Donum vitae (Wortlaut)

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Instruktion
Donum vitae

Kongregation für die Glaubenslehre
unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
22. Februar 1987
über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung

(Quelle: Deutsche Fassung auf der Vatikanseite;
Auch in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74.)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


 

VORWORT

Die Kongregation für die Glaubenslehre ist von verschiedenen Bischofskonferenzen wie auch von einzelnen Bischöfen, von Theologen, Ärzten und Vertretern der Wissenschaft bezüglich der Übereinstimmung der Grundsätze der katholischen Moral mit den biomedizinischen Techniken befragt worden, die Eingriffe in die Anfangsphase des menschlichen Lebens und in die Fortpflanzungsvorgänge selbst ermöglichen. Die vorliegende Instruktion, Frucht einer umfangreichen Befragung und besonders einer sorgfältigen Bewertung bischöflicher Erklärungen, will nicht die gesamte Lehre der Kirche über die Würde des beginnenden menschlichen Lebens und der Fortpflanzung neu vorlegen, sondern möchte im Licht der vorangegangenen Aussagen des Lehramtes spezifische Antworten auf die in diesem Zusammenhang hauptsächlich erhobenen Fragen bieten.

Die Darlegung ist wie folgt gegliedert: Eine Einführung ruft die grundlegenden anthropologischen und moralischen Prinzipien in Erinnerung, die für eine angemessene Bewertung der Probleme und für die Ausarbeitung der Antworten auf diese Fragen notwendig sind; der erste Teil hat die Achtung des menschlichen Wesens vom ersten Augenblick seiner Existenz an zum Thema; der zweite Teil begegnet den moralischen Fragestellungen, die die Eingriffe der Technik in die menschliche Fortpflanzung aufgeworfen haben; der dritte Teil bietet einige Orientierungen über die Beziehungen zwischen dem Sittengesetz und der staatlichen Gesetzgebung über die den menschlichen Embryonen und Föten*) geschuldete Achtung in bezug auf die Zulässigkeit der Techniken künstlicher Fortpflanzung.

*) Die Ausdrücke „Zygote“, „Prä-Embryo“, „Embryo“ und „Fötus“ können in der Begrifflichkeit der Biologie aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien eines menschlichen Wesens bedeuten. Die vorliegende Instruktion macht von diesen Begriffen ohne Scheu Gebrauch, indem sie jedem von ihnen die gleiche ethische Bedeutung zuweist, um die Frucht der menschlichen Zeugung, sei sie nun sichtbar oder nicht, vom ersten Augenblick ihrer Existenz an bis zur Geburt zu bezeichnen. Der Grund für diesen Sprachgebrauch wird im Text erklärt (vgl. I, 1).

EINFÜHRUNG

1. Die biomedizinische Forschung und die Unterweisung der Kirche

Das Geschenk des Lebens, das Gott als Schöpfer und Vater dem Menschen anvertraut hat, verlangt von diesem, sich des unschätzbaren Wertes solchen Lebens bewusst zu werden und die Verantwortung dafür zu übernehmen: Dieses grundlegende Prinzip muss in den Mittelpunkt der Überlegung gestellt werden, um die moralischen Probleme zu klären und zu lösen, die die künstlichen Eingriffe in das beginnende Leben und in die Fortpflanzungsvorgänge aufgeworfen haben.

