben dem Schwerte, eine Beute der Füchse werden (Ps 63, 10+11), d. i. der Teufel, die durch ihre arglistigen Ränke sie verführt haben.

Jesus im Bräutigamsschmuck

Ist endlich das Angesicht der Erde erneuert, und herrlich geworden, da das Licht des Mondes erscheint gleich dem Sonnenlicht, und das Sonnenlicht siebenfach gleich dem Lichte von sieben Tagen (Is 30, 26), so wird die heilige Gottesstadt Jerusalem, die vom Himmel gleich einer geschmückten Braut herniedergestiegen war, und nun mit doppeltem Gewand angetan und zur Hochzeit des Lammes bereitet ist, eingeführt werden in den Palast des himmlischen Hofes. Sie wird geleitet werden in jenes glorreiche, heilige, geheimnisvolle Brautgemach und durch ein Bündnis so eng mit jenem himmlischen Lamm vereinigt, dass Braut und Bräutigam ein Geist werden (1 Kor 6, 17). Christus wird sich bekleiden mit der Schönheit aller Auserwählten, wie mit einem buntfarbigen Rock (Gen 37, 3) und in ihm geschmückt mit aller Herrlichkeit erstrahlen, wie bedeckt mit kostbaren Edelsteinen aller Art (Offb 21, 19). Dann wird das Brautlied lieblich ertönen, und in allen Straßen Jerusalems wird Alleluja gesungen werden. Dann werden die klugen Jungfrauen (Mt 25, 2ff), die sich bereit halten, mit dem Bräutigam zur Hochzeit gehen, um mit ihm, nachdem die Türe verschlossen, zu weilen in der Schönheit des Friedens, in sicherer Wohnung und reichlicher Ruhe (Is 32, 18).

Jesus der König, des Königs Sohn

Jesus rex regis filius,
Jesus liber signatus,
Jesus fontalis radius,
Jesus finis optatus.

Des ewigen Gottesreiches Glorie und Adel muss jedenfalls abgeschätzt werden nach der adeligen Höhe seines Herrschers. Denn nicht er besteht durch das Reich, sondern das Reich nimmt von ihm seinen Ursprung. Jesus aber ist der König, auf dessen Kleid und auf dessen Hüfte geschrieben steht: König der Könige und Herr der Herren (Offb 19, 16). Seine Macht ist ewige Macht, die nicht genommen wird. Sein Reich ist ein Reich, dass nicht zerstört wird. Alle Völker, Geschlechter und Zungen dienen ihm (Dan 7, 14) in Ewigkeit. Er ist der wahre Friedenskönig (1 Chr 22, 9), dessen Antlitz der Himmel und die ganze Erde zu schauen begehrt (1 Kön 10, 24).

O wie herrlich ist das Reich dieses vortrefflichsten Königs, in welchem alle Heiligen mit ihm regieren. Sein Gesetz ist Wahrheit, Friede, Liebe, Leben, Ewigkeit. Es wird weder zerteilt durch die große Anzahl der in ihm Herrschenden, noch gemindert durch die Mittheilung an so viele, noch verwirrt durch ihre Anzahl, noch in Unordnung gebracht durch ihre Ungleichheit, noch beschränkt im Raum, noch dem Wechsel unterworfen in der Bewegung, noch bemessen durch die Zeit.

Jesus das versiegelte Buch

Soll die Herrschaft eines Reiches vollkommen und glorreich sein, so ist sowohl hervorragende Macht, als auch hell leuchtende Weisheit erforderlich, auf dass nicht nach der Willkür des unbestimmten Willens, sondern nach dem Abglanz der ewigen Gesetze, die dem Lichte der untrüglichen Weisheit entströmen, das Steuerruder des Reiches geführt werde. Diese Weisheit nun ist in Christus Jesus, dem Buch des Lebens, ausgeprägt und geschrieben, da Gott der Vater alle Schätze der Weisheit und Wissemchaft (Kol 2, 3) in ihm niedergelegt hat. Deshalb ist der eingeborene Sohn Gottes, betrachtet als das unerschaffene Wort, das Buch der Weisheit und das Licht im Geiste des höchsten Werkmeisters, voll von lebendigen, lebenbringenden und ewigen Ideen oder Vorbildern der Dinge. Betrachtet als das eingehauchte Wort ist er Buch und Licht im Verstand der Engel und Seligen, betrachtet als das fleischgewordene Wort ist er gleiches in den vernünftigen Geistern der aus Leib und Seele bestehenden Menschen. So strahlt denn die vielgestaltige Weisheit Gottes (Eph 3, 10) aus ihm und in ihm durch das ganze Gottesreich, wie in einem herrlichen, schönen Spiegel, der alle Gattungen der Dinge, alle Strahlen des Lichtes wiedergibt, und wie in einem Buch, in welchem alles, gemäß den unergründlichen Geheimnissen Gottes, verzeichnet ist.

