Donum vitae (Wortlaut)

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Instruktion
Donum vitae

Kongregation für die Glaubenslehre
unseres Heiligen Vaters
Johannes Paul II.
22. Februar 1987
über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung

(Quelle: Deutsche Fassung auf der Vatikanseite;
Auch in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74.)
Allgemeiner Hinweis: Was bei der Lektüre von Wortlautartikeln der Lehramtstexte zu beachten ist


 

VORWORT

Die Kongregation für die Glaubenslehre ist von verschiedenen Bischofskonferenzen wie auch von einzelnen Bischöfen, von Theologen, Ärzten und Vertretern der Wissenschaft bezüglich der Übereinstimmung der Grundsätze der katholischen Moral mit den biomedizinischen Techniken befragt worden, die Eingriffe in die Anfangsphase des menschlichen Lebens und in die Fortpflanzungsvorgänge selbst ermöglichen. Die vorliegende Instruktion, Frucht einer umfangreichen Befragung und besonders einer sorgfältigen Bewertung bischöflicher Erklärungen, will nicht die gesamte Lehre der Kirche über die Würde des beginnenden menschlichen Lebens und der Fortpflanzung neu vorlegen, sondern möchte im Licht der vorangegangenen Aussagen des Lehramtes spezifische Antworten auf die in diesem Zusammenhang hauptsächlich erhobenen Fragen bieten.

Die Darlegung ist wie folgt gegliedert: Eine Einführung ruft die grundlegenden anthropologischen und moralischen Prinzipien in Erinnerung, die für eine angemessene Bewertung der Probleme und für die Ausarbeitung der Antworten auf diese Fragen notwendig sind; der erste Teil hat die Achtung des menschlichen Wesens vom ersten Augenblick seiner Existenz an zum Thema; der zweite Teil begegnet den moralischen Fragestellungen, die die Eingriffe der Technik in die menschliche Fortpflanzung aufgeworfen haben; der dritte Teil bietet einige Orientierungen über die Beziehungen zwischen dem Sittengesetz und der staatlichen Gesetzgebung über die den menschlichen Embryonen und Föten*) geschuldete Achtung in bezug auf die Zulässigkeit der Techniken künstlicher Fortpflanzung.

*) Die Ausdrücke „Zygote“, „Prä-Embryo“, „Embryo“ und „Fötus“ können in der Begrifflichkeit der Biologie aufeinanderfolgende Entwicklungsstadien eines menschlichen Wesens bedeuten. Die vorliegende Instruktion macht von diesen Begriffen ohne Scheu Gebrauch, indem sie jedem von ihnen die gleiche ethische Bedeutung zuweist, um die Frucht der menschlichen Zeugung, sei sie nun sichtbar oder nicht, vom ersten Augenblick ihrer Existenz an bis zur Geburt zu bezeichnen. Der Grund für diesen Sprachgebrauch wird im Text erklärt (vgl. I, 1).

EINFÜHRUNG

1. Die biomedizinische Forschung und die Unterweisung der Kirche

Das Geschenk des Lebens, das Gott als Schöpfer und Vater dem Menschen anvertraut hat, verlangt von diesem, sich des unschätzbaren Wertes solchen Lebens bewusst zu werden und die Verantwortung dafür zu übernehmen: Dieses grundlegende Prinzip muss in den Mittelpunkt der Überlegung gestellt werden, um die moralischen Probleme zu klären und zu lösen, die die künstlichen Eingriffe in das beginnende Leben und in die Fortpflanzungsvorgänge aufgeworfen haben.