Dank des Fortschritts der biologischen und medizinischen Wissenschaften kann der Mensch über immer wirksamere therapeutische Mittel verfügen, aber er kann auch neue Macht erwerben, mit unvorhersehbaren Folgen für das menschliche Leben an seinem Beginn selbst und in seinen ersten Stadien. Verschiedene Verfahren ermöglichen heute Eingriffe nicht nur zur Unterstützung, sondern auch zur Beherrschung der Fortpflanzungsvorgänge. Derartige Techniken gestatten es dem Menschen, „sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen“, aber sie setzen ihn auch „der Versuchung aus, die Grenzen einer vernunftgemäßen Herrschaft über die Natur zu überschreiten“.<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des 81. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Innere Medizin und des 82. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Allgemeinchirurgie, 27. Oktober 1980: AAS 72 (1980) 1126. </ref> So sehr sie einen Fortschritt im Dienst am Menschen bedeuten können, bringen sie doch auch schwerwiegende Risiken mit sich. Von vielen kommt daher ein dringender Aufruf, bei den Eingriffen in die Fortpflanzung mögen die Werte und Rechte der menschlichen Person gewahrt werden. Die Anfragen nach Klärung und Orientierung kommen nicht nur von den Gläubigen, sondern auch von denen, die jedenfalls eine Sendung der Kirche, die „erfahren in allem Menschlichen“ <ref>Paul VI., Ansprache vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, 4. Oktober 1965: AAS 57 (1965), 878; Enzyklika Populorum progressio, 13: AAS 59 (1967), 263. </ref> ist, im Dienst der „Zivilisation der Liebe“<ref>Paul VI., Homilie bei der heiligen Messe zum Abschluß des Heiligen Jahres, 25. Dezember 1975: AAS 68 (1976) 145; Johannes Paul II., Enzyklika Dives in misericordia, 30: AAS 72 (1980) 1224.</ref> und des Lebens anerkennen.  
Das Lehramt der Kirche tritt nicht im Namen einer besonderen Kompetenz im Bereich der Naturwissenschaften auf, sondern will, nach Kenntnisnahme der Daten der Forschung und Technik, ihrem vom Evangelium kommenden Auftrag und ihrer apostolischen Pflicht gemäß die Morallehre vorlegen, die der Würde der Person und ihrer ganzheitlichen Berufung entspricht. Sie tut es, indem sie die moralischen Urteilskriterien für die Anwendung der wissenschaftlichen Forschung und besonders der auf das menschliche Leben und seine Anfänge bezogenen Technik darlegt. Solche Kriterien sind die Achtung, die Verteidigung und die Förderung des Menschen, sein „ursprüngliches und grundlegendes Recht“ auf Leben,<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 390. </ref> seine Würde als Person, mit einer Geistseele begabt, mit moralischer Verantwortung<ref>Vgl. Erklärung Dignitatis humanae, 2. </ref> ausgestattet und zur seligen Gemeinschaft mit Gott gerufen.

Das Eingreifen der Kirche ist auch in diesem Bereich getragen von der Liebe, die sie dem Menschen schuldet, dem sie hilft, seine Rechte und Pflichten zu erkennen und zu achten. Diese Liebe nährt sich aus den Quellen der Liebe Christi: Indem sie das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes betrachtet, erkennt die Kirche auch das „Geheimnis des Menschen“<ref>Pastoralkonst. Gaudium et spes, 22; Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis 8: AAS 71 (1979) 270–272.</ref>; indem sie das Evangelium des Heiles verkündet, offenbart sie dem Menschen seine Würde und lädt ihn ein, seine Wahrheit in voller Weise zu entdecken. So legt die Kirche erneut das göttliche Gesetz vor, um das Werk der Wahrheit und Befreiung zu tun.

Denn es geschieht aus Güte – um den Weg des Lebens zu weisen –, dass Gott den Menschen seine Gebote gibt und die Gnade, sie zu befolgen; und es ist ebenfalls aus Güte – um ihnen zu helfen, auf demselben Weg auszuharren –, dass Gott immer allen seine Vergebung anbietet. Christus hat Mitleid mit unserer Gebrechlichkeit: Er ist unser Schöpfer und unser Erlöser. Möge sein Geist die Herzen für das Geschenk des Friedens Gottes und für das Verständnis seiner Gebote öffnen.

