Leitlinien vom 30. Dezember 1988

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Leitlinien

Kongregation für das Katholische Bildungswesen
im Pontifikat von Papst
Johannes Paul II.
für das Studium und den Unterricht der Soziallehre der Kirche in der Priesterausbildung

20. Dezember 1988 (veröffentlicht am 27. Juni 1989)

(Quelle: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 91; DAS 1989, S. 1365-1426; Das Schreiben als Worddokument bei Kathtube)

Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


Vorwort

1 In den letzten Jahrzehnten hat die Kongregation für das katholische Bildungswesen im Hinblick auf die Erfordernisse, die sich aus der konziliaren Erneuerung ergeben, zu wiederholten Malen den Seminarien und den verschiedenen Einrichtungen für die theologischen Studien geeignete Richtlinien für die verschiedenen Bereiche der Priesterausbildung gegeben.<ref>Vgl. Ratio fundamentalis institutionis sacerdotalis (Rahmenordnung für die Priesterausbildung) (6. Januar 1970; neue Ausgabe: 19. März 1985); Rundschreiben über das Studium der Philosophie in den Seminarien (20. Januar 1972); Leitgedanken für die Erziehung zum priesterlichen Zölibat (11. April 1974); Die theologische Ausbildung der künftigen Priester (22. Februar 1976); Instruktion über die liturgische Ausbildung der Priesteramtskandidaten (3. Juni 1979); Rundschreiben: Aktuelle Hinweise für die Einführung der Priesteramtskandidaten in das geistliche Leben (6. Januar 1980); Leitlinien für die Ausbildung der künftigen Priester in den Medien der sozialen Kommunikation (19. März 1986).</ref> Sie hält es nunmehr für angebracht, sich erneut an die Bischöfe, an die Verantwortlichen in den Seminarien und an die Professoren zu wenden, um einige Leitlinien über das Studium und den Unterricht der Soziallehre der Kirche vorzulegen.

Diese Initiative kommt einem heute überall stark empfundenen echten Bedürfnis entgegen, den Menschen den Reichtum der Soziallehre der Kirche zu vermitteln durch gut ausgebildete Priester, die sich der vielfachen Aufgaben, die auf sie zukommen, bewusst sind. Heutzutage, in einem Augenblick vertiefter Studien über dieses Thema, wie dies u. a. auch die kürzlich erschienene Enzyklika Sollicitudo rei socialis Johannes Pauls II. unterstreicht, ist es sehr wichtig, dass die Priesteramtskandidaten eine klare Vorstellung über die Struktur, das. Ziel und die wesentlichen Bestandteile dieser Soziallehre bekommen, um sie in ihrem pastoralen Wirken ohne Abstriche zur Geltung bringen zu können, wie sie vom kirchlichen Lehramt formuliert und vorgelegt wird.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 41: AAS 80 (1988), S. 571. </ref> Die Lage auf diesem Gebiet ist in der Tat so, dass die verschiedenen Begriffe der erforderlichen Klärung bedürfen, wie man den verschiedenen Kapiteln der vorliegenden Leitlinien entnehmen kann.

Vor allem ist zu beobachten, dass darin zwei Begriffe unterschiedslos gebraucht werden: "Sozialdoktrin" und "Soziallehre“ der Kirche. Man darf die feinen Unterschiede nicht verkennen, die in beiden Begriffen vorhanden sind. "Doktrin" unterstreicht nämlich mehr den theoretischen Aspekt des Problems, während "Lehre“ mehr den geschichtlichen und praktischen Aspekt betont; dennoch zielen beide auf dieselbe Wirklichkeit hin. Ihr abwechselnder Gebrauch im sozialen Lehramt der Kirche, und zwar sowohl im feierlichen als auch im ordentlichen päpstlichen und bischöflichen Lehramt, weist auf ihre Gleichwertigkeit hin.

Unbeschadet freilich eines möglichen Streites um Worte und Ausdrücke ist die in der Sozialdoktrin oder Soziallehre bezeichnete Wirklichkeit ein "reiches Erbe", das die Kirche mehr und mehr in der Erkenntnis des Wortes Gottes und im Blick auf die sich ändernden Situationen der Völker in den verschiedenen Epochen der Geschichte erworben hat. Das ist ein Erbe, das treu gehütet und weiterentwickelt sein will, indem es auf die neuen Herausforderungen des menschlichen Zusammenlebens antwortet.

2 Die Soziallehre der Kirche ist heute mit ständig wachsender Dringlichkeit aufgerufen, ihren eigenen besonderen Beitrag zur Evangelisierung zu leisten, zum Dialog mit der Welt, zur christlichen Deutung der Wirklichkeit und zur Orientierung der pastoralen Tätigkeit, um die mannigfachen Initiativen, die es im irdischen Bereich gibt, mit gesunden Grundsätzen zu erhellen. Die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Strukturen unterliegen nämlich tiefgreifenden und raschen Wandlungen, durch die selbst die Zukunft der menschlichen Gesellschaft aufs Spiel gesetzt wird; deshalb ist eine sichere Orientierung notwendig. Es handelt sich darum, einen wahrhaft sozialen Fortschritt zu fördern, der, um wirklich das Gemeinwohl aller Menschen zu garantieren, eine gerechte Organisation der genannten Strukturen erfordert. Wenn dies nicht geschähe, dann gäbe es ein Zurück in weiten Bereichen zu den "fast sklavischen" Zuständen, von denen Leo XIII. in Rerum novarum<ref> Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891), Nr. 2: Acta Leonis XIIl, 11 (1891), S. 99. </ref> gesprochen hat.

Es ist daher offensichtlich, dass das "ernste Drama" unserer heutigen Welt, hervorgerufen durch die vielfältigen Bedrohungen, die den menschlichen Fortschritt oft begleitet), "niemanden unberührt lassen kann".<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 16: AAS 71 (1979), S. 293. </ref> Die unverzichtbare Gegenwart der Kirche wird mithin um so dringender, damit die Kraft des Evangeliums in der so komplexen Welt, die heute die Geschicke der Menschheit bestimmt, wirksam wird.

Allerdings ist sich die Kirche, wenn sie in diesem Bereich tätig wird, ihrer eigenen Grenzen bewusst. Sie maßt sich nicht an, für alle Probleme in der dramatischen Situation unserer heutigen Welt eine Lösung zu haben, dies um so weniger, als es große Unterschiede in der Entwicklung zwischen den Nationen gibt und die Lage der Christen gleichfalls recht unterschiedlich ist.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 3-4: AAS 63 (1971), S. 402 ff. </ref> Sie kann und muss indessen im "Lichte des Evangeliums“<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 3. </ref> die Grundsätze und die unerlässliche Orientierung für die rechte Organisation des gesellschaftlichen Lebens geben, im Interesse der Würde der menschlichen Person und des Gemeinwohls. In der Tat hat das kirchliche Lehramt oft auf diesem Feld eingegriffen und tut es noch mit einer Doktrin, die alle Gläubigen kennen lernen, lehren und anwenden sollen. Deshalb muss der Vermittlung dieser Lehre bei der Ausbildung zukünftiger Priester ein besonderer Platz gesichert werden im Gefüge mit den theologischen und philosophischen Studien, wie dies Johannes XXIII<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453-454. </ref> klar ausgedrückt hat. Auch die vorliegenden Leitlinien, die in Zusammenarbeit mit der Päpstlichen Kommission "Iustitia et Pax" ausgearbeitet und von der Vollversammlung der Kongregation für das katholische Bildungswesen gebilligt wurden, sollen dies erneut unterstreichen.

Von seiner Struktur her umfasst das Dokument sechs Kapitel, von denen die ersten fünf sich mit dem Wesen der Soziallehre der Kirche befassen: ihrer historischen, theoretischen und praktischen Dimension mit den drei Elementen, die die Lehre ausmachen: die bleibenden Prinzipien, die Kriterien für die Beurteilung und die Richtlinien für das Handeln. Das sechste Kapitel gibt einige Hinweise, wie für die Priesteramtskandidaten eine angemessene Ausbildung in der Soziallehre gewährleistet wird.

I. Das Wesen der Soziallehre

Konstitutive Merkmale der Soziallehre

3 Die Unsicherheiten, die hier und dort noch beim Gebrauch des Begriffes "Soziallehre der Kirche" bestehen, aber auch hinsichtlich ihres eigentlichen Wesens, erfordern eine Klärung des erkenntnistheoretischen Problems, das die Ursache solcher Missverständnisse ist. Auch wenn es in diesem Dokument nicht um eine lehrmäßige Behandlung oder gar Lösung der Erkenntnisprobleme geht, die sich im Hinblick auf die "Sozialdoktrin" stellen, so darf man doch von einer vertieften Reflexion über die konstitutiven Merkmale, die ihr Wesen ausmachen, eine Hilfe erwarten für ein besseres Verständnis des Bezugsfeldes, innerhalb dessen sich das Problem stellt. Auf jeden Fall wird es gut sein festzuhalten, dass es sich hier um die Präzisierung der besagten Merkmale handelt, wie sie sich unmittelbar aus den lehramtlichen Aussagen ergeben, und nicht darum, wie man sie bei verschiedenen Gelehrten formuliert findet. Es ist nämlich notwendig, immer zwischen der offiziellen "Soziallehre" der Kirche und den verschiedenen Positionen der Schulen zu unterscheiden, die das soziale Gedankengut der päpstlichen Dokumente<ref> Pius XII., Ansprache Animus Noster an den Akademischen Senat und an die Studierenden der Päpstlichen Universität Gregoriana, Rom (17. Oktober 1953): AAS 45 (1953), S. 687. </ref> systematisch erläutert, weiterentwickelt und geordnet haben.

Die grundlegenden Elemente, die das Wesen der Soziallehre umschreiben und bestimmen, werden in folgender Weise dargelegt:<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 72: AAS 79 (1987), S. 585 f. </ref> die; Soziallehre der Kirche verdankt ihren Ursprung der Begegnung der Botschaft des Evangeliums und seiner ethischen Forderungen mit den Problemen, die im Leben der Gesellschaft entstehen. Die Herausforderungen, die auf diese Weise zutage treten, werden zum Gegenstand moralischer Betrachtung, die in der Kirche mit Hilfe der wissenschaftlichen Forschung heranreift, aber ebenso unter Berücksichtigung der Meinung der christlichen Gemeinschaft, die sich jeden Tag mit verschiedenen Situationen des Elends konfrontiert sieht, und zwar vor allem mit den Problemen, die durch das Aufkommen und die Entwicklung des Phänomens der Industrialisierung und der damit verbundenen sozio-ökonomischen Systeme bestimmt sind.

Diese Lehre wird gebildet im Rückgriff auf die Theologie und di~ Philosophie, die ihr das Fundament geben, sowie auf die Human- und Sozialwissenschaften, die Sie ergänzen. Sie zielt auf die ethischen Aspekte des Lebens, ohne die technische Seite der Probleme außer acht zu lassen, um sie nach sittlichen Kriterien abzuwägen. Auf der Basis "stets gültiger Normen umfasst sie auch „zeitbedingte Urteile", weil sie sich gemäß der wechselvollen geschichtlichen Bedingungen entwickelt und wesentlich auf das "Handeln oder die christliche Praxis" hingeordnet ist.


Die Autonomie der Soziallehre

4 Die Soziallehre ist im 19. Jahrhundert als ein ergänzender Teilbereich der Moraltheologie, der sich mit der Tugend der Gerechtigkeit befasst, entstanden. Aber schon bald erlangte sie beachtliche Selbständigkeit durch die beständige organische und systematische Entwicklung der sittlichen Reflexion der Kirche über die neuen und komplexen sozialen Probleme. So kann man sagen, dass die "Soziallehre" eine eigene Identität mit einem ausgewiesenen theologischen Profil hat. Um eine vollständige Idee der Soziallehre zu haben, muss man auf ihre Quellen zurückgehen, auf ihr Fundament und ihren Gegenstand, auf den Träger und den Inhalt, auf die Ziele und die Methode: alles Merkmale, die sie als eigene und autonome Disziplin begründen, als theoretische und praktische ':.zugleich im weiten und komplexen Feld der Moraltheologie und in enger Verbindung zur Sexualmoral.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 3: AAS 73 (1981), S. 583; Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 41: AAS 80 (1988), S. 571. </ref>

Die Quellen der Soziallehre sind die Heilige Schrift, die Lehre der Kirchenväter und der großen Theologen der Kirche sowie das Lehramt selbst. Ihr Fundament und Hauptzweck ist die Würde der menschlichen Person mit ihren unveräußerlichen Rechten, die den Kern der "Wahrheit über den Menschen"<ref> Johannes Paul II., Ansprache Esta hora an die ill. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (28. Januar 1979), Teil I., Nr. 9: AAS 71 (1979), S. 195. </ref> bilden. Subjektiv ist die ganze Gemeinschaft der Christen, in Übereinstimmung und unter der Führung ihrer rechtmäßigen Hirten, und auch die Laien sind mit ihrer christlichen Erfahrung zu aktiver Mitarbeit aufgerufen. Der Inhalt, der die Vision des Menschen, der Menschheit und der Gesellschaft umfasst,<ref> Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 13: AAS 59 (1967), S. 263. </ref> spiegelt den ganzen Menschen wider, den sozialen Menschen, als eigentlichen Träger und grundlegende Wirklichkeit der christlichen Anthropologie.


Der theologische Charakter

5 Als integrierender Bestandteil der christlichen Lehre vom Menschen"<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453. </ref> besitzt die Soziallehre der Kirche einen eminent theologischen Charakter. Zwischen dem Evangelium und dem wirklichen Leben gibt es tatsächlich einen wechselseitigen Bezug. In der Praxis der Verkündigung des Evangeliums und der Förderung der menschlichen Entfaltung zeigt sich dies in starken Bindungen anthropologischer, theologischer und geistiger Art, so dass Liebe, Gerechtigkeit und Frieden untrennbar mit der christlichen Förderung der menschlichen Person verbunden sind.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 29, 31: AAS 68 (1976), S. 25, 26. </ref>

Diese theologische Wurzel der Soziallehre drückt sich auch in ihrer pastoralen Zielsetzung zum Dienst an der Welt aus, die die integrale Entfaltung des Menschen vermittels der Praxis der christlichen Befreiung in ihrer irdischen und transzendenten Ausrichtung vorantreiben soll.<ref> Ebd., Nr. 31: AAS 68 (1976), S. 26. </ref> Es handelt sich nicht darum, lediglich ein reines Wissen weiterzugeben, sondern ein theoretisch-praktisches Wissen von pastoraler Reichweite und Zielsetzung im Zusammenhang mit dem Verkündigungsauftrag der Kirche im Dienst am ganzen Menschen, an jedem Menschen und an allen Menschen. Es ist das rechte Verständnis des wirklichen Menschen und seiner Bestimmung,<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 12ff. </ref> das die Kirche als ihren Beitrag zur Lösung der menschlichen Probleme anbieten kann. Man kann sagen, dass die Kirche in jeder Epoche und in jeder Situation diesen Weg einschlägt und in der Gesellschaft eine dreifache Aufgabe erfüllt: Verteidigung und Förderung der Menschenwürde und der Menschenrechte, Aufdeckung der ungerechten Zustände und Hilfe zu positiven Veränderungen in der Gesellschaft und zum wahren Fortschritt des Menschen.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 1: AAS 73 (1981), S. 580. </ref>


Die dreifache Dimension der Soziallehre

6 Die Soziallehre ist dreidimensional, nämlich theoretisch, historisch und praktisch. Diese Dimensionen machen ihre wesentliche Struktur aus, sie sind untereinander verbunden und untrennbar.

Es gibt vor allen Dingen "eine theoretische Dimension", denn das Lehramt der Kirche hat in seinen sozialen Dokumenten ausdrücklich eine organische und systematische Betrachtungsweise vorgelegt. Das Lehramt zeigt den sicheren Weg zum Aufbau der Beziehungen des Zusammenlebens in einer neuen sozialen Ordnung nach allgemein geltende Kriterien, die von allen anerkannt werden können.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453. </ref> Es handelt sich also um bleibende ethische Prinzipien, nicht um sich ändernde geschichtlich bedingte Beurteilungen, noch um "Fragen technischer Art, wofür sie [die Kirche] weder über die geeigneten Mittel verfügt, noch eine Sendung erhalten hat.<ref> Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931), S. 190. </ref>

Dann gibt es in der Soziallehre der Kirche eine „historische Dimension“, in der die Prinzipien im Rahmen einer wirklichkeitsnahen Sicht der Gesellschaft zum Tragen kommen und die sich ihrer Probleme bewusst ist.

Schließlich gibt es eine praktische Dimension“, weil sich die Soziallehre nicht damit begnügt, die bleibenden Prinzipien der Reflexion aufzuzeigen, noch auch nur die historischen Bedingungen der Gesellschaft zu interpretieren, vielmehr geht es ihr ebenso um die wirksame Anwendung dieser Prinzipien in der Praxis, indem sie diese konkret und nach Maßgabe der jeweiligen Umstände umsetzt.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453. </ref>


Die Methodologie der Soziallehre

7 Die dreifache Dimension erleichtert das Verständnis der dynamischen induktiv-deduktiven Methode, die schon in den älteren Dokumenten im allgemeinen angewandt wurde, die in der Enzyklika Mater et magistra präzisiert und in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes sowie in den folgenden Dokumenten endgültig übernommen ist. Diese Methode verläuft in drei Phasen: die Wirklichkeit sehen, urteilen und handeln.

Sehen meint das Erfassen und Studieren der wirklichen Probleme und ihrer Ursachen; ihre Analyse steht jedoch den Human- und Sozialwissenschaften zu.

Urteilen meint die Interpretation dieser Wirklichkeit im Licht der Quellen der Soziallehre, die das Urteil über die sozialen Tatbestände und ihre ethische Bedeutung bestimmen. In dieser Zwischenphase kommt die eigentlich Funktion des Lehramtes der Kirche zur Geltung. Sie besteht genau darin, die Wirklichkeit vom Standpunkt des Glaubens er zu deuten und das anzubieten, "was sie als Eigenes vorzuweisen hat: eine umfassende Vision der Menschen und der Menschheit".<ref> Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 13: AAS 59 (1967), S. 264. </ref> Es ist klar, dass die Kirche beim Sehen und beim Beurteilen der Wirklichkeit nicht neutral ist und auch nicht sein kann, da sie nicht von den im Evangelium gegebenen Wertmaßstäben abweichen kann. Angenommen, sie würde sich an andere Wertmaßstäbe anpassen, dann wäre ihre Lehre nicht mehr das, was sie wirklich ist, sondern würde auf eine einseitige Philosophie oder Ideologie verkürzt.

Das Handeln ist auf die Verwirklichung der Entscheidung ausgerichtet. Es verlangt eine echte Konversion, d. h. jene innere Umkehr, die in der Verfügbarkeit, Öffnung und 'Transparenz im reinigenden Lichte Gottes besteht. Wenn das Lehramt die Gläubigen aufruft, eine konkrete Entscheidung zu treffen und entsprechend den Prinzipien und dem Urteil der Soziallehre zu handeln, so legt es ihnen die Frucht vieler Überlegungen und pastoralen Erfahrungen vor, die unter dem besonderen, von Christus der Kirche verheißenen Beistand gereift sind. Es liegt beim gläubigen Christen, die genannte Soziallehre zu befolgen, "die er als Grundlage für seine Überlegungen und seine Erfahrungen nehmen muss, um sie in die Tat umzusetzen im eigenen Handeln, im Zusammenwirken mit anderen und dadurch, dass man dafür eintritt".<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 38: AAS 68 (1976), S. 29f.; II. Vatikanisches Konzil. Dogm. Konstitution Lumen gentium, Nr. 25. </ref>


Die Methode des Unterscheidens

8 Ethische Grundsätze und Orientierungen können nicht in die Praxis umgesetzt werden ohne ein entsprechendes Unterscheidungsvermögen, das die ganze christliche Gemeinschaft und den einzelnen im besonderen dazu befähigt, "die Zeichen der Zeit" zu deuten und die Wirklichkeit im Licht des Evangeliums zu interpretieren.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonsitution Gaudium et spes, Nr. 4. </ref> Obwohl es der Kirche nicht zusteht, die soziale Wirklichkeit wissenschaftlich zu analysieren,<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. Dezember 1981), Nr. 1: AAS 73 (1981), S. 580. </ref> so drängt das christliche Unterscheidungsvermögen auf der Suche nach der Wahrheit dazu, die wirklichen Ursachen des sozialen Übels und in Sonderheit der sozialen Ungerechtigkeit zu erforschen und die gesicherten, nicht verbrämten Ergebnisse der Humanwissenschaften zu übernehmen. Ziel ist es, im Licht der bleibenden Prinzipien zu einem objektiven Urteil über die soziale Wirklichkeit zu gelangen und entsprechend den Gegebenheiten und den sich aus den Verhältnissen ergebenden Möglichkeiten die besten konkreten Maßnahmen zu ergreifen, um die Ungerechtigkeit zu beseitigen und die notwendigen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Änderungen zu begünstigen.<ref> Johannes Paul II., Botschaft A vous IDUS zum Weltfriedenstag 1980 (8. Dezember 1979): AAS 71 (1979), S. 1572 ff.; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 4: AAS 63 (1971), S. 403. </ref>

In dieser Sicht hilft das christliche Unterscheidungsvermögen nicht nur, örtliche, regionale oder weltweite Situationen zu klären, sondern auch, und zwar in erster Linie, um den Heilsplan Gottes aufzudecken, der in Christus Jesus für seine Söhne und Töchter, die in den verschiedenen Epochen der Geschichte leben, Wirklichkeit geworden ist. Es ist klar, dass dies nicht nur in einer Haltung der Treue zu der Quellen des Evangeliums, sondern auch zum Lehramt, der Kirche und ihren rechtmäßigen Hirten erfolgen muss.


Theologie und Philosophie

9 Weil die Soziallehre der Kirche aus der Offenbarung die Wahrheiten und die Elemente des Abwägens und des Unterscheidens herleitet und für sich die "Befähigung geltend macht, Gottes Wort auf das Leben der Menschen und der Gesellschaft anzuwenden“,<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 8: AAS 80 (1988), S. 520. </ref> braucht sie einen soliden philosophisch-theologischen Unterbau. An seiner Basis steht in der Tat eine aus dem Evangelium gewonnene Anthropologie mit der "ursprünglichen Feststellung" der Idee des Menschen "als Bild Gottes, das nicht auf ein einfaches Teilchen der Natur oder auf ein anonymes Element der menschlichen Gemeinschaft rückführbar ist".<ref> Johannes Paul II., Ansprache Esta hora an die III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (28. Januar 1979), Teil 1., Nr. 9: AAS 71 (1979), S. 195, 196. </ref> Aber diese fundamentale Feststellung zeigt sich in zahlreichen lehrhaften Formulierungen, wie z. B. die Lehre von der Liebe, von der göttlichen Kindschaft, von der persönlichen Würde und der ewigen Berufung eines jeden Menschen. Sie alle erhalten ihre volle Bedeutung und ihren Wert nur im Zusammenhang mit der übernatürlichen Anthropologie und der ganzheitlichen katholischen Dogmatik.

Zusammen mit diesen aus der Offenbarung hergeleiteten Erkenntnissen übernimmt, betont und erklärt die Soziallehre auch verschiedene fundamentale ethische Prinzipien rationaler Art und zeigt die Übereinstimmung zwischen den geoffenbarten Wahrheiten und den Prinzipien der rechten Vernunft, die die menschlichen Handlungen im sozialen und politischen Bereich regeln. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer philosophischen Betrachtung, um jene Vorstellungen zu vertiefen (wie z. B. Objektivität der Wahrheit, der Wirklichkeit, des Wertes der menschlichen Person, der Handlungsnormen und der Wahrheitskriterien) und sie im Licht der letzten Gründe zu erläutern. Die Kirche lehrt nachdrücklich, dass die sozialen Enzykliken sich auch auf die "rechte Vernunft" berufen, um die objektiven Normen der menschlichen Moral zu finden, die nicht nur das individuelle, sondern auch das soziale und internationale Leben regeln:<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 63. </ref> In dieser Sicht wird offenkundig, wie ein solides philosophisch-theologisches Fundament den Professoren und den Studierenden helfen wird, subjektive Interpretationen der konkreten sozialen Situation zu vermeiden und sich vor möglicher Instrumentalisierung derselben für ideologische Zwecke und Interessen zu hüten.


Die positiven Wissenschaften

10 Die Soziallehre nutzt auch Erkenntnisse der positiven Wissenschaften und besonders der Sozialwissenschaften, die ein wichtiges, wenn auch nicht ausschließliches Instrument für das Erfassen der Wirklichkeit sind. Der Rückgriff auf diese Wissenschaft erfordert ein aufmerksames Unterscheidungsvermögen, auch mit Hilfe einer geeigneten philosophischen Vermittlung, weil man sonst Gefahr laufen kann, dem Druck bestimmter ausgesetzt zu sein, die im Gegensatz stehen zur rechten Vernunft, zum christlichen Glauben, ja zu den Erkenntnissen der geschichtlichen Erfahrung und der Forschung selbst. Auf jeden Fall ist ein "fruchtbarer Dialog“<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 40: AAS 63 (1971), S. 429. </ref> zwischen der christlichen Sozialethik (theologisch und philosophisch) und den Humanwissenschaften nicht nur möglich, sondern auch für die Erfassung der sozialen Wirklichkeit notwendig. Die klare Unterscheidung zwischen der Kompetenz der Kirche einerseits und jener der positiven Wissenschaften andererseits ist kein Hindernis für den Dialog, im Gegenteil: sie fördert ihn. Deshalb liegt es auf der Linie der Soziallehre der Kirche, die Erkenntnisse aus ihren eigenen oben erwähnten Quellen und der positiven Wissenschaften aufzunehmen und miteinander in Einklang zu bringen. Es ist klar, dass sie sich immer grundsätzlich auf das Wort und das Beispiel Christi und auf die im Zentrum der missionarischen Sendung der Kirche als Verkünderin des Evangeliums stehenden christlichen Überlieferung beziehen muss.