Dank des Fortschritts der biologischen und medizinischen Wissenschaften kann der Mensch über immer wirksamere therapeutische Mittel verfügen, aber er kann auch neue Macht erwerben, mit unvorhersehbaren Folgen für das menschliche Leben an seinem Beginn selbst und in seinen ersten Stadien. Verschiedene Verfahren ermöglichen heute Eingriffe nicht nur zur Unterstützung, sondern auch zur Beherrschung der Fortpflanzungsvorgänge. Derartige Techniken gestatten es dem Menschen, „sein eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen“, aber sie setzen ihn auch „der Versuchung aus, die Grenzen einer vernunftgemäßen Herrschaft über die Natur zu überschreiten“.<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer des 81. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Innere Medizin und des 82. Kongresses der italienischen Gesellschaft für Allgemeinchirurgie, 27. Oktober 1980: AAS 72 (1980) 1126. </ref> So sehr sie einen Fortschritt im Dienst am Menschen bedeuten können, bringen sie doch auch schwerwiegende Risiken mit sich. Von vielen kommt daher ein dringender Aufruf, bei den Eingriffen in die Fortpflanzung mögen die Werte und Rechte der menschlichen Person gewahrt werden. Die Anfragen nach Klärung und Orientierung kommen nicht nur von den Gläubigen, sondern auch von denen, die jedenfalls eine Sendung der Kirche, die „erfahren in allem Menschlichen“ <ref>Paul VI., Ansprache vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, 4. Oktober 1965: AAS 57 (1965), 878; Enzyklika Populorum progressio, 13: AAS 59 (1967), 263. </ref> ist, im Dienst der „Zivilisation der Liebe“<ref>Paul VI., Homilie bei der heiligen Messe zum Abschluß des Heiligen Jahres, 25. Dezember 1975: AAS 68 (1976) 145; Johannes Paul II., Enzyklika Dives in misericordia, 30: AAS 72 (1980) 1224.</ref> und des Lebens anerkennen.  
Das Lehramt der Kirche tritt nicht im Namen einer besonderen Kompetenz im Bereich der Naturwissenschaften auf, sondern will, nach Kenntnisnahme der Daten der Forschung und Technik, ihrem vom Evangelium kommenden Auftrag und ihrer apostolischen Pflicht gemäß die Morallehre vorlegen, die der Würde der Person und ihrer ganzheitlichen Berufung entspricht. Sie tut es, indem sie die moralischen Urteilskriterien für die Anwendung der wissenschaftlichen Forschung und besonders der auf das menschliche Leben und seine Anfänge bezogenen Technik darlegt. Solche Kriterien sind die Achtung, die Verteidigung und die Förderung des Menschen, sein „ursprüngliches und grundlegendes Recht“ auf Leben,<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 390. </ref> seine Würde als Person, mit einer Geistseele begabt, mit moralischer Verantwortung<ref>Vgl. Erklärung Dignitatis humanae, 2. </ref> ausgestattet und zur seligen Gemeinschaft mit Gott gerufen.

Das Eingreifen der Kirche ist auch in diesem Bereich getragen von der Liebe, die sie dem Menschen schuldet, dem sie hilft, seine Rechte und Pflichten zu erkennen und zu achten. Diese Liebe nährt sich aus den Quellen der Liebe Christi: Indem sie das Geheimnis des fleischgewordenen Wortes betrachtet, erkennt die Kirche auch das „Geheimnis des Menschen“<ref>Pastoralkonst. Gaudium et spes, 22; Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis 8: AAS 71 (1979) 270–272.</ref>; indem sie das Evangelium des Heiles verkündet, offenbart sie dem Menschen seine Würde und lädt ihn ein, seine Wahrheit in voller Weise zu entdecken. So legt die Kirche erneut das göttliche Gesetz vor, um das Werk der Wahrheit und Befreiung zu tun.

Denn es geschieht aus Güte – um den Weg des Lebens zu weisen –, dass Gott den Menschen seine Gebote gibt und die Gnade, sie zu befolgen; und es ist ebenfalls aus Güte – um ihnen zu helfen, auf demselben Weg auszuharren –, dass Gott immer allen seine Vergebung anbietet. Christus hat Mitleid mit unserer Gebrechlichkeit: Er ist unser Schöpfer und unser Erlöser. Möge sein Geist die Herzen für das Geschenk des Friedens Gottes und für das Verständnis seiner Gebote öffnen.