2. Wissenschaft und Technik im Dienst an der menschlichen Person

Gott hat den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen: „Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1, 27) und vertraute ihnen den Auftrag an, „die Erde zu beherrschen“ (Gen 1, 28). Die wissenschaftliche Grundlagenforschung und die angewandte Forschung sind bezeichnender Ausdruck dieser Herrschaft des Menschen über die Schöpfung. Wissenschaft und Technik, kostbare Hilfen für den Menschen, wenn sie sich in seinen Dienst stellen und seine umfassende Entwicklung zum Wohle aller fördern, können nicht für sich allein den Sinn des Daseins und des menschlichen Fortschritts aufzeigen. Auf den Menschen hingeordnet, dem sie ihr Entstehen und ihr Wachstum verdanken, empfangen sie von der Person und ihren moralischen Werten her den Aufweis ihrer Zielsetzung und das Bewusstsein ihrer Grenzen.

Es wäre deshalb illusorisch, die moralische Neutralität der wissenschaftlichen Forschung und ihrer Anwendungen zu fordern; andererseits kann man die Orientierungsmaßstäbe nicht aus der bloßen technischen Effizienz ableiten, noch von dem Nutzen, den sie einigen zum Schaden anderer bringen können oder, noch schlimmer, von den herrschenden Ideologien. Daher erfordern Wissenschaft und Technik aus ihrer innersten Bestimmung heraus die unbedingte Achtung der grundlegenden Kriterien der Moral: Sie müssen also im Dienst der menschlichen Person stehen, ihrer unveräußerlichen Rechte sowie ihres wahren und ganzheitlichen Wohls gemäß dem Plan und dem Willen Gottes.<ref>Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et spes, 35. </ref> Die rasche Entwicklung der technologischen Entdeckungen macht die Forderung nach Achtung der hier in Erinnerung gebrachten Kriterien noch drängender: Eine Wissenschaft ohne Gewissen kann zu nichts anderem führen als zum Untergang des Menschen. „Unsere Zeit braucht mehr als die vergangenen Jahrhunderte diese Weisheit, damit alle neuen Entdeckungen des Menschen auch immer menschlicher werden. Das künftige Geschick der Welt gerät nämlich in Gefahr, wenn nicht weisere Menschen hervortreten.“<ref>Pastoralkonst. Gaudium et spes, 15. Vgl. auch Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 20: AAS 59 (1967) 267; Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis, 15: AAS 71 (1979) 286–289; Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 8: AAS 74 (1982) 89.</ref>

3. Anthropologie und Eingriffe auf biomedizinischem Gebiet

Welche moralischen Maßstäbe muss man anlegen, um die heute im Umfeld der Biomedizin gestellten Probleme zu klären? Die Antwort auf diese Frage setzt eine angemessene Auffassung über die Natur der menschlichen Person in ihrer leiblichen Dimension voraus.

Denn nur in der Richtung ihrer wahren Natur kann sich die menschliche Person als „geeinte Ganzheit“<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 11: AAS 74 (1982) 92. </ref> verwirklichen: Nun ist diese Natur aber zugleich leiblich und geistig. Kraft seiner substantiellen Vereinigung mit einer Geistseele kann der menschliche Leib nicht nur als ein Gefüge von Geweben, Organen und Funktionen angesehen noch auf gleiche Weise wie der Tierkörper bewertet werden, denn er ist konstitutiver Teil der Person, die sich durch ihn manifestiert und ausdrückt.