Die Entwicklung der Sozial/ehre

11 Wie schon gesagt, muss die Soziallehre der Kirche - wegen ihres zwischen dem Evangelium und der konkreten Wirklichkeit des Menschen und der Gesellschaft vermittelnden Charakters - ständig verheutigt und den neuen Situationen der Welt und der Geschichte angepasst werden.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 29: AAS 68 (1976), S. 25. </ref> In der Tat hat sie im Verlauf der Jahrzehnte eine bedeutende Entwicklung durchgemacht. Am Anfang stand die Soziallehre vor der sogenannten "sozialen Frage", also jenen sozio-ökonomischen Problemen, die in bestimmten Gebieten Europas und Amerikas als Folge der "industriellen Revolution" entstanden waren. Heute ist die "soziale Frage" nicht mehr nur auf bestimmte geografische Gebiete begrenzt, sondern besitzt eine weltweite Dimension.<ref> Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 3: AAS 59 (1967), S. 258; Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 2: AAS 73 (1981), S. 582; Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 9: AAS 80 (1988), S. 520-523. </ref> Sie umfasst viele Aspekte auch politischer Art, die das Verhältnis zwischen den Klassen und der schon erfolgten oder noch in Gang befindlichen Veränderung der Gesellschaft betreffen. Auf jeden Fall bleiben die "soziale Frage“ und die Soziallehre" aufeinander bezogene Begriffe.

Was in der Entwicklung der Soziallehre hervorgehoben werden muss, ist die Tatsache, dass sie - obgleich ihr ein Wesensgehalt gleichsam wie ein Lehr-"Gebäude" von großer Geschlossenheit eigen ist – nicht zu einem geschlossenen System wurde. Vielmehr hat sie sich als fähig erwiesen, sich den SituationsentwickIungen zu stellen und in angemessener Weise neue Probleme oder neue Formen der Problemstellung aufzugreifen. Das geht aus einer objektiven Prüfung der Dokumente der aufeinander folgenden Päpste hervor - von Leo XIII. bis zu Johannes Paul II. - und noch deutlicher seit dem II. Vatikanischen Konzil.


Kontinuität im Wandel

12 Die unterschiedlichen Ausgangspunkte, methodischen Vorgehensweisen und Stilformen, die sich in den verschiedenen Dokumenten feststellen lassen, beeinträchtigen doch nicht die substantielle Identität und Einheit der Soziallehre der Kirche. Mit Recht wird daher der Begriff der Kontinuität angewandt, um das Verhältnis der Dokumente untereinander zu kennzeichnen, auch wenn jedes in besonderer Weise auf die Probleme seiner Zeit eingeht.

Um ein Beispiel anzuführen: die "Armen", von denen in einigen neueren Dokumenten die Rede ist, sind nicht die "Proletarier", auf die sich Leo XIII. in der Enzyklika Rerum novarum bezieht, oder die "Arbeitslosen", die im Mittelpunkt der Enzyklika Quadragesimo anno Pius' XI. standen. Heute scheint ihre Zahl ungeheuer viel größer, und es gehören alle jene zu ihnen, die in der Wohlstandsgesellschaft davon ausgeschlossen sind, sich in Freiheit, Würde und Sicherheit die Güter dieser Erde nutzbar zu machen. Das Problem ist um so größer, als es sich in einigen Teilen der Erde und besonders in der Dritten Welt verfestigt hat und geradezu institutionalisiert wurde.

Außerdem betrifft das Problem nicht nur die ungerechten Unterschiede zwischen den sozialen Klassen, sondern auch das enorme Missverhältnis zwischen reichen und armen Nationen.


Die Aufgabe und das Recht zu lehren

13 Was das Verhältnis der Kirche zur politischen Gemeinschaft betrifft, so ist die wechselseitige Autonomie im je eigenen Bereich zu beachten und zu bejahen, da beide im Dienst der personalen und sozialen Berufung der menschlichen Personen stehen. In diesem Rahmen besitzt die Kirche die eigene Zuständigkeit und das eigene Recht, die Soziallehre zum Wohl und zum Heil der Menschen zu lehren. Zu diesem Zweck benutzt sie alle Mittel, die sie zur Verfügung hat, je nach den verschiedenen Situationen und Zeiten.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 76. </ref>

Indem die Kirche den Menschen "in seiner vollen, wahren Existenz, in seinem persönlichen Dasein und in seinem gemeinschaftlichen und sozialen Dasein" berücksichtigt,<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 14: AAS 71 (1979), S.284. </ref> ist sie sich wohl bewusst, dass die Geschicke der Menschheit ohne Frage eng mit Christus verbunden sind. Sie ist von der unersetzbaren Notwendigkeit der Hilfe überzeugt, die sie dem Menschen bringt und dass sie ihn deshalb nicht aufgeben kann. Wie Johannes Paul II. zu diesem Punkt gesagt hat, nimmt die Kirche innigen Anteil an den Ereignissen der gesamten Menschheit. Sie macht den Menschen zu ihrer ersten und fundamentalen Wegstrecke im Verfolg ihrer Mission, "ein Weg, der unveränderlich über das Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung führt".<ref> Ebd. S. 284-285. </ref> In dieser Weise führt sie Christi Erlösermission weiter und gehorcht seinem Auftrag, allen Menschen das Evangelium zu predigen<ref>{{#ifeq: Evangelium nach Matthäus | Leitlinien vom 30. Dezember 1988 |{{#if: Mt|Mt|Evangelium nach Matthäus}}|{{#if: Mt |Mt|Evangelium nach Matthäus}}}} 28{{#if:19|,19}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}. </ref> und allen zu dienen, die in Not sind, seien es einzelne, Gruppen oder soziale Schichten, und die die Notwendigkeit für Änderung und Reformen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen stark empfinden.

Getreu ihrer geistlichen Sendung packt die Kirche diese Probleme unter dem ihr eigenen moralischen und pastoralen Aspekt an. In der Enzyklika Sollicitudo rei socialis unterstreicht Johannes Paul II. ausdrücklich diesen Aspekt unter Berücksichtigung der Probleme der Entwicklung und bestätigt, dass er zu Recht unter den Sendungsauftrag der Kirche fällt. Sie kann daher "nicht angeklagt werden, ihren eigenen Zuständigkeitsbereich überschritten zu haben und noch weniger den vom Herrn empfangenen Auftrag".<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 8: AAS 80 (1988), S. 520. </ref>

Über den Kreis ihrer Gläubigen hinaus bietet die Kirche ihre Soziallehre allen Menschen guten Willens an und bezeugt, dass ihre fundamentalen Grundsätze" von der rechten Vernunft gefordert" sind,<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 63. </ref> die vom Evangelium erleuchtet und vervollkommnet wird.

II. Die geschichtliche Dimension der Soziallehre

14 Da von manchen Seiten versucht wird, "Zweifel und Misstrauen" über die Wirksamkeit der Soziallehre zu verbreiten, weil diese als abstrakt, deduktiv, statisch und ohne kritische Schärfe angesehen wird, hat Johannes Paul II. mehrfach auf die Dringlichkeit einer sozialen Aktion hingewiesen, die sich auf das "reiche und komplexe Erbe", genannt "Sozialdoktrin" oder "Soziallehre der Kirche", stützt.<ref> Johannes Paul II. Ansprache Esta hora an die III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (28. Januar 1979), Teil III., Nr. 7: AAS 71 (1979), S. 203. </ref> Dasselbe hatten seine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. sowie die Väter des II. Vatikanischen Konzils<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453 ff.; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 4: AAS 63 (1971), S. 403: Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 38: AAS 68 (1976), S. 30; II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, NT. 63, 76. </ref> getan. Aus den Gedanken der Päpste und des Konzils schimmert die Absicht durch, durch das christliche soziale Wirken die Präsenz der Kirche in der Geschichte zum Widerschein der Präsenz Christi zu machen, der die Herzen und von den Menschen geschaffenen ungerechten Strukturen verwandelt.

Dies wird besonders unter den kulturellen und sozialen Bedingungen unserer heutigen Zeit empfunden. Deshalb hat das Lehramt der Kirche der Soziallehre eine neue Dynamik gegeben. Sie geht auf die gewachsene, oft kritiklos übernommene feindselige Haltung einiger Leute ein und zeigt die Schwere der Verantwortung jener auf, die ein für den Dialog der Kirche mit der Welt und für die Lösung der heutigen sozialen Probleme so wirkungsvolles Instrument ablehnen.

1. Die soziale Dimension der urchristlichen Botschaft

Die Heilsgeschichte

15 Die Wurzeln der Soziallehre liegen in der Heilsgeschichte: Ihr Ursprung findet sich in der erlösenden und befreienden Sendung Jesu Christi und der Kirche. Sie knüpft an die Glaubenserfahrung der Erlösung und die ganzheitliche Befreiung des Volkes Gottes an. wie sie zuerst in der Genesis beschrieben werden, dann im Buch Exodus, bei den Propheten und in den Psalmen, und später im Leben Jesu und in den Apostelbriefen.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. Dezember 1981), Nr. 3: AAS 73 (1981), S. 583; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 44-51: AAS 79 (1987), S. 571-575. </ref>


Die Sendung Jesu

16 Die Botschaft Jesu und sein Zeugnis in der Welt haben bewiesen, dass die wahre Menschenwürde in einem vom Bösen befreiten und durch die erlösende Gnade Christi erneuerten Geist gründet. Indessen zeigt das Evangelium in vielen Texten, dass Jesus sich nicht gleichgültig verhielt gegenüber den Problemen der Menschenwürde und der Menschenrechte, gegenüber der Not der Schwächeren, der Bedürftigen und der Opfer von Ungerechtigkeit, noch dass sie ihm fremd waren. In jedem Augenblick bewies er eine echte Solidarität mit den Ärmsten und Elenden,<ref> {{#ifeq: Evangelium nach Matthäus | Leitlinien vom 30. Dezember 1988 |{{#if: Mt|Mt|Evangelium nach Matthäus}}|{{#if: Mt |Mt|Evangelium nach Matthäus}}}} 11{{#if:28-30|,28-30}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}. </ref> kämpfte gegen Ungerechtigkeit, Falschheit und Machtmissbrauch, gegen die Geldgier der Reichen und die Gleichgültigkeit gegenüber den Leiden der Armen, indem er mit Nachdruck auf das Letzte Gericht hinwies, wenn er in Herrlichkeit wiederkommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten.

Im Evangelium sind klar einige Grundwahrheiten enthalten, die das soziale Denken der Kirche auf ihrem Weg durch die Jahrhunderte tiefreichend geprägt haben. So bestätigt und verkündet z. B. Jesus eine wesentlich gleiche Würde für alle menschlichen Wesen, Männer und Frauen, wie auch immer ihre völkische Zugehörigkeit, Nation, Rasse, Kultur und politische Zugehörigkeit oder ihre soziale Lage sein mag. In seiner Lehre ist darüber hinaus eine Auffassung des Menschen als kraft seiner Natur soziales Wesen enthalten, insofern die Würde der Ehe betont wird, die die erste Form der Kommunikation zwischen Personen darstellt. Aus der fundamentalen Gleichheit der Würde bei allen Menschen und ihrer innerlich sozialen Natur ergibt sich notwendig die Forderung, dass die Verhältnisse im sozialen Zusammenleben nach den Grundsätzen einer tätigen und menschlichen Solidarität, d. h. nach den Kriterien der von der Liebe lebendig gemachten und integrierten Gerechtigkeit geordnet werden.

Außer diesen im Evangelium enthaltenen Werten sind noch viele weitere, nicht weniger wichtige vorhanden, die auch nicht weniger Auswirkung auf die soziale Ordnung besitzen, wie z. B. die mit dem Institut Familie als eine und unauflösliche und als Quelle des Lebens verbundenen Werte; die mit dem Ursprung und der Natur der Autorität gegebenen Werte, weil sie ja als Dienst für das Gemeinwohl der sozialen Gruppe, von der sie direkt bestellt wird und für die sie in Harmonie mit dem universalen Wohl der ganzen Menschheitsfamilie arbeitet, verstanden und ausgeübt wird.


Die Sendung der Kirche

17 Die Kirche nährt sich von demselben Geheimnis Christi, dem inkaunierten Evangelium, um wie er die Frohe Botschaft vom Reiche Gottes zu verkünden und die Menschen zur Umkehr und zur Rettung zu rufen.<ref> {{#ifeq: Evangelium nach Markus | Leitlinien vom 30. Dezember 1988 |{{#if: Mk|Mk|Evangelium nach Markus}}|{{#if: Mk |Mk|Evangelium nach Markus}}}} 1{{#if:5|,5}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}. </ref> Diese von Christus empfangene Berufung der Kirche, das Evangelium zu verkünden, macht ihr tiefstes Wesen aus. Und gerade daraus erwachsen Aufgaben, Orientierungen und Kräfte, die dazu beitragen können, die menschliche Gemeinschaft entsprechend dem göttlichen Gesetz<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 42-44; Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr. 31: AAS 68 (1976), S. 26; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 63-65: AAS 79 (1987), S. 581 ff. </ref> aufzubauen und zu festigen.

In ihrer Lehre und sozialen Praxis hat die Kirche der ersten Jahrhunderte und des Mittelalters die im Evangelium enthaltenen Prinzipien und Weisungen angewandt und entfaltet. Sie bewegt sich innerhalb der Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft und versucht diese im Geist der Gerechtigkeit und Liebe zu humanisieren, wobei sie ihre Evangelisierung mit geeigneten karitativ-sozialen Angeboten verbindet. Die Kirchenväter sind nicht nur als unerschrockene Verteidiger der Armen und Unterdrückten bekannt, sondern auch als Förderer von Dienstleistungsinstituten (Kranken- und Waisenhäuser, Herbergen für Pilger und Fremde). Sie haben ferner sozio-kulturelle Gedanken entwickelt, die das Zeitalter eines neuen, in Christus verwurzelten Humanismus eingeleitet haben. Es handelt sich in den meisten Fällen um ergänzende Werke, bestimmt vom Ungenügen und den Lücken in der Organisation der bürgerlichen Gesellschaft, die zeigen, zu wie viel Opfern und Kreativität von den Idealen des Evangeliums durchdrungene Menschen fähig sind. Dank der Anstrengungen der Kirche wurde die Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens, die Heiligkeit und Unauflöslichkeit der Ehe, die Würde der Frau sowie der Wert der menschlichen Arbeit und einer jeden Person anerkannt und damit ein Beitrag zur Abschaffung der Sklaverei geleistet, die einen normalen Teil des wirtschaftlichen und sozialen Systems der antiken Welt bildete. Die fortschreitende Entfaltung der theologischen Tätigkeit, zunächst in den Klöstern, und dann an den Universitäten, hat die wissenschaftliche Erarbeitung der Grundprinzipien möglich gemacht, die ein geordnetes menschliches Zusammenleben regeln. Von bleibendem Wert ist hier das Denken des heiligen Thomas von Aquin, von Francisco Suarez, Francisco de Vitoria und vieler anderer. Sie haben zusammen mit etlichen berühmten Philosophen und Rechtsgelehrten die notwendigen Voraussetzungen und Werkzeuge für die Erarbeitung einer echten und eigentlichen Soziallehre geschaffen, wie sie unter Papst Leo XIII. begonnen und von seinen Nachfolgern fortgesetzt worden ist.

Die Bejahung dieser sozialen Dimension des Christentums wird mit jedem Tag drängender durch die immer tiefer und weiter reichenden Veränderungen in der Gesellschaft.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii nuntiandi (8. Dezember 1975), Nr.14: AAS 68 (1976), S. 13. </ref> Angesichts der sozialen Probleme, die schon immer in den verschiedenen Epochen der Geschichte vorhanden waren, die aber in unseren Tagen viel komplexer und weltweit geworden sind, kann die Kirche nicht ihre ethische und pastorale Betrachtung - auf dem ihr eigenen Feld - außer acht lassen, um mit Hilfe ihrer sozialen Lehre die Bemühungen und Hoffnungen der Völker zu erleuchten und ihnen Orientierung zu geben.

Dabei geht sie so vor, dass die Veränderungen, auch tiefgreifender Art, wie sie von den Situationen des Elends und der Ungerechtigkeit gefordert sind, in einer Weise verwirklicht werden, die das wahre Wohl der Menschen fördert.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 72: AAS 79 (1987), S. 586. </ref>

2. Die Entstehung des geschichtlichen Erbes

Das sozio-kulturelle Umfeld

18 Mit ihren Prinzipien, ihren Urteilskriterien und ihren Handlungsnormen hat die Soziallehre zu allen Zeiten keine andere Zielrichtung gehabt, noch haben können, als in besonderer Weise, vom Glauben und von der Tradition der Kirche ausgehend, die wirkliche Lage der Gesellschaft aufzuzeigen, vor allem dann, wenn die Menschenwürde missachtet wurde.

Aus dieser dynamischen und historischen Sicht ergibt sich, dass der wahre Charakter der Soziallehre in der Entsprechung ihrer Aussagen, die auf die Probleme einer bestimmten historischen Situation bezogen sind, mit den ethischen Erfordernissen der Botschaft des Evangeliums besteht, das eine tiefgreifende Umwandlung der Person und der Gruppen verlangt, um eine authentische und ganzheitliche Befreiung zu erlangen.<ref> Ebd., Nr. 5: AAS 79 (1987), S. 585 ff. </ref>

Um freilich die geschichtliche Entwicklung der Soziallehre zu erfassen, muss man in den sozio-kulturellen Zusammenhang eines jeden Dokumentes eindringen und sich über die ökonomischen, sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen, unter denen es entstanden ist, klar werden. In den verschiedenen Erklärungen kann man dann besser die pastorale Absicht der Kirche entdecken, im Blick auf die untersuchte Lage der Gesellschaft und auf das Gewicht der sozialen Frage.

Sowohl die Grundprinzipien, die sich unmittelbar aus der christlichen Auffassung der Person und der menschlichen Gesellschaft ergeben, als auch die sittlichen Urteile über bestimmte Zustände, Institutionen und soziale Strukturen ermöglichen es, die Bedeutung der historischen Präsenz der Kirche in der Welt zu erfassen. Man kann sagen, dass jedes soziale Dokument ein Beispiel und ein Beleg dafür ist.


Die Veränderungen im 19. Jahrhundert und der Beitrag des katholischen Gedankengutes

19 In Sonderheit muss man sich die neue Situation im 19. Jahrhundert in Europa und in Teilen Amerikas ins Gedächtnis rufen, die im Gefolge der industriellen Revolution, des Liberalismus, des Kapitalismus und des Sozialismus entstanden ist. In dieser Situation haben nicht wenige Katholiken in verschiedenen europäischen Ländern, in Übereinstimmung mit den ethischen und sozialen Forderungen des Wortes Gottes und mit den Lehren der Kirchenväter, der großen Theologen des Mittelalters, besonders des heiligen Thomas von Aquin, das Wiedererwachen des christlichen Gewissens angesichts der schweren Ungerechtigkeiten jener Epoche gefördert. So begann sich eine mehr moderne und dynamische Auffassung durchzusetzen, wie die Kirche präsent sein und wie sie ihren Einfluss in der Gesellschaft ausüben kann. Man begriff besser, wie wichtig ihre Gegenwart in der Welt ist und die Art, wie sie den Anforderungen der neuen Zeit entsprechen muss. Auf diesen Voraussetzungen gründet die ganze Soziallehre der Kirche bis in unsere Tage. Aus dieser Sicht heraus sind daher die Dokumente des sozialen Lehramtes zu lesen und zu verstehen.


Leo XIII

20 Beunruhigt durch die "Arbeiterfrage", also durch die Probleme, die aus der beklagenswerten Lage entstanden, in der sich das Industrieproletariat befand, griff Leo XIII. mit seiner Enzyklika Rerum novarum (1891) ein, einem mutigen und weitblickenden Text, der die weitere Entwicklung der Soziallehre vorbereitete, wie sie vom Lehramt in den folgenden Dokumenten ausgearbeitet wurde. In der Enzyklika legt der Papst die Prinzipien der Lehre dar, die dazu dienen können, das schleichende "soziale Übel" in den Lebensbedingungen der Arbeiter" zu heilen.<ref> Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891): Acta Leonis XIII. 11 (1891), S. 98. </ref>

Nachdem Rerum novarum die Fehler aufgelistet hat, die zum "unverdienten Elend" des Proletariats geführt haben, und nachdem der Sozialismus als Heilmittel für die "Arbeiterfrage" im besonderen zurückgewiesen wurde, wird die katholische Lehre über die Arbeit dargelegt, über das Eigentumsrecht, über das Prinzip der Zusammenarbeit im Gegensatz zum Klassenkampf als Hauptmittel für die soziale Veränderung, über die Rechte der Schwachen, die Würde der Armen und die Pflichten der Reichen, über die Vervollkommnung der Gerechtigkeit durch die Liebe, endlich über das Recht, Berufsverbände zu gründen.


Pius XI.

21 40 Jahre später, als die Entwicklung der industriellen Gesellschaft mittlerweile zu einer enormen und stetig steigenden Konzentration von Macht im ökonomisch-sozialen Bereich geführt und einen grausamen Klassenkampf entfesselt hatte, sah es Pius XI. als seine Pflicht und Verantwortung an, eine größere Kenntnis, eine genauere Interpretation und eine dringliche Anwendung des moralischen Gesetzes<ref> Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931), S. 191. </ref> als Regulativ der menschlichen Beziehungen in jenem Bereich anzuregen. Damit sollte der Klassenkampf überwunden und eine neue Sozialordnung, auf Gerechtigkeit und Liebe beruhend, erreicht werden. Durch die aufmerksame Beobachtung der neuen historischen Gegebenheiten bringt seine Enzyklika Quadragesimo anno Neues: Sie bietet einen Überblick über die Industriegesellschaft und die Produktion; sie unterstreicht die Notwendigkeit, dass sowohl das Kapital als auch die Arbeit zur Produktion und zur wirtschaftlichen Organisation beitragen; sie bestimmt die Bedingungen für die Wiederherstellung der sozialen Ordnung; sie sucht eine neue Einstellung zu den auftauchenden Problemen, um den "großen Veränderungen", die durch die neue Entwicklung der Wirtschaft und des Sozialismus ausgelöst wurden, zu begegnen;<ref> Ebd.: AAS 23 (1931), S. 209 ff. </ref> sie zögert nicht, Stellung zu beziehen zu Versuchen, die in jenen Jahren gemacht wurden, um mit Hilfe des Systems von Körperschaften die sozialen Gegensätze zu überwinden. Dabei setzt sie sich für die Prinzipien der Solidarität und der Zusammenarbeit ein, die sie inspirierten, warnt aber zugleich davor, dass der mangelnde Respekt für die Vereinigungsfreiheit und die Aktion den gewünschten Erfolg in Frage stellen könnte.


Pius XII.

22 In seinem langen Pontifikat hat Pius XII. keine einzige Sozialenzyklika geschrieben. Aber in voller Kontinuität mit der Doktrin seiner Vorgänger hat er mit einer großen Zahl von Ansprachen zu den sozialen Problemen seiner Zeit mit Autorität Stellung bezogen. Unter diesen sind besonders die Radiobotschaften wichtig, in denen er die ethisch-sozialen Prinzipien erläutert, formuliert und eingeschärft hat, nach denen der Wiederaufbau aus den Ruinen des II. Weltkrieges gefördert werden sollte. Mit seiner Sensibilität und Intelligenz im Erfassen der "Zeichen der Zeit" kann man Pius XII. als den unmittelbaren Vorgänger des II. Vatikanischen Konzils und der sozialen Lehre der ihm nachfolgenden Päpste betrachten. Die Punkte der Soziallehre, die er konkretisierte und auf die Probleme seiner Zeit anwandte, sind hauptsächlich die folgenden: die Gemeinbestimmung der Güter und ihr Gebrauch; die Rechte und die Pflichten der Arbeiter und der Arbeitgeber; die Aufgabe des Staates in der Wirtschaft; die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit zur Durchsetzung einer größeren Gerechtigkeit und zur Sicherung des Friedens; die Erneuerung des Rechts als Grundregel für die Beziehungen zwischen Klassen und Völkern; der Familienlohn.<ref> Pius XII., Radioansprache La solennità della Pentecoste zum 50. Jahrestag der Enzyklika Rerum novarum (1. Juni 1941): AAS 33 (1941), S. 195 ff.; Weihnachts-Radiobotschaften: Über den Frieden und die internationale Ordnung aus den Jahren 1939, 1940, 1950, 1951, 1954; Über die Demokratie von 1944; Über die Gefahren der technologischen Auffassung des sozialen Lebens; Über das Unternehmen und die Wirtschaftsordnung vom 3. Juni 1950 und vom 9. September 1956. </ref>

In den Kriegs- und Nachkriegsjahren war das soziale Lehramt Pius' XII. für viele Völker aller Kontinente und für Millionen Gläubige und Nichtgläubige die Stimme des Weltgewissens, interpretiert und verkündet in inniger Verbundenheit mit dem Wort Gottes. Mit seiner moralischen Autorität und seinem Ansehen brachte Pius XII. zahllosen Menschen jeglicher Art und sozialen Stellung das Licht der christlichen Weisheit: den Regierenden, den Kulturschaffenden, den freien Berufen, den Unternehmern, technischen Führungskräften und Arbeitern.