2. Wissenschaft und Technik im Dienst an der menschlichen Person

Gott hat den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen: „Als Mann und Frau schuf er sie“ (Gen 1, 27) und vertraute ihnen den Auftrag an, „die Erde zu beherrschen“ (Gen 1, 28). Die wissenschaftliche Grundlagenforschung und die angewandte Forschung sind bezeichnender Ausdruck dieser Herrschaft des Menschen über die Schöpfung. Wissenschaft und Technik, kostbare Hilfen für den Menschen, wenn sie sich in seinen Dienst stellen und seine umfassende Entwicklung zum Wohle aller fördern, können nicht für sich allein den Sinn des Daseins und des menschlichen Fortschritts aufzeigen. Auf den Menschen hingeordnet, dem sie ihr Entstehen und ihr Wachstum verdanken, empfangen sie von der Person und ihren moralischen Werten her den Aufweis ihrer Zielsetzung und das Bewusstsein ihrer Grenzen.

Es wäre deshalb illusorisch, die moralische Neutralität der wissenschaftlichen Forschung und ihrer Anwendungen zu fordern; andererseits kann man die Orientierungsmaßstäbe nicht aus der bloßen technischen Effizienz ableiten, noch von dem Nutzen, den sie einigen zum Schaden anderer bringen können oder, noch schlimmer, von den herrschenden Ideologien. Daher erfordern Wissenschaft und Technik aus ihrer innersten Bestimmung heraus die unbedingte Achtung der grundlegenden Kriterien der Moral: Sie müssen also im Dienst der menschlichen Person stehen, ihrer unveräußerlichen Rechte sowie ihres wahren und ganzheitlichen Wohls gemäß dem Plan und dem Willen Gottes.<ref>Vgl. Pastoralkonst. Gaudium et spes, 35. </ref> Die rasche Entwicklung der technologischen Entdeckungen macht die Forderung nach Achtung der hier in Erinnerung gebrachten Kriterien noch drängender: Eine Wissenschaft ohne Gewissen kann zu nichts anderem führen als zum Untergang des Menschen. „Unsere Zeit braucht mehr als die vergangenen Jahrhunderte diese Weisheit, damit alle neuen Entdeckungen des Menschen auch immer menschlicher werden. Das künftige Geschick der Welt gerät nämlich in Gefahr, wenn nicht weisere Menschen hervortreten.“<ref>Pastoralkonst. Gaudium et spes, 15. Vgl. auch Paul VI., Enzyklika Populorum progressio, 20: AAS 59 (1967) 267; Johannes Paul II., Enzyklika Redemptor hominis, 15: AAS 71 (1979) 286–289; Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 8: AAS 74 (1982) 89.</ref>

3. Anthropologie und Eingriffe auf biomedizinischem Gebiet

Welche moralischen Maßstäbe muss man anlegen, um die heute im Umfeld der Biomedizin gestellten Probleme zu klären? Die Antwort auf diese Frage setzt eine angemessene Auffassung über die Natur der menschlichen Person in ihrer leiblichen Dimension voraus.

Denn nur in der Richtung ihrer wahren Natur kann sich die menschliche Person als „geeinte Ganzheit“<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 11: AAS 74 (1982) 92. </ref> verwirklichen: Nun ist diese Natur aber zugleich leiblich und geistig. Kraft seiner substantiellen Vereinigung mit einer Geistseele kann der menschliche Leib nicht nur als ein Gefüge von Geweben, Organen und Funktionen angesehen noch auf gleiche Weise wie der Tierkörper bewertet werden, denn er ist konstitutiver Teil der Person, die sich durch ihn manifestiert und ausdrückt.