Das natürliche Sittengesetz drückt die Ziele, Rechte und Pflichten aus, die sich auf die leibliche und geistige Natur der menschlichen Person gründen, und schreibt sie so zugleich vor. Deshalb kann es nicht als Normativität des bloß Biologischen angesehen, sondern muss als vernunftgemäße Ordnung definiert werden, der entsprechend der Mensch vom Schöpfer gerufen ist, sein Leben und seine Handlungen zu leiten und zu regeln und insbesondere den eigenen Leib zu gebrauchen und über ihn zu verfügen.<ref>Vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae, 10: AAS 60 (1968) 487–488.</ref> Eine erste Schlussfolgerung kann aus diesen Prinzipien gezogen werden: Ein Eingriff am menschlichen Leib betrifft nicht nur die Gewebe, Organe und ihre Funktionen, sondern hat auch auf verschiedenen Ebenen mit der Person selbst zu tun. Und insofern trägt er auch moralische Bedeutung und Verantwortlichkeit, vielleicht implizit, aber doch wirklich. Johannes Paul II. bekräftigte vor dem Weltärztebund in aller Deutlichkeit: „Jeder Mensch besteht in seiner unwiederholbaren Einmaligkeit nicht nur aus Geist, sondern auch aus Leib. So berührt man im Leib und durch den Leib die Person als solche in ihrer konkreten Wirklichkeit. Die Würde des Menschen achten bedeutet demzufolge, diese Identität des aus Leib und Seele einen Menschen (corpore et anima unus) zu wahren, wie das II. Vatikanische Konzil (Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 14,1) sagt. Auf der Basis dieser anthropologischen Sicht muss man die grundlegenden Kriterien für die notwendigen Entscheidungen im Fall von Eingriffen finden, die nicht streng therapeutischer Art sind, zum Beispiel solchen, die eine Verbesserung der biologischen Beschaffenheit des Menschen zum Ziel haben.“<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 393. </ref>

Die Biologie und die Medizin tragen mit ihren Anwendungsformen zum ganzheitlichen Wohl des menschlichen Lebens bei, wenn sie der an Krankheit und Schwachheit leidenden Person in Achtung vor ihrer Würde als Geschöpf Gottes zu Hilfe kommen. Kein Biologe oder Arzt kann sich aufgrund seiner wissenschaftlichen Kompetenz vernünftigerweise anmaßen, über Ursprung und Ziel der Menschen zu entscheiden. Diese Norm muss man in besonderer Weise im Bereich von Sexualität und Fortpflanzung anwenden, in dem Mann und Frau die grundlegenden Werte des Lebens und der Liebe verwirklichen.

Gott, der Liebe und Leben ist, hat Mann und Frau die Berufung zu einer besonderen Teilhabe an seinem Geheimnis personaler Gemeinschaft wie auch an seinem Werk als Schöpfer und Vater eingeprägt.<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 11: AAS 74 (1982) 91–92. Vgl. auch Pastoralkonst. Gaudium et spes, 50.</ref> Deshalb besitzt die Ehe spezifische Güter und Werte in bezug auf die Vereinigung und die Fortpflanzung, die nicht mit denen vergleichbar sind, welche bei niedrigeren Formen des Lebens bestehen. Solche Werte und Sinngehalte der personalen Ordnung bestimmen aus moralischer Sicht den Sinn und die Grenzen künstlicher Eingriffe in die Fortpflanzung und den Ursprung menschlichen Lebens. Diese Eingriffe sind nicht etwa deshalb abzulehnen, weil sie künstlich sind. Insofern zeigen sie die Möglichkeiten ärztlicher Kunst auf, aber man muss sie aus moralischer Sicht bewerten, indem man sie auf die Würde der menschlichen Person bezieht, die gerufen ist, die göttliche Berufung zum Geschenk der Liebe und zum Geschenk des Lebens zu verwirklichen.

4. Grundlegende Kriterien für ein moralisches Urteil

Die grundlegenden Werte, die mit den Techniken der künstlichen Fortpflanzung verbunden sind, sind zwei: das Leben des menschlichen Wesens, das ins Dasein gerufen wird, und die Einzigartigkeit seiner Weitergabe in der Ehe. Das moralische Urteil über solche Techniken künstlicher Zeugung muss infolgedessen in Bezugnahme auf diese Werte formuliert werden.