Er war bemüht, die Tradition von Rerum novarum<ref> Pius XII., Radioansprache La solennità della Pentecoste zum 50. Jahrestag der Enzyklika Rerum novarum (1. Juni 1941): AAS 33 (1941), S. 204. </ref> aufzuwerten und ein ethisches und soziales Gewissen heranzubilden, das das Handeln der Völker und Staaten erleuchten sollte. Durch ihn wehte in der Kirche jener Geist der Erneuerung, der, wie er im Blick auf Rerum novarum sagte, nicht aufgehört hat, sich wohltuend über die ganze Menschheit auszubreiten.<ref> Ebd.: AAS 33 (1941), S. 197. </ref>


Johannes XXIII.

23 Nach dem II. Weltkrieg befand sich die Kirche unter vielen Aspekten in einer neuen Lage: Die "soziale Frage", die anfänglich auf die Arbeiterklasse begrenzt war, machte einen Verallgemeinerungsprozess durch, in den alle Klassen, alle Völker und selbst die internationale Gemeinschaft hineingezogen wurden und in dem immer mehr das Drama der Dritten Welt zutage trat.

Das "Problem der modernen Epoche" wird Gegenstand von Überlegungen und pastoralen Aktionen der Kirche und ihres Lehramtes. Die neue Enzyklika Mater et magistra (1961) von Papst Johannes XXIII. zielt in der Tat darauf ab, die schon bekannten Dokumente auf den neuesten Stand zu bringen und einen weiteren Schritt vorwärts zu tun, um die ganze christliche Gemeinschaft noch mehr darin einzubeziehen.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 412-413. </ref> Indem sie die höchst, aktuellen und wichtigen Aspekte der "sozialen Frage“<ref> Ebd.: AAS 53 (1961), S. 431-451. </ref> anpackt, stellt das neue Dokument das bestehende Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen ebenso wie zwischen den verschiedenen Ländern und Gebieten heraus; sie klagt die Zustände der Übervölkerung und der Unterentwicklung an, die aus Mangel an Verständigung und Solidarität zwischen den Nationen die unerträglichen Zustände besonders in der Dritten Welt bestimmen.

Angesichts der Gefahren eines neuen Atomkrieges hat derselbe Johannes XXIII. auf dem Gipfel der Krise, nachdem er eine denkwürdige Botschaft an die Völker und Staatsmänner gerichtet hatte, seine Enzyklika Pacem in terris (1963) herausgegeben. Sie ist eine eindringliche Mahnung, den Frieden aufzubauen unter Beachtung der sittlichen Forderungen, von denen die Beziehungen zwischen den Menschen und den Staaten bestimmt sein müssen. Stil und Sprache der Enzykliken Papst Johannes' XXIII. geben der Soziallehre eine neue Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen und auf sie einzuwirken, ohne deshalb das Gesetz der Kontinuität mit der voraufgegangenen Tradition geringer zu veranschlagen. Man kann daher nicht von einer "erkenntnistheoretischen Wende" sprechen. Sicherlich wächst das Bestreben, die Erfahrungswissenschaft und die Soziologie aufzuwerten, aber gleichzeitig wird die theologische Motivation der Soziallehre betont. Das ist um so auffälliger, wenn man eine Gegenüberstellung mit den vorhergehenden Dokumenten macht, in denen die philosophische Betrachtung und die Argumentation gemäß den Prinzipien des Naturrechts vorherrschen. Anlass für die Sozialenzykliken von Johannes XXIII. waren ganz gewiss die tiefgreifenden Veränderungen im Innern der Staaten, wie auch in ihren wechselseitigen Beziehungen, sei es "im wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Bereich, sei es auf sozialem und politischem Gebiet".<ref> Ebd.: AAS 53 (1961), S. 412-413. </ref>

In dieser Zeit beginnen andere große Ereignisse sich in beängstigender Weise zu überstürzen. Vor allem sind dies die Auswirkungen des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Wiederaufbau in der Nachkriegszeit. Der dadurch erzeugte Optimismus verhindert, dass man sogleich die Widerspruche in einem System entdeckt, das auf einer ungleichmäßigen Entwicklung der verschiedenen Länder der Welt beruht. Außerdem kann man schon zu Beginn jenes Jahrzehnts, als sich der Prozess der Entkolonialisierung in vielen Ländern der Dritten Welt durchsetzt, bemerken, dass an die Stelle des politischen Kolonialismus, der bislang bestand, ein anderer Typ kolonialer Vorherrschaft, nämlich wirtschaftlicher Art, tritt. Diese Tatsache ist bestimmend die Bewusstseinsbildung und für eine besonders in Lateinamerika entstandene Aufstandsbewegung, wo zur Bekämpfung der Ungleichgewichte in der Entwicklung und der neuen Abhängigkeiten ein Prozess der Befreiung in verschiedenen Arten und Formen in Gang kommt. Dies hat dann zur Bildung der verschiedenen Richtungen der "Theologie der Befreiung" geführt, gegenüber denen der Heilige Stuhl seine Stellung klar gemacht hat.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre. Instruktion Libertatis nuntius über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung" (6. August 1984): AAS 76 (1984), S. 876-909; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986); AAS 79 (1987), S. 554-599. </ref>


II. Vatikanisches Konzil

24 Vier Jahre nach der Veröffentlichung von Mater et magistra erschien die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute. Auch wenn zwischen diesen beiden Schriften eine zu kurze Zeitspanne liegt, als dass sich bedeutende Veränderungen in der historischen Wirklichkeit vollzogen hätten, so ist indessen der Weg, den die Soziallehre mit dem neuen Dokument genommen hat, von Bedeutung. Das Konzil ist sich nämlich darüber klar geworden, dass die Welt von der Kirche eine neue und bewegende Botschaft erwartete. Auf diese Erwartung antwortete es mit der genannten Konstitution, in der sich in Einklang mit der ekklesiologischen Erneuerung ein neues Bewusstsein von Glaubensgemeinschaft und Volk Gottes sein widerspiegelt. Die Pastoralkonstitution hat daher neues Interesse geweckt für die in den vorausgehenden Dokumenten enthaltene Lehre über das Zeugnis und das Leben der Christen als authentische Wege, um die Gegenwart Gottes in der Welt sichtbar zu machen.

Auf sozialem Gebiet bestand die Antwort der im Konzil vereinigten Kirche konkret in der Entfaltung einer mehr dynamischen Auffassung des Menschen und der Gesellschaft, und zumal des sozio-ökonomischen Lebens, die auf der Grundlage der Forderungen und der richtigen Interpretation der wirtschaftlichen Entwicklung erarbeitet wurde.

In dem Kapitel der Konstitution Gaudium et spes, das sich mit diesen Problemen befasst, wird folglich dargelegt, dass die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten nur auf der Basis des rechten Verständnisses des Fortschritts beseitigt werden können. Diese Deutung der sozialen Wirklichkeit auf Weltebene hat eine grundsätzliche Wende im Entwicklungsprozess der Soziallehre hervorgebracht: Sie lässt sich nicht von den sozio-ökonomischen Implikationen der beiden Hauptsysteme Kapitalismus und Sozialismus vereinnahmen, sondern sie öffnet sich für ein neues Verständnis, nämlich dasjenige einer doppelten Dimension oder Tragweite des Fortschritts. Diese Auffassung zielt in der Tat darauf ab, das Wohl des ganzen Menschen zu fördern, "in seiner Ganzheit betrachtet, unter Berücksichtigung also seiner materiellen Bedürfnisse ebenso wie seiner Bedürfnisse für das geistige, moralische, geistliche und religiöse Leben". Dadurch werden die traditionellen Gegensätze zwischen Produzenten und Konsumenten und die Diskriminierungen, die gegen die Würde der großen menschlichen Familie verstoßen, überwunden.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 64-65. </ref>

In dieser Sicht entdeckt man, dass auf dem Grund der Aussagen der Konstitution über das wirtschaftlich-soziale Leben eine wahrhaft menschliche Auffassung der Entwicklung steht. In Gaudium et spes zeigt die Kirche, wie tief ihre Sensibilität für das wachsende Bewusstsein über die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in der menschlichen Gesellschaft und besonders über die Probleme der Dritten Welt ist.

In der Soziallehre verstärkt sich so, gegen alle soziale und wirtschaftliche Diskriminierung, eine auf die Person und die Gemeinschaft bezogene Ausrichtung der Wirtschaft, in der der Mensch den Vorrang hat; er ist das Ziel, das Subjekt und der Hauptträger der Entwicklung. Es ist das erste Mal, dass sich ein Dokument des obersten Lehramtes der Kirche so umfassend über die direkten zeitlichen Aspekte des christlichen Lebens ausspricht. Man muss anerkennen, dass die Aufmerksamkeit, die die Konstitution den sozialen, psychologischen, politischen, wirtschaftlichen, sittlichen und religiösen Veränderungen widmete, in den letzten 20 Jahren immer mehr die pastorale Besorgnis der Kirche für die Probleme der Menschen und für den Dialog in der Welt geweckt hat.


Paul VI.

25 Einige Jahre nach dem Konzil schenkte die Kirche der Menschheit eine neue wichtige Überlegung auf dem sozialen Gebiet mit der Enzyklika Populorum progressio Pauls VI. (1967). Man kann sie als eine Erweiterung des Kapitels über das wirtschaftlich-soziale Leben in Gaudium et spes ansehen, obwohl sie einige neue bedeutungsvolle Akzente setzt.

In kurzer Zeit war nämlich das Bewusstsein über die Ungleichheiten weiter gewachsen, die viele Länder der Dritten Welt diskriminierten und in Situationen von Ungerechtigkeit und Randdasein brachten. Dieses Problem wurde durch viele Umstände verschlimmert: wie z. B. das schnell wachsende Ungleichgewicht zwischen den armen und reichen Ländern und das Bevölkerungswachstum der Dritten Welt. In den ärmsten und marginalisierten Gebieten und Völkern rief die Analyse über die Unterentwicklung und ihre Ursachen einen Skandal hervor und ließ den Kampf gegen die Ungerechtigkeit aufflammen.

In diesem neuen historischen Umfeld, in dem die sozialen Konflikte weltweite Ausmaße angenommen haben,<ref> Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 9: AAS 59, (1967), S. 261. </ref> bedeutet Populorum progressio Licht und Hilfe, um das ganze Ausmaß einer gemeinschaftlichen Entwicklung des Menschen und einer gemeinsamen Entwicklung der Menschheit zu erfassen: Das sind zwei Themenbereiche, die man als Achsen ansehen kann, um die herum das Gewebe der Enzyklika strukturiert ist. Der Papst will die Adressaten von der Dringlichkeit einer gemeinsamen Aktion überzeugen.<ref> Ebd., Nr. 1: AAS 59 (1967), S. 257. </ref> Er will unter Fortschritt den "Übergang von wenig humanen Lebensbedingungen zu humaneren" und nennt ihre Eigenschaften. Wenig humane Bedingungen beziehen sich auf das Fehlen von materiellen und sittlichen Gütern oder auf oder auf Strukturen der Unterdrückung. Humane Bedingungen verlangen den Besitz des Notwendigen, das Aneignen von Wissen und Kultur, die Achtung vor der Würde der andern, die Anerkennung höchster Werte und Gottes, schließlich das christliche Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe.<ref> Ebd., Nr. 20-21: AAS 59 (1967), S. 267-268. </ref> Der "Übergang" von den wenig humanen zu den humaneren Bedingungen, die nach den Worten des Papstes nicht auf rein zeitliche Dimensionen begrenzt sind, muss die theologische Betrachtung über die Befreiung von Ungerechtigkeit und über authentische Werte inspirieren, ohne die ein echter Fortschritt der Gesellschaft nicht möglich ist. Die Soziallehre findet hier eine offene Tür für eine vertiefte und erneuerte ethische Betrachtung.

Nur vier Jahre nach der Enzyklika Populorum progressio erließ Paul VI. das Apostolische Schreiben Octogesima adveniens (1971). Es war der 80. Jahrestag von Rerum novarum, aber mehr als auf die Vergangenheit schaute der Papst auf die Gegenwart und Zukunft. In der westlichen industrialisierten Welt waren neue Probleme entstanden, jene der sogenannten "nachindustriellen Gesellschaft". Deshalb war es nötig, diese in die Soziallehre der Kirche einzubeziehen. Octogesima adveniens leitet so eine neue Betrachtung ein über das Verständnis der politischen Dimension der Existenz und des christlichen Auftrages und weckt ihrerseits den kritischen Sinn in der Auseinandersetzung mit den Ideologien und Utopien, die den bestehenden sozio-ökonomischen Systemen zugrunde liegen.


Johannes Paul II.

26 Zehn Jahre später (1981) kommt Johannes Paul II. mit der großen Enzyklika Laborem exercens. Das verflossene Jahrzehnt hatte eine Spur in der Geschichte der Welt und der Kirche hinterlassen. Es ist nicht schwierig, in den Gedanken des Papstes den Lauf der neuen Veränderungen, die entstanden sind, auszumachen. Während zu Beginn der siebziger Jahre ein geschärftes Bewusstsein für die Unterentwicklung und die daraus erwachsenden Ungerechtigkeiten stand, zeigten sich um die Mitte desselben Jahrzehnts die ersten Symptome einer tieferen Krise, ausgelöst durch die Widersprüche des internationalen Geld- und Wirtschaftssystems. Vor allem kam es zu dem enormen Preisanstieg für das Öl. In dieser Lage verlangte die Dritte Welt gegenüber den westlichen Industriestaaten und kollektivistisch organisierten Ländern des Ostblocks, dass neue Weltwirtschaftsstrukturen geschaffen würden, in denen man die Rechte der armen Völker respektiert und auch Gerechtigkeit in den wirtschaftlichen Beziehungen herrscht. Während das Elend in der Dritten Welt anstieg, forderten einige Länder, die sich zum Sprachrohr dieser Leiden machten, eine größere Gerechtigkeit bei der Verteilung auf Weltebene. Das ganze System der internationalen Arbeitsteilung und der Weltwirtschaftsordnung geriet in eine tiefe Krise. Dies führte zu der Forderung nach radikaler Veränderung dieser Strukturen, die eine so ungleiche wirtschaftliche Entwicklung mit sich gebracht hatten.

Im Hinblick auf diese zahlreichen neuen Probleme schrieb Johannes Paul II. zum 90. Jahrestag von Rerum novarum die Enzyklika Laborem exercens. In Kontinuität mit den bisherigen Äußerungen des Lehramtes besitzt sie jedoch ihre eigene Originalität,<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 3: AAS 73 (1981), S.583. </ref> was Methode und Stil wie auch nicht wenige Aspekte der Lehre betrifft, die zeitbedingt behandelt werden, aber den großen Linien Paul VI. folgen. Das Dokument richtet sich mahnend an alle Christen, damit sie sich für die Umformung der bestehenden sozio-ökonomischen Systeme einsetzen, und enthält genaue Richtlinien, die auf der fundamentalen Sorge für das ganzheitliche Wohl des Menschen beruhen. Damit erweitert sich das "traditionelle Erbe" – der Soziallehre der Kirche wobei sich herausschält, dass der "zentrale Schlüssel" der ganzen "sozialen Frage" in der "menschlichen Arbeit" liegt.<ref> Ebd., Nr. 3: S. 584. </ref> Dies ist der am meisten geeignete Ausgangspunkt zur Analyse aller sozialen Probleme. Von der Arbeit als fundamentaler Dimension der menschlichen Existenz ausgehend, werden in der Enzyklika alle anderen Aspekte des sozio-ökonomischen Lebens behandelt, ohne die Aspekte der Kultur und der Technik auszulassen.<ref> Ebd., Nr. 4: S. 584. </ref>

Laborem exercens entwickelt mithin eine neue Sinnbestimmung der Arbeit, nämlich eine ausgewogene Verteilung nicht nur des Ertrages und des Reichtums, sondern auch der Arbeit selbst, so dass alle eine Beschäftigung finden. Zu diesem Zweck sollte der Gesellschaft dazu verholfen werden, die Notwendigkeit des Maßhaltens im Verbrauch wiederzuentdecken, die Tugenden der Genügsamkeit und der Solidarität zurückzugewinnen und auch die Bereitschaft zu echten Opfern zu wecken, um aus der gegenwärtigen Krise herauszukommen. Das sind große Vorschläge, die der Papst auch bei späteren Gelegenheiten bekräftigt hat.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 81-91: AAS 79 (1987), S. 591-595. </ref> Sie gelten nicht nur für jedes einzelne Volk, sondern auch für die Beziehungen zwischen den Nationen.

Die Lage in der Welt erfordert die Achtung der Prinzipien und der unersetzlichen Grundwerte. In der Tat, ohne eine erneute Bekräftigung der Würde des Menschen und seiner Rechte, wie auch ohne die Solidarität zwischen den Völkern, ohne soziale Gerechtigkeit und ohne eine neue Arbeitsauffassung wird es keinen wahren menschlichen Fortschritt geben, noch eine neue Ordnung des sozialen Zusammenlebens.

Am 30. Dezember 1987, dem 20. Jahrestag von Populorum progressio, hat Johannes Paul II. die Enzyklika Sollicitudo rei socialis veröffentlicht. Die tragende Achse ist der wie er in dem bereits erwähnten Dokument Paul VI. gebraucht wurde. Im Lichte der stets gültigen Lehre dieser Enzyklika wollte der Papst nach einer Spanne von 20 Jahren die Lage in der Welt unter diesem Aspekt prüfen, um den Begriff Fortschritt zeitgemäß zu formulieren und weiter zu vertiefen, damit er den drängenden Notwendigkeiten zum gegenwärtigen historischen Zeitpunkt entspricht und wirklich auf den Menschen zugeschnitten ist.

Es gibt zwei grundsätzliche Überlegungen in Sollicitudo rei socialis: einerseits die dramatische Lage der heutigen Welt unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Entwicklung in der Dritten Welt, und andererseits der Sinn, die Bedingungen und die Erfordernisse eines menschenwürdigen Fortschritts.

Unter den Ursachen für die fehlende Entwicklung werden erwähnt: die weiter bestehende und oft noch gewachsene Kluft zwischen Nord und Süd, der Gegensatz zwischen den Blöcken in Ost und West mit dem daraus resultierenden Rüstungswettlauf, der Waffenhandel und die verschiedenen politischen Hemmnisse, die den Entscheidungen zur Kooperation und Solidarität zwischen den Nationen im Wege stehen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bevölkerungsfrage genannt. Andererseits werden auch einige Entwicklungserfolge anerkannt, so ungewiss, begrenzt und unangemessen sie im Hinblick auf die tatsächliche Notwendigkeit auch sein mögen.

Was die zweite Überlegung der Enzyklika betrifft, nämlich die Beschaffenheit des echten Fortschritts, wird vor allem der Unterschied zwischen "unbegrenztem Fortschritt" und Entwicklung geklärt. Diesbezüglich besteht man darauf, dass der echte Fortschritt sich nicht darauf beschränken kann, Güter und Dienstleistungen bei den Besitzenden zu vermehren, sondern dass er zum vollen "Sein" des Menschen beitragen muss. Auf diese Weise tritt die sittliche Natur des echten Fortschritts klar hervor. Dieser wichtige Aspekt wird weiter vertieft im Lichte der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition. Als Beweis für diese sittliche Dimension des Fortschritts beharrt das Dokument auf dem Zusammenhang zwischen der neuen Beobachtung aller Menschenrechte (das Recht zur freien Religionsausübung eingeschlossen) und dem echten Fortschritt des Menschen und der Völker.

In der Enzyklika werden auch die verschiedenen sittlichen Hindernisse für den Fortschritt („strukturelle Sünden“, reine Profitgier, Machthunger) und die Wege für ihre erwünschte Überwindung analysiert. Zu diesem Zweck wird empfohlen, die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Menschen und Völkern anzuerkennen und die daraus sich ergebende Pflicht zur Solidarität anzunehmen; die Verpflichtung der Christen zur Barmherzigkeit. Alles das setzt jedoch eine radikale Umkehr in den Herzen voraus.

Am Schluss des Dokuments werden noch andere spezielle Wege aufgezeigt, um der gegenwärtigen Lage zu begegnen, wobei besonders die Wichtigkeit der Soziallehre der Kirche und die Notwendigkeit ihrer Verbreitung hervorgehoben werden.

27 Dieser kurze geschichtliche Überblick über die Soziallehre der Kirche ist eine Hilfe zum Verständnis ihrer Komplexität, ihres Reichtums, ihrer Dynamik, aber auch ihrer Grenzen. Jedes Dokument ist ein weiterer Schritt vorwärts in dem Bemühen der Kirche, auf die Probleme der Gesellschaft in den verschiedenen Epochen der Geschichte einzugehen: Aus einem jeden von ihnen muss man die pastorale Sorge herauslesen der christlichen Gemeinschaft und allen Menschen guten Willens die Grundprinzipien, die allgemeinen Kriterien und die Richtlinien vorzulegen, die dazu geeignet sind, eine gute Entscheidung zu treffen und der konkreten Situation entsprechend zu handeln. Die besagte Lehre ist mithin "kein ,dritter Weg zwischen liberalem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus und auch nicht eine mögliche Alternative für andere radikal entgegengesetzte Lösungen",<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 41: AAS 80 (1988), S. 571. </ref> sondern ein uneigennütziger Dienst, den die Kirche je nach Bedarf von Ort und Zeit anbietet. Die Hervorhebung dieser geschichtlichen Dimension zeigt, dass die Soziallehre der Kirche - klar und folgerichtig in ihren wesentlichen Prinzipien zum Ausdruck gebracht - kein abstraktes, geschlossenes und ein für allemal festgelegtes System ist, sondern konkret, dynamisch und offen. In der Tat, die Beachtung der Verhältnisse in der Welt und die aus dem Evangelium geschöpfte Inspiration versetzen die Kirche in die Lage, auf die dauernden Veränderungen in den ökonomischen, sozialen, politischen, technologischen und kulturellen Prozessen einzugehen. Es handelt sich um ein Werk, an dem beständig gebaut wird, offen für alle neuen Fragen und Probleme, die in diesen Bereichen auftreten.


Die neueren Dokumente

28 Die angesprochenen Veränderungen erfordern eine ethische Sicht der neuen Probleme Und eine Antwort, die immer stärker differenziert, vertieft und auf den neuesten Stand gebracht wird. So ist es zum Beispiel geschehen in den Fragen über das Privateigentum, die Vergesellschaftung, die Mitbestimmung, die Unterentwicklung der Dritten Welt, den wachsenden Abstand zwischen armen und reichen Ländern, die sozio-ökonomische Entwicklung, den Sinngehalt der Arbeit, die internationale Verschuldung, das Problem der Obdachlosen, der heutigen Lage der Familie, der Würde der Frau, der Achtung des Ungeborenen Lebens und der Fortpflanzung. Die neuen Dokumente der Kirche stellen Ihre tiefe, aus dem Evangelium erwachsende Sensibilität für die neuen sozialen Probleme heraus.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986): AAS 79 (1987), S. 554-599; Päpstliche Kommission "Iustitia et Pax", Dokument Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986): L 'Osservatore Romano (28. Januar 1987), Arbeitshilfen 50; Dokument Was hast du für deinen obdachlosen Bruder getan? Die Kirche und das Wohnungsproblem (27. Dezember 1987): L 'Osservatore Romano (3. Februar 1988); Johannes Paul II. Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981): AAS 74 (1982), S. 81-191; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung (22. Februar 1987): L 'Osservatore Romano (11. März 1987), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74; Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Mulieris dignitatem (15. August 1988): L 'Osservatore Romano (1. Oktober 1988), Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 86. </ref>

Im Sinne des II. Vatikanischen Konzils<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 91. </ref> wird die Soziallehre der Kirche mit ihren "bleibenden Fundamenten" und den "zeitbedingten Elementen"<ref> Ebd., Vorwort, Anmerkung 1. </ref> ihren geschichtlichen Weg fortsetzen, wobei sie durch den Beitrag aller Gruppen der Kirche weiter und reicher werden wird. Auf diesem Weg wird das Lehramt die verschiedenen Stimmen in seinen offiziellen Lehren zusammenfassen, um die Beachtung der geschichtlichen Dimension mit der heiligen Pflicht, die Stabilität und die Sicherheit der Prinzipien und der fundamentalen Normen nicht zu schwächen, zu verbinden und zu einem entsprechenden Handeln aufrufen.<ref> Vgi. Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 454; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 4: AAS 63 (1971), S. 403; Johannes Paul II. Ansprache Esta hora an die III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopats in Puebla (28. Januar 1979), Teil III., Nr. 7: AAS 71 (1979), S. 203; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 72: AAS 79 (1987), S.586. </ref>

Auf diesem langen Weg wird die Kirche fortfahren, die Lehren und die Werte ihrer Soziallehre zu konkretisieren, indem sie die Prinzipien und bleibenden Werte, die Beurteilungskriterien und die Handlungsnormen vorlegt.

III. Bleibende Prinzipien und Werle

29 In diesem Kapitel wird kurz auf die "bleibenden Prinzipien" und auf die Grundwerte hingewiesen, die in der Darlegung der Soziallehre der Kirche nicht fehlen dürfen. Im Anhang dazu wird ein Programm für Kurse entwickelt, das geeignet ist, den konkreten Erfordernissen der Teilkirchen angepasst zu werden.

1. Die bleibenden Prinzipien

Voraussetzung

30 Diese Prinzipien wurden von der Kirche nicht organisch in einem einzigen Dokument formuliert, sondern im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung der Soziallehre. Sie wurden aus all den Dokumenten gesammelt, die das kirchliche Lehramt unter Mitarbeit von Bischöfen, Priestern und fachkundigen Laien<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453. </ref> ausgearbeitet hat, um die verschiedenen sozialen Probleme anzugehen, die nach und nach aufgetreten sind.