O könnte ich doch dieses Buch finden, dessen Ursprung ewig, dessen Wesen unvergänglich, dessen Schrift unauslöschlich, dessen Betrachtung beseligend, dessen Lehre leicht, dessen Wissenschaft süß und lieblich, dessen Tiefe unerforschlich, dessen Kenntnis das Leben ist, dessen Worte endlos, unaussprechlich und doch alle nur ein Wort sind. Wahrlich, wer dieses Buch findet, findet das Leben und schöpft Heil aus dem Herrn (Spr 8, 35).

Jesus, Urquell des ausstrahlenden Lichtes

In diesem ewigen Reiche steigen alle guten Gaben und vollkommenen Geschenke vom Vater des Lichts in reicher Fülle hernieder (Jak 1, 17) durch denjenigen, der da ist die überwesentliche Ausstrahlung des Lichtes, Jesus Christus, er, den eine, der alles vermag und in sich verbleibend, alles erneuert. Er ist der reine Ausfluss der Klarheit und Kraft des allmächtigen Gottes, und deshalb kann nichts Unreines zu diesem ursprünglichen Lichte kommen (Weish 7, 25).

O Gott geweihte Seele, wer immer du auch seist, eile mit lebendigem Verlangen zu dieser Quelle des Lebens und des Lichtes und rufe mit innerster Kraft Deines Herzens: o unaussprechliche Herrlichkeit des allerhöchsten Gottes und allerreinste Klarheit des ewigen Lichtes! O nie abnehmendes, jegliches Leben schaffendes Leben! O Licht, das jegliches Licht erleuchtet, das auch, von der ersten Morgenröthe der Schöpfung an, die vielgestaltigen, hellstrahlenden Lichtwesen (Engel und Sterne), in nie erlöschendem Glanze vor dem Thron deiner Gottheit erhält. O ewiger und unnahbarer, süßer, klarer und köstlicher Ausfluss der jedem sterblichen Auge verborgenen Quelle, deren Tiefe grundlos, deren Höhe unbegrenzt, deren Breite schrankenlos und deren Reinheit ewig ungetrübt ist, aus der das Öl der Freude (Ps 44, 8) hervorquillt, der Fluss, welcher die Stadt Gottes erfreut (Ps 45, 5), und auch der Feuerstrom der Kraft (Dan 7, 10), ein Strom nämlich göttlicher Lust, von dem die himmlischen Gäste mit seliger Trunkenheit getränkt werden, so dass sie ohne Ende Jubel- und Loblieder singen! O salbe uns mit diesem heiligen Öl, o erquicke unsere schmachtenden, dürstenden Seelen nur mit einigen Tröpflein dieses süßen Stromes, auf dass auch wir unter Jubel und Lobgesang und festlichem Klang (Ps 42, 5) dir Loblieder singen und aus eigener Erfahrung bekennen mögen, dass bei dir die Quelle des Lebens ist, und wir in Deinem Licht das Licht schauen (Ps 36, 10),

Jesus das erwünschte Ziel

Das Ziel aller unserer Wünsche ist unzweifelhaft die Seligkeit, welche ein Zustand ist, vollkommen durch die Vereinigung aller Güter. Zu diesem Stand kann aber niemand gelangen, als dadurch, dass er gewissermaßen übergeht in den, der die Quelle und der Ursprung aller Güter ist, sowohl der natürlichen wie der übernatürlichen, der leiblichen wie der geistigen, der zeitlichen wie der ewigen. Und dieser ist es, der sich das Alpha und das Omega, den Anfang und das Ende (Offb 1, 8) nennt. Denn so wie durch das Wort, das von Ewigkeit gesprochen, alles ist gemacht worden, so wird durch das Wort, das Fleisch geworden ist, alles erneuert, gefördert und zum Ziele geführt. Deshalb heisst dieses Wort wahrhaft und im eigentlichen Sinne Jesus, denn es ist kein anderer Name im Himmel den Menschen gegeben, wodurch man das Hell finden kann (Apg 4, 12).