Das physische Leben, durch das der menschliche Lebensweg in der Welt beginnt, schöpft sicherlich in sich nicht den ganzen Wert der Person aus, noch stellt es das höchste Gut des Menschen dar, der zur Ewigkeit berufen ist. Trotzdem ist es in gewisser Weise der „fundamentale“ Wert, gerade weil sich alle anderen Werte der menschlichen Person auf das physische Leben gründen und sich von da aus entfalten.<ref>Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung, 9: AAS 66 (1974) 736–737. </ref> Die Unverletzlichkeit des Rechts auf Leben des unschuldigen menschlichen Wesens „vom Augenblick der Empfängnis an bis zum Tode“<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 390. </ref> ist ein Zeichen und ein Erfordernis der Unverletzlichkeit der Person selbst, der der Schöpfer das Geschenk des Lebens gemacht hat.

Im Vergleich mit der Weitergabe der anderen Lebensformen im Universum hat die Weitergabe des menschlichen Lebens ihre Einzigartigkeit, die sich aus der Einzigartigkeit der Person selbst ableitet. „Die Weitergabe des menschlichen Lebens ist von Natur aus einem personalen und bewussten Akt anvertraut und als solcher den heiligsten Gesetzen Gottes unterstellt. Diese Gesetze sind unveränderlich und unverletzlich; niemand darf sie mißachten und übertreten. Darum darf man keine Mittel gebrauchen und keinen Methoden folgen, die bei der pflanzlichen und tierischen Fortpflanzung erlaubt sein können.“<ref>Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra, III: AAS 53 (1961) 447. 13 </ref>

Die Fortschritte der Technik haben heute eine Zeugung ohne sexuelle Beziehung ermöglicht, und zwar mittels des Zusammenführens der Keimzellen in vitro, die zuvor von Mann und Frau gewonnen wurden. Aber das, was technisch möglich ist, ist nicht auch deshalb schon moralisch annehmbar. Die Besinnung der Vernunft auf die grundlegenden Werte des Lebens und der menschlichen Fortpflanzung ist infolgedessen unentbehrlich, um zu einer moralischen Wertung solcher Eingriffe der Technik am menschlichen Wesen schon von den ersten Stadien seiner Entwicklung an zu kommen.

5. Unterweisungen des Lehramtes

Das Lehramt der Kirche bietet seinerseits auch in diesem Bereich der menschlichen Vernunft das Licht der Offenbarung an: Die Lehre vom Menschen, wie sie das Lehramt darlegt, enthält viele Elemente, welche die hier anstehenden Probleme erhellen.

Vom Augenblick der Empfängnis an muss jedes menschliche Wesen in absoluter Weise geachtet werden, weil der Mensch auf der Erde die einzige Kreatur ist, die Gott „um ihrer selbst willen gewollt“ hat<ref>Pastoralkonst. Gaudium et spes, 24. </ref>, und die Geistseele jedes Menschen von Gott „unmittelbar geschaffen“ ist<ref>Vgl. Pius XII., Enzyklika Humani generis: AAS 42 (1950) 575; Paul VI., Professio fidei: AAS 60 (1968) 436. </ref>; sein ganzes Wesen trägt das Abbild des Schöpfers. Das menschliche Leben ist heilig, weil es von seinem Beginn an „der Schöpfermacht Gottes“ <ref>Johannes XXIII., Enzyklika Mater et magistra, III: AAS 53 (1961) 447; vgl. Johannes Paul II., Ansprache an die an einem Studienseminar „Über die verantwortliche Elternschaft“ teilnehmenden Priester, 17. September 1983: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, VI, 2 (1983) 562: „Am Anfang jeder menschlichen Person steht ein schöpferischer Akt Gottes: Kein Mensch kommt durch Zufall ins Dasein; er ist immer der Zielpunkt der schöpferischen Liebe Gottes.“ </ref> bedarf und für immer in einer besonderen Beziehung zu seinem Schöpfer bleibt, seinem einzigen Ziel.<ref>Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et spes, 24. </ref> Nur Gott ist der Herr des Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende: Niemand darf sich, unter keinen Umständen, das Recht anmaßen, ein unschuldiges menschliches Wesen direkt zu zerstören.<ref>Vgl. Pius XII., Ansprache an die medizinisch-biologische Vereinigung „St. Lukas“, 12. November 1944: Discorsi e Radiomessaggi IV (1944–1945) 191–192. </ref>