Natürlich ist und will das vorliegende Dokument weder eine neue Synthese noch ein Handbuch für solche Prinzipien sein, sondern eine Zusammenstellung einfacher, für den Unterricht geeigneter Orientierungen. Es ist gleichfalls keine vollständige Darlegung, sondern lediglich ein Hinweis auf jene Prinzipien, die man als die grundlegenden erachten kann, und die daher besondere Beachtung bei der Ausbildung zukünftiger Priester verdienen.

Unter ihnen sind als grundlegend jene Prinzipien zu betrachten, die die Person, das Gemeinwohl, die Solidarität und die Mitbestimmung betreffen. Die übrigen sind mit ihnen innerlich verbunden und leiten sich von ihnen her.


Die menschliche Person

31 Die Würde der Person gründet sich auf die Tatsache, dass sie nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und zu einem übernatürlichen Ziel erhoben worden ist, das das irdische Leben übersteigt. Der Mensch also als ein mit Verstand und freiem Willen begabtes Wesen, als Subjekt von Rechten und Pflichten, ist das erste Prinzip, und man kann sagen, das Herzstück und die Seele der Soziallehre der Kirche.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 17. </ref> "Gläubige und Nichtgläubige stimmen überein in der Annahme, dass alles, was auf der Erde existiert, auf den Menschen bezogen sein muss als auf seine Mitte und seinen Höhepunkt".<ref> Ebd., Nr. 12; diese Feststellung von Gaudium et spes ist unter der Voraussetzung zu verstehen, dass die Hinordnung der Erde auf den Menschen für den christlichen Glauben nur im Rahmen der Unterordnung des Menschen unter Gott gilt, so dass er die Erde im Gehorsam gegen Gottes Norm aufbaut, sie aber nicht im Namen seines Egoismus zerstört. </ref> Das ist ein Prinzip, das in seiner anthropologischen Tragweite die Quelle der anderen Prinzipien darstellt, die zum Gesamt der Soziallehre gehören. Der Mensch als Person ist das Subjekt und Zentrum der Gesellschaft, die mit ihren Strukturen, Organisationen und Funktionen zur Aufgabe hat, die wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen zu schaffen und ständig anzupassen, die es der größtmöglichen Zahl von Personen ermöglichen, ihre Fähigkeiten zu entfalten und ihre legitimen Bedürfnisse nach Vervollkommnung und Glück zu befriedigen. Aus diesem Grunde wird die Kirche nie müde, auf der Würde der menschlichen Person zu beharren gegen alle Sklaverei, Ausbeutungen und zum Schaden der Menschen verübten Machenschaften, nicht nur auf politischem und wirtschaftlichem, sondern auch auf kulturellem, ideologischem und medizinischem Gebiet.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 73: AAS 79 (1987), S. 586. </ref>


Die Menschenrechte

32 Die Menschenrechte leiten sich aus innerer Logik von derselben Menschenwürde ab. Die Kirche ist sich der Dringlichkeit bewusst, diese Rechte zu schützen und zu verteidigen. Sie betrachtet das als Teil ihrer eigenen Heilssendung, gemäß dem Beispiel Jesu, der sich immer für die Bedürfnisse der Menschen, besonders der ärmsten, eingesetzt hat.

Die Bejahung der Menschenrechte hat sich in der Kirche zunächst als konkreter Dienst an der Menschheit bemerkbar gemacht und ist erst später zu einem theoretischen, organischen und vollständigen System entwickelt worden. Beim Nachdenken über sie hat die Kirche freilich auch ihre philosophischen und theologischen Grundlagen sowie die juridischen, sozialen, politischen und ethischen Auswirkungen anerkannt, wie dies aus den Dokumenten ihrer Soziallehre hervorgeht.

Die Beharrlichkeit, mit der sie besonders in unserer Zeit die Achtung und die Verteidigung der Menschenrechte fordert, seien sie nun personal oder sozial, erklärt sich nicht nur aus der Tatsache, dass ihr Eintreten dafür heute wie gestern vom Evangelium diktiert wird,<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 41. </ref> sondern auch, weil sich aus dem Bedenken dieser Rechte eine neue theologische und sittliche Weisheit entwickelt, um den Problemen in der Welt von heute entgegenzutreten.<ref> Ebd., Nr. 26, 73, 76. </ref>

Zumal das Recht auf Religionsfreiheit, insofern es den innersten Raum des Geistes betrifft, "erweist sich als Bezugspunkt und wird gewissermaßen zum Maßstab für die übrigen Grundrechte."<ref> Johannes Paul II., Botschaft zum XXI. Weltfriedenstag (8. Dezember 1987), Nr. 1: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, x, 3 (1987), S. 1334. </ref> Heute wird es von etlichen öffentlichen und privaten, nationalen und internationalen Organisationen betont und verteidigt. Die katholische Kirche zeigt sich ihrerseits besonders solidarisch mit jenen, die wegen ihres Glaubens diskriminiert oder verfolgt werden, und sie setzt sich kraftvoll und beharrlich dafür ein, dass solche ungerechten Situationen überwunden werden.


Der Beitrag des päpstlichen Lehramtes zu den Menschenrechten

33 Zusammen mit dem Lehramt des Konzils hat sich das päpstliche Lehramt eingehend mit dem Thema der Rechte der menschlichen Person befasst und diese weiterentwickelt. Schon Pius XII. hat auf dem Naturrecht beruhend Prinzipien für eine soziale Ordnung, die der Würde des Menschen entspricht, verkündet, wie dies in einer gesunden Demokratie geschieht, die besser in der Lage ist, das Recht auf Freiheit, Frieden und materielle Güter zu achten. Im Anschluss daran war die Enzyklika Pacem in Terrys Johannes' XXIII. der erste päpstliche Text, der ausdrücklich den Menschenrechten gewidmet ist. So nahm die Kirche, die die "Zeichen der Zeit" erforscht, die Notwendigkeit wahr, die "universalen, unverletzlichen und unveräußerlichen" Rechte aller Menschen zu verkünden gegen jede Diskriminierung und gegen jede partikuläre Auffassung. Pacem in Terrys bekräftigt deswegen die Rechte des Menschen, die auf dem der Schöpfungsordnung zugehörigen und auf die Erlösung ausgerichteten Naturgesetz beruhen, korrigiert aber einen gewissen individualistischen Aspekt der traditionellen Auffassung über die Wechselseitigkeit von Rechten und Pflichten, indem sie die Rechte in einen Zusammenhang mit der Solidarität einbezieht und die gemeinschaftsbezogenen Bedürfnisse, die dies mit sich bringt, unterstreicht.

Paul VI. hat seinerseits in der Enzyklika Populorum progressio, ohne die Menschenrechte vom Bereich der Vernunft zu trennen und der Linie des II. Vatikanischen Konzils folgend, ihr christliches Fundament hervorgehoben und gezeigt, wie der Glaube ihre innere Dynamik verwandelt. Man muss außerdem feststellen, dass, wie Pacem in Terrys die Charta der Menschenrechte ist, Populorum progressio die Charta der Rechte der armen Völker auf Entwicklung ist. Später vertieft Johannes Paul Il diese Betrachtung, indem er die Menschenrechte gleichzeitig in den drei Dimensionen der vollen Wahrheit über den Menschen: in der Würde des Menschen als solcher, im Menschen als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen, im Menschen, der in das Geheimnis Christi eingefügt ist, begründet. Auf diese Würde des Menschen, gesehen im Licht des Erlösungswerkes Christi, gründet sich die Heilssendung der Kirche. Darum kann sie nicht schweigen, wenn die unantastbaren Rechte der Menschen und Völker verletzt werden oder in Gefahr sind. Aus christlicher Sicht sind die Nationen und Länder in der Tat eine menschliche Wirklichkeit von positivem und unverzichtbarem Wert, die auf den unantastbaren Rechten im Schoße der verschiedenen Völker ruht, und im besonderen, was das Recht der Völker auf die eigene Identität und auf die eigene Entwicklung anbelangt.<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 17: AAS 71 (1979), S. 295 ff.; Botschaft L 'Eglise catholique an die Unterzeichner des Helsinki Abkommens (1975) über die Freiheit des Gewissens und der Religion (1. September 1980): AAS 72 (1980), S. 1252ff.; Johannes Paul II., Ansprache Je désire an die Vertreter der Vereinten Nationen (2. Oktober 1979), Nr. 6: AAS 71 (1979), S. 1146-1147; Ansprache Uma cordialissima saudação an die Indios des Amazonas (10. Juli 1980): AAS 72 (1980), S. 960 ff. </ref>


Das Verhältnis Mensch-Gesellschaft

34 Der Mensch ist von seiner Natur aus ein soziales Wesen, oder besser gesagt, durch seine angeborene Bedürftigkeit und durch seine natürliche Neigung darauf angelegt, in Beziehungen mit anderen zu leben. Diese Gesellschaftlichkeit des Menschen ist das Fundament jeder Gesellschaftsform und der damit einhergehenden sittlichen Ansprüche. Der Mensch kann sich nicht selbst genügen, um seine volle Entwicklung zu erreichen, braucht er die anderen und die Gesellschaft.

Dieses Prinzip der wechselseitigen Abhängigkeit von Mensch und Gesellschaft, wesentlich verbunden mit dem Prinzip der Würde der menschlichen Person, bezieht sich auf das Gesamt des sozialen Lebens der Menschen, das nach geeigneten und angemessenen Gesetzen geregelt wird, die vermittels der christlichen Betrachtungsweise vervollkommnet werden.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 25. </ref> Das Verständnis der vielfältigen Aspekte des heutigen Gesellschaftslebens ist nicht immer einfach, wenn man die raschen und tiefgreifenden Veränderungen berücksichtigt, die sich dank der Intelligenz und der Kreativität des Menschen auf allen Gebieten ereignen. Veränderungen lösen ihrerseits Krisen aus, die sich entweder in der inneren Unausgeglichenheit des Menschen widerspiegeln, der seine Macht ständig vergrößert, ohne dass es ihm gelingt, diese in die richtigen Bahnen zu lenken; oder sich in den sozialen Beziehungen zeigen, soweit die Gesetze, die das soziale Leben regeln, nicht immer genau angewandt werden.<ref> Ebd., Nr. 4. </ref>

35 Die menschliche Gesellschaft ist daher der Gegenstand der Soziallehre der Kirche, die sich ja weder außerhalb noch über den sozial miteinander verbundenen Menschen befindet, sondern ausschließlich in ihnen, und deshalb für sie da ist. Die Kirche beharrt auf dem Begriff der „innerlich sozialen Natur" des Menschen.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 453. </ref> Hier muss indessen bedacht werden, dass „sozial“ nicht mit dem „Kollektiv“ zusammenfällt, für das die Person nur ein schieres Produkt ist. Die Kraft und die Dynamik dieser sozialen Bedingtheit der Person entwickeln sich in vollem Umfange innerhalb der Gesellschaft, die in dieser Weise die Beziehungen des Zusammenlebens national wie international wachsen lässt.<ref> Ebd.:AAS 53 (1961) S. 415f. </ref>

36 Aus der Würde der menschlichen Person, ihren Rechten und ihrer Gesellschaftlichkeit leiten sich die anderen bleibenden Prinzipien ab, die das Sozialleben leiten und regeln. Unter ihnen sind jene zu erwähnen, die – aus vertiefter Beachtungsweise des Lehramtes - auf das Gemeinwohl, die Solidarität, die Subsidiarität, die Teilhabe am sozialen Leben, die organische Auffassung des sozialen Lebens und die Bestimmung der Güter für alle hinzielen.


Das Gemeinwohl

37 Wenn man von den Gesetzen oder Prinzipien zur Regelung des sozialen Lebens spricht, muss man an erster Stelle das „Gemeinwohl“ nennen. Auch wenn es "in seinen wesentlichen und tiefer liegenden Aspekten nicht in lehrhaften Begriffen erfasst und noch weniger in seinen geschichtlichen Zusammenhängen bestimmt werden kann",<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS 55 (1963), S. 272. </ref> so kann es doch umschrieben werden als "die Gesamtheit jener sozialen Bedingungen, die den Menschen die volle Entfaltung der Person gestatten und sie begünstigen".<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 417; vgl. Pius XII., Radioansprache Con sempre nuova freschezza (24. Dezember 1942): AAS 35 (1943), S. 13. </ref> Daher ist das Gemeinwohl, auch wenn es über dem privaten Interesse steht, nicht vom Wohl der menschlichen Person zu trennen. Es verpflichtet die öffentliche Gewalt, die Menschenrechte anzuerkennen, zu achten, zu erfassen, zu schützen und zu fördern und darauf hinzuwirken, dass die entsprechenden Pflichten leichter erfüllt werden. Folglich kann man die Verwirklichung des Gemeinwohls als die Daseinsberechtigung der öffentlichen Gewalt anzusehen, die verpflichtet ist, es zum Wohl aller Bürger und eines Menschen in die Tat umzusetzen, wobei dieser in seiner irdisch-zeitlichen und transzendenten Dimension gesehen werden muss und eine gerechte Hierarchie der Werte und die Erfordernisse der geschichtlichen Umstände berücksichtigt werden müssen.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS 55 (1963), S. 272. </ref>

Wenn die Kirche daher das Gemeinwohl als einen Dienstwert, als einen Organisationswert des sozialen Lebens und der neuen Ordnung des menschlichen Zusammenlebens ansieht, so stellt sie seine humane Bedeutung und seine Fähigkeit heraus, die sozialen Strukturen in ihrer Gesamtheit und in ihren einzelnen Sektoren zu beleben und tiefgreifende Veränderungen auf der Linie sozialer Gerechtigkeit zu bewirken.


Solidarität und Subsidiarität

38 Die Solidarität und die Subsidiarität sind zwei weitere wichtige Prinzipien, die das soziale Leben regeln. Nach dem Prinzip der Solidarität ist jede Person als Mitglied der Gesellschaft unauflöslich mit dem Geschick eben dieser Gesellschaft verbunden und, kraft des Evangeliums, mit der Erlösung aller Menschen. In der neuen Enzyklika Sollicitudo rei socialis hat der Papst besonders die Wichtigkeit dieses Prinzips unterstrichen und es als eine menschliche und christliche Tugend hingestellt.<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 39-40: AAS 80 (1988), S. 566-569. </ref> Die ethischen Erfordernisse dieses Prinzips verlangen, dass alle Menschen, Gruppen und Ortsgemeinden, Vereine und Organisationen, Nationen und Kontinente aktiv teilhaben an der Gestaltung des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens, wobei jedoch eine rein individualistische Sichtweise überwunden werden muss.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 30-32; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libel1atis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 73: AAS 79 (1987), S. 586; Johannes Paul II., Ansprache Je désire bei der 68. Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz (15. Juni 1982): AAS 74 (1982), S. 992 ff. </ref> Als Gegenstück zur Solidarität muss die Subsidiarität gesehen werden, die die menschliche Person, die örtlichen Gesellschaften und die "funktionalen Körperschaften" vor den Gefahren schützt, ihre legitime Autonomie zu verlieren. Die Kirche sorgt für die Einhaltung dieses Prinzips wegen der Würde der menschlichen Person, wegen der Achtung für das Humane in der Organisation des sozialen Lebens<ref> Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931), S. 203; Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS 55 (1963), S. 294; Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981): AAS 73 (1981), S. 616; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 73: AAS 79 (1987), S. 586. </ref> und wegen des Schutzes der Rechte der Völker in den Beziehungen zwischen den einzelnen Gemeinschaften und der Gesamtgesellschaft.


Organische Auffassung des sozialen Lebens

39 Wie aus dem vorher Gesagten hervorgeht, kann man eine geordnete Gesellschaft nicht in angemessener Weise verstehen ohne eine organische Auffassung des sozialen Leben!. Dieses Prinzip erfordert, dass die Gesellschaft einerseits auf der inneren Dynamik ihrer Glieder gründet - sie hat ihren Ursprung in der Intelligenz und im freien Willen der Personen, die in solidarischer Verbundenheit das Gemeinwohl suchen -, andererseits auf der Struktur und der Organisation der Gesellschaft. Diese besteht nämlich nicht nur aus freien Einzelpersonen, sondern auch aus Zwischengliedern, die sich zu größeren Einheiten zusammenschließen, angefangen von der Familie, über die örtlichen Gemeinschaften, Berufsverbände, Regionen und Nationalstaaten bis hin zu den übernationalen Organisationen und zur Gesamtgesellschaft aller Völker und Nationen.<ref> Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931): AAS 23 (1931), S. 203; Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 409-410, 413; Paul VI. Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 33: AAS 59 (1967), S. 273-274; Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 46-47: AAS, 63 (1971), S. 433-437; II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 30-31. </ref>


Die Teilhabe

40 Die Teilhabe am sozialen Leben nimmt in der jüngsten Entwicklung der Soziallehre der Kirche einen herausragenden Platz ein. Ihre Bedeutung liegt in dem Tatbestand, dass Sie die Verwirklichung der sittlichen Erfordernisse der sozialen Gerechtigkeit sichert. Die gerechte, angemessene und verantwortliche Teilhabe aller Glieder und Sektoren der Gesellschaft an der Entwicklung des sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Lebens ist der sichere Weg, um zu einem neuen menschlichen Zusammenleben zu gelangen. Nicht nur, dass die Kirche nicht nachlässt, an dieses Prinzip zu erinnern,<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS 55 (1963), S. 278; II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 9, 68; Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 44: AAS 80 (1988), S. 576-577. </ref> sie findet darin auch eine ständige Motivation, um die Verbesserung der Lebensqualität der Individuen und der Gesellschaft als solcher zu begünstigen. Es handelt sich hier um eine tiefe Sehnsucht des Menschen, die seine Würde und Freiheit im wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, in der Arbeitswelt und im öffentlichen Leben zum Ausdruck bringt.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 423; Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 22: AAS 63 (1971), S. 417; Johannes Paul II. Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr.15: AAS 73 (1981), S. 617; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 86: AAS 79 (1987), S. 593. </ref>


Menschliche Strukturen und Personengemeinschaften

41 Zu wiederholten Malen hat die Kirche versucht, der wirklichen Gefahr vorzubeugen, die die Menschenwürde, die individuelle Freiheit und die sozialen Freiheiten bedroht. Sie kommt aus einer technizistischen und mechanistischen Auffassung des Lebens und der sozialen Strukturen, die der Entfaltung eines echten Humanismus nicht genügend Raum lässt. In nicht wenigen Nationen verwandelt sich der moderne Staat in eine gigantische Verwaltungsmaschine, die in alle Bereiche des Lebens eindringt und den Menschen in einen Zustand von Angst, und Bedrängnis versetzt, der seine Entpersönlichung bestimmt.<ref> Pius XII., Radioansprache Levate capita vestra (24. Dezember 1952): AAS 45 (1953), S. 37. </ref>

Die Kirche hat deshalb die Schaffung von Organisationen und vielseitigen privaten Vereinigungen für notwendig gehalten. Sie geben nämlich der Person den ihr zustehenden Raum und stimulieren das Wachsen von Beziehungen in der Zusammenarbeit in Unterordnung unter das Gemeinwohl. Da diese Organisationen authentische Gemeinschaften sind, müssen ihre Mitglieder als Personen betrachtet und geachtet werden. Sie sind aufgerufen, aktiv an den gemeinsamen Aufgaben teilzunehmen.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961): AAS 53 (1961), S. 416. </ref> Ein sicherer Weg, um dieses Ziel zu erreichen, ist nach Meinung der Kirche die Vereinigung von Arbeit und Kapital und die Bildung von gesellschaftlichen Zwischengliedern.<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 14: AAS 73 (1981), S. 612 ff. </ref>

Die Verwirklichung dieser Prinzipien, die das soziale Leben auf den verschiedenen Ebenen der sozialen Organisation und in den vielfältigen menschlichen Handlungsbereichen regeln, macht es möglich, jegliche Spannung zwischen Sozialisation und Personalisation zu überwinden. Die Beziehungen und sozialen Strukturen werden, wie man heutzutage beobachten kann, auf allen Ebenen vielfältiger; sie entstehen durch freie Entscheidungen und zielen darauf ab, die Lebensqualität zu verbessern. Dies kann man nicht anders als positiv bewerten, da es die Verwirklichung der menschlichen Solidarität offenkundig macht und eine Ausweitung des materiellen und geistigen Aktionsradius der menschlichen Person begünstigt.


Die Bestimmung der Erdengüter für alle

42 Mit diesem "für die Soziallehre der Kirche typischen Prinzip“<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987). Nr. 42: AAS 80 (1988), S. 573. </ref> wird betont, dass die Güter der Erde zum Gebrauch sämtlicher Menschen bestimmt sind, um ihr Recht auf Leben entsprechend ihrer Würde als Personen und den Bedürfnissen der Familie befriedigen zu können. Tatsächlich hat Gott "die Erde mit allem, was sie enthält, zum Nutzen aller Menschen und Völker bestimmt; darum müssen diese geschaffenen Güter in einem billigen Verhältnis allen zustatten kommen; dabei hat die Gerechtigkeit die Führung, Hand in Hand geht mit ihr die Liebe",<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 69. </ref> Daraus folgt, dass das Recht auf Privateigentum, in sich gültig und notwendig, innerhalb der Grenzen seiner sozialen Funktion umschrieben werden muss. Wie hier das Lehramt in der Enzyklika Laborem exercens sagt, "hat die christliche Tradition dieses Recht nie als absolut und unantastbar betrachtet. Ganz im Gegenteil, sie hat es immer im größeren Rahmen des gemeinsamen Rechtes aller auf die Nutzung der Güter der Schöpfung insgesamt gesehen: das Recht auf Privateigentum als dem gemeinsamen Recht auf Nutznießung untergeordnet, als untergeordnet der Bestimmung der Güter für alle".<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 14: AAS, 73 (1981), S. 613. </ref>

2. Die Grundrechte

Der sichere Weg

43 Die Prinzipien der Soziallehre der Kirche, soweit sie als Gesetze das soziale Leben regeln, sind nicht unabhängig von der tatsächlichen Anerkennung der die mit der Menschenwürde verknüpft sind. Diese Werte sind in der Hauptsache: die Wahrheit, die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Solidarität und die christliche Liebe. Diese Grundwerte zu leben ist der sichere Weg nicht nur zur persönlichen Vervollkommnung, sondern auch zur Aktivierung eines authentischen Humanismus und eines neuen sozialen Zusammenlebens. Deshalb muss man sich auf sie berufen, um eine wirksame Reform der wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und technologischen Strukturen sowie die notwendigen Veränderungen in den Institutionen zu bewerkstelligen.


Auf dem Wege zu einer neuen Gesellschaft

44 Die große Bedeutung dieser Werte erklärt, warum die Kirche sie immer mit solcher Beharrlichkeit als die wahren Grundlagen einer neuen menschenwürdigen Gesellschaft vorstellt. Obwohl sie die Eigenständigkeit der irdischen Wirklichkeiten nicht verkennt,<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 36. </ref> weiß die Kirche sehr wohl, dass die von Menschen im Sozialleben entdeckten und angewandten Gesetze nicht aus sich selbst, gleichsam mechanisch, das Glück aller garantieren. Sie müssen nämlich unter der Führung jener Werte angewandt werden, die sich aus der Auffassung über die Wurde der menschlichen Person ergeben.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. Apri11963): AAS 55 (1983), S. 259. </ref> Alle die Werte bezeugen die Priorität der Ethik vor der Technik, den Vorrang des Menschen vor den Dingen, die Überlegenheit des Geistes über die Materie.<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 16: AAS 71 (1979), S. 290 f. </ref>


Die "Weisheit" im sozialen Engagement

45 Diese Werte geraten jedoch häufig in Konfliktsituationen, wo sie offen oder indirekt verneint werden. In solchen Fällen ist es für den Menschen schwierig, sie alle folgerichtig und gleichzeitig zu beachten. Aus diesem Grunde wird das christliche Unterscheidungsvermögen in den jeweiligen Umständen noch notwendiger, um die richtige Entscheidung im Lichte der Grundwerte des Christentums zu treffen. Das ist die Art und Weise, die authentische "Weisheit" zu praktizieren, die die Kirche bei der Erfüllung des sozialen Auftrages von den Christen und allen Menschen guten Willens fordert.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963): AAS 55 (1963), S. 265 f.; Johannes Paul II. Enzyklika Dives in misericordia (30. November 1980), Nr. 12: AAS 72 (1980), S. 1215; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 3, 4. 26, 57: AAS 79 (1987), S. 556f., 564f., 578. </ref>


Werte für den Fortschritt

46 Unter Berücksichtigung der überaus komplexen menschlichen Gesellschaft von heute und der Notwendigkeit der Förderung bestimmter Werte als Fundament einer neuen Gesellschaft ist die Kirche aufgerufen, den Erziehungsprozess zu intensivieren mit dem Ziel, nicht nur die Individuen, sondern auch die öffentliche Meinung - zumindest in den Ländern, wo sie zugelassen und ihre Wirksamkeit gewährleistet ist - für die Einsicht zu gewinnen, wie lebensnotwendig es ist, die Grundwerte der menschlichen Person zu verteidigen und zu fördern, ohne die es keine wahrhaft menschliche und ganzheitliche Entwicklung einer jeden Gesellschaft geben kann.