Das natürliche Sittengesetz drückt die Ziele, Rechte und Pflichten aus, die sich auf die leibliche und geistige Natur der menschlichen Person gründen, und schreibt sie so zugleich vor. Deshalb kann es nicht als Normativität des bloß Biologischen angesehen, sondern muss als vernunftgemäße Ordnung definiert werden, der entsprechend der Mensch vom Schöpfer gerufen ist, sein Leben und seine Handlungen zu leiten und zu regeln und insbesondere den eigenen Leib zu gebrauchen und über ihn zu verfügen.<ref>Vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae, 10: AAS 60 (1968) 487–488.</ref> Eine erste Schlussfolgerung kann aus diesen Prinzipien gezogen werden: Ein Eingriff am menschlichen Leib betrifft nicht nur die Gewebe, Organe und ihre Funktionen, sondern hat auch auf verschiedenen Ebenen mit der Person selbst zu tun. Und insofern trägt er auch moralische Bedeutung und Verantwortlichkeit, vielleicht implizit, aber doch wirklich. Johannes Paul II. bekräftigte vor dem Weltärztebund in aller Deutlichkeit: „Jeder Mensch besteht in seiner unwiederholbaren Einmaligkeit nicht nur aus Geist, sondern auch aus Leib. So berührt man im Leib und durch den Leib die Person als solche in ihrer konkreten Wirklichkeit. Die Würde des Menschen achten bedeutet demzufolge, diese Identität des aus Leib und Seele einen Menschen (corpore et anima unus) zu wahren, wie das II. Vatikanische Konzil (Pastoralkonst. Gaudium et Spes, 14,1) sagt. Auf der Basis dieser anthropologischen Sicht muss man die grundlegenden Kriterien für die notwendigen Entscheidungen im Fall von Eingriffen finden, die nicht streng therapeutischer Art sind, zum Beispiel solchen, die eine Verbesserung der biologischen Beschaffenheit des Menschen zum Ziel haben.“<ref>Johannes Paul II., Ansprache an die Teilnehmer der 35. Generalversammlung des Weltärztebundes, 29. Oktober 1983: AAS 76 (1984) 393. </ref>

Die Biologie und die Medizin tragen mit ihren Anwendungsformen zum ganzheitlichen Wohl des menschlichen Lebens bei, wenn sie der an Krankheit und Schwachheit leidenden Person in Achtung vor ihrer Würde als Geschöpf Gottes zu Hilfe kommen. Kein Biologe oder Arzt kann sich aufgrund seiner wissenschaftlichen Kompetenz vernünftigerweise anmaßen, über Ursprung und Ziel der Menschen zu entscheiden. Diese Norm muss man in besonderer Weise im Bereich von Sexualität und Fortpflanzung anwenden, in dem Mann und Frau die grundlegenden Werte des Lebens und der Liebe verwirklichen.

Gott, der Liebe und Leben ist, hat Mann und Frau die Berufung zu einer besonderen Teilhabe an seinem Geheimnis personaler Gemeinschaft wie auch an seinem Werk als Schöpfer und Vater eingeprägt.<ref>Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio, 11: AAS 74 (1982) 91–92. Vgl. auch Pastoralkonst. Gaudium et spes, 50.</ref> Deshalb besitzt die Ehe spezifische Güter und Werte in bezug auf die Vereinigung und die Fortpflanzung, die nicht mit denen vergleichbar sind, welche bei niedrigeren Formen des Lebens bestehen. Solche Werte und Sinngehalte der personalen Ordnung bestimmen aus moralischer Sicht den Sinn und die Grenzen künstlicher Eingriffe in die Fortpflanzung und den Ursprung menschlichen Lebens. Diese Eingriffe sind nicht etwa deshalb abzulehnen, weil sie künstlich sind. Insofern zeigen sie die Möglichkeiten ärztlicher Kunst auf, aber man muss sie aus moralischer Sicht bewerten, indem man sie auf die Würde der menschlichen Person bezieht, die gerufen ist, die göttliche Berufung zum Geschenk der Liebe und zum Geschenk des Lebens zu verwirklichen.


[Fortsetzung folgt]


Anmerkungen

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