Die menschliche Fortpflanzung erfordert das verantwortliche Mitwirken der Eheleute mit der fruchtbaren Liebe Gottes<ref>Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et spes, 24. </ref>; das Geschenk des menschlichen Lebens muss innerhalb der Ehe mittels der spezifischen und ausschließlichen Akte der Eheleute verwirklicht werden gemäß den Gesetzen, die ihnen als Personen und ihrer Vereinigung eingeprägt sind.<ref>Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et spes, 51: „Wenn es sich daher um das Zusammengehen von ehelicher Liebe und verantwortlicher Weitergabe des Lebens handelt, hängt die sittliche Qualität der Handlungsweise nicht allein von der guten Absicht und Bewertung der Motive ab, sondern auch von objektiven Kriterien, die sich aus dem Wesen der menschlichen Person und ihrer Akte ergeben und die sowohl den vollen Sinn gegenseitiger Hingabe als auch den einer wirklich humanen Zeugung in wirklicher Liebe wahren.“</ref>

TEIL I: DIE ACHTUNG VOR DEM MENSCHLICHEN EMBRYO

Eine aufmerksame Betrachtung dieser Unterweisung des Lehramts und der oben erwähnten Vernunfterkenntnisse erlaubt, eine Antwort auf die vielfältigen moralischen Probleme zu geben, die durch die technischen Eingriffe am menschlichen Wesen in den Anfangsstadien seines Lebens und in die Abläufe seiner Empfängnis aufgeworfen wurden. 

1. Welche Achtung schuldet man dem menschlichen Embryo aufgrund seiner Natur und seiner Identität?

Jedes menschliche Wesen muss – als Person – vom ersten Augenblick seines Daseins an geachtet werden. Die Einführung von Verfahren der künstlichen Befruchtung hat verschiedenartige Eingriffe an menschlichen Embryonen und Föten möglich gemacht. Die verfolgten Ziele sind verschiedener Natur, nämlich diagnostischer und therapeutischer, wissenschaftlicher und kommerzieller Art. Aus alldem entstehen schwerwiegende Probleme. Kann man von einem Recht sprechen, Experimente an menschlichen Embryonen zu wissenschaftlichen Forschungszwecken vorzunehmen? Welche Normen oder welche Gesetzgebung müssen für diese Materie erarbeitet werden? Die Antwort auf solche Probleme setzt eine vertiefte Reflexion über die Natur und die wahre Identität – man spricht vom „Status“ – des menschlichen Embryos voraus.