Deshalb wird es nicht möglich sein, die Grundlagen für den authentischen menschlichen Fortschritt zu schaffen, wie er von der Kirche neuerdings in ihrem sozialen Lehramt gefordert wird, ohne dass die Menschenwürde und ihre ethischen und transzendenten Erfordernisse immer neu bekräftigt werden; ohne dass eine Ethik der Verantwortung und der Solidarität zwischen den Völkern<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 89-91: AAS 79 (1987), S. 594-595; Päpstliche Kommission "Iustitia et Pax", Dokument Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: Ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise (27. Dezember 1986), Teil III.: L 'Osservatore Romano (28. Januar 1987), Arbeitshilfen 50. </ref> und der sozialen Gerechtigkeit besteht und ohne dass der Sinngehalt der Arbeit einer Überprüfung unterzogen wird,<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 3, 6, 12, 14: AAS 73 (1981), S. 583, 589 f., 605 f., 612 f.; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 81-87: AAS 79 (1987), S. 591-593. </ref> der auf eine gleichmäßige Verteilung der Arbeit abzielt.

IV. Die Beurteilungskriterien

Die Kenntnis der Wirklichkeit

47 Die Soziallehre der Kirche hat zum Ziel, nicht nur ein theoretisches, sondern auch ein praktisches und auf die pastorale Aktion gerichtetes Wissen zu vermitteln. Das ist der Grund, warum sie außer den bleibenden Prinzipien auch Kriterien anbietet, um die Situationen, Strukturen, Institutionen, die das wirtschaftliche, soziale, politische, kulturelle und technologische Leben organisieren, und die sozialen Systeme selbst richtig zu beurteilen.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 74; AAS 79 (1987), S. 587. </ref> In diesem Zusammenhang gibt es keinen Zweifel, dass es mit zum Verkündigungsauftrag der Kirche gehört, sich mehr oder weniger humanen Lebensbedingungen der Personen" über soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Strukturen und Systeme im Hinblick auf die Erfordernisse der sozialen Gerechtigkeit äußern.

Um ihr diesbezügliches Urteil in korrekter Weise abgeben zu können, muss die Kirche die örtlichen, nationalen und internationalen geschichtlichen Verhältnisse kennen sowie die kulturelle Identität jeder Gemeinschaft und jedes Volkes. Auch wenn sie sich dabei aller Mittel der Wissenschaften bedient, so bleibt es doch gewiss, dass ihr hauptsächlicher Bezugspunkt für die Annäherung an die soziale Wirklichkeit immer die oben genannten Grundwerte bleiben, die in ausgeprägtem Maße "Beurteilungskriterien" für das christliche Unterscheidungsvermögen abgeben. Diejenigen, die in den offiziellen Erklärungen der Soziallehre enthalten sind, sind unverzichtbar und müssen deshalb beim Unterricht in den Seminarien und an den Theologischen Fakultäten bekannt gemacht und gewürdigt werden.


Die Fähigkeit zum objektiven Urteil

48 Das Recht und die Pflicht der Kirche, moralische Urteile abzugeben, verlangt von allen, die im pastoralen und kirchlichen Dienst tätig sind, die Befähigung zum objektiven Urteil über die verschiedenen Situationen und Strukturen und die verschiedenen ökonomisch-sozialen Systeme. Schon die Kenntnis .der sozialen Probleme und ihre ethische Interpretation im Lichte des Evangeliums, wie dies in der Soziallehre der Kirche gegeben ist, bieten Orientierungen für dieses Urteil, von denen die christlichen Verhaltensweisen und die Entscheidungen bestimmt sein sollen. Der Übergang von der Lehre zur Praxis setzt jedoch kulturelle, soziale, wirtschaftliche und politische Vermittlungen voraus, für die besonders, wenn auch nicht ausschließlich, die Laien zuständig sind, denen es obliegt, die zeitlichen Dinge in eigener Initiative und in eigener Verantwortung zu gestalten.


Beispiele von Urteilen

49 Wenn man die Dokumente durchsieht, stellt sich in der Tat heraus, dass die Soziallehre der Kirche zahlreiche Urteile über konkrete Situationen, Strukturen, soziale Systeme und Ideologien enthält. Man kann einige Fälle als Beispiel anführen: Rerum novarum spricht von den Ursachen des Elends der Arbeiter und nennt das "Joch", das ihnen von "einer eher kleinen Zahl extrem Reicher<ref> Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891); Acta Leonis XIII, 11 (1891), S. 99. </ref> aufgezwungen wird; Quadragesimo anno urteilt, dass durch den Zustand der menschlichen Gesellschaft in der damaligen Zeit Gewalttätigkeit und Streit begünstigt werden;<ref> Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931); AAS 23 (1931), S. 219 f. </ref> das ,,II. Vatikanische Konzil" beschreibt das gestörte Gleichgewicht in der modernen Welt und schließt mit der Feststellung, dass dieses zu Misstrauen, Konflikten und Unglück führen wird, die sich gegen die Menschen richten;<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 8. </ref> Populorum progressio wagt es, die Beziehungen zwischen den fortgeschrittenen und den Entwicklungsländern als ungerecht anzuprangern;<ref> Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), Nr. 48-49; AAS 59 (1967), S. 281. </ref> Laborem exercens sagt, dass auch heute noch verschiedene ideologische Systeme schlimme Ungerechtigkeiten verursachen;<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborern exercens (14. September 1981), Nr. 8; AAS 73 (1981), S. 596. </ref> Sollicitudo rei socialis kritisiert die Aufteilung der Welt in zwei Blöcke (Ost und West) und die negativen Folgen, die das für die Entwicklungsländer hat,<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 21; AAS 80 (1988), S. 537-539. </ref> Natürlich besitzen die moralischen Urteile über Situationen, Strukturen und Gesellschaftssysteme nicht denselben Grad an Autorität, der dem Lehramt der Kirche eigen ist, wenn es sich über fundamentale Prinzipien ausspricht. Indessen haben die Urteile über Verletzungen der Menschenrechte ein großes Gewicht, weil sie an Prinzipien und Werte anknüpfen, die auf dem göttlichen Gesetz selbst beruhen.


Die Gefahr ideologischen Einflusses

50 Zum Zwecke eines realistischen Dialoges mit den Menschen, eines richtigen Zuganges zu den verschiedenen Umständen des sozialen Zusammenlebens und einer objektiven Kenntnis der Situationen, Strukturen und Systeme kann sich die Kirche, wenn sie ein Urteil abgibt, alle "von den Wissenschaften dargebotenen Hilfen“<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Optatam totius, Nr. 20. </ref> zunutze machen, z. B. kritisch aufbereitete empirische Daten, wobei sie sich sehr wohl bewusst ist, dass es nicht ihre Aufgabe ist, die Wirklichkeit und die möglichen Folgen sozialer Veränderungen wissenschaftlich zu analysieren.<ref> Johannes Paul II. Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr.l; AAS 73 (1981), S. 580. </ref> Dies gilt für die Kirche allgemein wie für die Kirchen in den einzelnen Ländern.

Ein wichtiges Kriterium für die Verwendung der von den Sozialwissenschaften dargebotenen Mittel ist die Erinnerung daran, dass die soziologische Analyse nicht immer eine objektive Verarbeitung der Daten und Fakten gibt, da diese schon von Anfang an einer bestimmten ideologischen Sicht unterworfen sein kann oder einer ganz bestimmten politischen Strategie, wie das bei der marxistischen Analyse der Fall ist. Bekanntlich hat es das Lehramt nicht versäumt, offiziell die Gefahr beim Namen zu nennen, die von dieser Art von Analysen für den christlichen Glauben und für das Leben der Kirche kommen kann.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 34, AAS 63 (1971), S. 424 f., Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis nuntius über einige Aspekte der" Theologie der Befreiung" (6. August 1984), Teil VII., Nr. 6; AAS 76 (1984), S. 890 f. </ref>

Diese Gefahr des ideologischen Einflusses auf die soziologische Analyse existiert gleichfalls in der liberalen Ideologie, die das kapitalistische System, inspiriert; in dieser Analyse werden die empirischen Daten oft aus Prinzip einer individualistischen Sicht der wirtschaftlich-sozialen Verhältnisse unterworfen, was im Kontrast zur christlichen Auffassung steht.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 26; AAS 63 (1971), S. 420. </ref>

Sicherlich kann man das Schicksal des Menschen nicht zwischen diesen beiden in der Geschichte entgegengesetzten Modellen eingrenzen, weil dies das Gegenteil der Freiheit und der Kreativität des Menschen wäre. Und die Geschichte der Menschen, der Völker und Gemeinschaften hat sich in der Tat immer als reich gegliedert erwiesen, und in den verschiedenen Epochen waren die sozialen Modelle immer vielfältig. Hier muss man verdeutlichen, dass zahlreiche Varianten des Prinzips des wirtschaftlichen Liberalismus, wie sie von christlich-demokratischen oder sozial-demokratischen Parteien vertreten werden, nicht länger als Ausdruck des "Liberalismus" im strengen Sinn aufgefasst werden können, vielmehr als neue Alternativen der sozialen Ordnung zu betrachten sind.


Die richtige Entscheidung

51 Besondere Aufmerksamkeit verdient der Dialog der Kirche mit den geschichtlichen Bewegungen, die versucht haben, das akute Dilemma zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu überwinden. Indessen möchte die Kirche mit ihrer Soziallehre keineswegs ein sozio-ökonomisches und politisch-alternatives System ermutigen, noch von sich aus ein ganz bestimmtes Gesellschaftsmodell formulieren, insofern diese Aufgabe den Gruppen und Gemeinschaften zukommt, die mit sozialen und politischen Aufgaben betraut sind. Die Christen sind jedoch aufgerufen, beständig ihr Unterscheidungsvermögen einzusetzen. Außerdem muss der Dialog und der eventuelle Einsatz von Christen in Bewegungen, "die aus verschiedenen Ideologien entstanden sind, andererseits jedoch von diesen abweichen", immer mit Bedacht und dem gehörigen kritischen Urteilsvermögen erfolgen und immer mit Bezug auf das moralische Urteil, das das Lehramt der Kirche verkündet hat.<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris (11. April 1963); AAS 55 (1963), S. 300; Dokument von Puebla, Nr. 554-557. </ref>

Die Heilssendung der Kirche ist aus der Lehre, dem Zeugnis und dem Leben Jesu Christi selbst, dem Erlöser, hervorgegangen. Dies schließt ein, dass zwei unausweichliche Entscheidungen zu treffen sind, die eine für den Menschen gemäß dem Evangelium und die andere für das Bild der Gesellschaft, wie es das Evangelium erfordert. Ohne angesichts der "liberalen Utopie" und der "sozialistischen Utopie"<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 41; AAS 80 (1988), S. 571. </ref> auf einen "dritten Weg" hypothetisch zu setzen, muss die Option der Gläubigen immer einem Modell gelten, das die sozio-ökonomischen Beziehungen menschlicher macht das mit der oben genannten Wertskala übereinstimmt. In dieser Sicht sind die Pfeiler eines jeden wahrhaft humanen Modells, also in Übereinstimmung mit der Würde der Person, die folgenden: Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe, Verantwortung, Solidarität und Friede. Die Verwirklichung dieser Werte innerhalb der Strukturen der Gesellschaft verlangt den Primat des Menschen vor den Dingen, die Priorität der Arbeit vor dem Kapital, die Überwindung der Antinomie Arbeit - Kapital.<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr.12, 14f.; AAS 73 (1981), S. 605 f., 612 f. </ref> Diese Entscheidungen sind in sich selbst nicht politisch, aber sie rühren an die politische Sphäre und besonders an das Verhältnis Kirche - Politik; sie sind auch nicht sozio-ökonomischer Natur, aber sie betreffen diesen Bereich gleichfalls im Verhältnis von Mensch – Gesellschaft und Kirche - Gesellschaft. So ist klar, dass man auf das sittliche Urteil der Kirche über die Grundlagen des sozialen Systems, das man aufbauen will, nicht verzichten kann, auch nicht über die Pläne und konkreten Programme des Zusammenlebens, in die auch das Bild des Menschen und der Gesellschaft, wie es im Evangelium enthalten ist, einfließen muss.


Soziale Aufgaben der Kirche in den einzelnen Ländern

52 Die Kirche ist in ihrem jeweiligen Gebiet auch auf sozialem Feld Zentrum des Denkens, der sittlichen Reflexion und des pastoralen Handeins. Sie kann in der Tat die besondere örtliche Problematik nicht außer acht lassen, denn diese erfordert geeignete Anpassungen, wie es in zahlreichen Hirtenbriefen der Bischöfe und der Bischofskonferenzen geschieht. Für eine richtige Bewertung der Situationen in der sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Wirklichkeit, in der sich die Kirche befindet, und für den wirksamen Beitrag zu ihrem Fortschritt und, wenn nötig, zu ihrer Veränderung, kommt es sehr darauf an, dass die Prinzipien und Urteilskriterien aus den Quellen der Soziallehre geschöpft werden, die für die ganze Kirche gültig sind.<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 36, AAS 63 (1971), S. 425. </ref>


Neue Urteile in neuen Situationen

53 Es kann sein, dass veränderte Situationen die Änderung eines früheren in einer anderen Situation gefällten Urteils erfordern. Das erklärt, warum es tatsächlich in der Soziallehre der Kirche heute Urteile gibt, die von früheren verschieden sind, wenngleich immer in der Kontinuität der vorgegebenen Prinzipien. Auf jeden Fall ist klar, dass ein reifes Urteil über neue Situationen, über neue Modelle für die Gesellschaft und über neue Programme für sie nicht nur von der Soziallehre abhängt, sondern auch von der theologisch-philosophischen Ausbildung, vom politischen Gespür und vom Beurteilungsvermögen für die Veränderungen in der Welt. Alles das erfordert eine mittelbare und unmittelbare Vorbereitung, Studium und Überlegung, ganz wie es in diesen Leitlinien empfohlen wird.

V. Richtlinien für die soziale Aktion

Die Aktionskriterien

54 Die Soziallehre der Kirche als theoretisch-praktisches Wissen ist auf die Evangelisierung der Gesellschaft gerichtet. Sie schließt daher notwendigerweise die Aufforderung zur sozialen Aktion mit ein und bietet für die verschiedenen Situationen geeignete Richtlinien an,<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961); AAS 53 (1961), S. 455 f. </ref> die von den oben erläuterten fundamentalen Prinzipien und Beurteilungskriterien inspiriert sind.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 76, AAS 79 (1987), S. 558 f. </ref> Die empfohlene Aktion ergibt sich nicht von vornherein ein für allemal aus den philosophischen und ethischen Erwägungen, sondern wird von Fall zu Fall mit Hilfe des christlichen Unterscheidungsvermögens für die Wirklichkeit verdeutlicht im Licht des Evangeliums sowie der Soziallehre der Kirche dargelegt, die sich auf diese Weise in jeder geschichtlichen Stunde als aktuell erweist. Es wäre deshalb ein großer doktrinärer und methodologischer Fehler, wenn man bei der Darstellung der Probleme einer jeden geschichtlichen Epoche nicht die reiche von der Kirche erworbene Erfahrung berücksichtigen würde, die in ihrer Soziallehre zum Ausdruck kommt. Deshalb müssen alle Christen sich mit einem gut gebildeten Gewissen den neuen Situationen jeweils gemäß den ethischen Forderungen des Evangeliums stellen. Sie müssen ein wirklich christliches soziales Empfinden zeigen, das im aufmerksamen Studium der verschiedenen Äußerungen des Lehramtes gereift ist.


Die Achtung vor der Würde der menschlichen Person

55 In ihrer sozialen Pastoral setzt sich die Kirche für die volle Verwirklichung der Förderung des Menschen ein. Dieser Fortschritt fallt mit unter den Heilsplan zur Rettung des Menschen und zum Aufbau des Reiches Gottes, insofern er die menschliche Person in allen ihren natürlichen und übernatürlichen Dimensionen erhöhen will. Wie Gaudium et spes lehrt, erfordert die Sendung zur Evangelisierung, die das Heil und damit die endgültige Befreiung des Menschen im Auge hat, ein unterschiedliches pastorales Vorgehen, je nach dem Umfeld, in der sie erfolgt: ein prophetisches, ein liturgisches oder ein dienendes. In ihren Beziehungen zur Welt ist die pastorale Aktion der Kirche eine aus dem Glauben kommende Aktion der Präsenz, des Dialogs und des Dienstes auf dem weiten Feld sozialer, wirtschaftlicher, politischer, kultureller, technologischer, ökologischer usw. Belange; mit einem Wort: sie umfasst das ganze Panorama der zeitlichen Wirklichkeit.

Da der Mensch Vorrang vor den Dingen hat, ist ein erstes Kriterium oder eine Regel nicht nur zur Beurteilung, sondern auch zur Aktion, die Würde der menschlichen Person. Sie umfasst die Achtung und die Förderung aller persönlichen und sozialen Rechte, wie es ihrer Natur entspricht.

Die Moralität, die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht hängt davon ab, ob die von den verschiedenen sozialen Trägern (Regierungen, politischen Parteien, Institutionen und Organisationen, Personen und Gruppen) vertretenen politischen Richtungen und Entscheidungen, Projekte und Programme mit der Würde der Person und den damit gegebenen unverletzlichen Forderungen übereinstimmen oder nicht.


Respektvoller Dialog

56 In der Situation der heutigen Welt haben die tiefgreifenden Veränderungen auf allen Gebieten der menschlichen Aktivität, ökonomisch, kulturell, wissenschaftlich und technisch, neue Probleme aufkommen lassen, die den Einsatz aller Menschen guten Willens beanspruchen. Unter diesen Problemen ragen besonders heraus: Hunger, Gewalt, nationaler und internationaler Terrorismus, Abrüstung und Frieden, Auslandsverschuldung und Unterentwicklung der Länder der Dritten Welt, genetische Manipulationen, Drogen, Umweltbelastung usw.

In dieser Beziehung muss die pastorale Aktion der Kirche in Zusammenarbeit mit allen aufgeschlossenen und tätigen Kräften der heutigen Welt erfolgen. Ein zweites Aktionskriterium ist deshalb die Übung des respektvollen Dialoges als geeignete Methode, um mit Hilfe von abgestimmten Programmen und Vorgehensweisen eine Lösung der Probleme zu finden.


Kampf für Gerechtigkeit und soziale Solidarität

57 Darüber hinaus ist die Welt von heute durch weitere "Elendsbereiche"<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis (4. März 1979), Nr. 16; AAS 71 (1979), S. 292-293. </ref> und "andere Formen von schlimmer Ungerechtigkeit'<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 8; AAS 73 (1981), S. 596. </ref> mehr geprägt als in früheren Zeiten, als da sind: Hunger, Arbeitslosigkeit, soziale Randexistenz, Abstand zwischen den Reichen und den Armen (Ländern, Gebieten, Gruppen und Personen). Deshalb ist ein drittes Aktionskriterium der "edle und vernünftige Kampf für Gerechtigkeit und soziale Solidarität".<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 77; AAS 79, (1987), S. 589 f., Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 20; AAS 73 (1981), S. 629 ff. </ref>


Ausbildung für das notwendige Fachwissen

58 Die konkrete Aktion in dieser Welt ist, worauf das Lehramt hinweist, hauptsächlich Aufgabe der Laien, die sich beständig von ihrem christlichen Gewissen leiten lassen müssen. Deshalb müssen sie zusammen mit der moralischen und geistigen Ausbildung die notwendige Kompetenz auf wissenschaftlichem und politischem Gebiet erwerben, die sie für eine wirksame, gemäß den echten sittlichen Kriterien geführte Aktion befähigt.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 43; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 80; AAS 79 (1987), S. 590 f.; Instruktion Liberatis nuntius über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung" (6. August 1984), Nr. 12-14; AAS, 76 (1984), S. 906 ff. </ref> Doch in dieser Beziehung kommen auch Aufgaben von nicht geringerem Gewicht auf die Geistlichen zu, die den Laien helfen müssen, ein richtiges christliches Gewissen zu entwickeln und ihnen "Licht und Kraft"<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 43; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis nuntius über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung" (6. August 1984), Nr. 14; AAS 76 (1984), S. 906ff. </ref> zu geben. Es ist klar, dass die Geistlichen diese besondere Aufgabe nur erfüllen können, wenn sie ihrerseits die Soziallehre gut kennen und vertreten und wenn sie im Licht des Wortes Gottes und nach dem Beispiel des Herrn eine Sensibilität für die Arbeit in diesem Bereich erworben haben. Deshalb ist die Ausbildung zu dieser Kompetenz ein viertes Aktionskriterium.

Am meisten zählt, wenn Geistliche und Laien eins sind und sich vereint wissen in der Teilhabe - jeder nach seinen eigenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Funktionen - in der Vielfalt der Gaben und der Ämter, an der einen Heilssendung der Kirche. In dieser ekklesiologischen Sicht wird die Aufgabe, die diesseitige Welt im christlichen Sinne zu beleben, nicht von der Hierarchie der Laien erteilt, vielmehr erwächst sie ursprünglich aus der Tatsache, dass sie getauft und gefirmt sind. In der heutigen Zeit ist man sich immer mehr dessen bewusst geworden, wie notwendig es ist, dass die Laien zur Sendung der Kirche in der Verkündigung des Evangeliums beitragen. Lumen gentium bestätigt, dass die Kirche an gewissen Orten und unter gewissen Umständen ohne sie nicht das Salz der Erde und das Licht der Welt werden kann.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, Nr. 33. </ref>


Welterfahrung und Glaubenserfahrung

59 Die kirchliche Identität der Laien, verwurzelt in der Taufe und in der Firmung und vollzogen in Kommunion und Mission, umfasst eine doppelte Erfahrung: jene, die auf der Kenntnis der natürlichen, zeitlichen und kulturellen Wirklichkeiten dieser Welt begründet ist, und jene, die aus ihrer Deutung im Lichte des Evangeliums kommt. Die beiden sind nicht austauschbar: Die eine kann nicht die andere ersetzen, aber beide finden die Einheit in ihrem Urgrund, der das Wort Gottes ist, das Wort, durch das alles geworden ist, und in ihrem letzten Ziel: dem Reich Gottes. Deshalb ist unter methodologischer Rücksicht ein fünftes Aktionskriterium der Gebrauch der doppelten Erfahrung: der Welt und des christlichen Glaubens.

Diese Methode in der Anwendung der Soziallehre der Kirche hilft allen Christen, besonders den Laien, der Wirklichkeit eine gerechtere Interpretation zu geben. Wenn sie so vorgehen, können sie sehen, inwieweit die humanen und christlichen Werte, die die Würde der menschlichen Person ausmachen, in der geschichtlichen Wirklichkeit verkörpert sind; wie die allgemeinen Prinzipien des Denkens und der Aktion auf sozialem Gebiet mit den Werten verknüpft sind, die eine Gesellschaft stets achten muss, um ihre eigenen Probleme zu lösen; wie sie eine konkrete Orientierung bei der Suche nach notwendigen Lösungen erlangen; wie sie Änderungen oder Umwandlungen der gesellschaftlichen Strukturen, die sich als ungenügend oder ungerecht herausstellen, anstoßen; wie sie die von allen Kräften auf politischer und kultureller Ebene ausgearbeiteten Programme mit Klugheit abwägen. Auf diese Weise wird der authentische Fortschritt des Menschen und der Gesellschaft gesichert, und zwar in einer viel menschlicheren Sicht des Fortschritts, der das wirtschaftliche Wachstum nicht außer acht lassen kann, der aber auch nicht ausschließlich davon bestimmt wird.


Offenheit für die Gaben des Geistes

60 Wie schon gesagt, bietet die Kirche nicht ein eigenes Modell für das soziale Leben an; sie bleibt vielmehr offen für einen gewissen Pluralismus von Plänen und Hypothesen für die Aktion, entsprechend den Charismen und den Gaben, die der Heilige Geist den Laien für die Erfüllung ihrer Aufgaben verleiht im Bereich der Familie, der Arbeit, der Wirtschaft, der Politik, der Kultur, der Technik, der Ökologie usw.

Daraus ergibt sich, dass die in der Soziallehre der Kirche enthaltenen Aktionsrichtungen je nach den besonderen Eigenheiten des Wirkens, das auf jedem dieser Gebiete erfordert ist, eine besondere Bedeutung gewinnen. Dies führt zu einem sechsten Aktionskriterium: der Öffnung für die Charismen und Gaben des Heiligen Geistes im Hinblick auf die Aufgabe und die Entscheidungen im sozialen Leben.


Übung der Liebe und der Barmherzigkeit

61 Von den ersten Jahrhunderten bis heute ist in der Kirche immer das Bewusstsein lebendig geblieben, gerufen zu sein zum Dienst an der sozialen Wirklichkeit. Ihre Geschichte ist in der Tat voll von sozialen Werken der Nächstenliebe und der Hilfe,<ref> Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Salvifici doloris (11. Februar 1984); AAS 76 (1984), S. 201 ff. </ref> in denen das Antlitz einer armen und barmherzigen Gemeinschaft aufleuchtet, die ehrlich bemüht ist, die "Bergpredigt" in die Tat umzusetzen.