Zu Dir hinauf, o ersehntester Jesus, als zum letzten Ziele aller Dinge, will ich hinstreben, glaubend, hoffend, liebend von ganzem Herzen, aus ganzem Gemüte, aus ganzer Seele und aus allen meinen Kräften (Mt 22, 37; Lk 10, 27). Denn Du allein genügst mir, Du allein rettest mich, Du allein bist gut und mild und lieblich (Ps 86, 5) gegen jene, die Dich suchen und Deinen Namen lieben. Du, o mein guter Jesus, bist der Erlöser der Verlorenen, der Heiland der Erlösten, die Hoffnung der Verbannten, die Stärke der Mühseligen, die Hilfe der Unterdrückten, der süße Trost aller beängstigten Seelen, die Krone und königliche Würde der Triumphierenden, der einzige Lohn und die Freude aller Himmelsbürger, der herrliche Sohn des Allerhöchsten und die erhabene Frucht des jungfräulichen Schoßes und endlich die reichhaltigste Quelle aller Gnaden, von deren Fülle wir empfangen haben (Joh 1, 16).

So flehen wir denn zu unserm gütigsten Vater durch Dich, seinen eingebornen Sohn, der Du für uns Mensch geworden, gekreuzigt und verherrlicht bist, damit er aus seiner himmlischen Schatzkammer den Geist der siebenfachen Gnadengaben in uns sende, der über Dir in ganzer Fülle ruhte (Is 11, 2). Ich meine den Geist der Weisheit, auf dass wir die Frucht des Baumes des Lebens, der nur ein Vorbild war von dem, was Du in Wahrheit bist, genießen, das heißt, im Geiste die Genüsse des ewigen Lebens verkosten mögen, auch den Geist des Verstandes, auf dass unser geistiges Auge erleuchtet werde, den Geist des Rates, auf dass wir deinen Fußstapfen folgend die rechten Wege wandeln, den Geist der Stärke, auf dass wir die gewaltigen Angriffe unserer Feinde brechen können, den Geist der Wissenschajt, auf dass wir erfüllt mit dem Lichte deiner heiligen Lehre, das Gute und Böse zu unterscheiden vermögen, den Geist der Gottseligkeit, auf dass wir mit herzinnger Barmherzigkeit bekleidet werden (Kol 3, 12), den Geist der Gottesfurcht, auf dass wir das Böse meiden und unsern Ruhepunkt finden, gegründet in tiefer Ehrfurcht vor Deiner ewigen Majestät. Um diese Gaben sollen wir nach Deiner Verordnung flehen im heiligen Gebet, das Du uns gelehrt hast. Diese Gaben, so bitten wir auch jetzt, wollest Du uns durch Dein heiliges Kreuz gewähren, zum Lobe Deines allerheiligsten Namens, dem mit dem Vater und dem Heiligen Geiste sei alle Ehre und Glorie, Danksagung, Herrlichkeit und Herrschaft durch die unermeßliche Ewigkeit. Amen (Offb 7, 12).

Anmerkungen

<references />

Literatur

  • Bonaventura: Baum des Lebens Geistliche Betrachtungen, herausgegeben (deutsch), übersetzt und kommentiert von Marianne Schlosser, EOS Verlag St. Ottilien 2012 (97 Seiten; ISBN 978-3-8306-7535-8). Übersetzung aus dem Lateinischen nach Lignum Vitae, in: S. Bonaventurae Opera omnia VIII, 68-87; Erstmals veröffentlicht in Christina Mülling, Der Lebensbaum. Ein Arbeits- und Exerzitienbuch zur Franziskanischen Spiritualität, Paderborn 2002, S. 274-318.
  • Christina Mülling: Der Baum des Lebens : ein Arbeits- und Exerzitienbuch zur Franziskanischen Spiritualität, Mit einer Neuübers. von Bonaventuras "Baum des Lebens" von Marianne Schlosser, Bonifatius Verlag Paderborn 2002 (319 Seiten, ISBN 978-3-89710-211-8 kart.).
  • Der Lebensbaum. Kolloquium des heiligen Bonaventura, Aus dem Lateinischen übertragen und mit einem Anhang versehen von Agnellus Aswerus OFM. Thomas-Verlag Zürich / Schöningh Verlag Paderborn-München-Wien 1963 (71 Seiten).