Die Kirche hat ihrerseits auf dem II. Vatikanischen Konzil dem heutigen Menschen von neuem ihre gleichbleibende und sichere Lehre vorgelegt, wonach das „menschliche Leben von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen ist. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuungswürdige Verbrechen.“<ref>Pastoralkonst. Gaudium et spes, 51. </ref> Jüngst erklärte die vom Hl. Stuhl veröffentlichte Charta der Familienrechte: „Menschliches Leben muss vom Augenblick der Empfängnis an absolut geachtet und geschützt werden.“<ref>Hl. Stuhl, Charta der Familienrechte, 4: L’Osservatore Romano, 25. November 1983.</ref> Diese Kongregation weiß um die aktuellen Diskussionen über den Beginn des menschlichen Lebens, über die Individualität von menschlichen Wesen und über die Identität der menschlichen Person. Sie erinnert an die Lehren, die in der Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung enthalten sind: „Von dem Augenblick an, in dem die Eizelle befruchtet wird, beginnt ein neues Leben, welches weder das des Vaters noch das der Mutter ist, sondern das eines neuen menschlichen Wesens, das sich eigenständig entwickelt. Es würde niemals menschlich werden, wenn es das nicht schon von diesem Augenblick an gewesen wäre. Die neuere Genetik bestätigt diesen Sachverhalt, der immer eindeutig war . . ., in eindrucksvoller Weise. Sie hat gezeigt, dass schon vom ersten Augenblick an eine feste Struktur dieses Lebewesens vorliegt: eines Menschen nämlich, und zwar dieses konkreten menschlichen Individuums, das schon mit all seinen genau umschriebenen charakteristischen Merkmalen ausgestattet ist. Mit der Befruchtung beginnt das Abenteuer des menschlichen Lebens, dessen einzelne bedeutende Anlagen Zeit brauchen, um richtig entfaltet und zum Handeln bereit zu werden.“<ref>Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung zur vorsätzlichen Abtreibung, 12–13: AAS 66 (1974) 738. </ref> Diese Lehre bleibt gültig und wird außerdem, wenn dies noch notwendig wäre, von neueren Forschungsergebnissen der Humanbiologie bestätigt, die anerkennt, dass in der aus der Befruchtung hervorgehenden Zygote* sich die biologische Identität eines neuen menschlichen Individuums bereits konstituiert hat.

*Die Zygote ist die Zelle, die durch die Vereinigung der beiden Gameten entsteht. (Red. Anm.: Gameten sind die befruchtungsfähige Eizelle und die befruchtungsfähige Samenzelle.)

Sicherlich kann kein experimentelles Ergebnis für sich genommen ausreichen, um eine Geistseele erkennen zu lassen; dennoch liefern die Ergebnisse der Embryologie einen wertvollen Hinweis, um mit der Vernunft eine personale Gegenwart schon von diesem ersten Erscheinen eines menschlichen Wesens an wahrzunehmen: Wie sollte ein menschliches Individuum nicht eine menschliche Person sein? Das Lehramt hat sich nicht ausdrücklich auf Aussagen philosophischer Natur festgelegt, bekräftigt aber beständig die moralische Verurteilung einer jeden vorsätzlichen Abtreibung. Diese Lehre hat sich nicht geändert und ist unveränderlich.<ref>Vgl. Paul VI., Ansprache an die Teilnehmer des XXIII. Nationalen Kongresses der Katholischen Juristen Italiens, 9. Dezember 1972: AAS 64 (1972) 777.</ref> Deshalb erfordert die Frucht der menschlichen Zeugung vom ersten Augenblick ihrer Existenz an, also von der Bildung der Zygote an, jene unbedingte Achtung, die man dem menschlichen Wesen in seiner leiblichen und geistigen Ganzheit sittlich schuldet. Ein menschliches Wesen muss vom Augenblick seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden, und infolgedessen muss man ihm von diesem selben Augenblick an die Rechte der Person zuerkennen und darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen menschlichen Wesens auf Leben.

Dieser Verweis auf die kirchliche Lehre liefert das grundlegende Kriterium für die Lösung der verschiedenen Probleme, die durch die Entwicklung der biomedizinischen Wissenschaften auf diesem Gebiet entstanden sind: Da er als Person behandelt werden muss, muss der Embryo im Maß des Möglichen wie jedes andere menschliche Wesen im Rahmen der medizinischen Betreuung auch in seiner Integrität verteidigt, versorgt und geheilt werden.

2. Ist die vorgeburtliche Diagnostik moralisch erlaubt?

Wenn die vorgeburtliche Diagnostik das Leben und die Integrität des Embryos und des menschlichen Fötus achtet und auf dessen individuellen Schutz oder Heilung ausgerichtet ist, ist die Antwort positiv.