Die Zeugnisse für dieses pastorale Bewusstsein finden sich zahllos bei den Päpsten, den Lehrern der sozialen Verkündigung. In ihren Dokumenten fordern sie dazu auf, die Bedingungen der Arbeiter zu verbessern, und fördern diesbezügliche Erfahrungen;<ref> Leo XIII., Enzyklika Rerum novarum (15. Mai 1891); Acta Leonis XIII. 11 (1891), S. 141 ff.; Pius XI., Enzyklika Quadragesimo anno (15. Mai 1931); AAS 23 (1931), S. 182. </ref> sie empfehlen, die Nächstenliebe zu üben und sie mit der Gerechtigkeit in Einklang zu bringen;<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961); AAS 53 (1961), S. 402. </ref> sie dehnen die soziale Aktion auf alle irdischen Bereiche aus;<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Apostolicam actuositatem, Nr. 7. </ref> sie fordern, dass die Bejahung der Prinzipien, die Absichtserklärungen und die Verurteilung der Ungerechtigkeiten von einer wirksamen und verantwortungsbewussten Aktion begleitet werden;<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 48; AAS 63 (1971), S. 437 f. </ref> sie erinnern daran, dass nicht nur die Dokumente des Lehramtes -des Konzils, der Päpste und der Bischöfe -ein Beweis für die ständige Aufmerksamkeit der Kirche für die soziale Frage sind, sondern auch die Aktivität der verschiedenen Studien- und Aktionszentren und die konkreten Initiativen des sozialen Apostolats in den einzelnen Teilkirchen und im internationalen Bereich;<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens (14. September 1981), Nr. 2; AAS 73 (1981), S. 581. </ref> sie fordern den Klerus, die Ordensleute und die Laien dazu auf, sich in den "verschiedenen Bereichen, Werken und Diensten" der "sozialen Pastoral" einzusetzen.<ref> Johannes Paul II., Ansprache C'est la deuxième an die Delegierten der "Caritas internationalis" (30. Mai 1983): Insegnamenti di Giovanni Paolo II. VI, I (1983), S. 1399 ff. </ref> Aus diesem sozialen Gewissen kommt ein letztes Aktionskriterium, das in allen anderen vorhergenannten Kriterien gegenwärtig sein muss: das Gebot der Liebe und der Barmherzigkeit in allem, was im Geist des Evangeliums den Armen den Vorzug gibt.<ref> Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung (22. März 1986), Nr. 66-70; AAS 79 (1987), S. 582-585; Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 42; AAS 80 (1988), S. 572. </ref> Diese Priorität, die von der ganzen Tradition der Kirche bezeugt wird, wurde in Sollicitudo rei socialis nachdrücklich betont. In diesem päpstlichen Schreiben heißt es nämlich: "Heute muss angesichts der weltweiten Bedeutung, die die Soziale Frage erlangt hat, diese vorrangige Liebe mit den von ihr inspirierten Entscheidungen die unzähligen Scharen von Hungernden, Bettlern, Obdachlosen, Menschen ohne medizinische Hilfe und vor allem ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft umfassen: Es ist unmöglich, die Existenz dieser Menschengruppen nicht zur Kenntnis zu nehmen. An ihnen vorbeizusehen würde bedeuten, dass wir dem "reichen Prasser' gleichen, der so tat, als kenne er den Bettler Lazarus nicht, "der vor seiner Tür lag" (vgl. Lk 16,19-31).<ref> Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 42; AAS 80 (1988), S. 573. </ref>


Die Bindung zwischen der Sozial/ehre und der christlich-sozialen Praxis

62 Im Bewusstsein der Kirche besteht offensichtlich eine wesentliche Einheit zwischen der Soziallehre und der christlichen Praxis in den Bereichen, Werken und Diensten, mit denen man versucht, Prinzipien und Regeln zur Geltung zu bringen. Im besonderen setzt die pastorale Tätigkeit die Soziallehre voraus, und diese wiederum führt zur pastoralen Aktion als einem vorrangigen Teil der christlichen Praxis. Die Präsenz der Kirche in der Welt und ihr Dialog mit der Welt bei dem Bemühen, die konkreten Probleme der Menschen zu lösen, erfordert die notwendige Kompetenz der Geistlichen. Man verlangt deshalb von ihnen, dass sie die Soziallehre ernsthaft studieren. Dies muss begleitet sein durch eine Ausbildung zur Sensibilität für die pastorale Aktion und das Apostolat. Erneut zeigt sich hier die Notwendigkeit einer entsprechenden Programmierung und einer guten Gestaltung des Lehrvorgangs.


Auswirkungen im politischen Bereich

63 Die Tatsache, dass die Kirche kein eigenes "Modell" für das gesellschaftliche Leben besitzt noch anbietet, noch an irgendein politisches System gebunden ist als ihr eigener "Weg", der unter den verschiedenen Systemen zu wählen wäre;<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 76; Johannes Paul II., Enzyklika Sollicitudo rei socialis (30. Dezember 1987), Nr. 41; AAS 80 (1988), S. 571. </ref> will nicht besagen, dass sie ihre Gläubigen - und speziell die Laien - nicht ausbilden und ermutigen muss, damit sie sich ihrer Verantwortung in der politischen Gemeinschaft<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 75. </ref> bewusst werden. Sie sollen Lösungen begünstigen und, wenn dies in der geschichtlichen Situation vertretbar ist, Modelle erstellen, in denen die Inspiration aus dem Glauben christliche Praxis werden kann. Die Richtlinien der Soziallehre der Kirche für die Aktion der Laien gelten ebenso für die Politik wie für andere Bereiche der diesseitigen Wirklichkeit, in der die Kirche kraft ihrer Sendung als Glaubensverkünderin gegenwärtig sein muss.

In der Tat bewertet und schätzt der christliche Glaube sehr die politische Dimension der menschlichen Existenz und Aktivität, in der er zum Ausdruck kommt. Daraus folgt, dass die Präsenz der Kirche im politischen Bereich eine Forderung desselben Glaubens ist, im Lichte des Königtums Christi, was die Trennung von Glaube und täglichem Leben ausschließt, "einer der schwersten Irrtümer unserer Epoche".<ref> Ebd., Nr. 43. </ref> Aber die ganze menschliche Existenz mit dem Evangelium zu durchdringen, einschließlich der politischen Dimension, heißt nicht, die Autonomie der politischen Wirklichkeit leugnen, ebenso wenig die der Wirtschaft, der Kultur, der Technik usw., jede in ihrem eigenen Bereich.

Um die Präsenz der Kirche zu erläutern, ist es zweckdienlich, zwischen "den beiden Begriffen von Politik und politischem Auftrag"<ref> Ebd., Nr. 76; Dokument von Puebla, Nr. 521, 523. </ref> zu unterscheiden. Was den ersten Begriff betrifft, so kann und muss die Kirche über die politischen Sachverhalte urteilen, nicht nur inwieweit sie die religiöse Sphäre berühren, sondern auch im Hinblick auf die Würde und die fundamentalen Rechte des Menschen, das Gemeinwohl, die soziale Gerechtigkeit: alle Probleme, die eine sittliche Dimension haben und die von der Kirche im Lichte des Evangeliums betrachtet und bewertet werden kraft ihrer Sendung, "die politische Ordnung mit dem Evangelium zu durchdringen" und sie deshalb voll zu humanisieren. Es geht um eine in ihrem höchsten weisheitlichen Wert verstandene Politik, und diese ist der ganzen Kirche aufgetragen. Die politische Verpflichtung hingegen im Sinne von konkreten Entscheidungen, die zu fällen sind, von Programmen, die aufzustellen sind, von Aktionen, die durchgeführt werden müssen, von Volksvertretungen, die möglich zu machen sind, und von Macht, die auszuüben ist, ist Aufgabe der Laien, entsprechend den gerechten Gesetzen und Institutionen der irdischen Gesellschaft, denen sie zugehören. Das, woran der Kirche liegt und was sie ihren Söhnen vermitteln will, ist ein rechtes Bewusstsein der Forderungen des Evangeliums, damit sie mit Klugheit und Verantwortung den Dienst an der Gemeinschaft ausüben können.<ref> CIC, can. 227. </ref>

Um ihre Freiheit bei der Evangelisierung der politischen Wirklichkeit besser wahren zu können, werden sich die Geistlichen und andere Amtsträger der Kirche aus den verschiedenen Parteien und Gruppen heraushalten, die Spaltungen bewirken oder die Wirksamkeit des Apostolats beeinträchtigen können. Sie werden diese auch nicht bevorzugt unterstützen, es sei denn, dies wäre "unter konkreten und außergewöhnlichen Umständen zum Wohl der Allgemeinheit" erforderlich.<ref> Dokument von Puebla, Nr. 526-527; CIC, can. 287. </ref>


Ein Zeichen des Reiches Gottes

64 Im Rahmen der Werte, Prinzipien und Regeln, die hier umrissen werden, erscheint die vom Evangelium erhellte soziale Aktion der Kirche wie ein Zeichen des Reiches Gottes auf Erden. Sie verkündet nämlich die Forderungen dieses Reiches in der Geschichte und im Leben der Völker als Fundament einer neuen Gesellschaft. Sie klagt alles an, was im sozialen Verhalten, in den Strukturen und im System das Leben und die Würde der Person gefährdet. Sie fördert die volle Integration aller in die Gesellschaft als sittliche Forderung der Botschaft des Evangeliums von der Gerechtigkeit, von der Solidarität und von der Liebe. Es ist eine pastorale Aktion gestützt auf das Wort Gottes, das die Gewissen der Menschen umwandelt. Es handelt sich um die Erarbeitung und die Verbreitung einer Soziallehre, die darauf gerichtet ist, die Aufmerksamkeit wachzurufen und die Sensibilität aller, besonders der Jugend zu wecken für die sozialen Probleme und die Forderung des Evangeliums, sich für die Gerechtigkeit zum Wohle der Armen und aller Leidenden einzusetzen. Schließlich kommt es auf die schnelle und großzügige Aktion an, die auf die vielen konkreten Probleme, die das Leben der Personen und der Gesellschaft erschweren, eine Antwort sucht. Auf diese Weise erleuchtet das Wort die Gewissen, und durch die Werke wird das Wort Fleisch.


Schlusswort über die Bedeutung und die Dynamik der Soziallehre

65 Aus der Prüfung der Beschaffenheit und der geschichtlichen Dimension der Soziallehre der Kirche und ihrer wesentlichen Bestandteile, als da sind die fundamentalen Prinzipien, die Beurteilungskriterien und die Aktionsrichtlinien, schält sich die Überzeugung heraus, dass sie zwar ein "reiches und umfassendes Erbe" ist, ausreichend geformt und gefestigt, dass sie aber noch viele Etappen vor sich hat, gemäß der Entwicklungsdynamik der menschlichen Gesellschaft in der Geschichte.

Obwohl die Soziallehre wegen ihrer Beschaffenheit in streng scholastischen Begriffen nur schwer zu definieren ist, zeichnet sie sich doch in den vorausgehenden Abschnitten, wenigstens in ihren wesentlichen Umrissen, mit ausreichender Klarheit ab und präsentiert sich in erster Linie als "integraler Bestandteil der christlichen Auffassung vom Leben."<ref> Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra (15. Mai 1961); AAS 53 (1961), S. 453. </ref> Man hat in der Tat gesehen, dass ihr Einfluss in der Welt nicht zweitrangig ist, sondern entscheidend als Aktion der Kirche, als "Hefe", als "Salz der Erde", als "Samen" und "Licht" der Menschheit.<ref> {{#ifeq: Evangelium nach Matthäus | Leitlinien vom 30. Dezember 1988 |{{#if: Mt|Mt|Evangelium nach Matthäus}}|{{#if: Mt |Mt|Evangelium nach Matthäus}}}} 5{{#if:13-14|,13-14}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}; 13{{#if:13.24|,13.24}} EU | BHS =bibelwissenschaft.de">EU | #default =bibleserver.com">EU }}. </ref>

Unter dieser Voraussetzung hat das Lehramt der Kirche - des Papstes, des Konzils, der Bischöfe - mit Hilfe des Studiums und der Erfahrungen der ganzen christlichen Gemeinschaft diese Lehre ausgearbeitet, artikuliert und vorgetragen als eine Lehre, die nicht nur für die Gläubigen, sondern für alle Menschen guten Willens bestimmt ist, um mit Hilfe des Evangeliums den gemeinsamen Weg zum Fortschritt und zur vollständigen Befreiung des Menschen zu erhellen.

VI. Die Ausbildung

Zweck des Dokumentes

66 Die Anleitungen, die in den vorliegenden Ausruhrungen gegeben werden, sind für jene bestimmt, die die Aufgabe und die Verantwortung für die Ausbildung der Priesteramtskandidaten und der Studenten aus den verschiedenen theologischen Einrichtungen haben. Sie wurden in der Absicht ausgearbeitet, die Ausbildung im Bereich der Soziallehre zu erleichtern und zu entfalten. Es besteht daher kein Zweifel, dass die Dozenten davon profitieren werden, um die Inhalte und Methoden des Unterrichts mit zu gestalten. Das Dokument hat in der Tat zum Zweck, die zum Studium dieser Disziplin fundamentalen und deshalb unerlässlichen Inhalte herauszustellen, damit die zukünftigen Priester eine solide theologische und pastorale Ausbildung erhalten.

Es ist daher zweckmäßig, wenn dieses Kapitel konkrete Hinweise für die besondere Ausbildung der Professoren und für die bessere Strukturierung der Ausbildung der Kandidaten gibt.

1. Die Ausbildung der Professoren

Theologische, wissenschaftliche und pastorale Ausbildung

67 Es ist nicht nötig, die Tatsache zu unterstreichen, dass die gute Aufnahme der Soziallehre der Kirche von seiten der Studenten in großem Maße von der Kompetenz und der Ausbildungsmethode der Professoren abhängt. Der Erwerb dieser Befähigung erfordert von ihnen eine gründliche Vorbereitung, die nicht nur von einigen Kursen in Soziallehre im Bereich der theologischen und philosophischen Studien garantiert werden kann.

Deshalb haben die Bischöfe und die Oberen der kirchlichen Ausbildungszentren die ernste Verantwortung, fähige und interessierte Leute auf die sozialwissenschaftliche Fakultät zu senden und zu anderen gleichwertigen Lehrinstituten, die kirchlicherseits anerkannt sind. Auf diese Weise sollen Dozenten mit entsprechender wissenschaftlicher Ausbildung verfügbar werden. Die Kirche wünscht, dass diese Dozenten, denen die Ausbildung des Klerus anvertraut wird, unter den Besten ausgewählt werden und dass sie ein solides Wissen und eine angemessene pastorale Erfahrung besitzen neben einer guten geistlichen und pädagogischen Ausbildung.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Dekret Optatam totius, Nr. 5. </ref>

Man muss sich außerdem vor Augen halten, dass es zum Unterrichten der Soziallehre nicht genügt, nur die entsprechenden Dokumente des Lehramtes zu kennen. Es ist notwendig, dass die Professoren eine gründliche und tiefe theologische Ausbildung haben, in der Sozialmoral kompetent sind und dass sie wenigstens die Grundelemente der modernen Sozialwissenschaften kennen. Außerdem sollte die enge Zusammenarbeit mit den Professoren der Moraltheologie, der Dogmatik und der Pastoral gefordert werden, um den Zusammenhang, die Einheit und die Solidität des Unterrichts zu garantieren und schließlich, um den Schülern eine Zusammenschau von Theologie und Pastoral zu ermöglichen. Man muss im übrigen versuchen, die Ausbildung in der Lehre und in der Pastoral eng mit der geistlichen Ausbildung zu verbinden.<ref> Ebd., Nr. 8. </ref>


Die Funktion der Sozialwissenschaften

68 Wie schon weiter oben betont (Nr. 10; 50), kann die Soziallehre der Kirche nicht auf die Sozialwissenschaften verzichten, wenn sie mit dem Leben der Gesellschaft in Kontakt bleiben und effektiv auf die pastorale Wirklichkeit einwirken will. Aus diesem Grund wird den Professoren für Soziallehre dringend empfohlen, sich für eine gute pastorale Ausbildung der Priesteramtskandidaten zu interessieren. Sie sollen sich vor Augen halten, dass sie sich beim Unterricht nicht nur darauf beschränken dürfen, "lediglich an generelle Prinzipien zu erinnern", sondern dass sie sich bemühen müssen, diese weiter auszubauen "mit Hilfe einer gereiften Betrachtungsweise in Kontakt mit den wechselnden Situationen in der Welt, unter dem Einfluss des Evangeliums als Quelle der Erneuerung".<ref> Paul VI., Apostolisches Schreiben Octogesima adveniens (14. Mai 1971), Nr. 42; AAS 63 (1971), S. 431. </ref> Daraus ergibt sich, dass es ihre Aufgabe ist, die Schüler auch in den Gebrauch der von den Humanwissenschaften bereitgestellten Mittel nach den Regeln der Kirche einzuführen.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 62; Dekret Optatam totius, Nr. 20. </ref>

Die Humanwissenschaften sind nämlich ein wichtiges Instrument, um die wechselnden Situationen einzuschätzen und um den Dialog mit der Welt und den Menschen jeglicher Meinungsrichtung herzustellen.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 43; Dekret Optatam totius, Nr. 19. </ref> Sie bieten dem Sozialunterricht einen empirischen Zusammenhang, in dem die fundamentalen Prinzipien angewandt werden können und müssen; sie stellen ein reiches Material für die Analyse zur Verfügung, um soziale Situationen und Strukturen zu bewerten und zu beurteilen; sie helfen, sich bei den anstehenden Entscheidungen zu orientieren. Natürlich muss man beim Studium und bei dem Interesse für die Sozialwissenschaften die Gefahr vermeiden, in die Fänge von Ideologien zu fallen, die die Auslegung der Daten manipulieren, oder des Positivismus, der die empirischen Daten zum Nachteil des globalen Verständnisses von Mensch und Welt überbewertet.


Die ständige Weiterbildung

69 Es ist eine offene Tatsache, dass die soziale Wirklichkeit und die sie interpretierenden Wissenschaften einem ständigen und schnellen Wechsel unterliegen. Deshalb ist eine ständige Weiterbildung der Professoren notwendig. Sie garantiert, dass sie stets auf dem neuesten Stand sind. Das Fehlen von engen Kontakten zu neuen Problemstellungen und zu neuen Richtungen auf nationaler, internationaler und weltweiter Ebene, wie auch zu neuen Entwicklungen in der Soziallehre der Kirche kann dem Unterricht das Interesse und die formende Fähigkeit entziehen.


Pastorale Erfahrung

70 Weil die Professoren die Soziallehre nicht wie eine abstrakte Theorie lehren können, wird für sie eine direkte pastorale Erfahrung von äußerstem Nutzen sein. Diese Erfahrung wird unterschiedlich sein je nach Ort, Situation, Fähigkeit und Interesse des einzelnen, aber ausgewählt und ausgelegt stets in Richtung des konkreten, wirksamen und einprägsamen Unterrichts.

2. Die Ausbildung der Schüler

Pastorale Unterweisung

71 Im Geist des II. Vatikanischen Konzils und des Kirchenrechts wird die Befähigung der Priesteramtskandidaten zum pastoralen Dienst durch eine ganzheitliche Ausbildung erreicht, die darauf achtet, alle Aspekte zur Priesterpersönlichkeit wachsen zu lassen: humane, geistliche, theologische und pastorale. Das gleiche kann man für die Heranbildung der Laien zum Apostolat sagen.

In diesem Zusammenhang muss daran erinnert werden, dass es, auch wenn die ganze Ausbildung eine pastorale Zielsetzung verfolgt, dennoch notwendig ist, für alle eine besondere Unterweisung in der Pastoral vorzusehen,<ref> CIC, can. 225. </ref> die auch die Soziallehre der Kirche einbezieht.

72 Im Bereich dieser Ausbildung ist ohne Zweifel, wie schon gesagt, eine angemessene theologische Vorbereitung für die Verkündigung des Wortes Gottes verlangt. Dabei müssen - je nach den Erfordernissen von Person, Ort und Zeit und im Hinblick auf den Dialog der Kirche mit der Welt - das Interesse und das Einfühlungsvermögen der Kandidaten für die Soziallehre und die soziale Pastoral der Kirche geweckt werden. In diesem Sinne spricht der Kodex von der Notwendigkeit, die zukünftigen Priester zum "Dialog mit den Personen" zu erziehen und sie für die "sozialen Aufgaben" der Kirche sensibel zu machen.<ref> Ebd., can. 256. </ref>


Die Kurse in der Soziallehre

73 Hinsichtlich des Stellenwertes, den die Soziallehre innerhalb des Studienprogrammes an den kirchlichen Ausbildungszentren einnehmen soll, ist klar, dass es in Übereinstimmung mit dem bisher Gesagten nicht genügt, sie in einigen fakultativen Lektionen innerhalb der Kurse für Philosophie und Theologie zu behandeln, vielmehr ist es unerlässlich, eigene Pflichtkurse für diese Disziplin vorzusehen.

Welches der geeignete Zeitpunkt für dieses Studium ist, hängt von der Studienordnung der verschiedenen Ausbildungszentren und -institute ab. Vielleicht ist es nützlich, die Kurse über die ganze Ausbildungszeit der Kandidaten zu verteilen. Auf diese Weise würde die notwendige Kontinuität und das stufenweise Vertrauwerden sichergestellt und ermöglicht, die sozialphilosophischen und die theologischen Begriffe in den verschiedenen Dokumenten besser zu erfassen. Es ist auf jeden Fall unerlässlich, dass während der Ausbildung die Kenntnis der großen Sozialenzykliken gewährleistet wird.

Diese müssen in Spezialkursen gelehrt werden und bilden eine Pflichtlektüre für die Studenten. Die Arbeit mit diesen Dokumenten muss den sozio-kulturellen Kontext, in dem sie geschrieben wurden, berücksichtigen, ferner die theologischen und philosophischen Voraussetzungen, auf denen sie beruhen, ihre Beziehungen zu den Sozialwissenschaften sowie ihre Bedeutung für die heutige Situation. Darüber hinaus müssen in Verbindung mit den Dokumenten der Universalkirche auch die sozialen Probleme der einzelnen Teilkirchen studiert werden.


Das philosophisch-theologische Fundament

74 Außer der pastoralen Sensibilisierung für die sozialen Probleme muss den Kandidaten ein solides philosophisch-theologisches Fundament über die Prinzipien der Soziallehre und über ihre interdisziplinären Verbindungen geboten werden. Dieses Fundament ist von besonderer Bedeutung in der augenblicklichen Situation des "Dialoges mit der Welt", den die Kirche erlebt bei der Umsetzung der Grundgedanken des II. Vatikanischen Konzils in die Praxis. Sowohl die Priester wie auch die im sozialen Apostolat engagierten Laien werden häufig konfrontiert mit radikalen und totalitären, kollektivistischen und individualistischen Ideologien, mit säkularisierenden Bestrebungen, wenn nicht sogar mit einem dem christlichen Geist völlig fremden Säkularismus.


Die authentische und integrale Botschaft Christi

75 Wie schon gesagt, umfasst die theologisch-pastorale und die geistliche Ausbildung aller, die sich der sozialen Aktion widmen wollen, die Sensibilisierung für die verschiedenen Probleme der Gesellschaft und die Vertrautheit mit den Kriterien der Soziallehre der Kirche, um die Situationen, die Strukturen und die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Systeme zu beurteilen.

Darüber hinaus bedarf es einer besonderen Vorbereitung, um auf den verschiedenen Ebenen und Sektoren in passender Weise aktiv werden zu können.

Aber am wichtigsten für die Ausbildung ist das Bewusstsein, dass Laien und Priesteramtskandidaten mit ihrem Werk Zeugnis für Christus mitten in der Welt ablegen müssen. Die Bischöfe und Priester sind besonders aufgerufen, die Botschaft Christi so zu verkündigen, dass das ganze diesseitige Tun der Menschen vom Licht des Evangeliums durchdrungen wird.<ref> II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 43. </ref> Ohne Zweifel bleibt der wesentliche Beitrag der Kirche im sozialen Bereich immer die volle Verkündigung des Evangeliums: Verkündigung, die allerdings den sozialen Problemen große Aufmerksamkeit zuwendet.

Die Auslegung und Anwendung des Evangeliums in der sozialen Wirklichkeit des heutigen Menschen ist mithin wesentlicher Teil der theologischen und interdisziplinären Ausbildung der Kandidaten und hat einen bestimmenden Wert für die Wirksamkeit der Pastoral. In dieser Ausbildung lassen sich das Zeugnis des Lebens, die Verkündigung und die Aktion nicht voneinander trennen, da sie in der Person Jesu, im Evangelium und in der Tradition der Kirche vereint sind.


Die ersten pastoralen Erfahrungen

76 Während der Ausbildungszeit sollen die Studenten pastorale und soziale Erfahrungen sammeln, die sie in direkten Kontakt mit den von ihnen studierten Problemen bringen, wie man dies schon in einigen Ländern mit positivem Resultat macht. In dieser Ausbildung liegt viel daran, dass sich die Kandidaten voll und ganz der besonderen Rolle des Priesters in der sozialen Aktion bewusst sind, was besonders in der letzten Zeit bei verschiedenen Anlässen vom Lehramt der Kirche wie auch in einzelnen Teilkirchen betont wurde. Sehr empfohlen werden Besuche und Gespräche der Studenten in Begleitung ihrer Professoren mit der Welt der Arbeit -Unternehmern, Arbeitern, Gewerkschaften -, mit den sozialen Organisationen und mit Randgruppen.


Aufgabe des Priesters für die Laien

77 Es gehört zur Ausbildung für die soziale Pastoral, die Kandidaten über die Aufgabe und die zu befolgende Methode zu unterrichten, um den Laien ein immer stärkeres Bewusstsein ihres Auftrags und ihrer Verantwortung im sozialen Bereich zu vermitteln. Unter dieser Rücksicht ist es Aufgabe des Priesters, den Laien zu helfen, damit sie sich ihrer Pflicht bewusst werden und sich geistlich und wissensmäßig bilden, sie bei der sozialen Aktion zu begleiten, an ihren Mühen und Leiden teilzunehmen. Sie sollen die Laien auch anleiten, die wichtige Bedeutung ihrer Organisationen anzuerkennen, sowohl auf apostolischer Ebene als auch im Hinblick auf den sozialen Einsatz, und ihnen das Zeugnis einer tiefen sozialen Sensibilität zu geben. Die Wirksamkeit der christlichen Botschaft hängt außer vom Wirken des Heiligen Geistes auch vom Lebensstil und von dem pastoralen Zeugnis des Priesters ab, der den Menschen das Evangelium bringt und das authentische Antlitz der Kirche enthüllt.<ref> Ebd., Nr. 43. </ref>

Schluss

78 Schließlich möchte die Kongregation für das katholische Bildungswesen mit der Übergabe des vorliegenden Dokumentes an die Bischöfe und Einrichtungen der Priesterausbildung den brennenden Wunsch zum Ausdruck bringen, dass es für diesen wichtigen Ausbildungsbereich jene Hilfe und Orientierung bietet, die schon seit langem erwartet und erbeten wurde. Die Soziallehre der Kirche, wie sie hier im Lichte der päpstlichen Dokumente dargelegt wird, ist in der Tat ein reiches Erbe von unschätzbarem Wert, das, wenn es in seiner wahren Natur verstanden und durch fleißiges Studium im Kontakt mit dem Leben gebührend angeeignet wird, einen neuen apostolischen Eifer bei den zukünftigen Dienern Christi hervorrufen kann, weil es ihnen einen sicheren Weg für eine wirksame pastorale Aktion aufzeigt. Unter Berücksichtigung der vielfältigen geistigen und materiellen Notwendigkeiten der heutigen Gesellschaft, auf die Papst Johannes Paul II bei vielen Gelegenheiten hingewiesen hat, ist nichts anderes zu wünschen, als dass jeder Priesteramtskandidat ein erleuchteter und verantwortungsbewusster Botschafter dieses modernen Zweiges der Verkündigung des Evangeliums wird, die einzig in der Lage ist, für die Übel unserer Epoche wirksame Heilmittel vorzulegen und auf diese Weise zur Rettung der Welt beizutragen.

Es ist die Aufgabe der Bischöfe und der Verantwortlichen in den Einrichtungen für die Priesterausbildung, mit allen Mitteln darauf zu achten, dass diese "Leitlinien" gebührend in die Ausbildungsprogramme aufgenommen werden und jene Stärkung der wissensmäßigen und pastoralen Ausbildung bewirken, die heute überall erwartet wird und die unseren gemeinsamen Hoffnungen entspricht.

Rom, Palast der Kongregationen, 30. Dezember 1988

William Wakefield Card. Baum
Präfekt
José Saraiva Martins
Titularerzbischof von Tubumica

Sekretär

Anhang I

Verzeichnis der Stellen, die beim Unterricht der Soziallehre der Kirche in den Seminarien Anwendung finden können

Da die vorliegenden "Leitlinien" besonders diejenigen Punkte hervorheben wollen, die beim Studium der Soziallehre der Kirche als unerlässlich zu gelten haben, möchte die Kongregation für das katholische Bildungswesen allen Dozenten dieser Disziplin einen Programmentwurf anbieten, der ihnen helfen kann, einen guten, gehaltvollen Unterricht zu erteilen. Wegen der großen Verschiedenheit der örtlichen Situationen handelt es sich natürlich nur um einen Vorschlag, der den Dozenten den notwendigen Spielraum lässt, um die Lektionen und pastoralen Übungen in Übereinstimmung mit den konkreten Notwendigkeiten der Diözesen zu organisieren, gemäß den Richtlinien der Bischofskonferenzen und der Diözesan-Bischöfe. Es versteht sich von selbst, dass ein solider und fruchtbarer Unterricht der kirchlichen Soziallehre, auch wenn er an einen Wahrheitskern und an unverzichtbare und allen gemeinsame Prinzipien gebunden bleibt (vgl. Leitlinien, Nr. 52), nicht die besonderen örtlichen Probleme und die Notwendigkeit zweckmäßiger Anpassungen außer acht lassen kann, um die Botschaft des Evangeliums konkret im Leben zu verankern.


I.

Bei der Einführung in den Kursus oder in die Kurse über die Soziallehre der Kirche können unter anderem und je nach dem besonderen akademischen Programm die folgenden Themen behandelt werden:

1. Darlegung und Erklärung der Grundlinien.

2. Das Wesen der Soziallehre der Kirche (vgl. Leitlinien, Nr. 3-14).

3. Verwurzelung der Soziallehre der Kirche in der Heiligen Schrift, sowohl im Alten wie im Neuen Testament: die erlösende Befreiung in der Heilsgeschichte - Jesus Christus, der Befreier - Unterschied zwischen Heilsbefreiung und menschlicher Befreiung - integrale Befreiung - Der Verkündigungsauftrag der Kirche - Der Dialog der Kirche mit der Welt - Die soziale Dimension der Heilssendung und der Verkündigungsauftrag der Kirche (vgl. Leitlinien, Nr. 15-17).

4. Theologische Dimension der Soziallehre der Kirche (vgl. Leitlinien, Nr. 9): Christologische und ekklesiologische Voraussetzungen – Anthropologisches Fundament: die volle Wahrheit des Menschen und über den Menschen - "Der Mensch ist der erste und fundamentale Weg der Kirche" - Die ganzheitliche Förderung des Menschen im Bezug auf sich selbst, auf Gott, auf die anderen Menschen und auf die Dinge - Die "Vorliebe für die Armen" - Konsequenzen auf sozialer, wirtschaftlicher und politischer Ebene.


II.

Ein "reiches Erbe": Etappen in der Entwicklung der Kirche (vgl. Leitlinien, Nr. 18-28).

1. Geschichte der Soziallehre - Anfang dieser Geschichte: Altes Testament (Exodus und Propheten) - Schriften der Apostel.

2. Beitrag der Kirchenväter, der großen Lehrer und Theologen der Kirche (heiliger Thomas von Aquin) bis zur Moderne. l 3. Die industrielle Revolution und das Entstehen der "sozialen Frage" im engen Sinn - Vorläufer der Soziallehre.

4. Soziallehre vor dem Konzil: von Leo XIII. bis Pius XII. - sozio-kultureller Kontext von Rerum novarum und Quadragesimo anno - Zweck und Inhalt dieser Enzykliken und der sozialen Botschaft Pius' XII.

5. Konzils-Periode (1961-1971): technisch-ökonomische, sozio-politische und sozio-kulturelle Situation - Zweck und allgemeiner Inhalt der Dokumente dieser Zeit: Mater et magistra und Pacem in terris Johannes' XXIII., Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils, Populorum progressio, Octogesima adveniens und Evangelii nuntiandi Pauls VI.

6. Periode von Johannes Paul II.: technisch-ökonomisches, sozio-politisches und sozio-kulturelles Umfeld - Zweck und allgemeiner Inhalt der Enzykliken Johannes Pauls II.: Redemptor Hominis (sozialer Teil), Dives in misericordia (sozialer Inhalt), Laborem exercens, Familiaris consortio (sozialer Teil), Sollicitudo rei socialis - Die großen Ansprachen und sozialen Botschaften.


III.

Prinzipien und Orientierungen der Kirche in den verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens (vgl. Leitlinien, Nr. 30-53).

1. Logische Voraussetzung: Grundsätzliche Gleichheit der Menschen im Bereich der Werte und Rechte - Die Grundwerte: Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe, Frieden - Die Gemeinbestimmung der Erdengüter - Zweideutigkeit der Welt und ihrer Bestrebungen - Die Verurteilung jeglicher Form von Rassismus und Kolonialismus im Namen der Einheit und Universalität der Menschheit und der allgemeinen Berufung aller Menschen - Notwendigkeit der Gesellschaftsreform, orientiert an den Ursachen der Ungerechtigkeiten.

2. Die menschliche Person: Die Würde der menschlichen Person: selbständiges, mit Vernunft und freiem Willen begabtes, geistliches und transzendentales Subjekt - Die Bedeutung der Berufung des Menschen.

3. Die Menschenrechte: Beziehungen Kirche - Staat -Philosophie und Theologie der Menschenrechte - Identität und Universalität der Menschenrechte - Verkündigung und Verteidigung der Rechte - Verteidigung der Menschenwürde: gegen die politische, wirtschaftliche und kulturelle Unterdrückung; gegen den Druck der Massen- und Kommunikationsmedien; gegen die Angriffe auf die Freiheit der Religion, des Fundamentes und der Garantie der anderen Freiheiten - Die internationale Charta der Menschenrechte - Die Rechte der Völker.

4. Wechselbeziehung Mensch - Gesellschaft: Die Gesellschaftlichkeit oder die soziale Dimension des Menschen - Die Konfliktdimension der persönlichen Existenz - Bedeutung einer Ausbildung für das Begreifen der Natur der Konflikte - Der Begriff der Gesellschaft und der Gemeinschaft - Die Dynamik von Gruppen und Vereinen im sozialen Leben - Die gesellschaftlichen Zwischenglieder - Ausprägungen der Gesellschaftlichkeit in der Familie und in der politischen Gemeinschaft - Das soziale Gleichgewicht.

5. Das Gemeinwohl: Begriff und Inhalt des Wortes Gemeinwohl - Die Autorität als Dienst am Gemeinwohl - Das internationale Gemeinwohl - Deutung des Gemeinwohls in den modernen Ideologien.

6. Die menschliche Solidarität: Solidarität zwischen Menschen und Völkern, zwischen reichen und armen Ländern - Die Beziehungen Nord-Süd - Die internationale und weltweite Solidarität -Solidarität: ein modernes, vom Evangelium inspiriertes Wort (soziale Liebe).

7. Die Subsidiarität: Die Leitungsfunktion des Staates und die Subsidiarität - Die übertriebene Planwirtschaft und der Verlust der Freiheit - die freiheitsfördernde Programmierung - Subsidiarität als Reaktion auf die Ausbeutung von Personen und Gruppen.

8. Die Teilhabe: Partizipation und Gesellschaft - Teilhabe aller Bereiche und Ebenen der Gesellschaft am Gemeinwohl - Zugang aller zu den Entscheidungen in den verschiedenen Bereichen und Ebenen des sozialen Lebens - Aussöhnung und Dialog.

9. Organische Konzeption des sozialen Lebens, Begriff der Sozialisierung und der Personalisierung: Christlicher und gemeinschaftsbezogener Personalismus - Vervielfältigung der sozialen Beziehungen und die Gruppen – Der Dynamismus des Vereinswesens - gesellschaftliche Zwischenglieder und übergeordnete Körperschaften - Gemeinschaft und gesellschaftliche Struktur - Dimensionen der Vergesellschaftung - Annäherung zwischen Sozialisation und Personalisation.


IV.

Realisierung der Prinzipien und Werte auf den verschiedenen Ebenen und Sektoren des sozialen Lebens (vgl. Leitlinien, Nr. 53-64).

1. Soziallehre und Sozialwissenschaften: Autonomie der irdischen Bereiche - Autonomie der Wissenschaft, interdisziplinärer Dialog – Theologie und Wissenschaften - Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: Helfer bei der pastoralen Aktion der Kirche - Wissenschaften, Technologie, Ideologien.

2. In der Familie: Die Probleme der Familie in der heutigen Welt - Der fundamentale Wert der Familie als Zelle und Lebensprinzip der Gesellschaft - Die Familie und die menschliche Person - Die Familie und die bürgerliche Gesellschaft - Die Familie und die Kirche - Rechte und Pflichten der Familie - Bestandteile der familiären Gemeinschaft - Die Familie und die Rolle der Erziehung - Die Veränderungen der Familie innerhalb der Gesellschaft - Unauflöslichkeit der Ehe im Blick auf andere Formen der Ehe.

3. In der Wirtschaft: Legitime Autonomie der irdischen Wirklichkeiten im Dienst am Menschen - Das Wirtschaftsleben in seinen Aspekten und zeitgenössischen Problemen - Kennzeichen der heutigen Produktionssysteme - Die Krise der Wirtschaftssysteme: Kapitalismus und Kollektivismus - Krisenerscheinungen der heutigen Wirtschaft: Arbeitslosigkeit, Inflation, Währungskrise, Problem der Auslandsverschuldung - Notwendigkeiten, Gesetze und ethische Forderungen des wirtschaftlichen Fortschritts – Rolle der Wirtschaft im Leben des Menschen - Kriterium der Gesellschaftlichkeit - Weg der sozialen Gerechtigkeit - Die gesellschaftliche Wirtschaft - Die Freiheit und die soziale Kontrolle der Wirtschaft - Notwendigkeit und soziale Funktion des Kapitals - Die soziale Gerechtigkeit im Handel und im Finanzwesen - Die soziale Gerechtigkeit im internationalen Handel - Preisausgleich in den Beziehungen zwischen reichen und armen Ländern - Die Politik der Wiederanlage von Kapital und das Kriterium des Gemeinwohls – Die Währungspolitik im Dienste des Gemeinwohls und der Ärmsten - Soziale Regelung der Zinssätze - Unzulässigkeit der Operationen, die beim Währungswechsel Klassen, Gebiete und schwächere Nationen benachteiligen - Neue ökonomisch-soziale Ordnung.

Das Privateigentum: Gemeinbestimmung der Erdengüter - Zugang für alle zu den Gütern dieser Erde - Das Eigentumsrecht und seine Bedeutung - Nutzung und Umwandlung der Erde - Ausbeutung der Bodenschätze - Nutzung und Besitz der Güter -Begründung und Grenzen des Privateigentums - Die Unterordnung des Privateigentums unter die Erfordernisse des Lebens - Grundlagen für eine Erneuerung des Eigentumsrechts - Das Anliegen des Sozialismus -Kollektivierung unvereinbar mit dem christlichen Humanismus - Das Gesetz des Gleichgewichts und der sozialen Harmonie - Kriterium der Gesellschaftlichkeit - Beachtung der Agrarwelt -Agrarreform: Teilung und Verteilung der nicht bebauten Flächen.

Die Arbeit: Krise und augenblickliche Problematik der Arbeit - Der Arbeitskonflikt: industrialisierte und nicht industrialisierte Länder - Die Krise der Arbeit in der Dritten Welt - Das Hungerproblem -Soziale Randexistenz - Kontext der Arbeit in der Soziallehre - Der Wert und die Würde der Arbeit: philosophische, theologische und geistliche Grundlagen der menschlichen Arbeit - Objektive soziale Dimension der Arbeit -Ungerechte Arbeitsbedingungen - Vorrang der Arbeit vor dem Kapital - Rechte und Pflichten der Arbeiter - Die Organisation der Arbeit - Intervention der Öffentlichen Hand - Die subsidiäre Funktion des Staates - Das Problem des gerechten Arbeitsentgeltes: der gerechte, gesetzliche, familiäre, ausreichende Lohn – Arbeit und Familie in der modernen Gesellschaft - Die Arbeit der Frau in der heutigen Gesellschaft - Sozialversicherung des Arbeiters - Die Rechte der Arbeit: Überwindung des merkantilen Charakters, Überwindung der Entfremdung des Menschen durch die Arbeit, Rückgewinnung des Sinnes der Arbeit – Für eine neue Arbeitsverteilung.

Das Unternehmen als Arbeitsgemeinschaft: Die Mitbestimmung - Die freie Vereinigung in der Arbeitswelt - Arbeiterbewegung und Klassenkampf - Gewerkschaften, Unternehmen und Gesellschaft - Beteiligung der Arbeitnehmer am Gemeinwohl - Solidarität der Arbeitnehmer für das Gemeinwohl - Solidarität der Arbeitnehmer und mit den Arbeitnehmern - Einzelarbeiter und Tarifverträge - Die Natur des Streiks: Bedingungen für die Rechtfertigung - Missbrauch des Streiks.

4. In der Politik: Zeitgenössische, politische Phänomene - Die großen ideologischen und sozio-politischen Strömungen - Das Wesen der Gesellschaft und der Macht - Politische Gesellschaft und Staat - Moderne Staatsformen: totalitärer Staat, autoritärer Staat und demokratischer Staat - Bestandteile einer gesunden demokratischen Ordnung - Soziale Demokratie - Sittliche Erfordernisse der Sozialen Demokratie -Wirtschaftsdemokratie - Beteiligungsdemokratie - Ideologie und Praxis im Kommunismus – Der Liberalismus und die Verabsolutierung der Freiheit - Autonomie des Staates und seine Funktion im Dienst am Gemeinwohl, zur Beachtung der Menschenrechte, zur Erneuerung der Strukturen für die Ausübung der Freiheit und eines gesunden Pluralismus - Zugehörigkeit und Beteiligung an der politischen Gemeinschaft - Die Kirche und die Politik - Die Freiheit der Kirche und des Staates - Sozio-politischer Einsatz des Christen: Rechte, Pflichten und Verantwortung der Katholiken.

5. In der Kultur: Die kulturellen Veränderungen von heute – Ausbreitung der industriellen und urbanen Zivilisation - Gesamtbegriff der Kultur – Ihre Funktion im menschlichen und gesellschaftlichen Fortschritt -Kirche, Kultur und Pluralität der Kulturen - Die Förderung der Kultur - Dialog zwischen Kultur und christlichem Glauben - Das Thema der Inkulturation des Glaubens - Ideologie, Glaube und Theologie - Die Verpflichtung der Christen – Umfeld und Wege zur kulturellen Erziehung: Familie, Schule, Universität, Kommunikationsmittel, Sport, Tourismus - Achtung und Unterstützung der Kirche für die Träger von Wissenschaft, Literatur und Kunst - Beziehungen zwischen Kultur und Theologie - Kulturelle Mission der katholischen Schulen und Universitäten - Der technische Fortschritt und die Kultur - Die Unterordnung des technologischen Fortschritts unter das oberste Ziel des Lebens - Soziale und kulturelle Kommunikation und menschlicher Fortschritt - Recht auf Information und Ideenverbreitung -Bedeutung und Funktion der öffentlichen Meinung – Die Funktion des Journalismus in Kultur und moderner Gesellschaft – Information zum Dienst an der Wahrheit - Verantwortung der Kirche.

6. In Wissenschaft und Technik: Das Problem der Manipulation der Wissenschaft und der Technologie -Bereiche, in denen diese Manipulation erfolgt - Das ethische Anliegen.

7. In der internationalen Gemeinschaft: Die internationale Gemeinschaft - Menschliche Gemeinschaft und internationale Gesellschaft: aktuelle Probleme - Die Achtung der Freiheit und der Selbstbestimmung der Völker - Kooperation, wechselseitige Abhängigkeit und Solidarität und die Gesetze für gerechte Beziehungen zwischen den Völkern - Die internationale Gerechtigkeit und die ökonomisch-soziale Entwicklung der Völker - Probleme und Situationen - Das Nord-Süd-Verhältnis - Die Ost-West-Beziehungen - Das Problem des Krieges: seine Unmoral - Die Abrüstung - Konstruktive Rolle der Wissenschaft und der Technologie - Ablehnung des Rüstungswettlaufs - Der Friede: Moralische Erfordernisse des sozialen Friedens - Internationale Solidarität für den Frieden - Erscheinungsformen der Gewalttätigkeit - Formen der Gewaltanwendung - Ursachen der politischen Gewalttätigkeit - Terrorismus und Guerilla - Repressive Gewalt - Verurteilung der Gewalttätigkeit - Einsatz für die Gerechtigkeit - Das Phänomen der menschlichen Mobilität - Recht auf Emigration.

8. In der Ökologie: Ökologische Krise - Ökologische Politik für den Umweltschutz für die Gesundheit aller - Gedanken Pauls VI. und Johannes Pauls II. - Phänomen der Verstädterung - Ethik der Ökologie.

9. Die "Soziale Frage" in der Dritten Welt: Probleme, ungerechte Situationen - Hoffnungen.


V.

Ausarbeitung und Weiterentwicklung der Soziallehre in den Hirtenbriefen der Bischofskonferenzen und der einzelnen Kirchen.


VI.

Zuständigkeit und Aufgabe der Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien in der Ausarbeitung der Soziallehre und beim Einsatz in der Sozialen Aktion der Kirche - Die soziale Aktion der Teilkirche als Antwort auf lokale Probleme.


VII.

Theologisch-pastorale Schlussfolgerung: Gottes Plan mit dem Menschen und seine Berufung -Bruch mit Gottes Plan: persönliche, soziale und strukturelle Sünde - Die Bekehrung des Menschenherzens als Gabe des Heiligen Geistes.


Anhang II

Texte des sozialen Lehramtes der Kirche im Hinblick auf einige besonders wichtige Teile der "Leitlinien"

(7) "Deswegen wünschen Wir dringend, dass man sich immer mehr in sie vertieft. Vor allem wünschen Wir, dass sie in den katholischen Schulen aller Stufen, ganz besonders aber in den Seminarien, als Pflichtfach vorgetragen werde; wir wissen allerdings, dass dies in verschiedenen Anstalten bereits seit längerer Zeit in ausgezeichneter Weise geschieht" (Mater et magistra, Nr. 223).

(10) "Die kirchliche Soziallehre ist kein ,dritter Weg' zwischen liberalistischem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus und auch keine mögliche Alternative zu anderen, weniger weit voneinander entfernten Lösungen: Sie ist vielmehr etwas Eigenständiges. Sie ist auch keine Ideologie, sondern die genaue Formulierung der Ergebnisse einer sorgfältigen Reflexion über die komplexen Wirklichkeiten menschlicher Existenz in der Gesellschaft und auf internationaler Ebene, und dies im Licht des Glaubens und der kirchlichen Überlieferung. Ihr Hauptziel ist es, solche Wirklichkeiten zu deuten, wobei sie prüft, ob diese mit den Grundlinien der Lehre des Evangeliums über den Menschen und seine irdische und zugleich transzendente Berufung übereinstimmen oder nicht, um daraufhin dem Verhalten der Christen eine Orientierung zu geben. Sie gehört daher nicht in den Bereich der Ideologie, sondern der Theologie und insbesondere der Moraltheologie" (Sollidtudo rei socialis, Nr. 41).

(14) "Doch wäre das Werk der Verkündigung nicht vollkommen, wenn es nicht dem Umstand Rechnung tragen würde, dass sich im Laufe der Zeit das Evangelium und das konkrete, persönliche und gemeinschaftliche Leben des Menschen gegenseitig fordern" (Evangelii nuntiandi, Nr. 29). "Zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung – Entwicklung und Befreiung - bestehen in der Tat enge Verbindungen: Verbindungen anthropologischer Natur, denn der Mensch, dem die Frohbotschaft gilt, ist kein abstraktes Wesen, sondern sozialen und wirtschaftlichen Problemen unterworfen; Verbindungen theologischer Natur, da man ja den Schöpfungsplan nicht vom Erlösungsplan trennen kann, der hineinreicht bis in die ganz konkreten Situationen des Unrechts, das es zu bekämpfen, und der Gerechtigkeit, die es wiederherzustellen gilt. Verbindungen schließlich jener ausgesprochen biblischen Ordnung, nämlich der Liebe. Wie könnte man in der Tat das neue Gebot verkünden, ohne in der Gerechtigkeit und im wahren Frieden das echte Wachstum des Menschen zu fördern?" (Evangelii nuntiandi, Nr. 31).

(18) "Die Soziallehre, die die katholische Kirche überliefert und verkündet hat, bleibt ohne Zweifel für alle Zeiten in Geltung. Nach dem obersten Grundsatz dieser Lehre muss der Mensch der Träger, Schöpfer und das Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen sein. Und zwar der Mensch, sofern er von Natur aus auf Mit-Sein angelegt und zugleich zu einer höheren Ordnung berufen ist, die die Natur übersteigt und diese zugleich überwindet. Dieses oberste Prinzip trägt und schützt die unantastbare Würde der menschlichen Person. Aus dem gleichen Prinzip heraus hat die Kirche, besonders in den letzten hundert Jahren, unter Mitarbeit von Gelehrten aus dem Priester- und Laienstand ihre weitausgebaute Soziallehre entwickelt. Nach ihr sollen die menschlichen Beziehungen gestaltet werden entsprechend den allgemeinen Grundsätzen, die sich aus der Natur der Dinge sowie den konkreten Verhältnissen des menschlichen Zusammenlebens ergeben, wie aus dem spezifischen Charakter der Zeit. Die Grundsätze sind deshalb für alle annehmbar" (Mater et magistra).

(19) "An die Spitze Unserer Ausführungen setzen Wir den von Leo XIII. schon in helles Licht gestellten Satz: nach Recht und Pflicht walten Wir traft Unserer höchsten Autorität des Richteramtes über die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen. Gewiss ward der Kirche nicht die Aufgabe, die Menschen zu einem bloß vergänglichen und hinfälligen Glück zu führen, sondern zur ewigen Glückseligkeit. Ja, die Kirche würde es sich als einen Übergriff anrechnen, grundlos in diese irdischen Angelegenheiten sich einzumischen. Aber unmöglich kann die Kirche des von Gott ihr übertragenen Amtes sich begeben, ihre Autorität geltend zu machen, nicht zwar in Fragen technischer Art, wofür sie weder über die geeigneten Mittel verfügt, noch eine Sendung erhalten hat, wohl aber in allem, was auf das Sittengesetz Bezug hat. Die von Gott Uns anvertraute Hinterlage der Wahrheit und das von Gott Uns aufgetragene heilige Amt, das Sittengesetz in seinem ganzen Umfang zu verkünden, zu erklären und - ob erwünscht, ob unerwünscht - auf seine Befolgung zu dringen, unterwerfen nach dieser Seite hin wie den gesellschaftlichen, so den wirtschaftlichen Bereich vorbehaltlos Unserem höchstrichterlichen Urteil" (Quadragesimo anno).

(23) "Zur Erfüllung dieses ihres Auftrages obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen" (Gaudium et spes, Nr. 4).