Die vorgeburtliche Diagnostik lässt tatsächlich den Zustand des Embryos und des Fötus erkennen, solange er sich noch im Mutterleib befindet. Sie erlaubt die frühzeitigere und wirksamere Durchführung oder Planung einiger therapeutischer, medizinischer oder chirurgischer Eingriffe.

Eine solche Diagnostik ist erlaubt, wenn die angewandten Methoden – mit der Zustimmung der entsprechend informierten Eltern – das Leben und die Integrität des Embryos und seiner Mutter wahren, ohne sie unverhältnismäßigen Risiken auszusetzen.<ref>Die Verpflichtung, unverhältnismäßige Risiken zu vermeiden, erfordert eine wirkliche Achtung der menschlichen Wesen und die Lauterkeit der therapeutischen Absichten. Dies schließt ein, dass der Arzt „vor allem sorgfältig die eventuellen negativen Folgen abwägen muss, welche die notwendige Anwendung einer bestimmten Untersuchungstechnik auf den Embryo haben kann, und den Rückgriff auf diagnostische Verfahren meidet, über deren ehrenhafte Finalität und grundsätzliche Unschädlichkeit man keine ausreichenden Garantien besitzt. Und wenn – wie es häufig bei menschlichen Entscheidungen vorkommt – ein Risiko in Kauf genommen werden muss, muss er dafür Sorge tragen festzustellen, dass es gerechtfertigt ist durch eine wirkliche Dringlichkeit der Diagnose und der Wichtigkeit der Resultate, die damit zugunsten dieses Embryos gewinnbar sind“ (Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der Tagung der „Bewegung für das Leben“, 3. Dezember 1982: Insegnamenti di Giovanni Paolo II, V, 3 [1982] 1512). Diese Präzisierung des „verhältnismäßigen Risikos“ muss man auch in den folgenden Abschnitten dieser Instruktion vor Augen haben, und zwar immer dann, wenn dieser Begriff auftaucht.</ref> Aber sie steht in schwerwiegender Weise im Gegensatz zum Moralgesetz, falls sie – je nachdem, wie die Ergebnisse ausfallen – die Möglichkeit in Erwägung zieht, eine Abtreibung durchzuführen. So darf eine Diagnose, die das Bestehen einer Mißbildung oder einer Erbkrankheit anzeigt, nicht gleichbedeutend mit einem Todesurteil sein. Deshalb würde die Frau schwerwiegend unerlaubt handeln, die die Diagnostik mit der bestimmten Absicht verlangte, eine Abtreibung vorzunehmen, falls die Resultate das Vorliegen einer Mißbildung oder Anomalie bestätigten. In gleicher Weise würden der Ehegatte, die Eltern oder jeder andere gegen die Moral handeln, falls sie der Schwangeren die Diagnose mit dem gleichen Ziel rieten oder auferlegten, gegebenenfalls bis zur Abtreibung zu gehen. Genauso würde sich der Spezialist der unerlaubten Beihilfe schuldig machen, der beim Durchführen der Diagnose und beim Mitteilen des Ergebnisses absichtlich dazu beitrüge, eine Verbindung zwischen vorgeburtlicher Diagnose und Abtreibung herzustellen. Verurteilen muss man schließlich als Verletzung des Rechts auf Leben in bezug auf den Ungeborenen und als Eindringen in die ursprünglichen Rechte und Pflichten der Eheleute eine Richtlinie oder ein Programm der staatlichen Autoritäten des Gesundheitswesens oder wissenschaftlicher Organisationen, die in irgendeiner Weise die Verbindung zwischen vorgeburtlicher Diagnose und Abtreibung begünstigten oder sogar die Schwangeren dazu brächten, sich einer planmäßigen vorgeburtlichen Diagnostik mit dem Zweck zu unterziehen, Föten, die von Mißbildungen oder Erbkrankheiten betroffen sind bzw. solche übertragen, zu vernichten.

[Fortsetzung folgt]

Anmerkungen

<references />