(57) "Die fundamentale Zweckbestimmung dieses Produktionsprozesses besteht aber weder in der vermehrten Produktion als solcher noch in Erzielung von Gewinn oder Ausübung von Macht, sondern im Dienst am Menschen, und zwar am ganzen Menschen im Hinblick auf seine materiellen Bedürfnisse, aber ebenso auch auf das, was er für sein geistiges, sittliches, spirituelles und religiöses Leben benötigt. Das gilt ausdrücklich für alle Menschen und für jeden einzelnen, für jede Gruppe, für Menschen jeder Rasse und jeden Erdteils. Daraus folgt: alle wirtschaftliche Tätigkeit ist - nach den ihr arteigenen Verfahrensweisen und Gesetzmäßigkeiten - immer im Rahmen der sittlichen Ordnung so auszuüben, dass das verwirklicht wird, was Gott mit dem Menschen vorhat" (Gaudium et spes, Nr. 64).

(58) "Gleichzeitig haben die sozialen Konflikte weltweites Ausmaß angenommen. Unruhen, die die ärmeren Bevölkerungsklassen während der Entwicklung ihres Landes zum Industriestaat erfasst haben, greifen auch auf Länder über, deren Wirtschaft noch fast rein agrarisch ist. Auch die ländliche Bevölkerung wird sich so heute ihrer elenden und unheilvollen Verhältnisse bewusst. Und zu allem kommt der Skandal schreiender Ungerechtigkeit nicht nur im Besitz der Güter, sondern mehr noch in deren Gebrauch" (Populorum progressio, Nr. 9).

(59) "Die Entwicklung der Völker wird von der Kirche aufmerksam verfolgt: vor allem derer, die dem Hunger, dem Elend, den herrschenden Krankheiten, der Unwissenheit zu entrinnen suchen; derer, die umfassender an den Früchten der Zivilisation teilnehmen und ihre Begabung wirksamer zur Geltung bringen wollen, die entschieden ihre vollere Entfaltung erstreben. Das Zweite Vatikanische Konzil wurde vor kurzem abgeschlossen. Seither steht das, was das Evangelium in dieser Frage fordert, klarer und lebendiger im Bewusstsein der Kirche. Es ist ihre Pflicht, sich in den Dienst der Menschen zu stellen, um ihnen zu helfen, dieses schwere Problem in seiner ganzen Breite anzupacken, und sie in diesem entscheidenden Augenblick der Menschheitsgeschichte von der Dringlichkeit gemeinsamen Handelns zu überzeugen" (Populorum progressio, Nr.1).

(60) "Die Entwicklungshilfe braucht immer mehr Techniker. Noch nötiger freilich hat sie weise Menschen mit tiefen Gedanken, die nach einem neuen Humanismus Ausschau halten, der den Menschen von heute sich selbst finden lässt, im Ja zu den hohen Werten der Liebe, der Freundschaft, des Gebets, der Betrachtung. Nur so kann sich die wahre Entwicklung voll und ganz erfüllen, die für den einzelnen, die für die Völker der Weg von weniger menschlichen zu menschlicheren Lebensbedingungen ist" (Populorum progressio, Nr. 20). "Weniger menschlich: das sind die materiellen Nöte derer, denen das Existenzminimum fehlt; das ist die sittliche Not derer, die von Egoismus zerfressen sind. Weniger menschlich: das sind die Züge der Gewalt, die im Missbrauch des Besitzes oder der Macht ihren Grund haben, in der Ausbeutung der Arbeiter, in ungerechtem Geschäftsgebaren, Menschlicher: das ist der Aufstieg aus dem Elend zum Besitz des Lebensnotwendigen, die Überwindung der sozialen Missstände, die Erweiterung des Wissens, der Erwerb von Bildung. Menschlicher: das ist das deutlichere Wissen um die Würde des Menschen, das Ausrichten auf den Geist der Armut, die Zusammenarbeit zum Wohle aller, der Wille zum Frieden. Menschlicher: das ist die Anerkennung letzter Werte von seiten des Menschen und die Anerkennung Gottes, ihrer Quelle und ihres Zieles. Menschlicher: das ist endlich vor allem der Glaube, Gottes Gabe, angenommen durch des Menschen guten Willen, und die Einheit in der Liebe Christi, der uns alle ruft, als Kinder am Leben des lebendigen Gottes teilzunehmen, des Vaters aller Menschen" (Populorum progressio, Nr. 21).

(62) "Wenn wir im vorliegenden Dokument wiederum auf dieses Problem (der menschlichen Arbeit) zurückkommen..., ...dann nicht so sehr in der Absicht, die bisherigen Aussagen des kirchlichen Lehramtes aufzugreifen und zu wiederholen. Vielmehr geht es darum..., dass die menschliche Arbeit ein Schlüssel und wohl der wesentliche Schlüssel in der gesamten sozialen Frage ist, wenn wir sie wirklich vom Standpunkt des Wohls für den Menschen betrachten wollen" (Laborem exercens, Nr.3).

(63) »Die Kirche ist überzeugt, dass die Arbeit eine fundamentale Dimension der Existenz des Menschen auf Erden darstellt. Diese Überzeugung wird ihr auch vom Blick auf den Erkenntnisschatz der zahlreichen Wissenschaften bestätigt, deren Objekt der Mensch ist: Anthropologie, Paläontologie, Geschichte, Soziologie, Psychologie usw.: Alle scheinen diese Tatsache unwiderlegbar zu beweisen. Vor allem aber schöpft die Kirche diese ihre Überzeugung aus dem geoffenbarten Wort Gottes, wodurch ihr die Überzeugung des Verstandes zugleich zur Überzeugung des Glaubens wird. Der Grund dafür ist - und es lohnt sich, das von allem Anfang an zu beachten, dass die Kirche an den Menschen glaubt: Nicht nur im Licht der geschichtlichen Erfahrung, nicht nur mit Hilfe der verschiedenen Methoden wissenschaftlicher Erkenntnisse denkt sie an den Menschen und wendet sich ihm zu, sondern in erster Linie im Licht des geoffenbarten Wortes des lebendigen Gottes" (Laborem exercens, Nr. 4).

(75) »Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen... Diesen Dienst können beide zum Wohl aller um so wirksamer leisten, je mehr und besser sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände von Ort und Zeit zu berücksichtigen. Der Mensch ist ja nicht auf die zeitliche Ordnung beschränkt, sondern inmitten der menschlichen Geschichte vollzieht er ungeschmälert seine ewige Berufung. Die Kirche aber, in der Liebe des Erlösers begründet, trägt dazu bei, dass sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten. Indem sie nämlich die Wahrheit des Evangeliums verkündet und alle Bereiche menschlichen Handelns durch ihre Lehre und das Zeugnis der Christen erhellt, achtet und fördert sie auch die politische Freiheit der Bürger und ihre Verantwortlichkeit" (Gaudium et spes, Nr. 76).

(78) Aus der gesellschaftlichen Natur des Menschen geht hervor, dass der Fortschritt der menschlichen Person und das Wachsen der Gesellschaft als solcher sich gegenseitig bedingen. Wurzelgrund nämlich, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist und muss auch sein die menschliche Person, die ja von ihrem Wesen selbst her des gesellschaftlichen Lebens durchaus bedarf' (Gaudium et spes, Nr. 25).

(87) »... so muss doch allzeit unverrückbar jener höchst gewichtige sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende fuhren können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen" (Quadragesimo anno).

(90) "Während der Fortschritt von Wissenschaft und Technik den äußeren Lebensbereich der Menschen gewaltig verändert hat und neue Denk- und Arbeitsformen, wie auch neue Kontakte unter den Menschen brachte, machen sich unter diesen Lebensverhältnissen von heute immer deutlicher zwei Bestrebungen bemerkbar. Je mehr nämlich das allgemeine Wissen und die Bildung zunehmen, um so mehr machen sich diese beiden Ausdrucksformen der menschlichen Würde und Freiheit geltend: der Anspruch auf Gleichheit und der Anspruch auf Mitbestimmung" (Octogesima adveniens, Nr. 22).

(93) "Von Sozialisierung kann man nur dann sprechen, wenn der Subjektcharakter der Gesellschaft garantiert ist, das heißt wenn jeder aufgrund der eigenen Arbeit den vollen Anspruch hat, sich zugleich als Miteigentümer der großen Werkstätte zu betrachten, in der er gemeinsam mit allen anderen arbeitet. Ein Weg auf dieses Ziel hin könnte sein, die Arbeit soweit wie möglich mit dem Eigentum am Kapital zu verbinden und eine große Vielfalt mittlerer Körperschaften mit wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Zielsetzung ins Leben zu rufen: Körperschaft ten, die ihre spezifischen Ziele in ehrlicher Zusammenarbeit und mit Rücksicht auf die Forderungen des Gemeinwohls verfolgen und sich in Form und Wesen als lebensvolle Gemeinschaften erweisen, so dass sie ihre Mitglieder als Personen betrachten und behandeln und zu aktiver Teilnahme an ihrem Leben anregen" (Laborem exercens, Nr. 14, 7).

(100) "Das Zusammenleben der Menschen ist deshalb, Ehrwürdige Brüder und geliebte Söhne, als ein vordringlich geistiges Geschehen aufzufassen. In den geistigen Bereich gehören nämlich die Forderungen, dass die Menschen im hellen Licht der Wahrheit ihre Erkenntnisse untereinander austauschen, dass sie ihre Rechte wahrzunehmen und ihre Pflicht zu erfüllen in den Stand gesetzt werden, dass sie angespornt werden, die geistigen Güter zu erstreben, dass sie aus jeder ehrenhaften Sache, wie immer sie beschaffen sein mag, einen Anlass zu gemeinsamer rechtschaffener Freude gewinnen, dass sie in unermüdlichem Wollen das Beste, was sie haben, einander mitzuteilen und voneinander zu empfangen suchen. Diese Werte berühren und lenken alles, was sich auf Wissenschaft, Wirtschaft, soziale Einrichtungen, Entwicklung und Ordnung des Staates, Gesetzgebung und schließlich auf alle übrigen Dinge bezieht, die äußerlich das menschliche Zusammenleben ausmachen und in ständigem Fortschritt entwickeln" (Pacem in terris).

"Es ist nicht schwer festzustellen, dass in der heutigen Welt wieder ein Sinn für Gerechtigkeit erwacht ist; er ist weit verbreitet. „Die Kirche teilt mit den Menschen unserer Zeit diesen tiefen brennenden Wunsch nach einem in jeder Hinsicht gerechten Leben und versäumt es nicht, die verschiedenen Aspekte der Gerechtigkeit, wie sie das Leben der Menschen und der Gesellschaftsgruppen fordert, zu durchdenken. Das bestätigt der Bereich der katholischen Soziallehre, die sich im Lauf der letzten hundert Jahre machtvoll entwickelt hat. ... Man kann jedoch schwerlich darüber hinwegsehen, dass die Programme, die von der Idee der Gerechtigkeit ausgehen und deren Verwirklichung im Zusammenleben der Menschen, der menschlichen Gruppen und Gesellschaften dienen sollen, in der Praxis oft arg entstellt werden. Obwohl sie sich dann weiter auf die Idee der Gerechtigkeit berufen, gewinnen - so lehrt die Erfahrung - negative Kräfte, wie etwa Groll, Hass oder gar Grausamkeit die Oberhand. In diesem Fall wird das Verlangen, den Feind zu vernichten, seine Freiheit einzuschränken oder ihm eine vollständige Abhängigkeit aufzuerlegen, zum eigentlichen Beweggrund des Handelns; dies widerspricht dem Ursinn von Gerechtigkeit, die ihrem Wesen nach darauf abzielt, Gleichheit und Gleichstellung zwischen den streitenden Parteien zu erreichen. ... Die Erfahrung der Vergangenheit und auch unserer Zeit lehrt, dass die Gerechtigkeit allein nicht genügt, ja, zur Verneinung und Vernichtung ihrer selbst führen kann, wenn nicht einer tieferen Kraft - der Liebe - die Möglichkeit geboten wird, das menschliche Leben in seinen verschiedenen Bereichen zu prägen" (Dives in misericordia, Nr. 12, 1, 2, 3).

(101) "Die Solidarität ist eine direkte Forderung der menschlichen und übernatürlichen Brüderlichkeit. Die schwerwiegenden sozialwirtschaftlichen Probleme, die sich heute stellen, können nur gelöst werden, wenn man neue Allianzen der Solidarität bildet. Solidarität der Armen untereinander; Solidarität mit den Armen, zu der die Reichen aufgefordert sind, Solidarität der Arbeiter und mit den Arbeitern" (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 89).

"Die Verschuldung der Entwicklungsländer muss in dem größeren Zusammenhang der wirtschaftlichen, politischen und technologischen Beziehungen gesehen werden, die die wachsende Interdependenz zwischen den Ländern und die Notwendigkeit eines internationalen konzertierten Vorgehens zum Zwecke des Gemeinwohls deutlich werden lassen. Diese Interdependenz muss, wenn sie gerecht sein soll, neue und erweiterte Formen der Solidarität hervorbringen, die die Gleichheit der Würde aller Völker achten, anstatt zur Vorherrschaft der Stärkeren, zu nationalem Egoismus, zu Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu führen" (päpstliche Kommission "Iustitia et Pax", Im Dienste der menschlichen Gemeinschaft: ein ethischer Ansatz zur Überwindung der internationalen Schuldenkrise, I, 1).

(102) "Die Lösung für den größten Teil der sehr schwerwiegenden Probleme des Elends findet sich daher in der Förderung einer echten Zivilisation der Arbeit. Die Arbeit ist in gewisser Weise der Schlüssel zu der ganzen Sozialfrage. ... Wenn das System der Arbeitsbeziehungen, das von den unmittelbar Beteiligten, den Arbeitnehmern und Arbeitgebern, mit der unerlässlichen Hilfe der öffentlichen Hand geschaffen wird, es zustande bringt, eine Zivilisation der Arbeit hervorzubringen, so wird es in der Mentalität der Völker und bis in die institutionellen und politischen Grundlagen hinein eine tiefgreifende friedliche Revolution bewirken" (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis conscientia über die christliche Freiheit und die Befreiung, Nr. 83).

(104) "Produktion und Handel sind fast zum Monopol von wenigen geworden, und so konnten wenige übermäßig Reiche einer Masse von Besitzlosen ein nahezu sklavisches Joch auflegen" (Rerum novarum).

(106) »Die Folge davon sind gegenseitiges Misstrauen und Feindschaft, Konflikte und Notlagen. Ihre Ursache und ihr Opfer zugleich ist der Mensch" (Gaudium et spes, Nr. 8).

(107) "Die Pflicht zur Solidarität unter den Menschen besteht auch für die Völker: Es ist eine schwere Verpflichtung der hochentwickelten Länder, den aufstrebenden Völkern zu helfen". ... Jedes Volk muss mehr und besser produzieren, einmal um seinen eigenen Angehörigen ein wahrhaft menschenwürdiges Leben zu gewährleisten, dann aber auch, um an der solidarischen Entwicklung der Menschheit mitzuarbeiten. Bei der wachsenden Not der unterentwickelten Länder ist es durchaus in der Ordnung, dass die reichen Länder einen Teil ihrer Produktion zur Befriedigung der Bedürfnisse der anderen abzweigen; und ebenso, dass sie Lehrer, Ingenieure, Techniker, Wissenschaftler ausbilden, die ihr Wissen und Können in den Dienst der anderen stellen" (Populorum progressio, Nr. 48).

(108) »Gleichzeitig jedoch ließen verschiedene ideologische Systeme oder Machtgruppierungen sowie neue Beziehungen auf den verschiedenen Ebenen menschlichen Zusammenlebens offene Ungerechtigkeiten weiterbestehen oder haben neue geschaffen" (Laborem exercens, Nr. 8.4).

(112) "Im Falle des Marxismus, wie man ihn in der Befreiungstheologie zu gebrauchen beansprucht, drängt sich eine vorgängige Kritik um so mehr auf, als das Denken von Marx eine Weltanschauung darstellt, in der zahlreiche Daten der Beobachtung und der beschreibenden Analyse in eine philosophisch-theologische Struktur integriert sind, die bestimmt, welche Bedeutung und relative Wichtigkeit man diesen Daten zumisst. Die ideologischen Apriori werden bei der Lektüre der sozialen Wirklichkeit vorausgesetzt" (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis nuntius über einige Aspekte der " Theologie der Befreiung", VII. 6).

". ..so wäre es doch in hohem Grad töricht und gefährlich, ... Elemente der marxistischen Analyse zu übernehmen, ohne ihre Beziehungen zur Lehre selbst in Betracht zu ziehen, und schließlich sich am Klassenkampf zu beteiligen und dabei eine marxistische Deutung zu bejahen, dagegen den gewaltsamen und absolutistischen Charakter der Gesellschaft zu übersehen, zu dem diese Verfahrensweise allmählich fuhrt" (Octogesima adveniens, Nr. 34).

(113) "Daher kann der Christ, der nach seinem Glauben leben will und die politische Tätigkeit als Dienst zum Nutzen anderer ausübt, niemals - ohne sich selbst zu widersprechen - jenen Ideologien (ideologischen Systemen) Folge leisten, die von Grund aus oder doch in wesentlichen Stücken ihrer Lehre mit dem Glauben und dessen Menschenbild unvereinbar sind. Folglich kann er auch nicht der marxistischen Ideologie beipflichten, ... Ebenso wenig kann der Christ der liberalistischen Ideologie beipflichten ..." (Octogesima adveniens, Nr. 26).

(117) "Bei diesem neuen Ansturm der Ideologien muss der Christ die Grundsätze und Regeln für sein Handeln den Quellen seines Glaubens und dem Lehramt der Kirche entnehmen, um sich nicht zunächst anziehen und zuletzt einsperren zu lassen in ein Lehrgebäude, über dessen Ziele und Totalitätsanspruch er sich erst zu spät klar wird, wenn er sie nicht bereits in seinen Wurzeln erkannte. Über alle ideologischen Systeme hinausschreitend, ohne deswegen in seinem Einsatz für seine Brüder zu erlahmen, wird er durch die Wahl der Mittel und Wege, für die er sich entscheidet, den besonderen Wertgehalt des christlichen Beitrags zur Bessergestaltung der Gesellschaft erweisen" (Octogesima adveniens, Nr. 36).

(118) "Alle Soziallehren müssen jedoch nicht nur getragen, sie müssen auch verwirklicht werden. Dies gilt für die Soziallehre der Kirche ganz besonders. Ist doch die Wahrheit das Fundament, die Gerechtigkeit ihr Ziel und die Liebe ihre Triebkraft" (Mater et magistra).

(123) "Die Laien sind eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten. ... Aufgabe ihres dazu von vornherein richtig geschulten Gewissens ist es, das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen" (Gaudium et spes, Nr. 43).

"Das Apostolat im sozialen Milieu, nämlich das Bemühen, Mentalität und Sitte, Gesetz und Strukturen der Gemeinschaft, in der jemand lebt, im Geist Christi zu gestalten, ist so sehr Aufgabe und Pflicht der Laien, dass sie durch andere niemals entsprechend erfüllt werden kann" (Apostolicam actuositatem, Nr. 13).

"Eine der Voraussetzungen für die notwendige theologische Erneuerung ist es, die kirchliche Soziallehre wieder zu betonen. Diese Lehre ist keineswegs abgeschlossen. Im Gegenteil, sie ist offen für alle neuen Fragen, die im Laufe der Zeit auftauchen. ... Die kirchliche Soziallehre bietet die großen ethischen Richtlinien. Damit sie aber direkt das Handeln leiten kann, braucht es kompetente Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Technik. Die Hirten sollen auf die Ausbildung solcher kompetenter Persönlichkeiten achten, die tief aus dem Evangelium leben. Es gehört zur ureigenen Sendung der Laien, die Gesellschaft zu formen, hier sind sie höchstpersönlich betroffen" (Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Libertatis nuntius über einige Aspekte der "Theologie der Befreiung", 12, 14).

(127) "In klarer Erkenntnis der Forderungen der Zeit beschäftigt sich eine Reihe katholischer Männer mit dem Studium der sozialen Fragen, und sie verdienen das höchste Lob für die Hingebung, mit welcher sie die Mittel aufsuchen und erproben, durch welche die Besitzlosen nach und nach in eine bessere Lage versetzt werden können. Wir sehen sie des herrschenden Übelstandes und der materiellen Stellung der Familien und der einzelnen sich annehmen. Sie arbeiten dahin, dass in der gegenseitigen Verbindlichkeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Billigkeit und Gerechtigkeit zur Geltung kommen. Sie suchen in anerkennenswerter Weise bei beiden Teilen das Gefühl der Pflicht und des Gehorsams gegen die Vorschriften des heiligen Evangeliums zu bekräftigen. .." (Rerum novarum).

(130) "Es genügt nicht, allgemeine Grundsätze dem Gedächtnis der Menschen einzuhämmern, gute Vorsätze zu beteuern, schreiende Ungerechtigkeiten anzuprangern, mit prophetischem Freimut Strafgerichte anzukündigen; alles das bedeutet nichts, wenn damit nicht verbunden ist das Ernstnehmen der eigenen Verantwortung und ein entsprechend entschlossenes Handeln" (Octogesima adveniens, Nr. 48).

(131) "Im Verlauf der Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika ,Rerum novarum' hat die soziale Frage unablässig die Aufmerksamkeit der Kirche auf sich gezogen. Das bezeugen die zahlreichen Aussagen des obersten Lehramtes sowohl der Päpste wie auch des II. Vatikanischen Konzils; das bezeugen die Verlautbarungen der einzelnen Episkopate; das bezeugt ferner die Tätigkeit der verschiedenen Zentren für Studien und für konkrete kirchliche Maßnahmen auf internationaler Ebene wie im Bereich der Ortskirchen" (Laborem exercens, Nr. 2).

(135) "Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person. ... Immer und überall aber nimmt sie das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen" (Gaudium et spes, Nr. 76).

(139) "Die Laien haben das Recht, dass ihnen in den Angelegenheiten des irdischen Gemeinwesens jene Freiheit zuerkannt wird, die allen Bürgern zukommt; beim Gebrauch dieser Freiheit haben sie jedoch dafür zu sorgen, dass ihre Tätigkeiten vom Geist des Evangeliums erfüllt sind und sich nach der vom Lehramt der Kirche vorgelegten Lehre zu richten; dabei haben sie sich jedoch davor zu hüten, in Fragen, die der freien Meinungsbildung unterliegen, ihre eigene Ansicht als Lehre der Kirche auszugeben" (C./.C., can. 227).

(140) § 1: "Die Kleriker haben die Bewahrung von Frieden und Eintracht, die auf Gerechtigkeit beruhen, unter den Menschen so weit als möglich immer zu fördern".

§ 2: "Die aktive parteipolitische Betätigung und die Übernahme von Leitungsfunktionen in Gewerkschaften sind nur mit kirchlicher Genehmigung gestattet, wenn sie dem Schutz der Rechte der Kirche oder dem Gemeinwohl förderlich sind" (C.I.C., can. 287).

(145) "Die kirchliche Soziallehre mit dem ihr eigenen Dynamismus geht ihm bei diesem Suchen nach Lösungen zur Hand. Wenn sie auch nicht interveniert, um eine bestehende Struktur kraft ihrer Autorität zu bestätigen oder ein vorfabriziertes Muster vorzulegen, beschränkt sie sich doch nicht darauf, einige allgemeine Grundsätze in Erinnerung zu rufen. Nein, sie entfaltet sich durch Überlegung und Forschung in ständiger Anwendung auf den ständigen Wechsel der Dinge dieser Welt, alles unter dem Impuls des Evangeliums als einer Quelle der Erneuerung, sofern nur seine Botschaft und seine Forderungen in ihrem vollen Umfang ernst genommen werden" (Octogesima adveniens, Nr. 42). !

(146) "In der Seelsorge sollen nicht nur die theologischen Prinzipien, sondern auch die Ergebnisse der profanen Wissenschaften, vor allem der Psychologie und der Soziologie, wirklich beachtet und angewendet werden..." (Gaudium et spes, Nr. 62).

"Im Gebrauch der pädagogischen, psychologischen und soziologischen Hilfsmittel sollen sie methodisch richtig und den Richtlinien der kirchlichen Autorität entsprechend unterrichtet werden. .." (Optatam totius, Nr. 20).

(148) "Mag auch die ganze Ausbildung der Alumnen im Seminar ein seelsorgliches Ziel verfolgen, so ist in ihm doch eine pastorale Ausbildung im engeren Sinn einzurichten; in ihr haben die Alumnen die Grundsätze und Fertigkeiten zu lernen, ihren Dienst, das Volk Gottes zu lehren, zu heiligen und zu leiten, auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Ortes und der Zeit auszuüben" (C.I.C., can. 255).

(150) "Die Bischöfe aber, denen das Amt, die Kirche Gottes zu leiten, anvertraut ist, sollen mit ihren Priestern die Botschaft Christi so verkündigen, dass alle irdischen Tätigkeiten der Gläubigen von dem Licht des Evangeliums erhellt werden" (Gaudium et spes, Nr. 43).

(151) "Zudem sollen alle Seelsorger bemüht sein, in ihrer Lebensführung und in ihrem Berufseifer der Welt ein solches Antlitz der Kirche zu zeigen, dass die Menschen sich daran ein Urteil über die Kraft und Wahrheit der christlichen Botschaft bilden können" (Gaudium et spes, Nr. 43).

"Durch das Leben muss die Fruchtbarkeit der christlichen Soziallehre nachgewiesen werden; und durch den konkreten Einsatz, das Zeugnis der Arbeit, die wirksame Förderung muss das heilbringende Licht des Evangeliums auf die anderen ausstrahlen" (Johannes Paul II., Botschaft zum Gedenken des 90. Jahrestages von "Rerum novarum", Nr. 3).

Anmerkungen

<references />